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Personenrecht

Bevor wir uns vertieft mit den einzelnen Teilen (= Kapiteln) des Zivilgesetzbuches (ZGB) befassen, werden im Folgenden die einleitenden allgemeinen Rechtsgrundsätze des ZGB dargestellt. Diese gelten für das gesamte ZGB und zum Teil für weitere Rechtsgebiete. Die Kenntnis der Nummerierungssystematik und der Beschriftungsvorschriften für einzelne Gesetzesartikel ist notwendig, damit wir inskünftig Verweise auf bestimmte Rechtsquellen korrekt aufführen können. Der erste Teil des ZGB, das Personenrecht, beschreibt die Rechte und Pflichten der Menschen. Das Personenrecht beantwortet z. B. die Frage, ab welchem Alter jemand einen Kaufvertrag abschliessen und sich dadurch rechtsgültig verpflichten darf. Neben den Vorschriften, die für natürliche Personen, d. h. für Menschen aus Fleisch und Blut, gelten, enthält das Personenrecht auch Bestimmungen zu den juristischen Personen. Darunter versteht man Gebilde, wie z. B. einen Verein oder eine Aktiengesellschaft, denen durch das Gesetz die Fähigkeit zugestanden wird, eigene Rechte und Pflichten zu erwerben.

Theorie 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5

Übungen

Allgemeine Rechtsgrundsätze des Zivilrechts ...................................................... Die Systematik der Rechtssätze in ZGB und OR .................................................. Die Rechte und Pflichten der natürlichen Personen ............................................ Merkmale natürlicher und juristischer Personen ................................................. Überblick über die juristischen Personen ............................................................ Das haben Sie gelernt ....................................................................................... Diese Begriffe können Sie erklären .....................................................................

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Die Einleitungsartikel des ZGB .............................................................................. Grundbegriffe des Personenrechts ....................................................................... Handlungsfähigkeit und deren Einschränkungen .................................................. Natürliche und juristische Personen ......................................................................

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Aufgaben 1 2 3 4

Die Einleitungsartikel des ZGB .............................................................................. Eine erste Übersicht über das Personenrecht ........................................................ Claudias Vertrag mit dem Fitnesscenter ............................................................... Michaels Tablet ...................................................................................................

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8.1 Allgemeine Rechtsgrundsätze des Zivilrechts Die Einleitungsartikel des Zivilgesetzbuches (ZGB) enthalten Rechtsgrundsätze, die auf grosse Teile des übrigen Rechts anwendbar sind. Diese einführenden Artikel weisen nur einen geringen Umfang auf (Art. 1 bis 10) und sind in einer vergleichsweise einfachen Sprache formuliert. Das ZGB soll ein populäres Gesetz darstellen, das auch von nicht rechtskundigen Personen verstanden werden kann, regelt es doch viele «alltägliche» Fragestellungen unseres Lebens ebenso wie personen- und familienrechtliche Bestimmungen oder Vorschriften zu Besitz und Eigentum. Bevor die Einleitungsartikel jedoch auf andere Rechtsgebiete übertragen werden, muss immer geprüft werden, ob dort nicht ausdrücklich andere Grundsätze gelten. So ist beispielsweise in Art. 1 Abs. 2 ZGB formuliert, dass der Richter allfällige Rechtslücken selbst füllen darf. Dieser Grundsatz kommt jedoch im Strafrecht ausdrücklich nicht zur Anwendung, weil im Strafgesetzbuch der Grundsatz «Keine Strafe ohne Gesetz» gilt. ■ Gewohnheitsrecht und richterliches Ermessen Die Art. 1 und 4 ZGB behandeln den Umgang mit den Rechtsquellen. Neben dem geschriebenen Recht sollen auch das Gewohnheitsrecht und das richterliche Ermessen zum Tragen kommen. Im Zusammenhang mit diesen zusätzlichen Rechtsquellen wird ausdrücklich auf die Bedeutung der richterlichen Praxis (d. h. frühere Gerichtsentscheide, Präjudizien) sowie der Lehre (Rechtswissenschaften) verwiesen. Die Anwendung sämtlicher Rechtsquellen durch ein Gericht erfolgt mit dem Ziel, den ursprünglichen Gedanken des Gesetzgebers nach bestem Wissen und Gewissen in die Rechtspraxis umzusetzen. Eine spezielle Bedeutung kommt dem Umgang mit Gesetzeslücken zu. Davon sprechen wir, wenn gewisse Bereiche nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt sind, weil schlichtweg nicht der gesamte Alltag durch Gesetze geprägt sein kann oder weil z. B. das Recht in einem Bereich den Entwicklungen hinterherhinkt. Die Gerichte müssen dann die vorhandenen «Lücken» mit einem Entscheid derart ausfüllen, wie sie dies in der Rolle als Gesetzgeber tun würden (Art. 1 Abs. 2 ZGB). Dabei müssen Richterinnen oder Richter den entsprechenden Sachverhalt umfassend und unter Gewichtung aller Umstände beurteilen, damit der Entscheid gemäss unserem natürlichen Rechtsempfinden als gerecht empfunden Wenn ein Fall mithilfe des geschriebenen Rechts nicht entschieden werden kann, muss das Gericht wird. Vorgeschrieben wird dies durch Art. 4 gemäss «richterlichem Ermessen» eine Lösung ZGB, wonach Gerichte ihre Entscheidung finden. nach Recht und Billigkeit 1 treffen müssen.

