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Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik
Die staatliche Rechtsordnung legt fest, in welchem Rahmen individuelles wirtschaftliches Handeln möglich ist. Die Wirtschaftstätigkeit von Unternehmungen und Haushalten führt dennoch nicht immer zu optimalen Ergebnissen für die gesamte Gesellschaft. Deshalb greift der Staat auch selbst lenkend in die Wirtschaft ein. Er orientiert sich dabei an übergeordneten Zielen, die gesamtgesellschaftlich auf Zustimmung stossen.
Theorie
Übungen
36.1 Grundlagen unserer Wirtschaftsordnung ............................................................. 2 36.2 Die wirtschafts-, sozial- und umweltpolitischen Ziele ........................................... 8 36.3 Bereiche des politischen Handelns ...................................................................... 20 Das haben Sie gelernt ......................................................................................... 22 Diese Begriffe können Sie erklären ...................................................................... 23
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Grundlagen unserer Wirtschaftsordnung ............................................................... 24 Marktversagen und öffentliche Güter .................................................................... 24 Welche Ziele sind betroffen? ................................................................................. 25 Verschiedene Bereiche des politischen Handelns .................................................... 26
Aufgaben 1 2 3
Wirtschaftspolitische Eingriffe: Vergleich Schweiz – Venezuela ............................... 28 Korrektur von Marktversagen am Beispiel des Benzinpreises .................................. 30 Bereiche politischen Handelns am Beispiel eines Koalitionsvertrags ........................ 32
Brennpunkt Wirtschaft und Gesellschaft 3.. Auflage 2020 / © Verlag SKV AG, Zürich Diese Broschüre ist urheberrechtlich geschützt. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, die Broschüre oder Teile daraus in irgendeiner Form zu reproduzieren. Bestellung über: http://brennpunkt-wug.verlagskv.ch Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik 1
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36.1 Grundlagen unserer Wirtschaftsordnung ■■ Freier Markt, Preisfunktionen und Aufgaben des Staates Unsere Wirtschaftsordnung ist nach den Grundsätzen einer sozialen Marktwirtschaft aufgebaut. Danach soll primär der Marktmechanismus dafür sorgen, dass in unserer Gesellschaft ein möglichst hoher Wohlstand erreicht wird. Als «sozial» bezeichnen wir die Wirtschaftsordnung, weil durch staatliche Eingriffe gesellschaftlich unerwünschte Ergebnisse des ungehinderten Marktmechanismus, beispielsweise eine ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen, korrigiert werden sollen. Bereits andernorts haben wir auf die zentrale Rolle des Preises für eine funktionierende Wirtschaft hingewiesen. Preise bilden für Unternehmungen und Haushalte die Grundlage für ihre Produktions- und Konsumentscheide. Sie dienen somit in erster Linie der Information aller Marktteilnehmer (Informationsfunktion). Verändern sich Preise, deutet dies auf veränderte Nutzenerwartungen der einzelnen Wirtschaftssubjekte hin. Haushalte und Unternehmungen müssen ihr Handeln entsprechend verändern, wenn sie auch künftig einen möglichst grossen Nutzen aus ihrem wirtschaftlichen Handeln ziehen möchten. Steigende Preise für ein Gut deuten darauf hin, dass dieses Gut begehrt ist und es sich für Unternehmungen daher lohnen könnte, in die Herstellung dieses Gutes zu investieren. Sinkende Preise führen zu gegenteiligen Überlegungen. Die einzelne Unternehmung oder der einzelne Konsument wird dabei aber immer verschiedene Wahlmöglichkeiten gegeneinander abwägen und sich schliesslich für jene entscheiden, die ihm den grössten Nutzen verspricht. In einer Volkswirtschaft führt dies gesamthaft dazu, dass die vorhandenen Produktionsfaktoren (Arbeit, Wissen, Boden und Kapital) immer dorthin gelenkt und eingesetzt werden, wo sie am dringendsten benötigt werden. Diese «Steuerungsfunktion des Preises » bezeichnen wir auch als «Allokationsfunktion». Allokation bedeutet dabei die Zuordnung der vorhandenen Ressourcen (Produktionsfaktoren) zu einem bestimmten wirtschaftlichen Zweck. Die Informations- und Allokationsfunktion des Preises führen in der Theorie dazu, dass die unüberschaubar grosse Zahl von Produktions- und Konsumentscheiden innerhalb einer Volkswirtschaft «wie durch Zauberhand» über den Preis aufeinander abgestimmt wird (KoAufgabe 1 ordinationsfunktion) und nicht von einer Institution geplant werden muss.
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In der Realität zeigt sich, dass der Staat trotz der koordinierenden Funktion des Preises in vielfältiger Weise in die Wirtschaft eingreifen muss, damit aus der Summe aller Wirtschaftsaktivitäten ein wirtschafts- und sozialpolitisch erwünschtes Ergebnis erreicht wird. Der Staat übernimmt dabei folgende Aufgaben: ■■ Aufgabe 1: Freiheitliche Rechtsordnung Eine funktionierende Marktwirtschaft kann nur entstehen, wenn das Privateigentum gewährleistet ist. Unternehmungen und private Haushalte werden nur Geld für Investitionen und Konsum ausgeben, wenn sie mit Sicherheit davon ausgehen dürfen, dass das, was sie kaufen, ihnen auch langfristig nicht weggenommen werden kann (Eigentumsgarantie). Zudem müssen sie frei entscheiden dürfen, mit wem sie zusammenarbeiten und wie sie die Zusammenarbeit inhaltlich gestalten möchten (Vertragsfreiheit); diese wirtschaftspolitischen Grundlagen sind in der Bundesverfassung festgeschrieben. Schliesslich müssen Verstösse gegen gesetzlich festgesetzte Regeln oder die Nichteinhaltung einmal geschlossener Verträge Konsequenzen haben, die auch durchgesetzt werden können. Wenn das nicht der Fall ist, besteht keine Rechtssicherheit, und der Erlass von Regeln ist nutzlos. ■■ Aufgabe 2: Regulierung und Deregulierung Eine Gesellschaft strebt nicht ausschliesslich Ziele an, die mithilfe des Marktmechanismus erreicht werden können. Der Staat entscheidet, welche gesamtgesellschaftlichen Ziele so wichtig sind, dass deren Erreichung staatliche Eingriffe zur Beschränkung des freien Wettbewerbs rechtfertigen. Insbesondere wenn möglichst alle gesellschaftlich relevanten Gruppen am Wohlstand eines Landes teilhaben sollen, greift er durch Gesetze und Verordnungen in den Markt ein. Solche Eingriffe nennen wir Regulierungen. Damit soll der Handlungsspielraum von Unternehmungen und privaten Haushalten so beeinflusst werden, dass die angestrebten Ziele erreicht werden. Typische Beispiele dafür sind Versorgungssysteme (Post, Energie und Wasser) für alle Regionen eines Landes, die Steuerung der Bautätigkeit durch die Raum planung oder der Schutz von Angestellten Während für Briefpostsendungen bis 50 g die Post vor den negativen Folgen von Nacht- oder aufgrund ihrer Monopolstellung alleiniger Anbieter ist, gilt für adressierte Pakete der freie Wettbewerb; Schichtarbeit. Diese Bereiche könnten neben der Post erbringen auch private Anbieter grundsätzlich auch in der Schweiz – wie solche Dienstleistungen. in einigen anderen Ländern – den
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Marktkräften überlassen werden. Die Mehrheit der Bevölkerung befürchtet jedoch, dass dies nicht erwünschte Ergebnisse hervorbringen würde, und unterstützt deshalb entsprechende Regulierungen. In einer demokratischen Gesellschaft kann sich diese Einschätzung aber auch verändern, was allenfalls zur Beseitigung entsprechender gesetzlicher Auflagen führt (Deregulierung). Dies zeigt sich z. B. bei Veränderungen im Bereich der Post und Telekommunikation: Noch vor 30 Jahren war ausschliesslich der Staat über einen entsprechenden Monopolbetrieb (PTT: Post, Telefon, Telegraf) für den Verkauf von Post- und Telefondienstleistungen verantwortlich. Als Erstes wurde der T elekommarkt dereguliert, indem unter bestimmten Auflagen private Unternehmungen zugelassen wurden (Sunrise oder Orange [heute «salt»] n eben Swisscom). In den letzten Jahren erfolgte schliesslich auch die schrittweise Deregulierung des Postmarktes, indem private Unternehmen zunächst Pakete zustellen durften und seit 2009 teilweise auch die Briefpost durch private Anbieter befördert werden darf. Aufgabe des Staates bei der Regulierung von Märkten ist es nun, die rechtlichen Auflagen möglichst so zu gestalten, dass das übergeordnete gesellschaftliche Ziel erreicht werden Übung 1 kann, ohne die oben beschriebenen, positiven Funktionen des Preises infrage zu stellen.
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■■ Aufgabe 3: Korrektur von Marktversagen
■■ Preis-Mengen-Auswirkung der Internalisierung von externen Kosten
Von Marktversagen sprechen wir dann, wenn das Marktergebnis zu einer Verschwendung von Ressourcen führt. Dies geschieht dann, wenn der Preis seine Koordinationsfunktion nicht wahrnehmen kann und Knappheitssituationen deshalb falsch dargestellt werden. Dabei werden drei Formen unterschieden: die Entstehung externer Kosten, die ausbleibende Herstellung öffentlicher Güter sowie das Streben nach unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen zum Vorteil weniger.
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A 1 = Ursprüngliches Angebot Nachfrage
A2
A 2 = Angebot bei internalisierten externen Kosten A1
p2 Preisanstieg
■■ Externe Kosten Wenn die wirtschaftliche Tätigkeit in einem Markt Kosten verursacht, die nicht von den Verursachern getragen, sondern Dritten oder der Gesellschaft aufgebürdet werden, sprechen wir von externen Kosten. Diese betreffen vor allem freie Güter. Freie Güter kommen in der Natur in scheinbar unbeschränkter Menge vor. Sie können deshalb nicht bewirtschaftet werden und haben Gemäss einer Studie des Bundesamtes für Raumfolglich auch keinen Marktpreis. Am Beientwicklung betrugen die externen Kosten des spiel der Lärmbelastung durch den Flugverprivaten Strassenverkehrs im Jahr 2016 9.4 Mrd. kehr im Einzugsbereich eines Flughafens Franken. lassen sich externe Kosten illustrieren. Wie Proteste der Anwohner von Anflug- oder Abflugschneisen deutlich zeigen, ist Fluglärm eine Belästigung. Die Anwohner in den betroffenen Gebieten müssen diese Belästigung «gratis» ertragen, weil sie dafür nicht entschädigt werden, d. h., Lärm hat für die Verursacher keine Kosten, welche sie in den Preis einkalkulieren müssen. In die Kostenkalkulation eines Flugtickets fliessen alle möglichen Kostenfaktoren ein, wie z. B. Treibstoffkosten, Lohnkosten, Flugzeugamortisation oder Landegebühren, nicht jedoch der Lärm. Damit zahlt ein Flugpassagier mit dem Ticketpreis nicht alle Kosten, die sein Flug verursacht. Durch die zu tiefen Flugpreise ohne «Lärmkostenanteil» ist Fliegen «zu billig», deshalb wird häufiger geflogen. Würden nämlich externe Kosten internalisiert, d. h. den Verursachern belastet, müssten die Ticketpreise bei der Menge m 1 von p 1 nach p 2 angehoben werden (vgl. Abbildung). Dies hätte dieselbe Wirkung wie eine Linksverschiebung der Angebotskurve mit der Folge, dass die Anzahl Flüge – und damit auch die Lärmbelastung – abnähme und sich bei der Menge m 2 sowie dem Preis p 3 einpendeln würde.
