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Rechtsquellen und Verhaltensregeln
Weil nicht alle Menschen den gleichen Sachverhalt gleich beurteilen, brauchen wir verbindliche Regeln, um unser Zusammenleben zu organisieren. Vielfach sagt uns unsere innere Stimme, was richtig oder falsch ist. Manchmal helfen auch überlieferte Wertvorstellungen, um uns in einer Situation richtig zu verhalten. Wenn aber Konflikte weder mit gegenseitigen Vereinbarungen noch in klärenden Gesprächen gelöst werden können, bietet die staatliche Rechtsordnung standardisierte Regelungen, um offene Fragen – notfalls durch ein Gericht – zu entscheiden. Die Vielzahl der Rechtsvorschriften, die neben Sitte und Moral unser Zusammenleben regeln, bildet die Rechtsordnung. Ein Überblick über den gesamten Bereich soll uns helfen, bei konkreten Fragen die zutreffenden Vorschriften im massgebenden Rechtserlass zu finden.
Theorie 7.1 7.2 7.3 7.4
Übungen
Recht schafft Sicherheit ..................................................................................... Rechtsquellen – woran halten sich die Gerichte? ................................................ Gliederung des Rechts ....................................................................................... Moral, Sitte und Recht ....................................................................................... Das haben Sie gelernt ........................................................................................ Diese Begriffe können Sie erklären .....................................................................
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Rechtsquellen ...................................................................................................... Öffentliches oder privates Recht? .......................................................................... Absolute und relative Rechtsansprüche ................................................................. Moral, Sitte oder Recht ........................................................................................
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Aufgaben 1 2 3 4
Was zeichnet einen Rechtsstaat aus? .................................................................... Konflikte und entsprechende Rechtsgrundlagen ................................................... «Vom Umgang unter Eheleuten» ......................................................................... Was bestimmt unser Verhalten? ...........................................................................
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7.1 Recht schafft Sicherheit Rechtsvorschriften sollen das Zusammenleben der Menschen sinnvoll «regeln» und in die vielen täglich ablaufenden Geschäfte eine gewisse Sicherheit bringen. Mit Rechtsvorschriften versuchen wir, Konflikte gar nicht erst entstehen zu lassen, indem verschiedenste Vorgänge im Leben von vornherein geregelt werden. So sind z. B. in einem Arbeitsvertrag bereits vor Arbeitsantritt viele mögliche Streitpunkte geregelt. Wenn doch Konflikte entstehen, sollen diese mithilfe der Rechtsvorschriften möglichst einvernehmlich geklärt werden können. Falls keine gegenseitig akzeptierte Lösung möglich wird, zeigt die Rechtsordnung das Verfahren auf, wie Konflikte durch unabhängige Gerichte beurteilt und schliesslich durch einen Richterspruch entschieden werden können. Recht muss nach unserem allgemeinen Dafürhalten «gerecht» sein. Doch was heisst das? Seit römischen Zeiten gilt in unserem Kulturkreis die Justitia als Symbol der Gerechtigkeit. Mit «verbundenen Augen» soll die Rechtsanwendung unabhängig vom Ansehen der Parteien geschehen, d. h., die Richterin soll unparteiisch entscheiden und alle Menschen gleich behandeln. «Gerechtigkeit» ist allerdings ein vielJustitia ist die römische Göttin der schichtiger Begriff: Objektiv betrachtet, ist GeGerechtigkeit und des Rechtswesens. rechtigkeit nämlich dann gegeben, wenn alle Menschen gleich behandelt werden. Weil wir Menschen jedoch in natürlicher und sozialer Hinsicht Unterschiede aufweisen, ist bei der gerechten Beurteilung von Situationen auch die Berücksichtigung dieser Unterschiede notwendig. Die Balkenwaage steht für das sorgfältige Abwägen der Sachverhalte in der Situation und einen ausgewogenen Schuldspruch. Dafür muss die Justiz den konkreten Sachverhalt eines Konfliktes möglichst genau erfassen. Die Waage kann auch als Symbol dafür angesehen werden, dass Gleiches gleich behandelt werden soll. Dieser Anspruch ist nicht einfach zu erfüllen. Erstens müssen die Tatbestände möglichst genau definiert werden, damit entschieden werden kann, wann ein gleicher Tatbestand vorliegt und wann ein ungleicher. Zweitens wandeln sich die Gerechtigkeitsvorstellungen in einer Gesellschaft mit der Zeit. Und drittens stellt sich die Frage, wann eine Rechtsnorm vom Inhalt her tatsächlich gerecht ist. Diese Frage ist von Werturteilen abhängig und deshalb häufig umstritten.
