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Arbeitslosigkeit Eine hohe Arbeitslosigkeit führt nicht nur häufig zum sozialen Abstieg der direkt Betroffenen, sondern manchmal auch zu tiefen gesellschaftlichen Konflikten oder zu grossen Wanderbewegungen Arbeit suchender Menschen in Richtung der Länder mit guten Verdienstmöglichkeiten. Wo liegen die Ursachen von Arbeitslosigkeit? Welche Formen von Arbeitslosigkeit gibt es? Und vor allem: Wie kann man Arbeitslosigkeit vermeiden?
Es gibt etwas, das alle Menschen rund um den Globus verbindet. Egal, zu welcher Religion sie sich bekennen oder welcher Nation sie angehören: Jeder Mensch möchte durch ein gesichertes Einkommen seine Existenz und das bisher Erreichte sichern. Dafür sind die allermeisten bereit, einer geregelten Tätigkeit nachzugehen. Menschen ohne Arbeit sind nicht nur in ihrer Existenz gefährdet; sie sind oft auch unglücklich und werden krank.
Theorie 17.1 17.2 17.3 17.4 17.5 17.6 17.7 17.8
Übungen
Die Arbeitslosigkeit im Laufe der letzten 100 Jahre ............................................. Konjunkturelle und saisonale Arbeitslosigkeit ..................................................... Friktionelle und strukturelle Arbeitslosigkeit ........................................................ Arbeitslose und offene Stellen – Sockelarbeitslosigkeit ....................................... Offizielle Arbeitsmarktdaten .............................................................................. Verdeckte und latente Arbeitslosigkeit ............................................................... Wie kann man Arbeitslosigkeit vermeiden? ........................................................ Arbeitslos – was tun? ........................................................................................ Das haben Sie gelernt ........................................................................................ Diese Begriffe können Sie erklären .....................................................................
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Konjunkturelle und saisonale Arbeitslosigkeit ........................................................ Friktionelle und strukturelle Arbeitslosigkeit .......................................................... Sockelarbeitslosigkeit ........................................................................................... Arbeitsmarktstatistiken ......................................................................................... Formen der Arbeitslosigkeit ..................................................................................
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Aufgaben 1 2 3 4 5
Arbeitslosigkeit im Wandel ................................................................................... Lage auf dem Arbeitsmarkt .................................................................................. Arena Arbeitslosigkeit ........................................................................................... Erfolgreicher Abbau der Sockelarbeitslosigkeit ...................................................... Welches ist die bessere Arbeitsmarktstatistik? .......................................................
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Ausgabe für Lehrpersonen Brennpunkt Wirtschaft und Gesellschaft 3.. Auflage 2019 / © Verlag SKV AG, Zürich Diese Broschüre ist urheberrechtlich geschützt. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, die Broschüre oder Teile daraus in irgendeiner Form zu reproduzieren. Bestellung über: https://brennpunkt-wug.verlagskv.ch Arbeitslosigkeit
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Arbeitslosigkeit
17.1
Arbeitslosigkeit im Laufe der letzten 100 Jahre
Arbeitslosigkeit taucht im Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung immer wieder auf. Ein Blick in die Geschichte vermittelt uns zudem einen Einblick in die vielfältigen Ursachen dieses Phänomens. Dazu schauen wir uns an, wie sich die Arbeitslosigkeit in der Schweiz in den letzten 100 Jahren entwickelt hat:
Q
Q Arbeitslosigkeit in der Schweiz (1914–2009) 5%
Grosse Depression
Immobilienkrise
4.5 % Arbeitslose / (Arbeitslose + Erwerbstätige)
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Starke Deflation
3.5 %
Q
3% 2.5 % 2% 1.5 % 1%
Erdölpreis-Schocks Platzen der Dotcom-Blase
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Q
Quelle: «Die Volkswirtschaft» 1 / 2 – 2010 (Für die amtlichen Arbeitslosenquoten wird die Zahl der Erwerbsbevölkerung alle zehn Jahre erhoben; weil die Zahl der Erwerbstätigen jährlich gestiegen ist, sind die Zahlen in dieser Grafik im Vergleich leicht tiefer.)
Die Abbildung zeigt den Verlauf der Arbeitslosenquote (Prozentanteil der Arbeitslosen an der arbeitsfähigen und arbeitswilligen Bevölkerung) mit besonders markanten Spitzenwerten über die letzten 100 Jahre. Q 1920: Nach Beginn der Industrialisierung 1850 und mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes herrschte in der Schweiz knapp 70 Jahre lang ein ununterbrochenes Wirtschaftswachstum. Die erste Krise begann mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914. Die Staaten finanzierten ihre Rüstungsausgaben mit einer Ausweitung der Geldmenge, was zu einer hohen Teuerung (Inflation) führte. Als die Schweizerische Nationalbank (SNB) gegen die andauernden Preiserhöhungen entschieden eingriff, sank die Jahresinflationsrate von rund + 25 % im Jahre 1918 bis 1922 auf das Niveau von – 20 %, was einer heute
Q
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kaum vorstellbaren Deflation entspricht. In einer Deflation sinken die Preise für Güter und Dienstleistungen, und die Unternehmer sind in der Folge gezwungen, Arbeiter zu entlassen. Die Arbeitslosenquote stieg aus diesem Grund bis 1922 auf 3,4 %. 1935: Nach dem Ersten Weltkrieg folgten die goldenen 20er-Jahre: Durch Produktivitätsfortschritte und die Einführung der Massenproduktion nahmen die Umsätze in der Konsumgüter- und Investitionsgüterindustrie massiv zu. Die Banken boten sehr günstige Kredite an, was zu einer Überproduktion führte. Zudem waren Investitionen häufig mit kurzfristigen Krediten finanziert, und als im Jahr 1929 aufgrund von spekulativen Wertpapier- und Warengeschäften viele Banken Konkurs gingen, brach die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen ein. Weil bereits damals die Volkswirtschaften stark miteinander verzahnt waren, führte dies zu einer weltweiten Depression. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgten wiederum Jahre des starken Wachstums, in denen die Arbeitslosigkeit fast verschwand. In der Schweiz war die bestehende allgemeine Arbeitskräfteknappheit nur durch den Zuzug ausländischer Arbeitskräfte zu überwinden. In der Folge stieg der Ausländeranteil 1970 auf 17,2 % an. 1978 / 1986: Nach den Boomjahren kam es zu wiederholten Beschäftigungseinbrüchen, welche die Arbeitslosigkeit jedes Mal deutlich ansteigen liessen. Der erste Einbruch ereignete sich im Anschluss an die erste Erdölpreiskrise 1973 / 74 und der zweite in der Folge des zweiten Erdölpreisschocks 1982. Die erste Erdölpreiskrise wurde im Herbst 1973 durch den Jom-Kippur-Krieg ausgelöst, in welchem Ägypten und Syrien Israel angriffen. Die Organisation der Erdöl exportierenden Länder (OPEC) drosselte bewusst die Fördermengen um ca. fünf Prozent, um die westlichen Länder bezüglich ihrer Unterstützung Israels unter Druck zu setzen. Die zweite Erdölkrise wurde durch die islamische Revolution im Iran und den Angriff des Iraks auf den Iran (Erster Golfkrieg) ausgelöst. 1995: Anfang der 1990er-Jahre resultierte ein Anstieg der Arbeitslosenquote aus der restriktiven Geldmengenpolitik der Nationalbank. Aufgrund eines spekulativen Immobilienbooms und einer Inflation von über 6 % verringerte die SNB die Geldmenge bei den Geschäftsbanken, was zu einem Anstieg des Zinsniveaus führte. Durch die gestiegenen Kapitalkosten gingen Unternehmungen Konkurs und entsprechend Arbeitsplätze verloren. 2005: Die nächsten Einbrüche rührten von Entwicklungen auf den Finanzmärkten her: Im Jahre 2000 kamen Unternehmen auf, die im Zusammenhang mit dem Internet Dienstleistungen anboten. Man nannte diese Unternehmungen aufgrund ihrer InternetDomain-Endung «.com» (engl. für commercial) auch Dotcom-Unternehmungen. Übertriebene Gewinnerwartungen und die Spekulation auf steigende Aktienkurse führten zu einer Überbewertung dieser Unternehmungen, was man allgemein als Dotcom-Blase bezeichnete. Als die hochbewerteten Unternehmen die Gewinnerwartungen nicht erfüllen konnten, gingen viele dieser Unternehmungen Konkurs, da ihr Börsenwert «nur» durch die geistigen Leistungen der Mitarbeiter und nicht durch materielle Gegenwerte
gedeckt war. Viele Kleinanleger verpassten den richtigen Ausstiegszeitpunkt und verloren so ihr Vermögen, was schliesslich zu einem gesamtwirtschaftlichen Nachfrageeinbruch führte. Q 2008: Die Finanzkrise 2008 wurde durch die stark gefallenen Immobilienpreise in den USA ausgelöst, die sich nach einer langen, spekulativen Preissteigerungsphase (Immobilienblase) entwickelt hatte. Immer mehr Kreditnehmer konnten ihre Kreditraten aufgrund der gestiegenen Zinsen und infolge sinkender Einkommen nicht mehr bezahlen. Weil dadurch auch die Nachfrage nach Konsumgütern zurückging, kam es zu Produktionssenkungen und einem Anstieg der Arbeitslosigkeit. Q 2010: In der Euro-Krise konnten einige Mitgliedsländer der Europäischen Union (EU), wie z. B. Griechenland, Irland, Portugal und Spanien, ihren Schuldenverpflichtungen nicht mehr nachkommen. In der Folge kam es in diesen Ländern zu einschneidenden Sparprogrammen und Entlassungen in der staatlichen Verwaltung. Die Euro-Krise und die damit verbundene Aufwertung des Schweizer Frankens beeinflussten auch die Beschäftigungslage in der Schweiz, wenngleich unsere Arbeitslosenwerte nicht die Rekordwerte von Spanien oder Griechenland von über 20 % erreichten. Dieser Rückblick über die letzten 100 Jahre macht vor allem deutlich, dass die Arbeitslosigkeit durch viele verschiedene Faktoren ausgelöst und beeinflusst wird.
Q Arbeitslosenquoten einiger ausgewählter Länder
Jahr: 2018 (August) Aufgabe 1
Schweiz
USA
Frankreich
Italien
Deutschland
UK
EU
Japan
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3,9 %
9,3 %
9,7 %
3,4 %
4,1 %
6,8 %
2,4 %
Aktuelle Zahlen: Quelle: data.oecd.org
Hinweis für Lehrpersonen Die aktuellen Zahlen für die Schweiz finden sich unter www.amstat.ch; («Die Lage auf dem Arbeitsmarkt») Der Link kann via e-desk direkt aktiviert werden: www.brennpunkt-wug.ch Æ Kapitel 17 Æ Dateien Lehrmittel Æ Zusatzmaterial
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17.2 Konjunkturelle und saisonale Arbeitslosigkeit Q Konjunktur und Wachstum Die wirtschaftliche Gesamtlage eines Landes bezeichnen wir als Konjunktur. Sie wird bestimmt durch den Auslastungsgrad der Produktionsfaktoren Arbeit, Wissen, Kapital und Boden. Die Konjunkturentwicklung, d. h. der Verlauf der gesamtwirtschaftlichen Aktivitäten, durchläuft immer wieder Phasen des Aufschwungs, in denen die Produktionsfaktoren zunehmend ausgelastet werden, und Phasen des Abschwungs, in denen nicht alle Faktoren vollständig ausgelastet sind. In einem Konjunkturaufschwung investieren die Unternehmungen in ihre Produktionskapazitäten und schaffen Arbeitsplätze. Dagegen werden in einem Konjunkturabschwung Produktionskapazitäten abgebaut und gegebenenfalls Mitarbeiter entlassen. Betrachten wir die Wirtschaftsentwicklung langfristig, d. h. über die kurzfristigen, konjunkturellen Wellenbewegungen hinaus, stellen wir fest, dass die Wirtschaftsleistung eines Landes, gemessen am realen Bruttoinlandprodukt (BIP), stetig wächst. Wäre die Auslastung der Produktionsfaktoren Arbeit, Wissen, Kapital und Boden also immer ideal, würde das BIP stetig ansteigen. Wir bezeichnen dies als Produktionspotenzial oder Trend-Wachstum. Weil die Produktionsfaktoren Boden und Kapital kaum mehr ausgeweitet werden können, kann das BIP nur wachsen, indem die Produktionsfaktoren Arbeit und Wissen mehr dazu beitragen. Das bedeutet konkret, dass das Trend-Wachstum in der Schweiz durch mehr arbeitende Menschen, eine Erhöhung der Arbeitsstunden oder eine Verbesserung der Produktivität (Leistung pro Arbeitsstunde) erreicht werden kann. Dieses langfristige Trend-Wachstum wird in der Schweiz auf etwa 2 % pro Jahr geschätzt.