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■ Handeln nach Treu und Glauben Weitere wichtige Rechtsgrundsätze sind einerseits das Gebot, nach Treu und Glauben zu handeln, und andererseits das Verbot des Rechtsmissbrauchs (Art. 2 ZGB). Handeln nach Treu und Glauben bedeutet, dass wir uns im Rechtsverkehr, d. h. bei Verhandlungen und Absprachen darauf verlassen können, dass sich die Parteien rücksichtsvoll, anständig, fair und ehrlich verhalten, nach Art und Sitte redlicher Leute. Daraus leitet sich z. B. die Pflicht ab, dass eine Vertragspartei der anderen offen auf Fragen antwortet, die im Zusammenhang mit der Vertragsabwicklung auftauchen. Ungewöhnliche Handlungen sollen nicht einfach ohne Reaktion bleiben, sondern geklärt werden. Beim Verbot des Rechtsmissbrauchs handelt es sich um die «Rückseite derselben Medaille», denn ein Rechtsmissbrauch kann auch als Verstoss gegen das Gebot von Treu und Glauben definiert werden. Rechtsmissbräuchlich handelt beispielsweise ein Schuldner, der seine Gläubiger über Jahre mit Zahlungsversprechen davon abhält, ihn zu betreiben, und schliesslich seine Zahlungen mit dem Argument der Verjährung verweigert. ■ Guter Glaube wird geschützt Ein weiterer Rechtsgrundsatz aus den Einführungsartikeln des ZGB verlangt, dass der gute Glaube geschützt wird (Art. 3 ZGB). Von «gutem Glauben» wird dann gesprochen, wenn zwar ein offensichtlicher Rechtsmangel besteht, dieser aber der betreffenden Person nicht bewusst ist. Man kann sich jedoch nicht in jeder Situation auf den guten Glauben berufen, sondern nur dann, wenn im Gesetz irgendwo diese Möglichkeit konkret vorgesehen ist. So regelt zum Beispiel Art. 304 ZGB die Vertretung der Kinder durch ihre Eltern (elterliche Sorge) und weist in Absatz 2 ausdrücklich darauf hin, dass gutgläubige Dritte davon ausgehen dürfen, dass ein Elternteil im Einverständnis mit dem anderen handelt. Wenn also der Vater CHF 100.– vom Konto seines minderjährigen Sohnes abhebt, darf die Bank davon ausgehen, dass die Mutter damit einverstanden ist. ■ Usanzen Art. 5f. ZGB regelt schliesslich das Verhältnis des Bundesrechts zum kantonalen Recht. Insbesondere erfolgt der Hinweis darauf, dass in all jenen Situationen, in denen im Gesetz auf lokale Gewohnheiten (Usanzen) verwiesen wird, primär kantonale Regeln zum Zuge kommen. Durch Art. 7 ZGB wird die enge Verbindung zwischen dem Zivilgesetzbuch und dem Obligationenrecht (OR) festgeschrieben. Deshalb sind wichtige Teile des OR, insbesondere der gesamte «Allgemeine Teil» (Art. 1 bis 183), auch auf Rechtsbereiche anwendbar, die eigentlich durch das ZGB behandelt werden. 1

Zum Begriff «Billigkeit»: «billigen» hat die Bedeutung von «gutheissen», «etwas für richtig halten» und heisst insbesondere nicht «billig» im Sinn von preisgünstig.


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Weil einzelne Artikel recht umfangreich sein können, werden sie in Absätze aufgeteilt. Die Absätze werden dabei mit einer fortlaufenden Nummer bezeichnet.

■ Beweislast Die Artikel 8 bis 10 ZGB regeln die Beweislast bei Rechtsstreitigkeiten. Grundsätzlich hat derjenige einen Sachverhalt zu beweisen, der aus diesem Rechte ableitet. Er ist davon befreit, wenn seine Behauptung durch eine öffentliche Urkunde oder einen Eintrag in einem öffentlichen Register (Handelsregister, Grundbuch usw.) belegt wird. In diesem Fall muss nun jene Partei Beweise vorbringen, welche die Richtigkeit der Urkunde oder des Eintrags bezweifelt. Wenn z. B. der Eigentümer eines Grundstücks das Recht seines Nachbarn, sein Grundstück zu passieren (Wegrecht), in Zweifel zieht, obwohl es durch das Grundbuch belegt ist, muss der Eigentümer des Grundstücks dies beweisen, auch wenn nicht er, sondern sein Nachbar Aufgabe 1 daraus ein Recht ableitet.

Beispiel:

Art. 271a Abs. 1

ausgesprochen:

«Artikel 271a, Absatz 1»

Innerhalb einzelner Absätze können zudem noch Aufzählungen vorkommen. Aufzählungen mit a, b, c werden als lit. a, lit. b, lit. c (aus dem lateinischen «littera» = «Buchstabe») bezeichnet; wenn keine Abkürzung verwendet wird, kann dennoch von Buchstaben gesprochen werden. Aufzählungen mit 1., 2., 3. werden als Ziffer 1, Ziffer 2, Ziffer 3 angegeben. Beispiel:

Art. 271a Abs. 1 lit. e, Ziff. 4

ausgesprochen:

«Artikel 271a, Absatz 1, litera (oder Buchstabe) e, Ziffer 4»

8.2 Die Systematik der Rechtssätze in ZGB und OR Im vorangehenden Kapitel zu den Rechtsquellen haben wir gelernt, dass das geschriebene Recht als die dominierende Rechtsquelle gilt; sie umfasst insgesamt Tausende von Seiten. Ebenfalls bekannt ist uns, dass die grundlegenden Vorschriften in der «Verfassung», nähere Ausführungen zur Verfassung in «Gesetzen» und Details zu den Gesetzen in «Verordnungen» festgelegt sind. So zum Beispiel die «Verordnung des BBT über die berufliche Grundbildung Kauffrau / Kaufmann mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ)». Um bei der grossen Zahl von schriftlichen Regelungen einen einzelnen Rechtssatz schnell finden zu können, werden diese in Artikeln oder Paragrafen formuliert, fortlaufend nummeriert und sachlich in Rechtserlassen (Gesetzessammlungen oder einfach «Gesetzen») zusammengefasst und mit Abkürzungen bezeichnet. Beispiele dafür sind: ■ das Zivilgesetzbuch – ZGB ■ das Obligationenrecht – OR ■ das Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs – SchKG – oder ■ das Strafgesetzbuch – StGB Jeder einzelne Rechtssatz ist nummeriert. Diese Nummer bezeichnen wir im ZGB und im OR als Artikel; teilweise werden die Nummern mit Buchstaben ergänzt. Dies wird jeweils dann notwendig, wenn bei einer nachträglichen Gesetzesüberarbeitung ein neuer Artikel zwischen zwei bereits bestehende eingefügt werden muss. Wird also z. B. zwischen den Artikeln Nr. 271 und Nr. 272 eine zusätzliche Bestimmung eingefügt, bezeichnet der Gesetzgeber diesen neuen Artikel mit Nr. 271a. Beispiel:

