2016 Online-Apotheken

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7. Oktober 2016

40 % aller Internetnutzer in Deutschland bestellen ihre Medikamente bereits online, so eine Umfrage.

Der Onlineapothekenhandel boomt. Immer mehr Patienten bestellen ihre Medikamente online. Tendenz steigend. © efired/Fotolia

Wenn der Postbote Aspirin bringt Seit über einem Jahr dürfen heimische Apotheken rezeptfreie Medikamente online verkaufen. Der Markt steckt voller Chancen, doch die Rahmenbedingungen sind hart. Bericht von Stefan Tesch

D

er 25. Juni 2015 wird Pia Baurek-Karlic lange in Erinnerung bleiben. Seit diesem Tag durfte sie endlich den Motor ihres Onlineshops Beavit zu voller Leistung hochfahren, denn der Versandhandel mit rezeptfreien Medikamenten wurde für österreichische Apotheken freigegeben. Kunden konnten zwar bisher schon Medikament online bestellen, jedoch nur von Apotheken mit Sitz außerhalb Österreichs. Für die heimischen Apotheken bedeutete dies eine angespannte Situation, denn der Termin zur Liberalisierung wurde mehrmals verschoben. Baurek-Karlic hat sich auf die Liberalisierung schon lange vorbereitet und bereits 2013 mit dem Versand von Kosmetik und Nahrungsergänzungsmitteln begonnen. Dann gesellten sich zu den 3.000 Produkten im Sortiment 4.000 rezeptfreie Arzneimittel. „Der Umsatz hat sich seither verdoppelt, denn Arzneimittel machen die Hälfte des Bestellvolumens aus“, berichtet Baurek-Karlic und zieht eine positive Zwischenbilanz. Seit der Liberalisierung gibt es hierzulande 32 Onlineapotheken, rund die Hälfte davon ist aktiv. Der Markt für rezeptfreie Medikamente beträgt 800 Millionen, Schätzungen zu Folge liegt der Anteil des Versandhandels bei nur wenigen Prozent. Kein Online ohne Offline Die derzeitige Rechtslage erlaubt das Betreiben einer Onlineapotheke allerdings nur in Kombination mit einer stationären Apotheke. Im Falle von Beavit ist Baurek-Karlics

Vater Konzessionär der Urania Apotheke in Wien und die Tocher Geschäftsführerin der Betreiberfirma des Onlineshops. Mit diesem „Trick“ umgeht sie die zahlreichen Werbeeinschränkungen, die für Apotheken gelten, darunter etwa das Verbot von Aktionen und marktschreierischen Angeboten. Trotzdem operiert die Unternehmerin auf holprigem Terrain, denn der Konkurrenzdruck durch Onlineapotheken mit Sitz in den Nachbarländern – zum Teil mit deutschsprachigen Websites und .at-Domains – sei sehr groß. Sie bieten aufgrund niedriger Steuersätze Medikamente um bis zur Hälfte billiger an. „Da können wir nicht mithalten. Preisbewusste Kunden können wir daher nicht ansprechen, denn wir wollen bewusst nicht in die Dumpingspirale abrutschen“, erklärt Baurek-Karlic, die lieber auf Kundenberatung per

E-Mail und Chat sowie auf ein großes Sortiment setzt. Ebenso kommen Contentmarketing mittels Unternehmensblog und Social-Media-Aktivitäten zum Einsatz. Online gelten bei Beavit die selben Preise wie in der väterlichen Präsenzapotheke. Marketing erschließt Zielgruppen Als besonders erfolgreiches Marketinginstrument hat sich für den Betreiber der Grazer Onlineapotheke Valsona, Ivo Rothlauer, Google Adwords herauskristallisiert. Er spricht damit in erster Linie Kunden aus Deutschland an. „80 Prozent des Umsatzes entfällt auf Bestellungen von dort“, so Rothlauer. Mit dieser Strategie steigert der junge Apothekersohn seinen Umsatz monatlich um satte 20 Prozent. Rund ein Zehntel seines Sortiments bewirbt er mittels

Adwords und macht damit aber 20 Prozent des Umsatzes. Der Grund: In Deutschland sind viele Produkte, die es in Österreich gibt, nicht erhältlich. In Rothlauers Onlineapotheke haben sich neben der eigenen Kosmetiklinie die Arzneiwaren der Marke Dr. Böhm als Bestseller etabliert. Klassiker wie Aspirin sind nur Paketfüller, um die Schwelle zur kostenfreien Lieferung zu erreichen. Puncto Onlineshopping von Medikamenten seien die Österreicher skeptisch, meint Rothlauer. Um Vertrauen zu schaffen und sich als legale Apotheke zu deklarieren, dient das weiß-grüne Sicherheitslogo auf der Website. Limitiertes Wachstum Zwar freut man sich bei Valsona über den erfolgreichen Start ins Onlinebusiness, allerdings hat Rothlauer Bedenken, wie es künftig weitergehen soll. Dass die Versandpakete laut Gesetz nur in der stationären Apotheke gepackt werden dürfen, schränkt nämlich das Wachstumspotenzial massiv ein. „Die Kapazitäten unserer Apotheke sind durch diese Zusatzbelastung schnell ausgeschöpft“, klagt Rothlauer. Derzeit macht der Onlinehandel zwischen fünf und acht Prozent Anteil am Gesamtumsatz der Apotheke aus. Der Apothekerverband, die Interessensvertretung selb-

80 %

ständiger Apotheker, goutiert die Liberalisierung des Versandhandels nicht. Als Grund nennt man die für Arzneiwaren notwendige Beratung, die es nur in der stationären Apotheke geben könne. Trotzdem hat der Verband auf die neue Marktsituation reagiert und die Plattform Apodirekt gestartet. Kunden können dort Medikamente bei stationären Apotheken zur Abholung reservieren („Click & Collect“-System). Rund 800 stationäre Apotheken nehmen teil und bisher sind mit 13.000 Produktreservierungen rund eine halbe Million Euro abgewickelt worden. Erfolgsmodell Deutschland Mittlerweile ist in beinahe allen Staaten der EU der Fernabsatz von Medikamenten freigegeben. Besonders in Deutschland floriert er, denn anders als hierzulande, dürfen seit 2004 dort Apotheken auch verschreibungspflichtige Medikamente versenden. So werden gut ein Fünftel aller Medikamente mittlerweile über das Internet bestellt. Aktuell gibt es rund 1.000 aktive Onlineapotheken. Laut einer Umfrage bestellen 40 Prozent aller Internetnutzer regelmäßig Medikamente online, Tendenz steigend. Apotheken sind bei der Preisgestaltung im deutschen Nachbarland rezeptfreier Medikamente flexibler, denn – anders als in Österreich – unterliegen sie keiner Preisbindung. Ⱦ

des Umsatzes der Grazer Onlineapotheke Valsona stammt aus Deutschland.

Ivo Rothlauer, junger Apothekersohn und Betreiber der Grazer Onlineapotheke Valsona. © Ella Rothlauer

Pia Baurek-Karlic (links) konnte dank Liberalisierung des Versandhandels mit rezeptfreien Arzneimitteln den Umsatz ihrer Onlineapotheke Beavit verdoppeln. © Uwe Strasser


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