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Die Lage auf dem Arbeitsmarkt wird wesentlich durch die Konjunkturentwicklung bestimmt. In einer Hochkonjunktur ist der Arbeitsmarkt ausgetrocknet, und es gibt praktisch keine Arbeitslosigkeit, weil die Unternehmungen zusätzliche Arbeitskräfte einstellen. Bei einem Konjunkturabschwung steigt die Arbeitslosigkeit dagegen an, weil Produktionskapazitäten heruntergefahren werden und die Unternehmungen weniger Arbeitskräfte einstellen oder gar zu Entlassungen gezwungen sind. Diese Form der Arbeitslosigkeit nennen wir deshalb konjunkturelle Arbeitslosigkeit. Q Zusammenhang zwischen Konjunktur und Arbeitslosigkeit Wachstum bei optimaler Auslastung der Produktionsfaktoren, Produktionspotenzial oder Trend-Wachstum
BIP in Mia. CHF
520 Auftreten von konjunktureller Arbeitslosigkeit
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Rezession, Depression
Konjunkturaufschwung, Erholung
Hochkonjunktur, r Boom
Konjunkturabschwung, Abschwung
Rezession, Depression
Konjunkturentwicklung (mit Aufschwung- und Abschwungphase)
Vollständiger Konjunkturzyklus
Arbeitslosenquote 10%
Q Konjunkturelle Arbeitslosigkeit
2% Zeit
Wenn die Unternehmungen aufgrund der rückläufigen Gesamtnachfrage (z. B. der Haushalte oder des Staates) weniger verkaufen können und deshalb sinkende Umsätze verzeichnen, werden sie als Reaktion darauf weniger investieren und eventuell Produktionskapazitäten abbauen sowie Personal entlassen. Ein Konjunkturabschwung, d. h. ein Rückgang des BIP, führt somit tendenziell zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit. Wenn der Abschwung des BIP länger anhält, sprechen wir von einer Rezession, in welcher die Arbeitslosigkeit weiter ansteigen dürfte. Auch Kursstürze an der Wertpapierbörse oder ein massiver Preisrückgang auf dem Immobilienmarkt können Signale für eine beginnende Rezession sein. Weil die Volkswirtschaften heute durch den internationalen Handel eng miteinander verbunden sind, führen auch Ereignisse im Ausland zu Veränderungen der Gesamtnachfrage im Inland. Deshalb kann ein Konjunkturabschwung in Deutschland oder den USA in der Schweiz zu einem Rückgang der Exporte führen und damit eine Rezession auslösen. Wenn der Abschwung besonders stark ausfällt und es zu einer hohen Arbeitslosigkeit kommt, bezeichnen wir dies als «Depression».
Q Saisonale Arbeitslosigkeit Die saisonale Arbeitslosigkeit entsteht durch jahreszeitlich bedingte Produktions- und Nachfrageschwankungen, von denen nur bestimmte Branchen betroffen sind. So werden beispielsweise im Baugewerbe im Frühling in der Regel mehr Leute eingestellt. Aus diesem Grund kann ein Rückgang der Arbeitslosigkeit in einer bestimmten Branche auch nur saisonal bedingt sein. Übung 1
Hinweis für Lehrpersonen W PPT-Folie: Folie 3 (animiert) Zusammenhang zwischen Konjunktur und Arbeitslosigkeit Wachstum bei optimaler Auslastung der Produktionsfaktoren, Produktionspotenzial oder Trend-Wachstum
BIP in Mia.CHF 520
Auftreten von konjunktureller Arbeitslosigkeit
Hochkonjunktur, Boom
Konjunkturabschwung, Abschwung
Rezession, Depression
Konjunkturentwicklung (mit Aufschwung- und Abschwungphase)
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Konjunkturaufschwung, Erholung
Rezession, Depression
Vollständiger Konjunkturzyklus
Arbeitslosenquote 10%
2% Zeit
W PPT-Folie: Folie 4 (animiert) Konjunkturelle und saisonale Arbeitslosigkeit Wachstum bei optimaler Auslastung der Produktionsfaktoren, Produktionspotenzial oder Trend-Wachstum
BIP in Mia.CHF 520
Auftreten von konjunktureller Arbeitslosigkeit
Hochkonjunktur, Boom
Konjunkturabschwung, Abschwung
Rezession, Depression
Konjunkturentwicklung (mit Aufschwung- und Abschwungphase)
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Rezession, Depression
Konjunkturaufschwung, Erholung
Vollständiger Konjunkturzyklus
Saisonale Effekte in einzelnen Branchen
Konjunkturelle Arbeitslosenquote 10%
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17.3
Friktionelle und strukturelle Arbeitslosigkeit
Arbeitslosigkeit gibt es allerdings nicht nur in Phasen des wirtschaftlichen Abschwungs. Auch in Zeiten des Aufschwungs oder Booms gibt es Menschen, die keine Arbeit haben, obwohl sie arbeiten möchten. Man unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen friktioneller und struktureller Arbeitslosigkeit. Q Friktionelle Arbeitslosigkeit (Sucharbeitslosigkeit) Unter der friktionellen Arbeitslosigkeit verstehen wir jene Form der Arbeitslosigkeit, die auf einen freiwilligen Arbeitswechsel zurückzuführen ist. In der Regel sollte in solchen Fällen die Arbeitslosigkeit nicht mehr als drei Monate dauern. Wenn jemand arbeitslos geworden ist, kann es irgendwo in der Wirtschaft durchaus eine offene Stelle geben, die dem Profil der arbeitslosen Person vollständig entspricht. Diese Stelle muss der oder die Arbeitslose aber zuerst finden. Wir sprechen deshalb von Sucharbeitslosigkeit. In der gleichen Situation befinden sich auch Frauen, die einen Wiedereinstieg in eine Berufstätigkeit suchen, nachdem ihre Kinder grösser geworden sind und weniger Betreuung erfordern. Q Strukturelle Arbeitslosigkeit Unsere Wirtschaftsstruktur verändert sich dauernd: Neue Technologien und Innovationen führen zu veränderten Produktionsprozessen und neuen Produkten; die Nachfrage der Haushalte ändert sich ebenso wie die Rahmenbedingungen für die UnterVon der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft nehmungen. All dies wirkt sich auf die verschiedenen WirtschaftsErwerbstätige, in 1000… … und in % zweige und Branchen aus. Es gibt 3500 100 % 39,0 73,8 neue Berufe, andere sterben aus. 90 % Tertiärsektor 3000 Diese Veränderung in der Zusam80 % 2500 70 % mensetzung der Branchen be60 % zeichnen wir als Strukturwandel. 46,5 2000 50 % Der Strukturwandel zeigt sich un1500 40 % Sekundärsektor ter anderem in der Veränderung 30 % 1000 der Anteile der Beschäftigten in 22,8 20 % 500 den drei Wirtschaftssektoren. 10 % Primärsektor 14,5 34 3,4 Der Strukturwandel kann aus 0% 0 1960 2010 1960 1970 1980 1990 2000 2010 Sicht der Konsumenten durchaus positiv sein, weil dadurch besteQuelle: BFS hende Güter und Dienstleistun-
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gen effizienter und billiger hergestellt oder neue, verbesserte Güter und Dienstleistungen angeboten werden. Der damit verbundene Abbau von bestehenden Branchen führt aber zwangsläufig auch zu Veränderungen in der Beschäftigungsstruktur. So verlieren die vom Strukturwandel betroffenen Personen ihren Arbeitsplatz, was für sie zweifellos schmerzlicher ist als die Vorteile eines erweiterten Güter- und Dienstleistungsangebotes. Arbeitslosigkeit, die in erster Linie auf einen solchen Strukturwandel zurückzuführen ist, bezeichnen wir als strukturelle Arbeitslosigkeit. In einer dynamischen Wirtschaft scheint diese Form der Arbeitslosigkeit bis zu einem bestimmten Grad unvermeidlich, weil die Veränderungen beim Arbeitsangebot und bei der Arbeitsnachfrage nur selten im Gleichschritt erfolgen. Die strukturelle Arbeitslosigkeit kann unterschiedliche Ursachen haben: Q Die sektorale Arbeitslosigkeit betrifft einzelne Branchen, deren Güter billiger importiert werden können, überhaupt nicht mehr nachgefragt werden oder die von technologischer Entwicklung betroffen sind. Von diesen Veränderungen sind zumeist auch ganze Berufszweige betroffen (z. B. Schiffbau, Bergbau, Textilindustrie). Q Die regionale Arbeitslosigkeit entsteht in Gebieten mit einer dauerhaft schwachen Wirtschaftsstruktur, in Gebieten, die sich wirtschaftlich im Umbruch befinden, oder in Gebieten, die überwiegend von einem grossen Arbeitgeber abhängig sind, der in Konkurs geht. Q Auch der technologische Wandel kann zu einer Freisetzung von Arbeitskräften in bestimmten Branchen führen. Wenn die Produktivitätsfortschritte nicht mit einer entsprechenden Ausweitung des Umsatzes einhergehen, werden schliesslich weniger Arbeitskräfte benötigt, sodass es zu technologischer Arbeitslosigkeit kommt. Q Demografische Arbeitslosigkeit entsteht durch Zuwanderung (von Ausländern) oder durch Veränderungen im Erwerbsverhalten (z. B. vermehrte Erwerbsarbeit von Frauen). Diesem steigenden Arbeitskräfteangebot steht keine entsprechende Erhöhung des Arbeitsplatzangebots (Arbeitsnachfrage) gegenüber. Die folgenden Ursachen liegen in veränderten Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt, wobei viele dieser Rahmenbedingungen in Gesamtarbeitsverträgen (GAV) festgelegt sind. Q Mindestlöhne: Mit einem Mindestlohn wird den Arbeitnehmern ein bestimmtes Einkommen garantiert. Wenn die erzielte Leistung eines Arbeitsplatzes allerdings unter dem Mindestlohn liegt, wird ein Arbeitgeber jedoch nicht bereit sein, Mitarbeiter einzustellen, weil er dann mit jeder Arbeitsstunde einen Verlust erleiden würde. Q Kündigungsschutz: Lange Kündigungsfristen erhöhen die Sicherheit des Arbeitsplatzes für die Mitarbeitenden. Wenn ein Unternehmer aber weiss, dass er bei einer Verschlechterung des Geschäftsganges die Mitarbeiter nicht entlassen kann, wird er auch bei gutem Geschäftsgang zurückhaltend mit Neuanstellungen sein. Übung 2
Hinweis für Lehrpersonen
Q Arbeitslosenunterstützung: Mit einer guten Arbeitslosenunterstützung ist ein Arbeitsloser zwar materiell abgesichert. Als Folge davon müssen sich die Arbeitslosen aber weniger intensiv um eine neue Stelle bemühen. Q Arbeitszeitverkürzung: Bei tieferen Wochenarbeitszeiten kann die gesamte Arbeit auf mehr Arbeitnehmer verteilt werden. Häufig werden Arbeitszeitverkürzungen bei gleichem Lohn gefordert. Dies wirkt ähnlich wie ein Mindestlohn. Bei der Ausgestaltung dieser gesamtarbeitsvertraglichen Rechtsvorschriften besteht die grosse Kunst darin, ein Gleichgewicht zwischen dem Schutz der Arbeitnehmer und der Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes zu finden. Q Ein Vergleich der Jugendarbeitslosigkeit verschiedener Länder zeigt, dass die Ausgestaltung des Bildungssystems einen grossen Einfluss auf die Zahl der Arbeitslosen hat. So haben Deutschland, Österreich und die Schweiz, die alle die sogenannte duale Berufsbildung kennen, deutlich weniger Arbeitslose unter 25 Jahre als andere Länder. Die duale Berufsbildung zeichnet sich dadurch aus, dass Berufsschulen und Lehrbetriebe in der Ausbildung junger Menschen eng miteinander zusammenarbeiten. Es scheint, dass diese stark auf die Bedürfnisse der Wirtschaft ausgerichtete Ausbildung junge Menschen besser auf den Arbeitsmarkt vorbereitet als Ausbildungssysteme, die in erster Linie auf eine umfassende schulische Ausbildung setzen. Q Weiterbildung: Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist das Weiterbildungs- und Umschulungsangebot ein entscheidender Faktor für den Erwerb von neuen Qualifikationen. Personen mit einem guten Ausbildungsniveau finden leichter wieder eine Stelle. Und wenn eine Person gewohnt ist zu lernen, dann wird es ihr auch leichter fallen, die notwendigen Qualifikationen für die Anforderungen einer neuen Stelle zu erwerben.