Art. 271a

ausgesprochen:

«Artikel 271a»

Schliesslich wird als Letztes mit der zutreffenden Abkürzung aufgeführt, aus welchem «Gesetz» der entsprechende Artikel stammt. Beispiel:

Art. 271a Abs. 1 lit. e, Ziff. 4, OR

ausgesprochen:

«Artikel 271a, Absatz 1, litera (oder Buchstabe) e, Ziffer 4, OR»

Diese präzise Bezeichnung eines Artikels mit Nummern, Buchstaben und Ziffern bezeichnen wir als Zitat. Ein kleines «f.» nach einem solchen Zitat bedeutet, dass nicht nur der entsprechende Artikel, sondern auch der folgende gemeint ist. Werden zwei «f» angefügt («ff.», Plural der Abkürzung «f.»), sind mehr als zwei aufeinanderfolgende Artikel gemeint. Beispiel:

Art. 271 f. (gemeint sind die Artikel 271 und 271a), OR

ausgesprochen:

«Artikel 271 folgender, Obligationenrecht»

Beispiel:

Art. 271 ff. (gemeint sind die Artikel 271, 271a und mindestens 272), OR

ausgesprochen:

«Artikel 271 folgende, Obligationenrecht»

Übung 1


Der oben zitierte Artikel 271a OR ist nachfolgend vollständig aufgeführt. Art. 271a II. Kündigung durch den Vermieter 1

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Die Kündigung durch den Vermieter ist insbesondere anfechtbar, wenn sie ausgesprochen wird: a. weil der Mieter nach Treu und Glauben Ansprüche aus dem Mietverhältnis geltend macht; b. weil der Vermieter eine einseitige Vertragsänderung zu Lasten des Mieters oder eine Mietzinsanpassung durchsetzen will; c. allein um den Mieter zum Erwerb der gemieteten Wohnung zu veranlassen; d. während eines mit dem Mietverhältnis zusammenhängenden Schlichtungsoder Gerichtsverfahrens, ausser wenn der Mieter das Verfahren missbräuchlich eingeleitet hat; e. vor Ablauf von drei Jahren nach Abschluss eines mit dem Mietverhältnis zusammenhängenden Schlichtungs- oder Gerichtsverfahrens, in dem der Vermieter: 1. zu einem erheblichen Teil unterlegen ist; 2. seine Forderung oder Klage zurückgezogen oder erheblich eingeschränkt hat; 3. auf die Anrufung des Richters verzichtet hat; 4. mit dem Mieter einen Vergleich geschlossen oder sich sonstwie geeinigt hat; f. wegen Änderungen in der familiären Situation des Mieters, aus denen dem Vermieter keine wesentlichen Nachteile entstehen. Absatz 1 Buchstabe e ist auch anwendbar, wenn der Mieter durch Schriftstücke nachweisen kann, dass er sich mit dem Vermieter ausserhalb eines Schlichtungs- oder Gerichtsverfahrens über eine Forderung aus dem Mietverhältnis geeinigt hat. Absatz 1 Buchstaben d und e sind nicht anwendbar bei Kündigungen: a. wegen dringenden Eigenbedarfs des Vermieters für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte; b. wegen Zahlungsrückstand des Mieters (Art. 257d); c. wegen schwerer Verletzung der Pflicht des Mieters zu Sorgfalt und Rücksichtnahme (Art. 257f Abs. 3 und 4); d. infolge Veräusserung der Sache (Art. 261); e. aus wichtigen Gründen (Art. 266g); f. wegen Konkurs des Mieters (Art. 266h).

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8.3 Die Rechte und Pflichten der natürlichen Personen Alle Menschen erlangen mit ihrer Geburt die Rechtsfähigkeit, d. h. die grundsätzliche Fähigkeit, Rechte und Pflichten zu haben. Mit zunehmendem Alter erwerben natürliche Personen verschiedene weitere Rechte und Pflichten. ■ Rechtssubjekt und Rechtsobjekt Menschen sind sogenannte Rechtssubjekte. Für alle besteht in den Schranken der Rechtsordnung die gleiche Fähigkeit, Rechte und Pflichten zu haben. Dies galt nicht immer für alle Menschen: Im Zeitalter der Sklaverei hatten die Sklaven keinerlei Rechte, sie wurden wie Sachen behandelt und gebraucht, auf Märkten gekauft und verkauft. Was einst für Sklaven galt, hat heute generell Gültigkeit für Sachen und die Natur. Rechtlich betrachtet sind sie Objekte. Häuser, Grundstücke, Waren, Geld, Patente oder Lizenzen besitzen keine eigenen Rechte, sondern sind als Rechtsobjekte dem menschlichen Zugriff ausgesetzt. Tiere sind dagegen ausdrücklich keine Sachen (Art. 641a ZGB); falls für sie keine besonderen Regelungen bestehen, gelten allerdings die auf Sachen anwendbaren Vorschriften. Durch eine Vielzahl von Gesetzen (z. B. Tier-, Gewässer- oder Denkmalschutzgesetze) können auch Rechtsobjekte wirksam geschützt werden. ■ Rechtsfähigkeit Unter der Rechtsfähigkeit verstehen wir die Fähigkeit der Rechtssubjekte, Rechte zu besitzen und Pflichten zu übernehmen. Die Rechtsfähigkeit steht grundsätzlich allen Menschen unabhängig von ihrem Alter zu (Art. 11 Abs. 2 ZGB). So kann beispielsweise bereits ein einjähriges Kind erben (unter der Voraussetzung, dass das Kind lebend geboren wird, entsteht das Erbrecht bereits mit der Zeugung). Die Rechtsfähigkeit ist nicht an körperliche oder geistige Unversehrtheit gebunden. Sie gilt grundsätzlich für alle Menschen, d. h., auch geisteskranke Personen sind rechtsfähig (allerdings nicht handlungsfähig, vgl. die nachfolgenden Ausführungen). Wer rechtsfähig ist, muss bestimmte Pflichten übernehmen und kann die ihr bzw. ihm zustehenden Rechte wahrnehmen. In gewissen Fällen ist allerdings ein bestimmtes Mindestalter vorgeschrieben, z. B. für die Ehefähigkeit, das Stimm- und Wahlrecht oder die Steuerpflicht. Gemäss Gesetz sind zwar alle Menschen gleich rechtsfähig und den gleichen Gesetzen unterworfen. Innerhalb verschiedener Gesetze werden die Menschen jedoch unterschiedlich behandelt: Kinder können keine Verträge eingehen und müssen keine Steuern zahlen, Frauen müssen keinen Militärdienst leisten (dürfen es aber auf freiwilliger Basis), Ausländer benötigen eine Aufenthalts- und je nach Herkunftsland eine Arbeitsbewilligung. Innerhalb der verschiedenen Gesetze herrscht jedoch Gleichheit: Jedes Kind ist vertragsunfähig, jeder männliche Schweizer militärdienst- und zivilschutzpflichtig, sofern er die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt.