Ticketpreis
p3 Externe Kosten
p1
m2
m1
Anzahl Flüge
Mengenrückgang
Tatsächlich verlangt z. B. der Flughafen Zürich seit Langem Lärmgebühren, die zweckgebunden für Lärmsanierungen und Lärmbekämpfungsmassnahmen im Umfeld des Flughafens verwendet werden. Die anhaltenden Proteste der Anwohner lassen allerdings darauf schliessen, dass damit nicht alle externen Kosten abgegolten werden können. Externe Kosten können wir allgemein als jene Kosten umschreiben, die im sozialen und ökologischen Umfeld eines Marktes entstehen, aber nicht von den Marktteilnehmern getragen werden. Neben dem beschriebenen Versuch, diese Kosten mit Geld zu bewerten und auf gesetzlichem Weg in die Preise einzurechnen (Internalisierung), kann der Staat auch mit Verboten agieren oder sich selbst um die Beseitigung der negativen Effekte kümmern. Beim Beispiel des Fluglärms wirkt sich dies in Nachtflugverboten oder der staatlich finanzierten Schallisolation von Gebäuden aus.
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■■ Öffentliche Güter Güter, die von vielen Menschen gleichzeitig genutzt werden können, ohne dass man Einzelne von der Nutzung ausschliessen kann, bezeichnen wir als öffentliche Güter. Angenommen, an einem Privatweg mit sechs Einfamilienhäusern entschliessen sich fünf Eigentümer, den Weg mit drei Strassenlampen zu beleuchten, der sechste Eigentümer aber macht beim gemeinsamen Projekt nicht mit. Einmal installiert, kann er – aber auch jede weitere Person – vom Nutzen der Strassenbeleuchtung nicht ausgeschlossen werden; die Strasse wird auch für ihn beleuchtet. Im Unterschied zu den auf Seite 4 behandelten externen Kosten handelt es sich hier um einen externen Nutzen für diejenigen, die sich nicht an den Kosten eines öffentlichen Gutes beteiligen. Weil ein Einzelner keinen Anreiz hat, solche Kosten zu bezahlen, sondern vielmehr hofft, als sogenannter «Trittbrettfahrer» von den Massnahmen anderer profitieren zu können, werden öffentliche Güter in der Regel vom Staat angeboten. In einem marktwirtschaftlichen System mit freiem Wettbewerb sind die gewinnorientierten privaten Unternehmungen nämlich nicht bereit, Güter anzubieten, von denen eine grosse Anzahl von Leuten profitiert, aber nur wenige zur Zahlung bereit sind. Beispiele für öffentliche Güter sind die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch das Militär, die Polizei oder das Rechtssystem. Am Beispiel der Diskussionen über Struktur, Grösse und Auftrag der schweizerischen Armee wird ersichtlich, dass das erwünschte staatliche Angebot an öffentlichen Gütern in einer demokratischen Gesellschaft in einem klar festgelegten politischen Verfahren bestimmt wird. Durch das Gesetzgebungsverfahren und Volksabstimmungen werden die entsprechenden Staatsaktivitäten legitimiert und müssen schliesslich von allen Bürgern über Steuern finanziert werden. ■■ Wettbewerbsbeschränkung Marktsituationen bringen dann das beste Preis-Mengen-Verhältnis hervor, wenn kein Marktteilnehmer allein den Preis beeinflussen kann. Gelingt dies einem Marktteilnehmer dennoch, wird er den Preis so festlegen, dass er einen maximalen Nutzen erzielt. Dieser Preis, der ja nicht dem eigentlichen Marktpreis entspricht, gibt in jedem Fall falsche Knappheitssignale und führt damit zu einer mangelhaften Allokation der eingesetzten Produktionsmittel (Ressourcenverschwendung). Es liegt deshalb im Interesse der Gesellschaft, dass der Staat alle Bestrebungen zur Verhinderung von Wettbewerb unterbindet, sofern nicht übergeordnete gesellschaftliche Interessen dafür sprechen. Und solche Bestrebungen gibt es viele: So haben Schweizer Bauern z. B. ein Interesse daran, dass sie bei landwirtschaftlichen Produkten nicht gegen ausländische Konkurrenz antreten müssen. Auch bei der Vergabe öffentlicher Aufträge (z. B. dem Bau einer Schule) wären lokale Gewerbebetriebe sicherlich daran interessiert, wenn auswärtige Anbieter keine Offerte einreichen dürften. Schweizer Inhaber von Berufs- oder Universitätsdiplomen hätten ein Interesse daran, dass vergleichbare ausländische Übung 2 Abschlüsse nicht anerkannt würden, damit sie auf dem Arbeitsmarkt vor dieser Konkurrenz Aufgabe 2 geschützt würden.
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■■ Vom Marktversagen zum Staatsversagen Um die Unzulänglichkeiten des Marktes bei Fällen von Marktversagen zu «korrigieren», werden meistens staatliche Massnahmen gefordert. Ist man mit den erreichten Ergebnissen solcher Staatseingriffe nicht zufrieden, ist häufig von Staatsversagen die Rede. Die folgenden Gründe können zu einem Staatsversagen führen: ■■ Oftmals wirken die staatlichen Massnahmen nicht zum richtigen Zeitpunkt, weil vom Entscheid bis zur Umsetzung eines Eingriffs durch die politischen und administrativen Prozesse viel Zeit verstreicht. Steuersätze können z. B. nicht von heute auf morgen verändert werden. ■■ Die Bereitstellung von öffentlichen Gütern wird über ein oftmals langwieriges politisches Verfahren festgelegt. Die daraus resultierenden Entscheide sind deshalb nicht selten Kompromisse zwischen den Interessen der verschiedenen Regionen, Kantone, Parteien oder Verbände. Mit solchen Kompromisslösungen werden allerdings vielDie beiden Eisenbahn-Alpentransversalen am fach die knappen ProduktionsfaktoLötschberg und am Gotthard dürften insgesamt ren nicht optimal eingesetzt. Als rund 24 Mia. Franken kosten. Beispiel für eine solch teure Kompromisslösung kann die Realisierung von gleichzeitig zwei Eisenbahn-Alpentransversalen am Lötschberg und am Gotthard angeführt werden. Wäre nur ein Projekt in Angriff genommen worden, hätten beträchtliche finanzielle Mittel für andere öffentliche Aufgaben, z. B. den städtischen Agglomerationsverkehr, eingesetzt werden können. ■■ Häufiger werden staatliche Aktivitäten grundsätzlich als zu wenig effizient und zu teuer kritisiert. Vergleiche mit der Privatwirtschaft sind allerdings wenig hilfreich, da die privatwirtschaftlichen Unternehmungen ja gerade nicht bereit sind, öffentliche Güter her zustellen. Allerdings befinden sich die öffentlichen Unternehmungen in diesen Fällen in einer Monopolstellung, und es kann deshalb argumentiert werden, es fehle der effizienzsteigernde Wettbewerbs- oder Konkurrenzdruck.
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36.2 Die wirtschafts-, sozial- und umweltpolitischen Ziele Der Staat greift nicht willkürlich in die Wirtschaft ein. Vielmehr tut er es dann, wenn er ohne sein Zutun die langfristige Existenzgrundlage und Stabilität der Gesellschaft gefährdet sieht. Der Staat strebt mit seinen Massnahmen nach sozialer, ökonomischer und ökologischer Stabilität, ohne jedoch im Stillstand zu verharren. Diese allgemeine Zielsetzung lässt sich konkret in den folgenden sieben Zielen fassen: ■■ Die sieben wirtschafts-, sozial- und umweltpolitischen Ziele ■■ ■■ ■■ ■■
Preisstabilität Vollbeschäftigung Wirtschaftswachstum Aussenwirtschaftliches Gleichgewicht
■■ Ausgeglichener Staatshaushalt ■■ Sozialer Ausgleich ■■ Umweltqualität
■■ Preisstabilität 1 Preisstabilität ist dann gegeben, wenn sich der Durchschnitt der Preise aller in einer Periode gehandelten Güter nicht verändert. Es geht also nie um die Veränderung einzelner Preise, sondern immer um einen Durchschnittswert. Gemessen wird die Preisstabilität mit dem Landesindex der Konsumentenpreise (LIK). Der LIK misst die Preisveränderung (= Teuerung) für den typischen Warenkorb einer vierköpfigen Familie innerhalb eines Jahres. Das Ziel der Preisstabilität gilt als erreicht, wenn sich die Preise innert Jahresfrist um nicht mehr als zwei Prozent nach oben bewegen. Herrscht Preisstabilität, so bleibt die Kaufkraft des Geldes erhalten, d. h., das Geld verliert nichts von seinem Wert. Dadurch wird das Vertrauen der verschiedenen Wirtschaftsteilnehmer in die künftige wirtschaftliche Entwicklung gestärkt. Sowohl Inflation (steigende Preise) als auch Deflation (sinkende Preise) haben, wenn sie über längere Zeit andauern, negative Auswirkungen auf die Wirtschaft. Anhaltend hohe Inflation führt zu Kaufkraftverlusten für Rentner, Angestellte und Sparer. Diese werden möglichst wenig Geld halten wollen, weil sie dafür immer weniger erhalten. Stattdessen werden sie ihr Geld zunehmend in Sachgüter investieren, was die Inflation noch weiter anheizt. Anhaltend sinkende Preise, also eine Deflation, führen hingegen zur umgekehrten Reaktion: Sachgüter verlieren zunehmend an Wert, während man für sein Geld immer mehr bekommt. Es ist deshalb interessant, Geld zu horten, statt es auszugeben. Für die Wirtschaft ist diese Entwicklung verheerend, weil niemand mehr bereit ist, Investitionen zu tätigen. Unternehmungen müssen nämlich befürchten, dass sich Investitionen nicht mehr lohnen, weil die künftigen Erträge durch die sinkenden Preise geringer ausfallen, als ursprünglich geplant. Aspekte der Preisstabilität sind im Kapitel 30 in Band 2 behandelt.