Zur Veranschaulichung der Jugendarbeitslosigkeit können der «10 vor 10-Beitrag» «Von der Schule in die Arbeitslosigkeit» vom 16. 07. 2012 (4:19 Min.) oder «Europa: Jung, gebildet, arbeitslos» (ca. 30 Min.) gezeigt werden: In vielen europäischen Ländern findet jeder zweite Schulabgänger keinen Job. Nicht so in Deutschland und der Schweiz. Die hier existierende Berufslehre – die duale Berufsbildung – erweist sich in diesen harten Zeiten als Segen. In der Schweiz waren Ende 2017 6,9 % der jungen Schweizer arbeitslos. In Spanien und Griechenland liegt dieser Wert bei rund 40 %. Der Link kann via e-desk direkt aktiviert werden: www.brennpunkt-wug.ch Æ Kapitel 17 Æ Dateien Lehrmittel Æ Zusatzmaterial
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17.4
Arbeitslose und offene Stellen – Sockelarbeitslosigkeit
Wie die Ausführungen im vorhergehenden Kapitel zeigen, kann es aufgrund der friktionellen und strukturellen Arbeitslosigkeit selbst dann Arbeitslose geben, wenn sich die Konjunktur in einem Land vollständig erholt hat. Der Grund dafür liegt darin, dass in einer dynamischen Wirtschaft mit einem raschen Strukturwandel die entsprechenden Anpassungsprozesse Zeit benötigen. In den aufstrebenden Branchen werden die neuen Arbeitsplätze erst allmählich geschaffen, und die Stellensuchenden müssen sich unter Umständen in Umschulungsund Weiterbildungskursen die notwendigen Qualifikationen aneignen. Zudem werden die neuen Arbeitsplätze häufig in anderen Regionen angeboten, was eine gewisse Mobilität der Stellensuchenden erfordert. Das Verhältnis von Arbeitslosen und offenen Stellen lässt sich grafisch mit der BeveridgeKurve darstellen: Im Punkt 1 ist die Anzahl der ofOffene Stellen fenen Stellen (A) gleich gross wie die Anzahl der Arbeitslosen (B), während im Punkt 2 mehr Menschen einen Arbeitsplatz suchen (D), als es offene Stellen (C) gibt. Selbst wenn alle offe3 nen Stellen besetzt werden könnten, E würde also immer noch eine Gruppe von Menschen arbeitslos sein. Punkt 2 1 A 2 beschreibt damit eine Situation konC junktureller Arbeitslosigkeit. In Punkt 3 gibt es hingegen mehr offene Stel45° len (E) als arbeitslose Personen (F). Die Wirtschaft boomt, und in diesem Fall F B D Arbeitslose hat somit die Arbeitslosigkeit friktionelle oder strukturelle Ursachen. Seit der ersten Erdölkrise von 1973 hat die Arbeitslosigkeit – im Unterschied zu den früheren Epochen – trendmässig zugenommen. Am Ende jeder konjunkturellen Erholung kam die Arbeitslosigkeit auf einem höheren Niveau zum Stehen als vor dem vorherigen Beschäftigungseinbruch. Diese friktionelle und die strukturelle Arbeitslosigkeit bezeichnen wir auch als Sockelarbeitslosigkeit. Sie ist allerdings nicht ein fester, unverrückbarer Sockel, weil sowohl die friktionelle als auch die strukturelle Arbeitslosigkeit beeinflusst werden können. Der Anstieg der Sockelarbeitslosigkeit kann viele Gründe haben. In der Schweiz werden der immer schnellere technologische Wandel und der sukzessive Ausbau der Arbeitslosenversicherung als Hauptursachen vermutet.
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Offizielle Arbeitsmarktdaten
Um statistische Zahlen zum Arbeitsmarkt zu erfassen, gilt es zuerst einmal festzulegen, welcher Teil der Bevölkerung grundsätzlich arbeitsfähig und arbeitswillig ist. Ab welchem Alter treten junge Menschen in den Arbeitsmarkt ein? Wann geht man in Pension? In internationalen Statistiken besteht das Arbeitspotenzial eines Landes aus der gesamten Bevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren. Nicht alle dieser Personen wollen oder können aber tatsächlich arbeiten. In vielen Familien übernimmt ein Partner (zumindest für einige Jahre) die Betreuung der Kinder und ist damit nicht erwerbstätig, andere studieren oder widmen sich einer unbezahlten Tätigkeit. Solche und andere Gründe führen zur Unterscheidung in die Erwerbs- und Nichterwerbsbevölkerung. Wenn wir nun die Erwerbsbevölkerung noch in Beschäftigte und Arbeitslose unterteilen, erhalten wir die Grundlagen für Arbeitsmarktdaten wie die Arbeitslosen- oder die Erwerbsquote. Q Kenngrössen der Arbeitsmarktstatistik Bevölkerung Kinder
15 – 64- Jährige
Rentner
Arbeitsfähig und arbeitswillig? «Ja»
«Nein»
Erwerbsbevölkerung Erwerbsbevölkerung (100%)
Beschäftigte
Arbeitslose
Nichterwerbsbevölkerung
Arbeitslosenquote
=
Arbeitslose × 100 Erwerbsbevölkerung
Erwerbsquote
=
Erwerbsbevölkerung × 100 15- bis 64-Jährige
Erwerbstätigenquote =
Beschäftigte 15- bis 64-Jährige
× 100
Aufgabe 2 Übung 4
Hinweise für Lehrpersonen W PPT-Folie / Tafelbild: Folie 5 (animiert) Beveridge-Kurve Offene Stellen
1990er-Jahre
Zunahme der Sockelarbeitslosigkeit 1980er-Jahre 45°
Arbeitslose
W PPT-Folie / Tafelbild: Folie 6 (animiert) Kenngrössen der Arbeitsmarktstatistik Bevölkerung Kinder
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Arbeitsfähig und arbeitswillig? «Nein»
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Arbeitslosigkeit
In der Schweiz werden zwei unterschiedliche Arbeitsmarktstatistiken veröffentlicht. Q Die Arbeitslosenstatistik des seco (Staatssekretariat für Wirtschaft) basiert auf einer Vollerhebung der Personen, welche in einem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) erfasst sind. Die Gesamtheit dieser Personen bildet die registrierten Stellensuchenden, deren Bestand das seco jeden Monat gesondert ausweist. Damit registrierte Stellensuchende als arbeitslos klassifiziert werden, müssen im Wesentlichen zwei Kriterien erfüllt sein: Die betreffende Person muss erstens ohne Arbeit und zweitens innerhalb von vier Wochen für eine neue Stelle verfügbar sein. Unwesentlich ist dabei, ob ein Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung besteht oder nicht. Ausgesteuerte Arbeitslose bleiben in der Statistik erfasst, wenn sie sich weiterhin regelmässig beim Arbeitsamt melden. Nicht zu den eingeschriebenen Arbeitslosen gezählt werden Personen mit einem Zwischenverdienst und Personen in Beschäftigungs- und Weiterbildungsprogrammen. Q Bei der Erwerbslosenstatistik des Bundesamtes für Statistik (BFS) wird im Rahmen der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) die Zahl der Erwerbslosen gemäss den Empfehlungen des Internationen Arbeitsamtes und der OECD erhoben. Dabei handelt es sich um eine Stichprobenerhebung bei rund 25 000 repräsentativ ausgewählten Haushalten. Die hochgerechnete Erwerbslosenzahl des BFS ist deshalb mit einem Stichprobenfehler behaftet. Der grösste Unterschied zur Arbeitslosenstatistik des seco liegt darin, dass die Registrierung bei einem RAV keine Bedingung ist, um in der SAKE als erwerbslos erfasst zu werden. In der SAKE gilt eine Person als erwerbslos, sofern sie ohne Arbeit und innert vier Wochen für eine neue Stelle verfügbar ist und in den vier Wochen vor der Befragung mindestens eine Suchaktivität unternommen hat. Nach dieser Definition, welche internationalen Normen entspricht, umfasst die Erwerbslosenzahl auch Langzeitarbeitslose, die kein Arbeitslosengeld mehr beziehen («Ausgesteuerte»), aber weiterhin aktiv eine Stelle suchen; ebenso Hausfrauen, die wieder ins Erwerbsleben einsteigen möchten, oder Studenten, die eine Beschäftigung für die Semesterferien suchen. Warum ermittelt man die Arbeitslosigkeit auf zwei verschiedene Arten? Beide Statistiken weisen ihre spezifischen Vor- und Nachteile auf. Für die kurzfristige Arbeitsmarkt- und Konjunkturanalyse kommt aufgrund der raschen Verfügbarkeit praktisch nur die seco-Arbeitslosenstatistik infrage. Ein zweiter Vorteil der seco-Arbeitslosenstatistik ist, dass es sich um eine Vollerhebung der registrierten Arbeitslosen handelt. Dadurch weist sie einen sehr hohen regionalen Detaillierungsgrad auf: Sie ist eine der wenigen Arbeitsmarktstatistiken, welche Zahlen sogar auf Gemeindestufe liefern kann. Weniger geeignet ist die seco-Statistik für die Analyse längerfristiger Entwicklungen, weil Gesetzesänderungen im Bereich der Arbeitslosenversicherung zu Brüchen in der Reihe führen können. Die Daten gemäss der Erwerbslosenstatistik des Bundesamtes für Statistik (BFS) weisen ihrerseits ebenfalls gewichtige Vorteile auf. Sie erfüllen bezüglich der Definition von Erwerbslosigkeit konsequent die internationalen Standards, die von der nationalen Gesetzgebung
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unbeeinflusst bleiben. Für internationale Vergleiche und die Analyse langer Zeitreihen sind daher grundsätzlich die Daten des BFS heranzuziehen. Die Erwerbslosen gemäss BFS lassen sich zudem nach einer Vielzahl von Kriterien (familiäres Umfeld, Merkmale der Erwerbsbiografie, Bildungsstand etc.) auswerten. Ein weiterer gewichtiger Vorteil besteht darin, dass die Schweizerische Arbeitskräfteerhebung das ungenutzte Arbeitsangebot insofern besser abbildet, als sie auch nicht registrierte Erwerbslose erfasst.
17.6
Verdeckte und latente Arbeitslosigkeit
Q Verdeckte Arbeitslosigkeit Als verdeckte Arbeitslosigkeit bezeichnen wir jene Formen von Arbeitslosigkeit, die nicht in der Statistik des seco erfasst sind. Dazu zählen: – Studenten, Schüler und Rentner, die eine Nebenbeschäftigung suchen; – Hausfrauen, die gerne eine Arbeit aufnehmen würden, aber keine Stelle finden und sich nicht als arbeitslos melden; – Ausgesteuerte: Wenn jemand die Stelle verliert und sich bei einer regionalen Arbeitsvermittlung (RAV) anmeldet, besteht je nach Alter und Beitragszeit ein Anspruch auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung (maximal 520 Tage). Wer danach immer noch ohne Stelle ist, wird in der Arbeitslosenversicherung «ausgesteuert», d. h., er muss sein eigenes Vermögen für den Lebensunterhalt einsetzen. Anspruch auf Sozialhilfe hat, wer nach der Aussteuerung weniger als 10 000 Franken Vermögen besitzt. Q Latente Arbeitslosigkeit In vielen Ländern und Unternehmungen könnte der Produktionsfaktor Arbeit effizienter eingesetzt werden. Insofern müssten Arbeitnehmer, die in ihrer jetzigen Position nicht ausgelastet sind, eigentlich auch als Arbeitslose gerechnet werden. Diese latenten (verborgenen, nicht augenfälligen) Arbeitslosen würden die Arbeitslosenquote in diesen Ländern noch zusätzlich erhöhen. Wenn in staatlichen Beschäftigungsprogrammen oder in nicht wettbewerbsfähigen Unternehmungen Arbeitnehmer ineffizient eingesetzt werden, sprechen wir von latenter Arbeitslosigkeit.
Hinweis für Lehrpersonen Die aktuellen Informationen des seco: www.amstat.ch
Die aktuellen Informationen des BFS: www.bfs.admin.ch
Die Links können via e-desk direkt aktiviert werden: www.brennpunkt-wug.ch Æ Kapitel 17 Æ Dateien Lehrmittel Æ Zusatzmaterial
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Arbeitslosigkeit
17.7
Wie kann man Arbeitslosigkeit vermeiden?
Wenn man Arbeitslosigkeit vermeiden will, ist zuerst zu analysieren, welche Form von Arbeitslosigkeit überhaupt vorliegt. Dies ist deshalb wichtig, weil jede Form von Arbeitslosigkeit andere Gegenmassnahmen benötigt. Q Konjunkturelle Arbeitslosigkeit wird oft mit staatlichen, wirtschaftspolitischen Massnahmen bekämpft, wie z. B. mit Staatsaufträgen, Entschädigung bei der Einführung von Kurzarbeit. Q Saisonaler Arbeitslosigkeit kann mit einer effizienten Arbeitsvermittlung und mit Schlechtwetterentschädigung begegnet werden. Q Friktionelle Arbeitslosigkeit kann durch eine Verbesserung der Arbeitsvermittlung und negative Anreize, wie der Verkürzung der Arbeitslosenentschädigung, verringert werden. Q Strukturelle Arbeitslosigkeit kann mit Umschulungen, Weiterbildung oder Umzugsbeihilfen bei Wohnungswechseln aus beruflichen Gründen verringert werden. Mit einer effizienten Arbeitsvermittlung kann die Sockelarbeitslosigkeit (friktionelle und strukturelle Arbeitslosigkeit) vermindert werden. Von den Kantonen werden regionale Arbeitsvermittlungszentren (RAV) betrieben, die auf die Bereiche Arbeitsmarkt, Stellenvermittlung und Arbeitslosigkeit spezialisiert sind. Ziel dieser Institutionen ist es, den Arbeitslosen Möglichkeiten zu einer aktiven Wiedereingliederung aufzuzeigen. Q Verdeckter Arbeitslosigkeit kann mit einer Förderung von Teilzeitstellen begegnet werden. Würden zum Beispiel mehr Männer Teilzeitstellen besetzen, wäre es einfacher möglich, dass auch Mütter wieder in den Beruf einsteigen könnten. Q Latente Arbeitslosigkeit kann durch einen effizienten Einsatz der Arbeitnehmer verringert werden. Falls aber für die freigestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter keine Arbeitsstellen geschaffen werden, wird sich die strukturelle Arbeitslosigkeit entsprechend erhöhen.