■ Übersicht über die Rechte und Pflichten einer natürlichen Person Rechtsfähigkeit Geburt Rechte besitzen Urteilsfähigkeit (vernunftgemäss handeln)

Pflichten übernehmen ungefähr ab 8 Jahren

bis 16 Jahre: «Schutzalter», ■ Schutz der sexuellen Bedürfnisse junger Menschen vor den sexuellen Bedürfnissen älterer Menschen ■ Schutz vor den schädigenden Wirkungen des Alkoholkonsums ab 16 Jahren: ■ Religionsfreiheit ■ Sexuelle Volljährigkeit

16 Jahre

bis 18 Jahre: «Schutzalter», ■ Schutz vor den schädigenden Wirkungen des Konsums von «gebrannten Wassern» (Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 15 %) ab 18 Jahren: ■ Volljährigkeit ■ Testamentsfähigkeit ■ Ehefähigkeit ■ Stimm- und Wahlrecht

18 Jahre

AHV-Pensionskassenrenten: ■ für Frauen ■ für Männer

10 Jahre

Sich «korrekt» verhalten, nicht straffällig werden: von 10 bis 18 Jahren: Strafbarkeit nach dem Jugendstrafrecht (JStGB)

18 Jahre

Sich «korrekt» verhalten, nicht straffällig werden: ab 18 Jahren: Strafbarkeit nach dem Erwachsenenstrafrecht (StGB) Steuerpflicht AHV-Beitragspflicht

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Beginn Dienstpflicht (Männer)

25 Jahre

Berufsvorsorge-Beitragspflicht

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Ende Militärdienstpflicht (frühestens, je nach Dienstgrad)

40 Jahre

Ende Zivilschutzpflicht

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■ Handlungsfähigkeit Wer handlungsfähig ist, kann durch sein eigenes Verhalten Rechte und Pflichten begründen, z. B. Kauf- oder Mietverträge abschliessen, ein Darlehen aufnehmen, heiraten, ein Testament verfassen oder eine Aktiengesellschaft gründen. Ebenso können Rechte und Pflichten geändert oder aufgehoben werden, z. B. durch eine Vertragskündigung. Die Voraussetzung für die Handlungsfähigkeit sind Volljährigkeit und Urteilsfähigkeit (Art. 13 ZGB).

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■ Voraussetzungen der Handlungsfähigkeit Handlungsfähigkeit Art. 13 ZGB

Urteilsfähigkeit Art. 16 ZGB

■ Einschränkungen der Handlungsfähigkeit Urteilsfähigkeit (noch) nicht gegeben

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■ Volljährigkeit Die Volljährigkeit erreichen wir grundsätzlich mit der Vollendung des 18. Lebensjahres (Art. 14 ZGB). ■ Urteilsfähigkeit Urteilsfähig ist, wer vernunftgemäss handeln kann (Art. 16 ZGB). Darunter verstehen wir die intellektuelle Fähigkeit, eine bestimmte Situation richtig einschätzen zu können und sich über die Gründe und Folgen des eigenen Verhaltens bewusst zu sein. Die Urteilsfähigkeit wird mit zunehmendem Alter nach und nach erworben. Im Gesetz steht keine bestimmte Altersgrenze: Je nach Rechtsproblem und Entwicklungsstand der jugendlichen Person geht man Aufgabe 2 davon aus, dass im Alter von etwa 12 bis 14 Jahren die Urteilsfähigkeit gegeben ist. ■ Einschränkungen der Handlungsfähigkeit Werden grundsätzlich handlungsunfähige Personen, z. B. Jugendliche, die urteilsfähig, aber noch nicht volljährig sind, zu gewissen Rechtshandlungen befugt, sprechen wir von beschränkter Handlungs Handlungsun unfähigkeit. fähigkeit. Jugendliche unter 18 Jahren können grundsätzlich nur mit der Zustimmung eines gesetzlichen Vertreter (das sind im Normalfall die Eltern) rechtliche Verpflichtungen eingehen (Art. 19 Abs. 1 ZGB). Für kleinere Geschäfte des täglichen Lebens – beispielsweise das Mittagessen einer 17-jährigen Lernenden in der Mensa der Berufsfachschule – ist allerdings diese Zustimmung ausdrücklich nicht notwendig (Art. 19 Abs. 2 ZGB). Für weitergehende Kaufverträge kann der gesetzliche Vertreter sein Einverständnis stillschweigend (d. h. nicht ausdrücklich) im Voraus geben oder das Geschäft nachträglich genehmigen (Art. 19a ZGB). Falls die gesetzlichen Vertreter diese Zustimmung verweigern, müssen die bereits erfolgten Leistungen zurückerstattet werden (Art. 19b ZGB). Aus diesem Grund sollten die Vertragspartner bei «grösseren Geschäften», z. B. beim Mieten einer Wohnung oder beim Kauf eines Autos, die Volljährigkeit der andern Vertragspartei im Voraus überprüfen. 2

Die «umfassende Beistandschaft» ersetzt ab 1.1.2013 den Begriff «Vormundschaft».

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Zu beachten ist, dass beschränkt handlungsunfähige Personen deliktfähig sind (Art. 19 Abs. 3 ZGB), d. h., sie werden aus unerlaubten Handlungen schadenersatzpflichtig.