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In ihrer rechten Hand hält die Justitia ein Schwert als Symbol für die Strafgewalt. Das Recht soll von der Staatsgewalt durchgesetzt und (speziell in einem Strafprozess) die schuldige Partei bestraft werden. Während nach Gerechtigkeitsüberlegungen jeder Fall nach der gleichen Regel entschieden werden muss, sollte es dem Gericht aber auch möglich sein, dem Einzelfall Rechnung zu tragen. Dadurch können einerseits künftige Entwicklungen besser berücksichtigt werden; andererseits erlaubt der Freiraum des Richters, in Rechtsnormen auf die allzu detaillierte Regelung von Sonderfällen zu verzichten. Im Weiteren müssen Rechtsvorschriften klar sein und die rechtlichen Konsequenzen erkennen lassen, damit Rechtssicherheit erzielt wird. Allgemein formulierte Rechtsvorschriften sind zweckmässig, weil sie für viele verschiedene Sachverhalte angewandt werden können. Aufgabe 1
7.2 Rechtsquellen – woran halten sich die Gerichte? ■ Verschiedene Rechtsquellen ■ Grundsätzlich stützt man sich in einer Rechtsangelegenheit auf das geschriebene Recht, das die dominierende Rechtsquelle darstellt. Meistens stehen allerdings in einem konkreten Fall gleichzeitig auch noch weitere Rechtsquellen zur Verfügung, die in unterschiedlichem Masse zu einem Entscheid beitragen können. ■ In allen menschlichen Gemeinschaften haben sich im Laufe der Geschichte Gewohnheiten (= Gewohnheitsrecht) eingebürgert, die auch ohne schriftliche Fixierung allgemein anerkannt werden. In einzelnen Bestimmungen des Zivilgesetzbuches und des Obligationenrechts wird ausdrücklich auf die «Übung» und den « Ortsgebrauch» verwiesen. Damit wird das an einem bestimmten Ort oder in einem bestimmten Berufszweig übliche Verhalten in einer bestimmten Situation umschrieben. ■ In einem Rechtsstaat sollen ähnliche Fälle durch die Rechtsprechung ähnlich beurteilt werden. Manchmal bilden frühere Gerichtsentscheide deshalb einen «Vorentscheid» Präjudiz). Je höher die für ähnliche, zukünftige Fälle (Juristen sprechen dann von einem Präjudiz Gerichtsinstanz, die ein Urteil gefällt hat, desto grösser ist dessen Wirkung auf zukünftige Entscheide. In der Schweiz stehen Bundesgerichtsentscheide (BGE) an oberster Stelle. ■ Gerichte stützen sich vielfach auf die Meinung von Rechtsgelehrten in Gesetzeskommentaren und Fachzeitschriften. Wir sprechen dann von der Lehre (Rechtswissenschaft) als Rechtsquelle. Kein Rechtsfall ist gleich wie der andere; ebenso ist keiner eindeutig zu lösen, sonst wären die Gerichte überflüssig. Deshalb müssen Sachverhalte geklärt, Beweise und Aussagen in ihrer Bedeutung gewichtet werden, um zu einem fairen Urteilsspruch zu gelangen. Dabei ist der gesunde Menschenverstand die wichtigste Quelle des Rechts.
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■ Rangordnung des geschriebenen Rechts
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7.3 Gliederung des Rechts
Wichtigste Rechtsquelle ist das geschriebene Recht, das hierarchisch in Verfassungen, Gesetzen und Verordnungen zusammengefasst ist. «Hierarchische Gliederung» bedeutet, dass zwischen den einzelnen Ebenen ein Über- bzw. Unterordnungsverhältnis besteht. Bei der Rangfolge der Rechtsvorschriften gilt die folgende Regel: Verfassungsstufe geht Gesetzesstufe vor, und Gesetze gehen Verordnungen vor.
Die Gesamtheit aller Rechtsvorschriften wird in zwei grosse Bereiche gegliedert: Im öffentlichen Recht werden die Organisation und die Tätigkeit des Staates geregelt. Es bestimmt die Rechte und Pflichten der Bürgerinnen und Bürger sowie die Beziehungen der Staaten untereinander. Auch die Bestrafung durch den Staat bei Verstössen gegen allgemeine Verhaltens- und Verfahrensvorschriften ist in diesem Bereich geregelt.
■ Auf Verfassungsstufe sind die grundlegenden Vorschriften über die wichtigsten Rechte und Pflichten der Bürger und den Aufbau des Staates festgelegt. Über einen Verfassungsartikel muss in jedem Fall eine Volksabstimmung stattfinden. ■ Gesetzesstufe – Gesetze dienen der näheren Ausführung der einzelnen Verfassungsartikel. Im Normalfall werden Gesetze durch das Parlament festgelegt. In einigen Fällen kann es auch zu einer Volksabstimmung kommen. ■ Verordnungen (und Reglemente) regeln die in Verfassung und Gesetzen vorgesehenen Detailbestimmungen. Sie werden von der Regierung erlassen.
Recht
Mit der Schaffung des Bundesstaates 1848 übernahm der Bund von den Kantonen einzelne Staatsaufgaben (z. B. die Aussen- und Sicherheitspolitik, das Münz- und Zollwesen). Im Laufe der Zeit wurden die Aufgaben des Bundes immer mehr ausgedehnt. Gemäss Artikel 3 der Bundesverfassung gilt aber auch heute noch die Regel, dass die Kantone für alle Aufgaben zuständig sind, die nicht der Bundesgewalt übertragen sind (Subsidiaritätsprinzip). Jeder Schweizer Kanton hat eine eigene Verfassung, ein eigenes Parlament, eine eigene Regierung und auch eigene Gerichte. Aufgrund des föderalistischen Staatsaufbaus der Schweiz sind die Bezeichnungen der Kantonsgerichte, die Zuständigkeiten und die Verfahren in den verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedlich geregelt. Wesentliche Tätigkeitsbereiche der Kantone sind neben der Rechtsprechung das Gesundheits- und Schulwesen. In vielen Bereichen ist der Kanton auch zuständig für die Umsetzung von Bundesgesetzen und weitere vom Bund übertragene Verwaltungsaufgaben (z. B. im Bereich AHV oder Militär). Die Kantone erheben zur Finanzierung ihrer Staatsaufgaben selbstständig Steuern. Deshalb finden wir von Kanton zu Kanton verschiedene Steuergesetze. Die Aufgaben und Befugnisse der Gemeinden sind in den Gemeindeordnungen und -reglementen geregelt. Die Gemeinden haben, wie die Kantone, selbstständige Aufgaben (z. B. Kehrichtabfuhr, Feuerwehr, Wasser-, Gas- und Elektrizitätsversorgung, Gewässerschutz, Kulturpolitik). Daneben erfüllen sie auch Aufgaben in Vertretung des Bundes oder der Kantone, wie z. B. die Führung der Einwohnerkontrolle, das Schulwesen oder die Tätigkeiten der Steuerämter. Sie können für ihr Gebiet allerdings nur Recht erlassen, soweit sie vom Kanton dazu befugt sind. Aus der föderalistischen Struktur unseres Staates ergibt sich somit folgende Ergänzung zur Rangfolge der Rechtsvorschriften: Bundesrecht (gleich welcher Stufe) geht kantonalem Übung 1 Recht vor; kantonales Recht geht Gemeinderecht vor.