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■■ Vollbeschäftigung Vollbeschäftigung ist dann erreicht, wenn alle Personen, die arbeiten möchten, auch tatsächlich eine ihrer Ausbildung und ihren Fähigkeiten entsprechende Arbeit finden. Menschen, die arbeiten, sind in der Regel in der Lage, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten und über Steuern einen Beitrag zur Finanzierung staatlicher Aufgaben zu leisten. Wer keine Arbeit hat, muss entweder mit Leistungen der Arbeitslosenversicherung oder mit staatlichen Mitteln (Sozialhilfe) unterstützt werden. Beides führt zu einer Zusatzbelastung für die Wirtschaft (z. B. über höhere Beiträge in die Arbeitslosenversicherung) oder den Staatshaushalt. Neben diesen wirtschaftlichen Folgen ist Vollbeschäftigung auch aus sozialen Gründen ein wichtiges gesamtgesellschaftliches Ziel. Bei langanhaltender Arbeitslosigkeit besteht die Gefahr einer Zweiteilung der Gesellschaft, bei der Arbeitslose und Arbeitende zunehmend unterschiedliche Ziele verfolgen und unter Umständen soziale Spannungen entstehen können. So lässt sich in Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit feststellen, dass die Kriminalität zunimmt und radikale politische Gruppierungen an Einfluss gewinnen. Bei hoher Jugendarbeitslosigkeit besteht zudem die Gefahr, dass viele gut ausgebildete junge Menschen in anderen Ländern nach Arbeit suchen und so die heimische Wirtschaft nur bedingt von den hohen Investitionen im Bildungsbereich profitiert. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt wird meistens mit der Arbeitslosenquote gemessen. Diese gibt jenen Prozentanteil der Erwerbsbevölkerung eines Landes an, der trotz entsprechender Bemühungen keine Arbeit findet. In der Schweiz wird eine Arbeitslosenquote von unter 3 % als Erfolg betrachtet.2 ■■ Wirtschaftswachstum Wirtschaftswachstum drückt sich in einer Zunahme des realen Bruttoinlandproduktes pro Kopf aus. Eine solche Zunahme an Gütern und Dienstleistungen ist notwendig, um die wachsenden Bedürfnisse der Menschen besser befriedigen zu können. Auch das Ziel der Vollbeschäftigung kann nur dann erreicht werden, wenn Produktivitätssteigerungen mit einer entsprechend wachsenden Wirtschaftsleistung einhergehen; sonst hätten diese zwangsläufig den Abbau von Arbeitsplätzen zur Folge. In den letzten Jahren ist durch die demografische Entwicklung die Bedeutung eines konstanten Wachstums für den sozialen Ausgleich in den Fokus gerückt: Sozialversicherungen wie die AHV, aber auch die steigenden Sozialhilfeleistungen an bedürftige Personen sind langfristig nur finanzierbar, wenn die schrumpfende Zahl jener, die AHV-Beiträge und Steuern zahlen, dies auf der Basis steigender Einkommen tun. Selbstverständlich gilt das auch für andere staatliche Aufgaben: Diese können nur dann im gewohnten Umfang und ohne massive steuerliche Zusatzbelastungen erbracht werden, wenn die geringere Zahl von Steuerpflichtigen ihre Steuern auf der Basis höherer Einkommen bezahlen. Dazu ist Wirtschaftswachstum unabdingbar. 2
Aspekte der Arbeitslosigkeit finden Sie im Kapitel 17 in Band 2.
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■■ Aussenwirtschaftliches Gleichgewicht Die Schweiz ist als rohstoffarmes Land darauf angewiesen, viele Ressourcen im Ausland einkaufen zu können. Dies gilt nicht nur für industrielle Rohstoffe, sondern in zunehmendem Masse auch für die Produktionsfaktoren Arbeit und Wissen. Gleichzeitig bieten viele inländische Unternehmungen ihre Produkte im Ausland an, und die Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz kaufen ganz selbstverständlich viele Produkte, die im Ausland her gestellt wurden. Der wirtschaftliche Austausch zwischen dem Inland und dem Ausland während einer bestimmten Periode wird in der sogenannten Zahlungsbilanz erfasst. Diese besteht aus drei «Teilbilanzen» (es handelt sich dabei nicht um Bilanzen im buchhalterischen Sinn): der Leistungsbilanz, der Bilanz der Vermögensübertragungen und der Kapitalbilanz. Die grenzüberschreitend erbrachten «Leistungen», die in der Leistungsbilanz erfasst werden, lassen sich ihrerseits in drei Hauptbereiche gliedern: ■■ Handel mit Waren (materielle Güter) und Diensten (immaterielle Güter), d. h. Dienstleistungen, z. B. aus dem Finanz- und Versicherungssektor, der Transportbranche oder dem Tourismus. ■■ Primäreinkommen, die sich weiter wie folgt gliedern: a) Arbeitseinkommen (d. h. Löhne): Das sind auf der Einnahmenseite v. a. Löhne an ausländische Arbeitnehmerinnen bei internationalen Organisationen in der Schweiz (diese zählen als «Ausland») sowie auf der Ausgabenseite Löhne an ausländische Grenz gänger1. b) Kapitaleinkommen: Darunter verstehen wir Vermögenserträge (Dividenden und Zinsen) aus grenzüberschreitenden Beteiligungen an ausländischen Unternehmungen (= Direktinvestitionen) oder Anlagen in ausländischen Wertpapieren (= Portfolioinvestitionen). ■■ Sekundäreinkommen: Das sind Übertragungen ohne Gegenleistung, z. B. Überweisungen von Immigranten in ihre Heimatländer oder staatliche Beiträge an internationale Organisationen. In jedem dieser Teilbereiche werden die Einnahmen, d. h. Leistungen an das Ausland (= «Exporte»), den Ausgaben, d. h. Leistungen aus dem Ausland (= «Importe»), einander gegenübergestellt. Aus all diesen Transaktionen resultierte in der Schweiz in den vergangenen Jahren jeweils ein Leistungsbilanzüberschuss (Einnahmen > Ausgaben). In der Bilanz der Vermögensübertragungen werden Übertragungen mit nicht-produziertem Vermögen erfasst. Merkmal solcher Transaktionen ist, dass der Übertragung keine quantifizierbare Gegenleistung gegenübersteht, z. B. Schuldenerlasse aus Entwicklungshilfe. Zu einem Schuldenerlass an ein Entwicklungsland auf der einen Seite gibt es auf der anderen Seite keine Gegenleistung, deshalb auch der Begriff «einseitige Übertragung». Als Grenzgänger bezeichnet man aus Sicht der Schweiz Personen, die in einem EU/EFTA-Staat wohnen und über die Staatsgrenze hinweg pendeln, um in der Schweiz zu arbeiten.
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■■ Die Zahlungsbilanz Zahlungsbilanz Leistungsbilanz = Einnahmen aus ... • Warenexporten und Exporten von Diensten • Primäreinkommen Arbeits- und Kapitaleinkommen aus dem Ausland • Sekundäreinkommen Übertragungen vom Ausland ohne Gegenleistung
= Ausgaben aus ... • Warenimporten und Importen von Diensten • Primäreinkommen Arbeits- und Kapitaleinkommen an das Ausland • Sekundäreinkommen Übertragungen an das Ausland ohne Gegen leistung Saldo (Einnahmen > Ausgaben) = Leistungsbilanzüberschuss
Bilanz der Vermögensübertragungen = Einnahmen aus ... • Übertragungen aus dem Ausland
= Ausgaben aus ... • Übertragungen an das Ausland
Saldo = Defizit (Einnahmen < Ausgaben) Kapitalbilanz Zugang von Aktiven «Investitionen von Schweizern im Ausland» Die Schweiz erwirbt Vermögenswerte des Auslandes (= Zugang von Aktiven) bzw. die Schweiz veräussert Vermögenswerte des Auslands (= Abbau von Aktiven) in Form von ... • Direktinvestitionen • Portfolioinvestitionen • Übrige Investitionen («Forderungen») • Zunahme der Währungsreserven
Zugang von Passiven «Investitionen von Ausländern in der Schweiz» Ausland erwirbt Vermögenswerte der Schweiz (= Zugang von Passiven) bzw. das Ausland veräussert Vermögenswerte der Schweiz (= Abbau von Passiven) in Form von ... • Direktinvestitionen • Portfolioinvestitionen • Übrige Investitionen («Verpflichtungen») • Abnahme der Währungsreserven Saldo (Zugang Aktiven > Zugang Passiven) = Kapitalbilanzüberschuss
In den letzten Jahren wies diese Teilbilanz durchwegs einen negativen Saldo aus (Einnahmen < Ausgaben). In der Kapitalbilanz wird der finanzielle Nettozugang von Vermögen (= Aktiven) und Schulden (= Passiven), d. h. Veränderungen von Kapitalanlagen von Schweizern im Ausland bzw. von Ausländern in der Schweiz, innerhalb eines Jahres einander gegenübergestellt. Erfasst werden zum einen Beteiligungen an ausländischen Unternehmungen (= Direktinves titionen). Während man damit Einfluss auf die Geschäftstätigkeit eines ausländischen
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nternehmens nehmen möchte, stellen Anlagen in ausländische Wertpapiere (= Portfolio U investitionen) reine Renditeanlagen dar. Unter der Position «Übrige Investitionen» sind auf der Aktivseite grenzüberschreitende Forderungen gegenüber der Nationalbank, dem Staat, den Geschäftsbanken oder anderen Unternehmungen aufgeführt. Einträge auf der Passivseite stellen demgegenüber Verpflichtungen dar. Die Währungsreserven der Nationalbank setzen sich aus dem Goldbestand, den Devisenanlagen, der Reserveposition beim Internatio nalen Währungsfonds (IWF) sowie den internationalen Zahlungsmitteln zusammen. Als Devisenanlagen werden die Anlagen der SNB in Fremdwährungen in Form von ausländischen Anleihen, Aktien und Guthaben bei anderen Zentralbanken bezeichnet. Devisenanlagen sind das wichtigste Aktivum in der Bilanz der SNB und Teil der im Rahmen der Anlagepolitik verwalteten Währungsreserven. Ein Kapitalbilanzüberschuss (Nettozugang von Aktiven > Nettozugang von Passiven), wie er in die Schweiz in den letzten Jahren ausgewiesen wurde, entspricht einer Zunahme des Auslandvermögens aufgrund der grenzüberschreitenden Investitionen.