Alter Volljährigkeit Art. 14 ZGB

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Urteilsfähigkeit gegeben

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handlungsunfähig beschränkt handlungsunfähig Jugendliche bis zum 18. Altersjahr, die urteilsfähig, aber noch nicht volljährig sind, können nur mit Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters Verpflichtungen eingehen (Art. 19 ZGB). (vollständig) handlungsfähig Eine volljährige, urteilsfähige Person ist handlungsfähig und kann durch ihre eigenen Handlungen Rechte und Pflichten begründen.

Volljährigkeit gegeben Vorübergehender Verlust der Urteilsfähigkeit

handlungsunfähig (vorübergehend)

Die Handlungsfähigkeit kann durch Massnahmen des Erwachsenenschutzrechts eingeschränkt werden. Dieses sieht Instrumente vor, mit denen natürliche Personen infolge psychischer Störungen oder Geisteskrankheiten in persönlichen, finanziellen oder rechtlichen Angelegenheiten unterstützt werden können bzw. betreut werden müssen. Je nach Ausprägung der Unterstützungsbedürftigkeit kommen vier Arten von Beistandschaften in Frage (vgl. Art. 393 ff. ZGB). Wer einer umfassenden Beistandschaft2 (der strengsten «Massnahme»), unterstellt wird, ist trotz erreichtem 18. Altersjahr handlungsunfähig (Art. 17 ZGB). Die umfassende Beistandschaft wird bei Personen eingerichtet, die dauernd urteilsunfähig sind und aufgrund einer psychischen oder geistigen Behinderung ausgeprägt hilfsbedürftig sind. ■ Handlungsunfähigkeit Personen, die nicht urteilsfähig sind, können mit ihren Handlungen grundsätzlich keine rechtlichen Wirkungen erzielen (Art. 17 ZGB). Handlungsunfähig sind gemäss negativer Umschreibung in Art. 16 ZGB Personen, die … ■ minderjährig («im Kindesalter») sind oder ■ wegen einer geistigen Behinderung oder einer psychischen Störung oder ■ wegen eines Rausches (durch Alkohol- oder Drogenkonsum verursacht) oder ähnlicher Zustände (Willensbeeinträchtigung durch Medikamenteneinfluss oder Hypnose) nicht vernunftgemäss handeln können.

Aufgabe 3 Aufgabe 4 Übung 2 Übung 3


■ Übersicht Beistandschaften «Umfang» der Handlungsfähigkeit

«Aktivität» Begleitbeistandschaft

Beispiel: Vertretungsbeistandschaft

Beispiel: Mitwirkungsbeistandschaft

Beispiel: Kombinierte Beistandschaft Umfassende Beistandschaft

Beispiel:

Begleitende Unterstützung (Beratung, Assistenz, Vermittlung und Förderung); mit Zustimmung der hilfsbedürftigen Person

Handlungsfreiheit nicht eingeschränkt

Sinn und Zweck Hilfe zur Selbsthilfe

Beratung und Unterstützung bei Wohnungssuche, beim Ausfüllen der Steuererklärung oder beim Erstellen eines Budgets Vertretung im Umfang der übertragenen Aufgaben; Beiständin handelt mit direkter Wirkung für die Person.

Handlungsfähigkeit kann eingeschränkt werden

Gesetzliche Vertretung, wenn gewisse Angelegenheiten nicht mehr selbstständig erledigt werden können

Beiständin oder Beistand übernimmt die Einkommens- und Vermögensverwaltung sowie administrative Angelegenheiten. Bestimmte Handlungen können nur noch mit Zustimmung des Beistandes rechtswirksam vorgenommen werden

Handlungsfähigkeit eingeschränkt, d. h. für die «mitwirkungsbedürftigen» Geschäfte entzogen

Hilfe für Person, die zwar urteilsfähig und selbstständig sind, sich aber mit gewissen Handlungen selber schaden können

Aufnahme eines Darlehens, Haustürgeschäfte, Abschluss eines Erbvertrages, Verkauf einer Liegenschaft Kombination der drei obigen Beistandschaften Vertretung bei allen Angelegenheiten der Personen-, der Vermögenssorge und des Rechtsverkehrs

Handlungsfähigkeit entfällt vollumfänglich (von Gesetzes wegen; Einverständnis der betroffenen Person ist nicht nötig)

Hilfe für Personen, bei denen nicht verantwortet werden kann, dass sie Rechtshandlungen vornehmen können

Vertretung einer Person in allen Belangen wegen einer geistigen Behinderung, die zwar nicht offenkundig ist, aufgrund derer die Person aber ausgenützt werden könnte.

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8.4 Merkmale natürlicher und juristischer Personen Sehr häufig schliessen sich Menschen im Geschäftsleben zusammen. Es werden Vereine, Stiftungen, Aktiengesellschaften oder Genossenschaften gegründet, um bestimmte Ziele besser zu erreichen. Dadurch entstehen «künstliche» Rechtssubjekte, juristische Personen, die (unabhängig von den Mitgliedern) eine eigene Rechtsfähigkeit und damit die gleichen Rechte und Pflichten wie natürliche Personen besitzen. Sie können z. B. Verträge abschliessen oder werden aus unerlaubter Handlung schadenersatzpflichtig. Ausgenommen sind jene Rechte und Pflichten, die nur von Menschen ausgeübt werden können wie z. B. heiraten, Kinder adoptieren oder ein Testament verfassen. Rechtliche Zusammenschlüsse können jedoch auch einen eigenen Namen, ein eigenes Vermögen, einen eigenen Wohnsitz haben. Präzis definiert wird die juristische Person in Art. 52 ZGB: Danach handelt es sich entweder um eine Personengemeinschaft (Körperschaft) oder um eine Vermögenszusammenfassung. Natürliche Personen (Einzelpersonen)

Merkmale

Juristische Personen (Vereine, Gesellschaften, Stiftungen)

durch die Geburt; Eintrag im Zivilstandsregister

Rechtsfähigkeit

durch einen Vertrag; allenfalls durch Eintrag im Handelsregister

durch Urteilsfähigkeit und Volljährigkeit

Handlungsfähigkeit

durch die Wahl einer bestimmten Organisation ■ Verein ( Vereinsversammlung, Vorstand) ■ Aktiengesellschaft ( Generalversammlung, Verwaltung, Revisionsstelle) ■ Stiftung (Stiftungsrat, evtl. Vorstand, Kontrollstelle)