Öffentliches Recht
Privatrecht
Formelles Recht
Materielles Recht
Prozessrecht
Zivilgesetzbuch
Vollstreckungsrecht
Obligationenrecht
Materielles Recht
Spezialgesetze
Staatsrecht Verwaltungsrecht Strafrecht Völkerrecht
Im Zusammenhang mit der Gliederung des öffentlichen Rechts ist zudem die Unterscheidung zwischen materiellem und formellem Recht wichtig. ■ Materielles Recht beschreibt den Inhalt und die Voraussetzungen von rechtlichen Ansprüchen (Recht «haben»). ■ Die Regeln des formellen Rechts dienen der Umsetzung des materiellen Rechts (Recht «bekommen»). Sie lassen sich unterteilen in Regeln über die Behördenorganisation (d. h. die Zuständigkeiten), das Prozessrecht (in dem die Verfahren festgehalten werden) und das Vollstreckungsrecht (das die zwangsweise Durchsetzung einer Rechtspflicht regelt). Übung 2
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Beispiele für Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts: Staatsrecht
enthält die Aufgabenverteilung des Staates sowie die Rechte und Pflichten der Bürgerinnen und Bürger. ■ Bundesverfassung (BV) ■ Kantonsverfassungen der 26 Kantone
Verwaltungsrecht
befasst sich mit den Rechtsbeziehungen zwischen den staatlichen Behörden und den Bürgern. Da der Staat immer mehr Aufgaben erfüllt, bildet das Verwaltungsrecht den umfangreichsten Teil der schweizerischen Rechtsordnung. ■ Steuerrecht ■ Zollgesetze ■ Strassenverkehrsgesetz, Bauvorschriften ■ Öffentliche Fürsorge und Sozialversicherungen ■ Schulgesetze ■ Gesetze über öffentliche Unternehmungen (z. B. Kantonalbankgesetze)
Strafrecht
umschreibt strafbare Handlungen, Strafmass und Strafvollzug. ■ Strafgesetzbuch (StGB)
Völkerrecht
befasst sich mit den Beziehungen zwischen Staaten. ■ Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)
Prozessrecht
umfasst Vorschriften über das Verfahren vor staatlichen Gerichten. ■ Strafprozessrecht Verurteilung und Bestrafung von Angeklagten ■ Verwaltungsprozessrecht Streitigkeiten zwischen staatlichen Behörden und Bürgern ■ Zivilprozessrecht Streitigkeiten zwischen Privatpersonen
Vollstreckungsrecht
enthält Vorschriften über die zwangsweise Durchsetzung der staatlichen Rechtsordnung, z. B. die Vollstreckung von Strafurteilen durch den Strafvollzug. ■ Gesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) Eintreibung von Geldforderungen
Das Privatrecht regelt die rechtlichen Beziehungen zwischen Einzelpersonen sowie zwischen Personengruppen (z. B. Unternehmungen) und Einzelpersonen. Ob persönliche Rechtsansprüche verfolgt werden oder nicht, überlässt der Staat den Beteiligten nach dem Grundsatz «Ohne Kläger – kein Richter». Auch das Privatrecht gliedert sich in mehrere Teilgebiete. Im Vergleich zum öffentlichen Recht ist die Orientierung im Privatrecht einfacher, da die grundlegendsten Vorschriften in einem Gesetzbuch, dem Zivilgesetzbuch (ZGB), enthalten sind.
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Beispiele für Rechtsvorschriften des privaten Rechts: Zivilgesetzbuch (ZGB)
regelt fast sämtliche Gebiete, in denen wir Privatpersonen uns – «von der Wiege bis zur Bahre» – bewegen. Im Zivilgesetzbuch werden in 5 Teilen die folgenden Gebiete geregelt: Teil 1: Personenrecht Teil 2: Familienrecht Teil 3: Erbrecht Teil 4: Sachenrecht
Obligationenrecht (OR)
Teil 5: Das OR bildet den 5. Teil des ZGB, ist aber ein selbstständiges Buch mit eigener Nummerierung, das nochmals 5 Kapitel (= Abteilungen) umfasst. 1. Abteilung: Allgemeine Bestimmungen 2. Abteilung: Die einzelnen Vertragsverhältnisse 3. Abteilung: Handelsgesellschaften und Genossenschaften 4. Abteilung: Handelsregister, Geschäftsfirma und kaufmännische Buchführung 5. Abteilung: Wertpapiere
Beispiele für Spezialgesetze
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Versicherungsvertragsgesetz Transportrecht (Eisenbahnen, Schiffe, Flugzeuge) Geistiges Eigentum (Urheberrecht, Erfindungsrecht) Bankengesetz Kartellrecht (Vorkehrungen gegen Wettbewerbsbehinderungen) Gesetz über den unlauteren Wettbewerb (UWG)
In einigen Gesetzen kommen sowohl Vorschriften des öffentlichen Rechts wie auch privatrechtliche Regelungen vor (z. B. beim Strassenverkehrsgesetz oder beim Gesetz über Unternehmungszusammenschlüsse, dem Kartellgesetz). Es ist deshalb nicht in jedem Fall möglich, ein Gesetz eindeutig dem öffentlichen oder dem privaten Recht zuzuordnen. Für eine erste Orientierung ist die Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht jedoch sinnvoll, weil im privaten Recht Gestaltungsmöglichkeiten bestehen und sich je nach Rechtsgebiet verschiedene Verfahrensabläufe ergeben. ■ Verschiedene Arten von Rechtsansprüchen Wer ein Recht geltend machen will, muss sich darüber klar werden, ob dieses Recht gegenüber jedermann besteht oder nur gegenüber einem bestimmten Personenkreis. Diese Unterscheidung ist in der Praxis wichtig, weil daraus abgeleitet wird, gegen wen ein RechtsanAufgabe 2 spruch gegebenenfalls durchgesetzt werden muss.