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Jede grenzüberschreitende Transaktion wird in der Zahlungsbilanz zweimal eingetragen, vergleichbar dem Güter- und Geldstrom im Wirtschaftskreislauf. Daraus ergibt sich, dass die Summe der Saldi von Leistungsbilanz und Bilanz der Vermögensübertragungen dem Saldo der Kapitalbilanz entsprechen muss. Eine Zahlungsbilanz insgesamt ist somit definitionsgemäss immer ausgeglichen. Der Zusammenhang zwischen den Teilbilanzen kann vereinfacht an einer einzigen Transaktion wie folgt dargestellt werden: Wenn die Schweiz Güter ins Ausland exportiert, führt dies zu einem Eintrag auf der linken Seite der Leistungsbilanz (Einnahmen aus Export) und entsprechend zu einem «Leistungsbilanzüberschuss». Falls der ausländische Käufer dieser Güter die Kaufsumme in einer Fremdwährung (= Devisen) auf das Konto des Exporteurs überweist, erwirbt die Schweiz eine Forderung gegenüber dem Ausland. Dies begründet einen Eintrag auf der linken Seite der Kapitalbilanz (Zugang von Aktiven) und verursacht einen Kapitalbilanzüberschuss (in gleicher Höhe des Leistungsbilanzüberschusses). Wir können uns also merken: Die Zahlungsbilanz insgesamt ist immer ausgeglichen, Überschüsse oder Defizite können nur in den Teilbilanzen auftreten. Für das übergeordnete Ziel der wirtschaftlichen Stabilität sind weniger die Ergebnisse der einzelnen Teilbilanzen als vielmehr die Veränderungen über einen bestimmten Zeitraum hinweg von Bedeutung. So weisen Überschüsse in den Bereichen Handel und Dienstleistungen der Leistungsbilanz zwar tatsächlich darauf hin, dass Schweizer Güter und Dienstleistungen im Ausland sehr begehrt sind und deshalb in der entsprechenden Periode mehr exportiert als importiert wurde. Wirtschaftlich problematisch sind aber weniger Defizite in den entsprechenden Teilbilanzen als vielmehr eine sprunghafte Veränderung in einem Wirtschaftsbereich. Würden beispielsweise die traditionell hohen Exportüberschüsse im Bereich der Uhrenindustrie zurückgehen, hätte dies negative Auswirkungen auf diesen wichtigen Zweig der Schweizer Wirtschaft. In jenen Regionen, in denen die Schweizer Uhrenindustrie angesiedelt ist, oder eventuell in der gesamten Schweiz, wäre die wirtschaftliche Stabilität gefährdet. Damit sich die aussenwirtschaftlichen Beziehungen der Schweiz möglichst störungsfrei entwickeln können, konzentriert sich die Wirtschaftspolitik darauf, die Rahmenbedingungen für grenzüberschreitende wirtschaftliche Aktivitäten so stabil wie möglich zu halten. Dabei stehen zwei Bereiche im Mittelpunkt: die Aussenwirtschaftspolitik und die Währungspolitik. Die wichtigsten Aufgaben der Schweizer Aussenwirtschaftspolitik sind die Gestaltung der Beziehungen zur Europäischen Union und die Mitwirkung bei der Welthandelsorganisation (WTO), die den weltweiten Abbau von Zöllen und anderen Handelshemmnissen zum Ziel hat. Die Aussenwirtschaftspolitik ist Sache des Bundesrates. Bereits im Kapitel 32, «Weltweite Verflechtung – Globalisierung», haben wir weitere Aspekte der aussenwirtschaftlichen Beziehungen erläutert. Um die Währungspolitik kümmert sich in erster Linie die Schweizerische Nationalbank (SNB). Sie strebt für den Schweizer Franken gegenüber anderen Währungen Wechselkurse an, die möglichst geringe Effekte auf die aussenwirtschaftlichen Beziehungen der Schweizer
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Wirtschaft haben. Das klingt einfacher, als es ist, denn Wechselkurse unterliegen einer Vielzahl von Einflüssen. Immer wenn grenzüberschreitend Leistungen bezahlt oder Anlagen getätigt werden sollen, muss dafür die Währung des entsprechenden Landes gekauft werden. Deshalb besteht eine enge Verflechtung zwischen Veränderungen der Zahlungsbilanz und den Wechselkursrelationen. Rein lehrbuchmässig führt ein Leistungsbilanzüberschuss (Exporte > Importe) eines Landes dazu, dass die aus diesem Überschuss erworbenen Devisen im Ausland angelegt oder von der Zentralbank zur Bildung von Währungsreserven gekauft werden. Dies führt tendenziell zu einer Aufwertung der einheimischen Währung, was wiederum bewirkt, dass Exportgüter für das Ausland teurer und umgekehrt die ausländischen Importgüter billiger werden. In der Folge sinken dadurch die Exporte, und die Importe steigen, was zu einer Verringerung des Leistungsbilanzüberschusses führt. Darüber hinaus haben aber auch allgemeine politische Ereignisse und darauf basierende Erwartungen Einfluss auf den Wechselkurs. Befürchten Anleger beispielsweise, dass der Wert einer Währung aufgrund von politischer oder wirtschaftlicher Unsicherheit sinken wird, werden sie diese so schnell wie möglich am Devisenmarkt in eine andere Währung umtauschen. ■■ Exkurs: Im Zusammenhang mit dem Handelskonflikt zwischen den USA und China sehen wir, dass die Begriffe aus der Zahlungsbilanz manchmal sehr selektiv verwendet werden. So argumentiert Präsident Trump hauptsächlich mit der «Handelsbilanz USA – China» und beleuchtet damit bewusst nur einen Teilbereich der Leistungsbilanz, nämlich den Güteraustausch zwischen den USA und China. Eine Sichtweise, die innenpolitische Gründe hat, sieht doch Trump viele «Jobs» in den USA vorwiegend durch billige Importe gefährdet; er will wieder mehr Produkte im eigenen Land fertigen lassen.
Im Jahr 2018 erzielten die USA mit rund 950,2 Milliarden US-Dollar das höchste Handelsbilanzdefizit weltweit. Für fast die Hälfte davon ist China verantwortlich; das Defizit mit China belief sich auf 419 Mrd. US‑Dollar.
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■■ Ausgeglichener Staatshaushalt Neben den vier bisher geschilderten klassischen Zielen der Wirtschaftspolitik ist das Ziel eines ausgeglichenen Staatshaushaltes in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Die hohe Verschuldung vieler Staaten und die daraus resultierenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme haben dazu geführt, dass dieses Ziel in der Zwischenzeit als zentral für die Stabilität von Wirtschaft und Gesellschaft betrachtet wird. Wenn ein Staat mehr ausgibt, als er in ■■ Staatsverschuldung im Vergleich (2018) Form von Steuern und aus anderen QuelLand Staatsverschuldung len einnimmt, wird dies als Haushaltsdein Prozent des BIP fizit bezeichnet. Ist ein solches Defizit bereits im Voraus erkennbar, also quasi Schweiz 28,1 % geplant, so sprechen wir von einem BudEU-Euroraum 87,1 % getdefizit. Werden über längere Zeit kaum Überschüsse, sondern mehrheitItalien 130,5 % lich Defizite verzeichnet, müssen diese Belgien 101,6 % durch die Aufnahme von Krediten finanziert werden. Dieses Geld kann auf dem Frankreich 99,1 % freien Kapitalmarkt (in Form von StaatsGrossbritannien 87,3 % anleihen) oder bei der Zentralbank (in 76,1 % Österreich der Schweiz bei der SNB) beschafft werden. Durch die höhere Kreditnachfrage Deutschland 60,5 % des Staates steigen die Zinsen; ein höheNiederlande 54,2 % res Zinsniveau erhöht die Kreditkosten für Unternehmungen und belastet damit Schweden 37,2 % die Wirtschaft. Und wegen der AusweiQuelle: EFV (Taschenstatistik Öffentliche Finanzen 2018) tung der Geldmenge kann sich zusätzlich eine Inflationsgefahr ergeben. Weil sowohl hohe Zinsen als auch Inflationsrisiken die Investitionstätigkeit privater Unternehmungen erschweren, wirkt sich dies hemmend auf das angestrebte Wirtschaftswachstum aus. Schliesslich müssen die vom Staat aufgenommenen Kredite auch verzinst werden. Je grösser der Schuldenberg eines Landes wird, desto grösser fällt der Anteil der Schuldzinsen an den gesamten Staatsausgaben aus. Damit stehen diese Mittel für andere staatliche Aufgaben nicht mehr zur Verfügung. Sollen diese Aufgaben trotzdem weiterhin erbracht werden, müssen sie mit neuen Schulden finanziert werden, was in einen eigentlichen Teufelskreis der Verschuldung führen kann. Nimmt die Verschuldung überhand, wird es für einen Staat zunehmend schwieriger, neue Kredite zu erhalten. Die daraus resultierende Zahlungsunfähigkeit hat gravierende Auswirkungen auf die wirtschaftliche und soziale Stabilität eines Landes: Wichtige Staatsaufgaben können nicht mehr wahrgenommen werden, der Wert der
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inländischen Währung fällt ins Bodenlose, und die Gläubiger des Staates verlieren einen Teil ihres Vermögens. Trotz dieser enormen Risiken weisen viele Staaten hohe Haushaltsdefizite und Staatsschulden aus, ohne dass dadurch die wirtschaftliche oder soziale Stabilität infrage gestellt wäre. Auch die Schweiz gibt in einzelnen Jahren mehr aus, als sie einnimmt. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn in wirtschaftlichen Krisenzeiten (Rezession) die Nachfrage mithilfe von Staatsausgaben angekurbelt werden soll. Selbstverständlich sollten solche Defizite später durch Überschüsse kompensiert werden, wenn sich die Wirtschaft in einer Boomphase befindet. Im Kapitel 34, «Fiskal- und Geldpolitik», haben wir bereits gesehen, dass Schulden zur Finanzierung von langfristigen Investitionen (z. B. in teure Eisenbahn- oder Strassenprojekte) sinnvoll sein können, weil die Kosten damit mindestens teilweise auf jene Generationen abgewälzt werden, die dereinst von diesen Investitionen profitieren sollen. Mit dem Instrument der sogenannten Schuldenbremse (das wir ebenfalls in Kapitel 34, «Fiskal- und Geldpolitik», bereits kennengelernt haben) soll der Staatshaushalt auf Bundesebene vor strukturellen (und immer wiederkehrenden) Ungleichgewichten bewahrt werden, d. h., der Mechanismus soll verhindern, dass die Schulden beim Bund von Jahr zu Jahr ansteigen (wie in den 1990er-Jahren). Damit soll eine nachhaltige Finanzpolitik garantiert und insbesondere verhindert werden, dass die finanzielle Last heutiger Vorhaben auf zukünftige Generationen abgewälzt werden. ■■ Der Staatshaushalt am Beispiel der Bundeseinnahmen und -ausgaben (2018) Staatshaushalt (Mio. CHF) Soziale Wohlfahrt Verkehr Bildung und
Steuereinnahmen Ausgaben 70 574
Forschung
Einnahmen 73 512
– Mehrwertsteuer – Direkte Bundessteuer – Mineralölsteuer
Landesverteidigung
– Verrechnungssteuer
Landwirtschaft und
– Übrige Steuern
Ernährung Übrige Ausgaben Haushaltsüberschuss
Übrige Einnahmen 2 938 Quelle: EFV (Taschenstatistik Öffentliche Finanzen 2018)
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Zusammenfassend können wir festhalten, dass das Ziel eines ausgeglichenen Staatshaushaltes nicht einfach mit einer Zahl ausgedrückt werden kann. Vielmehr soll sich der Staat in seiner Finanzpolitik an bestimmten Regeln orientieren. So dürfen seine Ausgaben und auch die Schulden im langfristigen Durchschnitt nicht schneller als das BIP wachsen. Werden Defizite zudem ausschliesslich für Investitionen und nicht für den sogenannten Staatskonsum (z. B. Personal- und Rüstungsausgaben) ausgegeben, sollten auch langfristig keine gravierenden Probleme entstehen.
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■■ Sozialer Ausgleich 1 Der Markt mag zwar effizient sein, aber der daraus resultierende Wohlstand kann höchst ungleich verteilt sein. Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht gleich leistungsfähig sind wie andere, profitieren weniger als jene, die bessere Voraussetzungen mitbringen oder schlicht leistungsfähiger sind. Auch wenn jeder Eingriff in den Markt zwangsläufig mit einem Effizienzverlust verbunden ist, gehört es zu den Zielen einer guten Sozialpolitik, hier für einen Ausgleich zu sorgen. Der Staat kann auf drei Arten zum sozialen Ausgleich beitragen: –– Mithilfe der Steuerpolitik kann er die Bürgerinnen und Bürger entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit stärker oder weniger stark belasten. –– Mithilfe von Sozialversicherungen und Sozialhilfe kann er die materielle Existenzgrundlage für alle Bürgerinnen und Bürger gewährleisten. –– Mithilfe verschiedener Anreize und der Gestaltung seiner Ausgaben kann er dazu beitragen, dass das soziale Netz in der gesamten Gesellschaft genügend tragfähig bleibt, um allen Menschen neben der wirtschaftlichen Lebensgrundlage auch einen ausreichenden sozialen Schutz zu bieten. ■■ Steuerpolitische Massnahmen: Während beim Ziel des ausgeglichenen Staatshaushaltes primär die Gesamtheit der Staatsausgaben betrachtet wurde, stehen bei der Ausgestaltung der Einnahmenseite soziale Fragen im Mittelpunkt. Grundsätzlich wäre es nämlich möglich, die budgetierten Staatseinnahmen gleichmässig auf alle Bürgerinnen und Bürger zu verteilen. Man könnte dies damit begründen, dass jeder in gleichem Masse von einem funktionierenden Staat profitiere. Es gibt tatsächlich Steuersysteme (z. B. in einzelnen osteuropäischen Staaten), die sich in Ansätzen an dieser Grundidee orientieren. Zwar geht man in diesen Ländern nicht von absolut gleichen Beiträgen aus, aber der Steuersatz ist unabhängig von der Einkommenshöhe immer gleich hoch (Flat Tax). Das Schweizer Steuersystem ist jedoch progressiv ausgestaltet. Das bedeutet, dass wirtschaftlich leistungsfähigere Steuerpflichtige einen höheren Prozentsatz ihres Einkommens oder Vermögens an den Staat abliefern müssen als die weniger leistungsfähigen. Die Frage, wie stark diese Progression ausgestaltet werden soll, ist politisch umstritten. Eine zu hohe steuerliche Belastung hoher Einkommen und Vermögen kann dazu beitragen, dass Unternehmungen und deren Eigentümer in Länder ziehen, in denen sie weniger Steuern bezahlen müssen. Dies hätte sowohl für den Staatshaushalt als auch für die wirtschaftliche Entwicklung negative Auswirkungen.