Privatvermögen

Haftung

Gesellschaftsvermögen; bei einzelnen Gesellschaften auch Privatvermögen

Familienname

Bezeichnung

Vereins- oder Firmenname, Stiftungsbezeichnung

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Ende der Persönlichkeit

Auflösung, durch Löschung im Handelsregister

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8.5 Überblick über die juristischen Personen Die Bedeutung der juristischen Personen ist heute sehr gross. Im Gegensatz zu den natürlichen Personen ist bei den juristischen Personen die Haftung häufig beschränkt. Tritt ein Schaden ein, für welchen die juristische Person verantwortlich ist, steht nur das Gesellschaftsvermögen für die Bezahlung zur Verfügung – bei den natürlichen Personen ist es das gesamte Privatvermögen. Dank der beschränkten Haftung juristischer Personen wird das finanzielle Risiko für die Kapitalgeber überblickbar. Diese Begrenzung des finanziellen Risikos erleichtert es, wirtschaftliche Unternehmungen zu gründen. Juristische Personen im Aufgabenbereich des Staates (Juristische Personen des öffentlichen Rechts)

Juristische Personen im Aufgabenbereich von Privatpersonen (Juristische Personen des Privatrechts)

Gemeinwesen ■ Bund ■ Kanton ■ Gemeinden

Vereine (Art. 60 – 79 ZGB)

Öffentliche Anstalten ■ SBB ■ Post ■ SNB (Schweiz. Nationalbank) ■ SUVA (Schweiz. Unfallversicherungsanstalt)

Stiftungen (Art. 80 – 89bis ZGB) Gesellschaften ■ Aktiengesellschaft (AG) (Art. 620 – 763 OR) ■ Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) (Art. 772 – 827 OR) ■ Genossenschaft (Gen) (Art. 828 – 926 OR)

■ Die juristischen Personen des öffentlichen Rechts erfüllen in der Regel öffentliche (staatliche) Aufgaben. So ist z. B. die Schweizerische Nationalbank (SNB) als Aktiengesellschaft konzipiert, die Rechtsgrundlagen sind aber nicht im OR, sondern im Bundesgesetz über die Nationalbank festgelegt. Weitere Beispiele von juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind der Bund, die Kantone oder die Gemeinden (auch Kirchgemeinden). In vielen Kantonen sind auch die Kantonalbanken juristische Personen des öffentlichen Rechts. Als Beispiel dafür kann die Zürcher Kantonalbank (ZKB) angeführt werden; die gesetzlichen Grundlagen für die Organisation der ZKB sind in einem kantonalen Gesetz festgehalten. ■ Juristische Personen des Privatrechts werden nicht ausschliesslich im ZGB behandelt. Das ZGB definiert lediglich Grundsätze wie z. B. die Rechts- und Handlungsfähigkeit der juristischen Personen. Es enthält zudem die Rechtsgrundlagen für Vereine und Stiftungen. Die Gesellschaftsformen Aktiengesellschaft, Gesellschaft mit beschränkter Haftung Übung 4 und Genossenschaft sind in der dritten Abteilung des OR behandelt.


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 Das haben Sie gelernt Die allgemeinen Rechtsgrundsätze des ZGB an einem einfachen Beispiel erkennen und anwenden Einen Rechtssatz (Artikel) aus ZGB und OR korrekt zitieren Den Unterschied zwischen Rechtssubjekt und Rechtsobjekt an Beispielen beschreiben Die Voraussetzungen der Rechtsfähigkeit und der Handlungsfähigkeit für verschiedene Personen prüfen Die Einschränkungen der Handlungsfähigkeit beschreiben Natürliche und juristische Personen in Bezug auf ihre Rechtsfähigkeit, Handlungsfähigkeit, Haftung, Bezeichnung und das Ende ihrer Persönlichkeit vergleichen

Offene Fragen

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 Diese Begriffe können Sie erklären Allgemeine Rechtsgrundsätze des ZGB Gewohnheitsrecht Richterliches Ermessen Handeln nach Treu und Glauben Schutz des guten Glaubens Regeln zur Beweislast Personenrecht Rechtssubjekt Natürliche Personen Juristische Personen des öffentlichen Rechts des Privatrechts Rechtsobjekt Rechtsfähigkeit Handlungsfähigkeit Urteilsfähigkeit Einschränkungen der Handlungsfähigkeit Beschränkt handlungsunfähig Vollständig handlungsunfähig

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Übung 1 Die Einleitungsartikel des ZGB

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Übung 2 Grundbegriffe des Personenrechts

Welche Aussagen sind richtig (R); welche falsch (F)? Setzen Sie das zutreffende Symbol in das Kästchen und korrigieren Sie die Fehler auf den leeren Linien.

Welche Aussagen sind richtig (R); welche falsch (F)? Setzen Sie das zutreffende Symbol in das Kästchen und korrigieren Sie die Fehler auf den leeren Linien.

a) Im ersten Artikel des ZGB wird geregelt, auf welche Rechtsquellen sich die Gerichte abstützen müssen, falls in den Gesetzen für eine bestimmte Rechtsfrage keine Regelung enthalten ist.

a) Die Rechtsfähigkeit der natürlichen Personen beginnt mit dem Erreichen des 18. Lebensjahres.

b) Der Grundsatz von Art. 1 Abs. 2 ZGB, wonach das Gericht allfällige Rechtslücken selber füllen darf, gilt nicht nur für das ZGB, sondern auch für alle andern Gesetze.

b) Alle Menschen sind sogenannte Rechtsobjekte. Alle besitzen die grundsätzliche Fähigkeit, Rechte und Pflichten zu haben.

c) Beim hier vorliegenden Lehrbuch handelt es sich, rechtlich betrachtet, um ein Rechtsobjekt. c) Wenn ein Käufer nicht weiss, dass z. B. der Verkäufer eines Occasionsvelos gar nicht zum Verkauf berechtigt ist, weil sich das Fahrrad eigentlich zur Reparatur in der Werkstatt befand, so kann sich der Käufer auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen.

d) Wenn jemand behauptet, eine Geldschuld bezahlt zu haben, so muss gemäss Art. 8 ZGB der Zahlungsvermittler (Bank oder Post) die Überweisung bestätigen.

