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What’s your Purpose? Diese Gründer haben eine Mission
WHAT’S YOUR PURPOSE?
Ladensterben, fehlender Nachwuchs, gesättigte Märkte, übermächtige Player – dies sind nur wenige Schlagworte, die turnusmäßig neue Prognosen über den Einzelhandel pointieren. Den drückenden Vorhersagen zum Trotz haben sich in den letzten Jahren Konzepte etabliert, die oftmals weniger den Regeln des klassischen Handels, sondern vielmehr ihrem eigenen WARUM folgen. Was macht diese Generation an Gründern anders und was treibt sie an? Text: Stefanie Buchacher. Fotos: Gesprächspartner
DAS MODE-MIET-MODELL
STAY AWHILE
Hamburg und Magdeburg/Deutschland
Das Modell, Kleidung zu mieten, brachte Thekla Wilkening gemeinsam mit einer Geschäftspartnerin bereits 2012 mit der Kleiderei auf den Markt. Trotz der sechs Jahre später folgenden Insolvenz – oder vielmehr gerade deswegen – startete die 32-Jährige Ende 2018 erneut mit einem Mode-Miet-Modell. Stay Awhile ist dabei an Kilenda, einen Mietservice für Kinderkleidung, Spielsachen und Erstausstattung, angeschlossen und kooperiert mittlerweile mit Marken wie Armedangels, Lana, Shipsheip, Jan’n June oder Lanius – allesamt Labels, die fair und weitestgehend in Bioqualität produzieren. Stay Awhile folgt dem Prinzip „Leih dir deinen Look“. Nach einer persönlichen Abstimmung der individuellen modischen Vorlieben erhalten die Abonnentinnen eine kuratierte Auswahl. Liebgewonnene Stücke können später gekauft werden. Die restlichen Teile werden nach Ablauf der Frist zurückgesendet, gereinigt, aufbereitet und wieder in den Leihkreislauf geschickt. Derzeit werden 60 bis 70 Prozent aller Abos individuell kuratiert, die restlichen Abonnentinnen wählen selbst aus dem gesamten, wie in einem Onlineshop präsentierten Sortiment aus. „Ich glaube, das Modell ‚Mode zum Kaufen‘ ist überholt. Es kann nicht sein, dass wir Mode als Müll produzieren“, sagt Thekla Wilkening. Ihrer Meinung nach ist es an der Zeit, die Verantwortung von Besitz neu zu denken und nachhaltiger zu agieren. Für die nächsten Jahre sieht sie eine Trendwende im Kleiderschrank kommen: „Ich denke, wir werden in Zukunft höchstens 50 Prozent unserer Kleidung besitzen. Der Rest wird geliehen, gemietet oder als Investment zum Tragen und Weiterverkaufen gekauft.“ Wilkenings Traum: Irgendwann soll der Träger ausschließlich für die Nutzung eine Miete bezahlen, während der Produzent für das Teil die Verantwortung trägt. „Wir teilen unsere Betten bei Airbnb und nutzen Hotelzimmer, in denen die Gäste Nacht für Nacht wechseln. Die Hemmschwelle, Kleidung mit anderen Menschen zu teilen, ist nur in unseren Köpfen.“
„Es ist an der Zeit, die Verantwortung von Besitz neu zu denken.“ Thekla Wilkening
DER MARKTPLATZ FÜR
ÖKOFASHION UND GREEN LIFESTYLE
AVOCADOSTORE
Hamburg/Deutschland
Mit dem zehnjährigen Bestehen gehört Avocadostore zu den Wegbereitern des nachhaltigen Konsums und ist heute Deutschlands größter Marktplatz für Ökofashion und Green Lifestyle. Was die Initiatoren Philipp Gloeckler und Stephan Uhrenbacher auf den Weg gebracht haben, führt Mimi Sewalski, die in der Gründungsphase dazustieß, seit 2013 als Geschäftsführerin fort: „Wir wollten etwas schaffen, was es bis dahin noch nicht gab – eine Art grünes Amazon. Entstanden ist ein Marktplatz, um fair produzierende Händler zusammenzubringen“, sagt die 38-Jährige, die eher durch Zufall zu Avocadostore stieß. Zuvor arbeitete die studierte Soziologin und Kriminologin in Israel für Hightech-Start-ups und in Hamburg für eine Werbeagentur. Als sie sich nicht
„Am Anfang wurden wir belächelt, aber über die Jahre haben wir dazu beigetragen, den Markt und den Konsum zu verändern.“ Mimi Sewalski
mehr mit den Produkten ihrer Kunden identifizieren konnte, kündigte sie, wechselte in die Gastronomie und traf schließlich Philipp Gloeckler auf einer Messe. „Am Anfang wurden wir belächelt, aber über die Jahre haben wir dazu beigetragen, den Markt und den Konsum zu verändern.“ Das zeigt sich auch am Wachstum: Seit der Gründung stieg dieses kontinuierlich und lag in den letzten Jahren laut Unternehmen immer zwischen 50 und 60 Prozent. Über 2.000 Marken und 200.000 nachhaltige Produkte im Vollsortiment bietet die E-Commerce-Plattform derzeit, von Kleidung für Damen, Herren und Kinder über Kosmetik- und Wellnessprodukte bis hin zu Möbeln und Wohnaccessoires. Avocadostore sorgt dabei für eine transparente Präsentation. Die Grundlagen dafür stellen zehn Nachhaltigkeitskriterien dar. Jedes verkaufte Produkt muss mindestens eines dieser Kriterien erfüllen.