17.8
15 12
Arbeitslos – was tun?
Arbeitslosigkeit kann grundsätzlich jeden und jede treffen. Trotzdem verdrängen viele Menschen diese Möglichkeit, bis sie die Kündigung in Händen halten. Man geht häufig allzu lange davon aus, dass Arbeitslosigkeit vor allem die anderen treffen werde. Daher wissen viele bei Eintritt der Arbeitslosigkeit nicht, was nun auf sie zukommt. Eine betroffene Person muss sich möglichst frühzeitig, spätestens aber am ersten Tag, für den sie Leistungen der Arbeitslosenversicherung (ALV) beansprucht, bei der Wohngemeinde oder beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) als arbeitslos melden. Damit erwirbt sie sich das Recht auf finanzielle Unterstützung in Form von Taggeldern. Die Höhe der Taggelder richtet sich nach der Höhe des letzten versicherten Lohnes sowie der familiären Situation der Betroffenen. Das RAV führt mit den Arbeitslosen Beratungs- und Vermittlungsgespräche durch und leistet Bewerbungshilfe. Die Versicherten haben sich in der Regel zweimal monatlich zu einem Beratungs- bzw. Kontrollgespräch beim RAV zu melden. Bestandteil dieser Gespräche ist die Kontrolle der persönlichen Arbeitsbemühungen und die Überprüfung der Vermittlungsfähigkeit. Bei diesen Gesprächen werden denkbare arbeitsmarktliche Massnahmen (z. B. Weiterbildungskurse, Betriebspraktika) besprochen und gleichzeitig überprüft, ob auch tatsächlich Anstrengungen unternommen werden, um eine neue Stelle zu finden. In der Schweiz gibt es etwa 130 solcher regionaler Arbeitsvermittlungszentren (RAV). Arbeitslose sind im Rahmen der RAV-Programme verpflichtet, sich aktiv um eine neue Stelle zu bemühen und dies durch entsprechende Bewerbungen zu belegen. Sie sind auch angehalten, eine zumutbare Hauptziel des RAV ist eine rasche und dauerhafte Arbeitsstelle anzunehmen, was im Einzelfall Wiedereingliederung der Stellensuchenden allerdings durchaus Anlass zu AuseinanderAufgabe 3 sowie die effiziente Besetzung von offenen Stellen. setzungen geben kann. Aufgabe 4
Hinweis für die Lehrpersonen W PPT-Folie / Tafelbild: Folie 7 Formen der Arbeitslosigkeit
In der Seco-Statistik erfasste Arbeitslosigkeit Saisonale Arbeitslosigkeit
Konjunkturelle Arbeitslosigkeit
einige Monate arbeitslos
bis 1 Jahre arbeitslos
In der Seco-Statistik nicht erfasste Arbeitslosigkeit
mehrere Jahre arbeitslos («ausgesteuert») Beim RAV gemeldet
Friktionelle Arbeitslosigkeit
Nicht beim RAV gemeldet
Verdeckte Arbeitslosigkeit (nicht gemeldet)
Latente Arbeitslosigkeit (unproduktiv eingesetzt)
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9 Das haben Sie gelernt Verschiedene Faktoren für die Entstehung von Arbeitslosigkeit in den letzten 100 Jahren nennen Die Phasen eines Konjunkturzyklus erläutern Den Zusammenhang zwischen Konjunktur und Arbeitslosigkeit beschreiben Friktionelle und strukturelle Arbeitslosigkeit beschreiben Strukturwandel beschreiben und beurteilen Ursachen der strukturellen Arbeitslosigkeit erläutern Sockelarbeitslosigkeit beschreiben Beveridge-Kurve beschreiben und grafisch darstellen Kerngrössen der Arbeitsmarktstatistik erläutern Die Vorteile der Erwerbslosenstatistik des Bundesamtes für Statistik und der Arbeitslosenstatistik des seco beschreiben Verdeckte und latente Arbeitslosigkeit beschreiben Gegenmassnahmen für die verschiedenen Formen von Arbeitslosigkeit beschreiben Vorgehensweisen für Arbeitslose beschreiben
Offene Fragen
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9 Diese Begriffe können Sie erklären Arbeitslosigkeit
Erwerbsquote
Deflation
Erwerbstätigenquote
Depression
Arbeitslosenstatistik des Staatssekretariats für Wirtschaft (seco)
Erdölpreiskrise
Erwerbslosenstatistik des Bundesamtes für Statistik (BFS)
Immobilienboom
Regionales Arbeitsvermittlungszentrum (RAV)
Dotcom-Blase
Verdeckte Arbeitslosigkeit
Finanzkrise 2008
Latente Arbeitslosigkeit
Euro-Krise Konjunktur Konjunkturzyklus Konjunkturaufschwung Konjunkturabschwung Produktionspotenzial / Trend-Wachstum Rezession Hochkonjunktur Konjunkturelle Arbeitslosigkeit Saisonale Arbeitslosigkeit Friktionelle Arbeitslosigkeit / Sucharbeitslosigkeit Strukturwandel Strukturelle Arbeitslosigkeit Sektorale Arbeitslosigkeit Regionale Arbeitslosigkeit Technologische Arbeitslosigkeit Demografische Arbeitslosigkeit Duale Berufsbildung Sockelarbeitslosigkeit Beveridge-Kurve Erwerbsbevölkerung Nichterwerbsbevölkerung Arbeitslosenquote Arbeitslosigkeit
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Übung 1 Konjunkturelle und saisonale Arbeitslosigkeit
F
… aktuelle, kurzfristige Auslastung … (langfristige Auslastung = Produktionspotenzial bzw. Trend-Wachstum)
b ) Wenn die Produktionsfaktoren immer ideal ausgelastet wären, würde die Wirtschaft stetig wachsen.
R
(Grund: Produktivitätssteigerung) c ) Wenn ein Konjunkturabschwung besonders stark ausfällt und hohe Arbeitslosigkeit herrscht, sprechen wir von einer Rezession.
A +weil+
B +/+
C +/–
D –/+
E –/–
Beide Aussagen richtig, Verknüpfung trifft zu
Beide Aussagen richtig, Verknüpfung trifft nicht zu
Erste Aussage richtig, zweite Aussage falsch
Erste Aussage falsch, zweite Aussage richtig
Beide Aussagen falsch
A
F
b) Die konjunkturelle Arbeitslosigkeit umfasst auch die friktionelle Arbeitslosigkeit, weil die friktionelle Arbeitslosigkeit vor allem bei einem Strukturwandel entsteht.
E
R
c) Ein Strukturwandel ist aus Sicht der Arbeitnehmer positiv zu bewerten, weil dadurch Güter und Dienstleistungen günstiger hergestellt oder neue Produkte angeboten werden.
D
F
… saisonaler Arbeitslosigkeit. e ) Im Frühling führt der Rückgang der saisonalen Arbeitslosigkeit im Baugewerbe in der Regel zu einer tieferen Arbeitslosenquote.
Die folgenden Auswahlaufgaben enthalten immer zwei Aussagen, die miteinander verknüpft sind. Entscheiden Sie sich jeweils für eine der folgenden Antwortmöglichkeiten und begründen Sie falsche Teilaussagen in wenigen Worten.
a) Die friktionelle Arbeitslosigkeit sollte in der Regel nicht mehr als drei Monate dauern, weil sie auf einen freiwilligen Arbeitswechsel zurückzuführen ist.
… Depression. d ) Wenn in der Baubranche jahreszeitlich bedingt weniger Aufträge eingehen und deshalb Produktionskapazitäten abgebaut und Leute entlassen werden, sprechen wir von konjunktureller Arbeitslosigkeit.
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Übung 2 Friktionelle und strukturelle Arbeitslosigkeit
Welche Aussagen sind richtig (R), welche falsch (F)? Setzen Sie das zutreffende Symbol in das Kästchen und korrigieren Sie die Fehler auf den leeren Linien. a ) Unter dem Begriff «Konjunktur» verstehen wir die langfristige Auslastung der Produktionsfaktoren Arbeit, Wissen, Kapital und Boden.
15
… umfasst auch die saisonale Arbeitslosigkeit, … … aufgrund eines freiwilligen Stellenwechsels entsteht.
… aus Sicht der Konsumenten positiv zu bewerten, … f ) Die Kurve der Arbeitslosigkeit verläuft parallel zur Kurve der Konjunkturentwicklung, einfach spiegelverkehrt (wenn der Konjunkturabschwung den Tiefpunkt erreicht, ist die Arbeitslosigkeit am grössten und umgekehrt).
Kurve der Arbeitslosigkeit ist leicht nach rechts verschoben (Kündigungsfristen 3 Monate und mehr)
F
d) In einer dynamischen Wirtschaft ist strukturelle Arbeitslosigkeit unvermeidlich, weil in einem Wirtschaftsabschwung mit einem Anstieg der konjunkturellen Arbeitslosigkeit zu rechnen ist.
kein Zusammenhang der beiden Teilsätze; beide Aussagen stimmen.
B
Übung 3 Sockelarbeitslosigkeit c ) Welche Aussagen sind richtig (R), welche falsch (F)? Setzen Sie das zutreffende Symbol in das Kästchen und korrigieren Sie die Fehler auf den leeren Linien.
Q 1 ) Beveridge-Kurve 2 ) Offene Stellen
3
F
c 2 ) Der immer schneller werdende technologische Wandel ist eine Hauptursache für den Anstieg der Sockelarbeitslosigkeit.
R
c3 ) Der Ausbau der Arbeitslosenversicherung vermindert den Anstieg der Sockelarbeitslosigkeit.
F
Sowohl die friktionelle als auch die strukturelle Arbeitslosigkeit können beeinflusst werden.
1 2
1990er-Jahre
1980er-Jahre
Mit besseren Leistungen der Arbeitslosenversicherung nimmt die friktionelle Arbeitslosigkeit tendenziell zu.
3 ) Arbeitslose
45°
c 1 ) Die Arbeitslosigkeit in Punkt 1 ist ein fester, unverrückbarer Sockel.
a ) Ergänzen Sie die Abbildung mit der zutreffenden Überschrift 1) und den korrekten Achsenbeschriftungen 2) und 3). b ) Ordnen Sie die folgenden Aussagen den Punkten 1 , 2 oder 3 zu: Punkt b 1 ) Es herrscht Hochkonjunktur, die Wirtschaft boomt.
3
b2 ) Die Arbeitslosigkeit hat auch konjunkturelle Ursachen.
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Arbeitslosigkeit
Übung 4 Arbeitsmarktstatistiken
Wie heissen die fehlenden Formen der Arbeitslosigkeit in den rot umrahmten Kästchen? Ordnen Sie den Ziffern 1 bis 7 die korrekten Begriffe zu.
F
Formen der Arbeitslosigkeit
… auf die Erwerbsbevölkerung (= arbeitsfähige und arbeitswillige Personen) …
b ) Durch bessere Tagestrukturen in den Schulen (z. B. Mittagstische) wird die Erwerbsquote erhöht.
Statistisch nicht erfasste Arbeitslosigkeit
Statistisch erfasste Arbeitslosigkeit
R
c ) Mit der Erwerbslosenstatistik des Bundesamtes für Statistik lassen sich auch Aussagen über die regionale Verteilung der Arbeitslosigkeit machen.
F
d ) Mit der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) werden auch nicht registrierte Erwerbslose erfasst.
R
1
2
in der Regel einige Monate arbeitslos
in der Regel bis 1½ Jahre arbeitslos
6
Mit der «Arbeitslosenstatistik des seco» (Staatssekretariat für Wirtschaft) …
3
in der Regel mehrere Jahre arbeitslos («ausgesteuert»)
(nicht gemeldet)
4
7 (unproduktiv eingesetzt)
e ) Mit der Arbeitslosenstatistik des seco werden auch das familiäre Umfeld und Merkmale der Erwerbsbiografie erfasst.
1
F
… offizielle Arbeitslosenquote vermindert. g ) Eine Zunahme der ausgesteuerten Personen vermindert die Arbeitslosenquote des seco (Staatssekretariat für Wirtschaft).
Nur, wenn sich die Ausgesteuerten nicht mehr beim Arbeitsamt melden.
5
F
Erwerbslosenstatistik des Bundesamtes für Statistik f ) Mit staatlichen Beschäftigungsprogrammen wird die latente Arbeitslosigkeit vermindert.
18
Übung 5 Formen der Arbeitslosigkeit
Welche Aussagen sind richtig (R), welche falsch (F)? Setzen Sie das zutreffende Symbol in das Kästchen und korrigieren Sie die Fehler auf den leeren Linien. a ) Die Arbeitslosenquote in Prozenten bezieht sich auf das Arbeitspotenzial der gesamten Bevölkerung mit Ausnahme der Kinder und Rentner.
