50 Jahre in der Politik: Interview mit Sprecher Bernd Posselt (Seiten 3 und 4)
Sudetendeutsche Zeitung Die Zeitung der Sudetendeutschen Landsmannschaft
Reicenberger Zeitung 160. Jahrgang
HEIMATBOTE
Jahrgang 73 | Folge 23 | 2,80 EUR · 75 CZK | München, 11. Juni 2021
VOLKSBOTE
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Sudetendeutscher Tag
Massaker in Postelberg
Auf geht‘s zum Wiedersehen in München
Tschechen ringen um das richtige Erinnern an eines der größten Nachkriegsverbrechen an Deutschen S. 2
KURSE
Unter dem Motto „Verantwortung für die Heimat – unser Weg in die Zukunft“ findet von Freitag, 16., bis Sonntag, 18. Juli der 71. Sudetendeutsche Tag in München statt.
1 CZK = 0,0394 EUR 1 EUR = 25,409 CZK
Der Stoff der Heimat
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Egerland-Museum zeigt „Egerländer Trachten“ S. 5
eranstaltungsorte sind der Gasteig sowie das Sudetendeutsche Haus und das Sudetendeutsche Museum in der angrenzenden Hochstraße. Ein Programmpunkt ist auch in diesem Jahr wieder die Verleihung der Sudetendeutschen Kulturpreise. Die Preisträger und das (vorläufige) Programm: Seite 9.
Mit Puppe Emi im Lager
SL-Förderpreisträgerin Kateřina Kovačková liest S. 7
„Unsere Deutschen“
Petr Koura stellt Ausstellung in Aussig vor S. 13
Tschechische Republik
Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung wird am 21. Juni in Berlin eingeweiht
„Wesentlicher Baustein der deutschen Erinnerungskultur“
Kommunisten retten Prager Regierung Ein erneutes Mißtrauensvotum gegen die Regierung von Premierminister Andrej Babiš ist wie erwartet gescheitert. Unterdessen versucht der Senat ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Miloš Zeman auf den Weg zu bringen.
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achdem die Kommunisten erklärt hatten, vor der Abstimmung über das Mißtrauensvotum den Plenarsaal zu verlassen, war klar, daß die Opposition die notwendige Mehrheit nicht erreichen wird. Aber selbst mit einer Mehrheit wäre die Regierung von Premierminister Andrej Babiš bis zu den regulären Wahlen im Oktober im Amt geblieben, das hatte Staatspräsident Miloš Zeman bereits im Vorfeld klar gemacht. Auch das Staatsoberhaupt selbst steht in der Schußlinie der Opposition. So hat der Sicherheitsausschuß des Senats erklärt, Zeman sei nicht imstande, das Amt des Staatspräsidenten auszuüben. Doch für ein Amtsenthebungsverfahren sind hohe Hürden zu überwinden. Es gilt deshalb als sehr unwahrscheinlich, daß Zeman vor dem Ende seiner regulären Amtszeit im Frühjahr 2023 seinen Stuhl räumen muß. Zeman wird vorgeworfen, mit seiner pro-russischen Außenpolitik den Interessen seines Landes zu schaden. Jaroslav Šonka
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Bundeskanzlerin Angela Merkel wird am Montag, 21. Juni, in Berlin im Deutschlandhaus das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung eröffnen.
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ie Dokumentations- und Erinnerungsstätte wird von der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung betrieben, die durch einen Beschluß des Bundestages 2008 gegründet wurde. „Das Dokumentationszentrum mit seiner Dauerausstellung zu Flucht und Vertreibung der Deutschen aus deren angestammten Heimatgebieten in Mittel- und Osteuropa sowie den Staaten der ehemaligen Sowjetunion ist ein wesentlicher Baustein der deutschen Erinnerungskultur“, erklärt Bernd Fabritius. Der Präsident des Bundes der Vertriebenen und CSU-Bundestagsabgeordnete ist Mitglied des Stiftungsrates. Fabritius weiter: „Es ist wichtig, auch dieses Thema endlich aus dem ,Schatten der Erinnerung‘ zu holen. Für viele Millionen Deutsche war das Leiden mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai 1945 eben noch nicht vorbei. Es gilt darüber hinaus, die Friedensleistung der Heimatvertriebenen und der Heimatverbliebenen in Vergan-
genheit, Gegenwart und Zukunft zu würdigen und gleichzeitig die Botschaft des ,Nie wieder‘ auch gegenüber den nachfolgenden Generationen zu kommunizieren. Deshalb ist das Dokumentationszentrum kein Erinnerungsort nur für Heimatvertriebene, sondern für unsere gesamte Gesellschaft und alle Berlin-Besucher.“ Um die Ausrichtung des Dokumentationszentrums hatte es im Vorfeld immer wieder Streit gegeben – sowohl im Stiftungsrat als auch mit dem wissenschaftlichen Beirat. So hat Beiratsmitglied Jochen Oltmer, Professor für Migrationsgeschichte an der Universität Osnabrück, erst im Februar im Deutschlandfunk den Stiftungsrat als „übermächtig“ kritisiert und gefordert, den Fokus nicht auf die deutsche Flucht- und Vertreibungsgeschichte zu legen, sondern das Thema international und historisch anzugehen. „Das ist durchsichtig und entlarvend, zumal wir als Bund der Vertriebenen seit Jahren fordern, Vertreibung international zu ächten und weltweit unter Strafe zu stellen“, kontert Stiftungsratsmitglied Fabritius und erklärt: „Aber mit dieser Forderung nach einem ,anstatt‘ will man nur das Thema ,Flucht und Vertreibung
Das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung befindet sich im Deutschlandhaus in der Nähe des Anhalter Bahnhofs in Berlin. der Deutschen‘ kleinreden oder ganz vom Tisch bekommen.“ Sein Ratschlag: „Natürlich ist es richtig, die verheerenden Folgen von ethnischen Säuberungen – nichts anderes waren die Vertreibungen – auch außerhalb Deutschlands oder im historischen Kontext zu thematisieren, das erfolgt auch gerade in der Dauerausstellung. Die Verfechter dieses ,Anstatt‘ sollten sich dafür dann aber einen entsprechenden eigenen Rahmen schaffen und nicht immer wieder dieses Dokumentationszentrum und dessen gut durchdachtes Konzept in Frage stellen.“
Die Initiative für eine zentrale Erinnerungsstätte an die Opfer von Flucht und Vertreibung der Deutschen hatten bereits zur Jahrtausendwende vor allem zwei Politiker vorangetrieben – der 1939 in Eger geborene und 2005 verstorbene SPD-Politiker Peter Glotz sowie die ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete und damalige Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, die aus Rahmel bei Danzig stammte. Daß Steinbach mittlerweile im Streit die CDU verlassen und jetzt die AfD-nahe DesideriusErasmus-Stiftung führt, sieht de-
ren Nachfolger Fabritius nicht als Belastung für das Dokumentationszentrum. „Ich finde es sehr schade, daß Erika Steinbach den Weg, den sie über viele Jahre in der Union, einer demokratischen Volkspartei, erfolgreich gegangen ist, verlassen hat. Ihre Verdienste der Vergangenheit für die Belange der Heimatvertriebenen und im Einsatz für dieses Zentrum werden dadurch jedoch nicht geschmälert.“ Das Dokumentationszentrum befindet sich im denkmalgeschützten Deutschlandhaus in der Nähe des Anhalter Bahnhofs und wurde von den Architektenbrüdern Stefan und Bernhard Marte spektakulär umgebaut und um einen Neubau erweitert. Auf 6000 Quadratmetern bietet das Dokumentationszentrum Platz für die Ausstellungen, eine Bibliothek und ein Zeitzeugenarchiv. 1700 Quadratmeter sind allein für die Dauerausstellung reserviert, die, so die Initiatoren, „politisch, ethnisch und religiös begründete Zwangsmigrationen vor allem im 20. Jahrhundert in Europa und darüber hinaus thematisiert. Flucht und Vertreibung der Deutschen im und nach dem von Deutschland ausgegangenen Zweiten Weltkrieg bilden dabei den Schwerpunkt der Erzählung.“ Torsten Fricke
Erste und konstituierende Sitzung am 26. und 27. Juni im Sudetendeutschen Haus in München
Volles Programm für die XVII. Bundesversammlung Die 1. und konstituierende Sitzung der XVII. Bundesversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft findet am Samstag, 26., und Sonntag, 27. Juni, im Sudetendeutschen Haus in München statt.
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rstmals seit Beginn der Corona-Pandemie kann die Bundesversammlung nach jetzigem Stand wieder in Präsenz tagen.
Eröffnet wird das zweitägige Treffen vom Präsidenten der XVI. Bundesversammlung, Reinfried Vogler. Anschließend wird der Vorsitzende des Bundeswahlausschusses, Peter Pawlik, über die Wahl der ordentlichen Mitglieder der Bundesversammlung (siehe Sudetendeutschen Zeitung Folge 21) berichten. Erweitert wird dieses 74köpfige Gremium durch fünf Ver-
treter der Sudetendeutschen Jugend, die mit Stimmrecht kooptiert werden. Hinzu kommen vier Vertreter der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Österreich, die kooptiert werden, aber nur in der erweiterten Bundesversammlung, die den Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe wählt, Stimmrecht haben. Zu dieser erweiterten Bundesversammlung gehören außer-
dem maximal 34 Vertreter der Arbeitsgemeinschaften sudetendeutscher Vereinigungen (siehe Sudetendeutsche Zeitung Folge 22). Diese Kooptationen gehen zurück auf das Regensburger Manifest von 1987. Damals haben 350 Vertreter von 120 sudetendeutsche Vereinigungen mit der Führung der Sudetendeutschen Landsmannschaft eine enge Zusammenarbeit vereinbart,
um die Einheit der sudetendeutschen Volksgruppe und die Vielfalt der sudetendeutschen Vereinigungen zu demonstrieren. Tagesordnungspunkte sind unter anderem die Wahlen des Präsidenten der XVII. Bundesversammlung sowie der Vizepräsidenten und der Schriftführer. Außerdem stehen die Wahlen des Sprechers der Sudetendeutschen Volkgruppe, des Bundes-
vorsitzenden der Sudetendeutschen Landsmannschaft und dessen Stellvertreter sowie die Besetzung der Ausschüsse auf dem Programm. Mit Spannung wird der Bericht des Sprechers der Sudetendeutschen Volksgruppe, Bernd Posselt, erwartet, der erneut für das Amt kandidiert. Außerdem wird sich Posselt als Bundesvorsitzender wieder zur Wahl stellen. TF
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AKTUELL · MEINUNG
Sudetendeutsche Zeitung Folge 23 | 11. 6. 2021
AUS UNSEREM PRAGER BÜRO
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er neue Projektleiter der Hanns-Seidel-Stiftung in der Tschechischen Republik, Dr. Markus Ehm, hat sich am 1. Juni persönlich beim Leiter des Prager Sudetendeutschen Büros, Peter Barton, vorgestellt und mit ihm über die Entwicklung einer weiteren engen Zusammenarbeit beider Institutionen gesprochen. Bar-
PRAGER SPITZEN Endgültiges Aus für Telefonzellen
ton kennt die Hanns-Seidel-Stiftung gut. Er war dort bis 1990 Stipendiatensprecher und anschließend in verschiedenen Abteilungen der Stiftung tätig, so unter anderem in der Akademie, der Abteilung für Außenbeziehungen und eine Zeitlang auch im Büro des damaligen Vorsitzenden und ehemaligen bayerischen Staatsministers Fritz Pirkl.
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Nach Kriegsende ereignete sich in Nordböhmen eines der grausamsten Massaker an Sudetendeutschen
Postelberg: Tschechen ringen um das richtige Erinnern Das Massaker in Postelberg war eines der schlimmsten Verbrechen an Sudetendeutschen nach Kriegsende. Nachdem die Massenhinrichtungen während des Kalten Krieges tot geschwiegen und die Täter nicht zur Verantwortung gezogen worden waren, ändert sich jetzt in der Tschechischen Republik das eigene Geschichtsbewußtsein.
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ie genaue Zahl der Opfer ist bis heute unbekannt. Eine Kommission, die das Massaker später untersuchte, fand 763 Tote in Massengräbern. Unter den Opfern waren auch Frauen und Kinder. Experten gehen davon aus, daß die Opferzahl aber wahrscheinlich bei rund 2000 Toten liegt. Erst mit der Samtenen Revolution, also mehr als 40 Jahre nach den Massakern, begannen auf tschechischer Seite erste Ermittlungen. Zu spät, um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, denn sie waren mittlerweile alle verstorben. Wie emotional das Nachkriegskapitel auch Jahrzehnte später noch war, zeigen die Reaktionen auf erste Veröffentlichungen über die Massaker im Jahr 1995 (Auszug siehe rechts). Květa Tošnerová und David Hertl hatten in der Zeitung Svobodný HLAS (Freie Stimme) einen Artikel über die grausamen Hinrichtungen veröffentlicht und erhielten daraufhin Morddrohungen. Im Juni 2010, auf den Tag genau 65 Jahre nach der Internierung von sudetendeutschen Männern, Jugendlichen und Kindern in der alten Reiterkaserne, wurde auf dem Postelberger Friedhof eine Gedenktafel für die Opfer enthüllt. Allerdings wurde dort das ursprüngllich geplan-
Die Gedenktafel auf dem Friedhof in Postelberg erinnert an das Massaker.
te Worte „Massaker“ durch „Ereignis“ ersetzt, und die ethnische Identität wird nicht genannt. Zum 75. Jahrestag hatte der tschechische Historiker Michal Pehr seine Landsleute aufgefordert, sich bewußt an das Massaker zu erinnern. „So unangenehm es auch ist, wir müssen die Kraft in uns selbst finden und die Ereignisse ohne Übertreibung darstellen. Genauso wichtig ist es zu sagen, was sie beeinflußt hat, daß der Krieg zwar mit der Unterzeichnung von Friedensverträgen endete, aber leider in vielen Menschen weiterlebte.“ Jaroslav Šonka
„Dann begannen die Massenmorde“
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uszüge aus dem Artikel der Zeitung Svobodný HLAS, die 1995 erstmals in der Tschechischen Republik über das Massaker von Postelberg berichtet hatte. Donnerstag, 10. Mai 1945: Der deutsche Bürgermeister von Postelberg, Johan Spatzel, wurde verhaftet und mit ihm einige weitere. Montag, 14. Mai 1945: Selbstmorde in Lippenz, Horka, Twerschitz und vor allem in Lewanitz wurden gemeldet. Viele Familien haben sich angeblich lieber in der Eger ertränkt, vergiftet oder erschossen, um nicht leiden zu müssen. Samstag, 26. Mai 1945: In Postelberg kam es zur ersten ausgedehnten Verhaftung von Männern zwischen 16 und 60 Jahren. Mit manchen Ausnahmen (Unentbehrliche für die Gemeinde) wurden alle abge-
führt und sind verschollen. Sonntag, 27. Mai 1945: Einige Frauen gingen wie üblich zum Gerichtsgebäude, um den Inhaftierten Es- sen zu geben. Sie wurden aber zurückgeschickt, weil „alle Häftlinge weggegangen sind”. Das weckte in den Frauen den Verdacht, daß die Männer umgebracht wurden. Was offensichtlich auch geschah – mehr als hundert Männer werden seitdem „Sonntagsmänner” genannt. Dieser Name wird von den meisten deutschen Landsleuten mit Tränen in den Augen ausgesprochen. Montag, 4. Juni 1945: Alle Häftlinge verbrachten die Nacht sitzend oder liegend in der Kälte im Hof der Kaserne. Jedem, der auf die Toilette mußte, wurde von den tschechischen Soldaten mit Erschießen gedroht. Plötzlich ertönte
das Kommando: „Alle auf ihren Platz!” Ein Teil der Verhafteten stand auf, ein anderer blieb sitzen – Schüsse ertönten, Tote und Verletzte wurden von Mitgefangenen in eine Abfallgrube geworfen, die schließlich selbst erschossen wurden. Donnerstag, 7. Juni 1945: Morgens um sieben Uhr wurden die Ställe geöffnet und die Opfer (erstickte Menschen) in den Graben geworfen. Beim Hinauslaufen aus dem Stall wurden einige Menschen erschossen, Hauptmann Marek selbst erschoß mit einigen Schüssen einen deutschen Hauptmann. Und dann begannen die Massenmorde: Männer wurden jeweils zu achtzig in eine Gruppe gereiht und zu der Fasanerie in Lewanitz abgeführt, wo später Massengräber und in ihrer Nähe Hüte und Mützen gefunden wurden.
Wanderausstellung „Gerettete Denkmale – Zeugen der deutschen Kulturgeschichte in der Tschechischen Republik“
Ein vergessener Ort wurde wiederbelebt „Gerettete Denkmale – Zeugen der deutschen Kulturgeschichte in der Tschechischen Republik“ lautet der Titel einer Wanderausstellung, die pandemiebedingt derzeit nicht öffentlich gezeigt werden kann.
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ie St.-Katharina-Kirche in Kautz stammt aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und ist ein gotisches Gebäude, das um 1700 und später in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts umgebaut wurde. Es steht in der Mitte des Friedhofs, der von einer Bruchsteinmauer mit einem massiven Tor umgeben ist. Die Kirche wurde Anfang 2017 vom Verein Omnium übernommen. Im Frühjahr 2018 fand das erste Workcamp unter Beteiligung von Freiwilligen aus der Tschechischen Republik und Deutschland statt. Während der Arbeiten wurde die Kirche gereinigt und für kulturelle Veranstaltungen vorbereitet. Zur selben Zeit wie die Kirche wurde auch der Friedhof gesäubert, der in Besitz der Gemeinde Hrobschitz überführt wurde. Im darauffol-
Die St.-Katharina-Kirche in Kautz ist von einem Friedhof umgeben.
genden Jahr wurde das Dach repariert, damit es in die Kirche nicht mehr hineinregnet. 2019 fand ein weiteres Workcamp statt. Einige Grabsteine wurden aufgerichtet, und die Kirche wurde für das Kunstfestival Bilinale gereinigt. Im Rahmen des Festivals präsentierte die Dresdner Künstlerin Susan Donath eine Performance. Im Herbst 2019 organisierte die Städtische Meisterschule für das Vergolderhandwerk München zusammen mit dem Verein Omnium und der Heimatpflegerin der Sudetendeutschen ein Schülerpraktikum in der St.-Katharina-Kirche. 2020 fand erstmals wieder eine Bestattung statt. Dieser Friedhof ist damit ein gutes Beispiel dafür, daß auch vergessene Orte wiederbelebt werden können. Die Wanderausstellung „Gerettete Denkmale“ wird von der Heimatpflegerin der Sudetendeutschen, Christina Meinusch, unterstützt. Wenn Sie die Ausstellung in Ihrer Region zeigen wollen, wenden Sie sich bitte an meinusch@sudeten.de
ie letzten öffentlichen Telefonzellen werden ab Mitte Juni abgebaut, da das tschechische Telekommunikationsamt (ČTÚ) vor einem Jahr entschieden hat, Telefonzellen nicht mehr mit Steuergeldern zu subventionieren. Von rund 30 000 Telefonzellen zur Jahrtausendwende ist die Anzahl bereits auf 1150 gesunken.
Deutlich mehr Privatinsolvenzen
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orona und die wirtschaftlichen Folgen: Im Mai sind in der Tschechischen Republik 1501 Privatinsolvenzen angemeldet worden, 100 mehr als im April. Dies sei, so das Czech Credit Bureau, die zweithöchste Zahl an Privatinsolvenzen seit vergangenem Juli. Gleichzeitig wurden 1390 Privatinsolvenzanträge gestellt, 41 mehr als im Vormonat.
Regierung besetzt 21 Botschaften neu
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ier Monate vor der Wahl hat die tschechische Regierung 21 Botschafter abberufen und die Leitung der Auslandsvertretungen neu besetzt. Die Opposition kritsierte diesen massiven Personalwechsel. So sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Jana Černochová (ODS), dies sei ein Versuch der Regierung, sich die Gunst von Präsident Miloš Zeman zu erhalten. Der Piraten-Abgeordnete Jan Lipavský forderte eine außerordentliche Sitzung des Auswärtigen Ausschusses.
Rektorenkonferenz mit neuer Führung
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artin Bareš von der Masaryk-Universität in Brünn ist zum neuen Vorsitzenden der tschechischen Rektorenkonferenz gewählt worden. Vorgänger Petr Sklenička von der Tschechischen Universität für Landwirtschaft in Prag hatte auf eine erneute Kandidatur verzichtet. Neben Bareš wird die Rektorenkonferenz von den stellvertretenden Vorsitzenden Jiří Málek aus Pardubitz, Jitka Němcová von der Universität für Gesundheitswissenschaften in Prag, Jindřich Vybíral von der Universität für angewandte Kunst in Prag, Vladimír Sedlařík von der TomášBaťa-Universität in Zlin und Pavel Tuleja von der Schlesischen
Universität in Troppau geleitet. Ziel der neuen Führung ist es, die geplanten Kürzungen im Wissenschaftsetat zu verhindern. Außerdem warnen die Rektoren davor, die Universitäten im Falle einer weiteren Corona-Welle wieder zu schließen. Dies hätte unabsehbare Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit des Landes, so die Uniprofessoren.
Finanzministerin am einflußreichsten
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inanzministerin Alena Schillerová ist weiterhin die einflußreichste Frau in der Tschechischen Republik, hat die Zeitschrift Forbes in ihrem Ranking festgestellt. Die parteilose Ressortchefin sei die Frau, deren Entscheidungen derzeit das Leben der meisten Menschen im Land direkt beeinflussen, sagte der Forbes-Chefredakteur für Tschechien, Petr Šimůnek. Zudem wirtschafte keine andere Frau mit einem größeren Geldvolumen als die Finanzministerin. Auf Platz zwei ist Věra Jourová (ANO), die Vizepräsidentin der EU-Kommission. Auf dem dritten Rang folgt die Prager Oberstaatsanwältin Lenka Bradáčová.
Tote starb vor 45 000 Jahren
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m Nationalmuseum in Prag werden noch bis zum 2. Juli Schädelknochen einer Frau gezeigt, die vor mehr als 45 000 Jahren gelebt hat. Das ergaben neue Forschungen. Die menschlichen Überreste waren in den 1950er Jahren in den KoněprusyHöhlen in Mittelböhmen gefunden und ursprünglich für viel jünger gehalten worden. Das Nationalmuseum hat mit der Ausstellung eine Umfrage gestartet, bei der Besucher einen Namen für die prähistorische Frau vorschlagen können. Zum Vergleich: Ötzi, die älteste bekannte natürliche menschliche Mumie, verstarb circa 3258 vor Christus.
Petr Fousek führt Fußballverband
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etr Fousek ist zum neuen Vorsitzenden des Tschechischen Fußballverbandes (FAČR) gewählt worden. Der erfahrene Fußballfunktionär setzte sich im zweiten Wahlgang gegen ExNationalspieler Karel Poborský durch. Vorgänger Martin Malík war im Zuge eines Korruptionsskandals in die Kritik geraten und stand nicht mehr zur Wahl.
