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Wir sind mitten in einer Revolution
Die zunehmende Digitalisierung bringt einen tiefgreifenden Wandel mit sich und stellt damit nicht nur klassische Geschäftsmodelle auf den Prüfstand. Im Interview spricht Marktanalyst Carsten Bange über die großen Veränderungen und welche Chancen die Digitalisierung birgt. Text: Nicoletta Schaper. Fotos: Peter Schaffrath
Herr Bange, Sie sagen allen Branchen umwälzende Veränderungen durch die Digitalisierung voraus. Wir befinden uns in einer technologischen Revolution, wobei es in erster Linie um Daten und ihre Analyse geht. Wie können Daten Prozesse verbessern? Inwieweit können sie Grundlage für ganz neue Geschäftsmodelle sein? Ein Schlagwort heißt Industrie 4.0, was nichts anderes bedeutet als die Digitalisierung im Fertigungsbereich. Ein weiteres Schlagwort heißt: Software wird wichti ger als Hardware. Bei vielen Maschinen möchte der Käufer eigentlich nicht die Maschine haben, sondern das, was sie produziert. Viele Hersteller verändern gerade ihr Geschäftsmodell und überlassen ihre Maschinen den Kunden mit einer Zusage über eine bestimmte Produktionsmenge, die dann bezahlt wird. So bietet der Kompressorenhersteller Kaeser statt des Kompressors auch ein Abrechnungsmodell für die genutzte Menge an Druckluft an oder die Firma Schwäbische Werkzeugmaschinen berechnet die produzierten Einheiten auf der Maschine. Ein anderes gutes Beispiel ist Carsharing, auf das inzwischen auch die Automobilhersteller setzen. Statt um den Preis des Produktes geht es um Dienstleistung. Gerade im deutschen Markt hat das großes Potenzial, da unsere Hardware im internationalen Vergleich in aller Regel hochpreisig ist. Also ist Software ein Wettbewerbsvorteil der Zukunft. Und damit verbunden die Steuerung der Maschine, wodurch auch der Gewinn steuerbar wird. Bei Maschinenherstellern sind die Wartungskosten entscheidend, ein Problem, das bisher der Kunde hatte und für das nun der Hersteller verantwortlich ist. Wenn er zu datengetriebenen, intelligenteren Verfahren der Wartung kommt, ist das ein wichtiger Hebel für seine Profitabilität. Durch regelmäßige Messungen von Sensordaten kann präziser vorausgesagt werden, wann Teile ausgetauscht werden müssen. Damit wird der ungeplante Ausfall, der ja riesige Kosten verursacht, viel seltener. Auch Roboter werden dank Software intelligenter. Dass ein Roboter Teile zum Verbauen identifizieren kann, erreicht man nicht mehr mit fester Programmierung, stattdessen wird der Roboter mittels Software zu einer autonomen Handlungsweise befähigt. Das selbstfahrende Auto von Google oder entsprechende Ankündigungen der deutschen Hersteller zur IAA zeigen ebenso, dass sich künftig alles um Software beziehungsweise um die Steuerung dreht. Das Auto selbst wird damit zum Beiwerk. Verstehen die Automobilhersteller den Ernst der Lage? Mittlerweile scheint die Brisanz doch erkannt worden zu sein; es gibt sehr viele Initiativen auch der deutschen Automobilhersteller. Aber das Rennen ist noch offen, wobei IT-Konzerne, insbesondere Google, das Tempo vorgeben – und nicht Mercedes oder BMW. Und die übrigen Branchen? Ich denke, die strategische Bedeutung von Daten ist allgemein erkannt. Woran es hapert, ist die Umsetzung. Viele zögern aufgrund von fehlendem Know-how auf Technologie- wie auch auf Anwendungsseite. Dabei ist die Technologie viel weiter, als viele sich das vorstellen. Schon 2011 hat Facebook 500 Terrabytes an neuen Daten pro Tag (!) verarbeitet. Um sie auch nutzen zu können, hat Facebook die Technologien gemeinsam mit seinen Lieferanten weiterentwickelt und kann heute Werbung jedem Nutzer zielgerichtet zeigen. So ist Facebook als Werbeplatz sehr attraktiv geworden. Was bedeutet die Digitalisierung für den Handel? Zurzeit ist der Onlinehandel das Wachstumssegment. Inwieweit das den stationären Handel beeinflusst, ist eine noch unbeantwortete Frage. Tatsächlich gibt es Dinge, die ich nicht physisch sehen und anfassen muss. In Seoul gibt es schon seit einiger Zeit eine U-Bahnstation, wo man sich auf dem Bildschirm ein Supermarktregal anschauen und mit dem Smartphone den Code der Produkte scannen kann. Das Regal, die Milchpackung ist imaginär. Muss ich eine Milchpackung überhaupt anfassen? Ich will ja eine Information haben, das Ablaufdatum wissen, den
„Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass Kompetenz in Software wichtiger wird als Hardware“, sagt Softwarespezialist Caren Bange.
Fettgehalt oder ob Bio Bio ist. Über das Smartphone können viel mehr Informationen geliefert werden, als auf einer Packung gedruckt werden kann. Warum hat sich das noch nicht in der Breite durchge setzt? Die Lebensmittelbranche ist besonders langsam, die Margen sind extrem gering und die Investitionen hoch. Kürzlich hat Amazon angekündigt, in den Lebensmittelhandel einzusteigen und wie immer werden dadurch Entwicklungen angetrieben werden. Derzeit investieren Handelsformate wie Rewe und Edeka stark in Datenanalyse. Was an Frischegütern bis Samstagabend nicht verkauft wurde, wird weggeworfen. Je mehr Daten vorhanden sind, desto besser lässt sich vorausplanen. Dabei helfen nicht nur interne Datenquellen, auch Jahreszeit und Wetter haben großen Einfluss. DHL konnte den Fahrereinsatz anhand der Wetterdaten deutlich optimieren, denn wenn es sonntags regnet, wird viel mehr online eingekauft, was dienstags ausgeliefert werden muss. Darüber hinaus helfen die Daten der Konkurrenz: Welche Aktionen macht der Mitbewerber? Dazu kommen demografische Daten. Dass das Sortiment dadurch bestimmt wird, ist nichts Neues. Aber die Vorhersage und damit die Steuerung von Warenströmen und Angeboten wird viel genauer. Der Knackpunkt könnte immer noch die Lieferung sein. Auch das Problem schnelle Lieferung lässt sich lösen. Da, wo die Händler nicht genug Tempo sehen, treten sie selbst in Aktion. Das Ziel heißt Same-Day-Delivery, und wenn das die Logistikbetriebe nicht hinbekommen, baut ein Anbieter wie Amazon die Drohnen eben selbst. Weil Geschwindigkeit entscheidend ist. Aber auch auf dem Boden ist noch Platz für datengetriebene Disruption. So experimentiert Uber gerade in New York City mit einem Kuriermodell. Das Paket wird sehr schnell abgeholt und geliefert, und warum auf dem Weg nicht noch einen Fahrgast mitnehmen? Das Ziel solcher „Crowd sourced“ Modelle ist, dass die Lieferung in einer Stunde preiswerter wird als die sonst übliche Übernachtlieferung.
Dem stationären Modehandel sagen Sie trotz Onlineboom große Chancen voraus. Ich bin der Meinung, dass das haptische Erlebnis wichtig bleibt. Als Konsument möchte ich das Material sehen und wissen, wie es sich anfühlt. Und ich möchte die Kleidung anprobieren. Auch wenn es Entwicklungen gibt, die eine elektronisch abgebildete Anprobe möglich machen,
„Daten können nicht nur Prozesse verbessern, sondern Grundlage für ganz neue Geschäftsmodelle sein.“ Carsten Bange, Geschäftsführer Barc GmbH
glaube ich dennoch, dass der stationäre Handel auch künftig eine Daseinsberechtigung hat. Seine Chance ist das Einkaufserlebnis, bei dem es nicht nur um den Prozess des Erwerbs geht, sondern auch um den Spaß dabei. Als moderner Konsument möchte ich aber die Vorteile des Onlinekaufs mit dem Kauf im Geschäft verbinden. Derzeit entstehen in Manhattan die Hudson Yards, riesige Retailflächen ohne angrenzende Lager. Hier wird der Modestore zum Showroom: Alles gibt es nur einmal in der jeweiligen Farbe und Größe, wodurch die Auswahl umso größer werden kann. Auch der Kauf findet im Geschäft statt. Was der Kunde auswählt, bekommt er nicht mehr mit auf den Weg, sondern wird noch am selben Tag aus einem Zentrallager zu ihm nach Hause geliefert. Und was bedeutet die Digitalisierung für den Service am Point of Sale? Beratung ist ja eine Stärke des stationären Handels. Selbst die Beratung lässt sich weitgehend automatisieren. Anhand der Daten lässt sich ein Profil erstellen, auch in welchen Netzwerken der Konsument unterwegs ist. Ich kann herausfiltern, wie sich Moden entwickeln, ich kann datengetrieben Trendsetter identifizieren, dem