e) Die Vorgabe, dass Gerichte ihre Entscheide nach Recht und Billigkeit zu treffen haben, bedeutet, dass Entscheide rechtlich fundiert und kostenmässig für die Betroffenen möglichst billig ausfallen sollten.

f) «Zitieren» bedeutet im Recht die präzise Bezeichnung der Rechtssätze durch Gesetz, Artikelnummer und gegebenenfalls Buchstabe sowie Ziffer.

d) Unter der «Rechtsfähigkeit» versteht man die Fähigkeit, Rechte und Pflichten überhaupt zu haben.

e) Die Voraussetzungen der Handlungsfähigkeit sind die Urteilsfähigkeit und die Rechtsfähigkeit.

f) Die Fähigkeit, vernunftgemäss zu handeln (Urteilsfähigkeit), erreicht ein Kind im Normalfall automatisch mit dem vollendeten 12. Altersjahr.

g) Ein Jugendlicher im Alter von 16 Jahren ist beschränkt handlungsfähig.


Übung 3 Handlungsfähigkeit und deren Einschränkungen

volljährig

urteilsfähig

voll handlungsunfähig

beschränkt handlungsunfähig

voll handlungsfähig

Kreuzen Sie die Handlungsfähigkeit der folgenden Personen an. Begründen Sie Ihre Antwort, indem Sie die Voraussetzungen der Handlungsfähigkeit (mündig und urteilsfähig) der entsprechenden Personen bestimmen.

Übung 4 Natürliche und juristische Personen

A

B

C

D

E

Welche Aussagen sind richtig (R); welche falsch (F)? Setzen Sie das zutreffende Symbol in das Kästchen und korrigieren Sie die Fehler auf den leeren Linien. a) Eine juristische Person erlangt ihre Handlungsfähigkeit durch die Wahl ihrer Organe.

b) Die Rechtsgrundlagen für juristische Personen des öffentlichen Rechts finden sich in Bundesgesetzen oder allenfalls in kantonalen Gesetzen.

a) Marco, bei einer Grossbank in Ausbildung, 17 Jahre alt. b) Marianne, in Ausbildung zur Detailhandelsangestellten, 19 Jahre alt.

c) Bei der juristischen Person «Aktiengesellschaft» haftet nur das Privatvermögen der Mitglieder.

c) Corinne, 20-jährige Studentin im 1. Semester an einer Fachhochschule. d) Gaston konsumiert an seinem 21. Geburtstag so viel Drogen und Alkohol, dass er völlig bekifft und betrunken ist.

d) Der Jurist und Rechtsanwalt Dr. K. Müller ist ein Beispiel für eine juristische Person.

e) Sadiye, 21-jährig, während ihres Aufenthaltes in der Empfangsstelle für Asylbewerberinnen. f) Fabiana, Kindergartenkind, 5-jährig.

e) Eine Richterin benötigt zwar eine fundierte juristische Ausbildung für ihre Tätigkeit am Kantonsgericht; sie ist aber trotzdem eine natürliche Person.

g) Die 30 Jahre alte Edith steht wegen einer schweren geistigen Behinderung unter umfassender Beistandschaft. h) Sandro, Festbesucher, 22-jährig, befindet sich nach extensivem Alkohlkonsum in einem Vollrausch.

f) Eine juristische Person besitzt wohl die Handlungs-, nicht aber die Rechtsfähigkeit.

i) Mariangela, italienische Staatsangehörige («Seconda»), Maturandin, 19 Jahre alt. g) Die Rechtsgrundlagen für juristische Personen des Privatrechts finden sich im dritten Kapitel des Zivilgesetzbuches.

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Aufgabe 1 Die Einleitungsartikel des ZGB Die Artikel 2, 3 und 8 ZGB sind hilfreich bei der Lösung der folgenden Probleme. Schlagen Sie zuerst diese Artikel im Gesetzbuch nach und lesen Sie sie aufmerksam durch. Nennen Sie bei jeder geschilderten Situation den Ihrer Meinung nach zutreffenden Artikel und notieren Sie, was für eine Lösung sich daraus ergibt. a) Hans Altherr möchte sein sehr abgelegenes Rustico im Tessin gerne verkaufen. Er weiss, dass sein Nachbar Remo Bamberger grundsätzlich an einem Kauf interessiert wäre. Allerdings will Remo Bamberger wesentlich weniger zahlen, als Hans Altherr für das Haus verlangt. Um Remo Bamberger dennoch zu einem Kauf zu zwingen, errichtet Hans Altherr auf seinem eigenen Grundstück eine mehrere Meter hohe Steinmauer, die es Remo Bamberger künftig verunmöglicht, von seinem Grundstück aus einen ungestörten Blick auf die herrliche Umgebung zu haben. Einen anderen Zweck hat die Mauer offensichtlich nicht.

b) Stefan Keller hat seinem Freund Peter Meier CHF 10 000.– geliehen. Peter Meier macht nach einem Jahr keinerlei Anstalten, den Betrag zurückzuzahlen. Er behauptet, gar nie Geld von Stefan Keller erhalten zu haben. Zudem habe er im Verlauf der letzten zwölf Monate mehrmals seinerseits grössere Geldbeträge an Stefan Keller bezahlt; sollte er also tatsächlich einmal Geld erhalten haben, hätte er dieses schon längst zurückbezahlt.

c) Jakob Odermatt ist ein Uhrenliebhaber. Auf einer Reise besucht er das kleine Uhrmachergeschäft Gustav Moser und entdeckt dort per Zufall eine wertvolle Uhr, die er sich schon lange gewünscht hat. Nach kurzem Zögern ist der Uhrmacher bereit, ihm die Uhr zu einem hohen, aber angemessenen Preis zu verkaufen. Nach einigen Wochen zeigt Jakob Odermatt die Uhr seinem guten Freund Karl Kuhn, der ebenfalls Uhren sammelt. Karl Kuhn ist ausser sich, als er die Uhr seines Freundes sieht. Offenbar handelt es sich um jene Uhr, die er Gustav Moser vor wenigen Wochen zur Reparatur vorbeigebracht hat. Gustav Moser hat ihn seither hingehalten und behauptet, die Reparatur würde etwas länger dauern.