Sudetendeutsche Zeitung
ISSN 0491-4546 Erscheint wöchentlich freitags. Redaktionsschluß Veranstaltungstermine: Freitag 18.00 Uhr. Redakationsschluß Montag 18.00 Uhr. Chefredaktion und verantwortlich für den Inhalt: Torsten Fricke, Nadira Hurnaus. Kulturredaktion: Susanne Habel. Korrespondent in Prag: Dr. Jaroslav Šonka; Korrespondentin in TeplitzSchönau: Jutta Benešová; Korrespondenten im Isergebirge: Stanislav Beran, Petra Laurin; Korrespondent in Berlin: Ulrich Miksch. Ständige Mitarbeit: Peter Barton, Markus Bauer, Josef Grimm, Professor Dr. Rudolf Grulich, Dr. Wolf-Dieter Hamperl, Kathrin Hoffmann, Peter Pawlik, Herbert Ring, Karl Reitmeier, Hildegard Schuster, Lexa Wessel. Verlagsassistentin: Birte Rudzki. Anschrift für alle: Hochstraße 8, 81669 München. Redaktion: eMail zeitung@sudeten.de; Verlag: Telefon (0 89) 48 00 03 80, eMail svg@sudeten.de. Jahres-Abonnement 2021 Inland als Postvertriebsstück im Lastschriftverfahren 125,00 EUR einschließlich 7 Prozent Mehrwertsteuer. Ausland 154,00 EUR, Luftpost auf Anfrage. Reichenberger Zeitung (24 Ausgaben jährlich) 62,50 EUR, Neudeker Heimatbrief (12 Ausgaben jährlich) 31,25 EUR. Je Rechnung 2,00 EUR Aufschlag. Bankverbindung: Postbank München – IBAN: DE13 7001 0080 0005 7278 08, BIC: PBNKDEFF; Abbestellungen mit einer Frist von vier Wochen zum Vierteljahresschluß schriftlich an den Verlag. Anzeigenpreisliste Nr. 13 vom 1. Januar 2021; Anzeigengestaltung erst nach Auftrag. © 2021 Sudetendeutsche Verlagsgesellschaft. Diese Zeitung ist mit allen Texten und Bildern urheberrechtlich geschützt. Nachdruck, Vervielfältigung und Verwertung – insbesondere auch Weitergabe in Form von Kopien oder Einstellen ins Internet – sind ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar, soweit sich aus dem Urheberrecht nichts anderes ergibt. Mit vollem Namen gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder der Sudetendeutschen Landsmannschaft wieder. Gerichtsstand und Erfüllungsort München. Kein Entschädigungsanspruch bei Nichterscheinen oder Nichtlieferung infolge Streik oder höherer Gewalt. Keine Gewähr für nicht angeforderte Manuskripte, Bilder, Dokumente, Datenträger und Daten. Alle datenschutzrechtlichen Vorschriften werden beachtet; Einzelheiten unter www.sudeten.de Sudetendeutsche Verlagsgesellschaft mbH, HRB München 3796. Geschäftsführer und verantwortlich für Anzeigen: Herbert Fischer. Alleiniger Anteilseigner: Sudetendeutsche Landsmannschaft, Hochstraße 8, 81669 München. Druck und Versand: Presse-Druck- und Verlags-GmbH, 86167 Augsburg.
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Der Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe ist der weltweit oberste Repräsentant der Sudetendeutschen und nimmt deren politische Vertretung wahr. Gewählt von der erweiterten Bundesversammlung, hat dieses hohe Amt seit 2008 Bernd Posselt inne. Der ehemalige Münchner Europaabgeordnete ist außerdem Bundesvorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft und feiert in diesem Jahr ein besonderes Jubiläum: 50 Jahre in der Politik.
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Sudetendeutsche Zeitung Folge 23 | 11. 6. 2021
Interview mit Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe
„50 Jahre in der Politik – und keinen einzigen Tag bereut“
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err Posselt, Sie sind seit 50 Jahren in der Politik. Sollte man Sie zu diesem Jubiläum beglückwünschen oder eher bemitleiden? Bernd Posselt: Ich muß ehrlich sagen, daß ich noch keinen Tag bereut habe. Außerdem schlagen in meiner Brust zwei Herzen, die des gelernten Redakteurs und die des Politikers. Beide Aufgaben sind sehr erfüllend. Was war der Auslöser, in die Politik zu gehen? Posselt: Meine Mutter hat erzählt, daß ich als Fünfjähriger bei den Nachbarn geklingelt habe, und wenn die unvorsichtiger Weise die Tür aufgemacht haben, hab ich eine Rede gehalten. Ich erinnere mich auch noch an einen Familienausflug nach Colmar. Da bin ich verloren gegangen. Meine Eltern haben mich dann auf einem Platz gefunden. Bernd Posselt vor dem BMW 502, den Franz Josef Strauß in seiner Zeit als Dort stand ich auf einem Stein, Verteidigungsminister als Dienstwagen genutzt hat. war umringt von Passanten und habe mein Schicksal erläutert. mir zwei Prägungen für das Le- solviert. Mitten im Sommer, es Wie so viele Kinder in dem Alter ben mitgegeben. Erstens ein war gerade Saure-Gurken-Zeit, wollte ich zwar eigentlich Zirkus- weltoffenes Christentum. Und habe ich aus purer Langeweidirektor werden, aber dieses Be- zweitens die vehemente Ableh- le die Diözesan-Zeitung durchrufbild ist ja dem eines Politikers nung des Nationalismus. Meine geblättert und bin auf eine kleiauch nicht ganz unähnlich. Eltern haben uns Kindern immer ne Veranstaltungsnotiz gestoSie haben dann mit 15 bereits erklärt, daß der Nationalismus ßen, daß Otto von Habsburg, der angefangen, sich politisch zu en- das Grundübel ist, das dann auch mir natürlich ein Begriff war, an gagieren. zur Vertreibung geführt hat. Die- diesem Abend im Schwarzwald Posselt: Ich habe damals die se Ansicht vertrete ich noch heu- bei einer Veranstaltung der PanSchülerunion mitbegründet. Un- te. europa-Union spricht. Ich bin sere Lehrer waren entweder älWann konnten Sie zum ersten dann direkt von der Redaktion ter und hingen zum Teil noch Mal nach Gablonz reisen, dem dorthin gefahren, und das, was dem Nationalsozialismus nach, Geburtsort Ihres Vaters? Otto von Habsburg über Eurooder es waren junge Lehrer aus Posselt: Meine Großeltern ha- pa gesagt hat, hat mich tief beder 68er Generation, die extrem ben mir viel von ihrer Heimat er- eindruckt und überzeugt. Nach linke Ansichten vertraten. Dem zählt und Fotos gezeigt. Die Ver- der Veranstaltung habe ich ihn wollte ich etwas entgegensetzen. treibung hatte bei meinem Vater gefragt, wie ich der PaneuropaDie Vertreibung hat Ihre Fami- so tiefe Spuren hinterlassen, daß Jugend beitreten könne. „Gar lie von Gablonz nach Karlsruhe er nicht mehr dorthin zurückkeh- nicht“, hat er geantwortet, „denn verschlagen. Haben Sie als Kind ren wollte. Meine Schwester hat es gibt keine. Sie müssen schon oder Jugendlicher gespürt, daß dann keine Ruhe gegeben, bis er eine gründen“. Genau das haSie andere Wurzeln haben als Ih- 1979 mit uns nach Gablonz ge- be ich dann gemacht. 1978 hare Mitschüler? fahren ist. ben wir einen Paneuropa-StuPosselt: Ja. Meine Mutter Wie haben Sie sich gefühlt? dentenkongreß in Innsbruck verstammte aus der Steiermark, Posselt: Es war wie ein Nach- anstaltet, an dem auch Otto von mein Vater aus Nordböhmen, hausekommen. Ich kannte al- Habsburg teilnahm. Da hat er mir meine Geschwister und ich sind les aus den Erzählungen mei- mitgeteilt, daß er für das Euroalso typische Kinder der K & K- ner Großeltern und fühlte mich parlament kandieren will und eiMonarchie. Ich habe mich in sofort heimisch. Es war eine un- nen Pressesprecher sucht. Karlsruhe immer als Fremder ge- glaublich bewegende Reise, und Eine schöne Umschreibung fühlt, obwohl wir in Waldstadt ich habe meinen Vater das erste für Ihr Aufgabengebiet, das doch gewohnt haben, was eine rei- Mal weinen gesehen. Das geht weitaus größer war. Stimmt es, ne Vertriebemir noch heu- daß Sie nicht nur mit Journali„Ich habe mich immer nensiedlung te unter die sten gesprochen haben, sondern war. So wie mir Haut. Von un- vor allem auch für die Kontakte als Fremder gefühlt.“ ging es übriserer Unter- zu den Bürgerrechtsgruppierungens auch anderen Kindern von kunft blickten wir zufälligerwei- gen im Ostblock verantwortlich Vertriebenen. Wir haben uns in se genau auf die Fabrik, die einst waren? der Schule immer darüber unter- meinem Großvater gehört hatte. Posselt: Über die Paneurohalten, wo unsere Familien her- Da ich für Otto von Habsburg tä- pa-Union hatte ich einen intenstammen und was dies kulturell tig war, durfte ich dann für viele siven Kontakt zu den Oppositiooder kulinarisch bedeutet. Das Jahre nicht mehr in den damali- nellen in ganz Mittel- und OstSchöne war, daß wir dann bei den gen Ostblock reisen. europa. Wir haben uns immer jeweiligen Müttern die SpezialiAls großer Europäer hat Sie Ot- in Ungarn getroffen, weil unsetäten aus der Heimat kennenge- to von Habsburg geprägt. Bei wel- re Gesprächspartner ohne größelernt haben. Wir haben anders cher Gelegenheit haben Sie den re Probleme dorthin reisen konngegessen, wir hatten eine andere ältesten Sohn des letzten öster- ten. Ungarn war relativ liberal. Art von Humor, wir haben anders reichischen Kaisers kennenge- Ich war dort öfter mehrere Wogelebt als die „Altbadener“, wie lernt? chen lang unterwegs. wir sie nannten. Posselt: Da ich unbedingt Hatten Sie nicht Angst, daß Was haben Sie von Ihren Eltern Journalist werden wollte, habe ein Geheimdienst eines der Warmitgenommen? ich ein Volontariat bei den Badi- schauer-Pakt-Staaten Sie festPosselt: Meine Eltern haben schen Neuesten Nachrichten ab- nimmt?
Posselt und Stoiber mit dem damaligen Premierminister Petr Nečas.
Zur Person: Bernd Posselt Geboren am 4. Juni 1956, römisch-katholisch. Posselts Vater stammte aus Gablonz in Nordböhmen und seine Mutter aus Graz. 1974 bis 1978: Redaktionsvolontär und Redakteur bei den Badischen Neuesten Nachrichten in Karlsruhe. 1978 Gründung des Münchner Paneuropa-Büros, in dem er bis heute seinen Arbeits- und Lebensmittelpunkt hat. 1978 bis 1994: Engster politischer Mitarbeiter und Pressesprecher von Dr. Otto von Habsburg. 1994-2014: CSU-Abgeordneter im Europäischen Parlament. Seit 2000: Mitglied im CSU-Parteivorstand. Seit 1998: Präsident der Paneuropa-Union Deutschland. Seit 1998: Mitglied des Koordinierungsrates des DeutschTschechischen Gesprächsforums. 2000 bis 2008 sowie seit 2014: Bundesvorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Seit 2008: Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe.
Posselt: Nein, nie. Nachdem Otto von Habsburg war auch der Otto von Habsburg als Angehö- ungarische Staatsminister Imre riger der Habsburger-Dynastie Pozsgay Schirmherr, ein großarzu dieser Zeit nicht nach Ungarn tiger Mann, der uns sehr unterreisen durfte, habe ich das über- stützt hat. nommen. Das änderte sich erst Wußte man, wie die sowjeti1988, als Otto von Habsburg erst- sche Armee, die mit starken Kräfmals seit 1918, als er noch ein ten in Ungarn stationiert war, reajunger Kronprinz war, wieder gieren wird? nach Ungarn fahren konnte. Der Posselt: Nein, natürlich hatReise waren längere Verhand- ten wir Angst, daß Michail Gorlungen mit der ungarischen Re- batschow eingreift und den sogierung vorausgegangen, die ich wjetischen Truppen befiehlt, die geführt hatte. Grenzöffnung zu verhindern, Ein Jahr später, im Sommer möglicherweise sogar mit Waf1989, wurde dann mit dem Pan- fengewalt. Gott sei Dank kam europäischen Picknick an der un- es dazu nicht. So nutzten zwigarisch-österreichischen Grenze schen 600 und 700 DDR-Bürger Weltgeschichte geschrieben. Wie die sechsstündige Öffnung des kam es dazu? Eisernen Vorhangs zur Flucht in Posselt: In Ungarn hatten wir den Westen. Es war die bis daein phantastihin größ„Wir hatten Angst, daß sches Netzwerk te Fluchtaufgebaut, das bewegung Gorbatschow eingreift.“ nicht nur Oppoaus Mittelsitionsgruppen umfaßte, sondern deutschland seit dem Bau der bis in die kommunistische Regie- Berliner Mauer am 13. August rung hineinreichte. Die Ungarn 1961 und der Anfang vom Ende wollten raus aus dem Warschau- der DDR mit dem Mauerfall am er Pakt und sich Richtung Euro- 9. November 1989 und der Wiepa orientieren. Reformkräfte in dervereinigung am 3. Oktober der ungarischen Regierung ha- 1990. ben uns deshalb unterstützt, mit Wie man sieht, stimmt der Satz, dem Paneuropäischen Picknick daß Politik das Bohren dicker ein Zeichen zu setzen und die Bretter ist. Davon scheint auch die Grenze für ein paar Stunden zu Sudetendeutsche Landsmannöffnen. Wir haben Einladungs- schaft nicht völlig frei zu sein. Die plakate auf den Campingplät- aktuelle Satzungsänderung hat zen rund um Budapest verteilt, sechs Jahre gedauert. wo sich damals viele DDR-BürPosselt: Unser Ziel ist eine Anger aufhielten und auf eine Aus- näherung zwischen uns Sudetenreise gen Westen hofften. Neben deutschen und unseren tschechi-
Bernd Posselt bei einer Sitzung des Europaparlaments in Straßburg.
Otto von Habsburg und Bernd Posselt.
schen Landsleuten im Rahmen eines vereinten und dem Frieden verpflichteten Europa. In unserer alten Satzung gab es zwei Formulierungen, die in den ersten Nachkriegsjahren, als man dachte, man würde bald in die Heimat zurückkehren, verständlich waren, aber heute einen falschen Eindruck erwecken. So hieß es, wir wollten die Wiedergewinnung der Heimat „durchsetzen“, was faktisch unmöglich ist. Die zweite Formulierung beschäftigte sich sehr dezidiert mit der Eigentumsfrage. Diesen Passus haben wir durch allgemeine Rechtsgrundsätze ersetzt, die für alle gelten, aber eben auch für uns. Wir haben also nicht, wie manche behaupteten, auf die Heimat verzichtet, sondern nur deutlich gemacht, daß ein „Durchsetzen“, was man auch als gewaltsam interpretieren könnte, keine Option ist. Schon für meine Vorgänger standen Verständigung und Ausgleich immer im Mittelpunkt, was wir auch deutlich in der Satzung formulieren wollten. Bei einer Klausurtagung 2014 hat der Vorstand der Sudetendeutschen Landsmannschaft deshalb einstimmig beschlossen, diesen Weg der Satzungsänderung zu gehen. Die Bundesversammlung, also das dafür einzig legitimierte Gremium, hat dann die Satzungsänderung mit großer Mehrheit angenommen. Daß das wegen verschiedener Gerichtsverfahren erst nach sechs Jahren eingetragen werden konnte, hätten wir nicht gedacht. Jetzt sollten alle Demokraten, ungeachtet ihrer persönlichen Meinung, diese klare, justiziell bekräftigte Mehrheitsentscheidung des Volksgruppenparlamentes respektieren. Ein anderes dickes Brett sind die Vertreibungsdekrete, die der damalige tschechische Präsident Edvard Beneš 1946 durchgesetzt hat, und die auch heute noch in der Tschechischen Republik gelten. Wann kassiert die tschechische Politik dieses völkerrechtswidrige Gesetz? Posselt: Die Dekrete werden in dem Moment abgeschafft, in dem eine Mehrheit des tschechischen Volkes der Meinung ist, daß das richtig ist. Alles andere ist eine blanke Illusion. Heute kann man einander Gott sei Dank nicht einfach etwas aufzwingen, man muß einander überzeugen. Es heißt, die tschechische Politik sei vor dem EU-Beitritt im Jahr 2004 durchaus bereit gewesen, die Dekrete zu annullieren. Warum wurde das nicht vollzogen? Posselt: Auf Betreiben von Edmund Stoiber haben wir bis September 2002 in der Bayerischen Staatskanzlei intensiv, aber natürlich geheim und diskret, mit der tschechischen Politik gesprochen. Selbst heute darf ich keine Namen nennen, um unsere Gesprächspartner nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Nur soviel: Es waren offizielle Vertreter der damals regierenden Parteien, die sich sehr, sehr weit bewegt hatten. Dann kam die Bundestagswahl, die Edmund Stoiber hauchdünn verloren hat. Der wiedergewählte Bundeskanzler Gerhard Schröder hat dann bei den Tschechen durchblicken lassen, daß er an dem Thema kein Interesse hat. Und damit war die Sache vom Tisch. Fortsetzung Seite 4
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Bernd Posselt: Ein Leben für die Politik
Und jetzt? Posselt: Ich glaube, daß es im eigenen Interesse der Tschechen ist, dieses Thema irgendwann anzupacken, aber das muß eine Mehrheit des tschechischen Volkes so wollen. Eine aufgezwungene Haltung ist eine sinnlose und wertlose Haltung. Dennoch bin ich optimistisch. Wenn ich sehe, wie das Thema Vertreibung in den vergangenen Jahren in der Tschechischen Republik kulturell, literarisch und wissenschaftlich aufgearbeitet wurde, dann sieht man, daß wir uns in die richtige Richtung bewegen. Dabei geht es nicht um die Dekrete allein, sondern um die Vertreibung im ganzen. Entscheidend sind vertrauensbildende Maßnahmen, eine europäischnachbarschaftliche Verständigung, die Wahrung und Fortentwicklung der gemeinsamen Kultur von Tschechen und Sudetendeutschen sowie die Aufarbeitung unserer gemeinsamen Geschichte auf Augenhöhe. Partnerschaftlich – das ist es, worauf es ankommt. Dennoch hat das tschechische Parlament 2002 die Vertreibungsdekrete noch einmal bestätigt – und zwar einstimmig. Posselt: Das war ohne Frage ein Tiefpunkt der sudetendeutsch-tschechischen und der
tik an der jetzigen Regierung, Was mich aber am meisten besage ich aus sudetendeutscher eindruckt hat, war sein Humor. Sicht, daß es immerhin keine Ich hatte schon länger mit ihm größeren Entgleisungen gegen Kontakt, aber während der Samuns Sudetendeutschen gegeben tenen Revolution hatten wir sehr hat, die wir früher oft genug er- oft miteinander zu tun. Man muß tragen mußten. Und mit Tomáš sich vorstellen, was für eine Last Podivínský hat 2019 zum ersten und Verantwortung auf diesem Mal ein Botschafter der Tsche- einen Mann lag. Aber Václav Hachischen Republik auf dem Su- vel hat die ganze Zeit gelacht. Er detendeutschen Tag gesprochen, war begeistert, er war glücklich. obwohl die jetzige Regierung anEin wichtiger Meilenstein für ders als die davor nicht politisch die nachbarschaftlichen Bezierepräsentiert war. hungen war der von Ihnen initier2015 wurden Sie namentlich te Besuch eines bayerischen Miniin einer Schlagzeile der Bild-Zei- sterpräsidenten in der Tschechitung genannt, schen Republik. „Edmund Stoiber wollte weil Sie auf ei2010 reisten Sie ner Liste des mit mir nach Prag fahren“ mit Horst Seehorussischen fer unter andeStaatschefs Wladimir Putin ste- rem nach Prag. Warum hat es sohen und nicht nach Rußland rei- lange gedauert, bis ein Ministersen dürfen. Wie kam es dazu? präsident ins Nachbarland fährt? Posselt: Ich setze mich seit Posselt: Diese Frage gibt mir Jahrzehnten für Menschenrechte die Gelegenheit, mit einer Leein und hatte zu Zeiten des War- gende aufzuräumen, Edmund schauer Paktes zu den oppostio- Stoiber habe nicht in die Tschenellen Untergrundbewegungen chische Republik fahren wolintensive Beziehungen. Hinzu len. Das Gegenteil ist wahr. Edkommt, daß ich das militärische mund Stoiber wollte mit mir nach Eingreifen Rußlands in Tschet- Prag fahren. Wir waren mehrfach schenien und in der Ukraine öf- kurz davor, aber das ist dann imfentlich kritisiert habe. Jeder, der mer gescheitert, weil die damafür Demokratie und Menschen- lige tschechische Regierung nur rechte einsteht, muß die Ent- eine Stimme Mehrheit im Parlawicklung der russischen Politik ment hatte und jedes Mal, wenn unter Putin mit großer Sorge be- wir etwas geplant hatten, eine obachten. Ich habe mich außer- Regierungskrise dazwischenkam. Auch Stoibers Nachfolger Günther Beckstein wollte fahren, war dann aber zu kurz im Amt. Ich bin dann mit Kultusminister Ludwig Spaenle gereist. Wir haben gemeinsam historisch sensible Orte wie Lidice, Theresienstadt und die Elbbrücke in Aussig besucht und der jeweiligen Opfer gedacht. Unsere Botschaft der Völkerverständigung ist auch in der Tschechischen Republik angenommen wor2011: Horst Seehofer besucht mit Bernd Posselt die Elbbrücke in Aussig. den. Die erste Reise mit Horst Seedeutsch-tschechischen Bezie- dem für zahlreiche russische Bür- hofer nach Prag mußte dann wehungen. Viele tschechische Po- gerrechtler eingesetzt. Alle, mit gen der atomaren Katastrophe litiker, zu denen wir seit Jahren denen wir in im Laufe der Jahre in Fukushima abgekürzt wergute Kontakte pflegen, haben Kontakt hatten, sind jedoch un- den. Die zweite Reise führte uns selbst intern von einer Schande ter mysteriösen Umständen ums dann gemeinsam an die Orte, wo gesprochen. 2013 hielt Premier- Leben gekommen. Ich bin kein ich bereits mit Ludwig Spaenle minister Petr Nečas eine für uns Gegner Rußlands oder des rus- der Opfer gedacht hatte. Noch Sudetendeutsche historische Re- sischen Volkes, aber ich bin ein heute sagt Horst Seehofer, daß de im Bayerischen Landtag, in Kritiker des russischen Regimes. diese Reise einer der wichtigsten der er uns als „liebe Landsleute“ Haben Sie nicht Angst, Putin Punkte seiner Ministerpräsidenansprach und die Vertreibung könnte auch bei Ihnen zu anderen tenzeit war. Wir haben damals verurteilte. 2016 sprach mit Kul- Mitteln greifen? verhärtete Fronten aufgebroturminister Daniel Herman erstPosselt: Nein. Die wirklich ge- chen. Danach waren immer wiemals ein Mitglied einer tschechi- fährlichen Situationen in mei- der offizielle Vertreter der tscheschen Regierung offiziell auf ei- nem Lechischen Regienem Sudetendeutschen Tag. ben habe ich „Das ist meine Heimat. Das rung zu Gast ist meine Identität.“ Im Oktober wählen die Tsche- während des auf unseren Suchen eine neue Regierung. Was Krieges im detendeutschen erwarten Sie sich von dem Urnen- ehemaligen Jugoslawien erlebt, Tagen. Das war der Durchbruch. gang? wie in Mostar, als überall SchüsWir wollen das Interview nicht Posselt: Die jetzige tschechi- se fielen. beenden, ohne Ihnen herzlich sche Regierung ist eine MinderSie haben von seiten Kroatiens zum 65. Geburtstag zu gratulieheitsregierung, die von Rechts- mehrere hohe Ehrungen erhalten. ren. Dieser Jahrestag ist für viele und Linksradikalen geduldet Posselt: Am stolzesten bin ich, Menschen ein Anlaß, das Leben wird. Ich erhoffe mir von der daß mich die seinerzeitige Staats- auszurichten. Welche Pläne für Wahl eine stabile Regierung präsidentin Kolinda Grabar- die Zukunft haben Sie? – und zwar aus dem einfachen Kitarović als einen von fünf AusPosselt: Ich habe keine ZuGrund: Ein Partner ist nur dann ländern ausgezeichnet hat, die kunftspläne in dem Sinne, daß ein guter Partner, wenn er ein die kroatische Unabhängigkeit ich unbedingt etwas ändern muß. stabiler und selbstbewußter Part- mit begründet haben. Ich habe eine fantastische Aufganer ist. Es gibt immer wieder LeuIn den 50 Jahren, die Sie in der be, nämlich mich für Europa und te, die sagen, in der Politik kom- Politik sind, haben Sie viele Men- gegen Nationalismus einzusetme es darauf an, die Schwäche schen getroffen. Wer hat Sie am zen. Das tue ich als Politiker und des anderen auszunutzen. Wenn meisten beeindruckt? als Mitglied im Parteivorstand man die Schwäche des anderen Posselt: Václav Havel. der CSU. Das tue ich in der überausnutzt, speziell in der interViele hätten auf Franz Josef parteilichen Paneuropa-Union, nationalen oder in der europä- Strauß getippt. Warum Václav deren Präsident in Deutschland ischen Politik, erreicht man viel- Havel? ich bin, und das tue ich insbesonleicht im Moment etwas. Aber Posselt: Selbstverständlich hat dere in der Sudetendeutschen die andere Seite wird alles tun, mich Strauß sehr geprägt, aber Volksgruppe. Diese ist für mich um möglichst schnell stark ge- eben auch Václav Havel. Die- etwas sehr Persönliches. Das ist nug zu werden, um das Ganze ser war ein Mensch mit einer un- meine Identität. Das ist meine wieder über Bord zu werfen. Bei glaublichen Weisheit und ei- Heimat. aller, sicherlich berechtigten Kri- ner gewinnenden Ausstrahlung. Torsten Fricke
