7 minute read

Neuer Konsum, neue Konzepte? Welche neuen Konzepte

NEUER KONSUM, NEUE KONZEPTE?

Wir wachsen in eine Welt hinein, die neue Regeln verlangt. Das ist eine Riesenherausforderung auf Markenseite, weil die Konsumenten von heute anders kaufen, offline wie online. Was sind die dringenden Aufgaben auf Unternehmensseite? Wie stellt man sich als Marke oder Unternehmen darauf ein, dass sich Konsum völlig verändert hat? Branchenprofis geben Antwort. Text: Isabel Faiss, Kay Alexander Plonka, Nicoletta Schaper. Illustrationen: Claudia Meitert@Caroline Seidler

Marco Marchi, Präsident Liu Jo

„Klimawandel und Digitalisierung haben die Einkaufsge wohnheiten grundlegend revolutioniert. Die Endkunden sind viel sensibler und selbstbewusster und agieren schneller und unkomplizierter als früher. Unsere Antwort darauf? Noch mehr Qualität und ein einzigartiges Einkaufserlebnis. Wir arbeiten außerdem daran, das industrielle Produktionssys tem einer Time-to-Market-Mentaliät anzupassen, damit wir on- und offline schnell und dynamisch reagieren können.“

UNTERSCHIED TROTZ ÜBERANGEBOT Valentin von Arnim, Geschäftsführer Iris von Arnim

„Die These stimmt, auch für unseren Markt. Allerdings treibt uns eine daraus entstehende andere Entwicklung. In einer Zeit, in der sich beim Konsum oft alles nur noch um die Experience dreht, gerät das Produkt in den Hintergrund. Wir schaffen Fans durch Vertrauen und Begeisterung, und das er reichen wir durch Ehrlichkeit und ein herausragendes Produkt. Das macht in Verbindung mit der Persönlichkeit im Service – das heißt, sich für den Kunden wirklich Zeit zu nehmen – den

TIME-TO-MARKET-MENTALITÄT

Unterschied bei dem großen Überangebot.“

WENDEPUNKT Sandra Christina Gonçalves, Business Manager Lightning Bolt

„Unser Markenkern sind die Natur und die Menschen. Das Wichtigste für uns ist der Kunde, dessen Bedürfnisse wir sehr ernst nehmen, mit dem Ziel, dass wir diese Beziehung ständig verbessern. Die Technologie ist unser großer Verbündeter, denn sie hilft, den Kauf schneller und effizienter zu gestalten, für größtmögliche Kundenzufriedenheit. Generell stehen wir Marken an einem Wendepunkt, es wartet niemand auf uns. Deshalb haben wir von Lightning Bolt unser Business mit neuer Energie aufgeladen, um es dem neuen digitalen Zeitalter des Hochgeschwindigkeitshandels anzu passen.“

MEHR SPEED Thorsten Stiebing, Managing Brand Director Joop

„Der Konsum hat sich selbstverständlich verändert, aber nicht so radikal, als dass wir nicht nach wie vor mit dem klassischen Einzel handel sehr gute Geschäfte machen würden. Grundsätzlich ist die Digitalisierung eine Chance für Unternehmen, mit der wir uns schon lange und intensiv befassen – sei es in der Produktentwicklung oder in der Visualisierung der Produkte. Es gibt neue Konzepte, die sowohl in der Supply Chain als auch am Frontend absolut Sinn machen. Dadurch werden die Touchpoints im Handel und E-Com merce interessanter, die Beschaffung wird visueller und bekommt mehr Speed. Wir entwickeln uns schnell weiter, jedes erfolgreiche Unternehmen ist gut beraten, in zukunftsweisende Technologien zu investieren.“

POSITIVER IMPACT Carolina Alvarez-Ossorio, Marketing & Communication Director Ecoalf

„Nachvollziehbarkeit, Transparenz und Qualität sind die Schlüs selfaktoren für die Zukunft. Ich glaube daran, dass diese Faktoren zum Standard für die Industrie werden. Kunden wollen heute genau wissen, woher ein Produkt kommt und woraus es gemacht wird. Diese Informationen bereitzustellen, ist noch lan ge nicht genug, aber der ausschlaggebende Grund für den Kauf eines bestimmten Produkts oder einer Marke. Konsumenten wol len wissen, was sie tragen, und sie wollen etwas Gutes tun.“

