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Es braucht nicht nur Kapital, sondern auch Können

Stephan Dörner begleitet als Chefredakteur des Branchenmagazins t3n die Digitalwirtschaft seit ihren Anfängen. Im Gespräch mit style in progress spricht er über Plattformökonomie, Quasimonopolisten und warum Digitalisierung trotz aller Herausforderungen die Chance schlechthin bleibt. Interview: Martina Müllner-Seybold. Foto: t3n

Stephan Dörner ist als Chefredakteur von t3n so etwas wie Chefchronist der Digitalisierung. Im Gespräch mit style in progress erklärt er mit erfri- schendem Außenblick, warum man abgefahrenen Zügen nicht hinterherlaufen sollte.

Die Großen gewinnen, die kleinen

sterben. Ist das die neue Realität im E-Commerce?

Es ist eine generelle Tendenz, die ich in der Digitalwirtschaft beobachte. Die großen Plattformen gewinnen langfristig. Ausschlaggebend dafür ist der Netzwerkeffekt, alle Seiten profitieren, je größer das Netzwerk ist. Dementsprechend gibt es schnell einen Konsolidierungseffekt, sodass immer eine Plattform in einem Bereich übrigbleibt. Das ist natürlich problematisch, weil letztlich dieser Anbieter nicht mehr Marktteilnehmer ist, sondern plötzlich selbst der Markt. Er bestimmt die Bedingungen und nutzt diese Stellung – das kann sicher jeder Händler, der auf Amazon verkauft, bestätigen.

Unsere Regierungen und unsere Legislative schauen zu. Das Kartellamt kümmert sich inbrünstig, wenn

Karstadt und Galeria Kaufhof fusionieren, hat aber der

Konzentration von Marktmacht bei Amazon nichts entgegenzusetzen?

Das ist ein grundsätzliches Problem unserer aktuellen

Wirtschaftsordnung und des Kartellrechts. Die Plattformökonomie braucht nicht unbedingt Übernahmen, um zum Quasimonopolisten zu werden. Amazon hat seine beherrschende Stellung in Deutschland ohne jede Übernahme etabliert, aber nur dann würde das Kartellrecht greifen. Was das Kartellrecht allerdings hergibt, ist, dass man gegen Machtmissbrauch vorgehen kann, wie es bei

Google geschehen ist. Wenn es allerdings einfach nur ein

Quasimonopol in einem Bereich gibt, das auf natürlichem

Weg entstanden ist, gibt es dagegen kein kartellrechtliches

Instrument. Weil das Kartell aus einer Zeit stammt, in der so was wie Software keine Rolle spielte.

Kann man daraus eine Analogie auf den Handel ableiten? Braucht es auch im Handel Entscheider, die nicht mehr aus einer Zeit stammen, in der die neuen Regeln noch keine Rolle spielten?

Ich glaube, es gibt durchaus Unternehmer, die nicht mit der Digitalisierung aufgewachsen sind und die Mechanismen der Digitalisierung dennoch verstanden haben und geschafft haben, Unternehmen zu transformieren. Ein

Beispiel dafür ist Otto, die mit About You eine relativ starke E-Commerce-Marke aufgebaut haben, die bei einer jungen Zielgruppe gut funktioniert. Das Gegenbeispiel ist

Neckermann.

Reden wir über Fairness im Wettbewerb. Ein mittelgroßer E-Commercer mit Steuersitz in Deutschland auf der einen Seite, ein international verzweigtes Firmengeflecht mit reichlich Investorengeld und Quasimonopol auf der anderen Seite. Kann man diese teilweise irrwitzigen

Wettbewerbsvorteile als David gegen Goliath überhaupt wettmachen?

Das sind zwei verschiedene Dimensionen. Das eine ist die

Steuer. Da ist es wirklich so, dass aktuell internationale

Konzerne Spielraum in der Gestaltung haben. Da ist die

EU aber schon dran und zum Beispiel Apple wurde zu

Nachzahlungen verdonnert.

Die zweite Dimension ist die Frage des Kapitals und da ist es tatsächlich so, dass in Kontinentaleuropa generell und mit Abstrichen auch in UK einfach deutlich weniger

Kapital zur Verfügung gestellt wird, um Märkte zu erobern. In den USA ist das anders. Trotzdem gibt es Player wie Zalando, die sich mit ihrer deutschen und schwedischen Finanzierung am Markt sehr erfolgreich etabliert haben. Dieses Beispiel und genauso About You zeigen, dass es kein reines Kapitalspiel ist. Natürlich kann man sich mit ganz viel Kapital Marktanteile erkaufen, aber das ist nicht der einzige Erfolgsfaktor. Bleiben wir bei About You: Da wurde viel investiert, eine starke Marke aufzubauen. Natürlich spielt Geld dabei eine Rolle, aber es ist auch Können. Eine Marke richtig zu positionieren, ist keine Frage, die sich nur auf Geld reduzieren lässt.

Was ist also die Konsequenz für jemanden, der keine Millionen Venture-Kapital in der Tasche hat? Hände weg vom E-Commerce?

Kein Unternehmen kommt an Digitalisierung vorbei und es ergeben sich auch immer Chancen durch die Digitalisierung. Man muss nicht unbedingt einen eigenen Shop dafür gründen, man kann auch als Amazon-Marketplace-Händler Geld verdienen. Ich persönlich würde heute kein E-Commerce-Start-up mehr gründen. Die Früchte hängen einfach nicht mehr so tief wie in den Anfängen der Digitalisierung. Ein Großteil des E-Commerce-Wachstums, das wir in den nächsten zehn bis 15 Jahren sehen werden, wird von Amazon und Co abgegriffen werden.

Nun wäre die logische Konsequenz, dass man diesen Marktgegebenheiten nicht als einsamer Wolf, sondern im Rudel entgegentritt. Doch die Modebranche ist von Individualisten, die, egal auf welcher Ebene des Handels, immer gerne ihr eigenes Ding gemacht haben, getrieben. Ist dieses Einzelgängertum das Erste, was man auf dem Weg in eine digitalisierte Zukunft über Bord werfen sollte? Sind Plattformen wie Farfetch manchmal einfach die cleverere Lösung?

Ja, das glaube ich durchaus. Diese neuen Allianzen gibt es auch in anderen Branchen. In der Autoindustrie wäre es vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen, dass die großen deutschen Hersteller zusammenarbeiten, aber sie tun es. Ich kenne mich jetzt in der Mode, ehrlich gesagt, wenig aus, aber ich glaube durchaus, dass es sinnvoll wäre, wenn auch hier Allianzen geschlossen würden, die bisher ungewöhnlich waren. Wobei ich damit nicht den Versuch meine, eine gemeinsame Plattform neben Amazon oder Zalando aufzubauen. Dieser Zug ist schon längst abgefahren. Trotzdem können Zusammenschlüsse helfen, den existierenden Plattformen nicht alle Macht abzugeben.

Farfetch ist ein solches Beispiel, auch in anderen Preisgenres der Mode gibt es Versuche, alle E-Commerce-Aspekte zu bündeln, die für den Einzelnen zu investitionsintensiv sind. Selbst Zalando will lieber Plattform als Händler sein.

Klar, alle wollen Plattform sein. Das ist das Traumziel jedes Digitalunternehmens, einfach nur die Marge abschöpfen und so viel Macht haben wie Amazon (lacht). Für mich als Außenstehenden ist es höchst erstaunlich, dass es nicht vor zehn, 15 Jahren eine Allianz der Hersteller gegeben hat. Die großen Modehersteller waren offensichtlich strategisch nicht so weitsichtig, diese Plattform selbst zu bauen. Aus ihrer Sicht wäre es strategisch die beste Option gewesen, eine Plattform wie Farfetch gemeinsam zu etablieren. Das wäre die kluge Antwort auf die Digitalisierung gewesen.

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