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Saisonale Arbeitslosigkeit
2 Konjunkturelle Arbeitslosigkeit 3 Friktionelle Arbeitslosigkeit 4 Strukturelle Arbeitslosigkeit
F
5 Sockelarbeitslosigkeit 6 Verdeckte Arbeitslosigkeit 7
Latente Arbeitslosigkeit
Aufgabe 1 Arbeitslosigkeit im Wandel Eine Ausstellung im Landesmuseum hatte Mitte der 1990er-Jahre die Arbeitslosigkeit von 1930 mit der damals aktuellen Arbeitslosigkeit verglichen.
Die Arbeitslosenquote, d. h. der Prozentanteil der Arbeitslosen an der arbeitsfähigen und arbeitswilligen Bevölkerung, ist in der Schweiz vergleichsweise tief. Im Verlauf der letzten 100 Jahre erreichte die Arbeitslosigkeit aber einige markante Spitzenwerte.
a ) In einem Beitrag des Schweizer Fernsehens (www.srf.ch) vom 27. 03. 1996 wird diese Ausstellung kurz vorgestellt. Schauen Sie sich den Beitrag an und notieren Sie die Unterschiede zwischen der Arbeitslosigkeit von 1930 und jener in den 90er-Jahren.
Q Arbeitslosigkeit in der Schweiz (1914–2009) 5%
Der Link kann via e-desk direkt aktiviert werden: www.brennpunkt-wug.ch Æ Kapitel 17 Æ Dateien Lehrmittel Æ Zusatzmaterial Arbeitslose / (Arbeitslose + Erwerbstätige)
4.5 %
Mögliche Schülerantworten: – Arbeitslosigkeit hiess früher Armut, heute haben wir eine Arbeitslosenversicherung. – Heute trifft es alle: Angestellte, Arbeiter, Akademiker, Lehrlinge, Kaderleute.
4% 3.5 % 3% 2.5 % 2% 1.5 % 1% 0.5 %
– Zum Beispiel Albert S.: Keine Begründung bei Absagen.
0% 1914 1920 1925 1930 1935 1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010
Auf Bewerbungen keine Einladungen für Vorstellungs-
b) Welches waren die Hintergründe für die beiden ersten Spitzenwerte in dieser Abbildung?
gespräche, weiss nicht, warum man ihn nicht mehr will.
Erster (1914–1918) und Zweiter Weltkrieg (1939–1945).
Mit über 50 Jahren ist man nicht mehr gleich leistungsfähig
Einbruch der Nachfrage, Zusammenbruch der Wirtschaft
wie mit 25 Jahren, auf Ältere kann die Unternehmung
und Konkurse führten zu (Massen-)Entlassungen.
nicht mehr den gleichen Druck ausüben wie auf Junge.
c ) Wie kann die Wirtschaftssituation in der Zeit von 1960 bis 1975 charakterisiert werden? Wie reagierten wohl Unternehmungen auf diese Situation?
– Neue Selbstständigkeit wird durch Arbeitsamt unterstützt, jeder kämpft heute für sich, zum Beispiel M.
Keine Arbeitslosigkeit Æ sehr gute Wirtschaftsentwicklung, hohe Umsätze; Arbeitskräftemangel, Unternehmungen stellen Arbeitskräfte aus dem Ausland ein. Arbeitslosigkeit
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Aufgabe 2 Lage auf dem Arbeitsmarkt Das Staatssekretariat für Wirtschaft seco publiziert jeden Monat eine Medienmitteilung zur Lage auf dem Arbeitsmarkt (www.seco.admin.ch).
Struktur einer möglichen Lösung – Arbeitslosigkeit (Æ Kennzahlenübersicht)
Arbeitslose / Arbeitslosenquote … %
Die aktuelle Lage auf dem Arbeitsmarkt:
Veränderung gegenüber Vormonat: … Prozentpunkte gegenüber Vorjahr:
… Prozentpunkte
– Am stärksten betroffene Berufsgruppen (Æ Tabelle 4) Gastgewerbe und Hauswirtschaft (… %) 'LH /DJH DXI
GHP $UEHLWVPDUNW Beschaffen Sie sich die neuste Publikation und notieren Sie sich stichwortartig in der rechten Spalte die aktuelle Situation auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt. Mit Ihren Notizen sollten Sie die folgenden Fragen beantworten können: Q Stand der Arbeitslosigkeit (absolut und in Prozenten) Q Veränderung zum Vormonat und zum Vorjahr Q Welche drei Berufsgruppen weisen zahlenmässig den höchsten Anteil an Arbeitslosen auf? Q Welcher Wirtschaftszweig weist die höchste Arbeitslosenquote (ALQ) auf? Q Beschreiben Sie die Arbeitslosigkeit bei den folgenden Merkmalen: Regionen (Deutschschweiz, Westschweiz, Tessin), Geschlecht (Männer, Frauen), Nationalität (Schweizer, Ausländer) und Alter (15 – 24-Jährige, 25 – 49-Jährige, 50-Jährige und älter)
Handel und Verkauf (… %) Kaufmännische und administrative Berufe (… %) – Wirtschaftszweig mit der höchsten ALQ (Æ Tabelle 3) Gastgewerbe (… %) – ALQ nach Regionen (Æ Grafik 5 und Grafik 6) z. B. Westschweiz und Tessin mit … % sind im Vergleich zur Deutschschweiz (… %) stärker betroffen – ALQ nach Geschlecht (Æ Tabelle 1b) z. B. Keine grossen Unterschiede zwischen Männern und Frauen – ALQ nach Nationalitäten (Æ Tabelle 1b) Schweizer … %, Ausländer … % – ALQ nach Altersgruppen (Æ Tabelle 1b) 15–24-Jährige: …, 25–49: … %, über 50: … %
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Aufgabe 3 Arena Arbeitslosigkeit Was fällt Ihnen bei den verschiedenen Lösungsansätzen auf? Wer hat Sie am meisten überzeugt? Weshalb?
«Arena» ist eine Diskussionssendung zu aktuellen wirtschaftlichen, innen- und gesellschaftspolitischen Themen. Sie will die entsprechenden Tendenzen und Entwicklungen in der Schweiz abbilden und so zur Meinungsbildung beitragen. Als Mittel dazu verwendet sie die kontroverse Diskussion in einem schweizerischdemokratischen Verständnis.
Individuelle Schülerantworten Unterschiedliche Ursachen führen zu unterschiedlichen Lösungsansätzen. Je nach Lösungsansatz sind unterschiedliche Personengruppen direkt betroffen.
In einer Arena zum Thema Arbeitslosigkeit sollen die verschiedenen Ursachen für das Entstehen von Arbeitslosigkeit und mögliche Lösungsansätze dargestellt werden.
Bei Lösungen bestehen damit Interessenkonflikte.
Für die Diskussionsrunde sind die folgenden Personen eingeladen:
Hinweis für Lehrpersonen
Q Arnold Arnegger (55 Jahre), gelernter Textilfärber, ausgesteuerter Arbeitsloser. Q Gertrud Germann (40 Jahre), kaufmännische Angestellte, Mitglied bei der Gewerkschaft Unia. Q Urs Uhlmann (50 Jahre), Unternehmer, er ist mit seiner Unternehmung Mitglied der Aargauischen Industrie- und Handelskammer. Q Franz Friedmann (26 Jahre), Lehre als Hochbauzeichner, Student an der Zürcher Fachhochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW).
Die vorliegende Aufgabe ist als Gruppenarbeit oder als Rollenspiel konzipiert und dient dazu, den Lernenden einen Überblick über die verschiedenen Formen der Arbeitslosigkeit zu vermitteln. Möglicher Ablauf Q Vier ausgewählte Schüler / innen beschäftigen sich mit den Diskussionsbeiträgen a 1 ) bis a 4 ) zur Vorbereitung auf die Diskussion, während der Rest der Klasse die Aufgabe 2 löst (ca. 15 – 20 Minuten). Q Die Diskussionsrunde mit den vier Teilnehmern wird von der Lehrperson moderiert. Q Während der «Podiumsdiskussion» wird der Rest der Klasse mit Beobachtungsaufträgen auf die Diskussionsteilnehmer aufgeteilt und notiert die vorgebrachten Argumente in den vorbereiteten Lösungsvorlagen.
a ) Auf den Seiten 22 bis 25 finden Sie unter den Teilaufgaben a 1 ) bis a 4 ) die vorbereiteten Diskussionsbeiträge der verschiedenen Teilnehmer. Lesen Sie diese Texte sorgfältig durch und notieren Sie sich auf den Seiten 26 und 27 stichwortartig die von den einzelnen Diskussionsteilnehmern vorgebrachten Ursachen und angesprochenen Formen der Arbeitslosigkeit sowie die jeweils vorgeschlagenen Lösungsansätze. b) Lösen Sie abschliessend die nebenstehende Teilaufgabe.
Zusätzlicher Hinweis Die Diskussionsbeiträge sind (teils stark) überzeichnet; sie enthalten aber grundsätzlich alle Formen der Arbeitslosigkeit. Die Texte sind in je vier Abschnitte gegliedert, die Lösungsvorlagen enthalten ebenfalls diese Gliederung: pro Abschnitt je ein Feld für Ursachen / Formen der Arbeitslosigkeit und je ein Feld für Lösungsansätze. Die Diskussionsteilnehmer können von der Lehrperson zusätzlich mithilfe eines ausgefüllten Lösungsvorschlags auf die Diskussion vorbereitet werden, um sicherzustellen, dass die gewünschten Argumente tatsächlich auch vorgebracht werden. Arbeitslosigkeit
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Arbeitslosigkeit
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a 1 ) Manuskript von Arnold Arnegger (55 Jahre), Textilfärber, ausgesteuerter Arbeitsloser
Mein Name ist Arnold Arnegger, und für mich gehört die Arbeitslosigkeit leider seit Jahren zum Alltag. Meine Kenntnisse und Fähigkeiten als Textilfärber konnte ich schon bald nach Lehrabschluss nicht mehr anwenden. Ein Textilbetrieb nach dem andern hat in den letzten Jahren seinen Betrieb im Inland geschlossen und die Produktion ins Ausland verlagert. Heute werden Textilien in sogenannten Billiglohnländern eingefärbt, das ist billiger als hier in der Schweiz. In den verwandten Textilberufen fand ich auch kaum mehr Arbeit, weil eben die gesamte Textilbranche betroffen war. Immer mehr wird aus dem Ausland importiert, gerade im Textilsektor. Die Kleider aus Bangladesch, China oder anderen asiatischen Ländern sind ja in den grossen Textilketten spottbillig zu haben. Ganz generell kann die Schweizer Industrie in dieser Branche einfach nicht mehr mithalten! Ich meine, dass wir Schweizer auch Schweizer Produkte kaufen sollten. Man sollte deshalb die Zölle auf Importen erhöhen. Aber das ist in Zeiten der Globalisierung natürlich nicht mehr durchzusetzen. Wenn man schon keine Arbeit mehr im bisherigen Beruf findet, sollte man wenigstens vom Staat Umschulungsbeihilfen erhalten. (sektorale Arbeitslosigkeit) Ich habe in den letzten Jahren bei vier verschiedenen Industrieunternehmungen gearbeitet. Nach der Einstellung wurde ich immer in einer Art «Schnellbleiche» mit der neuen Arbeit vertraut gemacht, damit ich möglichst schnell in der Produktion eingesetzt werden konnte. Aber auch diese Industrieunternehmungen mussten infolge des Strukturwandels jeweils Personal abbauen, und als Angelernter war ich immer einer der ersten, der die Kündigung erhielt. Die Personalchefs haben zwar gesagt, es täte ihnen leid, aber sie könnten gegen den Strukturwandel auch nichts unternehmen. Für mich war es die Zeit des «hire and fire» – schnell angestellt, und sobald es nicht mehr so gut gelaufen ist: gefeuert. Ich begreife schon, dass sich die Betriebe an neue Gegebenheiten und Strukturen
anpassen müssen. Aber wenn wir schon mit diesem Strukturwandel leben müssen, hätte man wenigstens den Kündigungsschutz verbessern können. Ich war jeweils innerhalb von drei Monaten wieder auf der Strasse. Wenn man am eigenen Leib (und am Portemonnaie) erfährt, wie man als Arbeitsloser über die Runden kommen muss, dann ist man dankbar für jeden Ausbau der Arbeitslosenversicherung. Wenn man die Stelle verliert und sich bei einer regionalen Arbeitsvermittlungsstelle, beim RAV, anmeldet, hat man je nach Alter und Beitragszeit einen Anspruch auf maximal 400 Taggelder der Arbeitslosenversicherung, danach ist aber in der Regel Schluss. Immerhin hatte ich wegen meines Alters noch Anspruch auf 520 Tage. Wenn man danach immer noch ohne Stelle ist, wird man in der Arbeitslosenversicherung «ausgesteuert», d. h., man muss sein eigenes Vermögen für den Lebensunterhalt einsetzen. Ich habe heute weniger als CHF 10 000.– Vermögen und erhalte deshalb Sozialhilfe. Aber als Sozialhilfeempfänger fühlt man sich ja auch nicht wirklich gut. (strukturelle Arbeitslosigkeit) Meines Erachtens ist die Arbeit ungerecht verteilt. Durch die Zuwanderung wird die Situation noch verschlimmert. In der Schweiz kennen wir ja bei der Zulassung ausländischer Arbeitskräfte eine spezielle Regelung: Erwerbstätige aus den EU- / EFTA-Staaten können vom Personen-Freizügigkeitsabkommen profitieren und frei zuziehen; aus allen anderen Staaten werden lediglich eine beschränkte Zahl von Führungskräften, Spezialistinnen und Spezialisten sowie qualifizierte Arbeitskräfte zugelassen. Die Zuwanderung von Ausländern kann dann zur Arbeitslosigkeit führen. Wir müssen einfach diese Einwanderung stoppen, schliesslich sollten wir Schweizer bei den Jobs zuerst drankommen, oder? Man könnte auch das Rentenalter senken, sodass Arbeitsplätze für jüngere Personen frei werden (auch wenn ich selbst davon kaum mehr profitieren könnte). Auch mit einer generellen
