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Konjunkturzyklus
Die aktuelle wirtschaftliche Gesamtlage eines Landes bezeichnen wir als Konjunktur. Sie wird bestimmt durch den Auslastungsgrad der zur Verfügung stehenden Ressourcen, der Produktionsfaktoren Arbeit, Wissen, Kapital und Boden. Die Konjunkturentwicklung, d. h. der Verlauf der gesamtwirtschaftlichen Aktivitäten, durchläuft immer wieder Phasen des Aufschwungs, mit hoher Auslastung der Produktionsfaktoren, und Phasen des Abschwungs, in denen nicht alle Produktionsfaktoren vollständig ausgelastet sind.
Theorie 1 2 3 4
Wachstumspolitische Massnahmen zielen auf die Ausweitung der vorhandenen Produktionsfaktoren und zeichnen einen entsprechenden Wachstumspfad vor. In der Praxis gelingt es jedoch nicht immer, diese Ressourcen auch tatsächlich auszu lasten, und es kann zu unerwünschten Effekten wie Arbeitslosigkeit oder Teuerung kommen. Anhand von Konjunkturprognosen versucht die Politik, solche Störungen frühzeitig zu erkennen, um vorausschauend geeignete Massnahmen ergreifen zu können.
Übungen
Der Konjunkturzyklus ............................................................................................ Die Konjunkturindikatoren .................................................................................... Konjunkturprognosen und Konjunkturpolitik ......................................................... Zielkonflikte in der Konjunkturpolitik ..................................................................... Das haben Sie gelernt ........................................................................................... Diese Begriffe können Sie erklären ........................................................................
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Konjunkturzyklus
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Aufgaben 1 2 3 4
Brennpunkt Volkswirtschaft
Konjunkturzyklus .................................................................................................. Konjunkturindikatoren .......................................................................................... Konjunkturprognose und Konjunkturpolitik ........................................................... Zielkonflikte in der Volkswirtschaft ........................................................................
ifo Konjunkturprognose Frühjahr 2022 .................................................................. Konjunkturindikatoren – der Zeit voraus ................................................................ Zielkonflikte in der Konjunkturpolitik ..................................................................... Merkmale der einzelnen Konjunkturzyklen ............................................................
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Konjunkturzyklus
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1 Der Konjunkturzyklus Die Wirtschaftsentwicklung ist gekennzeichnet durch Phasen des Auf- und Abschwungs. Der Konjunkturzyklus beschreibt sich wiederholende Phasen der wirtschaftlichen Entwicklung. Ein vollständiger Zyklus kann in vier typische Phasen unterteilt werden: Konjunkturaufschwung, Hochkonjunktur oder Boom, Konjunkturabschwung und schliesslich eine Rezession. Ist diese besonders stark, sprechen wir von einer Depression. BIP in Mia. CHF
Wachstum bei optimaler Auslastung der Produktionsfaktoren, Produktionspotenzial oder Trend-Wachstum
Hochkonjunktur, Boom
Konjunkturelle Entwicklung (mit Aufschwungs- und Abschwungsphase)
Konjunkturabschwung Rezession, Depression
Konjunkturabschwung
Konjunkturaufschwung
Rezession, Depression Zeit Vollständiger Konjunkturzyklus
Die einzelnen Phasen dauern in Wirklichkeit unterschiedlich lang; sie verlaufen nicht gleichmässig, wie dies aufgrund der schematischen Darstellung einer vollständigen Wellenbewegung den Anschein erweckt. In einer Hochkonjunktur (Boom) sind die vorhandenen Produktionsfaktoren vollständig ausgelastet, und die gesamtwirtschaftliche Leistung erreicht Rekordwerte. In gewissen Branchen kann es trotz des Ausbaus der Kapazitäten und Überzeitarbeiten zu Produktionsengpässen kommen. Dies kann bei anhaltend hoher Nachfrage zu Preiserhöhungen führen. Boomphasen weisen deshalb oft inflationäre Tendenzen auf. Der Arbeitsmarkt ist ausgetrocknet, und es herrscht beinahe Vollbeschäftigung, weil die Unternehmungen alle verfügbaren Arbeitsplätze besetzen. Die Unternehmungen benötigen viel Kapital, um Investitionen zu tätigen. Als Folge davon steigen die Preise für ausgeliehenes Geld: die Zinsen. Die guten Unternehmungsergebnisse führen zu hohen Steuererträgen des Staates. Gleichzeitig können in dieser Phase die staatlichen Ausgaben zurückgefahren werden, weil z. B. weniger Mittel für den sozialen Ausgleich aufgewendet werden müssen. Allfällige Haushaltsüberschüsse können zum Abbau von Staatsschulden verwendet werden.