Sudetendeutsche Zeitung Folge 23 | 11.6.2021
VERANSTALTUNGSKALENDER Dienstag, 15. Juni, 18.00
Uhr, Adalbert Stifter Verein, Verleihung Otokar-Fischer-Preis. Bereits zum dritten Mal wird in Prag der Otokar-Fischer-Preis für herausragende germanobohemistische geisteswissenschaftliche Arbeiten verliehen. Moderation: Jaromír Typlt. Goethe-Institut, Masarykovo nábřeží 32, Prag, und Youtube-Kanal des Adalbert Stifter Vereins (Verlinkung auf youtu.be/SK94qkeKyYY). Mittwoch, 16. Juni, 19.00 Uhr, Adalbert Stifter Verein, „Hybridität und Metamorphose“. Wissenschaftlicher Vortrag über Franz Kafka und Karel Hlaváček. Der Referent PD Dr. Neil Stewart ist Komparatist sowie Slavist und unterrichtet Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Bonn. Für seine Habilitationsschrift „Bohemiens im böhmischen Blätterwald“ wurde Stewart 2020 mit dem Otokar-Fischer-Preis ausgezeichnet. Sudetendeutsches Haus, Hochstraße 8, München. Eintritt frei. Anmeldung bis um 17 Uhr des Veranstaltungstages unter https://eveeno.com /Hybriditaet-und-Metamorphose Donnerstag, 17. Juni, 9.30 Uhr, SL-Ortsgruppe Königsbrunn / Wehringen / Klosterlechfeld: Mitgliedertreff. 9.30 Uhr: Heimatstüble im Lechfeld-Museum Königsbrunn. 10.30 Uhr: Treff beim Sudetendeutschen Mahnmal am Friedhof Königsbrunn. 11.00 Uhr: Sitzung im Gasthof Krone in der Bürgermeister-Wohlfarth-Straße 44 in 86343 Königsbrunn. 13.30 Uhr: Besuch des Museums Schlacht auf dem Lechfeld beim Gymnasium Königsbrunn. Anmeldung bei Obmann Kurt Aue, Telefon (08 21) 8 85 37 56 oder eMail sudetenaue@koenigsau.de Freitag, 18., bis Sonntag, 20. Juni, Paneuropa-Union Deutschland: Paneuropa-Tage in Trier, Echternach und Schengen unter der Schirmherrschaft von Jean-Claude Juncker, ehemaliger Präsident der EU-Kommission, mit Festabend, Hauptkundgebung, Gottesdiensten und Delegiertenversammlung. Festredner sind neben Juncker der Präsident der PaneuropaUnion Deutschland, Bernd Posselt, der österreichische Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Othmar Karas, und der Internationale Präsident der Paneuropa-Union, Alain Terrenoire. Die 47. Paneuropa-Tage stehen unter dem Motto „Europa gestalten, nicht bloß verwalten“. Programm und Anmeldung unter www.paneuropa.org Samstag, 19. Juni, 9.00 Uhr, Ackermann-Gemeinde Bistum Bamberg: „Verfolgte Christen in der Welt –Herausforderung für uns?“ – Studientag mit Bischof Bertram Meier (Augsburg), Zeit-Redakteur Ulrich Ladurner und weiteren Referenten in Nürnberg, Caritas-Pirckheimer-Haus, Königstraße 64. Anmeldung: Akademie CPH, Königstraße 64, 90402 Nürnberg, Telefon (09 11) 2 34 61 45, eMail akademie@cph-nuernberg.de Samstag, 19. Juni, 10.30 Uhr, SL-Landesgruppe Bayern: Landesfrauentagung 2021 in Regensburg, Kolpinghaus, AdolphKolping-Straße 1. Mittwoch, 23. Juni, 19.00 Uhr, Adalbert Stifter Verein, „Liebe die Wahrheit – Miluj pravdu!“ Der Prager Musiker und Komponist Daniel Dobiáš (Klavier) präsentiert seine von den jahrhundertelangen deutsch-tschechischen Verbindungen in Kunst, Religion, Kultur und Geschichte inspirierten Werke gemeinsam mit der Mezzosopranistin Kristina Kubová. Sudetendeutsches Haus, Hochstraße 8, München, Anmeldung bis um 17 Uhr des Veranstaltungstages unter https://eveeno. com/liebe-die-wahrheit Samstag, 26. Juni, bis Sonntag, 27. Juni, Sudetendeutsche Bundesversammlung in
Dienstag, 15. Juni, 18.00 Uhr bis 20.00 Uhr: „Das Prager Blutgericht von 1621 – Vorgeschichte und Folgen.“ Gespräch mit dem Historiker Professor Dr. Winfrid Halder. Online-Seminar auf Zoom. Wer Prag schon besucht hat, dürfte auch die 27 Kreuze gesehen haben, die auf dem Altstädter Ring zwischen Rathaus und Teynkirche im Pflaster erkennbar sind. An dieser Stelle wurden am 21. Juni 1621 – vor 400 Jahren also – die Anführer des gescheiterten „Böhmischen Aufstandes“ hingerichtet. Begonnen hatte dieser mit dem „Fenstersturz“ dreier kaiserlicher Beamter auf der Prager Burg am 23. Mai 1618. Der Versuch des überwiegend protestantischen böhmischen Adels, die ungeliebte Herrschaft der katholischen Habsburger-Dynastie abzuschütteln, wurde mit militärischen Mitteln vereitelt. Ferdinand II. behauptete die böhmische Krone, ließ die Protagonisten des Aufstandes enthaupten und sicherte so die Herrschaft der Habsburger über Böhmen letztlich bis 1918. Das „Prager Blutgericht“ von 1621 steht für eine frühe Etappe des Dreißigjährigen Krieges, der über Prag und seine Umgebung noch viel mehr Unheil bringen sollte. Die Teilnahme ist kostenfrei. Weitere Hinweise und Anmeldung auf der Webseite www.heiligenhof.de. Heiligenhof · Alte Euerdorfer Straße 1 · 97688 Bad Kissingen Telefax (09 71) 71 47 47 info@heiligenhof.de · www.heiligenhof.de
München. Samstag, 26. Juni, 14.00 bis 19.00 Uhr, Adalbert Stifter Verein, „Johanna von Herzogenberg wie wir sie kannten.“ Eine Erinnerungsveranstaltung in Prag an die Kunsthistorikerin Johanna von Herzogenberg (1921–2012), die als langjährige Geschäftsführerin den Adalbert Stifter Verein zu einer der wichtigsten Institutionen des deutsch-tschechischen Dialogs gemacht hat. Bibliothek des Stifts Strahov, Strahovské nádvoří 1/132, Prag. Anmeldung unter https://www.inviton.cz/e-11822 /johanna-von-herzogenberg-jakjsme-ji-znali Dienstag, 29. Juni, 19.00 Uhr, Adalbert Stifter Verein, „Mein Weg zu unseren Deutschen. Geschichten von Menschen“. Pavel Polák, der von 2014 bis 2019 als Deutschland-Korrespondent des Tschechischen Rundfunks tätig war und heute für die Tageszeitung Deník N schreibt, setzt die „Mein Weg“Reihe fort. Die Gesprächspartner erläutern dabei ihre persönliche Beziehung zu den (Sudeten-) Deutschen. Sudetendeutsches Haus, Hochstraße 8, München. Eintritt ist frei. Anmeldung bis 17 Uhr des Veranstaltungstages, unter https://eveeno.com/meinweg-zu-unseren-deutschen Mittwoch, 7. Juli, 15.00 Uhr, SL-Ortsgruppe Königsbrunn / Wehringen / Klosterlechfeld: Mitgliederversammlung in der Gemeindehalle Weh-
ringen. Samstag, 10. Juli, 14.00 Uhr, SL-Ortsgruppe Königsbrunn / Wehringen / Klosterlechfeld: Muttertagfeier (Wir feiern auch die Väter), Fischerheim Wehringen, In der Aue 5. Aufgrund der Corona-Pandemie ist der traditionell für Pfingsten terminierte Sudetendeutsche Tag in diesem Jahr auf Freitag, 16. bis Sonntag, 18. Juli, verschoben worden. Neuer Austragungsort ist die Landeshauptstadt München mit dem Sudetendeutschen Museum. Das vorläufige Programm finden Sie auf Seite 9. Samstag, 17. Juli, oder Sonntag, 18. Juli, 7.00 Uhr, SL-Ortsgruppe Königsbrunn / Wehringen / Klosterlechfeld: Fahrt zum Sudetendeutschen Tag nach München. Ob wir am 17. oder 18. fahren, erfahren Sie bei der Anmeldung, die bis spätestens 15. Juli 2021 bei Obmann Kurt Aue erfolgen muß. Telefon: (08 21) 8 85 37 56 oder per eMail sudetenaue@ koenigsau.de. Freitag, 30. Juli, bis Montag, 2. August, SL-Landesgruppe Bayern: Informationsfahrt der Landesgruppe Bayern nach Mähren und Niederösterreich mit Teilnahme am Brünner Versöhnungsmarsch. Informationen unter: SL-Landesgruppe Bayern, Hochstraße 8, 81669 München, per eMail Geschaeftsstelle@sudeten-by.de oder per Telefax (0 89) 48 00 03 96.
Kulturanthropologischer Vortrag
Rußlanddeutsche Eßkultur(en) HDOnline direkt: 17. Juni, 19.00 Uhr: „Rußlanddeutsche Eßkultur(en) aus kulturanthropologischer Sicht“, Begleitprogramm zur Ausstellung. Referentin: Dr. Anna Flack (Bild) Welchen Stellenwert haben Essen und Trinken im Aussiedlungs- bzw. Migrationsprozess? Wie ernähren sich nie ausgesiedelte und nach Rußland zurückgekehrte Rußlanddeutsche? Diesen und weiteren Fragen widmet sich die Kulturanthropologin Anna Flack in diesem Vortrag. Die Referen-
tin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Juniorprofessur „Migration und Integration der Rußlanddeutschen“ an der Universität Osnabrück. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Nahrungsethnologie und Zugehörigkeiten von Rußlanddeutschen und (Spät)Aussiedlern. Veranstaltungsort: Online und Haus des Deutschen Ostens, Am Lilienberg 5, 81669 München. Anmeldung erforderlich unter Telefon (0 89) 4 49 99 30 oder per eMail an poststelle@hdo.bayern.de
AKTUELL
Sudetendeutsche Zeitung Folge 23 | 11.6.2021
5 Mut tut gut
Das innere Pünktlein
A
Eine sehr schön gearbeitete Goldhaube. Bilder: Christina Czybik, Peter Brezina
Johann und Margareta Heinz aus Katzengrün bei Königsberg an der Eger. Aufnahme um 1892.
Das Gschirr, reich verziert und mit prächtigen Huasnoa(n)toutaran.
Egerland-Museum in Marktredwitz präsentiert ab 4. Juli die Sonderausstellung „Egerländer Trachten – Lebendige Heimat“
Der Stoff der Heimat: Wie Trachten auch heute noch Identität stiften
„Egerländer Trachten – Lebendige Heimat“ ist der Titel einer Sonderausstellung, die das Egerland-Museum in Marktredwitz vom 4. Juli bis zum 24. Oktober 2021 zeigt.
J
e nach Herkunftsregion gab es im Egerland unterschiedlich ausgeprägte Trachten, insbesondere Frauentrachten. Beim Kirchgang oder bei festlichen Anlässen konnte man den „Festtagsstaat“ der Egerländerinnen bestaunen. In aufwändiger Handarbeit gefertigt, entstanden aus qualitätvollen Samt-, Seiden- und Wollstoffen, Brokatbändern, Klöppelspitzen sowie Stickereien prächtige Schulter-, Kopf- und Umhängetücher, Spenzer, Mieder, Schürzen und vieles mehr. Besonderen Wert legten die
Trachtenträgerinnen auf ihre Gold-, Silber- Weiß- oder „Flinnerlhauben“. Silberschmuck, handgestrickte Strümpfe mit komplizierten Strickmustern, Schnallenschuhe, Handtaschen mit Perlenstickereien und viele weitere Accessoires gehörten zur Egerländer Tracht. Auch die Männer konnten sich sehen lassen mit ihren schwarzen Pumphosen, verschiedenfarbigen Schwenkern, Jankern und Westen, mit dem Bänderhut oder Quastenhut, den Hosenträgern mit den „Huasnoa(n)toutaran“ aus Messing, den Schnallenschuhen und hohen Lederstiefeln. Die Blütezeit dieser alten Egerländer Trachten erstreckte sich bis in die 1880er Jahre. Viele Details wurden weiterentwikkelt, manches ging mit der Zeit verloren, denn der Einfluß der städtischen Mode nahm auch in den ländlichen Gegenden zu. In den westböhmischen Badeorten setzte um die Mitte des 19. Jahrhunderts ein touristisch verklärter Blick auf die Trachten des Egerlandes ein. Vin-
cenz Pröckl berichtete 1848, daß es für Fremde höchst interessant sei, einen typischen Egerländer Hochzeitszug zu sehen. Ein gemaltes Exemplar aus dieser Zeit befindet sich im Egerland-Museum. Diese auf geweißtes Papier oder Pergament mit Wasserfarben gemalten Darstellungen waren zunächst als Erinnerungen an den „wichtigsten Tag im Leben“ gedacht. Später verkaufte man die mitunter meterlangen und leporelloartig gefalteten Malereien, als Souvenir an Badegäste. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden
die meisten traditionellen Festtagsklei- sentliches Identitätsmerkmal und ein dungen von bürgerlicher Mode abge- Bezug zur Heimat. Das Wissen um origilöst. Aber bereits nach kurzem Däm- nale Trachten schwindet jedoch mit der merschlaf in Truhen und Schränken er- Abnahme der Erlebnisgeneration. wachte um 1900 im Egerland ein neues Bei der Sonderausstellung werden Interesse an den Trachten. Das beruhte nach historischen Vorbildern und überzum einen auf neuen Trends in den böh- lieferten Handwerkstechniken gefertigmischen Bädern. Dort erkannte man den te Egerländer Trachten gezeigt. Der FoWerbewert von einkus fällt auf die Das Tragen der Tracht hatte heimischen Trachklassischen erten. So kleideten auch eine politische Bedeutung neuerten acht sich nicht nur einFrauentrachheimische Bedienstete, sondern auch ten und drei Männertrachten. Zusätzgerne Badegäste ländlich. lich werden Accessoires wie Schmuck, Zum anderen trugen Egerländer Ver- Schuhe und Taschen ausgestellt. Einige eine und Gmoin sowie volkskundliche der Frauentrachten wurden extra für die Forscher wie Alois John oder Josef Hof- Ausstellung angefertigt. mann, die die historischen Trachten doEin weiterer Aspekt ist die Weitergakumentierten, zur Wiedergeburt und be des Wissens um Egerländer Trachten Erneuerung der Trachten bei. als Teil der Kulturgeschichte von NordNach der Auflösung der Donaumon- westböhmen. Von besonderer Bedeuarchie am Ende des Ersten Weltkrieges tung sind dabei die Wiederbelebung wurde das Egerland gegen den Willen und Weitergabe historischer Handarseiner deutschsprachigen Bevölkerung beitstechniken zur Trachtenanfertigung. 1918/19 der Ersten Tschechoslowaki- Mit großem Stolz werden diese bei vieschen Republik einverleibt. len Anlässen getragen und auch hier geSeitdem besaß die Tracht im Eger- zeigt: „Egerlänland neben der traditionellen auch eine der Trachpolitische Rolle: Wer sie trug, bekannte ten sich zum Deutschtum. Ein Trachtenum- sind ein zug und im Speziellen das Tragen der Stück leBatzerlstrümpfe konnte daher als eine bendige Demonstration gewertet werden. Heimat!“ Ende der 1930er Jahre begann der Volker Dittmar, Volkskundler Josef Hanika in Eger zuVolker Jobst sammen mit dem Bund der Deutschen gezielt mit der Erneuerung der Tracht. Neben dem Raum Eger wurden noch weitere sieben Trachtengebiete im damaligen Regierungsbezirk Eger genannt, und zwar nach der Karlsbader (Unterländer), Ascher, Egerer, Luditzer, Marienbader, Mieser, Chotischauer und Bischofteinitzer Tracht Bei der Vertreibung 1945/46 wurden einige wertvolle authentische Stücke im Flucht- und Vertreibungsgepäck mitgenommen. Spätestens als die Egerländer sich 1950 wieder zum Bund der Eghalanda Gmoin zusammenschlossen, wurde der starke Wunsch nach dem Tragen der Tracht geweckt. Seitdem setzte ein regelrechter Aufschwung bei der Herstellung Egerländer Trachten ein. Bis heute gelten für die erneuerten Trachten die Maßgaben, die Josef Hanika in den 1930er Jahren festlegte. Das Tragen einer Tracht war und ist für die Egerländer ein we-
Egerländer Trachten – Lebendige
Heimat: Sonderausstellung des Egerland-Museums in Kooperation mit dem Gut Bernard (Statek Bernard) und dem Bund der Eghalanda Gmoin e.V. vom 4. Juli bis 24. Oktober 2021. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 14.00 bis 17.00 Uhr. Für Gruppen nach Voranmeldung auch zu anderen Zeiten. Erweiterte Öffnungszeiten am Egerlandtag und bei der Bundeskulturtagung. Kontakt: Egerland-Museum, Fikentscherstraße 24, 95615 Marktredwitz, Tel. (0 92 31) 39 07, eMail info@egerlandmuseum.de, Webseite www.egerlandmuseum.de
us dem Chassidismus, einer frommen Erneuerungsbewegung des osteuropäischen Judentums, wird folgende Geschichte überliefert: „Ein jüdischer Rabbi begann zu reden: ‚Wenn einer Führer wird, müssen alle nötigen Dinge da sein: ein Lehrhaus und Zimmer und Tische und Stühle, und einer wird Verwalter, einer wird Diener und so fort.‘ Als er zum Schluß gekommen war, fügte er hinzu: ‚Und dann kommt der böse Widersacher und reißt das innerste Pünktlein heraus. Aber alles andere bleibt wie zuvor, und das Rad dreht sich weiter. Nur das innerste Pünktlein fehlt. Fehlt dieses, dann fehlt das Herz, die Mitte. Das Tun wird seelenlos, äußerlich.‘ Dann hob der Rabbi die Stimme: ‚Aber Gott helfe uns. Man darf‘s nicht geschehen lassen!‘“ Mir fiel diese Geschichte ein, als ich über die Kirche in unserer Zeit nachdachte. Zumal im säkularisierten Westeuropa müht sie sich mit Veränderungsprozessen ab, deren Ende nicht abzusehen ist. Manche Mitglieder der Kirche verunsichern die Veränderungen zutiefst, anderen gehen die Veränderungen nicht schnell genug. Nicht wenige trauen der Kirche keine Erneuerung mehr zu. Sie sind innerlich oder äußerlich emigriert und beobachten die Vorgänge höchstens nur mehr vom Rand her. Doch so oder so, das Rad dreht sich weiter: das Rad jeder persönlichen Lebensgeschichte, das Rad der Welt, und auch das Rad der Kirche. Die Geschichte ist hilfreich, weil sie an etwas erinnert, was wir in allen Veränderungsprozessen nicht vergessen dürfen, nämlich das innere Pünktlein. Jedes Rad hat eine Nabe, von der aus die Speichen nach außen zu den Felgen und zum Reifen führen. Wir wissen auch: Je näher die Speichen zur Nabe hinführen, desto näher kommen sie zusammen. Der Abstand zwischen ihnen wird zum Zentrum hin enger. So kann uns das Bild des Rades mit Nabe und Speichen ein wichtiger Hinweis sein, nämlich: Verlieren wir in allen Entwicklungen und Veränderungen der Kirche das Zentrum des christlichen Glaubens und Lebens nicht aus dem Auge! Von dort her überträgt sich die Kraft nach außen. Nicht umgekehrt! Und genauso gilt: Dort ist der Einheitspunkt. Nicht an den Rändern! Aber wo liegt das Zentrum für die Kirche, was ist ihre innere Mitte? Ich meine, die Antwort fällt uns trotz aller Auseinandersetzungen um das Tempo und um die Richtung der Veränderungen nicht schwer. Jesus Christus ist unsere Mitte, die frohe Botschaft vom Friedensangebot Gottes an die Welt und jeden Menschen, das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe. Wenn sich die Kirche auf diese Mitte besinnt, dann wird sie nicht auf den toten Punkt kommen. In der Besinnung auf das Zentrum legt sich auch mancher Kirchenfrust. So sage ich mit dem Rabbi aus unserer Geschichte: „Gott helfe uns.“ Man darf‘s nicht geschehen lassen, daß wir das innere Pünktlein verlieren. Dr. Martin Leitgöb CSsR Seelsorger der Katholischen Pfarrei Ellwangen-Schönenberg
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FORUM
Der aus der freien Bergstadt Benisch im Altvatergebirge stammende Asienforscher Anton Karl Gebauer (1872–1942) trug, ähnlich wie Sven Hedin oder Heinrich Harrer, dazu bei, die letzten weißen Flecken auf der Landkarte von Asien zu tilgen.