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■ Absolute Rechtsansprüche kennzeichnen sich dadurch, dass sie gegen alle Personen durchsetzbar sind. Wichtige absolute Rechtsansprüche sind die Eigentums- und Persönlichkeitsrechte. Die gesetzliche Grundlage der Eigentumsrechte steht im Art. 641 des Zivilgesetzbuches: Art. 641 ZGB 1 Wer Eigentümer einer Sache ist, kann in den Schranken der Rechtsordnung über sie nach seinem Belieben verfügen. 2 Er hat das Recht, sie von jedem, der sie ihm vorenthält, herauszuverlangen und jede ungerechtfertigte Einwirkung abzuwehren. Die Rechte an Sachen werden im 4. Teil des ZGB, dem Sachenrecht, geregelt. Das geistige Eigentum, wie Erfindungen, Musikstücke oder Bücher, wird in speziellen Gesetzen geregelt. Die Grundlage der Persönlichkeitsrechte ist in Art. 28 des Zivilgesetzbuches festgehalten: Art. 28 ZGB Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen. 2 Eine Verletzung ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist.
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■ Relative Rechtsansprüche gelten aufgrund bestimmter Sachverhalte nur gegenüber einzelnen natürlichen oder juristischen Personen. Zu den relativen Rechtsansprüchen zählen vertragliche Rechte, das Recht auf Schadenersatz aus unerlaubter Handlung, der Anspruch auf Rückerstattung, wenn sich jemand ungerechtfertigt bereichert hat, sowie familienrechtliche Unterstützungspflichten. Die gesetzlichen Grundlagen zu den einzelnen relativen Rechtsansprüchen finden sich im Zivilgesetzbuch und im Obligationenrecht. Relative Rechtsansprüche aus einem Vertrag basieren auf Art. 1 OR: Art. 1 OR 1 Zum Abschlusse eines Vertrages ist die übereinstimmende gegenseitige Willensäusserung der Parteien erforderlich. Die konkreten Ansprüche leiten sich schliesslich aus der ersten Abteilung «Allgemeine Bestimmungen» und der zweiten Abteilung «Die einzelnen Vertragsverhältnisse» des OR ab. Beispiel: Eine Arbeitnehmerin kann ihren Lohnanspruch auf der Basis eines Einzelarbeitsvertrags nur gegenüber ihrer Arbeitgeberin geltend machen.
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Zu den Persönlichkeitsrechten gehören neben dem Recht auf Privatsphäre unter anderem auch das Recht auf Leben, auf körperliche und seelische Unversehrtheit sowie das Namensrecht und das Firmenrecht. Verletzungen dieser absoluten Rechte können neben den zivilrechtlichen auch strafrechtliche Folgen haben. Das Strafgesetzbuch enthält Rechtsvorschriften über strafbare Handlungen gegen das Eigentum (Diebstahl, Entwendung, Raub, Veruntreuung usw.) oder gegen die Ehre und den Geheim- oder Privatbereich (üble Nachrede, Verleumdung, Beschimpfung, Abhören und Aufnehmen fremder Gespräche).
