2016 Co-Browsing

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HORIZONT № 44

Durch den Browser zum Kunden Co-Browsing ermöglicht Zugriff auf den Bildschirm des Kunden. Im Mix mit Videochat oder Telefon ergibt das neue Formen der Beratung. Durch Co-Browsing hat der Berater Zugriff auf das Browserfenster des Kunden und kann ihn durch die Website führen. © venividiconfici

Bericht von Stefan Tesch

N

ichts geht mehr. Herr N. hat sich in den Tiefen des Onlineshops verirrt. Egal, wo er hinklickt, er findet die Konfiguration seiner neuen Handschuhe nicht mehr im Warenkorb. Braunes Glattleder mit schwarzen Nähten, passend zu seiner Jacke – darauf hat er sich schon gefreut. Schön langsam reißt ihm aber der Geduldsfaden, denn Onlineshopping sollte ihm eigentlich Zeit und Nerven sparen. An der Servicehotline des Unternehmens kann man ihm nicht weiterhelfen, da man nicht weiß, wo auf der Website sich Herr N. nun gerade befindet. Dabei wäre dies technisch möglich. Co-Browsing nennt sich die Technologie, bei der zwei Computer Zugriff auf das gleiche Browserfenster haben. Im Falle von Herrn N. könnte ihn der Servicemitarbeiter vor seinen Augen zum verlorenen Handschuh führen. Dazu ist auf Kundenseite in der Regel lediglich

ein aktueller Browser nötig. Zugriffsrechte erteilt man über einen PINCode, der sofort nach Beendigung der Session wieder erlischt. Danach ist die Verbindung gekappt. Für Banken und Onlineshops „Co-Browsing eignet sich für Banken, Versicherungen und Unternehmen mit umfangreichen Onlineshops“, weiß Markus Mayr, Produktmanager für Voice Services bei atms, einem Anbieter für Kundendialoglösungen. Gerade für Firmen, die ausschließlich online auftreten, ist es eine Möglichkeit für persönlichen Kontakt zu Kunden. Hierzulande ist Co-Browsing noch wenig bekannt. Laut Mayr liegt dies vorwiegend an fehlenden

Best-Practice-Modellen. In der Praxis wird Co-Browsing als Ergänzung zu den Kanälen Telefon oder Videochat eingesetzt. Für eine umfangreiche Lösung, die auf eigenen Servern läuft und verschlüsselt ist, muss man rund 35.000 Euro als Erstinvestition kalkulieren. Geplant war es nicht, dafür ist man jetzt umso zufriedener. Die Bank

‚Wir evaluieren, bei welchen Anwendungsgebieten wir Co-Browsing noch einsetzen können.‘ Hermann Fried, Vorstand Wiener Städtische © Elke Mayr

Hypo Noe hat vergangenes Jahr begonnen, Beratung per Videochat einzuführen. In Testdurchläufen stellte man bald fest, dass in Videosessions ein essenzieller Bestandteil der Beratung fehlt: Nämlich die Präsentation von Unterlagen, sowie die Einbindung von Tools, etwa Kreditrechnern. Zusätzliche Kommunikation So stieß man auf Co-Browsing als Lösung dieses Problems. „Es steigert die Qualität des Beratungsgesprächs enorm. Denn Berater können mit dem Kunden gemeinsam Unterlagen und Inhalte auf der Website durchgehen“, bringt es Christian Wawra, Multikanalmanager bei der Hypo Noe, auf den Punkt. Ob Beratung zu einem Kredit, einem Sparbuch oder einer Versicherung – Videochat und Co-Browsing kommen quer durch alle Bereiche zum Einsatz. „Wir wollen damit Kunden helfen, Zeit zu sparen, in dem sie nicht in die Filiale gehen müssen“, erklärt Wawra. Aus den Filialen möchte man aber niemanden verbannen, sondern Kunden einen zusätzlichen Kommunikationskanal bieten. Da der persönliche Kontakt beim Bankgeschäft nach wie vor einen hohen Stellenwert hat, ist es eine Herausforderung, die virtuelle Beratung zu etablieren. Beratung aus dem Fernsehstudio In der Praxis hat die Hypo Noe das so gelöst, indem „normale“ Filialmitarbeiter gleichzeitig als Videoberater tätig sind. „Wer möchte, kann sie in den Filialen persönlich treffen“, sagt Wawra. Dazu hat man Beratungsräume in zahlreichen Filialen als kleine Fernsehstudios umgebaut. Ausgestattet mit Kamera, Beleuchtung und schickem Hintergrund eignen sich diese Räume nebst Videoberatung auch für das persönliche Gespräch. Damit die Filialmitarbeiter kompetent auftreten, hat man sie zu Prä-

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sentationstechniken vor der Kamera geschult. Technisch läuft der Dienst in einem virtuellen Fenster im Browser des Kunden. Betreuer und Kunde können dort abwechselnd die Steuerung des Mauszeigers übernehmen. So bedient beispielsweise der Kunde den Kreditrechner, nachdem der Berater Konditionen anhand eines Diagramms gezeigt hat. Und wie nehmen es die Kunden an? Wawra vergleicht es gerne mit der Einführung des Onlinebanking: „Manche wollen es, manche nicht. Es wird bestimmt noch eine Zeit lang dauern, bis es etabliert ist.“ Noch fristet die Videoberatung ein Nischendasein. Wenn es von den Kunden gut angenommen wird, denkt man bei der Hypo über den Ausbau des Services nach. Dass Videochat und CoBrowsing in naher Zukunft so manche Filiale ersetzen könnte, schließt man aus jetziger Sicht aus. Hilfe beim Navigieren Einen ähnlichen Kurs fährt auch die Wiener Städtische Versicherung. Seit September letzten Jahres können dort Kunden Videochat mit Co-BrowsingUnterstützung wählen. „Das eignet sich besonders für Produktberatung sowie Beratung zu Dienstleistungen, da durch den Blickkontakt eine Vertrauensbasis ähnlich dem persönlichen Gespräch geschaffen wird“, weiß Vorstandsdirektor Hermann Fried. Ebenso setzt man die Technologie des „gemeinsamen Browsens“ zur Hilfe beim Ausfüllen von Formularen ein. Allerdings bedarf es einer Portion Fingerspitzengefühl: „Unsere Mitarbeiter müssen sich auf die individuelle Geschwindigkeit des Gegenübers einstellen“, ergänzt Fried. User können die Videoberatung entweder sofort auf der Website starten oder einen Termin vereinbaren. Für die Beratung über Smartphone und Tablet gibt es eine App. Ⱦ

Während der Bankberater mit dem Kunden videotelefoniert, präsentiert er Inhalte über das gemeinsame Browserfenster. © Hypo


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