Sudetendeutsche Zeitung Folge 23 | 11. 6. 2021
Asienforscher Anton K. Gebauer aus dem Altvatergebirge
che Bergwelt des Himalaya. Mit 600 Kilogramm Gepäck verließ er Wien, stellte in Burma eine Karawane mit mehreren Dutzend Trägern und zwölf Maultieren zusammen und zog gen Norden. Es war dieselbe Route, auf der merksamen Zuhörer. Damals er- Gebauer in seinem Lebensrück- nen Dorf im oberösterreichi- mals fast unerforschten und ge- Einheimische wenige Jahre zuwachte in ihm der Wunsch, in die blick. „Viele hundert Male spä- schen Waldviertel. Er bewarb fährlichen Schan-Staaten, das vor zwei deutsche Forscher ern seinen Büchern „Um den weite Welt zu reisen. Gerne be- ter, wenn mitten im urwüchsigen sich erfolgreich um eine Stelle heutige Thailand. mordet hatten. An der Grenze zu Mount Evererst“ (1925) und Daseinskampf in wildfremden in Wien, ließ sich dort zum TurnFür diese Expedition war er China wurde Gebauer zurückge„Burma, Tempel und PagoTälern des gewaltigen Himala- lehrer ausbilden und wurde am dank Zuwendungen mehre- wiesen, er wich in das von Engden“ (1943) zeichnet er ein leyas, in den wilden Dschungeln Gymnasium in Wien-Floridsdorf rer Gönner gut ausgerüstet, sei- land besetzte Indien aus, um von bendiges Bild von Land und Hinterindiens die Einsamkeit angestellt. Seine Sehnsucht, die ne Sprachkenntnisse hatte er dort Tibet zu erreichen. Aber der Leuten in Hinterindien und drückend auf meiner Seele la- weite Welt zu erkunden, war un- um Hindustanisch und landes- Ausbruch des Ersten Weltkriegs Burma, heute Myanmar. Mit stete, wenn das Heimweh ge- gebrochen. Er vertiefte sich mit kundliche Dialekte erweitert. durchkreuzte den Plan, GebauPioniergeist und Wagemut, waltig über mich kam, dann Feuereifer in Reiseberichte aus Über Benares und Kalkutta kam er wurde als Zivilgefangener inbeseelt von einer nahezu unbrauchte ich mich nur nachts Afrika und Indien, lernte Fremd- er bis Ceylon, heute terniert, sein Gepäck erschöpflichen Energie gelang an das Lagerfeuer zu legen – sprachen und sparte, um seine Sri Lanka, nach Ranbeschlagnahmt. Erst ihm, seinen Kindheitstraum und ich war wieder daheim.“ Träume zu verwirklichen. Dane- gun, die Hauptstadt nach Kriegsende erhielt er die Ausrüvon einer „Reise in das Land Anton hatte eine wohlklin- ben trainierte er seinen Körper von Burma, und weistung und das Fotojenseits des Benischer Walgende Singstimme und bekam mit Wandern und Bergsteigen ter nach Mandalay. material zurück. Als des“ in die Tat umzusetzen. einen Freiplatz bei den Dom- und war in Touristenkreisen als In diese Region waer wieder in der HeiGebauer kam 1872 als ältesängern in der Bischofsstadt verwegener Alpinist bekannt. ren bisher nur wenimat eintraf, erreichster Sohn des Benischer Ge- Benisch nordwestlich von Troppau und Olmütz; damit verbunden Vor seinen Expeditionen in ge Europäer vorgete ihn die Nachricht, meindeschreibers zur Welt. südwestlich von Jägerndorf auf einer war der Besuch des Gymnasi- Südostasien machte er 1901 eine drungen, da die Eindaß seine Mutter geAuch seine neun Geschwister Landkarte von 1910. ums. Aber nach dem Stimm- Erkundungsreise in Ägypten und geborenen Kopfjäger storben war. Bis zuwurden auf Namen mit dem bruch lief das Stipendium aus, im Nahen Osten. Nur mit dem waren und Weißen letzt hatte sie gehofft, Anfangsbuchstaben A getauft: suchte er seinen Großonkel, den der Vater konnte den Besuch Nötigsten ausgestattet, wanderte feindselig begegneihren Ältesten noch Adolf, Alois, August, Arnold, Al- Vetter Franz, in dessen Haus am des Gymnasiums nicht finanzie- er von Kairo den Nil aufwärts bis ten. Aber Gebauer Anton K. Gebauer einmal zu sehen. fons, Arthur, Alfred, Anna und Rand des Keperwaldes, bei dem ren und Anton kam nach Ben- zu den Katarakten, dann ging es gewann ihr VertrauNach seiner glücklichen Albertine. Eine Ausnahme war er manchmal übernachten durfte. isch zurück. Nun hieß es, mög- von Port Said über den Libanon, en und Auskünfte über ihre LeKaroline, die mit nur wenigen Wenn es dunkel wurde, zündete lichst schnell Geld verdienen. Syrien und die Türkei zurück in bensweise, ihre Bräuche und ih- Heimkehr hielt Gebauer in Wien Wochen starb. der Onkel auf der Wiese ein Feu- Der 15jährige besuchte das Leh- die Heimat. Fünf Jahre später re Glaubensvorstellungen. Die und in anderen Städten gut beTonis Großmutter, die Web- er an, und Toni hing beim Blick in rerseminar in Troppau. Unglück- durchkreuzte er Indien. Seine in seinem Reisegepäck mitge- suchte Vorträge über seine Reiwaren und Strümpfe auf Jahr- die Flammen seinen Träumerei- licherweise starb im selben Jahr dritte Reise führte ihn 1910 nach führten Gastgeschenke wie Glas- sen. Der österreichische Bundesmärkten verkaufte, erzählte den en nach. „Ach, was waren das für der Vater. Nun mußte die Mutter Hinterindien, Burma und die da- perlen, Messer und bunte Stoffe präsident verlieh ihm eine EhrenKindern oft von ihren Erlebnis- glückliche Stunden einer gna- ihre Kinder mit einer Rentauschte er gegen einhei- gabe, die Wiener Geographische sen und fand in Anton einen auf- denvollen Jugend“, erinnert sich te von 18 Gulden durch‘s mische Geräte und kunst- Gesellschaft ernannte ihn zum Mitglied Leben bringen. Trotzdem gewerbliche Artikel, die er Korrespondierenden gab sie Anton noch drei daheim seiner ethnogra- und seine Geburtsstadt Benisch Gulden für seine Studenphischen Sammlung ein- überreichte ihm den Ehrenbürgerbrief. Gebauer verbrachte seitenbude. An zwei Tagen verleibte. der Woche erhielt er bei Gebauers letzte Asi- nen Lebensabend mit Frau und einem Professor ein warenfahrt stand unter kei- Tochter in Velden am Wörthermes Mittagessen, die übrinem guten Stern. Seine see, wo er 1942 mit 69 Jahren gen Tage mußte er sich mit Ziele waren Tibet und der starb. Wichtige Teile seiner ethIch/wir bestelle/n zum Bezug per Postzustellung die trockenem Brot begnügen. Durchbruch der Flüsse nographischen Sammlung sind Gebauers erste Lehrer- Der Hafen von Rangun in den 1890er Jahren. Tsangpo und Brahmaputra heute im Naturhistorischen Mu Sudetendeutsche Zeitung Bild: Philip Adolphe Klier durch die schwer zugängli- seum in Wien. Julius Bittmann stelle war in einem klei-
Jenseits des Benischer Waldes
I
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23/2021
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Ehrenlandsmann und Schirmherr
Karl Kling †
arl Kling kam am 18. Dezember 1928 in Krumbach zur Welt. Der studierte Bauingenieur war ein weltweit agierender Bauunternehmer, Mitglied des Bayerischen Landtags, Gründungs-Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau und Präsident des Allgäu-Schwäbischen Musikbundes. Vor allem aber war er ein Freund und Förderer der Sudetendeutschen in Krumbach und im Bezirk Schwaben. 1958 bis 1970 saß Kling im Bezirkstag, 1960 bis 1996 war er Stadtrat von Krumbach, 1960 bis 1964 als Zweiter Bürgermeister und 1964 bis 1966 als Erster Bürgermeister von Krumbach, 1960 bis 1972 war er Mitglied des Kreistags des Altlandkreises Krumbach, bis 1992 des Landkreises Günzburg. 1982 bis 1994
war er Mitglied des Bayerischen Landtags. Außerdem ist er Träger des Großen Ehrenzeichens der SL und der Goldenen Ehrennadel des BdV. Als ihm die SL vergangenes Jahr ihr Großes Ehrenzeichen verlieh, erinnerte sich Kling an sein erstes Erlebnis mit den Sudetendeutschen 1946 mit 18 Jahren am Bahnhof Krumbach. Mit seiner Mutter habe er tief erschüttert die Ankunft der heimatlos gewordenen Vertriebenen aus dem Sudetenland erlebt. Besonders die schweren Schicksale ihrer deutschen Landsleute hätten die Familie Kling bewogen, mit allen zur Verfügung stehenden Mit-
Am 16. Mai starb Maria Klara Moder/Rustler, eine engagierte Heimatfreundin aus dem Egerland, mit 85 Jahren in Neumarkt in der Oberpfalz.
Engagierte Heimatfreundin aus dem Egerland
M
aria Rustler war die älteste von drei Geschwistern und kam am 13. August 1935 in Klein Schöba im Kreis Eger zur Welt. Hier verlebte sie auf dem elterlichen Bauernhof eine unbeschwerte Kindheit. Gegen Kriegsende griffen alliierte Tiefflieger auch das Egerland an. Deswegen wurden die Schulen geschlossen. Ähnlich wie heute die coronabedingten Schulschließungen. Im Jahr 1946 wurde die Familie in die Sowjetische Besatzungszone, in die spätere „DDR“, vertrieben. Dort fand sie in der sachsen-anhaltinischen Stadt Zeitz eine vorübergehende Unterkunft. Der Vater, ein Landwirt durch und durch, mußte notgedrungen als Schichtarbeiter in einem Industriebetrieb Geld ver-
teln die Not ihrer Mitmenschen zu lindern. Schließlich gab Kling den Landsleuten mit auf den Weg, die Heimat ja nicht zu vergessen. Nun trauern Ewald Neutatz, Obmann der SL-Ortsgruppe Krumbach und der SL-Kreisgruppe Günzburg, und Felix Vogt, Obmann der Bezirksgruppe Schwaben, um ihn: „In tiefer Dankbarkeit gedenken wir unseres verehrten Ehrenlandsmanns Karl Kling, der über 60 Jahre mit großem Engagement und unermüdlichem Einsatz für unsere Landsmannschaft und seine sudetendeutschen Mitbürger tätig war. Er war mit der Garant für eine geglückte Integration der Sude-
Maria Moder † dienen, um die Familie zu ernähren. Die Mutter starb nach kurzer Krankheit, als Maria erst 14 Jahre alt war. Über den Suchdienst des Roten Kreuzes konnte 1951 die Zusammenführung der Familie stattfinden. Dank ihrer Tante Maria und ihres Onkel Hans‘ kamen sie nach Neualbenreuth in die Oberpfalz. In Waldsassen machte Maria die Mittlere Reife, erlernte einen kaufmännischen Beruf und arbeitete anschließend als Buchhalterin in einer Ziegelei. 1966 heiratete sie Wilhelm Moder und zog nach Pölling, seit 1972 Stadtteil von Neumarkt in der Oberpfalz. Ihnen wurden die
Söhne Rudolf und Bernhard geschenkt. Maria Moders Wirken in ihrem neuen Zuhause Pölling erstreckte sich von der Mitarbeit im Kindergarten über die Mitarbeit in der Pfarrbücherei bis zur Lektorin der Kirche in Pölling und in der Kapelle in Rittershof. Sie engagierte sich auch tatkräftig in der Sudetendeutschen Landsmannschaft auf Orts- und Kreisebene sowie in der Egerländer Gmoi in Leitungsaufgaben und als Vorstand. Das Versöhnungskreuz in Rittershof und den Schaukasten der Sudetendeutschen Landsmaschaft in Pölling pflegte sie zusammen mit ihrem Sohn Bernhard. Und für das
tendeutschen. Nichts war ihm zu schwer, um aus seinem christlichen Selbstverständnis heraus uns Sudetendeutschen beizustehen. Karl Kling hat durch seine nachhaltige und tatkräftige Unterstützung unsere Kreisund Ortsgruppe Krumbach entscheidend mitgeprägt und als Schirmherr ihren Fortbestand gesichert. Die Sudetendeutsche Landsmannschaft hat mit Karl Kling einen großen Freund und Förderer verloren, dessen Andenken uns immer ein großes Anliegen sein wird. Abseits aller Vereinsarbeit, haben wir mit Karl Kling einen überaus geschätzten Ratgeber und lieben Menschen verloren, der uns in vielen Dingen ein Vorbild bleiben wird. So wie sein Spruch ,Vergeßt mir meine Sudetendeutschen nicht!‘, so werden wir unseren Karl Kling niemals vergessen. Seiner Frau Christl, seiner Familie und seinen Freunden gilt unser herzliches Mitgefühl.“ Neumarkter Jura-Volksfest, das jedes Jahr im August um Mariä Himmelfahrt stattfindet, gestaltete sie einen Festwagen mit sudetendeutschen Themen. Ihre Vielseitigkeit und ihr Interesse erstreckten sich über Gedächtnistrainingsgruppe, Bibelkreis und Vormittagsgesprächsrunde der Frauen in Neumarkt. Lange Jahre pflegte sie hingebungsvoll ihren Gatten Wilhelm. Sie entspannte sich bei der Gartenarbeit und liebte Kakteen und Rosen. Ihre Enkelkinder Annemarie und Matthias bereiteten ihr Freude. Gerne besuchte sie die Wallfahrtskirche Maria Loretto bei Altkinsberg bei Eger in der Nähe ihres Geburtsortes und ihrer Taufkirche. Die Kraft für ihr nicht immer einfaches Leben schöpfte sie aus ihrem Glauben. Die Landsleute entbieten den Hinterbliebenen ihr tiefes Mitgefühl. Möge Maria Moder in Gottes ewiger Heimat Frieden finden. dr
Bei einer Veranstaltung von Christina Meinusch, der Heimatpflegerin der Sudetendeutschen, stellte Kateřina Kovačková ihre deutsch-tschechische Anthologie „Mai 1945 in der Tschechoslowakei“ vor. Die Germanistin und SL-Förderpreisträgerin für Publizistik von 2017 interviewte dafür zehn Zeitzeugen, die nach Kriegsende nicht sofort oder gar nicht aus ihrer Heimat vertrieben wurden.
� Veranstaltung der Sudetendeutschen Heimatpflege: Lesung von SL-Förderpreisträgerin Kateřina Kovačková
Mit Puppe Emi im Lager
zeigte. Allen Protagonisten gemein war die Tatsache, daß sie nach Kriegsende diskriminiert wurden sowie oft beruflichen Einschränkungen unterlagen us meinem Buch soll der oder ihre Heimat durch erzwunLeser etwas über die Ver- gene Migration gleich mehrfach gangenheit erfahren“, erklär- verloren. te Kateřina Kovačková bei der Die Autorin hat die Interviews Buchvorstellung im Netz. „Gera- in Erzählform gebracht, bebildert de jüngere Menschen sind mei- und in die jeweils andere Sprane Adressaten, da sie die Nach- che übersetzt. Leider wurden die kriegszeit nicht erlebt haben“, deutschen Texte vom Verlag abmeinte die Autorin von „Mai solut nicht lektoriert oder kor1945 in der Tschechoslowakei. rigiert, wohl in der irrigen MeiErinnerungen jenseits und dies- nung, eine tschechische Gerseits der Grenze“. Auf tschechi- manistin beherrsche druckreifes scher Seite gebe es großes Inter- Deutsch. Dadurch lesen sich die esse bei der jüngeren Generati- aufgezeichneten Interviews imon, nachdem die Geschehnisse merhin holprig-charmant, so ab 1945 unter dem kommunisti- wie sich viele Heimatverblieschen Regime ben ja tatsächDie Vertreibung war lange verlich anhören, drängt und tiefgehender Aderlaß da ihnen jahrverschwiegen zehntelang die worden waren. „Ich selbst merk- deutsche Muttersprache verbote schon während meiner Studi- ten war. enzeit, welch immens großen AnFür die aktuelle Lesung im teil die Deutschen an der Kultur Netz hatte Kateřina Kovačková meiner Heimat gehabt hatten“, das Buchkapitel ausgewählt, in betonte sie. „Die Vertreibung der dem Sieglinde Vendolsky erDeutschen war ein tiefgehender zählt, die 1946 vertrieben wurde. Aderlaß für die böhmischen Län- Sie hatte ihren Bericht in Briefder und hinterließ eine klaffende form an Kovačková gesandt, der Wunde im Sudetenland.“ sich daher flüssiger und strinKovačkovás neues zweispra- genter liest als die zusammengechiges Buch, bei dem sie beide faßten Interviews anderer ZeitSprachversionen selbst schrieb, zeugen. Sieglinde Vendolsky, erschien im vergangenen Jahr die als Sieglinde Wintersteiner und entstand unter erschwerten in Bensen im Kreis Tetschen-BoBedingungen. Wegen Corona denbach zur Welt kam, war im habe sie nicht reisen können, so großen Publikum am heimischen Kovačková, und daher vor allem Rechner und beteiligte sich rege Sudetendeutsche ausgewählt, an der späteren Diskussion. die in der Tschechischen RepuFast 80 Zuschauer verfolgten blik lebten, erklärte die tschechi- gespannt, als Kateřina Kovačková
sche Germanistin, die 2015 über „Figuren der ,Anderen‘ in der deutsch-böhmischen Literatur“ debütierte. „Für diese Arbeit beschäftigte ich mich unter anderem mit dem in Reichenberg geborenen Kinderbuchautor Otfried Preußler“, erinnerte sie sich. „So kam ich auf die sudetendeutsche Thematik.“ Für ihr folgendes Buch „Böhmisches. Allzu Böhmisches“ (Ý SdZ 48/2018) hatte sie vertriebene Sudetendeutsche in Deutschland interviewt und fotografiert und wurde dafür mit dem SL-Förderpreis für Publizistik 2017 ausgezeichnet. „Erfreulicherweise soll dieses umfangreiche Buch bald auf tschechisch herauskommen und wird dafür von Prager Studentinnen und Studenten übersetzt“, kündigte sie an. Für das Buch über die Zeit nach dem Mai 1945 in der Tschechoslowakei interviewte Kovačková zehn Landsleute, die aus unterschiedlichen Gründen nicht vertrieben wurden, sondern in der Heimat bleiben durften oder mußten. „Meine Gesprächspartner waren im Mai 1945 noch Kinder, die schlimme Dinge erleben mußten“, erklärte die junge Wissenschaftlerin. Die in „Mai 1945 in der Tschechoslowakei“ von Kovačková vorgestellten Zeitzeugen stammen meist aus Böhmen, wie eine eingeblendete Karte schnell
stimmt hatten, die Deutschen aus ihren angestammten Heimatregionen in der Tschechoslowakei und Polen „human“ auszuweisen, wurden diese Internierungslager aufgelöst, so auch Rabstein. „Wir kamen in das Sammellager in Tetschen-Altstadt.“ Damals habe sie Keuchhusten bekommen, so Vendolsky, und sei wieder in einer Isolierbaracke gelandet, so daß sich der Abtransport verzögert habe. „Gottlob, muß man sagen, denn diese Zeit nutzte meine Mutter, um meinen Bruder zu uns zu holen.“ Die ersten Transporte seien fast alle in die Sowjetzone gegangen. „Wir dagegen hatten das Glück, in der amerikanisch be-
Kateřina Kovačková: „Mai 1945 in der Tschechoslowakei/Květen 1945 v Československu“. LIT-Verlag, Münster 2020; 192 Seiten, 19,90 Euro. (ISBN 978-3-643-14766-0). Bestellung: www.lit-verlag.de, und „Böhmisches? Allzu Böhmisches. Verwischte Lebensbilder im Südwesten“. Aschendorff-Verlag, Münster 2017; 384 Seiten, 24,80 Euro.(ISBN 978-3-402-13296-8)
bitschek sorgte dafür, daß alle Deutschen, derer er habhaft werden konnte, zunächst ins städtische Gefängnis kamen und teilweise im nahen Lager Rabstein – einem vormaligen Konzentrationslager der Nazis – inhaftiert wurden. Die 14- bis 15jährigen Jungen seien den Eltern weggenommen und nach Brüx zur Fronarbeit im Bergwerk verschleppt worden, darunter auch Sieglindes Bruder Harald. „Die 16- bis 18jährigen, die teilweise gerade aus Kriegsgefangenschaft entlassen worden waren oder der Hitler-Jugend angehört hatten, wurden ebenfalls ins KZ Rabstein abtransportiert, wo sie schwersten Folterungen ausgesetzt waren“, so die Zeitzeugin. Ihre Mutter sei mit der kleinen Sieglinde auf einem Leiterwagen zum Rabsteiner Internierungslager gebracht worden. Von den Folgeereignissen habe sie nur „schemenhafte Erinnerungen“: Bilder von einem ehemaligen Fabrikgebäude mit Reihen von Metallbetten und nächtlicher Lärm durch die Schüsse von Soldaten, die dort patrouillierten. Später seien sie in kleinere Baracken verlegt worden. Die Mutter habe, wie die anderen Frauen aus Hasel, täglich von früh bis spät außerhalb des Lagers Frondienste auf dem Feld und im Wald verrichten und ihr Kind allein zurücklassen müssen. „Wie glücklich war ich immer, wenn am Abend meine Mutti mich in ihre Arme schloß!“ Viel Trost gegeben haben ihr die Puppe Emi, die ihr eine Frau
Sieglinde mit Vater vor der Lehrerwohnung des Schulhauses in Bensen.
Karte mit den Herkunftsorten der zehn Zeitzeugen.
A
Historische Ansichtskarte von Bensen.