Aspekte zu dieser Thematik sind im Kapitel 18 «Sozialer Ausgleich» und im Kapitel 23 «Steuerrecht» in Band 2 behandelt.
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Neben der Steuerprogression gibt es noch eine weitere Möglichkeit, um über das Steuersystem eine Umverteilungswirkung zu erzielen: Neben den sogenannten direkten Steuern (Einkommens- und Vermögenssteuern), deren Höhe von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen abhängt, erhebt der Staat auch sogenannte indirekte Steuern. Diese werden im Zusammenhang mit Markttransaktionen erhoben und fallen somit nur für jene an, die sich in irgendeiner Weise wirtschaftlich betätigen. Theoretisch wäre es demnach möglich, keine indirekten Steuern zu bezahlen, wenn man sich konsequent von jeder wirtschaftlichen Tätigkeit fernhielte. Weil wir aber alle in irgendeiner Weise am Wirtschaftsgeschehen teilnehmen, zahlen wir in Tat und Wahrheit alle indirekte Steuern. Die wichtigste indirekte Steuer, die Mehrwertsteuer, die rund einen Fünftel zu den gesamten Einnahmen des Bundes beiträgt, fällt beispielsweise beim nicht unternehmerischen Konsum von Gegenständen und Dienstleistungen an. Dennoch kann durch eine geschickte Ausgestaltung der indirekten Steuern ein Beitrag zur Umverteilung des Wohlstandes geleistet werden, z. B. durch die Steuerbefreiung lebensnotwendiger Güter oder die steuerliche Belastung von Luxusgütern. ■■ Sozialversicherungen schützen die Bürgerinnen und Bürger vor den finanziellen Folgen von Invalidität, Arbeitslosigkeit, Unfall, Alter und Tod. Sie sind obligatorisch und werden durch einkommensabhängige Beiträge finanziert. Sozialversicherungen tragen zum sozialen Ausgleich bei, weil eine Umverteilung von den Erwerbstätigen (den Beitragszahlern) zu den Nichterwerbstätigen (den Rentnern) erfolgt und weil ■■ System der sozialen Sicherung die Renten nach oben begrenzt Soziales System sind. Das bedeutet, dass Besserverdienende wesentlich höhere AbstimSicherung durch Sicherung durch Beiträge zahlen, als sie in Form mungen den Staat soziale Gruppen von Renten ausbezahlt erhalten. Sozialversicherungen z. B. durch Familie, Allerdings haben nur jene AnHausgemeinschaften, Freunde z. B. AHV, IV, Arbeitslosenspruch auf Leistungen der Sozialversicherung versicherungen, die irgendwann auch einmal Beiträge bezahlt «soziales Netz» haben. Die Sozialhilfe unterstützt sozialer Ausschluss jene, die weder mit ihrer Arbeit noch mithilfe von Leistungen der Massnahmen zur Sozialversicherungen überleben Wiedereingliederung könnten. Sie stellt eine Existenzz. B. öffentliche Sozialhilfe, Massnahmen des sicherung dar und soll verhinKindes- und Erwachsenenschutzrechts, dern, dass Menschen in unserer Strafrecht Gesellschaft an Hunger leiden oder obdachlos werden. Finan-
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ziert wird die Sozialhilfe aus dem Staatshaushalt, d. h. mit Steuergeldern. Im Unterschied zur Sozialversicherung wird sie im Notfall an alle ausbezahlt, die ihrer bedürfen, also auch an Menschen, die nie Beiträge an die Sozialversicherungen geleistet oder Steuern bezahlt haben. ■■ Das soziale Netz einer Gesellschaft besteht aus den Beziehungen der Menschen unter einander. Ist dieses Netz eng geknüpft, d. h., besteht ein dichtes Beziehungsnetz, läuft die Gesellschaft weniger Gefahr, dass soziale Spannungen auftreten und alles aus den Fugen gerät. Die Rolle des Staates besteht darin, wichtige Elemente dieses sozialen Netzes zu fördern. Das geschieht zum Beispiel durch eine Politik, die Familien stärkt oder die Bildung sozialer Gruppen (Vereine, Kirchen, Parteien) unterstützt. Damit kann verhindert werden, dass von der Isolation bedrohte Menschen an den Rand gedrängt werden. Auch eine gute Gesundheitsversorgung oder ein breit gefächertes Bildungsangebot tragen zu einem stabilen sozialen Netz bei. Das soziale Leben in Randregionen kann schliesslich dadurch unterstützt werden, dass dort vergleichbare staatliche Leistungen wie in den Zentren erbracht werden. Der Zustand des sozialen Netzes lässt sich mindestens teilweise mit sogenannten Sozialindikatoren messen. Darunter verstehen wir Kennzahlen, die wesentliche Eckwerte sozialer Stabilität darstellen: Bildungsniveau, Gesundheitsversorgung und -zustand oder die öffentliche Sicherheit.
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RECHTSORDNUNG
■■ Umweltqualität Ähnlich wie der soziale Ausgleich lässt sich auch die Umweltqualität mit Kennzahlen messen (ökologische Indikatoren). So kann die Qualität des Wassers, der Luft und des Bodens anhand unterschiedlicher Messwerte ermittelt werden. Wie beim Abschnitt über die Korrektur von Marktversagen dargestellt, kann mit einer Vielzahl wirtschaftspolitischer Massnahmen eine bessere Umweltqualität angestrebt werden. Je nach Gefährdungspotenzial sind dafür eher Verbote oder marktwirtschaftliche Methoden (z. B. Lenkungsabgaben) geeignet. Nationale Lösungen reichen aber immer weniger aus, um den grossen umweltpolitischen Herausforderungen zu begegnen. Die Erderwärmung, die Verschmutzung und Überfischung der Weltmeere oder die Abholzung der Regenwälder haben Auswirkungen auf die ökologische Stabilität vieler Länder und erfordern deshalb ein internationales Vorgehen. Mit dem Kyotoprotokoll, das den weltweiten Abbau der CO2-Emissionen zum Ziel hat, gibt es auch Beispiele für ein solches Vorgehen 1.
SOZIALES SYSTEM Staat Sozialpolitik
Familie Vereine
Regierung Gerichte
Parteien ...
Staat als Bundes- Akteur
Sozialer Ausgleich
verwaltung
Kantonale Verwaltungen Gemeindeverwaltungen
ÖKONOMISCHES SYSTEM
Ausgeglichener Staatshaushalt
■■ Wirtschafts-, sozial- und umweltpolitische Ziele im Gesamtmodell Wir haben nun die sieben wirtschafts-, sozial- und umweltpolitischen Ziele kennengelernt. Wie werden diese Ziele in der Praxis zu erreichen versucht? Als direkte Akteure für entsprechende Massnahmen treten der Staat, d. h. die Regierung, aber auch das Parlament und die Nationalbank auf. Indirekt entscheidet das Stimmvolk mit, sei dies bei Abstimmungen über Sachvorlagen oder mit der Wahl von Personen in politische Ämter. Verschiedene Gruppierungen wie Verbände, Gewerkschaften oder Parteien versuchen dabei, die politischen Massnahmen zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Das Schwergewicht der Ziele kann sich je nach wirtschaftlicher Situation ändern. Während in den 70er- und 80erJahren bei einer angespannten Wirtschaftslage die Inflationsbekämpfung in der Schweiz das zentrale wirtschaftspolitische Ziel war, ist diese Zielsetzung mit Erreichen von geringeren Inflationsraten Mitte der 90er-Jahre in den Hintergrund getreten. Heute stehen angemessenes Wachstum und ein stabiler Staatshaushalt im Mittelpunkt des Interesses. Wichtig ist in jedem Fall, dass die wirtschaftlichen Zielsetzungen von allen Wirtschaftsteilnehmern mitgetragen werden. Nur so lassen sich komplexe Wechselbeziehungen im Wirtschaftskreislauf in die gewünschte Richtung lenken. So hat sich z. B. das Schweizer Stimmvolk für die Einführung einer leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) entschieden, mit welcher zum einen die Kosten des Schwerverkehrs zulasten der Allgemeinheit abgedeckt werden sollen und zum andern ein Anreiz geschaffen werden soll, dass Güter vermehrt mit Übung 3 der Bahn befördert werden.
Soziale Gruppen
Parlament
Wirtschaftspolitik
Vollbeschäftigung
Wirtschaftswachstum
SNB als Akteur
Aussenwirtschaftliches Gleichgewicht
Preisstabilität
ÖKOLOGISCHES SYSTEM Umweltpolitik
Umweltqualität
Im Band 2, Kapitel 31, «Ökologische und energiepolitische Herausforderungen», wird die gesamte umweltpolitische Problematik mit den entsprechenden Massnahmen erläutert.