Der relative Rechtsanspruch auf Schadenersatz basiert auf Art. 41 OR (Verschuldenshaftung) oder auf sogenannten Kausalhaftungsgründen, die in anderen OR-Artikeln oder in Spezialgesetzen genannt werden. Art. 41 OR 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet. Beispiele: Ein Jugendlicher ist mit dem Scooter unterwegs auf einem Trottoir und fährt dabei über den Fuss einer Fussgängerin. Die Schadenersatzforderung richtet sich gegen den jungen Erwachsenen (Verschuldenshaftung). Nach einigen schneereichen Tagen rutscht eine Schneelawine vom Dach eines Mehrfamilienhauses und beschädigt ein Auto, das auf einem öffentlichen Parkplatz steht. Der Schadenersatz muss gegenüber dem Hauseigentümer geltend gemacht werden (Kausalhaftung). Übung 3
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7.4 Moral, Sitte und Recht Das Zusammenleben in einer Gesellschaft muss nicht zwingend durch Gebote und Verbote geregelt werden. In vielen Situationen verhält man sich aufgrund von eigenen Moralvorstellungen oder weil in unserer Gesellschaft gewisse Sitten und Gepflogenheiten gelten. Es braucht demnach nicht alles durch Rechtsvorschriften geregelt zu werden. Was in einer bestimmten Situation richtig oder falsch ist, lässt sich also nicht immer mithilfe von Rechtsquellen klären. ■ Moral – was halte ich für richtig? «Angenommen, Sie sind über 18 Jahre alt und werden von einem 17-jährigen (sympathisch auftretenden) Kollegen gefragt, ob Sie nicht für ihn im nahegelegenen Tankstellenshop eine Flasche Wodka kaufen würden. Ihm selber sei das verwehrt, da hochprozentige Spirituosen an Jugendliche erst ab 18 Jahren verkauft würden. Was antworten Sie?» Es geht hier um eine Frage der Moral. Finden Sie es richtig, dass Jugendliche vor dem Konsum von hochprozentigem Alkohol geschützt werden? Vielleicht geraten Sie gar in einen Zielkonflikt: Sie wissen zwar um das Verkaufsverbot und können dieses auch grundsätzlich unterstützen; Sie wollen aber andererseits gegenüber der 17-jährigen Person nicht als «grantige / r Erwachsene / r» dastehen. Moralvorstellungen im Sinne von inneren Einstellungen, von eigenen Wertvorstellungen über gut und böse, richtig oder falsch haben ihren Ursprung häufig in einer Religion oder einer philosophischen Weltanschauung. Solche Werte werden uns im Laufe des Erwachsenwerdens von unseren Eltern und der Schule vermittelt. Eine Verletzung der eigenen Moralvorstellungen wird zwar von niemandem geahndet, in den meisten Fällen führt aber ein Verstoss gegen die eigenen, persönlichen Verhaltensregeln zu einem «schlechten Gewissen». ■ Sitten – was erwartet die Gesellschaft? «Frederic Berger, der Lernende aus dem ersten Lehrjahr, benimmt sich am Jahresessen der Abteilung etwas daneben. Zum einen werden die Pommes im ‹McDonald’s-Stil› von Hand gegessen; zum andern hat er beim Kellner immer wieder erfolgreich um Wein nachgefragt, sodass Frederic bereits um 21.30 Uhr recht angetrunken herumlallt.» Hier geht es nicht um richtig oder falsch. Es geht schlicht um Tischmanieren, die Frederic offensichtlich «vergessen» hat. Während z. B. in einzelnen Regionen der Welt das Rülpsen zum Abschluss des Essens eine Wertschätzung gegenüber der Küche darstellt, gilt Rülpsen in unserem Kulturkreis als absolut unanständig. Solche Anstandsregeln und Umgangsformen, Gepflogenheiten und Usanzen
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werden Sitten genannt. Sitten können, ebenso wie moralische Vorstellungen, nicht erzwungen werden. Die Missachtung von Sitten, z. B. von Anstandsregeln, kann aber trotzdem Sanktionen nach sich ziehen: Eine unanständige oder unhöfliche Person wird z. B. zu gewissen Veranstaltungen wohl nicht mehr eingeladen. Auch Frederic wird wahrscheinlich von seiner Ausbildnerin am darauf folgenden Arbeitstag auf sein unrühmliches Benehmen angesprochen werden. ■ Recht – was ist gesetzlich geregelt? «Dem 17-jährigen Jugendlichen, der sich im Tankstellenshop selber eine Flasche Wodka kaufen will, wird dies verwehrt, weil die Verkäuferin das Alter des Jugendlichen überprüft hat.» Die Verkaufsperson im Laden hält sich an das geltende Recht und verkauft keinen Alkohol an Jugendliche. Rechtsvorschriften schreiben ein bestimmtes Verhalten vor, z. B. das Unterlassen von Betrügereien, die Bezahlung der Steuerrechnung oder das Einholen einer Bewilligung für eine Demonstration gegen eine Globalisierungsveranstaltung. Diese Verhaltensvorschriften können im Gegensatz zu Moral und Sitte vom Staat durchgesetzt und wenn nötig mit Gewalt erzwungen werden. Während Sitten häufig nicht schriftlich festgehalten werden, sind die Rechtsvorschriften klar und genau niedergeschrieben. In Bezug auf unser Beispiel ist im Alkoholgesetz festgehalten, dass die Abgabe von Alkohol an Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren verboten ist. Wenn Rechtsvorschriften von den Leuten nicht aus eigener Überzeugung getragen und eingehalten werden, ergeben sich unweigerlich gesellschaftliche Spannungen. Ein Beispiel ist das Dilemma der Dienstverweigerer aus Gewissensgründen. Durch die Bundesverfassung und das Militärgesetz sind sie zur Dienstleistung (Militär- oder Zivildienst) verpflichtet – ihre moralische Überzeugung verbietet ihnen aber eine Dienstleistung. Zwischen Recht und Moral besteht keine hierarchische Ordnung, beide Wertordnungen bestehen auf ihrer Verbindlichkeit. Ein Dienstverweigerer wird deshalb rechtlich bestraft, obwohl man sein Verhalten auf moralischer Ebene allenfalls anerkennt. Oder wenn z. B. die Einführung zusätzlicher Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Autobahnen zur Verminderung der Luftbelastung von einem Grossteil der Bevölkerung nicht mitgetragen wird und nur mithilfe von flächendeckenden Kontrollen erzwungen werden kann, so hat dies grössere Verwaltungskosten zur Folge, wobei auch die Einnahmen aus Bussengeldern steigen. Bei der Formulierung von Rechtsvorschriften müssen demnach in jeder Gesellschaft die herrschenden Moralvorstellungen und Sitten beachtet werden. Da sich die Moralvorstellungen und Sitten in einer Gesellschaft im Laufe der Zeit ändern, müssen auch die Rechtsvorschriften angepasst werden. Ein Beispiel ist die jahrelange Diskussion um die Legalisierung Aufgabe 3 des Hanfkonsums. Wenn das bestehende Verbot von einem grösseren Teil der Bevölkerung Aufgabe 4 Übung 4 nicht mehr mitgetragen wird, steigt der Druck, die rechtliche Situation anzupassen.