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KULTUR
Sudetendeutsche Zeitung Folge 23 | 11. 6. 2021
Autorin Dr. Kateřina Kovačková und Heimatpflegerin Christina Meinusch. Bilder: Jiří Jedlička, Susanne Habel
aus Vendolskys „Erinnerungen fallen. „Diesen Ausweisungsbe- zog sie sich der bald darauffoleines damals fünfjährigen Mäd- fehl habe ich heute noch.“ genden ,wilden‘ Vertreibung der chens“ vorlas. „Mein Vater war Die fünfjährige Sieglinde er- Bensener Bewohner am 20. Juni Lehrer in Bensen und bezog En- lebte mit, wie der neue tsche- 1945, die über die Grenze nach de 1939 mit seiner jungen Fami- chische Lehrer, der die Schu- Deutschland verjagt wurden, lie eine Dienstwohnung in einer le übernehmen sollte, ihre Mut- kam jedoch vom Regen in die ehemals tschechischen Schule, ter warnte, die Heimat schnell Traufe.“ die mit der Annektierung des Su- zu verlassen, da die Deutschen In Böhmisch Kamnitz und Umdetenlandes aufgrund des Mün- sicher bald verjagt würden. Die gebung habe ein selbsternannter chener Abkommens in eine deut- Mutter sei mit beiden Kindern Kommissar der „Swoboda-Trupsche Schule umgewandelt wur- ausgewichen in ihr Elternhaus, pen“ namens Kubitschek, zude.“ den Josef-Eschler-Bauernhof in vor Fahrer bei einer deutschen 1943 wurde der Vater zum Mi- Hasel im Kreis Böhmisch Kam- Spedition, nun die verbliebelitärdienst berufen, und die Fami- nitz. „Mit diesem Schritt ent- nen Deutschen malträtiert: „Kulie bewohnte weiterhin diese Dienstwohnung. „Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges im Mai 1945 wurde das Sudetenland wieder in die Republik Tschechoslowakei eingegliedert, und schon bald begann eine Hetzjagd auf alles, was deutsch war.“ Am 6. Juni 1945 habe ihre Mutter vom örtlichen „Národní Výbor“– der neuen tschechischen Ortsverwaltung – in Bensen die schriftliche Aufforderung erhalten, die Lehrerwohnung zu räumen. Sollte dem nicht nachgekommen werden, würden sämtliche Gegenstände an den tschechischen Staat Der Aussiedlungsbefehl vom Juni 1945 und die im Lager trostspendende Puppe.
aus Hasel eines Tages von ihrer Arbeitstour mitgebracht habe. „Wie ihr das gelungen war, ist mir ein Rätsel, denn es war ja strengstens verboten, Gegenstände von draußen ins Lager zu schmuggeln.“ Aus Erzählungen ihrer Mutter wisse sie, so Sieglinde Vendolsky, daß sie von dem Moment an, als sie Puppe Emi hatte, nicht mehr so viel geweint habe. „Die Puppe hat meine weitere Kindheit begleitet und ich habe sie bis heute.“ Die schwere Arbeit und die miserable Verpflegung hätten die Mutter an der Ruhr erkranken lassen, die in eine Isolierbaracke gesteckt und sich selbst überlassen worden sei. „Ich durfte an ihrem Bett sitzen.“ Nach dem gemeinsamen Verzehr einer geschenkten, altbackenen Semmel habe es eine Art Wunder gegeben: „Meine schon fast totgeglaubte Mutter schöpfte wieder Kraft und überstand die Krankheit. Sie habe sie das Bewußtsein gestärkt, für ihre Kinder da sein zu müssen.“ Nachdem die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges zu-
Im Buch „Mai 1945“: Emil Pražan (*1928 Czalositz/Kreis Leitmeritz), Johanna ?? (*1931 Auerbach im Vogtland, Maria Kulm/ Kreis Falkenau), Rosa Kern, geborene Keilwerth (*1933 Alt Rohlau/Kreis Karlsbad), Ingold Chmielewski, geborene Vondráček (*1933 Friedeberg/Kreis Freiwaldau), Baldur Tomandl (*1936 Eger), Emma Marxová, geborene Oser (*1937 Glöckelberg-Hüttenhof/Kreis Krummau), Gertrud Dörnbrack, geborene Jansky (*1937 Groß Bocken/Kreis Tetschen-Bodenbach), Elfriede Šulková, geborene Löwy (*1940 Plachtin/Kreis Luditz), Sieglinde Vendolsky, geborene Wintersteiner (*1940 Bensen/Kreis Tetschen-Bodenbach), Erika Tampierová, geborene Moses (*1940 Groß FriedrichsTabor/Kreis Groß Wartenberg in Oberschlesien).
setzten Zone – in Hessen zu landen.“ So endete die Erinnerungserzählung. „Was mich auch rettete, war die Geborgenheit in meiner Familie“, sagte Sieglinde Vendolsky auf dem Monitor nach der Lesung. Sie schilderte auch die historischen Hintergründe mit der Unterdrückung der deutschen Minderheit in der ČSR. „Mein Vater hatte in Leitmeritz studiert, konnte jedoch als Deutscher lange keine passende Stelle finden.“ Die Mutter sei später entsetzt gewesen über die Inhalte von Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“, das sie selbstverständlich gehabt hätten. „Man kann über all das nicht einfach mit dem heutigen Wissen urteilen“, folgerte Vendolsky klug. „Es wäre anmaßend zu sagen, die Leute hätten damals anders handeln sollen.“ Christina Meinusch leitete die rege Diskussion, an der unter anderen der frühere SL-Bundesgeschäftsführer Christoph Lippert teilnahm. Sie bedankte sich bei Zeitzeugin und Autorin. „Ich hatte Gänsehaut bei der Lesung. Mir fehlen schier die Worte“, gestand sie. Kateřina Kovačková freute sich über die Reaktionen des Publikums. „Eine offene Diskussion ist wichtig“, meinte sie. Die neue Heimatpflegerin habe das richtige Gespür und Feingefühl. „Sie sind die richtige Frau an dieser Stelle!“, schloß Kovačková. Susanne Habel
8
KULTUR
Die Leipziger Buchmesse konnte auch heuer wegen Corona großteils nicht vor Publikum stattfinden. Im Netz jedoch gab es unter dem Motto „Leipzig liest extra“ viele Veranstaltungen. Dabei trat Christoph Hein gleich drei Mal auf. Der in Niederschlesien geborene Schriftsteller sprach mit der Journalistin Annedore Krohn beim ARD-Forum, mit Eva Schmidt auf dem Blauen Sofa und mit dem Literaturkritiker Carsten Otte bei einer großen Veranstaltung mit Publikum in der Leipziger Kongreßhalle über seinen neuen Roman „Guldenberg“.
� Leipziger Buchmesse: Gespräche mit Christoph Hein
Flüchtlinge in Guldenberg Christoph Hein Geboren 1944 in Heinzendorf in Niederschlesien. Nach Kriegsende Flucht über Thüringen nach Sachsen. 1967 bis 1971 Studium in Leipzig und Berlin. 1974 bis 1979 Autor an der Volksbühne Berlin. Freier Schriftsteller mit vielen Auszeichnungen wie Uwe-Johnson-Preis und Stefan-Heym-Preis.
B
ad Guldenberg ist fiktiv, aber eben eine typische Kleinstadt in Sachsen-Anhalt“, erläuterte Christoph Hein. „Der Ort ähnelt der Stadt Bad Düben bei Leipzig, wo meine Familie nach der Vertreibung aus Schlesien landete.“ Als „Chronist“ stellte er Guldenberg über die Jahrzehnte hin als Schauplatz in mehreren Romanen dar: von seinem ersten Erfolg „Drachenblut“ (1982) über „Horns Ende“ (1985) und „Landnahme“ (2004) bis zu „Glückskind mit Vater“ (2016). „Daher habe ich auch einige Figuren von früher wiederaufgenommen“, beantwortete Hein die Frage von Carsten Otte. In „Landnahme“ schildert Hein die Geschichte des nach dem Zweiten Weltkrieg 1950 aus Niederschlesien vertriebenen Bernhard Haber. Haber meistert – trotz aller Tücken und Barrieren, die die Kleinstadt Bad Guldenberg als „neue“ Heimat bietet – die Integration erfolgreich. Im neuen Buch dagegen sorgt die Einquartierung von einigen jungen Migranten aus Syrien und Afghanistan in Guldenberg vor Ort für Aufruhr. Der Moderator fragte nach Parallelen. „Die Situationen waren völlig anders“, so
Christoph Hein mit Eva Schmidt auf dem Blauen Sofa: www.zdf.de/kultur/das-blaue-sofa/hein-blaues-sofa-leipzig-29-05-2021-100.html gen Verunsicherung, spürbar in einem überspannten gegenseitigen Mißtrauen. Guldenberg war diese Erregung nicht gewohnt, man lebte hier anders als anderswo in der Welt. Man hatte davon gehört, daß in den großen Städten wie Berlin oder Paris gelegentlich Scheiben eingeschlagen wurden. Von sexuellen Übergriffen und gar Vergewaltigungen hatte man schaudernd in der Zeitung gelesen, aber das waren Vor-
Christoph Hein mit Gesprächspartner Carsten Otte in der Leipziger Kongreßhalle. Hein. „In der Nachkriegszeit war die Not sehr viel größer. Und die Flüchtlinge 1945 waren Deutsche.“ Zunächst las Hein die Beschreibung Guldenbergs am Anfang des Buches: „Die Farbe der Stadt, ihr Geschmack, ihr Geruch hatten sich verändert. Die Gleichgültigkeit der Bewohner füreinander war geblieben, die kühle Freundlichkeit untereinander, doch eine Unruhe, eine hektische, nervöse Anspannung hatte sich im Ort verbreitet. Das gemächliche Selbstverständnis der kleinen Stadt, das von einem geschichtslosen Alltag und dem gewöhnlichen Rhythmus eines erschöpften Schlendrians geprägt war, wich einer auffälli-
fälle aus einer anderen Welt, derlei gab es in Guldenberg nicht...“ Als man jedoch im „Alten Seglerheim“ eine Gruppe „minderjähriger, unbegleiteter Migranten“ unterbringt, ändert sich alles. Mehr und mehr heizt sich die Stimmung in dem Städtchen auf, was Hein sehr schön ironisch in Gesprächen einer Skatrunde am Wirtshausstammtisch darstellt. Allmählich kommt es zu Pöbeleien, und als dann eine junge Frau behauptet, vergewaltigt worden zu sein, sind sich alle schnell einig, daß es einer der jungen Migranten gewesen sein müsse. Schließlich gibt es Attacken auf das Flüchtlingsheim, während im Hinter-
grund die Alteingesessenen untereinander fleißig intrigieren. Dazu las Hein Auszüge mit Portraits von typischen Guldenbergern: Stefan Haubrich-Becker, der Gründer und Geschäftsführer des Töffli-Werks, ist mit seinen flinken Töffli-Dreiradwagen reich geworden und gehört zum Vorstand des privaten Mulde-Heilbads, einer riesigen Wellnessanlage am Stadtrand, wo er sich auch eine Villa bauen will. Er könnte mangels Lehrlingen die Flüchtlinge als Auszubildende brauchen. Allerdings fällt der arrogante WendeGewinner auf einen Betrüger aus Rumänien herein, was HaubrichBecker zu Ausweichmanövern veranlaßt, die sich auf die Stimmung im Ort schlecht auswirken. Ein anderer Guldenberger, der erfolglose Fred Krausnick, hetzt ebenfalls gegen die Flüchtlinge. Der frustrierte Wende-Verlierer behauptet, von ihnen überfallen worden zu sein – was der ordentliche Polizeimeister Frank Aubrich nach kurzer Ermittlung schnell widerlegen kann. Als Gegenpole bietet der Erzähler die humanistischen Figuren der engagierten Heimleiterin Marikke Brummig und der jüdisch-stämmigen Pfarrershaushälterin Malka Goldt, die einen ruhigen Kopf bewahren und in der Krise selbstlos und sachlich agieren. Denn es kommt sogar zu einem Brandanschlag auf das Heim und dessen – untereinander verfeindete – Insassen.
� Leipziger Buchmesse: Leipzig liest extra
Jürgen Wiebicke
A
ls für die Mutter von Jürgen Wiebicke wegen einer unheilbaren Krebserkrankung mit 88 Jahren das Lebensende drohte, sprach er mit ihr über ihr Leben und die Biographien weiterer Mitglieder seiner Familie. Auch sein 1926 geborener Vater Artur hatte von seiner Heimat in Grunow jenseits der Oder – wohl im Kreis Crossen – und dem dortigen bäuerlichen Leben erzählt, das mit Kriegseinsatz in Lettland und der erzwungenen Flucht seiner Familie nach Westen vorüber war. Doch erst bei den Erinnerungen der Mutter begann er mit Notizen. „Wenn ich jetzt nicht die verbleibende Zeit gut nutze, wird meine Mutter tot sein,“
Deren Situation als „Außenseiter“ könne er trotz aller historischen Unterschiede sehr gut verstehen, betonte Hein. Er sei ja selbst in Bad Düben als unbeliebtes Flüchtlingskind aufgewachsen. Als Pfarrerssohn habe er in Ostberlin kein Abitur machen dürfen und sei daher mit 14 Jahren in den Westen abgehauen, um dort aufs Gymnasium zu gehen. „Und dann wurde die Mauer gebaut“, erinnerte sich Hein, als er gerade in Ostberlin gewesen sei. Er mußte dort
Flüchtlingskind und Pfarrerssohn bleiben und machte in der „DDR“ nach Lehrstellensuche und Arbeit in einer Buchhandlung nur unter Schwierigkeiten sein Abitur nach. Ab 1967 studierte er schließlich Philosophie in Leipzig und Berlin, um ab 1974 zunächst als Hausautor an der Volksbühne Berlin zu landen. Seine ersten Stücke erschienen. Wie schwierig deren Inszenierung oft war, schildert Hein am Beispiel seines Theaterstücks „Die Ritter der Tafelrunde“ in seinem Sammelband „GegenLauschangriff“. In diesem autobiographischen Büchlein sammelt der Chronist viele Erinnerungen. Chronologisch geht es um seine Jugendzeit und einige Freunde, um die „Oder-Neiße-Friedensgrenze“ unter Walter Ulbricht, um das Erscheinen von Romanen und Heins geschickte Winkelzüge, um die Zensur in der „DDR“ auszutricksen. Dem Moderator in der Leipziger Kongreßhalle erzählte er, wie er seinen ersten Erfolgstext, die Novelle „Drachenblut“, 1982 durch die Zensur schmuggeln konnte. „Damals fragte mich mein Kollege Günter de Bruyn danach. Ich meinte, das Buch erschien, weil ich recht unbekannt war.“ So habe die zuständige Behörde, die
Hauptverwaltung Verlage, weniger genau hingesehen. Das Buch sei 1983 auch im Westen unter dem Namen „Der fremde Freund“ herausgekommen und habe noch einen Effekt gehabt. „Meine Bücher halfen dem Regime, denn ich habe der ,DDR‘ viele Devisen eingebracht.“ Sein nächster „staatsfeindlicher“ Roman habe es viel schwerer gehabt und lange keine Druckgenehmigung erhalten, erinnert sich Hein. „Horns Ende“ sei zunächst in kleiner Auflage mit einem Cover von Karl Mays „Der Geist des Llano Estacado“ getarnt herausgekommen, da Verleger Elmar Faber auch ohne Genehmigung zum Druck gedrängt habe. Auch die spätere Auflage habe man an der Zensur vorbeigeschmuggelt. Diese Taktiken sind nicht mehr nötig, und auch über heikle Themen kann man heute in Deutschland unzensiert schreiben. Hein las über den Brandanschlag auf das Flüchtlingsheim in Guldenberg, wozu Polizeiobermeister Bernhard Kremer meint: „,Das geht zu weit. Brandstiftung, mehrfacher versuchter Mord, Heimtücke, gemeingefährliches Mittel, da kommt einiges zusammen, das reicht für ein paar Jahre Knast.‘ Der Bürgermeister stimmte ihm zu. ,Es sind Jugendliche‘, sagte Kötteritz, ,Minderjährige ohne Eltern, teilweise schwer traumatisiert.‘“ Hier zeige sich Mitleid, aber weder Pessimismus noch Optimismus. Die Migranten seien für ihn nur „Auslöser“ für das Buch gewesen, so Hein. Vielmehr gehe es im Buch um die Tris tesse in Mitteldeutschland nach 30 Jahren mißlungener Integration, was Hein in „Gegen-Lauschangriff“ ebenfalls kritisch beleuchtet. Mehr über die Geschehnisse in „Guldenburg“ sollte jetzt nicht verraten werden, meinte der Moderator. Otte fragte stattdessen nach Heins literarischen Vorbildern. „Flauberts Prosa, Dostojewski, Kafka und der Mexikaner Juan Rulfo“ seien die „ganz Großen“ für Hein. Und sein Arbeitsalltag während der Coronazeit? Für einen Schriftsteller ändere sich nicht viel, antwortete Hein. „Ich arbeite seit 40 Jahren unter Pandemie-Bedingungen, 360 Tage im Jahr, immer einsam und allein. Aber persönliche Begegnungen und Konzerte habe ich vermißt.“ Applaus im ausverkauften Kongreß-Saal am Leipziger Zoo. Susanne Habel
Christoph Hein: „Guldenberg“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020; 284 Seiten, 23 Euro. (ISBN 9783-518-42985-3)
„Gegenlauschangriff“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019, 122 Seiten, 14 Euro. (ISBN 978-3-51846993-4)
� Preis für Belletristik auf der Leipziger Buchmesse
Kriegskinder In der Reihe „,taz‘ Talk meets Leipzig liest extra“ auf der Messe präsentierte auch Jürgen Wiebicke sein neues Buch. Der Philosoph und Journalist sprach mit dem „taz“-Redakteur Jan Feddersen über das autobiographische Werk „Sieben Heringe“.
Sudetendeutsche Zeitung Folge 23 | 11. 6. 2021
fürchtete der Autor. „Dann werden auch Geschichten nicht mehr erzählt werden können, die weitergegeben werden wollen.“ Er zeichnete die Berichte seiner Eltern auf, die, konfrontiert mit dem Tod, von einer „radikalen Offenheit“ getrieben waren und ihre Erlebnisse nicht mehr für sich behalten wollten. Das Schweigen der Kriegskinder können nur Zuhörer durchbrechen, die das Wissen weitertragen. Susanne Habel Jürgen Wiebicke: „Sieben Heringe. Meine Mutter, das Schweigen der Kriegskinder und das Sprechen vor dem Sterben“. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2021; 256 Seiten, 20 Euro. (ISBN 978-3-46200012-2)
Echos Kammern
Iris Hanika bei einem TV-Interview. Mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2021 in der Kategorie Belletristik für ihr Buch „Echos Kammern“ zeichnete die Jury Iris Hanika als „kluge, witzige und wüste Erzählkonstrukteurin“ aus.
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ris Hanikas Bücher, wie „Treffen sich zwei“ (2008), „Das Ei-
gentliche“ (2010) und „Tanzen auf Beton“ (2012) brachten der Autorin viele Preise ein, darunter den Hans-Fallada-Preis. Im Roman „Wie der Müll geordnet wird“ (2015) wurde auch die Flucht einiger Prota gonisten thematisiert. Das ist nicht so erstaunlich, da Iris Hanika mütterlicherseits aus dem grenznahen Marktredwitz stammt, das ab 1341 als Exklave zum Egerland und zum österreichischen Kronland Böhmen gehörte. Die Dichterin kam 1962 in Würzburg zur Welt und ging früh zum Studium der Literaturwissenschaft nach West-Berlin, und dies erklärtermaßen nur, um Schriftstellerin zu werden. Und zwischen Berlin und „Stadt New York“
spielt auch Hanikas facettenreiches, fantastisches und faszinierendes Buch „Echos Kammern“, das vergangenes Jahr den Hermann-Hesse-Literaturpreis erhielt. Die Heldin namens Sophonisbe nutzt alte deutsche Rechtschreibung und die erfundene Sprache „Lengevitch“, die in der Syntax stark an das Böhmakeln erinnert. Sie flattert durch die Story und trifft als moderne Nymphe Echo auch einen heutigen Narziß. Ein kluges Lesevergnügen! Susanne Habel Iris Hanika: „Echos Kammern“. Literaturverlag Droschl, Graz 2020; 240 Seiten, 20 Euro. (ISBN 978-3-99059056-0)
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71. SUDETENDEUTSCHER TAG 2021
Sudetendeutsche Zeitung Folge 23 | 11. 6. 2021
„Verantwortung für die Heimat – unser Weg in die Zukunft“ – Das Festprogramm des Sudetendeutschen Tages und Vorstellung der Kulturpreisträger
Das große Treffen ist heuer in München Zu einem außergewöhnlichen Sudetendeutschen Tag treffen wir uns heuer in Bayerns Landeshauptstadt München. Er trägt das Motto „Verantwortung für die Heimat – unser Weg in die Zukunft“. Nach dem weitgehenden Ende der pandemiebedingten Einschränkungen freuen wir uns besonders auf das Wiedersehen mit unseren Landsleuten. In der Philharmonie im Gasteig nahe des Sudetendeutschen Museums haben wir – unter Berücksichtigung der Corona-Regelungen – die Veranstaltungen geplant. Hier das Programm.
Freitag, 16. Juli 10.00–18.00 Uhr: Gelegenheit zum Besuch des Sudetendeutschen Museums. 14.00 Uhr, Sudetendeutsche Stiftung und SL-Bundesverband: Verleihung der Sudetendeutschen Kultur- und Förderpreise sowie des Sudetendeutschen Volkstumspreises im Gasteig. Begrüßung: – Dr. Ortfried Kotzian, Vorsitzender des Vorstandes der Sudetendeutschen Stiftung. Ansprache: – Carolina Trautner MdL, Bayerische Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales, Schirmherrschaftsministerin Verleihung der Preise: – durch den Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe und den SL-Bundeskulturreferent. Moderation: – Iris Marie Kotzian. Musikalische Gestaltung: – Die Gersthofer Blasharmoniker.
Samstag, 17. Juli 10.00–18.00 Uhr: Gelegenheit zum Besuch des Sudetendeutschen Museums. 10.00 Uhr: Heilige Messe 14.00 Uhr: Festakt mit Verleihung des Europäischen Karls-Preises der Sudetendeutschen Landsmannschaft im Gasteig. Eröffnung durch den Landesobmann der Sudetendeutschen in Bayern; Grußworte: – Landeshauptstadt München; – Stephan Mayer MdB, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat; Ansprachen: – Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe; – Dr. Markus Söder MdL, Bayerischer Ministerpräsident, Schirmherr der Sudetendeutschen Volksgruppe. Verleihung des Europäischen KarlsPreises durch den Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe. Rede des Karls-Preis-Trägers. Musikalische Gestaltung: – Gartenberger Bunkerblasmusik. 19.00 Uhr, Sudetendeutscher Volkstumsabend im Gasteig. Mitwirkende: – Egerland-Jugend Stuttgart und Ge retsried; – Egerländer Familienmusik Hess; – Schönhengster Volkstanzgruppe; – Stefanie und Elisabeth Januschko; – Die Wischauer. Regie und Moderation: – Roland Hammerschmied.