DAS ÖKOMODELABEL MIT
EIGENEM RETAIL
FOLKDAYS
Berlin/Deutschland
Folkdays versteht sich weniger als Modelabel, vielmehr als Initiative, die sich in der Zusammenarbeit des Unternehmens mit traditionellen Manufakturen zeigt oder im Engagement gegen Fast Fashion. „Folkdays steht für fair produzierte Kleidung, Schmuck und Accessoires“, sagt Unternehmensgründerin Lisa Jaspers, „wir wollen einen systemischen Wandel anstoßen und Menschen in Entwicklungsländern aus der Armut helfen. Es geht um Handwerk und Fair Trade.“ Seit ihrem Politik- und Wirtschaftsstudium und ersten Jobs bei Oxfam und einer Beratung für internationale Zusammenarbeit treibt Jaspers der Wunsch an, lokale Wirtschaft in Entwicklungsund Schwellenländern zu fördern und Armut zu bekämpfen. Das Konzept für die Produkte erarbeitet Jaspers gemeinsam mit einem kleinen Team und den Kunsthandwerkern vor Ort. Ob in Bangladesch, Indien, Kambodscha, Thailand oder Peru – Folkdays arbeitet mit kleinen Manufakturen oder Einzelpersonen zusammen, die oft über Generationen hinweg ihre traditionellen kunsthandwerklichen Fertigkeiten ihres Kulturraums bewahrt und weiterentwickelt haben.
Die zeitlose Kleidung, Schmuck, Accessoires und Einrichtungsgegenstände verkauft Folkdays im eigenen Online Store, in einem Ladengeschäft in Berlin-Kreuzberg und in Kooperation mit Manufactum. Saisonale Trends oder Sale gibt es nicht, denn Jaspers geht es darum, ein Gegenmodell zu schnellen Kollektionswechseln von Fast Fashion und der damit verbundenen geringen Wertschätzung zu bieten. „Wir wollen zum Umdenken anregen und die Leute erziehen, dass es keinen Sale gibt“, sagt die 36-Jährige. „Zum anderen sind unsere Produkte so kalkuliert, dass Sale einfach nicht eingerechnet ist. Wir setzen lieber auf eine geringe Stückzahl, um sicherzustellen, dass wir unsere gesamte Ware verkaufen.“ Größte wiederkehrende Hürde ist die hohe Kapitalbindung, die nötig ist, um Produzenten bereits bei der Bestellung der Ware einen Teil der Fertigungskosten zu bezahlen und so eine faire Zusammenarbeit zu pflegen. Um die Absatzmengen besser planen zu können und den finanziellen Handlungsspielraum zu erleichtern, testet Folkdays ein Pre-Order-Konzept bei den Kunden: „Wir glauben daran, mit unseren Kunden eine wirklich nachhaltige Unternehmensstruktur umzusetzen und gemeinsam das System zu verändern.“
„Ich habe Folkdays gestartet, um einen systemischen Wandel anzustoßen, um Armut in Entwicklungsländern zu bekämpfen – nicht um ein Modelabel zu gründen.“ Lisa Jaspers
Mit Folkdays gründete Lisa Jaspers weniger ein Modelabel als vielmehr eine Initia- tive, um die Wirtschaft in Entwicklungsländern zu stärken und als Gegenmodell zu Fast Fashion.