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36.3 Bereiche des politischen Handelns Auch wenn die wirtschafts-, sozial- und umweltpolitischen Ziele einer Volkswirtschaft eindeutig und klar erscheinen, ist doch nicht immer auf Anhieb erkennbar, was politisches Handeln zur Erreichung dieser Ziele beiträgt. Die politischen Akteure in der Gesellschaft (soziale Gruppen wie Parteien und Verbände, die Kirchen und weitere soziale Gruppierungen, der Staat und im wirtschaftlichen Bereich die SNB) bringen sich in den politischen Prozess ein, um durch Beeinflussung von Öffentlichkeit, Parlamenten und Regierungen ihre jeweils eigenen Forderungen und Interessen durchzusetzen. Aus der Vielfalt dieser Aspekte ergibt sich, dass die Bereiche politischen Handelns nicht einfach deckungsgleich mit den politischen Zielen sind. So widmet sich auf Bundesebene zum Beispiel nicht jedes Mitglied des Bundesrates ausschliesslich der Erreichung eines Ziels, obwohl dieser Gedanke bei sieben Departementen und sieben Zielen nicht ganz abwegig wäre. Wir wollen deshalb in einem Überblick wichtige Bereiche politischen Handelns nennen und anhand ausgewählter Problemstellungen zeigen, welche wirtschafts-, sozial- und umweltpolitischen Ziele dabei verfolgt werden. ■■ Wirtschaftspolitik Wirtschaftspolitik umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Politikfelder. Von Konjunkturpolitik wird dann gesprochen, wenn mit eher kurzfristigen Massnahmen versucht wird, gegen einen konjunkturell bedingten Anstieg der Arbeitslosigkeit anzukämpfen. Handelt es sich dabei um direkte Eingriffe in den Arbeitsmarkt, werden auch die Begriffe Beschäftigungs- oder Arbeitsmarktpolitik verwendet. Von Wachstumspolitik sprechen wir dann, wenn die mittelund langfristigen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft gestärkt oder verbessert werden sollen. Häufig handelt es sich dabei um Massnahmen zur Förderung von Innova tionen und Bildung, weil Wissen die entscheidende Ressource (Produktionsfaktor) für anhaltendes Wachstum darstellt. Die Aussenwirtschaftspolitik kümmert sich in erster Linie um Massnahmen im Hinblick auf stabile aussenwirtschaftliche Beziehungen. Im Fokus stehen dabei die Beziehungen zur Europäischen Union – dann wird auch von Europapolitik gesprochen – sowie zur Überlegungen zur Aussenwirtschaftspolitik nehmen Welthandelsorganisation WTO, zur Weltoftmals Interessen der Landwirtschaft sowie der Ernährungspolitik auf und beeinflussen damit auch bank und zum Internationalen Währungsdie Raumplanung und Veränderungen unserer Kulfonds. Bei diesen drei Organisationen ist die turlandschaft. Schweiz Mitglied. Die von der Schwei-
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zerischen Nationalbank (SNB) verantwortete Geldpolitik orientiert sich primär am Ziel der Preisstabilität, hat jedoch über die Währungs- und Zinspolitik auch Auswirkungen auf die übrigen vier wirtschaftspolitischen Zielsetzungen. Deshalb hat die SNB den Zusatzauftrag, bei der Ausgestaltung ihrer Geldpolitik auch die konjunkturelle Entwicklung im Auge zu behalten. Wirtschaftspolitische Massnahmen zielen manchmal auch gezielt auf die Stärkung bestimmter Wirtschaftssektoren oder Branchen. Entsprechend werden dann Begriffe wie Agrarpolitik (im Hinblick auf die Landwirtschaft), Industriepolitik (im Hinblick auf den verarbeitenden Sektor) oder Banken- oder Tourismuspolitik verwendet. Dienen diese Massnahmen schliesslich der Unterstützung oder Verhinderung des Strukturwandels, taucht dann und wann auch der Begriff der Strukturpolitik auf. Die Finanzpolitik gehört zwar ebenfalls zur Wirtschaftspolitik, hat aber – wie gezeigt – erhebliche Auswirkungen auf die soziale Stabilität. Die Gestaltung der Staatseinnahmen und -ausgaben beeinflusst die konjunkturelle Entwicklung (in diesem Zusammenhang sprechen wir von Fiskalpolitik). Eine umsichtige Steuerund Haushaltspolitik lässt auch das Ziel des sozialen Ausgleichs nicht ausser Acht. ■■ Sozialpolitik Von Sozialpolitik ist immer dann die Rede, wenn Massnahmen zur Stabilisierung des sozialen Systems ergriffen werden. In erster Linie umfasst dies die oben erwähnten Bereiche der Sozialversicherungen und der Sozialhilfe. Im Zusammenhang mit den Sozialversicherungen taucht dabei manchmal der Begriff der Vorsorge- oder Rentenpolitik auf. Ebenfalls zur Sozialpolitik gehören Fragen der äusseren und inneren Sicherheit; dafür werden Begriffe wie Sicherheits- oder Verteidigungspolitik verwendet. Weitere klassische Felder der Sozialpolitik sind die Familien-, Bildungs-, Drogen- oder Ausländerpolitik. Bei der Ausländerpolitik lassen sich nochmals verschiedene Politikfelder unterscheiden, die sich einer ganz bestimmten Fragestellung widmen: Asylpolitik, Flüchtlingspolitik, Zuwanderungspolitik, Migrations politik oder Ähnliches. Viele sozialpolitische Politikfelder haben jedoch auch Auswirkungen auf das ökonomische System: So ist zum Beispiel die Bildungspolitik ein wichtiges Element der Wachstumspolitik. Dies wird dann besonders deutlich, wenn es nicht mehr um Fragen der Grundbildung (Primar- und Sekundarschule) geht, sondern wenn Fragen im Zusammenhang mit der Berufsbildung oder des Hochschulwesens diskutiert werden. Welche Bildungspolitik schafft die besten Grundlagen für anhaltendes Wachstum und vermindert die Gefahr von Arbeitslosigkeit? ■■ Umweltpolitik Im Bereich der Umweltpolitik gibt es kaum Massnahmen, die ausschliesslich das ökologische System betreffen. Wenn in der Energiepolitik beispielsweise bestimmte Energieträger (z. B. Solarenergie) gefördert und andere verhindert werden sollen (z. B. Kernenergie), so gilt es, die daraus resultierenden Folgen für Wirtschaftswachstum, Preisstabilität, Vollbe-
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schäftigung oder sozialen Ausgleich zu berücksichtigen. Das Gleiche gilt für Entscheidungen im Bereich der Verkehrspolitik. Wenn zum Schutz des Alpenraums dem Gütertransport durch die Bahn klare Priorität vor jenem auf der Strasse gegeben wird, hat dies wirtschafts-, sozialund umweltpolitische Konsequenzen. Selbst in der Ausländerpolitik tauchen neben sozialund wirtschaftspolitischen Argumenten gelegentlich umweltpolitische Fragestellungen auf: Ist das ökologische System der Schweiz in der Lage, neben der heimischen Bevölkerung auch eine grössere Zahl von Zuwanderern zu verkraften? Bei der Verhinderung, Beseitigung oder Übung 4 Verteuerung von Umweltschäden spielen immer auch wirtschafts- und sozialpolitische ÜberAufgabe 3 legungen mit.
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Das haben Sie gelernt
Offene Fragen
Die unterschiedlichen Funktionen des Marktpreises beschreiben Die drei zentralen Aufgaben des Staates in einer Marktwirtschaft nennen Die sieben Ziele der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik beschreiben Gründe aufzählen, warum die sieben Ziele der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik wichtig sind Die verschiedenen Bereiche des politischen Handelns beschreiben
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Diese Begriffe können Sie erklären Preisfunktionen
Ausgeglichener Staatshaushalt
Informationsfunktion
Haushaltsdefizit
Allokationsfunktion (Steuerungsfunktion)
Budgetdefizit
Koordinationsfunktion
Schuldenbremse
Freiheitliche Rechtsordnung
Staatskonsum
Eigentumsgarantie
Sozialer Ausgleich
Vertragsfreiheit
Steuerpolitik
Rechtssicherheit
Direkte / indirekte Steuer
Regulierung / Deregulierung
Progressives Steuersystem
Marktversagen
Sozialversicherung
Externe Kosten
Sozialhilfe
Externer Nutzen
Soziales Netz
Internalisierung externer Kosten
Sozialer Indikator
Öffentliche Güter (Gemeingüter)
Umweltqualität
Wettbewerbsbeschränkungen
Politisches Handeln
Staatsversagen Preisstabilität Teuerung Inflation Deflation Vollbeschäftigung Arbeitslosenquote Wirtschaftswachstum Aussenwirtschaftliches Gleichgewicht Zahlungsbilanz Leistungsbilanz Bilanz der Vermögensübertragungen Kapitalbilanz Aussenwirtschaftspolitik Währungspolitik Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik 23
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Übung 1 Grundlagen unserer Wirtschaftsordnung Welche Aussagen sind richtig (R), welche falsch (F)? Setzen Sie das zutreffende Symbol in das Kästchen und korrigieren Sie die Fehler auf den leeren Linien. a) Eine funktionierende Marktwirtschaft kann nur entstehen, wenn das Gemein eigentum gewährleistet ist.
b) Vertragsfreiheit bedeutet, dass zwei oder mehr Vertragsparteien frei entscheiden können, wie sie ihre Zusammenarbeit oder ihren Tausch gestalten wollen.
c) Rechtssicherheit bedeutet, dass Gesetzesverstösse oder die Nichteinhaltung von Verträgen Konsequenzen haben, die auch durchgesetzt werden können.
d) Die Informationsfunktion von Preisen bildet die Grundlage dafür, dass private Haushalte und Unternehmungen die richtigen Entscheide fällen.
e) Wenn der Staat mit Gesetzen in den Markt eingreift, um übergeordnete gesellschaftliche Ziele anzustreben, handelt es sich um Deregulierung.
f) Allokation bedeutet die Zuordnung von vorhandenen Ressourcen zu einem bestimmten wirtschaftlichen Zweck.
g) Die Allokationsfunktion des Preises sorgt dafür, dass die unüberschaubar g rosse Zahl von Produktions- und Konsumentscheiden innerhalb einer Volkswirtschaft wie von Zauberhand aufeinander abgestimmt werden.
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Übung 2 Marktversagen und öffentliche Güter Die folgenden Auswahlaufgaben enthalten immer zwei Aussagen, die miteinander verknüpft sind. Entscheiden Sie sich jeweils für eine der folgenden Antwortmöglichkeiten und begründen Sie falsche Teilaussagen in wenigen Worten. A +weil+
B +/+
C +/–
D –/+
E –/–
Beide Aussagen richtig, Verknüpfung trifft zu
Beide Aussagen richtig, Verknüpfung trifft nicht zu
Erste Aussage richtig, zweite Aussage falsch
Erste Aussage falsch, zweite Aussage richtig
Beide Aussagen falsch
a) Externe Kosten betreffen vor allem freie Güter, weil freie Güter nicht bewirtschaftet werden können und folglich keinen Marktpreis haben.
b) Öffentliche Güter verursachen externe Kosten, weil sie von vielen gleichzeitig genutzt werden, ohne dass einzelne von der Nutzung ausgeschlossen werden können.
c) Trittbrettfahrer profitieren von Massnahmen, die andere Mitbürger finanziert haben, weil öffentliche Güter nicht von zwei Personen gleichzeitig genutzt werden können.
d) Wenn kein Marktteilnehmer alleine den Preis beeinflussen kann, ergibt sich das beste Preis-Mengen-Verhältnis, weil ein Marktteilnehmer, der den Preis festlegen kann, nach dem maximalen Nutzen für sich selbst strebt.
e) Externe Kosten werden von den Marktteilnehmern getragen, weil sie im ökologischen und sozialen Umfeld eines Marktes entstehen.
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A
B
C
a ) Die Schweiz schliesst ein Freihandelsab kommen mit Indien. Dadurch versprechen sich exportorientierte Unternehmungen höhere Umsätze.
D
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Umweltqualität
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Sozialer Ausgleich
F
Aussenwirtschaftliches Gleichgewicht Ausgeglichener Staatshaushalt
Wirtschaftswachstum
E
Vollbeschäftigung
D
Preisstabilität
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Umweltqualität
B
Sozialer Ausgleich
Wirtschaftswachstum
A
Aussenwirtschaftliches Gleichgewicht Ausgeglichener Staatshaushalt
Vollbeschäftigung
Kreuzen Sie an, auf welche Ziele sich die nachfolgend formulierten Massnahmen vermutlich auswirken werden (Mehrfachnennungen möglich).
Preisstabilität
Übung 3 Welche Ziele sind betroffen?
F
G
f ) Der Steuertarif wird so verändert, dass die Progression zunimmt. g) Das Defizit in der Invalidenversicherung wird mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer ausgeglichen.
b ) Der Staat erhöht die Ansätze für Sozialhilfe empfänger.
h) Der Regierungsrat teilt mit, dass der kantonale Beitrag zur Verbilligung der Krankenkassenprämien reduziert wird.
c ) Die CO2-Abgabe auf fossilen Energieträgern wird erhöht, um den CO2-Ausstoss zu vermindern.
i) Für Schulabgänger, die auch nach dem zehnten Schuljahr noch keine Lehrstelle gefunden haben, wird ein spezielles Berufsvorbereitungsjahr angeboten.
d ) Die Schweizerische Nationalbank garantiert einen bestimmten Mindestkurs des Frankens gegenüber dem Euro, um die Exportindustrie im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig zu halten. e ) Die Schweizerische Nationalbank kündigt an, dass sie in den nächsten Monaten eine restriktive Geldpolitik verfolgen wird, damit die Kaufkraft des Geldes erhalten bleibt.