Sonntag, 18. Juli 9.00 Uhr: Veranstaltungen im Su-
detendeutschen Haus 10.00–18.00 Uhr: Gelegenheit zum Besuch des Sudetendeutschen Museums.
Großer Sudetendeutscher Kulturpreis
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er Große Kulturpreis geht an Professor Herbert Zeman. 1940 in Pernitz in Niederösterreich geboren, wurde er 1976 auf den Lehrstuhl für Neuere deutsche Literatur mit Schwerpunkt Österreichische Literatur der Universität Wien berufen. Mit Freude und Energie baute er seinen Forschungsschwerpunkt auch über die Grenzen Österreichs aus. Zemans Schaffenskraft ist bewundernswert, seine Liste wissenschaftlicher Publikationen und Bücher ist wegen der Fülle und Breite nur schwer zu überblicken. Ihm war es immer ein besonderes Anliegen, seine Forschungsergebnisse einem größeren Publikum näher zu bringen. Als Vermittler von Kultur und Wissenschaft – 1994 bis 1997 war er Präsident der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste in München – wurde er bereits mehrfach von der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich ausgezeichnet.
Sudetendeutscher Kulturpreis für Wissenschaft
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er Preis für Wissenschaft geht an den 1930 in Goldenstein im Altvatergebirge geborenen Professor Franz Effenberger. 1970 wurde er auf den Lehrstuhl für Organische Chemie der Universität Stuttgart berufen, als deren Rektor er von 1987 bis 1990 amtierte. Zu seinen wichtigsten Arbeitsgebieten zählten die Chemie der Aromaten, Heterocyclen und Aminosäuren, die chemischen Grundlagen der Molekularelektronik, Anwendungen von Enzymen in der Synthese sowie die Entwicklung ultradünner organischer Schichten. 350 Veröffentlichungen und 55 Patente dokumentieren seine wissenschaftliche Leistung. Daneben brachte er zukunftsfähige Profilbereiche der Universität voran, unter anderem die Entstehung des Höchstleistungsrechenzentrums mit dem Supercomputer CRAY 2, den Ausbau der engen Verbindung von Geistes- und Ingenieurwissenschaften sowie den Weg zu einer technisch orientierten Biologie mit dem Ausbau der Biomedical Systems.
Sudetendeutscher Kulturpreis für Musik und Darstellende Kunst
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er Preis für Musik und Darstellende Kunst geht an den 1989 in Lauingen geborenen Georg Michael Grau, dessen familiäre Wurzeln im sudetenschlesischen Freudenthal liegen. Ausgang und Schwerpunkt seines Musizierens liegen im deutsch-österreichischen Repertoire des 18. und 19. Jahrhunderts, aber er spielte auch die frühe Violasonate cis-Moll op. 3 des Olmützer Komponisten Egon Kornauth und erweckte damit ein bisher verschüttetes Meisterwerk zu neuem Leben. Grau ist ein ganzheitlich denkender und empfindender Musiker. Ihm liegen Fortleben und Vermittlung der klassischen Musik am Herzen. So wurde er zum Mitbegründer des Musikfestivals Schloß Brenz und der Allmannsdorfer Kammerkonzerte, die bei freiem oder geringem Eintritt stattfinden, um Barrieren abzubauen und möglichst alle ohne soziale Ausgrenzung zu erreichen.
Preis für sudetendeutsche Heimat- und Volkstumspflege
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Blick in unser neues Museum. Bild: Manfred Gischler
er Preis für sudetendeutsche Heimat- und Volkstumspflege geht ant Christine Rösch. Die 1929 in Neutitschein geborene Kuhländlerin verkörpert das Neutitscheiner Kulturbürgertum aus der Zeit vor der Vertreibung. Sie lebt die Kuhländler Volkskultur, und
diese lebt dank ihr. Rösch trägt die Tracht nicht nur, sie kann sie auch schneidern. Sie ist Trachtenträgerin, Volkstanzpflegerin und gefragte Fachfrau für die Neutitscheiner Mundart und die Kuhländler Volkslieder. Sie hat sich darum verdient gemacht, daß die Kuhländler Volkskultur nicht nur in der Vertreibung, sondern auch in der Heimat wieder lebt, sich hoher Beliebtheit erfreut und mit Begeisterung ausgeübt wird. Mit ihrer Überzeugungskraft, Glaubwürdigkeit und Engagement und Wissen erreichte Rösch in jüngster Vergangenheit, daß die Kuhländler Volkstänze als wertvolles immaterielles Kulturerbe anerkannt und ausgezeichnet wurden.
Kultureller Förderpreis für Musik und Darstellende Kunst
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er Förderpreis für Musik und Darstellende Kunst geht an Myriam Geßendorfer (* 1996 in München). Ihre Großeltern väterlicherseits stammen aus dem Egerland und aus Schlesien. Aufgewachsen in einem musikliebenden Elternhaus, wurde ihre musikalische Begabung früh erkannt und gefördert. Parallel zum Schulbesuch nahm sie mehrfach erfolgreich an den Wettbewerben von „Jugend musiziert“ teil. Seit 2016 studiert sie Violine an der Musikhochschule Nürnberg. Seit 2018 durch ein Deutschlandstipendium gefördert, hatte sie bereits mehrfach Gelegenheit zu SoloAuftritten. Vorrangig übt sie sich in der Orchesterarbeit, entfaltet Kammermusikaktivitäten und wirkt im Madrigalchor der Musikhochschule Nürnberg mit. Dabei ist sie nicht auf klassische Musik festgelegt, sondern fühlt sich auch in Rock, Pop und Jazz zu Hause. Seit vielen Jahren ist sie spielend und singend, Mitglied einer Progressive Rockband. Sie ist eine vielseitig interessierte und profilierte Musikerin, die künstlerisches mit sozialem Engagement verbindet, etwa in der ehrenamtlichen Betreuung von Kindern und Jugendlichen oder in der Flüchtlingshilfe.
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Kultureller Förderpreis für Publizistik
in Förderpreis für Publizistik geht an Julian Klötzl (* 1996 in Weilburg). Nach dem Studium der Germanistik und Politikwissenschaften sowie einer Ausbildung zum Verwaltungsfachmann engagiert er sich in der Kommunalpolitik. Er ist das jüngste Mitglied im hessischen BdV-Ortsverband Löhnberg. Seit zehn Jahren gilt sein Interesse dem Ort Langlammitz im Egerland, dem Geburtsort seines Großvaters. Da dessen Geschichte nicht verloren gehen dürfe, hat er 2020/21 die dritte überarbeitete Auflage des Heimatbuches „Langlammitz mit Ortsteil Federhäuseln“ herausgebracht. Neben der Ortsgeschichte legt Klötzl den Schwerpunkt auf die „Familien A bis Z“. Er dokumentiert in 1682 Nummern die Lebensdaten aller Menschen von Langlammitz und ihrer Vorfahren. Nach dem Tod der Ortsbetreuerin von Taschwitz übernahm er deren Ehrenamt und organisiert mit Otto Riedl ein jährliches Ortstreffen für ehemalige und heutige Bewohner von Langlammitz in Bad Homburg. Julian Klötzl zeigte in seinen jungen Jahren ein großartiges Engagement für die Heimat seiner Großeltern, das für die Zukunft hoffen läßt.
Kultureller Förderpreis für Publizistik
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er zweite Förderpreis für Publizistik geht an den Historiker, Schriftsteller, Heimatforscher und Denkmalpfleger Miloš Bělohlávek. Er beschäf-
tigt sich lebhaft und selbstlos mit der Geschichte seiner Heimatstadt Chodau. Seit 2016 arbeitet er offiziell als Chodauer Stadthistoriker und schaffte, das Interesse der Öffentlichkeit an der Geschichte der Stadt zu wecken. Dank seiner Arbeit wurden einzigartige historische Schätze in der katholischen SanktLaurentius-Kirche gerettet und auf dem Stadtfriedhof Gräber ehemaliger deutscher Bürger restauriert. Zur Erinnerung an das Schicksal der jüdischen Familien in Chodau initiierte er die Errichtung von Stolpersteinen. Den Preis erhält er für seine erfolgreichen Publikationen, die die deutsche Vergangenheit der Stadt einbeziehen und oft auch auf Deutsch erschienen. Er ist ein Vollblutforscher, der sein reiches Wissen gut an die breite Öffentlichkeit vermittelt, auch in modernen sozialen Medien. Mit seiner Begeisterung und menschlichen Herangehensweise an die Geschichte seiner Heimatstadt spricht er nicht nur die heutigen Einwohner von Chodau an, sondern auch die ehemaligen deutschen Bewohner der Region, die er regelmäßig einlädt und bei ihren Heimattreffen betreut.
Kultureller Förderpreis für Wissenschaft
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er Förderpreis für Wissenschaft geht an Gregor Köstler (* 1989 in Neualbenreuth), dessen Eltern sudetendeutsche Wurzeln im Egerland haben. Schon früh wurde er in die Quellenarbeit seiner Eltern einbezogen, die sich mit der Geschichte von Neualbenreuth beschäftigten. Diese Arbeit setzte er während seines Studiums für das Lehramt an Gymnasien fort. 2019 veröffentlichte er seine umfassende Monographie „Zwischen Österreich und Bayern. Die Fraisch mit der Simultaneums-Pfarrei Neualbenreuth im 19. Jahrhundert“. Er stellte erstmals eine wissenschaftliche Aufarbeitung über das Phänomen Grenze in einer kleinen Region vor. Dabei rückte er die zwei spätmittelalterlichen Herrschaftsgebiete und deren neuzeitliche territoriale und parochiale Nachfolgeinstitutionen in das Blickfeld und arbeitete anschaulich die nationalstaatlichen Abgrenzungsprozesse und Auswirkungen des Simultaneums auf die Fraischpfarrei Neualbenreuth heraus. Er begründete ausführlich, wie daraus ein grenzübergreifendes Kuriosum und ein verworrenes kirchenrechtliches Verhältnis erwuchsen. Gregor Köstler schlug auch eine Brücke in die Jetztzeit mit Betrachtungen über den Begriff „Grenze“. Mit der Darstellung vieler unterschiedlicher geschichtlicher Facetten hat Gregor Köstler ein bleibendes und umfangreiches Werk für seine Oberpfälzer Heimat, aber auch für den bayerisch-tschechischen Grenz- und Kulturraum geschaffen.
Kultureller Förderpreis für Volkstumspflege
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er Förderpreis für Volkstumspflege geht an Marius Hammerschmied (* 2000 in Wolfratshausen). Von Geburt an Mitglied der Egerländer Gmoi, wurde Marius Hammerschmied von seinen Eltern an die Traditionen des Egerlandes herangeführt. Sie haben seine überragende Musikalität früh erkannt und gefördert; so spielte Hammerschmied mit drei Jahren in der Geretsrieder Gartenberger Bunkerblasmusik Schlagzeug. Im Laufe der Jahre folgten musikalische Tätigkeiten in weiteren Bands und Orchestern. Für sein musikalisches Wirken wurde Hammerschmied mit zahlreichen
Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Musiker-Leistungsabzeichen in Bronze, Silber und Silber Plus sowie dem Förderpreis Johannes von Tepl. Neben der vielfältigen musikalischen Tätigkeit übt Hammerschmied auch Ehrenämter aus. Mit 18 Jahren wurde er in den Gmoirat in Geretsried und zum Landesjugendführer der Egerlandjugend Bayern gewählt. Hammerschmied ist der Pflege der Egerländer Musik nicht nur treu geblieben, er spielt sie ganz bewußt. Damit trägt er wesentlich dazu bei, daß eine Kultur lebendig bleibt, auch wenn sie weit weg von ihrer Entstehungsheimat gespielt wird.
Wichtige Hinweise Veranstaltungsorte. Philharmonie im Gasteig, Rosenheimer Straße 5; Sudetendeutsches Haus, Hochstraße 8, 81669 München; Sudetendeutsches Museum, Hochstraße 10, 81669 München. Anfahrt. Mit der S-Bahn: Alle S-Bahnen (S1–S8) außer S20: Haltestelle „Rosenheimer Platz“, bitte der Ausschilderung „Gasteig“ im S-Bahn-Bereich folgen. Mit der Straßenbahn Linie 15/25: Haltestelle „Rosenheimer Platz“. Mit dem Auto hat man Parkmöglichkeiten , , 81667 München in der gebührenpflichtigen Parkgarage des Gasteig. Weitere Parkplätze gibt es im Parkhaus am Holiday Inn/Motorama (Hochstraße) oder in der Parkgarage des Hofbräukellers (Innere Wiener Straße) und des Hotels Hilton Munich City (Rosenheimer Straße, Ecke Steinstraße). Teilnahme. Für die Teilnahme am Sudetendeutschen Tag ist eine verbindliche Anmeldung erforderlich. Zutritt zu den jeweiligen Veranstaltungen erhält nur, wer im Besitz einer Einlaßkarte ist, die wir nach Anmeldung rechtzeitig zusenden. Anmelden kann man sich bis 30. Juni bei der SL, Hochstraße 8, 81669 München, Telefon (0 89) 4 80 03 70, eMail info@ sudetendeutscher-tag.de Die SL glaubt, daß zu den Veranstaltungen in der Philharmonie im Gasteig mindestens 500 Teilnehmer zugelassen sind. Wie vielen Gästen Zutritt gewährt wird, hängt von den aktuellen behördlichen Auflagen ab. Es gilt das zum Veranstaltungszeitpunkt gültige Hygienekonzept. Mit der Teilnahme an den Veranstaltungen des Sudetendeutschen Tages erklärt man sich einverstanden, auf Aufnahmen zu sein, die die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der SL verwendet. Festabzeichen. Mit dem Kauf des Festabzeichens unterstützen Sie die Arbeit der Sudetendeutschen Volksgruppe. Bestellung bei info@sudetendeutschertag.de, Bankverbindung: IBAN DE73 7509 0300 0002 1114 70. Mit dem Erwerb des Festabzeichens ist nicht automatisch der Eintritt zu den Veranstaltungen des Sudetendeutschen Tages gewährleistet. Das Bayerische Fernsehen
berichtet in einer Sondersendung am Sonntag, 18. Juli, 23.30 bis 23.45 Uhr über den Sudetendeutschen Tag.
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ZEITGESCHICHTE
Sudetendeutsche Zeitung Folge 23 | 11. 6. 2021
� Aus dem Egerland nach Hessen – Teil IV
Dem Teufel von der In dieser Serie berichtet Erich Lill über seine Jugend im Sudetenland, über seine Rückkehr aus seinem jugendlichen Kriegs einsatz, seine Vertreibung aus der Heimat im Oktober vor 75 Jahren und das Seßhaftwerden in Hessen. Den Bericht verfaßte er als 80jähriger 2007.
I
ch vergesse nie Mutters Ruf: „Jesse, mei Bou is dou!“ Dann brach sie in hemmungsloses Schluchzen aus, und wir lagen uns beide in den Armen. Wir gaben uns dem Glücksgefühl hin, den anderen lebend in den Armen halten zu können. Der Schmerz der bohrenden Ungewißheit löste sich. Auch die Großmutter im Haus schloß ich in die Arme, und ich drückte meinen Bruder. Dann kam ein etwa 40jähriges Ehepaar auf mich zu. Sie stellten sich als Flüchtlinge aus der Slowakei vor. Sie waren seit März bei uns einquartiert. Von ihnen konnte ich nichts wissen; denn in den letzten beiden Kriegsmonaten war keine Nachricht aus der Heimat mehr zu mir gelangt. Sie waren freundliche Leute und hatten einen fünfjährigen Sohn. Nach meiner Rückkehr blieben sie noch einige Zeit bei uns wohnen und fuhren dann mit dem Zug in die Slowakei zurück. Ich hoffe, sie sind wieder in ihrer Heimat angekommen. Gehört haben wir von ihnen nichts mehr.
Kein Lebenszeichen von Vater Von Mutter erfuhr ich nun, daß von Vater seit Januar jedes Lebenszeichen fehle. Jeder Tag, den wir länger warteten, erhöhte die Ungewißheit. Wir trösteten uns zwar damit, daß seine Briefe vielleicht verloren gegangen seien, weil die tschechische Post sie nicht befördert habe, aber das nahm uns nicht die Ungewißheit. Die mußten wir noch fast ein Jahr lang aushalten. Dann erhielten wir seinen ersten Brief aus Dachau. Den Brief habe ich noch heute; den haben wir in die Vertreibung mitgenommen. Da sind noch die Tränen drauf, die wir damals in unserem Haus in Kösteldorf weinten. Dorthin hatte Vater nicht mehr zurückkehren können. Es war nicht nur ruhig, als ich in Kösteldorf ankam. Es blieb auch so in den Wochen danach. Die Tschechen hatten so viel mit der Vertreibung der Deutschen unten in den Städten zu tun, daß sie im Mai und Juni noch nicht bis Kösteldorf kamen. Daß wir in dieser Zeit so gut über die Runden kamen, lag auch daran, daß wir in unserem Dorf so „gemeinschaftlich“ waren. Es gab zwar hauptsächlich zwei gegenseitige Lager, aber die konnten sich aufeinander verlassen. Beide Gruppen waren etwa gleich arm oder reich. Alle hatten ein eigenes Haus. Da lagen das Wohnzimmer und der Ziegenstall oft nicht weit auseinander. Auch politisch war die Zuordnung danach leicht. Die, die nur eine Ziege hatten, waren „Kommunisten“, die „Kuhbauern“ waren die „Faschisten“. Das bedeutete natürlich überhaupt nicht, daß irgendeiner von denen etwas mit dem ideologischen Führerwillen zu tun gehabt hätte. Josef Pöselt, der während der Hitlerzeit Bürgermeister gewesen war, wurde abgelöst, blieb aber unbehelligt. Als einer der ersten kam er im April 1946 in einem Vertriebenentransport nach Kassel. Einer, der bis 1938 Sozialdemokrat gewesen war, jetzt na-
Sie waren im März aus der Ge- das ja im Gegensatz zu Chodau War das Auge eines Tschetürlich als Antifaschist auftreten konnte, wurde vom Chodauer gend um Glaserhau im Hauer- schon im sowjetischen Zonenbe- chen auf das Haus eines DeutNárodní Výbor zum Bürgermei- land in der Mittelslowakei ge- reich der ČSR lag, mußten ihre schen gefallen, hatte der meist ster ernannt. Das war Josef Neu- kommen. Dort waren schon im Reise auf einem Bahnhof dieser nichts zu lachen. Er mußte raus dert, der sein Haus in der Nä- Sommer 1944 beim Partisanen- Zone beginnen. Der war für sie aus seinem Haus und in ein anhe des Gasthauses Zur schönen aufstand viele Deutsche erschla- in Neudeck. Sie – beziehungs- deres. Und er durfte von seinen Aussicht hatte. Er konnte nicht gen worden, in Glaserau alle weise wir – mußten ihre Sachen Sachen fast nichts mitnehmen. verhindern, daß noch im Mai vier Männer. Josef – an diesen Vor- wieder von Chodau herauf nach Aus seiner dann natürlich miesen Männer eingesperrt wurden, die namen erinnere ich mich noch, Neudeck schaffen, damit sie von Behausung konnte er ansehen, man als Vertreter des verflosse- während ich den Familienna- dort die Heimreise ins Karpaten- wie es sich der Tscheche in seinem ehemaligen Eigentum wohlnen Regimes hätte bezeichnen men vergessen habe – hatte nur land antreten konnten. Über ein Jahrzehnt später er- gehen ließ. Ich erinnere mich an überlebt, weil es seiner Frau, die können. Zu ihnen gehörte der Wirt un- selbst Slowakin war, gelungen fuhren wir, daß sie tatsächlich den Förster Matschak im Köstelseres Gasthauses. Dem wurde war, ihn zu verstecken. Dabei dort angekommen waren, aber dorfer Forsthaus. Den kannte ich vorgeworfen, daß er die Räum- hatte eine Rolle gespielt, daß sie nur, um sich in einen Vertrieben- recht gut, weil ich ihn auch mit lichkeit für Parteiversammlun- außer Deutsch und Slowakisch entransport aus ihrer Heimat ein- unserem Honig versorgt hatte. gen hergegeben habe. Ein ar- auch noch etwas Ungarisch und reihen zu müssen. Der brachte sie Außerdem arbeitete mein Onkel in die Sowjetische Besatzungszo- Rudolf als Heger bei ihm. Und mer Kerl war der Mann von der Russisch sprach. ne (SBZ). Nur durch Zufall wur- mit dem war ich schon als Junge Nationalsozialistischen Volksfürde uns dieser Teil ihres Schick- oft durch den Wald gestreift. Bei sorge (NSV), der für das WinterUnser Kalb sals Anfang der 1960er Jahre be- ihm hatte ich meine Liebe für das hilfswerk gesammelt hatte, also und vier Russen kannt, als Zonenflüchtlinge an Forstwesen entdeckt. eigentlich Leiter einer sozialen Daß sie dies wirklich einset- die Bergstraße kamen. Die kannEinrichtung war. Der Dritte war der HJ-Führer und der vierte ein zen konnte, erlebten wir, als ein- ten sie zufällig und konnten uns Niemand flieht freiwillig mal Russen auf unseren Hof ka- das berichten. SS-Mann. in die SBZ Damals – 1945 in Kösteldorf Von diesen vier Männern men. Damals hat sie mir wahrKurzum, über meinen Onwußte unser antifaschistischer scheinlich das Leben gerettet. – fand ich bald weitere MögBürgermeister aus persönlicher Auf einem Panjewagen kamen lichkeiten, mich zu wundern. kel war ich unserem KösteldorKenntnis, daß sie im Sinne einer vier russische Soldaten. Sie wa- Zum Beispiel über die Änderun- fer Förster besonders verbunrechtlichen Anklage unschul- ren offenbar gewohnt, sich als gen, die eingeführt wurden, als den. Deshalb verfolgte ich mit dig waren. Genau so gut wußte Besatzer aus den Häusern das zu am 28. Oktober 1945 die Tsche- spezieller Anteilnahme, wie Förer, daß sie im Mai und Juni in ei- holen, was ihnen gefiel. In unse- choslowakei ein freier Staat ster Matschak im Feber 1946 nem tschechischen Gefängnis in rem Haus richtete sich ihre Be- wurde. Bis dahin war das Land sein Forstamt verlassen mußte. Lebensgefahr schwebten. Es war gierde auf unser Kalb, das einzi- von den Russen und ein klei- Rausgejagt wurde er samt seiner ner westlicher Teil um das Eger- Frau und seinem kleinen Kind. nun die Qualität unserer Dorf- ge, das wir noch hatten. Auf engem Raum mit anderen gemeinschaft, daß BürgermeiDeutschen saß er dann in eister Neudert sich nicht über nem weniger begehrten Haus den letzteren Umstand freute, und harrte der Dinge, die da sondern sich für die vier Kökommen sollten. Es kam die steldorfer „Nazis“ einsetzte, Aussiedlung, was für uns daum sie freizubekommen. Leimals keineswegs ausgemacht der gelang ihm das nicht. war. Die Vertreibung – schon Bereits im Juli 1945 wurde gar eine auf Dauer – war einer von einem 60jährigen Prafach zu unglaublich. ger Tschechen abgelöst. DesIm Falle von Förster sen Namen habe ich leider Matschak ging es sicher nicht vergessen. Eigentlich wäre nur ums Haus, sondern der er es wert gewesen, daß man Tscheche wollte auch das Amt. ihn sich merkt; denn mit ihm Um an beides zu gelangen und hatten wir Kösteldorfer in geeinen Deutschen zu schädiwisser Weise Glück. Er führgen, mußte ein Tscheche nur te ein verhältnismäßig mildes dessen Besitz beanspruchen. Regime, das heißt er traktierOnkel Rudolf war von irte die Leute nicht und ließ sie gendwelchen landsmannnicht schlagen, was in andeschaftlichen Zugehörigkeiren Dörfern, wie uns berichtet Das ist die Deckseite des Faltbriefes, den Vater uns aus der amerikanischen ten im Forstamt deshalb wewurde, durchaus vorkam. Der HJ-Führer Franz Lill Kriegsgefangenschaft aus dem oberbayerischen Dachau schrieb und der uns im niger betroffen, weil er neben und der NSV-Leiter Alois Pö- Juli 1946 in der Tschechei noch erreichte. Er war auf diesem Formblatt verfaßt, der Hegerei immer schon seine Kleinlandwirtschaft betrieselt, der Vater des obener- das die Gefangenen im Lager erhielten. ben hatte, die etwas außerwähnten Bürgermeisters, kaErst später, wie heute natür- land von den Amerikanern be- halb von Kösteldorf im Kofl lag. men Anfang 1946 wieder frei und Als sein Vorgesetzter, Förster gingen noch im selben Jahr mit lich im Rückblick, wurde mir setzt. Für die Nachwelt und fak- Matschak, aus seiner Försterei in die Vertreibung. Der SS-Mann klar, wie wenig ich damals beOswald Lenhardt überlebte die griffen hatte, in welcher Situati- tisch für uns damals war inter- gewiesen wurde, war mein Onkel Internierung, kam 1949 frei und on wir Deutschen uns befanden. essant, daß die Demarkationsli- schon nicht mehr da. Aus Grünsiedelte 1950 aus. Der Gastwirt Ich glaubte tatsächlich, die vier nie zwischen den beiden Besat- den, die ich heute