In der Talsohle, einer Rezession Rezession, sind dagegen die gesamtwirtschaftlichen Aktivitäten stark eingeschränkt. Weil Unternehmungen zunehmend sinkende Umsätze verzeichnen, werden Kapazitäten abgebaut und Personal wird entlassen; entsprechend steigt die Arbeitslosigkeit an. Offiziell sprechen wir von einer Rezession, wenn das reale BIP (nach Berücksichtigung allfälliger Veränderungen des Preisniveaus) in zwei aufeinander folgenden Quartalen stagniert oder abnimmt.1 Wenn das reale BIP mehr als 10 % abnimmt oder wenn die Phase des Negativwachstums mehr als 3 Jahre beträgt, spricht man von einer Depression. Beispiele für Depres sionen sind die Grosse Depression in den USA (1929 – 33), der Zusammenbruch der Sowjetunion (1989 – 98) und die Währungs- und Regierungskrise in Argentinien (1998 – 2002). Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer befinden sich in dieser Situation gegenüber den Unternehmungen in einer schwächeren Position und müssen in solchen Phasen Lohneinbussen oder gar Kündigungen in Kauf nehmen. Dies führt insgesamt zu stagnierenden oder gar sinkenden Einkommen, was die Gesamtnachfrage vermindert. Aufgrund der schwachen Nachfrage versuchen Unternehmungen, ihre Produkte zu tieferen Preisen abzusetzen, was in deflationäre Tendenzen 2 münden kann. Die staatlichen Einnahmen gehen zurück, weil sowohl Unternehmungen als auch P rivate aufgrund der geringeren Gewinne und sinkender Einkommen weniger Steuern bezahlen. Gleichzeitig nehmen die Staatsausgaben im Bereich der sozialen Wohlfahrt zu (z. B. infolge vermehrter Arbeitslosigkeit), was die Gefahr von Haushaltsdefiziten erhöht. Konjunkturschwankungen entstehen nicht einfach aus dem Nichts, sondern werden durch Veränderungen im sozialen, ökonomischen und / oder ökologischen Teilsystem ausgelöst. Allerdings treten solche Veränderungen meistens überraschend auf, oder sie können aussergewöhnlich heftig sein, sodass sie kurzfristig nicht durch entsprechende Gegenmassnahmen aufgefangen werden können. Aus der Vielzahl möglicher Auslöser für Konjunkturschwankungen werden hier einige typische aufgeführt: ■ Ökonomische Ursachen – Die Zentralbank weitet die Geldmenge aus oder schränkt sie ein. In der Folge verändern sich Preise, Löhne und Zinsen, mit entsprechenden Konsequenzen auf dem Kapital-, Arbeits- und Gütermarkt. – Irgendein Element der Nachfrage nach Gütern (staatlicher oder privater Konsum, Exportnachfrage) nimmt zu oder ab. Das kann z. B. aufgrund von Wechselkursschwankungen, einer konjunkturellen Veränderung im Ausland oder haushaltspolitischen Massnahmen des Staates geschehen. – Das Gesamtangebot wird grösser oder kleiner, z. B. weil das Arbeitskräfteangebot durch Zu- oder Abwanderung schwankt oder weil aus politischen Gründen massive Aufgabe 1 Kapitalzuflüsse oder -abflüsse erfolgen. Übung 1 1
Oft wird von Ökonomen dabei der Begriff «technische Rezession» verwendet.
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Unter Deflation verstehen wir einen Rückgang des durchschnittlichen Preisniveaus.
■ Soziale Ursachen – Aussen- oder innenpolitische Veränderungen bewirken Optimismus oder Pessimismus in der Gesellschaft. – Religiöse oder kulturelle Veränderungen beeinflussen die Grundhaltungen der Menschen, z. B. in Bezug auf Sparen und Konsum. ■ Ökologische Ursachen – Naturkatastrophen, Rekordernten oder der Fund neuer Rohstoffvorkommen können vorübergehend zu einem massiv veränderten Güterangebot mit entsprechenden Konsequenzen für das Preisniveau sorgen.
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Konjunkturzyklus
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Konjunkturzyklus
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2 Die Konjunkturindikatoren Die konjunkturelle Entwicklung lässt sich in erster Linie am Bruttoinlandprodukt ablesen. Allerdings lassen sich die einzelnen Konjunkturphasen anhand der BIP-Entwicklung nur schwer voneinander abgrenzen. Deshalb betrachten wir auch andere Messgrössen, die Aussagen über die wirtschaftliche Entwicklung zulassen. Diese sogenannten Konjunkturindikatoren lassen sich in drei Gruppen unterteilen:
Veränderung des Indikators
Höhepunkt des Indikators
Konjunkturtiefpunkt
Höhepunkt des Indikators
Konjunkturtiefpunkt
Gleichlaufende Indikatoren Z. B. – Privater Konsum – Investitionen – Umsätze von Unternehmungen – Exporte
Konjunkturentwicklung Konjunkturhöhepunkt
Tiefpunkt des Indikators
Zeit
■ Vorauseilende Indikatoren nehmen den konjunkturellen Verlauf vorweg. Sie sind deshalb besonders geeignet, um Konjunkturprognosen zu erstellen. Typische Beispiele dafür sind Umfrageergebnisse zur Konsumenten- und Unternehmerstimmung, der Auftragseingang von Industrie- und Bauunternehmungen oder die Entwicklung des Geld umlaufs. Wenn es gelingt, nicht nur die Richtung der kommenden konjunkturellen Entumlaufs wicklung frühzeitig zu erkennen, sondern auch die ungefähre Stärke und zeitliche Verzögerung, bilden vorauseilende Indikatoren ein wichtiges Instrument zur Planung v on konjunkturpolitischen Massnahmen. Veränderung des Indikators
Tiefpunkt des Indikators
Konjunkturentwicklung Konjunkturhöhepunkt
■ Gleichlaufende Indikatoren weisen etwa den gleichen zeitlichen Verlauf wie der Konjunkturzyklus auf. Typische Beispiele dafür sind der private Konsum sowie die Investitionen von Unternehmungen, Unternehmungen die beide in Boomphasen deutlich ansteigen, während sie in einer Rezession stagnieren oder gar sinken. Auch für die Umsätze von Unternehmungen sowie für die Exporte eines Landes gilt: Die Daten bewegen sich etwa im Gleichschritt mit der konjunkturellen Entwicklung. Veränderung des Indikators
Nachhinkende Indikatoren Z. B. – Lohn-, Zins- und Preisentwicklung – Arbeitslosigkeit
Vorauseilende Indikatoren Z. B. – Konsumentenstimmung – Auftragseingänge – Geldumlauf
Höhepunkt des Indikators
Zeit
■ Nachhinkende Indikatoren zeichnen den Konjunkturverlauf mit einer gewissen Verzögerung nach. Typische Beispiele dafür sind die Lohn-, Zins- und Preisentwicklung sowie die Arbeitslosenzahlen Arbeitslosenzahlen. Dies erklärt sich durch das Verhalten von Unternehmungen und privaten Haushalten im Konjunkturverlauf. Nach einer Rezession dauert es eine bestimmte Zeit, bis das Vertrauen in einen konjunkturellen Aufschwung zunimmt. Eine leicht steigende Nachfrage wird mit dem Abbau von Lagerbeständen befriedigt, ohne dass deswegen die Preise ansteigen. Investitionen werden vorerst aus eigenen Mitteln finanziert und wirken sich erst nach einiger Zeit auf die Kreditnachfrage in Form von steigenden Zinsen aus. Erst wenn zusätzliche Produktionskapazitäten vorhanden sind, werden neue Arbeitskräfte benötigt, und die verbesserte Beschäftigungssituation wirkt sich auch positiv auf die Löhne aus.