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Übung 4 Verschiedene Bereiche des politischen Handelns
Agrarpolitik Asylpolitik Aussenwirtschaftspolitik Beschäftigungspolitik Bildungspolitik Energiepolitik
7 8 9 10 11 12
Familienpolitik Fiskalpolitik Flüchtlingspolitik Geldpolitik Sicherheitspolitik Sozialpolitik
13 14 15 16
Strukturpolitik Verkehrspolitik Vorsorgepolitik Zuwanderungspolitik
Politische Aussage a ) Die Schweiz überlegt sich die Anschaffung neuer Kampfflugzeuge. b ) Eine Steuersenkung soll den privaten Konsum stützen, damit die drohende Rezession nicht eintritt. c ) Bis ins Jahr 2030 soll die Schweiz ohne AKW auskommen. d ) Die Schweiz nimmt 2 000 Kriegsopfer aus Syrien auf. e ) Landwirte, die höhere ökologische Auflagen erfüllen, sollen mehr staat liche Unterstützung erhalten als die übrigen. f ) Mit dem Lehrplan 21 wurden die Lehrpläne der Schülerinnen und Schüler in den Deutschschweizer Kantonen besser aufeinander abgestimmt. g ) Mit der Eröffnung des Ceneri Basistunnels als letztem Teilstück der NEAT (Neue Eisenbahn-Alpentransversale) ist die Grundlage für eine Verlagerung des Schwerverkehrs von der Strasse auf die Schiene nach einer gut 20-jährigen Gesamtbauzeit fertiggestellt worden.
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Politische Aussage h) Der Abschluss eines Freihandelsabkommens mit China führt zu einer Öffnung des chinesischen Marktes für Schweizer Produkte und umgekehrt. Ziffer des zutreffenden Begriffs
1 2 3 4 5 6
Ziffer des zutreffenden Begriffs
Ordnen Sie die folgenden Begriffe den richtigen Aussagen zu.
i) Mittels Weiterbildungskursen, Ausbildungspraktika und Bewerbungs kursen sollen die Wiedereingliederungschancen von schlecht qualifizierten arbeitslosen Arbeitskräften verbessert werden. j) Die Schweiz reguliert den Zuzug von ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus Nicht-EU-Ländern mithilfe von Kontingenten. k) Der Kurs des Schweizer Frankens gegenüber dem Euro soll nicht unter den Wert von CHF 1.20 fallen. l) Kinderreiche Familien sollen mit höheren Steuerabzügen finanziell ent lastet werden. m) Menschen, die in ihrer Heimat an Leib und Leben bedroht sind, erhalten in der Schweiz ein Bleiberecht und dürfen hier auch arbeiten. n) Alle Unselbstständigerwerbenden über 25 Jahre müssen zwingend einer Pensionskasse angehören, um besser gegen die Risiken von Tod, Alter oder Invalidität geschützt zu sein. o) Ältere Menschen ohne eigenes Vermögen, deren AHV-Rente nicht ausreicht, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, haben Anspruch auf Ergänzungsleistungen. p) Naturpärke dienen dazu, die Vielfalt der Natur und die Schönheit der Landschaften langfristig zu erhalten und aufzuwerten. Gleichzeitig geben sie wertvolle Impulse für die Stärkung der nachhaltigen Wirtschaft in der betreffenden Region. Damit soll auch der Abwanderung aus ländlichen Regionen in die Städte entgegengewirkt werden.
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Aufgabe 1 Wirtschaftspolitische Eingriffe: Vergleich Schweiz – Venezuela Am 22. 11. 2013 verbreitete die Schweizerische Depeschenagentur folgende Nachricht: Der venezolanische Präsident Nicolás Maduro hat seine neuen Sondervollmachten genutzt und zwei Dekrete1 zur Wirtschaftspolitik erlassen. Am Donnerstagabend (Ortszeit) unterzeichnete er ein Gesetz, das unter anderem die Preise bestimmter Warengruppen senkt. Zudem beschränkt das Gesetz Unternehmensgewinne auf 15 % bis 30 %. «Dieses Gesetz hat das einzige Ziel, die wirtschaftlichen und sozialen Rechte der arbeitenden
Bevölkerung zu schützen», sagte der Staatschef laut Medienberichten bei der Unterzeichnung. Ein zweites Gesetz regelt den Aussen- und Devisenhandel. Am Dienstag hatte die Nationalversammlung das Ermächtigungsgesetz «Ley Habilitante» gebilligt. Maduro kann nun ein Jahr mit Dekreten und ohne Beteiligung des Parlaments regieren. Die Opposition hatte kritisiert, das Gesetz demontiere die Demokratie, die Verfassung und den Rechtsstaat.
c) Welche langfristigen ökonomischen Folgen dürfte die Massnahme haben?
d) Welche anderen Folgen muss Herr Maduro befürchten?
a ) Was bezweckt der venezolanische Präsident mit seinem Dekret? e) Nennen Sie Bereiche, in denen der Staat auch in der Schweiz in die Preisbildung ein greift? Erläutern Sie mögliche Gründe, warum er dies tut.
b ) Welche kurzfristigen ökonomischen Folgen dürfte die von Präsident Maduro verlangte Preissenkung haben?
f ) Was unterscheidet die Markteingriffe in der Schweiz grundsätzlich von den beschrie benen Massnahmen in Venezuela? ▼▼ Hinweis zur Situation in Venezuela Ende 2019 Venezuela befindet sich in einem desolaten Zustand. Dies u. a. aufgrund des politischen Machtkampfes zwischen Regierung und Opposition, der Einflussnahme der Grossmächte, einer Hyperinflation mit wertloser nationaler Währung, hoher Arbeitslosigkeit sowie einer katastrophalen Versorgungssituation. Viele Menschen können in dieser Situation, angesichts leerer Regale in Supermärkten oder fehlender medizinischer Versorgung, sich und ihre Familien schlicht nicht ernähren. Entsprechend steigt die Kriminalität, und viele Venezolanerinnen und Venezolaner fliehen aus purer Not aus ihrer Heimat. Bis Ende 2020 könnten laut einem Bericht der Organisation Amerikanischer Staaten bis 8 Millionen Menschen aus ihrer Heimat geflohen sein.
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Ein Dekret ist ein vom Staatsoberhaupt mit Gesetzeskraft ausgestattetes Dokument.
1
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g ) Vergleichen Sie anhand der folgenden Daten die wirtschaftliche, soziale und ökologische Situation von Venezuela und der Schweiz. Venezuela
2018 Venezuela
Ökonomische Situation:
3 411
BIP (pro Kopf) in USD
– 18,0
Wachstum BIP (real) in %
2,8
Inflation in %
0,9
Arbeitslosenquote in %
4,9
65 3741 35
Import in Mia., USD
275,5
29,2
Export in Mia., USD
309,9
76,2
Ökologische Situation:
– 1,8
Lebenserwartung in Jahren
83,4
Kindersterblichkeit je 1000 Geburten (in %) [2016]
0,4
3,7
CO 2-Ausstoss pro Kopf in Tonnen
4,8
109
Mobiltelefonanschlüsse pro 100 Einwohner
132
6,9
Ausgaben für Bildung in % [2009/2015] des BIP
5,1
0,761
Human Development Index
– 10,3
Veränderung Waldfläche in % (1990 – 2015/2013)
10
– 31
Haushaltssaldo in % des BIP
1,3
182
Staatsverschuldung in % des BIP
28
168
Kein Druckfehler; die Inflationsrate ist tatsächlich unvorstellbar hoch, gemäss IWF gar 1 370 000 %. (Quelle: Zeitoneline 29. Mai 2019)
Wertveränderung der nationalen Währung im Vergleich zum USD innerhalb eines Jahres (in %)
1,6
2 335
1
83 162
17,7 – 337 660
Soziale Situation:
2018 Schweiz
56
Stromverbrauch pro Kopf [2015/2018] in kWh Korruption (Position bei 180 Ländern)
Schweiz Ökonomische Situation:
Soziale Situation:
0,944
Ökologische Situation:
6 771 3
Tötungsdelikte pro 100 000 Einwohner [2016]
0,5
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Aufgabe 2 Korrektur von Marktversagen am Beispiel des Benzinpreises Star-Professor Gunzinger fordert
12 Franken pro Liter Benzin! Ressourcen eine Vorreiterrolle einnehmen», sagt er zu BLICK. Seine Forderungen, die er am Donnerstag auf einer Mitgliederversammlung des VCS in Aarau präsentierte, sind: – Reduktion nicht erneuerbarer Energien um 90 Prozent – Reduktion des CO 2-Ausstosses um 90 Prozent – Schluss mit Subventionen von Energie und Mobilität – Kein Atomstrom Der ETH-Wissenschaftler will die Schweiz zum «energiepolitischen Paradies» machen. Das kostet den Normalverbraucher einiges. «Der faire Preis für einen Liter Benzin liegt bei 12 Franken», sagt Anton Gunzinger (57). Der Mann ist nicht irgendein Spinner. Er ist Professor an der ETH Zürich und Gründer der Firma Supercomputing Systems AG. Die Entwicklung eines superschnellen Computers («Giga Booster») machte den Bauernsohn aus dem Solothurner Jura in der ganzen Welt bekannt. Das renommierte «Time Magazine» kürte ihn 1994 zu einem der hundert wichtigsten Persönlichkeiten des kommenden Jahrhunderts. Heute treibt die Energiestrategie 2050 des Bundes Gunzinger um. Seine Ziele sind alles andere als bescheiden: Er will die Schweiz zum «energiepolitischen Paradies» auf Erden machen. «Wir Schweizer könnten im Umgang mit
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Um diese Ziele umzusetzen, will Gunzinger dort ansetzen, wo es die Menschen am meisten spüren: beim Portemonnaie. «Nur so ist die Wende zu schaffen.» Gunzinger fordert, dass Autofahrer für den verursachten Lärm, für verstopfte Strassen, den CO 2-Ausstoss und den Unterhalt der Strassen einen fairen Preis zahlen müssen. «Wer Ressourcen verschleudert, bezahlt dafür», sagt Gunzinger. Und zwar nicht zu knapp, denn sonst nützt es in der reichen Schweiz nichts. «Die Energie muss massiv teurer werden, damit die Menschen ihr Verhalten ändern», sagt Gunzinger. Laut dem ETH-Professor soll sich der Literpreis Benzin bis zum Jahr 2025 auf 11.62 Franken verteuern. Dies entspricht mehr als dem Sechsfachen des heutigen Preises an der Zapfsäule. Die Folge wäre, dass Automobilisten unnötige Fahrten reduzieren und nicht mehr alleine mit dem Fahrzeug an die Arbeit fahren. Manche würden wohl auch ganz aufs
Auto verzichten oder auf Elektro- und Hybridfahrzeuge umsteigen. Profitieren soll, wer die Ressourcen schont. Sechs Franken pro Liter Benzin sollen direkt der Bevölkerung zugut kommen. Mit den übrigen Mehreinnahmen sollen die Steuern gesenkt werden.