schon nicht Ullmann blieb in Kösteldorf, weil bewaffneten Russen daran hin- zungszonen in unserer Gegend mehr weiß, hatte er sich mit seisein Sohn Facharbeiter in der dern zu können, das Kalb mit- vor Kösteldorf verlief. Das Gebiet ner Frau Maria und seinem Sohn Wollkämmerei in Neudeck war zunehmen. Um mir wenigstens der Amerikaner reichte bis Cho- auf die Flucht über die Grenze und zu denen gehörte, die in den annähernd Waffengleichheit zu dau. Kösteldorf war schon rus- begeben. An dieser Stelle ist vielleicht ersten Nachkriegsjahren von den verschaffen, rannte ich in die Kü- sisch und Neudeck war bereits Tschechen für unabkömmlich er- che und wollte mir Mutters gro- ein Stützpunkt der Russen in un- interessant zu erwähnen, daß ßes Küchenmesser holen. Die serer Gegend. sie wie alle Kösteldorfer Flüchtklärt worden waren. linge über die Grenze bei Eger Darüber hinaus hatte der Um- Flüchtlingsfrau hielt mich zuin die amerikanische Zone gesturz am 8. Mai unser Dorf noch rück, als ich mich auf die Russen Tschechen kommen, gangen sind. Niemand flüchtenicht mit der Wucht erreicht, von stürzen wollte. Die Russen konnDeutsche fliehen te freiwillig in die SBZ. Ohne dieder Nachrichten aus dem Inne- te sie beschwichtigen, weil sie sie Die tschechische Obrigkeit se eindeutige Aussage einzuren der Tschechei her nur ver- in ihrer Sprache ansprach. Sie zohalten zu uns drangen. Dennoch gen mit unserem Kalb fluchend war natürlich schon da, bevor die schränken, erwähne ich an dieser war auf unserem Hof nichts mehr ab – wohl irritiert. Ich kochte Russen gingen. Dann aber beka- Stelle jedoch, daß es eine Grupmen wir sie erst richtig zu spüren. pe Kösteldorfer gab, die schon im wie vorher. Nicht nur, weil Va- vor Zorn. Die Deutschen aus der Slo- Alle mußten wir eine „Legitima- Frühjahr 1946 in gewisser Weise ter fehlte. Wir waren mit den drei Flüchtlingen sogar zwei Leu- wakei blieben noch bis in den ze“, einen Ausweis, haben. Au- freiwillig in die SBZ ausgesiedelt te mehr. Bei dem kleinen Anwe- Herbst hinein bei uns am Hof. ßerdem mußten alle Deutschen sind. Das waren einige Antifaschisen, das wir unser Eigen nann- Ich erinnere das so genau, weil eine weiße Armbinde mit einem ten, wirkte sich das sofort auf die sie zur Kartoffelernte da waren. N drauf tragen. Schließlich ord- sten, die sich bei allem FürchterIhre Abreise zurück in die Slowa- neten sie an, was wir abgeben lichen, was man von den Russen Wohnverhältnisse aus. kei muß wiederum vor dem 28. mußten. Von mir gehörten da- gehört hatte, einen starken GlauOktober gelegen haben, weil sie zu mein Fahrrad und meine Gei- ben an den Sozialismus bewahrt Flüchtlinge große Umstände mit der Rück- ge. Ich mußte beides auf die Ge- hatten und wohl hofften, der Soin meinem Zimmer reise hatten. Der nächste Bahn- meinde bringen. zialismus werde sich nun im neuDie Flüchtlinge wohnten in hof, von dem sie hätten abreisen Im Frühjahr 1946 kamen die en Deutschland unter sowjetimeinem Zimmer, und ich muß- sollen und ihre Kisten und Säc- ersten Fremden ins Dorf und sa- scher Herrschaft verwirklichen te mit meinem Bruder in die gu- ke hätten aufgeben können, wä- hen sich die Häuser an. Viel gab lassen. Das waren Hoffnungen, te Stube ausweichen. Sie war re Chodau gewesen. Als sie dort es für sie nicht zu sehen; denn bei die sich für einige sicher nicht ermeist ungenutzt. Es lag also na- ihre Reise nach Osten beginnen uns gab es – wie eingangs be- füllt haben. he, sie in Zeiten der Not zu bele- wollten, stellte sich heraus, daß merkt – keine großen Gehöfte. Insgesamt drängten jedoch gen. Wir nahmen die Einschrän- von diesem Bahnhof in der ame- Das größte war immer noch ein Tschechen aus dem Landesinnekung gern in Kauf. Dabei dach- rikanischen Zone eine Reise so „Sachl“, in dem sich der, der da- ren nur mäßig in unser Dorf, zuten wir, daß es uns im Vergleich weit nach Osten in die sowjeti- von leben wollte, plagen muß- mindest so lange wir Sudetenzu unseren unfreiwilligen Gä- sche Hoheitszone für Zivilisten te. Da gab es schon in Dotterwies deutschen noch da waren. Wir sten noch vergleichsweise gut nicht möglich war. Das Gepäck und erst recht unten bei Chodau konnten das ziemlich lange beging. und die Personen aus Kösteldorf, einladendere Anwesen. obachten; denn wir – meine
Mutter, mein Bruder und meine Großmutter Anna Pecher – verließen Kösteldorf erst mit dem siebten und letzten Vertriebenentransport im Oktober 1946. Ich weiß aber aus mehrfach bestätigter Information, daß sich die Kösteldorfer Häuser auch nach unserem Weggang nie ganz füllten. Viele blieben nach der Plünderung dem Leerstand überlassen und verfielen nach und nach. Die Erklärung, weshalb so wenig Tschechen den Weg in unser Kösteldorf fanden, ist leicht. Die Mühe, unser karges Land zu bewirtschaften, war ihnen einfach zu groß. Unser Dorf war vom Unterland von Chodau her gesehen das erste im Gebirge. Wir lagen schon 500 Meter hoch. Weizen gedieh schlecht. Als Getreide mußten wir Roggen anbauen, Hafer vor allem als Futter. Gut gediehen bei entsprechender Mühe Kartoffeln. Aber auch da mußte man sich mühen. In diesem Grenzbereich vor allem bäuerlicher Existenz hatten die Generationen vor uns über die Jahrhunderte in Kösteldorf gelebt und gewirtschaftet. Während und nach unserer Vertreibung fanden sich nie genug Tschechen, um unser Land zu besiedeln und unsere Häuser zu füllen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Für den Besucher von heute, der über unser damaliges Kösteldorf nicht informiert ist, wird das nur deshalb nicht so sichtbar, weil viele Häuser abgerissen sind.
Als Schmuggler unterwegs Im Winter 1945/46 zeichnete sich immer mehr ab, daß wir von der Vertreibung betroffen werden könnten. Gerüchte schienen sich zu bestätigen, daß die Tschechen schon viele Deutsche beispielsweise aus Komotau und Karlsbad unter entwürdigenden Ausschreitungen verjagt hatten. Am quälendsten war die Ungewißheit, weil wir nie wußten, ob eine Nachricht wahr oder nur Gerücht war. Es gab für uns keine Zeitungen und kein Radio. Und die Post durften wir Deutsche lange nicht benutzen. Für uns steigerte sich die Ungewißheit noch, da wir immer noch nichts von Vater gehört hatten. In diese Ungewißheit hinein unterließen wir dennoch nicht, für die Zukunft zu planen. Dazu gehörte auch die Schmuggel aktion, an der ich mich nach Beratung mit meiner Mutter beteiligte. Wir wollten Sachen, die wir für wichtig hielten, über die Grenze schaffen. Dazu gehörte vor allem Kleidung. Leider war die Grenze, an der wir interessiert waren, weiter weg als die, die uns als nächste benachbart war. Die wäre von uns aus über Platten nach Georgenstadt in Sachsen leichter erreichbar gewesen, hätte aber in die Sowjetzone geführt. Dorthin zog es uns nicht. Es gab zwar wenig verläßliche Nachrichten, aber da waren wir verbliebenen Kösteldorfer weitgehend alle einig: In die Sowjetzone wollten wir nicht. Verschiedene Leute im Dorf hatten deshalb schon versucht, Sachen in die amerikanische Zone zu bringen. Die lag nach dem Abzug der Amerikaner aus dem westlichen Egerland im Oktober 1945 noch jenseits von Eger in Bayern. Dorthin brachten Kösteldorfer in Schmuggelaktionen ihnen wertvoll erscheinende Waren. Zu denen, die wir kannten, gehörten Emma, deren Familienname ich nach so langer Zeit vergessen habe, und Anna Hassmann (oder so ähnlich). Ich
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� Aus dem Egerland nach Hessen – Teil IV
Schippe gesprungen erinnere mich aber, daß sie beide in der alten Wehrmühle wohnten, die versteckt im Wald zwischen Kösteldorf und Pechgrün lag. Sie waren beide älter als ich und er laubten, daß ich mich ihnen bei einem solchen Unternehmen an schloß. Wie ich oben schon ver merkte, ging es um Kleidung. Deren Schmuggel konnte weni ger risikoreich gestaltet werden, weil man die Einzelstücke über einanderziehen und den sichtba ren Gepäcktransport vermeiden konnte.
Mit oder ohne Armbinde: beides ist gefährlich Dennoch blieb ein solcher Gang risikoreich. Wir mußten zumindest über Chodau bis Eger die öffentlichen Straßen benut zen und durften außerdem die Armbinden nicht tragen, was ja wiederholte Kontrollen provo ziert hätte. Ohne Armbinde er wischt zu werden, war wieder um für uns gefährlich, weil wir zu wenig Tschechisch konnten, um uns als Tschechen auszugeben. Es war also so oder so risikoreich. Damals wagten wir es aber. Wie sinnvoll das war – diese Frage zu stellen, ist heute müßig. An dieser Stelle sei erwähnt, daß etwa um diese Zeit – Januar 1946 – auch mein Onkel Rudolf auf diesem Weg mit seiner Fami lie in den Westen geflüchtet ist. Im letzten Kapitel habe ich das erwähnt. Wie er das mit dem Ge päck gemacht hat und ob er vor oder nach meiner Schmuggel aktion diesen Schritt gewagt hat, vermag ich leider aus der Erinne rung nicht mehr zu sagen. Auch das genaue Datum weiß ich nicht mehr. Es war ein kal ter Wintertag im Januar 1946. Wir liefen stundenlang bis Eger. Glücklicherweise kümmerte sich niemand um uns. Ich weiß noch, wie wir durch Eger gingen. Hin ter der Stadt benutzten wir Feld wege. An der Grenze mußten wir einige Stunden im Dickicht liegen, bis die tschechischen Grenzer weg waren. Wir konn ten dann problemlos passieren. Von Schirnding bis Marktred witz konnten wir dann sogar den Zug benutzen. Dort haben wir uns am Bahnhof das Schmuggel gut ausgezogen. Ich konnte Ho sen und Jacken von Vater und meine Försterjacke bei den Leu ten in Marktredwitz hinterlegen, die Emma und Anna schon kann ten. Sie schickten die Sachen weiter nach Crailsheim zu „Treu händern“, das heißt Verwandten oder Bekannten, bei denen wir sie dann 1947 irgendwann abge holt haben. Wir haben tatsäch lich alles bekommen, was ich hin terlegt hatte. Es gab also in dieser schmerzlichen Notphase unseres Volkes ehrliche Menschen. Als wir damals im Januar 1946 in Marktredwitz umkehrten, hat ten wir andere akute Proble me vor Augen. Wir mußten über die von beiden Seiten bewach te Grenze zurück. Das wurde na türlich durch den Schnee, in dem wir Spuren hinterließen, nicht er leichtert. Außerdem waren wir nicht mehr so warm gekleidet wie auf dem Hinweg. Wir schaff ten aber auch den Rückweg, oh ne gefaßt zu werden. Glücklich schloß ich meine Mutter in die Arme, als ich in Kösteldorf ins Haus zurückkam. Sie hatte um mich gebangt, so lange ich weg war. Drei Tage hatte der Schmug gelgang gedauert. In all den Wochen und Mo naten nach Kriegsende harrten wir auf eine Nachricht von Vater. Schließlich wurde es schon ein Jahr. Der erste Brief erreichte uns im Juni 1946. Da war die Vertrei
bung auch in Kösteldorf schon in te Menschen über die engere Fa mehr rechtlos gestellt. Wir konn nach Dachau gebracht worden vollem Gange. Sein Brief war für milie hinaus. Das half am Anfang ten uns – von den Einschrän sei. Sobald es möglich gewesen uns wie eine Erlösung. Er ent sehr. Wir, die engere Familie, wa kungen unserer Armut abgese sei, habe er uns nach Kösteldorf hielt zwar auch die Nachricht, ren damals außer mir meine Mut hen – wenigstens frei bewegen. geschrieben, aber nie eine Ant daß er in Dachau in Gefangen ter Maria, mein Bruder Helmut Diese Freiheit nutzte ich gleich, wort erhalten. Erst da wurde mir schaft war. Aber er lebte wenig und Großmutter Anna. Ohne un um unseren Vater zu besuchen. klar, daß seine Briefe bis auf den stens und hatte keine Kriegsver seren Vater Josef natürlich; denn Von Sprendlingen aus lagen einen nicht angekommen waren. der war ja noch in Kriegsgefan nicht mehr bewachte Grenzen Ich versuchte natürlich, alles von letzung. zwischen ihm und uns, sondern uns zu erzählen. Dazu hätte ich Danach erhielten wir keine genschaft. nur noch unsere Geldnot – für nicht zwei Stunden, sondern Ta Briefe mehr von ihm in die Hei die Eisenbahnfahrkarte – und ge gebraucht. Zum Gedanken mat, obwohl er weiterhin sol Zwei Zimmer bei der Schlagbaum, der ihn daran austausch konnten wir aber auch che an uns richtete, wie wir spä Familie Wilhelm Lorey hinderte, aus dem Kriegsgefan die zwei Stunden nur ansatz ter von ihm erfuhren. Daß uns der Am 28. Oktober kamen wir al genenlager der Amerikaner in weise nutzen; denn unser Sät eine erreicht hatte, war also ei ze unterbrachen immer wieder ne glücklich Fügung. Wir konn so in Sprendlingen an. Im Saal Dachau herauszuspazieren. Eine Fahrkarte leistete ich mir Schluchzen und Weinen. Und ten leider nicht zurückschreiben, bau in der Goethestraße war das weil die Benutzung der Post für Lager für uns Vertriebene einge und fuhr noch Ende Dezember wir bestätigten uns wiederholt, richtet worden. Von dort wurden 1946 – also zwischen den Jah wie glücklich wir seien, daß wir uns Deutsche verboten war. Am 19. Oktober kamen wir wir in einzelne Häuser eingewie ren – in manch fensterlosen noch lebten. Wie froh wäre ich gewesen, dann selbst mit dem letzten sen, wo uns wiederum einzel Zügen von Sprendlingen nach Transport in die Aussiedlung. ne Räume zugeteilt wurden. Wir Dachau. Dort war Vater zur Ab hätte ich Vater mitnehmen kön nen. Darauf bestand über Für unser Dorf war das Ver haupt keine Aussicht. Wir treibungslager in Neusattl zu mußten für die zwei Stunden ständig. Von dort waren ab dankbar sein. So mußte ich al April 1946 Kösteldorfer be lein nach Sprendlingen zu reits in mehreren Transporten rückfahren. ausgesiedelt worden. Der er ste ging am 1. April nach Kas sel in Nordhessen. Weitere Bahnreisen 1946 folgten in die spätere „DDR“, Unterwegs machte ich noch nach Aschaffenburg, Wiesau, Halt in der Nähe von Ansbach, Landshut, Regensburg, Berch wohin es Onkel Rudolf mit sei tesgaden, Reichenbach, Sulz ner Familie verschlagen hatte. bach-Rosenberg und schließ Er hatte dort schon wieder ei lich eben wir nach Sprendlin ne Anstellung als Forstgehil gen in Südhessen. fe und wurde später Förster in Um dorthin zu gelangen, einem Forsthaus. Nach seiner mußte unser langer Güterzug Pensionierung lebte er noch aus Neusattl wahrlich einen bis in die siebziger Jahre bei Hindernislauf vollführen. Wir seinem Sohn in der Nähe von waren keine leichte Fracht, im Abtsgemünd am Kocher. merhin rund 1200 Vertriebene Mir erscheint erwähnens in 40 Waggons zu je 30 Men wert, daß meine Reise von heu schen. Heute würde man sa te aus gesehen noch in ande gen, wir waren alle Sozialfäl rer Weise bemerkenswert war. le. Deshalb waren wir auch da Züge waren – wenn sie fuh mals eine schwere Fracht. ren – die einzigen Verkehrs Um ausgeladen zu werden, mittel über größere Entfernun war aber nicht das Kriterium, gen. Jeder Passagier versuchte ob eine Gemeinde Geld hatte. irgendwie mitzukommen, ob Das war ohnehin weitgehend wohl die Züge überhaupt nicht wertlos. Entscheidend war ver einladend waren. fügbarer Wohnraum. Der war Mitten im Winter hatten sie im zerstörten Deutschland rar dennoch keine Scheiben, mei wie nie in den Jahrhunderten stens aber Türen. Es zog fürch zuvor. Heute wissen wir, daß terlich. Natürlich funktionier unser Transport zu den letzten te keine Heizung. Das hätte überhaupt gehörte. Dann sag nicht nur der offenen Fenster ten die Amerikaner nämlich wegen nicht viel genutzt; denn „Stop!“. oft gelangten die Reisenden Bevor sie das aber sagten, nicht bis ins Wageninnere, fuhr unser Zug scheinbar ziel sondern mußten auf Trittbret los von Ort zu Ort. Immer hieß tern hängend oder auf dem es „Alles voll!“. Dann fuhr er Dach hockend beziehungs weiter. Das war schon in Wie sau so, wo wir aus dem Sude Der Feldpostbrief meines Vaters von Anfang Mai 1946. Er hat ihn so schön und weise liegend mitfahren. Ich tenland kommend zuerst das deutlich geschrieben, daß ich der Deutlichkeit halber die Übertragung in Druck- erinnere mich, daß ich damals alte Reichsgebiet in Bayern schrift nicht hinzufügen muß. Es gibt aber doch einiges zu erläutern. Zunächst bei der Rückfahrt von Ansbach erreichten. Unsere Armbin zum Datum. Am Ende des Textes an uns schreibt er „Am 2. Mai 45“. Hier hat Va- nur einen Platz auf den Puf den hatten wir vorher bei der ter geirrt. Wir haben den Brief erst im Juli 1946 erhalten. Vom Mai 1945 kann er fern eines Waggons ergattern Fahrt über die Grenze begei auch deshalb nicht sein, weil Vater im Text bemerkt, daß er schon mehrfach ge- konnte, erst in Würzburg ge stert aus dem Zug geworfen. schrieben habe, ohne Antwort von uns zu bekommen. Das hätte am 2. Mai 1945 langte ich durch die Tür in den Tschechen nicht mehr ausge noch nicht den Tatsachen entsprochen. Schon sehr früh – wann genau, weiß ich Waggon. Dort windete es noch liefert zu sein, war ein starkes nicht mehr – habe ich deshalb auch an der Stelle mit Bleistift „1946“ eingetragen. stark genug. Wind war dabei In gleicher Weise verfuhr ich oben rechts. Dort vermerkte ich „Große Freude durch nicht das Schlimmste. Empfinden. diesen Brief. Es war nicht zu fassen. Vater hat den Krieg überlebt.“ Aus dem Brief Man wurde oft rußge ist eigentlich nur zu entnehmen, daß er offensichtlich schon mehrere Briefe ge- schwärzt wie ein Heizer, weil Auf Holzvergasern schrieben hatte und daß es ihm gut ging. Letzteres ist natürlich nur vor dem Hin- der Ruß durch die scheibenlo nach Sprendlingen tergrund zu verstehen, daß er noch unter dem Eindruck stand, daß er überlebt sen Abteile wehte. Besonders In Wiesau konnten wir den hatte, wo er doch fest davon überzeugt war, daß er umkommen würde. Wie konn- unangenehm war das auf dem Zug verlassen und kamen in te er sonst schreiben, daß es ihm gut gehe. Daß Vater überlebt hatte und daß er Anstieg über den Spessart. die Entlausung. Dann aber uns bewies, daß er noch lebte, war für uns die Nachricht, die alles andere zu- Dann mußte hinten noch eine ging es weiter, und eine Odys nächst unwesentlich erscheinen ließ und die uns in Kösteldorf im Juni 1946 be- Lok schieben. Von einer Seite see begann. An allen Orten wegte. Tagelang saßen wir damals über dem Brief – und weinten. Deshalb ist der kam dann bestimmt der Ruß. hieß es „alles voll“, auch in Brief auch so verfleckt. Unsere Tränen, die auf den Brief tropften, lösten die Tinte Die Sache mit dem Ruß war Aschaffenburg. Von dort fuhr auf. Die Dachauer Tinte, die Vater benutzte, war eben nicht tränenfest. deshalb in den Nachkriegsjah unser Zug weiter nach Sand ren noch von besonderer Pro bach im Odenwald. Dort konnten bekamen zwei kleine Zimmer im leistung von Zwangsarbeit unter blematik, weil es sich vielfach um Haus der Familie Wilhelm Lorey gebracht. Ich fuhr über Nürnberg minderwertige Kohle handelte. wir endlich aussteigen. Wir blieben nur wenige Tage in der Westendstraße 15. Auf die und München und von dort nach Als ich von der Reise nach im Lager, wurden wenig später mußte die Familie nun verzich Dachau. Ich hätte ihn fast nicht Sprendlingen in unsere Teilfa auf Holzvergaser – also Lastwa ten. Aus dem Zimmer im Erdge erkannt, so stark hatte sich Vaters milie zurückkehrte, hatte ich vie gen – vor allem auf Dörfer ver schoß mußte die Oma weichen, Aussehen durch das Kriegsende le Gründe, froh zu sein. Außer teilt. Uns verfrachtete man nach aus dem im Obergeschoß die und die Zeit im Arbeitslager ver dem hatte ich viel zu erzählen. Sprendlingen, wo wir am 28. Tochter des Hauses. Daß wir in ändert. In den zwei Stunden, die Wir waren zwar immer noch ge Oktober 1946 ankamen. Tröst dem Haus nicht freudig begrüßt mir von den Amerikanern gestat trennt, aber wir konnten uns lich war, daß der ganze Waggon wurden, war dadurch natürlich tet wurden, hatten wir uns viel zu Briefe schreiben. Und die Gewiß mit Kösteldorfern, der von Neu vorprogrammiert. Dennoch hat erzählen. heit wuchs, daß für Vater Aus sattl kaum zehn Tage zuvor auf ten wir ein erträgliches Auskom sicht auf Entlassung bestand. Sie die Reise gegangen war, zusam men. wurde erst im März 1948 Wirk Bei Vater in Dachau In der Vertreibung waren wir men bis nach Sprendlingen kam, lichkeit. Er wurde zu uns in die Er berichtete, wie er im April Westendstraße entlassen. auch im Autotransport. So waren zwar jetzt in der Fremde und wir zwar jetzt in der Fremde, aber auf engstem Raum zusammen 1945 von Amerikanern bei Murn Wir bauen ein Haus: Eigent es gab wenigstens einige vertrau gepfercht, aber wir waren nicht au gefangen genommen und lich vermessen, dieser Satz, wenn
man bedenkt, in welcher Notla ge wir damals waren. Wir hatten buchstäblich nichts, womit wir das Haus hätten bauen sollen. Ei gentlich noch weniger als nichts; denn das wenige, was wir hat ten, reichte nicht einmal, die täg liche Not erträglich zu machen. Und dennoch faßten wir den Ent schluß und setzten alles daran, wieder etwas Eigenes zu schaf fen, ein Haus zu bauen, in dem wir wohnen konnten. Vater fand gleich Arbeit bei einem Steinmetz. Dafür hatte er unter anderem einen Gesellen brief. Er konnte fast alles, war Bauer, Imker und Maurer, eine ganz wichtige Kunst, die man be herrschen sollte, wenn man ein Haus bauen will. Eines Tages, bald nach seiner Ankunft, kam er mittags nach Hause und sagte, er kenne jemand, der ein Stück Acker verkaufen wolle. Der lag an der Trift außerhalb an einem Weg zum Wald zwischen einer Geflügelfarm und einer Schwei nemästerei. 500 Mark sollten 1500 Quadratmeter kosten. Da für nahmen wir das komplette Kopfgeld her, das wir zu sechst bei der Währungsreform im Ju ni bekamen. Sechs mal 50 DM waren 300. 200 DM machten wir Schulden. Das war enorm viel damals; denn die junge DM war rar und begehrt. Bis Weihnach ten 1948 hatte der Bauer uns die 200 Mark gestundet. Wir brach ten sie ihm schon im November. Inzwischen hatten wir uns mit Mühe auf dem Ackerland die Baugenehmigung verschafft. Noch im Herbst 1948 hatten wir begonnen auszuschachten. Am 1. Mai 1949 war die Kellerdecke drauf, und am 1. Juni zogen wir in der Westendstraße aus und in unseren Keller ein. Die 15 Mark Monatsmiete bei Loreys meinten wir auf diese Weise auch noch sparen und ins Haus stecken zu können. Monatlich immer wie der sparen. Dieser Gedanke war verführerisch. Nur wenige Tage später kam ein Wolkenbruch und ertränkte unsere Kellernotwohnung. In un serer Bedrängnis errichteten wir jetzt erst einen vier mal zehn Me ter großen Schuppen auf dem Ni veau der Ackeroberfläche, in den wir dann notdürftig einzogen. Noch Mitte Dezember 1949 sind wir dann im Erdgeschoß unseres Hauses eingezogen. Allerdings waren die Wände noch nicht ver putzt und wir hatten keinen Fuß boden.