AUF DEN KONSUMENTEN ZUSCHNEIDEN André Berger, Handstich

„Für mich liegt die Antwort auf diese Frage im Stichwort Consumer Direct. Auf allen Ebenen müssen wir unser Ge schäftsmodell, unser Produkt und unseren Service noch viel exakter auf den Konsumenten und seine Bedürfnisse zuschneiden. Wer es heute nicht schafft, den Kunden im Kopf zu entschleunigen, ihm eine wirklich gute Story zu prä sentieren, die ihn motiviert, bei der Marke zu verweilen und sich mit ihrem Produkt auseinanderzusetzen, der investiert falsch. Klassische Kanäle wie traditionelle Werbeformen und Botschaften funktionieren einfach nicht mehr. Marken botschaft, -erlebnis und -werte müssen für den Konsumenten erlebbar, fühlbar, spannend und transparent bespielt werden.“

VERÄNDERUNGEN GEMEISTERT Filippo Chiesa, Eigentümer Sealup

„Einerseits ist alles so viel schneller geworden und die Endverbraucher treffen in kurzer Zeit ihre Kauf entscheidung. Andererseits haben wir heute einen globalen Markt und man muss sich nicht mehr nach den einzelnen Märkten richten. Ich denke, dass man diese neue Art des Konsums mit Innovation, Schnelligkeit und Leidenschaft gut be dienen kann. Letzten Endes machen wir das seit 1935 und haben sehr viele große Veränderungen erlebt und gut gemeistert. Deswegen schauen wir auch optimis tisch in die Zukunft.“

BEGEHRLICHE PRODUKTE SCHAFFEN Valentino de Luca, Inhaber Lucky de Luca

„Für mich liegt die Antwort darin, Begehrlichkeit zu schaffen. Nicht nur über Selektierung und Verfüg barkeit, sondern auch im Produktdesign selbst. Es erfordert natürlich einen gewissen Mut, gegen den Strom zu schwimmen und anders zu designen als der Mainstream. Doch das ist es, was der Kunde meiner Meinung nach sucht. Abwechslung, Einzig artigkeit und ein interessantes Produkt, das den Zeitgeist trifft.“

NEUE GESCHÄFTSMODELLE NEUE MODE ≠ NEUWARE, GESCHÄFT ≠ VERKAUFEN

Mode soll schnelle Abwechslung bieten, umweltbewusst und erschwinglich sein – alles gleichzeitig? Das klingt nach einem Paradoxon, das nur teures Marketing in Schach halten kann. Doch wenn sich die alte Krämerseele vom Zwang zum Verkaufen löst, zünden aus dieser Basis lukrative Ideen. Text: Petrina Engelke

1Serielle Monogamie für Fashion Lovers

Das Modegeschäft fußt auf dem Verkauf von Neuware. Noch. Wer sagt denn, dass ein Kleid oder eine Hose nur einmal die Kasse klingeln lassen kann? Secondhand war gestern, für heutige Gebrauchtkleider erfanden die Amerikaner den schönen Begriff „pre-loved“. Nun ist „Resale“ ein Riesengeschäft, das aus Kundensicht günstig und nachhaltig mit einer spannenden Vielfalt lockt. Das können Luxusmarken als Bedrohung sehen – oder als Marketingchance. Stella McCartney etwa ging eine Partnerschaft mit dem Luxus-Secondhandverkäufer The RealReal ein. Verkaufen Kunden ihre Ware dort weiter, bekommen sie einen Gutschein. Burberry belohnt US-Kunden dafür stilecht mit High Tea – plus einer Personal Shopping-Runde in einem seiner Läden. Es ist halt nicht so einfach, das mit der Neuware ganz sein zu lassen.

2Schatzsuche im Kaufhaus

The RealReal und der Online-Secondhandriese ThredUp treffen punktgenau die Vorliebe fürs Durcheinandermischen, die Millennials und Generation Z sich von Influencern abgucken. Sie wollen auf Schatzsuche gehen – und fallen damit ins Metier der Profieinkäufer ein. Umso cleverer ist es, deren Talent für den Aufbau eines Wiederverkaufs zu nutzen. Die US-Kaufhauskette Macy’s holte sich dazu ThredUp ins Haus, und zwar ausschließlich mit Marken, die Macy’s nicht führt. Schon ist sowohl das Sortiment als auch das Ansehen bei jüngeren Leuten aufgerüscht.