Senkung der wöchentlichen Arbeitszeit könnte man dazu beitragen, dass die Arbeit gerechter verteilt wird. (demografische Arbeitslosigkeit) Es gibt für mich einfach zu viel Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt: Auch der Druck auf die Löhne wird durch die Einwanderung grösser. Deshalb gibt es in der Schweiz immer mehr Working Poor: Damit sind Menschen gemeint, die trotz einer vollen Arbeitsstelle nicht genug verdienen, um davon leben zu können. Diese Situation trifft heute bereits auf einen von neun Erwerbstätigen zu. Das kann es doch nicht sein! Deshalb sollten in den Gesamtarbeitsverträgen Mindestlöhne garantiert werden, von denen man auch ordentlich leben kann. Wenn deswegen Leute entlassen werden sollten, muss halt der Staat eingreifen (z. B. mit Beschäftigungsprogrammen)! Im Arbeitsmarkt darf es keinen ruinösen Wettbewerb auf Kosten der Arbeitnehmer geben. Wer – wie ich – lange arbeitslos ist, kann schnell auch psychische Probleme bekommen: Ich werde ja nicht mehr gebraucht. (strukturelle Arbeitslosigkeit)
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a2 ) Manuskript von Gertrud Germann (40 Jahre), kaufmännische Angestellte, Mitglied bei der Gewerkschaft Unia Mein Name ist Getrud Germann, und ich habe als Kaufmännische Angestellte nach einer Babypause wieder einen Job gefunden. Aber es gibt immer wieder Phasen, in denen ich Angst habe, arbeitslos zu werden. Aus diesem Grund bin ich auch schon seit zehn Jahren Mitglied bei der Gewerkschaft Unia – einer Teilgewerkschaft des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund SGB ist die grösste Arbeitnehmerorganisation der Schweiz. In ihm sind 16 Einzelgewerkschaften zusammengeschlossen, die insgesamt rund 380 000 Mitglieder vertreten. Ich lebe in einer Gegend der Schweiz, in der die Arbeitslosigkeit höher ist als in anderen Teilen des Landes. Diese regionale Arbeitslosigkeit sollte man meines Erachtens mit aktiver Wirtschaftsförderung, steuerlichen Anreizen für Unternehmungen oder mit staatlichen Investitionen bekämpfen. Auch den Finanzausgleich zwischen den Kantonen sollte man verbessern: Kantone, die finanziell besser dastehen als andere, sollten ärmere Kantone unterstützen. So könnten beispielsweise auch ländlich geprägte Kantone vom Erfolg des Bankenplatzes Zürich profitieren. In Regionen mit höherer Arbeitslosigkeit könnten auch Umzugsbeihilfen bezahlt werden, um Arbeitslose zu ermuntern, an anderen Orten eine neue Stelle anzutreten. Unsere Familie hat nicht zuletzt aus finanziellen Gründen bisher auf einen Umzug verzichtet. (regionale Arbeitslosigkeit) Die Lage auf dem Arbeitsmarkt wird ja wesentlich durch die Konjunkturentwicklung bestimmt. In einer Hochkonjunktur ist der Arbeitsmarkt ausgetrocknet, und es gibt weniger Arbeitslose, weil die Unternehmungen zusätzliche Arbeitskräfte einstellen. Bei einem Konjunkturabschwung steigt die Arbeitslosigkeit dagegen an, weil Produktionskapazitäten heruntergefahren werden und die Unternehmungen weniger Arbeitskräfte einstellen oder gar zu Entlassungen gezwungen sind. Man könnte versuchen, diese konjunkturelle Arbeitslosigkeit mit einer angepassten Finanzpolitik zu bekämpfen:
In einer Rezession müssten Steuern und Abgaben gesenkt oder die Ausgaben für Subventionen (z. B. Investitionszuschüsse) oder staatliche Käufe erhöht werden. Damit könnte die gesamtwirtschaftliche Nachfrage gestärkt werden. Umgekehrt müssten in einer Boomphase die Steuern erhöht und Ausgaben gesenkt werden, um Überschüsse zu erzielen. Auch Lohnerhöhungen können einen Aufschwung unterstützen. Schliesslich könnte auch die Einführung von Kurzarbeit bei konjunkturell bedingten Beschäftigungseinbrüchen hilfreich sein. Dabei wird die Arbeitszeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vorübergehend reduziert und ein Teil des Lohnausfalls aus der Arbeitslosenversicherung bezahlt. Der Arbeitgeber läuft so weniger Gefahr, wichtiges Know-how zu verlieren, das er bei einer späteren Erholung im Aufschwung dringend braucht. Er muss dann auch nicht mühsam neues Personal suchen und einarbeiten. Aber auch die Arbeitnehmenden können von Kurzarbeit profitieren: Sie werden nicht arbeitslos und können sich so die sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Vorteile, die mit einer Arbeitsstelle verbunden sind, bewahren. Beispielsweise bleiben sie weiterhin bei einer Pensionskasse versichert. (konjunkturelle Arbeitslosigkeit) In einer dynamischen Wirtschaft kann auch der Strukturwandel zu Arbeitslosigkeit führen. Um dies möglichst zu verhindern, müssen die Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt verbessert werden. Der Arbeitsmarkt ist ein ganz spezieller Markt und kann nicht mit Gütermärkten gleichgesetzt werden. Wenn jemand auf dem Arbeitsmarkt keine Arbeit findet, so ist dies dramatischer, als wenn jemand auf dem Gütermarkt etwas nicht kaufen kann. Aus diesem Grund ist in den meisten Industrieländern der Arbeitsmarkt viel stärker durch Gesetze und Verordnungen reguliert als die Gütermärkte. Die Schweiz hat im internationalen Vergleich einen flexiblen, wenig regulierten Arbeitsmarkt. Das kann für unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Nachteil
sein, weil wir weniger Schutz geniessen als in anderen Ländern. Deshalb sollten meines Erachtens ein gesetzlich festgelegtes Lohnminimum für die ganze Schweiz gelten und grundsätzlich kürzere Wochenarbeitszeiten angestrebt werden. Auch sollten die Vorschriften für die Unternehmungen bei der Entlassung von Arbeitskräften verschärft werden. Unternehmungen, die Gewinne erwirtschaften, sollten grundsätzlich keine Entlassungen vornehmen dürfen. Ich bin auch überzeugt, dass ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich irgendwann aus der Arbeitswelt zurückziehen und ihre Stelle den Jungen überlassen sollten. Deshalb trete ich bei allem Verständnis für flexible Lösungen dafür ein, dass das durchschnittliche Rentenalter grundsätzlich gesenkt werden sollte. (strukturelle Arbeitslosigkeit) Viele Arbeitslose haben Mühe, eine neue Stelle zu finden. Dies liegt auch daran, dass die Unternehmungen bei der Aus- und Weiterbildung sparen. Wer einen zu kleinen Bildungsrucksack hat, ist auf dem Arbeitsmarkt am stärksten von Arbeitslosigkeit bedroht. Seit Langem fordern die Gewerkschaften deshalb ein Recht auf Weiterbildung. Es wird insbesondere die Lage jener markant verbessern, die seit der Volksschule schlechtere Bildungschancen haben und von den Arbeitgebern kaum gefördert werden. Mit einem neuen Weiterbildungsgesetz sollte dieses Recht auf Weiterbildung für alle im Schweizer Recht verankert werden. Selbstverständlich macht Weiterbildung nur auf einem guten Fundament Sinn; deshalb lehnen wir Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter auch alle politischen Versuche ab, unser bewährtes Volksschulsystem mit übertriebenen Sparanträgen zu schwächen. Wir plädieren eher für einen Ausbau in den ersten Schuljahren, um die Startchancen jener zu verbessern, die mit Integrationsproblemen oder anderen Nachteilen zu kämpfen haben. (friktionelle Arbeitslosigkeit)
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a 3 ) Manuskript von Urs Uhlmann (50 Jahre), Unternehmer, Mitglied der Aargauischen Industrie- und Handelskammer Mein Name ist Urs Uhlmann. Als Unternehmer muss ich mich ständig über neue technologische Entwicklungen informieren. Nur so kann ich bessere Produkte entwickeln oder die bisherigen Produkte günstiger herstellen. Unternehmungen, die wichtige technologische Entwicklungen verpassen, laufen Gefahr, unterzugehen. Dabei gehen unweigerlich auch Arbeitsplätze verloren. Aber dieser Strukturwandel ist nicht nur negativ. Die Neue Aargauer Bank beschreibt in einer Studie die positiven Aspekte: «Strukturwandel ist ein Prozess schöpferischer Zerstörung und kann kurzfristig schmerzhafte Anpassungen in Form von Betriebsschliessungen oder Entlassungen zur Folge haben. Er fordert von den betroffenen Unternehmern und Angestellten eine hohe Anpassungsfähigkeit und kann zu Einkommens- und Vermögenseinbussen oder gar zu Arbeitslosigkeit führen. Gleichzeitig schafft er Raum für neue, im Optimalfall produktivere Geschäftsfelder. Ein erfolgreicher Strukturwandel ist kein Nullsummenspiel, das einzig Verlagerungseffekte mit sich bringt, sondern erhöht die Wettbewerbsfähigkeit einer Region.» Aus meiner Sicht muss alles getan werden, damit Arbeitslose möglichst schnell wieder eine neue Stelle finden. Besonders wichtig ist dabei die Unterstützung durch die rund 130 Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV). Die Leistungen der Arbeitslosenversicherung sollten hingegen keinesfalls erhöht werden, weil eine zu grosszügige Arbeitslosenunterstützung zu viel kostet und den Anreiz für die Arbeitslosen, sich intensiv um eine neue Stelle zu bemühen, reduziert. (strukturelle Arbeitslosigkeit)
leicht, Entlassungen auszusprechen, weil ich weiss, dass dies für die Betroffenen sehr hart sein kann. Deshalb bin ich froh, wenn entlassene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Staat bei der Suche nach einer neuen Stelle unterstützt werden. Andere Staaten kennen auch direkte Förderbeiträge für den Ausbau von Produktionsstätten. In der Schweiz existieren nur verhältnismässig wenig solche direkte Finanzhilfen an Unternehmen. Bund und Kantone konzentrieren ihre Anstrengungen vielmehr auf die Schaffung von investitionsfreundlichen Rahmenbedingungen und unterstützen nur subsidiär die Finanzierung von Unternehmungen. (technologische Arbeitslosigkeit)
Auch in meiner Unternehmung wurden schon Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch Maschinen ersetzt. Die Investitionen für die Anschaffung der Maschinen machen sich in der Regel durch eine höhere Produktivität schnell bezahlt. Wenn die Produktivitätsfortschritte jedoch nicht zur erhofften Zunahme des Umsatzes führen, kann dies durchaus zusätzliche Entlassungen zur Folge haben. Es fällt mir nicht
Ich habe im Prinzip durchaus Verständnis für die Anliegen der Arbeitnehmer für mehr Arbeitnehmerschutz, gerade bei lang andauernder Arbeitslosigkeit. Für Forderungen nach Mindestlöhnen habe ich als Unternehmer jedoch kein Verständnis: Wenn mich ein Mitarbeiter mehr kostet, als mir seine Leistung einbringt, sind Verluste unvermeidlich. Warum sollte ich ihn da einstellen? Die Vorstellung, dass Ar-
Ich musste auch schon Personal abbauen, weil die gesamte Volkswirtschaft und damit auch meine Unternehmung schwierige Zeiten durchlebten. In einer solchen konjunkturellen Abschwungphase oder einer Rezession sollte die Nationalbank mit einer expansiven Geldpolitik für tiefere Zinsen sorgen, um Investitionen zu erleichtern. Manchmal konnte ich Entlassungen vermeiden, indem ich vorübergehend Kurzarbeit einführte. Ohne die Kurzarbeitsentschädigung hätte ich dies nicht gemacht. Man darf nicht vergessen, dass wir als Unternehmungen bei der Kurzarbeit auch einen Teil der Kosten tragen. Insofern würde ein Ausbau der Entschädigung bei Kurzarbeit mithelfen, dass die Unternehmungen in Zeiten der Rezession weniger Leute entlassen müssten. (konjunkturelle Arbeitslosigkeit)
beitsplätze durch den Staat auf alle Zeiten gesichert werden könnten, ist meines Erachtens ohnehin unrealistisch. Auch zusätzliche Regulierungen des Arbeitsmarktes sind schädlich für die Unternehmungen und damit letztlich auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es braucht primär günstigere Rahmenbedingungen für Unternehmer, und erst in zweiter Linie staatliche Massnahmen. Die staatlichen Mittel sollten in die Förderung einer diversifizierten Wirtschaftsstruktur fliessen statt in weitere Sozialversicherungsleistungen, da diese ja letztlich wieder mit zusätzlichen Lohnprozenten finanziert werden müssen. (strukturelle Arbeitslosigkeit)
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a 4 ) Manuskript von Franz Friedmann (26 Jahre), Lehre als Hochbauzeichner, Student an der Zürcher Fachhochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) Mein Name ist Franz Friedmann. Ich bin zwar erst 26 Jahre alt, aber ich habe die Arbeitslosigkeit schon zweimal am eigenen Leib erfahren. Deshalb habe ich mich für eine Weiterbildung entschieden und absolviere zurzeit das 6. Semester im Lehrgang «Wirtschaft und Management» an der ZHAW. Ein Studium an der ZHAW bietet beste Voraussetzungen für eine anspruchsvolle Anstellung in Verwaltung, Industrie oder Forschung. Mit diesem Abschluss hoffe ich, nicht mehr arbeitslos zu werden. Das erste Mal erlebte ich Arbeitslosigkeit nach Abschluss meiner Hochbauzeichnerlehre im Thurgau: Mein Lehrbetrieb bildete jedes Jahr neue Lehrlinge aus, und deshalb konnte ich nach dem Abschluss nicht dort weiter arbeiten. Aber ich wollte ohnehin die Stelle wechseln und einen neuen Betrieb suchen, um Neues zu lernen. Mir war es auch durchaus bewusst, dass das zwei, drei Monate dauern könnte. Dass es dann aber ein halbes Jahr dauerte, hat mich schon sehr überrascht. Ich wünschte mir, dass die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) ausgebaut würden und nicht nur eine Auswahl von Job-Suchmaschinen auf der Website aufschalten, sondern konkrete Stellenangebote für bestimmte Arbeitslose suchen und abklären. Bei meinen Bewerbungen erhielt ich immer Absagen mit der Begründung, man suche jemanden mit Berufserfahrung, die ich direkt nach der Lehre natürlich nicht vorweisen konnte. So hatte ich nach sechs Monaten immer noch keine Stelle, aber immerhin erhielt ich ja Geld von der Arbeitslosenversicherung – ohne diese Beiträge hätte ich wohl schon etwas früher irgendeine Stelle antreten müssen. (friktionelle Arbeitslosigkeit) Das RAV hat mich schliesslich dazu gedrängt, auch an weiter entfernten Orten nach einer Arbeit zu suchen. So bin ich im Frühling – nachdem ich neun Monate arbeitslos gewesen war – schliesslich in eine Bauunternehmung im Kanton Zürich eingetreten. Ich hätte dabei nicht gedacht, dass ich sieben Monate später schon wieder entlassen würde. Die Aufträge
gingen wetterbedingt im Herbst so stark zurück, dass mein Arbeitgeber mehrere Mitarbeiter entlassen musste. Weil ich neu war im Betrieb, gehörte ich zu den ersten, die gehen mussten. Ähnliche Geschichten höre ich auch von Kolleginnen und Kollegen, die im Gastgewerbe tätig sind. Ich bin überzeugt, dass sich diese saisonale Arbeitslosigkeit mit besseren Schlechtwetter- und Kurzarbeitsentschädigungen verhindern liesse. (saisonale Arbeitslosigkeit) Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass die offiziellen Statistiken nicht das wahre Ausmass der Arbeitslosigkeit zeigen. Ich sehe das zum Beispiel bei meiner zehn Jahre älteren Schwester. Sie hat in den letzten Jahren nicht gearbeitet, weil sie drei Kinder bekommen hat und deshalb zu Hause bei ihren Kindern bleiben wollte. Nun, da alle zur Schule gehen, würde sie eigentlich gerne wieder einsteigen, findet aber einfach keine Stelle. Sie bewirbt sich zwar immer wieder, bekommt aber andauernd Absagen. Wenn sie bei den Unternehmungen nach den Gründen fragt, wird zwar offiziell immer gesagt, es hätten sich bessere Bewerberinnen oder Bewerber gemeldet. Inoffiziell wird dann aber schnell deutlich, dass ihr nach zehn Jahren einfach niemand zutraut, den Einstieg ohne grössere Probleme zu schaffen. Die Unternehmungen scheuen sich, eine längere Einarbeitungszeit mit ihr durchzustehen. Zudem wollen sich die Unternehmungen allfällige Probleme vom Hals halten, wenn die Kinder einmal krank sein sollten. Sie befürchten, dass meine Schwester in solchen Momenten immer kurzfristig ausfallen würde. Meine Schwester hat aber keine Lust, sich beim RAV zu melden. Sie sieht für sich keine Vorteile bei einer offiziellen Registrierung und befürchtet, dadurch eher noch Nachteile bei der Suche zu haben. Solange nicht auch mehr Männer Teilzeit arbeiten und dabei von den Unternehmungen und eventuell vom Staat unterstützt werden, werden die Probleme beim Wiedereinstieg wohl andauern. Aber auch Tagesstrukturen für die Betreuung von Kin-
dern, deren Eltern berufstätig sind, könnten in diesem Zusammenhang eine Hilfe sein. (verdeckte Arbeitslosigkeit) Vielleicht sollte man insbesondere für junge Arbeitslose auch spezielle Beschäftigungsprogramme lancieren, damit sie weitere Erfahrungen sammeln und Fertigkeiten und Fähigkeiten für Jungunternehmer erwerben können. Ich bin mir sicher, dass sich etliche auch die Gründung einer eigenen Unternehmung überlegen würden, wenn sie nur wüssten, wie man das angehen muss. Zur Stärkung des Unternehmertums könnte der Staat einiges beitragen, wenn er die rechtlichen Rahmenbedingungen so ausgestalten würde, dass vor allem junge Leute ohne grössere Probleme eine eigene Firma gründen könnten. Am Ende würden wohl alle davon profitieren, weil unsere Wirtschaft dadurch Wachstumsimpulse erhalten würde. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass Menschen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft verlieren und allmählich resignieren. Wenn ich die Generation meiner Eltern sehe, bin ich mir gar nicht so sicher, ob das nicht sogar manchmal für Menschen gilt, die im Moment noch eine Stelle haben. Da gibt es ja viele, die offiziell tagtäglich ihrer Arbeit in einem Büro oder einer Fabrik nachgehen, in Tat und Wahrheit aber nur noch die Zeit bis zu ihrer Pensionierung möglichst unbeschadet überstehen möchten. Da soll mir doch keiner erzählen, dass die wirklich noch produktiv sind. Ich glaube einfach nicht, dass die offiziellen Arbeitsmarktdaten den tatsächlichen Zustand des Arbeitsmarktes beschreiben. Mit mehr Wettbewerb müssten Unternehmungen unproduktive Arbeitsplätze verschwinden lassen. (latente Arbeitslosigkeit)
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a 1 ) Die Sichtweise von Arnold Arnegger (55 Jahre), Textilfärber, ausgesteuerter Arbeitsloser
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a 2 ) Die Sichtweise von Gertrud Germann (40 Jahre), kaufmännische Angestellte, Mitglied der Gewerkschaft Unia
Ursachen / Formen der Arbeitslosigkeit
Lösungsansätze
Ursachen / Formen der Arbeitslosigkeit
Lösungsansätze
Nachfragerückgang nach Schweizer Textilien (= sektorale Arbeitslosigkeit)
– Protektionistische Massnahmen – Schweizer kaufen in der Schweiz – Umschulungsbeihilfen
Unterschiedliche Arbeitslosenquoten in den verschiedenen Landesteilen (= regionale AL)
– Wirtschaftsförderung, steuerliche Anreize, staatliche Investitionen – Finanzausgleich – Umzugsbeihilfen
«Hire and fire» – kein Kündigungsschutz ( = strukturelle AL)
– Kündigungsschutz verbessern – Ausbau der Arbeitslosenversicherung, längere Taggelder
Konjunkturabschwung (= konjunkturelle AL)
– Antizyklische Finanzpolitik, um Nachfrage zu steigern, d. h. Steuern und Abgaben senken, Investitionszuschüsse, staatliche Käufe – Lohnerhöhungen, um Kaufkraft zu steigern – Entschädigung bei Kurzarbeit
Arbeit ungerecht verteilt, Zuwanderung von Ausländern (= demografische AL)
– Senkung der Erwerbsquote durch Zuwanderungsbeschränkung – Senkung der Erwerbsquote durch Frühpensionierungen – Senkung der wöchentlichen Arbeitszeit
Dynamische Wirtschaft führt zwangsläufig zu Anpassungsprozessen ( = strukturelle AL)
Veränderung der Rahmenbedingungen: – Lohnminimumvorschriften – Senkung Wochenarbeitszeit – Kündigungsschutz ausbauen – Senkung Rentenalter
Zu viel Wettbewerb, Druck auf die Löhne, Working Poor ( = strukturelle AL)
– Staatliche Beschäftigungsprogramme – Mindestlöhne mit GAV, kein ruinöser Wettbewerb auf Kosten der Arbeitnehmer
Unternehmungen müssen bessere Berufsbildung und Weiterbildung anbieten (= friktionelle AL)
– Bessere Volksschulbildung – Weiterbildungsgesetz
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a 3 ) Die Sichtweise von Urs Uhlmann (50 Jahre), Unternehmer, Mitglied der Aargauischen Industrie- und Handelskammer Ursachen / Formen der Arbeitslosigkeit
a 4 ) Die Sichtweise von Franz Friedmann (26 Jahre), Lehre als Hochbauzeichner, Student an der Zürcher Fachhochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW)
Lösungsansätze
Ursachen / Formen der Arbeitslosigkeit
Lösungsansätze
– Verbesserung der ArbeitsNeue Technologien, neue vermittlung (RAV) Produkte führen zu Strukturwandel, d. h. neue Beschäftigungs- – Arbeitslose schneller wieder in den Arbeitsprozess strukturen eingliedern (= strukturelle AL)
Freiwilliger Arbeitswechsel, Stellen nicht am gleichen Ort (= friktionelle AL)
– Förderung der Regionalen Arbeitsvermittlungsstellen (RAV) – Weniger Leistungen der Arbeitslosenversicherung
Technischer Fortschritt (= technologische AL)
– Einarbeitungszuschüsse – Staatliche Förderbeiträge für Produktionsstätten
Jahreszeitlich bedingte Produktions- und Nachfrageschwankungen (= saisonale AL)
– Schlechtwetterentschädigung – Kurzarbeitsentschädigung
Konjunkturabschwung (= konjunkturelle AL)
– Expansive Geldpolitik zur Zinssenkung und Investitionsanregungen – Ausbau der Entschädigung bei Kurzarbeit
Frauen, die wieder einsteigen wollen (=verdeckte AL, weil statistisch nicht erfasst)
– Teilzeitarbeit einführen, (auch für Männer), – Tagesstrukturen für Kinderbetreuung
Unproduktive Arbeitnehmer erbringen an ihren Arbeitsplätzen nicht mehr jene Leistung, die sie eigentlich erbringen könnten. Dabei werden Talente und Fähigkeiten verschwendet, die bei richtiger Förderung allen zugute kommen könnten. (= latente Arbeitslosigkeit)
– Förderung von Jungunternehmern – Stärkung des Unternehmertums – Wachstumsimpulse – Mehr Wettbewerb
Verständnis für Forderungen der – Günstigere Rahmenbedingungen für Unternehmer Arbeitnehmer, aber Regulierung – Keine GAV mit Mindestlöhnen, des Arbeitsmarktes ist schädAusbau von Kündigungsschutz lich für Unternehmer und damit letztlich auch für Arbeitnehmer – Staatliche Mittel zur Förderung einer diversifizierten (= strukturelle AL) Wirtschaftsstruktur statt für Sozialversicherung und zusätzliche Lohnprozente
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Aufgabe 4 Erfolgreicher Abbau der Sockelarbeitslosigkeit a ) Lesen Sie den Textausschnitt in der rechten Spalte (Bundesagentur für Arbeit: Sockelund Langzeitarbeitslosigkeit, Broschüre Arbeitsmarktberichterstattung, Nürnberg 2011) mit der dazugehörigen Grafik. Erläutern Sie anschliessend den Begriff «Sockelarbeitslosigkeit» mit konkreten Zahlen.