DER MULITBRAND-RETAILER
FÜR FAIR FASHION
LOVECO
Berlin/Deutschland
„Während des Studiums wurde mein Blick auf die Textilindustrie geschärft und mir aufgezeigt, was alles schief läuft“, sagt Christina Wille. „Mir war klar, dass ich an diesen Zuständen etwas ändern wollte, aber noch nicht in welchem Rahmen.“ Nach zwei Jahren als Storeleiterin bei DearGoods entschied sie sich für die Selbstständigkeit. 2014 erfolgte die Gründung und die Eröffnung des ersten Loveco Stores in Berlin-Friedrichshain, 2016 der Launch des eigenen Onlineshops, 2017 folgte ein Geschäft in Berlin-Kreuzberg und 2018 schließlich ein weiterer Store in Berlin-Schöneberg als erster Conceptstore für ökologische, faire und vegane Mode und Accessoires im Berliner Westen. „Unser Motor sind einerseits Menschen, die sich für nachhaltiges Wirtschaften und einen nachhaltigen Umbruch in der Gesellschaft bemühen. Auf der anderen Seite sind es die Menschen, die wir in den Produktionsländern unterstützen können und deren Leben wir hoffentlich nachhaltig verändern“, sagt die 33-Jährige. Aber sie weiß auch: „Wir bleiben ein Unternehmen, das auf den Konsum von Kleidung angewiesen ist. Wir leben also von Konsum. Da machen wir uns nichts vor.“ Wille erkennt jedoch eine Verhaltensänderung bei ihren Kunden, die bewusster einkaufen und wertschätzender mit ihren Kleidungsstücken umgehen. Sie sieht sich als Teil einer Bewegung: „Solange es Fast-Fashion-Ketten gibt, benötigen wir Alternativen, die andere Wege gehen und Lösungen aufzeigen. Denn noch steigen deren Umsätze. Dieses Faktum lässt sich nur mit kognitiver Dissonanz begründen. Die Menschen wissen über die Zustände in der Textilbranche Bescheid, ändern in ihrem Konsumverhalten aber trotzdem nichts.“ Deswegen klärt Loveco online wie offline über die konventionelle Modebranche auf, betreibt ein Onlinemagazin sowie einen Ratgeber und lädt in regelmäßigen Abständen zu Informationsveranstaltungen wie Filmvorführungen und Talkrunden ein.
„Als eine der dreckigsten Industrien ist die Modebranche bereit für eine Disruption.“ Victoria Prew
Mit Hurr Collective bietet Victoria Prew eine Plattform, über die Mitglieder die eigene Garderobe teilen und damit de- ren Gebrauchsdauer verlängern können. In ihren drei Stores und über ihren Onlineshop verkauft Loveco-Gründerin Christina Wille nur Fair Fashion und möchte gleichzeitig Menschen zu einem bewussten Konsum anregen.
„Uns treiben die Menschen, die mit der Mode in Berührung kommen, an – die Konsumenten wie auch die Textilarbeiter. Dennoch bleiben wir ein Unternehmen, das auf den Konsum von Kleidung angewiesen ist.“ Christina Wille
DIE SHARING-PLATTFORM
HURR COLLECTIVE
London/Großbritannien
Gemeinsam mit ihrem Geschäftspartner lancierte Victoria Prew im März 2019 die Mode-Sharing-Plattform Hurr Collective mit der Intention, „die Modebranche als eine der dreckigsten Industrien zu verändern“. Die Idee ist dabei anderen Modellen der Sharing Economy wie Airbnb oder Uber entliehen und setzt auf eine Community aus modebegeisterten und modernen Frauen, „die daran glauben, dass Leihen sowohl ökonomisch als auch ökologisch Sinn macht“. Für Prew ist „die Verlängerung der Gebrauchsdauer unserer Kleidung einer der besten Wege, um die Umweltauswirkungen unseres Kleiderschranks zu reduzieren“. Vernetzt werden Frauen, die ihre Garderobe ausleihen und monetarisieren möchten, mit Frauen, die für eine bestimmte Zeit Trendteile tragen möchten. Der Match erfolgt online, die Übergabe persönlich oder mittels eines umweltfreundlichen Paketservices. Neben dem Ausleihen und Tragen gehört auch eine Reinigung der Kleidung vor Rückgabe zum Leihzyklus. Hierfür wurde eine Kooperation mit einem umweltfreundlichen Reinigungsunternehmen eingegangen. Entscheidend ist dabei die Vertrauenswürdigkeit der Communitymitglieder, die durch Einladung oder Empfehlung zugelassen werden. Die Plattform nutzt neueste digitale Technologien, die den Leihprozess unterstützen – wie Echtzeit-Personenverifizierung, Geo-Tagging oder durch künstliche Intelligenz gesteuerte Stylingassistenten – und einen sicheren und vertrauensvollen Tausch der Garderobe ermöglichen. Seit der Lancierung wuchs die Community auf über 8.000 Mitglieder. Der Fokus liegt derzeit stark auf dem Einzugsgebiet Londons. Geplant ist jedoch ein Roll-out auf alle großen Städte Großbritanniens sowie eine internationale Expansion.