3Bye, bye, Besitzerstolz

Kaufen hat als Basis des Konsums ausgedient – besonders in der Luxusmode. Social Media demonstrieren, was Status in Wahrheit ausmacht: nicht das Besitzen, sondern das Zeigen. Es ist also kein Wunder, dass der Verleih floriert. Mit der passenden Garderobe für Galadinners, Hochzeiten und Abschlussbälle etablierte sich Rent The Runway. Das Unternehmen hat inzwischen einen Wert von mehr als einer Milliarde US-Dollar. Auch bei Une Robe Un Soir ist der Name Programm. LSWOP dagegen ist auf Edel-Sneaker spezialisiert und suggeriert Status damit, dass zum Leihen eine Clubmitgliedschaft erforderlich ist, die man nur auf Einladung bekommt – quasi ein Angeberabo.

4Dauerhafte Zeitbegrenzung

Auf vereinzelte Anlässe fürs Leihgeschäft will sich Stitch Fix nicht verlassen. Mit Modepaketen im Abonnement machte das Unternehmen 2018 rund 1,2 Milliarden US-Dollar Umsatz. Für eine monatliche Pauschale gibt es eine je nach Tarif festgelegte Anzahl von Kleidungsstücken, und nach der Rücksendung kommt Nachschub. Auf diese Weise ständig etwas Neues zu bieten, hat ein weites Feld geöffnet. The Rotation beispielsweise setzt auf Abos mit Streetwear von Yeezy, Carhartt WIP oder Stone Island. Das US-Kaufhaus Bloomingdale’s sprang mit einem eigenen Aboservice auf den Trend auf, ebenso wie Rent The Runway. Dort gibt es inzwischen auch Bettzeug und Zierkissen auf Zeit.

5Ein Geschäft mit dreckiger Wäsche

Weniger glamouröse Marken sind ihnen auf den Fersen. Express, American Eagle oder Scotch & Soda verleihen Teile ihres Sortiments auf monatlicher Basis. Auf die Technologie und Logistik dahinter spezialisiert sich Caastle. In Europa macht RE-NT es Marken mit einem simplen Button für den Onlineshop und der Transparenz von Blockchain-Technologie leicht, einen Verleih zu verwalten. Irgendwer muss die Leihware schließlich nicht nur lagern, sondern auch reinigen und vor dem Wiederversand prüfen. Das ist gleichzeitig eine Qualitätskontrolle. Ein Alltagskleiderverleih rechnet sich nun einmal nur, wenn die Sachen mehr als zwei Runden in der Waschmaschine überstehen. Eine nachhaltigere Produktion könnte glatt zur Nebenwirkung dieses Geschäftszweiges werden. Doch während Verleiher mit ihrem Wäschedienst beim Kunden punkten, nutzt noch keine etablierte Modemarke dieses Dienstleistungspotenzial selbst.

6Flickwerk im Geschäftsmodell

Änderungsschneiderei und Reparaturen liegen offenbar näher. Wie in der Elektronikbranche kauft Patagonia sogar die eigene Ware zurück, flickt sie und gibt sie dann zu einem günstigeren Preis ein zweites Mal ab. The Renewal Workshop hat sich ganz auf Gebrauchtkleideraufbereitung spezialisiert. Das Unternehmen reinigt und repariert Kleidung im Auftrag von Herstellern wie The North Face für eine weitere Runde durch die Kreislaufwirtschaft – der Ökofaktor ist quasi eingebaut.

7Stoffzucht und Modedruckerei

Auch in R&D steckt eine Dienstleistungsgoldgrube. Entwicklungen im 3D-Printing ebnen etwa den Weg zu Print-on-Demand, mit dem sich in der Buchbranche ein eigener Markt gebildet hat. Solche Verfahren lassen sich zudem lizensieren oder per Abonnement zur Nutzung anbieten, ebenso wie die Rezepturen neuer Materialien. Um sich solche Chancen zurecht zu schneidern, müssten Modeunternehmer allerdings bereit sein, den Feldstecher hervorzukramen – und ganz weit über den Tellerrand blicken.

This article is from: