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Das Ernten tief hängender Früchte. International
ZUKUNFTSKONZEPTE IM HANDEL DAS ERNTEN TIEF HÄNGENDER FRÜCHTE
Innovation ist ein ganz bequemer Deckmantel für alle, die keine wirklich tiefgreifende Veränderung wollen. Ein provokantes Statement, das Liz Bacelar von The Current Global als Aufruf an den stationären Einzelhandel formuliert. Sie stimmt mit dieser Forderung in den Chor internationaler Retailexperten ein. Ihr Refrain: Wacht aus dem Dornröschenschlaf auf und ergreift endlich die Chancen, die die Zukunft bereithält. Text: Isabel Faiss, Nicoletta Schaper. Fotos: Unternehmen
Für den Retailstrategen Robert Burke ist Selfrid- ges nach wie vor eines der führenden Beispiele, was die gute Inszenie- rung des Einkaufserleb- nisses angeht.
„Eines der Buzzwords unserer Branche ist Omnichannel, doch ich befürchte, wir haben es gefeiert, bevor wir es verstanden haben.“ Robert Burke, Robert Burke Associates
DIE KURATIERTE LIFESTYLEWELT
Auf der Suche nach Strategen, die sich tagtäglich mit den zentralen Trends der globalen Retailszene auseinandersetzen, stoßen wir auf Robert Burke, der jahrelang im Management von Ralph Lauren und anschließend als Vice President of Fashion and Public Relations bei Bergdorf Goodman tätig war. 2006 gründete er Robert Burke Associates in New York, um Marken und Unternehmen aus der Branche unter anderem in ihrer Retailstrategie zu beraten. Sein Terrain ist der Luxusmarkt und die Frage, die all seinen Kunden unter den Nägeln brennt lautet: „Wie bekomme ich den Konsumenten dazu, physisch in einen Store zu gehen? Heute ist es extrem wichtig, einen entsprechenden Lifestylemix zu kreieren und das passende Umfeld für seinen Store zu finden, beispielsweise im Umfeld von Restaurants, Cafés, Sportclubs, dem Meditationszentrum oder dem Apple Store. Früher hat es vor allem im Luxusmarkt oft schon gereicht, Labels wie Dior oder Gucci zu führen. Aber das ist dem Kunden heute zu vorhersehbar. Er sucht vielmehr das Erlebnis, die Innovation und diese Art von gut kuratierter Lifestylewelt.“ Auch die Implementierung digitaler Tools und die Symbiose aus Online und Offline sieht er als Chance, die bisher nur wenige richtig verstanden haben. „Eines der Buzzwords unserer Branche ist Omnichannel, doch ich befürchte, wir haben das Wort gefeiert, bevor wir überhaupt verstanden haben, was der Kunde wirklich erwar
In China ist der Handel fruchtbarer Boden: Circle Studio inszeniert für seine Kunden Läden als Treffpunkte, an denen Konsum fast nebenbei geschieht.
„Einen guten Fashionstore wird man in Zukunft nicht mehr als solchen erkennen, er wird eher wie eine Kunstgalerie oder ein Club aussehen.“ Bobi Wang, Circle Design Studio
tet. Das Erlebnis muss in allen Kanälen gleichwertig sein, denn die Kundenbeziehung ist der Schlüssel. Die Leute wollen einen Store betreten und etwas erleben. Von den großen Häusern ist sicherlich Selfridges das beste Beispiel, wie man Kunden immer wieder mit Dingen wie Pop-ups, neuen Produkten und Services im Store überrascht. Die Kunden wollen unterhalten und informiert werden, sie wollen Teil der Marke sein und fordern einen gewissen Service. Sie suchen die Beziehung zu einem Store oder einer Marke, der diese einzigartig macht. In diesem Thema sehen wir die größte Chance.“
DIVERSITÄT ALS SCHLÜSSEL
Wen Zukunftsfragen plagen, der richtet seinen Blick nach vorn. Und vorne ist momentan China. Spricht man mit Bobi Wang, Chefarchitekt und Mitbegründer von Circle Design Studio in Schanghai, versteht man, warum. Die Technikaffinität und die allgemeine Aufbruchsstimmung in der Konsumgesellschaft, der Durst nach Statussymbolen und die Mentalität des Alles-ist-möglich sind der fruchtbare Boden, der Kreativität scheinbar keine Grenzen setzt. „Einen richtig guten Fashionstore wird man in Zukunft nicht mehr als solchen erkennen, er wird eher wie eine Kunstgalerie oder ein Club aussehen“, beschreibt Bobi Wang seine Vision von einem Fashionstore als zentralen Treffpunkt interdisziplinärere Kunstrich-
Inspirierend: Der Hubstore Von7 zeigt im Geschäft innovative Produkte von Start-ups, die meist nur online zu finden sind.