Konjunkturtiefpunkt
Konjunkturentwicklung Konjunkturhöhepunkt
Tiefpunkt des Indikators
Zeit
Aufgabe 2 Übung 2
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Konjunkturzyklus
Das haben Sie gelernt Einen vollständigen Konjunkturzyklus beschreiben Die Merkmale der unterschiedlichen Phasen des Konjunkturzyklus nennen Einige mögliche Ursachen für konjunkturelle Veränderungen nennen Unterschiedliche Konjunkturindikatoren erläutern Volkswirtschaftliche Zielkonflikte aufzeigen
Diese Begriffe können Sie erklären Konjunktur Konjunkturzyklus Konjunkturaufschwung Hochkonjunktur (Boom) Konjunkturabschwung Rezession (Depression) Konjunkturindikatoren Vorauseilende Indikatoren Gleichlaufende Indikatoren Nachhinkende Indikatoren Konjunkturprognose Konjunkturpolitik Keynesianismus Antizyklische Konjunkturpolitik Volkswirtschaftliche Zielkonflikte
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Offene Fragen
Ordnen Sie die folgenden Aussagen zum Konjunkturzyklus den richtigen Ziffern in der schematischen Darstellung zu.
Ziffer des zutreffenden Begriffs
Übung 1 Konjunkturzyklus
m) In diesen Phasen sind die Produktionsfaktoren vollkommen ausgelastet, möglicherweise sogar überlastet. n) Unternehmen verzeichnen während zwei Jahren stark sinkende Umsätze und entlassen deshalb viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. o) Es werden viele Überstunden geleistet, und die Maschinen laufen rund um die Uhr. p) Zeigt die Gesamtheit aller innerhalb eines Jahres in einem Land hergestellten Güter und Dienstleistungen. q) Zeigt die mögliche, langfristige Entwicklung der Wirtschaftsleistung aufgrund der Produktionsfaktoren, die zur Verfügung stehen. Ordnen Sie die folgenden Begriffe den richtigen Ziffern in der schematischen Darstellung des Konjunkturzyklus zu. a ) Trendwachstum
g ) Konjunkturerholung
b) Zeit
h) Hochkonjunktur
c ) Depression
i ) Konjunkturelle Entwicklung
d ) Konjunkturaufschwung
j) Konjunkturabschwung
e ) Rezession
k ) Boom
f ) BIP, real
l ) Wachstum bei optimaler Auslastung der Produktionsfaktoren
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Konjunkturzyklus
r) Die Wirtschaftsleistung steigt markant an; Unternehmungen investieren kräftig und stellen neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein. s) Die Wirtschaftsleistung stagniert. Überstunden werden abgebaut und Produkte an Lager gelegt. t) Die Wirtschaftsleistung sinkt infolge einer Bankenkrise um mehr als 10 %.
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Konjunkturzyklus
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Aufgabe 1 ifo Konjunkturprognose Frühjahr 2022 Das ifo-Institut wurde im Jahr 1949 als Informations- und Forschungsstelle (Ifo) für Wirtschaftsbeobachtung gegründet und beschreibt sich wie folgt:
Die Eskalation des russisch-ukrainischen Konflikts und der Ausbruch des Krieges am 24. F ebruar 2022 änderte die wirtschaftliche Lage auch in Deutschland.
«Das ifo Institut will die wirtschaftspolitische Debatte in Deutschland und in Europa mitgestalten. Das können wir, weil wir exzellente Forschung mit wirtschaftspolitischer Relevanz verbinden. Die Forschungsergebnisse bieten Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft ei-ne Grundlage für sachorientierte Entscheidungen. Wir bereiten wissenschaftliche Er-kenntnisse so auf, dass Medien und die Öffentlichkeit das aktuelle ökonomische und poli-tische Geschehen verstehen und einordnen können.»
a) Prof. Dr. Wollmershäuser erläutert in der Pressekonferenz vier verschiedene Aspekte, welche die Konjunktur massgebend beeinflussen. Notieren Sie stichwortartig die angesprochenen Aspekte und deren Auswirkungen auf die Konjunktur.
b) Das ifo hat für die Konjunkturprognose zwei Szenarien (siehe Seite 17) in Betracht gezogen. Welches ist das positivere Szenario? Begründen Sie Ihre Antwort.
Mit dem nebenstehenden QR-Code können Sie das Video der Presse konferenz zur ifo Konjunkturprognose vom 23. März 2022 aufrufen.
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Konjunkturzyklus
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