«Energieverschwender wie OffroaderFahrer werden zur Kasse gebeten», sagt Gunzinger. Für den durchschnittlichen Energieverbraucher soll sich aber nichts ändern. «Unter dem Strich werden alle profitieren», verspricht Gunzinger. Quelle: www.blick.ch (05.04.2013)
Der ETH-Professor Anton Gunzinger hat sich zum Ziel gesetzt, den Ressourcenverbrauch der Schweizerinnen und Schweizer in den nächsten Jahrzehnten massiv zu senken. Bei seinen Überlegungen steht neben dem Strom- und Wärmeverbrauch die Mobilität im Mittelpunkt. Er plädiert unter anderem dafür, dass der Preis für einen Liter Benzin um den Faktor 6 und – im obenstehenden Artikel nicht erwähnt – der Preis für ein Generalabonnement der SBB um den Faktor 2 angehoben wird. Seines Erachtens sind die Benzin- und Billettpreise heute zu billig, weil für die Nutzung der sogenannten Gemeingüter 1 – das sind Güter, die allen gehören, wie z. B. Luft oder Ruhe – nichts bezahlt werden muss. Als Folge davon wird das Gut «Mobilität» zu stark genutzt. ■■ Tabelle 1: Nicht gedeckte Kosten für die Nutzung von Gemeingütern (pro Jahr) 2 Mia. CHF
pro Einwohner (in CHF)
Luft bzw. Luftverschmutzung
27.0
3 553
Ruhe bzw. Lärmbelästigung
20.0
2 631
Raum bzw. Bodenverbrauch
23.2
3 053
Sicherheit, d. h. Rückstellung zur Deckung eines grossen Schadenereignisses (z. B. AKW Super-GAU 3)
5.2
684
Total nicht gedeckte Kosten
75.4
9 921
In der Theorie (auf Seite 6) sprechen wir in solchen Fällen von «Öffentlichen Gütern».
1 2
Quelle für beide Tabellen: www.scs.ch; teilweise sprachlich angepasst
3
GAU = grösster anzunehmender Unfall
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a ) Begründen Sie, weshalb – gemäss Prof. Gunzinger – jeder Einwohner für den Gemein gutverbrauch eine Nutzungsgebühr von knapp CHF 10 000.– entrichten müsste.
b) Welche Kostenanteile aus Tabelle 1 werden von Gunzinger gemäss Tabelle 2 nicht vollumfänglich der Automobilität belastet? Begründen Sie Ihre Antwort.
Gemäss Anton Gunzinger kann nur mit einer massiven Preiserhöhung eine Verhaltensveränderung erreicht werden. Im Gegenzug sollen allerdings rund die Hälfte des Benzinpreises gleichmässig verteilt an die Bevölkerung zurückfliessen und die Steuern um 20 % gesenkt werden.
c) Wie teuer müsste ein Liter Benzin sein, damit die Automobilisten wenigstens die unmittelbar verursachten Kosten (also ohne die Nutzung der Gemeingüter) tragen würden? Welchen Anteil davon deckt der aktuelle Benzinpreis tatsächlich?
Seine Berechnungen stützen sich auf Daten gemäss der folgenden Tabelle: ■■ Tabelle 2: Kosten der Automobilität pro Jahr Kosten insgesamt (Mia. CHF)
pro Liter (in CHF)
Importkosten Benzin
5.2
0.69
Investitionen Strasse (abgedeckt über die Mineralölsteuer)
8.3
1.11
Unterhalt Strasse (abgedeckt über allgemeine Steuern)
14.9
2.00
Unfälle (abgedeckt durch die Unfallversicherung)
5.0
0.67
Luft bzw. Luftverschmutzung
10.4
1.39
Ruhe bzw. Lärmbelästigung
20.0
2.67
Raum bzw. Bodenverbrauch
23.2
3.09
d) Welche ökonomischen, sozialen und ökologischen Folgen hat es, wenn der Auto mobilverkehr nicht die gesamten Kosten deckt, die er verursacht?
1.80
Benzinpreis heute
Benzinpreis zur Deckung sämtlicher Kosten
11.62
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Aufgabe 3 Bereiche politischen Handelns am Beispiel eines Koalitionsvertrags Im Unterschied zur Schweiz werden die meisten demokratisch geführten Staaten von einer Gruppe von Parteien regiert, die sich vor Regierungsantritt auf ein gemeinsames Programm einigen. Man spricht dann von einer Koalitionsregierung. Üblicherweise dokumentieren die Parteien ihre Zusammenarbeit in einem Koalitionsvertrag. Jene Parteien, die nicht in der Regierung vertreten sind, heissen Oppositionsparteien, weil sie gegensätzliche Positionen vertreten und das Programm der Regierungspartei nicht gutheissen. Im März 2018 schlossen die drei grössten deutschen Parteien CDU, CSU und SPD einen 177-seitigen Koalitionsvertrag für eine Zusammenarbeit bis 2021. Die Zeitung «Die Zeit» fasste den Inhalt in folgenden Programmpunkten zusammen (Ausschnitt). 1 Das erste Kapitel des Vertrags dreht sich um Europa. Union1 und SPD erklären sich bereit, zusätzliche Haushaltsmittel auszugeben, um langfristig einen europäischen Investivhaushalt2 zu schaffen, der zu wirtschaftlicher Stabilisierung und sozialer Konvergenz3 beitragen soll. [...] So soll zum Beispiel die Jugendarbeitslosigkeit in Europa bekämpft werden. 2 Neue Schulden will die Bundesregierung auch in den kommenden Jahren nicht machen. Trotzdem sollen Steuern gesenkt werden: Ab 2021 soll der Solidaritätszuschlag4 abgebaut werden. Dafür sollen in einem ersten Schritt zehn Milliarden Euro bereit gestellt werden. 3 Nun soll [...] eine Kommission eingesetzt werden, die Vorschläge für eine Reform der Arzthonorare erarbeiten soll. [...] Vereinbart wurde zudem ein «Sofortprogramm», um die Leistungen und den Zugang zur Versorgung für gesetzlich Versicherte zu verbessern. Ausserdem soll die medizinische Versorgung auf dem Land gestärkt werden. 4 Mit einem Sofortprogramm sollen 8000 zusätzliche Stellen in Pflegeheimen geschaffen werden. Die Bezahlung von Alten- und Krankenpflegern soll verbessert werden, indem Tarifverträge5 künftig leichter für allgemeinverbindlich erklärt werden können.
Als Union bezeichnet man die beiden Parteien CDU und CSU zusammen.
1 2
«EU-Staatsrechnung» mit Investitionen (Ausgaben), die längerfristig einen Nutzen stiften sollen (als Abgrenzung zur «laufenden Staatsrechnung», welche die laufenden Ausgaben eines Jahres enthalten).
3
(soziale) «Annäherung» (zwischen den unterschiedlichen Situationen innerhalb der EU).
4
= Ergänzungsabgabe: dient seit 1995 mehrheitlich zur Finanzierung der Mehrbelastungen und Kosten der deutschen Einheit (Integration der sogenannten «neuen Bundesländer» der ehemaligen DDR in die BRD).
5
«Gesamtarbeitsverträge» (nach deutschem Recht) zwischen den «Tarifpartnern» (in der Schweiz «Sozialpartner»).
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5 Union und SPD wollen das Rentenniveau – also das Verhältnis der Standardrente zum Durchschnittslohn – bis 2025 bei 48 Prozent stabilisieren. Nach bisherigen Prognosen ist mit einem Absinken allerdings ohnehin erst in den Jahren danach zu rechnen. Der Beitragssatz soll im selben Zeitraum nicht über 20 Prozent steigen. 6 Bis zuletzt stritten die Koalitionspartner über die Abschaffung von sachgrundlosen Befristungen1. Deren Dauer soll nun gesetzlich auf 18 statt bisher 24 Monate begrenzt werden. Abhängig von der Unternehmensgrösse soll zudem nur noch eine bestimmte Anzahl von Befristungen gestattet sein. 7 Das Kindergeld wird um 25 Euro im Monat erhöht, die Kinderfreibeträge steigen entsprechend. […] Für besonders bedürftige Kinder wird der Kinderzuschlag erhöht. 8 Rund elf Milliarden Euro sollen in den kommenden vier Jahren in Bildung und Forschung investiert werden. Schulen sollen eine bessere digitale Ausstattung bekommen und die Ganztagsbetreuung soll ausgebaut werden. Die Ausgaben für Forschung sollen bis 2025 auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts steigen. Geplant ist auch eine Bafög2-Reform mit einem Umfang von einer Milliarde Euro. 9 In den kommenden vier Jahren sollen 1,5 Millionen Wohnungen zusätzlich gebaut werden. Dies soll einerseits über eine Förderung des sozialen Wohnungsbaus sowie über steuerliche Anreize für Bauherren erreicht werden. Durchgesetzt hat sich die Union mit ihrer Forderung nach einem Baukindergeld: Familien, die sich eine Immobilie kaufen, werden zehn Jahre lang mit 1200 Euro pro Kind gefördert. 10 Die Sicherheitsbehörden sollen aufgestockt werden. Union und SPD planen mit 15 000 zusätzlichen Stellen […]. Die Befugnisse der Bundespolizei sollen gestärkt werden. Ausserdem sollen 6000 neue Stellen in der Justiz geschaffen werden. […] Die Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen soll «verhältnismässig» ausgebaut werden. 11 Künftig soll die Zahl der jährlich neu nach Deutschland kommenden Flüchtlinge und ihrer Familienangehörigen auf 220 000 begrenzt werden. […] Ausserdem wollen Union und SPD mit einem Einwanderungsgesetz den Zuzug von qualifizierten ausländischen Fachkräften fördern. Dieser soll sich orientieren am «Bedarf unserer Volkswirtschaft, Qualifikation, Alter, Sprache sowie Nachweis eines konkreten Arbeitsplatzes». 12 Künftig soll es überall schnelles Internet geben. Bis 2025 versprechen Union und SPD den flächendeckenden Ausbau mit Gigabit-Netzen. Ab dann soll es auch einen Rechtsanspruch auf schnelles Internet geben. Eine nach deutschem Recht mögliche besondere Art eines befristeten Arbeitsvertrags.
1
2
Umgangssprachlich: die staatliche Unterstützung, die Schülerinnen und Studenten (Bafög Bundesausbildungs förderungsgesetz)
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13 […] Um wenigstens die [Klima-] Ziele für 2030 einzuhalten, soll gesetzlich festgeschrieben werden, wie viel CO2 die unterschiedlichen Wirtschaftssektoren in den kommenden Jahren einsparen müssen. Der Anteil der erneuerbaren Energien soll bis 2030 auf 65 Prozent steigen. Der Ausstieg aus der Braunkohle soll mit einem 1,5 Milliarden schweren Fonds unterstützt werden, um den Strukturwandel in den betroffenen Regionen abzufedern. 14 Union und SPD haben sich darauf geeinigt, sowohl für Verteidigung als auch für Entwicklungshilfe mehr Geld auszugeben. Von 2018 bis 2021 sollen zusätzliche Haushaltsspielräume dazu genutzt werden, Verteidigungs- und Entwicklungshilfeausgaben zu erhöhen, und zwar im Verhältnis 1 : 1. a ) Nennen Sie in der untenstehenden Tabelle bei jedem Programmpunkt des Koalitionsvertrags eine gebräuchliche Bezeichnung für den betreffenden Bereich politischen Handelns. Verwenden Sie dazu die folgende Liste. Arbeitspolitik Aussenwirtschaftspolitik Bildungspolitik Energiepolitik Entwicklungspolitik Finanzpolitik
Gesundheitspolitik Gleichstellungspolitik Infrastrukturpolitik Justizpolitik Konsumentenpolitik Migrationspolitik
b) betroffenes System sozial
ökonomisch ökologisch
6 7 8 9 10
Sicherheitspolitik Sozialpolitik Steuerpolitik Verkehrspolitik Verteidigungspolitik
11 12
b ) Bestimmen Sie bei jedem Programmpunkt, ob er in erster Linie auf das soziale, das ökonomische oder das ökologische System einwirkt. a) Politikbereich
a) Politikbereich
13 14
b) betroffenes System sozial
ökonomisch ökologisch
1 2 3 4 5
Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik 33
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