d) Stefanie Rindlisbacher, die über Weihnachten / Neujahr des Vorjahres eine Suite des 5-Stern-Hotels Royal bewohnt hatte, bestellte im September telefonisch für den nächsten Jahreswechsel wiederum eine Suite. Mit der Reservationsbestätigung für die Zeit vom 27. Dezember bis zum 10. Januar wurde der Preis der Suite mit CHF 3000.– pro Tag angegeben und eine Anzahlung von CHF 9000.– verlangt, welche Stefanie Rindlisbacher leistete. Bei ihrer Ankunft am 27. Dezember wurde ihr nicht wie im Vorjahr eine Suite im Hauptgebäude, sondern eine Apartwohnung im Nebentrakt zugewiesen. Diese lehnte sie wegen des Standortes sowie wegen Art und Beschaffenheit der Einrichtung ab. Noch gleichentags reiste sie ab. In der Folge klagte Stefanie Rindlisbacher gegen das Hotel Royal auf Rückzahlung der Anzahlung. Das Hotel verlangte hingegen die Zahlung für die vereinbarte Aufenthaltsdauer, nämlich CHF 42 000.– abzüglich der Anzahlung von CHF 9000.–.


Aufgabe 2 Eine erste Übersicht über das Personenrecht a) Schlagen Sie in Ihrem Gesetzbuch das «Kapitel» zum Personenrecht nach und ergänzen Sie die folgende Übersicht: Das Personenrecht (ZGB: Erster Teil)

1. Titel 1. Abschnitt

Artikel

2. Abschnitt

Artikel

2. Titel 1. Abschnitt

Artikel

2. Abschnitt

Artikel

3. Abschnitt

Artikel

b) Lesen Sie die Artikel 12 – 16 ZGB sorgfältig durch und ergänzen Sie die folgende Darstellung zur Handlungsfähigkeit. = Rechte und Pflichten begründen

Art. 13 ZGB Art. 14 ZGB 1. Voraussetzung

Art. 16 ZGB 2. Voraussetzung = Fähigkeit, vernunftgemäss zu handeln; steht grundsätzlich jeder Person zu, ausser ihre Urteilsfähigkeit sei eingeschränkt oder fehle ganz. Gründe dafür sind:

wird erreicht durch Art. 16 ZGB

Art. 14 ZGB

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Aufgabe 3 Claudias Vertrag mit dem Fitnesscenter Claudia, 17, hat ein Problem: «Vor zwei Monaten habe ich einen Vertrag für den Besuch eines Fitnesscenters unterschrieben. Ich bin dadurch berechtigt, die Trainingsanlagen während eines Jahres unbegrenzt zu benutzen. Die Jahresmitgliedschaft kostet CHF 450.–. Eine erste Rate von CHF 150.– habe ich bereits beglichen. Nach vier Wochen habe ich festgestellt, dass ich für ein regelmässiges Training im Fitnesscenter neben meiner Berufslehre zu wenig Zeit habe, und wollte den Ausweis, der zum Eintritt berechtigt, zurückgeben. Das Fitnesscenter will darauf jedoch nicht eingehen und fordert trotzdem die Bezahlung der restlichen CHF 300.–. Muss ich die Restschuld wirklich bezahlen?»

b) Wie beurteilen Sie den Vertrag zwischen Claudia und dem Fitnesscenter? Überprüfen Sie zusätzlich zur Handlungsfähigkeit auch die Folgerungen, die sich aus Art. 323 ZGB ergeben.

a) Überprüfen Sie, ob Claudia Verträge grundsätzlich rechtsgültig unterschreiben darf.

Einbezug von Art. 323 ZGB:

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Aufgabe 4 Michaels Tablet Sachverhalt 1: Zwischen Michael Gerber, einem 13-jährigen Sekundarschüler, und seiner älteren Schwester Anita gibt es wegen der Benützung von Anitas iPad immer wieder Streit. Nach einem solchen Streit, in dem Michael auf Anordnung der Eltern das Gerät Anita zurückgeben musste, kauft sich Michael kurz entschlossen in einem Elektronik-Shop ein eigenes «10.10" Samsung Galaxy Tablet» für CHF 349.–. Michael bekommt CHF 20.– Taschengeld pro Monat, zudem sind von seinem Geburtstagsgeld noch CHF 120.– übrig. Weil seine Barschaft aber nicht reicht, hat sich Michael noch mit CHF 100.– aus dem Haushaltportemonnaie seiner Mutter «bedient». Seine Eltern sind entsetzt. Sie sind mit dem Kauf nicht einverstanden, zumal Michael auch ungefragt Haushaltgeld verwendet hat. Frau Gerber geht deshalb mit Michael am folgenden Tag in den Laden und will den Kauf rückgängig machen. Die Verkäuferin weigert sich allerdings. Sie begründet es damit, dass sie viele solche Geräte an Jugendliche verkaufe und es noch nie zu Problemen gekommen sei. Zudem sei die Verpackung bereits geöffnet und eine Rückgabe deshalb unmöglich..

Sachverhalt 2 (Variante): Es gilt die gleiche Ausgangslage wie im Sachverhalt 1. Michael erhält allerdings ein Sackgeld von CHF 40.– pro Monat. Er kauft das günstigere Modell, ebenfalls ein Galaxy Tablet, allerdings mit einem etwas schwächeren Prozessor zu CHF 199.–, wozu seine Ersparnisse ausreichen und der «Griff in die Haushaltkasse» deshalb nicht nötig ist. Michael überspielt noch am Abend nach dem Kauf – mit Wissen seines Vaters – einen Teil seiner Musiksammlung auf das neue Tablet. Auch der Vater ist fasziniert von den technischen Möglichkeiten des kleinen Gerätes. Weil Michael in der Folge seine Hausaufgaben sträflich vernachlässigt und sich stark mit der Suche nach neuen Musik- und Videotiteln sowie Games im Internet beschäftigt, beschliessen die Eltern nach einer Woche, dass Michael das Gerät zurückbringen muss. Vater Gerber erklärt der Verkäuferin im Laden, Michael sei nicht handlungsfähig und er akzeptiere den Kauf auf keinen Fall. b) Beurteilen Sie die Rechtslage in diesem Fall und begründen Sie Ihren Entscheid.

a) Überprüfen Sie die Rechtslage mithilfe des Gesetzes.

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