viele folgen werden. Ein Verkäufer muss schon sehr gut sein, um Vergleichbares nur aufgrund seiner Erfahrung und Intuition zu leisten. Aber auch für den stationären Handel lässt sich das Sortiment anhand der Datennutzung viel genauer auf die Zielgruppe zuschneiden. Heute kann ja auch derjenige, der am Schaufenster vorbeiläuft oder davor stehenbleibt, bereits identifiziert werden. Der nächste Schritt wäre, ihm das Angebot im Schaufenster anzupassen. Ebenso sind Tablets im Schaufenster und Click and Collect heute schon Realität. Aber oft können nur große Händler die technologischen Investitionen stemmen. Für den kleinen Händler gibt es immer noch zwei Möglichkeiten: Entweder sucht er die Nische oder er tut sich mit anderen Händlern zusammen, wie bei dem klassischen Konzept der Genossenschaft. Gerade wenn er sich spezialisiert, kann das für ihn vorteilhaft sein. Wie kritisch sehen Sie die Digitalisierung? Erst einmal sollte sich jeder bewusst sein, dass sie kommt. Die Möglichkeiten, sehr viel über einzelne Personen zu wissen, sind gegeben und sie werden in wachsendem Maße genutzt. Dabei zeichnet sich bereits ab, dass Begriff und Verständnis von Privatsphäre sich verändern werden. Viele Menschen werden den Deal Daten gegen Service verstehen, und das Bewusstsein wächst, dass nichts umsonst ist. Wichtig ist, dass wir die Wahl behalten, was wir preisgeben und was nicht. Mein Facebook-Profil ist zum Beispiel seit Jahren verwaist, aber ich habe nicht den Eindruck, dass ich dadurch einen wirtschaftlichen oder sozialen Nachteil hätte. Dagegen birgt die Digitalisierung gerade für Industrie und Handel Chancen, die es wahrzunehmen gilt. In Deutschland fehlt oft die Bereitschaft, etwas auszuprobieren und auch mal Risiken einzugehen, da steht uns unsere Mentalität im Weg. Daher meine Aufforderung an die Unternehmen, experimentierfreudiger zu werden. Es gibt Bereiche, wo man bereits mit geringen Investitionen in Daten und Technologie etwas erreichen kann. Beim Sinneswandel, dass man mit den Daten einen wirklich großen Vermögensgegenstand hat, fängt es an. Die Geschwindigkeit, in der ich neue, innovative Dinge anbiete, wird immer wichtiger. Und die Zeit, die ich habe, immer kürzer. Darüber hinaus werden Arbeitsplätze überflüssig. Bisher hat jede technologische Revolution mehr Jobs geschaffen, als verloren gingen. Allerdings gibt es Forscher, die in Frage stellen, dass dieses Muster auch dieses Mal greift. Wir können aber davon ausgehen, dass wir künftig mehr Freizeit haben werden. Die Entwicklungen in der Robotik führen zu massiver Entlastung in physischen Tätigkeiten, und auch was die künstliche Intelligenz betrifft, werden sogar anspruchsvolle geistige Fähigkeiten durch Maschinen ersetzt werden können. Das ist keine Science Fiction mehr. Unsere Tätigkeiten können sich in den nächsten 50 bis 100 Jahren in Richtung Kultur verschieben. Und wenn wir mehr Zeit haben, haben wir auch mehr Zeit zum Einkaufen. Da sind wir wieder beim Einkaufserlebnis. Nur im stationären Handel lässt sich eine Erlebniswelt schaffen. Da kommt online nicht mit.
Carsten Bange ist Gründer und Geschäftsführer der Barc GmbH in Würzburg. Das Institut ist als Marktanalyst vorrangig auf Datenmanagement und Datenanalyse spezialisiert und hat mit 18 Analysten das europaweit größte Team in dieser Nische. Barc formt mit den Analystenhäusern CXP und PAC die führende europäische Analystengruppe für Unternehmenssoftware und IT-Services mit Präsenzen in acht Ländern. www.barc.de
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#1/2016
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