2016 Chatbots

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MANAGEMENT & KARRIERE Kundenservice: Chatbots

Wenn Roboter mit Kunden plaudern Chatbots sind Programme, die sich eigenständig mit Menschen unterhalten. Sie können Mitarbeiter entlasten, stehen aber noch am Anfang.

hand versteht und darauf passend antwortet, ist für ihn ein Lernprozess. Im Vergleich zur Programmierung macht dies den Großteil der Entwicklung aus. Wie bei Kindern, muss man einen Bot erziehen und trainieren. Je mehr Mitarbeiter in diesen „Schulstunden“ den VON STEFAN TESCH Bot mit Fragen bombardieren und damit an den Schrauben seiner Antwortkompetenz drehen, desto schlagfertiger leich platzt ihm der Kragen. Herr wird er. Erst dann sollte man ihn öfK. hängt mittlerweile seit vier Mifentlich zugänglich machen. Da ein Bot nuten in der Warteschleife und die pedurch jede Frage laufend dazulernt, benetrante Melodie treibt ihn mit jeder steht die Gefahr, dass dies nach hinten Sekunde mehr in den Wahnsinn. Dabei losgeht. Diese leidvolle Erfahrung ist er keinesfalls ein ungeduldiger Einmachte Microsoft, deren Bot sich manzelfall, denn im Durchschnitt sind zwei gels ausreichender Vorbereitung von Minuten das Limit, welches Anrufer seinen Gesprächspartnern zu rassistials Wartezeit als akzeptabel empfinden. sche Äußerungen hinreißen ließ. Ein K. wollte lediglich die Öffnungszeiten solider Bot sollte mehrere Monate die der nächsten Drogeriefiliale erfragen. Schulbank drücken. Viel praktischer wäre es doch, wenn Wie lange die Entwicklung eines ihm diese Auskunft automatisch erteilt Bots dauert, hängt von seiner Komplewerden könnte. xität ab. Einfache Bots können binnen Technisch ist dies möglich, die Löweniger Tage fertiggestellt werden. sung heißt Chatbot. Solch ein GeZum Einsatz kommen dazu Baukastensprächspartner antwortet in Mobilesysteme der Internet-Riesen Google Messaging-Diensten, wie facebook(Api.ai), facebook (Wit.ai) oder AmaMessenger oder Telegram , automatisch Jobsuche per facebook-Messenger: Der Bot zon (Angel.ai). Aufwendige Bots nehauf Kundenfragen. Rund um die Uhr, „Mr. Hokify“ liefert im Chat Stelleninserate men mehrere Monate in Anspruch. in Echtzeit und ohne menschliches ZuWie viel ein Chatbot kostet, hängt tun. Das Sprachhirn des Bots sind Da- Antwort-Szenarien ablaufen“, weiß Paul tenbanken, aus denen er sich die Ant- Lanzerstorfer, Geschäftsführer der auf davon ab, wie genau er menschliche worten zusammenbastelt. Chatbots spezialisierten Online-Mar- Anfragen versteht und wie umfangreich Ob Wetterbericht, Immobilien- keting-Agentur Pulpmedia. Abgesehen sein Antwortrepertoire ist. Ein einfaoder Jobsuche oder Wahlkampfpropa- von Öffnungszeiten könnte Herr K. zu- cher Bot, der etwa die Abfrage von Verganda, die Einsatzmöglichkeiten von sätzlich via Chat fragen, ob das Lieb- fügbarkeit und Ausstattung eines HoChatbots sind vielfältig. „Größtes Po- lingsshampoo seiner Frau lagernd ist. telzimmers draufhat, kommt auf rund tenzial haben Bots aber im Kundenser- Würde er den Bot nach einem Rendez- 15.000 Euro. Integriert man noch eine vice, wo häufig standardisierte Frage- vous fragen, so sollte dieser ebenfalls Buchungsmöglichkeit, kann es in den eine Antwort parat haben, wenn auch sechsstelligen Bereich gehen. Endlich war Herr K. an der nerlustiger Natur. „Gute Bots geben dem Kunden das Gefühl, tatsächlich mit ei- venaufreibenden Hotline erfolgreich, Unternehmen, die ner Person zu chatten“, bringt es Lan- nun macht er sich an die nächste Aufzerstorfer auf den Punkt. Für Unterneh- gabe: Check-in für seine morgige Chatbots entwickeln men bedeutet das, sie müssen ihre Kun- Dienstreise. Die niederländische FlugOratio (orat.io) den sehr gut kennen, um alle möglichen linie KLM hat ihn bereits per facebookPulpmedia (pulpmedia.at) Antwortszenarien abzudecken. Das Messenger erinnert und es reicht leCreative Workline (creative diglich ein Fingerdruck. Der Bot – der geht nicht von heute auf morgen. workline.at) übrigens derzeit als Best-Practice gilt – The Ventury (theventury.com) Bots brauchen Training antwortet prompt mit einer digitalen Ambuzzador (ambuzzador.com) Boardkarte und offeriert noch freie SitzDer Weg zur Plaudertasche ist ein langer. Lemmings (lemmings.io) Dass ein Bot Anfragen aus Menschen- plätze. Sollte sich sein Flug verspäten,

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MANAGEMENT & KARRIERE Kundenservice: Chatbots

wird der Bot Herrn K. per Messengernachricht informieren. Auch hierzulande sind die automatischen Plauderer präsent. Prominente Beispiele sind die Jobsuchmaschine „Hokify“ (siehe Kasten), die Immobiliensuchmaschine „Zoomsquare“, die Entscheidungshelfer „Swell“ und der Benachrichtigungsdienst über Platten-Veröffentlichungen „Recordbird“.