tungen und Kulturen. Für ihn liegt der Schlüssel darin, den physischen Store zum inspirierenden Treffpunkt zu machen, an dem der Konsum fast nebenbei geschieht. „Digitale Tools müssen in diese Konzepte auf selbstverständliche Art und Weise integriert sein, denn Social Media spielt in China eine enorm große Rolle und die Stores werden damit zum Fenster in die Welt. Außerdem hat sich das Onlineshopping extrem entwickelt und um hier kompetitiv zu sein, müssen Stores noch mehr leisten.“ Benchmark auf diesem Gebiet ist für ihn momentan Beams in Japan, ein Designtempel, der als Mikrokosmos Essen, Kunst, Mode, Sport und Unterhaltung verbindet. Diesen multidimensionalen Mix sieht Bobi Wang als zentrales Stilmittel für die Zukunft des Modehandels im asiatischen Markt.
DER STORE ALS OFFLINE-TOUCHPOINT
Eine der zentralen Fragen für die zukünftige Daseinsberechtigung des stationären Handels lautet: Wie wird der Store vom Versorger zum Entertainer? Denn Versorgen kann Online inzwischen besser. Jens Fischer, Creative Director Kultobjekt und Von7 hat darauf eine spannende Antwort: „Indem er sein Geschäft wieder zum inspirierenden Treffpunkt macht. Zum Beispiel mit Hilfe eines Hubstores; ein von uns entwickeltes Regalsystem, das eine monatlich wechselnde Auswahl thematisch kuratierter Produkte zeigt. Produkte von innovativen Start-ups, die meist nur online zu finden sind, die die Konsumenten überraschen und zum spielerischen Entdecken einladen. Als echter Offline-Touchpoint bietet ein Hubstore die Möglichkeit, die Ware anzufassen und ihre Qualität und Besonderheit zu prüfen – besser, als das mit einer Abbildung möglich wäre. Mittels QR-Code kann sich der Kunde weiter informieren und direkt online bestellen, sodass der Händler keinen Aufwand mit Beratung oder der Kaufabwicklung hat. Er profitiert also nicht vom
„Touch and test local, buy online. So wird das stationäre Geschäft vom Warenverteiler zum Lifestylemagneten.“ Jens Fischer, Von7
erzielten Umsatz, sondern von der zusätzlichen Kundenfrequenz und von der Vergütung für die Bereitstellung der Fläche am Point of Sale. Auf diese Weise kann der Händler mehr verdienen als an der Marge seiner Ware auf einer vergleichbar großen Fläche. Ähnlich funktioniert ein Digital Pop-up-Store, wie wir ihn ab diesem Jahr in ausgewählten Departmentstores und Shopping-Malls in Deutschland umsetzen. Der digitale Pop-up wird über Von7 an Marken mit Strahlkraft vergeben, die monatlich oder alle drei Monate wechselnd neue Impulse bieten, wieder nach dem Prinzip: Touch and test local, buy online. So wird das stationäre Geschäft vom Warenverteiler zum Lifestylemagneten.“