Sockelarbeitslosigkeit ist jene Arbeitslosigkeit, die auch nach einer Aufschwungphase bestehen bleibt. In Deutschland stieg diese Sockelarbeitslosigkeit von 1970 bis 2000 stetig an: 1970 › 0,7 %, 1980 > 3,8 %, 1990 › 7,2 %, 2000 › 10,3 % 2008 konnte die Sockelarbeitslosigkeit auf 8,7 % und 2010 sogar auf 8,6 % abgebaut werden.
b ) Lesen Sie den Text auf der folgenden Seite. Welche Gründe werden für die Probleme auf dem deutschen Arbeitsmarkt angeführt?
– Abkühlung der Konjunktur (konjunkturelle AL)
Die Zahl der Arbeitslosen liegt in Deutschland aktuell unter drei Millionen. Zugleich sind so viele Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt wie seit Beginn der 2000er-Jahre nicht mehr: Die Lage am deutschen Arbeitsmarkt ist insgesamt gesehen gut. […]Eine sich immer weiter aufbauende Sockelarbeitslosigkeit, die selbst in konjunkturellen Aufschwungphasen nicht abgebaut werden konnte, galt bis zum Ende der 1990er-Jahre als eine Krankheit des deutschen Arbeitsmarkts. Erst nach den Reformen zur Modernisierung der Dienstleistungen am Arbeitsmarkt («Hartz-Reformen») gelang es, die Arbeitslosigkeit in den Aufschwungphasen unter den Sockel der vorangegangenen Perioden zu senken. […] Die Entwicklung des Arbeitsmarkts war jahrzehntelang von einem grösser werdenden Sockel von Arbeitslosigkeit geprägt, der in konjunkturellen Wachstumsphasen nicht wieder abgebaut werden konnte. Seit den Ölpreiskrisen der siebziger Jahre hatte die Arbeitslosigkeit in Deutschland mit jeder Rezession zugenommen. In der folgenden Aufschwungphase konnte die Arbeitslosigkeit dann nicht wieder auf das Vorkrisenniveau gesenkt werden: Es blieb ein wachsender Sockel an Arbeitslosen (vgl. Abbildung). Nach der Wiedervereinigung ist die Arbeitslosigkeit deutlich gestiegen. Auch in der Aufschwungphase Ende der 1990er-Jahre konnte sie nicht nachhaltig abgebaut werden. Deutschlandweit hatte sich die Sockelarbeitslosigkeit erstmals im Zuge der positiven Arbeitsmarktentwicklung der Jahre 2006 bis 2008 abgebaut. Ein wichtiger Grund für diesen Erfolg waren die Reformen am Arbeitsmarkt. Nach einem geringfügigen Anstieg der Arbeitslosigkeit in der Wirtschaftskrise im Jahr 2009 lag die Arbeitslosigkeit bereits im Jahresdurchschnitt 2010 wieder unter dem Niveau vor Beginn der Wirtschaftskrise Ende 2008. Die gesamtwirtschaftliche Sockelarbeitslosigkeit baut sich also weiter ab. Q Arbeitslosenquoten (bezogen auf alle abhängigen zivilen Erwerbspersonen) Deutschland, West- und Ostdeutschland, 1950 bis 2010 Hartz lV-Effekt
– Mangelnde Qualifikationen (strukturelle AL) – Fehlende Anreize zur Arbeitsaufnahme (friktionelle AL)
11,0
Abbau der Nachkriegsarbeitslosigkeit
Rezession durch Ölpreiskrise 9,3
– Regional unterschiedliche Wirtschaftskraft (strukturelle AL)
13,0
12,7
Wirtschaftskrise
9,1
10,3
8,7 Rezession durch Ölpreiskrise
c ) Welche Massnahmen werden im Text empfohlen?
Vollbeschäftigung, zwischenzeitlich milde Rezession
– Massnahmen zum Erwerb richtiger Qualifikationen – Abbau von falschen Anreizen
Anpassungsprobleme der ostdeutschen Wirtschaft
8,6
7,2
4,7 Wiedervereinigung
3,8
2,1 0,7 Datenquelle: Statistik der BA
1950
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
2005
2010
Quelle: Arbeitsmarktberichterstattung@arbeitsmarktagentur.de
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Deutschland kämpft wieder stärker mit der Arbeitslosigkeit Matthias Benz, Berlin Der deutsche Arbeitsmarkt präsentiert sich im internationalen Vergleich weiterhin robust. In den letzten Monaten ist die Arbeitslosigkeit aber leicht gestiegen. Erfolge sind zunehmend schwieriger zu erzielen. In den meisten europäischen Hauptstädten würde man sich die Finger lecken, wenn man ähnliche Arbeitsmarktzahlen wie in Deutschland vorweisen könnte. Auch im abgelaufenen Jahr hat sich der deutsche Arbeitsmarkt weitgehend robust entwickelt, während andernorts in Europa starke Beschäftigungsverluste zu verzeichnen waren. Die Entwicklung spiegelt sich in den Zahlen für das Gesamtjahr 2012, welche die staatliche Bundesagentur für Arbeit am Donnerstag veröffentlicht hat. Demnach stieg die Erwerbstätigkeit in Deutschland auch 2012. Insgesamt gingen 41,94 Mio. Menschen einer Arbeit nach (Stand November), was einer Steigerung im Jahresvergleich um 0,6 % gleichkam und einen neuen Rekordwert bedeutete. Allerdings wiesen die Zahlen auch eine weniger erfreuliche Entwicklung in den vergangenen Monaten aus. So ist mit der deutlichen Abküh-
terhin gesucht werden, scheint ein Sockel von gut 3 Mio. Arbeitslosen immer schwerer vermittelbar zu sein. Diesen Menschen fehlen häufig die notwendigen Qualifikationen sowie die Anreize, um eine Arbeit aufzunehmen. Bemerkenswert ist weiterhin die regionale Verteilung der Arbeitslosigkeit in Deutschland (vgl. Grafik). Zwar hat sich die Lage in den vergangenen Jahren überall stark verbessert. Doch Erwerbslosigkeit ist immer noch hauptsächlich ein Problem in Ostdeutschland sowie in gewissen Teilen des Nordens und Westens (etwa in Bremen und Nordrhein-Westfalen). Demgegenüber sind in den wirtschaftsstarken südlichen Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern weniger als 4 % der Erwerbsbevölkerung arbeitslos, was in der deutschen Diskussion üblicherweise mit «Vollbeschäftigung» gleichgesetzt wird. Die Probleme vorab in Ostdeutschland spiegeln die Strukturschwächen in den «neuen» Bundesländern; diese sind auch mehr als 20 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht beseitigt. Aber auch die Anreize zur Arbeitsaufnahme stellen sich im Osten besonders schlecht dar. Die Hartz-IV-Sätze für Langzeitarbeitslose liegen deutschlandweit gleich hoch; im einkommensschwachen Osten lässt sich von den Hilfsgeldern jedoch vergleichsweise auskömmlich leben. Vor allem für Familien mit Kindern lohnt es sich häufig kaum, eine Arbeit aufzunehmen. Vor diesem
lung der Konjunktur die saisonbereinigte Zahl der Erwerbstätigen seit dem Sommer nicht mehr gestiegen, sondern gar geringfügig gesunken. Ein ähnliches Bild präsentiert sich bei den Arbeitslosenzahlen. Im Jahresdurchschnitt wurde mit 2,9 Mio. arbeitslos gemeldeten Menschen und einer Arbeitslosenquote von 6,8 % zwar der niedrigste Wert seit der Wiedervereinigung erreicht. Zu Zeiten der Massenarbeitslosigkeit in der ersten Hälfte der 2000er-Jahre hatte die Arbeitslosenquote bis zu 13 % betragen. Doch auch hier stagnierte die Entwicklung in den vergangenen Monaten. Seit dem Frühjahr erhöhte sich die bereinigte Arbeitslosenzahl zwar nur langsam, aber stetig. Damit sind die Jahre des deutschen «Jobwunders» offensichtlich vorüber; man hat wieder stärker mit dem Problem der Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Als Grund gab die Arbeitsagentur an, dass es für Arbeitslose zunehmend schwierig werde, eine Stelle zu finden. Das liegt einerseits an der schwachen Konjunktur der letzten Monate, die den Aufbau neuer Arbeitsplätze gebremst hat. Anderseits verbergen sich dahinter strukturelle Probleme. Während Fachkräfte auf dem deutschen Arbeitsmarkt wei-
Hintergrund steht die Politik bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vor schwierigen Aufgaben. So ist dafür zu sorgen, dass die Arbeitslosen zu den «richtigen» Qualifikationen kommen. Verbessert werden müssen aber auch die Arbeitsanreize mit einer (unpopulären) Reform des Hartz-IV-Systems. Quelle: «Neue Zürcher Zeitung», 4. Januar 2013
Arbeitslosigkeit in Deutschland Regionale Arbeitslosenquote in % (Vorjahreswerte in Klammern)
Deutschland Westdeutschland Ostdeutschland
6,7 (6,6) 5,8 (5,6)
Schleswig-Holstein 6,8 (6,9)
10,3 (10,6)
Mecklenburg-Vorpommern 12,0 (12,2) Hamburg 7,1 (7,3) Bremen 10,8 (11,0)
Berlin 11,6 (12,3)
Niedersachsen 6,4 (6,4)
Sachsen-Anhalt 11,2 (11,3)
Nordrhein-Westfalen 7,9 (7,6)
Thüringen 8,2 (8,2)
Brandenburg 9,9 (10,2)
Sachsen 9,4 (9,8)
Hessen 5,5 (5,4) ≤ 4,1 ≤ 7,1 ≤ 10,0 ≤ 13,0 ≤ 15,9
Rheinland-Pfalz 5,1 (5,0)
Saarland 6,8 (6,3) Bayern 3,6 (3,4) Baden-Württemberg 3,9 (3,7)
NZZ-INFOGRAFIK / cke.
QUELLE: BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT
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Aufgabe 5 Welches ist die bessere Arbeitsmarktstatistik? Heute liefern zwei Bundesämter Zahlen zur Arbeitslosigkeit. Das seco publiziert monatlich die Statistik der registrierten Arbeitslosen, das Bundesamt für Statistik veröffentlicht jährlich im Rahmen der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) die Zahl der Erwerbslosen gemäss internationalen Normen. Statistik
Statistik der Erwerbslosen gemäss SAKE (BFS)
Statistik der eingeschriebenen Arbeitslosen (seco)
Definition:
Erwerbslos bzw. arbeitslos gemäss den internationalen Standards sind Personen, die …
Arbeitslos sind Personen, die …
– Grundbedingung:
in der Woche vor der Befragung keiner Erwerbstätigkeit (von 1 Stunde) nachgegangen sind
nicht erwerbstätig sind (d.h. weniger als 6 Stunden pro Woche arbeiten)
– Verfügbarkeit:
innerhalb von 4 Wochen mit einer Tätigkeit beginnen könnten
innerhalb von 4 Wochen mit einer Tätigkeit beginnen könnten
– Arbeitssuche:
in den letzten 4 Wochen aktiv Arbeit gesucht haben (verschiedene Suchaktivitäten zugelassen)
Arbeit suchen und sich bei einem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum zur Arbeitsvermittlung anmelden
Altersgrenze:
15 Jahre und älter
15 Jahre und älter
Erhebungsmethode:
Stichprobenerhebung bei 25 000 repräsentativ ausgewählten Haushalten (auch nicht registrierte Erwerbslose)
Vollerhebung bei den kantonalen Arbeitsämtern
Erhebungsperiodizität:
Jährlich
Monatlich
Referenzperiode:
2. Quartal des Jahres
Letzter Arbeitstag im Monat
Verfügbarkeitsdatum:
4 – 5 Monate nach Quartalsende
5 Tage nach Monatsende
Regionalisierungsniveau:
Gesamtschweizerisch, Landesteile
Gesamtschweizerisch, kantonal und auf Gemeindestufe
Informationsgehalt:
international vergleichbar für Analysen von langfristigen Zeitreihen
rasch verfügbar für kurzfristige Arbeits- und Konjunkturanalysen
Bevölkerungskonzept:
Ständige Wohnbevölkerung: Schweizer, Niedergelassene und Jahresaufenthalter
Wohnbevölkerung: Schweizer, sämtliche Ausländerkategorien (inkl. Kurzaufenthalter, Saisonniers und Asylbewerber)
Vergleichen Sie die beiden Konzepte des seco und des BFS anhand der nebenstehenden Tabelle. Begründen Sie, welche Statistik die bessere ist.
Keine ist besser, beide haben Vorteile:
Vorteile der seco-Arbeitsmarktstatistik: – Monatlich publiziert und damit rasch verfügbar für kurzfristige Arbeitsmarkt- und Konjunkturanalysen – Vollerhebung und damit ein hoher regionaler Detaillierungsgrad möglich
Vorteile der BFS-Arbeitsmarktstatistik: – Orientiert sich an internationalen Standards, die von nationalen Gesetzgebungen unbeeinflusst bleiben, und eignet sich deshalb für Analysen von langfristigen
Quelle: www.amstat.ch
Zeitreihen – Berücksichtigt auch nicht registrierte Erwerbslose, wie zum Beispiel Ausgesteuerte, die sich nicht mehr beim RAV (Regionales Arbeitsvermittlungszentrum) melden.
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