Plattform für E-Commerce

Bots in allen Branchen Wer denkt, Chatbots seien ein Spielzeug für digitale Start-ups, der irrt. Hierzulande experimentiert man bereits in den Küchen alteingesessener Unternehmen, wie man Bots sinnvoll einsetzen kann. So hat Austrian Airlines im Oktober mit „myAustrian Messenger Service“ einen Bot ins Leben gerufen, den man zur Suche von Flügen, Verspätungen und Gepäckslimits befragen kann. „Eingespart wird damit der Zeitaufwand, den die Mitarbeiter für Standardanfragen brauchen“, heißt es von GEWINN 11/16

Kleiner Bot mit praktischem Nutzen: „Flux“ antwortet mit Informationen über Störungen bei den Wiener Öffis

Austrian-Sprecher Wilhelm Baldia. Allerdings hat man dabei auf Wesentliches „vergessen“: Er versteht kein Deutsch, sondern nur Englisch. An der gut zwei Monate dauernden Einführung des Bots waren zehn Mitarbeiter beteiligt. Blickt man in die Schubladen der Österreichischen Post, winkt dort so mancher Prototyp heraus. Diesen

Hokify: Jobalarm per Bot

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ie Jobplattform Mr. Hokify hat derzeit setzt seit zwei Morund 10.000 naten einen Chatbot ein. aktive Nutzer, die ihn „Wir sind auf den Hype vorwiegend aufmerksam geworden als Benachund haben bemerkt, richtung für neue Jobindass die Jobsuche ein serate verguter Use-Case für eiwenden nen Bot ist“, so Gründer Simon Tretter. Derzeit nutzen ihn rund 10.000 Personen, 90 Prozent verwenden ihn, um automatisch über neue Stellen per facebook-Messenger benachrichtigt zu werden. Nur zehn Prozent schreiben ihn aktiv an. Der Bot wurde zu Beginn mit Begriffsdatenbanken rund um Jobs und geografische Angaben gefüttert. „Wir sehen in Bots großes Potenzial und schätzen, dass künftig auch Bewerbungen darüber ablaufen könnten“, fügt Tretter hinzu.

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Foto: Hokify

In Asien gehören Chatbots schon längst zum Alltag. Unternehmen haben dort ihre Online-Shops ins Chatfenster des Messenger-Platzhirschen WeChat verfrachtet und Nutzer können Waren direkt per Bot bestellen. Nährboden für Bots ist allerorts die große Verbreitung von Messenger-Diensten. Etwa 1,7 Milliarden Menschen weltweit nutzen facebook, in Österreich sind es immerhin 3,6 Millionen. Kontaktieren Nutzer aus Gründen der Bequemlichkeit künftig lieber Bots als Websites und Apps, könnten diese bald teilweise abgelöst werden.Prognosen zeigen, dass bis zu 80 Prozent der heute genutzten Apps überflüssig sein könnten. Soweit die Theorie. Dem steht aber der Faktor Mensch gegenüber. „Unklar ist, wie die digitalen Helfer von Kunden tatsächlich angenommen werden“, meint Lanzerstorfer. Und das hängt mit ihrer Zuverlässigkeit zusammen. Noch haben so manche Bots Schwierigkeiten mit der Sprache und kommen ins Stottern. GEWINNRecherchen zeigten etwa, dass der Jobsuche-Bot „Mr. Hokify“ den Parameter „Eisenstadt“ nicht versteht.

Herbst haben sich nämlich innovative Köpfe zum digitalen Brainstorming getroffen. „Da Post-Dienstleistungen sehr serviceintensiv sind, werden Bots künftig für uns eine große Bedeutung haben“, berichtet Alexander Frech, Leiter des Filialnetzes bei der Post. Eine der Bot-Ideen ist die automatisierte Beantwortung simpler Kundenfragen wie etwa zu Öffnungszeiten von Filialen und die Sendungsverfolgung. Täglich prasseln mehrere tausend solcher Anfragen schriftlich und telefonisch auf den Kundenservice ein. Das Einsparungspotenzial durch Bots ist denkbar groß. „Triebfeder sind zukunftsfähige Kostenstrukturen und ein Mehrwert für den Kunden“, so Frech. 2017 soll der erste Post-Bot das Licht der Welt erblicken. Auch beim Mobilfunker A1 denkt man über Chatbots nach. „Sie sind ein wichtiger, neuer Marketing-Kanal, um die Marke auf eine persönliche Ebene zu heben“, sagt Gregor Fischer, Head of Digital Channels. So könnten Bots künftig bei der Beratung zu Tarifen und Endgeräten zum Einsatz kommen. Künftig könnte also Herrn K. seltener der Kragen platzen, weil er weniger in Warteschleifen hängt, sondern weil er sich mit pubertierenden Bots unterhält. Vielleicht entgegnet er so mancher unpassenden Antwort mit Gelassenheit.


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