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Das haben Sie gelernt Ziele für die Ausgestaltung der Rechtsordnung beschreiben Die verschiedenen Rechtsquellen beschreiben und ihre Bedeutung innerhalb der schweizerischen Rechtsordnung beurteilen Die Unterschiede zwischen Verfassung, Gesetz und Verordnung erklären und deren hierarchische Gliederung begründen Die Gliederung des Rechts in öffentliches und privates Recht beschreiben Inhalt und Teilbereiche des öffentlichen und privaten Rechts nennen Rechtsvorschriften den Teilbereichen des öffentlichen bzw. privaten Rechts zuordnen Persönliche Rechtsansprüche gegenüber allen und gegenüber einzelnen Personen unterscheiden Moral, Sitte und Recht als Grundlagen für das Verhalten unterscheiden
Offene Fragen
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Diese Begriffe können Sie erklären Rechtsordnung Justitia Gerechtigkeit Rechtsquellen Geschriebenes Recht Gewohnheitsrecht Ortsgebrauch Gerichtsentscheide Präjudiz Lehre (Rechtswissenschaft) Gliederung des Rechts Öffentliches Recht Staatsrecht Verwaltungsrecht Strafrecht Völkerrecht Prozessrecht Vollstreckungsrecht Privates Recht Zivilgesetzbuch (ZGB) Obligationenrecht (OR) Spezialgesetze Formelles / materielles Recht Absolute / relative Rechtsansprüche Moral Sitte Recht
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Übung 1 Rechtsquellen Welche Aussagen sind richtig (R); welche falsch (F)? Setzen Sie das zutreffende Symbol in das Kästchen und korrigieren Sie die Fehler auf den leeren Linien. a) Die Augenbinden in den Darstellungen der Justitia sind eigentlich ein Fehler, muss doch das Gericht zur Beurteilung in einem konkreten Fall genau hinschauen und alle möglichen Umstände und Gesichtspunkte erfassen.
c) Wichtigste Rechtsquelle ist in der Schweiz die Sammlung früherer Gerichtsentscheide (sogenannte Präjudizien).
d) Wenn sich ein Gericht bei einem Entscheid auf frühere Gerichtsentscheide in ähnlichen Fällen abstützt, bezeichnen wir dies als «Orientierung an der Lehre».
e) Die Richterin muss sich nicht an das geschriebene Recht halten, wenn die menschliche Vernunft ihr sagt, dass das Gesetz geändert werden sollte.
f) Als weitere Rechtsquellen neben dem geschriebenen Recht gelten das Gewohnheitsrecht, frühere Gerichtsentscheide sowie die Rechtswissenschaft.
Bestimmen Sie mithilfe der Gliederung im Theorieteil, ob es sich bei den folgenden Formulierungen aus Gesetzestexten … ■ um öffentliches Recht (ÖR) oder privates Recht (PR) handelt (ankreuzen) und ■ zu welchem Teil des Privatrechts bzw. des öffentlichen Rechts diese Normen gehören. ÖR PR Teilbereich
b) Richter dürfen nicht tätig werden, wenn ihre Unparteilichkeit in Frage gestellt wird. c) Der ordentlichen Konkursbetreibung unterliegt, wer als Inhaber einer Einzelfirma im Handelsregister eingetragen ist. d) Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer jedes Dienstjahr wenigstens vier Wochen, dem Arbeitnehmer bis zum vollendeten 20. Altersjahr wenigstens fünf Wochen Ferien zu gewähren. e) Wer einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit einer Freiheitsoder Geldstrafe bestraft. f) Das Stimmrecht entsteht, sobald auf den Aktien der gesetzlich vorgeschriebene Betrag eingezahlt ist. g) Die nächsten Erben eines Erblassers sind seine Nachkommen.
g) Bei der Rangordnung der Rechtsvorschriften stehen die Gesetze an erster Stelle. Sie stehen über Verfassungen und Verordnungen.
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Übung 2 Öffentliches oder privates Recht?
a) Eltern und Kinder sind einander Beistand schuldig. b) Das geschriebene Recht ist allgemein formuliert und kann deshalb auf viele verschiedene Sachverhalte angewandt werden.
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h) Im Nationalrat und im Ständerat entscheidet die absolute Mehrheit der Stimmenden.
Worin liegt die Ursache für folgende Verhaltensweisen?
a) Absolute Rechtsansprüche gelten gegenüber jedermann.
a) Ablehnung des Diebstahls als Verstoss gegen religiöse Gebote (z. B. «Du sollst nicht stehlen»).
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Welche Aussagen sind richtig (R); welche falsch (F)? Setzen Sie das zutreffende Symbol in das Kästchen und korrigieren Sie die Fehler auf den leeren Linien.
Sitte
Übung 4 Moral, Sitte oder Recht Recht
Übung 3 Absolute und relative Rechtsansprüche
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b) Eine Frau heiratet im weissen Hochzeitskleid, weil sich in ihrer Familie bisher alle in einem weissen Hochzeitskleid trauen liessen.
b) Relative Rechtsansprüche gelten in gleichem Mass für alle Personen.
c) Offizielle Eheschliessung auf dem Standesamt – vor dem eigentlichen Hochzeitsfest. d) Motorradfahren mit Helm, um keine Busse zu erhalten.
c) Die Verletzung absoluter Rechtsansprüche kann auf Antrag eines Klägers oder einer Klägerin strafrechtlich verfolgt werden.
e) Eheliche Treue aus Liebe zum Partner, zur Partnerin. f) An Weihnachten werden überall Weihnachtsbäume aufgestellt.
d) Die Verletzung relativer Rechtsansprüche werden nur vor Gericht beurteilt, falls von einer Partei Klage erhoben wird.
g) Ein Paar heiratet, um Steuern zu sparen. h) Anspruch von Rentnerinnen und Rentnern auf Ergänzungsleistungen, sofern die Bedingungen der Alters- und Hinterbliebenenversicherung erfüllt sind.
e) Das Sachenrecht enthält vor allem relative Rechtsansprüche.
i) Empfehlung, sich bei Reisen in islamische Länder nicht zu freizügig zu kleiden, um die einheimische Bevölkerung nicht zu brüskieren. j) Reisende in Saudiarabien konsumieren keinen Alkohol, um keine Bestrafung zu riskieren.
f) Das Obligationenrecht enthält vor allem obligatorische, mit anderen Worten «absolute» Rechtsansprüche.
k) Heirat zwischen einem Russen und einer Deutschen, um sich die Niederlassung im EU-Raum zu sichern. l) Ein älterer Herr hebt zum Zeichen des Grusses seinen Hut.
g) Das Eigentumsrecht ist ein typisches Beispiel für einen absoluten Rechtsanspruch.
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Aufgabe 1 Was zeichnet einen Rechtsstaat aus? Nehmen Sie an, Sie lesen unter der Rubrik «Nachrichten» in einer Tageszeitung folgende Kurzmeldung:
c) Ab und zu kann man in der Zeitung lesen, dass in islamischen Ländern Strafen wie Steinigung oder Handabschlagen angewandt werden. Wie beurteilen Sie eine solche Rechtsauffassung?
Witwe und Liebhaber im Berner Oberland zu Steinigung verurteilt Eine 34-jährige Witwe und ihr verheirateter Nachbar wurden im Berner Oberland wegen Ehebruchs zum Tode durch Steinigung verurteilt. Das Urteil wurde vom Dorfrichter, der gleichzeitig Ankläger war, im Schnellverfahren ausgesprochen. Der Dorfrichter hat im vergangenen Jahr die Hinrichtung durch Steinigung gegen den Widerstand der Bevölkerung wieder eingeführt, nachdem eine Häufung von Ehebrüchen aufgetreten war. Eine Neubeurteilung durch ein anderes Gericht war nicht möglich; das Urteil wurde sofort vollstreckt.
a) Warum werden Sie bei der Lektüre dieses Artikels stutzig? d) In vielen Rechtsstaaten gibt es die Todesstrafe, oder es wird über deren Wiedereinführung diskutiert. Wie beurteilen Sie die Todesstrafe in einem Rechtsstaat?
b) Welche Merkmale zeichnen einen Rechtsstaat aus?
e) Strafgefangene können bei uns unter bestimmten Bedingungen während der Verbüssung ihrer Strafe eine Ausbildung machen oder sich einer psychologischen Betreuung unterziehen. Wie beurteilen Sie solche Angebote?
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Aufgabe 2 Konflikte und entsprechende Rechtsgrundlagen Was für Konflikte können zwischen einer Person und den im Modell eingetragenen Anspruchsgruppen entstehen?
z. B. Verletzung von Grundrechten
a) Tragen Sie mögliche Streitigkeiten auf die leeren Schreiblinien ein.
z. B. eine Baubewilligung
b) Suchen Sie anschliessend mithilfe der Theorieseite 6 das entsprechende Rechtsgebiet und tragen Sie dieses als Überschrift in die gerasterten Felder ein.
z. B. der Wert einer Liegenschaft z. B. die Höhe des Strafmasses z. B. die Pfändung des Lohnes z. B. Rekursmöglichkeiten
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Eigentümer einer Sache Arbeitgeberin
Käuferin Vermieter
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Rechtsquellen und Verhaltensregeln
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Aufgabe 3 «Vom Umgang unter Eheleuten» Die folgenden Texte aus unterschiedlichen Zeitabschnitten unserer Geschichte befassen sich mit der Rollenverteilung in der Ehe oder eheähnlichen Partnerschaften. Welche Rückschlüsse ziehen Sie aus den Texten für das Verhältnis von Sitte, Moral und Recht? Text 1 Vom Umgang unter Eheleuten (Knigge, 1788) Freilich, da der Mann von der Natur bestimmt ist, der Ratgeber seines Weibes, das Haupt der Familie zu sein; da die Folgen jedes übereilten Schrittes der Gattin auf ihn fallen; da der Staat sich nur an ihn hält; da die Frau eigentlich gar keine Person in der bürgerlichen Gesellschaft ausmacht; da die Verletzung der Pflichten von ihrer Seite schwer auf ihm liegt und die Verletzung die Familie weit unmittelbarer beschimpft und derselben Schande und Nachteil bringt, als die Ausschweifungen des Mannes dies tun; da sie viel mehr von dem äusseren Ruf abhängt als er; endlich da Verschwiegenheit mehr eine männliche als weibliche Tugend ist, so kann es wohl seltner gut sein, wenn die Frau ohne ihres Mannes Wissen Schritte unternimmt und dieselben vor ihm verheimlicht. Text 2 Art. 160 (Zivilgesetzbuch, 1912) 1 Der Ehemann ist das Haupt der Gemeinschaft. 2 Er bestimmt die eheliche Wohnung und hat für den Unterhalt von Weib und Kind in gebührender Weise Sorge zu tragen. Text 3 Art. 163 (Zivilgesetzbuch, 1988) 1 Die Ehegatten sorgen gemeinsam, ein jeder nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt der Familie. 2 Sie verständigen sich über den Beitrag, den jeder von ihnen leistet, namentlich durch Geldzahlungen, Besorgen des Haushaltes, Betreuen der Kinder oder durch Mithilfe im Beruf oder Gewerbe des andern. Text 4 Neuer Mann? (Hollstein, 1989) Nach einer Befragung von 400 Schweizern (1989) kommt Soziologe Walter Hollstein zum Schluss, dass der Mann in den letzten Jahren partnerschaftlicher, demokratischer und frauenfreundlicher geworden sei. 40 % der Befragten geben an, in den letzten Jahren gefühlvoller geworden zu sein. 39 % erklären, mehr auf die Frauen einzugehen. 30 % halten sich inzwischen für weniger autoritär. Mehr als die Hälfte der Männer spielt regelmässig mit ihren Kindern. Ein Drittel geht mit ihnen wandern oder spazieren, erzählt Märchen oder Geschichten. Etliche helfen sogar bei den Schulaufgaben. «Für die Kinder scheinen sich Heerscharen idealer Väter herangebildet zu haben», bemerkt die Journalistin Gret Grossmann dazu. Die Offenheit habe keine Grenzen. Nur das Wesentliche werde ausgeklammert. Etwa im Gespräch mit Freunden. Eigene Ängste, Schulden, Sexuelles.
Text 5 Frauen im Zivilrecht (Eidg. Kommission für Frauenfragen, 2001) Das neue Eherecht von 1988 hat mit rund hundertjähriger Verspätung die meisten Forderungen erfüllt, die von der frühen Frauenbewegung bei den Vorarbeiten zum ZGB erhoben worden waren. Im bestehenden Recht nicht berücksichtigt sind die vielfältigen Formen familialen Zusammenlebens ausserhalb einer traditionellen Ehe. Zu den heutigen Forderungen an ein zeitgemässes Zivilrecht gehören deshalb zivilstandsunabhängige Regelungen, die diesen neuen (und alten) Familienformen Rechnung tragen. Sie werden zurzeit vor allem im Zusammenhang mit der rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften diskutiert. Text 6
Bundesgesetz über die eingetragene Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare (Partnerschaftsgesetz, PartG, Stand 1. Januar 2011) Art. 1 Gegenstand Dieses Gesetz regelt die Begründung, die Wirkungen und die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare. Art. 2 Grundsatz 1 Zwei Personen gleichen Geschlechts können ihre Partnerschaft eintragen lassen. 2 Sie verbinden sich damit zu einer Lebensgemeinschaft mit gegenseitigen Rechten und Pflichten. 3 Der Personenstand lautet: «in eingetragener Partnerschaft». Art. 13 Unterhalt 1 Die beiden Partnerinnen oder Partner sorgen gemeinsam nach ihren Kräften für den gebührenden Unterhalt ihrer Gemeinschaft.
Aufgabe 4 Was bestimmt unser Verhalten? Situation 1 Nach einem anstrengenden Schultag finden Sie im Zug noch einen der wenigen freien Plätze. An der nächsten Station steigt ein älterer Mann zu und bittet Sie, ihm Ihren Sitzplatz zu geben. Wie reagieren Sie? a) Der ältere Mann benötigt den Platz eher als ich – er hat weit weniger Kraft in den Beinen –, obwohl mich die zwei Stunden Sport auch echt «geschlaucht» haben.
b) Da das ganze Abteil erwartungsvoll auf mich blickt, gebe ich den Platz frei. Ich verbessere damit auch das Bild der heutigen Jugend.
In den drei Situationen in der linken Spalte werden jeweils drei mögliche Verhaltensweisen beschrieben. Worin besteht der zentrale Beweggrund des jeweiligen Verhaltens? a) Beweggrund des Verhaltens bei der Reaktion a)?
c) Ich habe die gleichen Rechte wie der ältere Mann. Schliesslich habe ich auch ein Billett gekauft. Wenn es zum Streit kommt, lasse ich es darauf ankommen.
Situation 2 Eine Schulkollegin schmeisst nach einem missglückten schriftlichen Test in der Pause wütend eine leere PET-Flasche in eine Ecke des Schulzimmers. a) Sie entsorgen die PETFlasche im speziellen PET-Behälter, weil Sie überzeugt sind, dass wir «einfach glücklicher» sind, wenn keine Abfälle herumliegen.
b) Ihre Klasse hat einen guten Ruf, und als Klassensprecherin machen Sie die Kollegin darauf aufmerksam, dass sich ihr Benehmen als Schülerin der Klasse E2c schlicht nicht «gehört».
c) Sie halten Ihre Kollegin an, die Flasche korrekt zu entsorgen, indem Sie ihr erklären, dass gemäss Schulordnung für solche Fälle eine Busse bis zu CHF 50.– droht.
Situation 3 Sie kommen frisch vermählt aus dem Standesamt: Ihre Kollegen stehen Spalier, Blumen werden gestreut und Hochzeitsbonbons in die erwartungsvolle Volksmenge geworfen. Nach den obligaten Fotos fragt Sie unerwartet eine Bekannte: «Warum hast du geheiratet?» Was antworten Sie? a) Ich will meine Liebe und Treue zu meinem Partner aus innerer Überzeugung mit diesem Ja auf dem Standesamt bekräftigen.
b) Beweggrund des Verhaltens bei der Reaktion b)?
c) Beweggrund des Verhaltens bei der Reaktion c)?
b) Lebte ich längere Zeit mit c) Zusammenleben ohne Trauschein kommt nicht einem Partner zusammen, in Frage. Falls es später würden meine Eltern beevtl. zur Trennung stimmt fragen, wann wir kommt, will ich, dass dadenn endlich heiraten für die gesetzlichen Vorwollten. In dieser Bezieschriften gelten, wobei hung will ich durch eine ich vor allem an die finanHochzeit gleich alles klarzielle Absicherung denke. stellen. Rechtsquellen und Verhaltensregeln
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