Ausbildung und beruflicher Fortgang Wenn ich aus dem Abstand von Jahrzehnten auf unseren Hausbau zurückblicke, erscheint er mir heute als eine sehr er staunliche Sache und das, ob wohl ich dabei war und gesehen habe, wie alles vor sich ging. Es ist damals aber noch viel mehr geschehen. Wir haben ja nicht nur das Haus gebaut. Es hätte mit Sicherheit nicht gebaut werden können, hätten wir nicht parallel dazu noch viele andere Sachen gemacht. Außer meinem Bruder, der noch in die Schule ging, ar beiteten wir alle und steckten je den Pfennig ins Haus, vor allem für das Material, das wir benötig ten. Ich hätte gern meine Aus bildung zum Förster weiterge macht. Leider ergab sich keine Chance im Forst Dreieich, auch nicht anderswo in Hessen. Um Geld zu verdienen, verdingte ich mich bei der Post. Ein Herr Koch, seines Zeichens Zweigpostamts stellenleiter, bat mich, Postzu steller zu machen. Fortsetzung folgt
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VERBANDSNACHRICHTEN
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SL-Landesgruppe Bayern
Arbeitsbesuch am Chiemsee vor dem Fall des Eisernen Vorhangs: „Ich gehörte zu diesen sudetendeutschen Vertriebenen, die in Bayern gestrandet sind. Später bin ich noch nach Württemberg gekommen, dann wieder nach Bayern zurückgekehrt. Und viele Sudetendeutsche, vor allem die, die wie ich aus dem Altvatergebirge kamen oder aus dem Riesengebirge stammten, hat es nach Bayern gezogen. Das Voralpenland hat eine gewisse geographische Ähnlichkeit m 11. Juli wäre Hans mit unserer Heimat.“ „Johnny“ Klein, SchriftUnd er sagte damals: „Die setzer, Journalist, Diplomat Tatsache, daß heute etwa eiund Poline Million tiker aus SudetenMährisch deutsche in Schönberg Bayern leim Altvaben, daß der tergebirFreistaat ge, 90 Jahre Bayern die alt geworPatenschaft den. Lange über die SuJahre verdetendeuttrat er den sche VolksWahlkreis gruppe MünchenübernomMitte im men hat, Deutschen schlägt sich Bundesauch ein tag – dawenig darmals noch in nieder, in Bonn. daß halt eiAm 26. ner dieser NovemSudetenber 1996 deutschen starb er in Steffen Hörtler und Alexander „Sa- [er meinte Bonn. Beer- scha“ Klein besprechen den Ablauf sich] jetzt digt wurde der Gedenkfeier. Bilder: Tassilo Ullmer ein bayerier auf dem scher CSUFriedhof im oberbayerischen Abgeordneter in Bonn ist.“ Bernau am Chiemsee, wo er Angesichts des sich loksich und seiner Familie ein Zu- kernden Corona-Reglehause geschaffen hatte. In ei- ments freut sich Steffen Hörtnem Radio-Interview sagte er ler auf ein „schönes und 1986 – 40 Jahre nach seiner angemessenes Gedenken“. Vertreibung und drei Jahre Tassilo Ullmer Zu Fronleichnam waren Bayerns SL-Landesobmann Steffen Hörtler und Landesgeschäftsführer Andreas Schmalcz nach Bernau am Chiemsee gefahren, um das von ihnen veranstaltete Hans-„Johnny“-Klein-Gedenken am 11. Juli vorzubereiten. Klein-Sohn Alexander, der für die Heimatlandschaft Altvater in die Sudetendeutsche Bundesversammlung gewählt wurde, empfing sie.
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SL-Kreisgruppe Moosburg-Freising/Oberbayern
75 Jahre Aufnahme Nach 25 Jahren hatte sich die oberbayerische SL-Kreisgruppe Moosburg-Freising Anfang des Jahres reaktiviert. Anfang Mai gedachte sie der Aufnahme der Vertriebenen aus dem deutschen Osten in Freising.
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gruppe Schwaben, Maria Mages und Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher. Eschenbacher gab den Dank zurück, indem er betonte, daß die Vertriebenen beim Aufbau der Stadt mitgeholfen hätten. Anschließend erklärte Korkisch noch die Symbolik der im Jahr 2000 eingeweihten Stele. Die Spaltung des dargestellten Baumes symbolisiere die Spaltung der Volksgruppe der Sudetendeutschen durch die Vertreibung und gelte als Mahnung für kommende Generationen.
u der Gedenkfeier trafen sich die Landsleute bei der Gedenkstele am Veitshof in Freising. Dort erinnerten sie an die Aufnahme von 3300 Vertriebenen durch die Stadt Freising vor 75 Jahren und dankten nochmals dafür. Schließlich hatte auch Freising einen Bombenangriff hinter sich und litt selbst Not. Von Heinz Marschoun, der auch die Wiederbelebung der Kreisgruppe initiiert hatte, stammte die Idee zu diesem Gedenken. Anwesend waren die Brüder Heinz und Dieter Marschoun, der Stellvertretende Kreisobmann Horst Heinz, Professor Erhard E. Korkisch, Felix Luftaufnahme vom 25. April 1945. Deutlich zu seVogt, Obmann hen sind die Schäden des Luftangriffs vom 18. April der SL-Bezirks- im Bahnhofsgebiet.
Bildschirmfoto des Themenzooms der Ackermann-Gemeinde am 1. Juni.
Ackermann-Gemeinde
Zwölf-Punkte-Plan für das Herz Europas Mit dem CSU-Landtagsabgeordneten Gerhard Hopp bestritt kein Unbekannter den JuniThemenzoom der AckermannGemeinde. Im letzten Jahr nahm er unter anderem an den „Samstagen für Nachbarschaft“ teil, organisiert von der Ackermann-Gemeinde im Bistum Regensburg. Mit dem Europaabgeordneten Christian Doleschal hat Hopp einen 12-Punkte-Plan für das Herz Europas verfaßt. Im Gespräch mit Moderator Rainer Karlitschek ging es um das Thema „Das bayerisch-tschechische Grenzgebiet – klappt ein Neustart nach Corona?“
wachsen. Diese Erfahrungen vor 1989/90 vermittle er bei Vorträgen an Schulen an die Jugendlichen – so auch das Erlebnis, als er als achtjähriger Bub bei einer Wanderung entlang der Grenze plötzlich von tschechischen Grenzsoldaten, die mit Maschinenpistolen ausgestattet gewe-
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u diesem Vortrag mit anschließender Diskussion waren 70 Computer beziehungsweise Telefone zugeschaltet. Moderator Rainer Karlitschek erwähnte in seiner Begrüßung und Einleitung auch Hopps jüngste Aktivität, nämlich die Veröffentlichung des Kriminalromans „Die Akte Schleißheim“. Zu diesem Krimi habe ihn, so Hopp, das von Landtagspräsidentin Ilse Aigner angeregte Kinderbuch „Die Isar-Detektive“ inspiriert. In dem nähmen auch der Landtag und dessen Arbeit einen großen Platz ein. Rainer Karlitschek stellte den Chamer Abgeordneten kurz vor. Hopp sei in der bayerisch-tschechischen Grenzregion aufgewachsen und lebe bis heute dort. Seine Doktorarbeit behandele das Verhältnis zwischen der CSU und der Sudetendeutschen Landsmannschaft und trage den Titel: „Machtfaktor auch ohne Machtbasis? Die Sudetendeutsche Landsmannschaft und die CSU. Als Büroleiter des früheren und leider zu früh verstorbenen CSU-Abgeordneten und Staatssekretärs Markus Sackmann habe Hopp auch eine Prag-Fahrt organisiert, an der AckermannMitglieder teilgenommen hätten. Seit 2013 gehöre Hopp dem Bayerischen Landtag an, dort auch dem Europa- und Haushaltsausschuß. Darüber hinaus sei er unter anderem Beirat im Haus der Bayerischen Geschichte. Dank Studienaufhalten in der mährischen Metropole Brünn habe er die Tschechische Republik, die tschechische Kultur und die gemeinsame Geschichte erkunden können. Schon als Kind habe er „die Grenzsituation aufgesogen“, am Eisernen Vorhang sei er aufge-
Dr. Gerhard Hopp MdL sen seien, bedroht und zurückgeschickt worden sei. „Wir arbeiten dafür, daß es nie wieder so kommt“, zog Hopp die Konsequenz. Doch mit dem ersten Lockdown im März 2020 sei es wieder zur Grenzschließung und Polizeipräsenz überall entlang der Grenze gekommen. „Das war nicht nur ein Einschnitt, sondern für die gesamte ostbayerische Region und die Freunde in Westböhmen eine Katastrophe mit Kollateralschäden“, stellte Hopp fest. Besonders wies er auf die vielen Pendler – täglich rund 4500 Tschechen im Raum Cham– hin, die in systemrelevanten Berufen tätig seien – auch Ärzte und Pflegekräfte. „Von einem Tag auf den anderen waren sie abgeschnitten. Das war zwischen den Regierungen und der Bevölkerung in keiner Weise abgestimmt. Innerhalb von Stunden brachen ohne einen Austausch ganze Systeme zusammen. Erst nach Stunden der Unsicherheit gab es politische Gespräche“, blickte der Abgeordnete zurück. Heuer im Frühjahr sei angesichts der hohen Inzidenzzahlen in der Tschechischen Republik die Grenze von Deutschland geschlossen worden. „Die Pendler saßen erneut zwischen den Stühlen“, verdeutlichte Hopp. Er nannte auch Mißtrauen und Vorurteile, die zum Teil in dieser Phase hochgekocht seien. Erst durch die Einstufung als europäisches Krisengebiet seien Fortschritte erreicht worden, et-
wa grenzüberschreitende Impfungen. Zudem hätten Falschinformationen, sogenannte Fake News, zur schlechten Stimmung beigetragen. All diese Rahmenbedingungen hätten schließlich den CSUEuropaabgeordneten Christian Doleschal und Hopp motiviert, sich tiefgründig mit der aktuellen Situation und den damit zusammenhängenden Fragen zu beschäftigen. So seien sie zur Einsicht gekommen, daß der Eiserne Vorhang den Austausch und die Aufarbeitung der Geschichte nach 1945/46 beschränkt oder behindert habe. Erst in jüngster Zeit seien etwa die verschwundenen Dörfer entlang der Grenze wieder in den Fokus gerückt. Deren Geschichte werde nun gemeinsam von Deutschen und Tschechen aufgearbeitet. „Zwischen Bayern und Tschechen hat es lange nur wenig persönlichen Austausch gegeben. Zwar haben wir darin aufgeholt, aber wir sind noch nicht so weit, solche Krisen auszuhalten“, resümierte Hopp. Zusammen mit Doleschal habe er den 12-Punkte-Plan für das Herz Europas erstellt und am 31. März vorgestellt. Besonders gehe es darum, die vielen im deutsch-tschechischen Bereich angesiedelten und aktiven Initiativen zu bündeln und so ein Gemeinschaftsgefühl zu erreichen. Nötig sei die Einrichtung einer Koordinierungsstelle, die politische Koordinierung soll laut Hopp bei der bayerisch-tschechischen Parlamentariergruppe liegen. „Wir wollen damit auch Impulse in die politische Debatte bringen“, nannte Hopp einen weiteren Aspekt und verwies exemplarisch auf die Sprachkompetenz. So schlug er eine stärkere Betonung der tschechischen Sprache vor – etwa als gleich-
Christian Doleschal MdEP rangige Alternative beim Wahlpflichtfach und eine Verankerung auch in der Wirtschaft oder Lehrerbildung.
Ebenso regte er einen deutschtschechischen Pressedienst und kommunale Bündnisse an – ungeachtet der Dauerthemen „Gesundheit“ und „Verkehrsausbau“. Mit ihrem 12-Punkte-Plan möchten Hopp und Doleschal die Zusammenarbeit „auf der politischen Ebene“ anschieben und den Austausch vertiefen. Vorstellen können sie sich im Jahr 2022 zudem einen neuen deutschtschechischen Nachbarschaftsvertrag. Von Moderator Karlitschek nach Partnern auf tschechischer Seite befragt, nannte Hopp neben der Parlamentariergruppe aus Senat und Abgeordnetenhaus einen im Entstehen befindlichen Freundeskreis aus Europaabgeordneten, Grenzland-
Dekan Heinrich Bohaboj kommunalpolitikern und der Hanns-Seidel-Stiftung. Auch die Mitglieder der entsprechenden Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag könnten einbezogen werden. Der Geistliche Beirat der Ackermann-Gemeinde Region Süd-Ost, Dekan Heinrich Bohaboj, brachte die Kontakte und Strukturen in Sachsen beziehungsweise den dortigen Diözesen ins Gespräch. Die Pendler-Problematik vertiefte Michael Moritz und nannte den zum Teil geringeren Verdienst tschechischer Arbeitskräfte. Auf die unterschiedlichen Strukturen – in Bayern Subsidiarität und plurale Vielfalt; in der Tschechischen Republik der Hang an Institutionen – wies Pablo Schindelmann hin. Werner Honal schlug vor, seitens der Bundespolitik das außenpolitische Mandat hinsichtlich der Tschechischen Republik auf den Freistaat Bayern zu delegieren. So weit wollte Hopp nicht gehen, auch wenn er ein stärkeres Engagement des Bundes gegenüber den Tschechen wünschte. „Bayern soll der Motor der deutschtschechischen Beziehungen sein“, schloß er. Markus Bauer
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VERBANDSNACHRICHTEN
Sudetendeutsche Zeitung Folge 23 | 11. 6. 2021
Bücherbarrikade
Die Baumstümpfe, auf denen die Informationen zu lesen sind, sollen an den Böhmerwald erinnern.
Virtuell nach Aussig ging es beim Juni-Kulturzoom der Ackermann-Gemeinde, zu dem Interessenten an 62 Computern beziehungsweise Telefonen zugeschaltet waren.
� Ackermann-Gemeinde
„Unsere Deutschen“
P
etr Koura, der Direktor des Universität in Prag. Und er wirkt aus werden in einer Vitrine mit die Bücherbarrikade sind zudem Collegium Bohemicum, gab als Schauspieler in Theaterinsze- Exponaten und auf einer Lein- Waffen eingebaut – ein Hinweis einen Einblick in die neu entste- nierungen im Studio Ypsilon in wand via Film Inhalte vermittelt. auf folgende gewalttätige Enthende DauerausstelPrag. Die Übermittlung geschieht mit wicklungen. lung „Unsere DeutAls Direktor des Mu- modernen und interaktiven MeIm zweiten Stock werden unschen/Naši Němci“, seums hat Koura auch dien, aber auch mittels Bildern ter dem verbindenden Titel „Aredie im Museumsgedie „Dauerausstellung von Landschaften und Gebäuden nen des öffentlichen Lebens“ die bäude der Stadt Ausüber die Geschichte deutscher Maler. Zeitspannen 1848 bis 1918 unsig Platz findet. Auch der deutschsprachigen Eine zentrale Rolle spielt in ter dem Einfluß Österreichs oder wenn noch nicht alBevölkerung in den der Ausstellung das Jahr 1848, Österreich-Ungarns, 1918 bis le Räume fertig sind, böhmischen Ländern“, dem sogar ein eigener Raum ge- 1938 in der Ersten Tschechoslovermittelte die Fühso der Untertitel, kura- widmet ist. Dort steht die Bü- wakischen Republik und 1938 bis rung einen guten Eintiert. „80 Prozent, das cherbarrikade. „Bis dahin wur- 1945 im Protektorat und im Zweidruck von der Ausstelheißt 23 der 25 Ausstel- de gemeinsam, ohne Wörterbü- ten Weltkrieg dargestellt: der lung, die – nach meh- Dr. Petr Koura lungsräume, sind fer- cher, gesprochen. Danach war Böhmische Landtag mit Bildern reren Verschiebungen tig“, erklärte er zu Be- die Nutzung von Wörterbüchern der Abgeordneten, aber auch Re– wohl im Spätsommer, also im ginn seines Vortrags, bei dem er nötig“, erläuterte Koura diesen den und kleine Videos; der ErAugust oder September, eröff- anhand von Bildern durch das nen wird. Museum führte. Wichtig ist Den seit 2017 als Direktor des ihm, daß neben den SudetenCollegium Bohemicum in Aus- deutschen auch die deutschsig wirkenden promovierten Hi- sprachigen Juden präsentiert storiker und Politologen Koura werden. stellte Moderatorin Sandra UhIn der ersten Etage geht lich vor. Er arbeitete zuvor unter es um die Aspekte „Wer sind anderem im Deutsch-Tschechi- unsere Deutschen?“, „Wo ist schen Zukunftsfonds, am Prager mein Heim“ sowie die AufteiInstitut für Zeitgeschichte sowie lung nach Nationalitäten. Auf Gegenstände, die Vertriebene einst zurückließen. beim Institut für das Studium to- Baum- beziehungsweise Holztalitärer Regime (ÚSTR) in Aus- stücken sind die Informationen Raum und damit das Jahr 1848, ste Weltkrieg mit Exponaten aus sig. Außerdem unterrichtet Kou- zu lesen – ein Hinweis auf die das für die Zäsur – den Beginn dem Alltags- und dem Militärbera Zeitgeschichte an der Karls- hohe Walddichte. Darüber hin- des Nationalismus – steht. In reich; Frauen in der Politik. Aus
der Ersten Republik finden sich zahlreiche Aspekte deutscher Kultur wie deutsches Theater in Prag, deutsches Schulwesen, deutsches Exil in Prag oder im gesamten Staat. Die Darstellung der Politik erfolgt nicht national, sondern aufgeteilt in demokratisch und nicht demokratisch. Die Jahre 1938 bis 1945 werden in einen jüdischen, einen tschechischen und einen deutschen Weg geteilt, am Ende dieses Raumes wird die Vertreibung der Deutschen thematisiert. So sind unter anderem Gegenstände zu sehen, welche die
Vertriebenen hatten zurücklassen müssen. Aber auch Gewalttaten gegen Deutsche werden mit
Verweis auf die Plätze genannt und Originalamateurfilme präsentiert. „Es ist nötig, diese Aufnahmen zu zeigen“, kommentierte Koura. Darüber hinaus gibt es Erinnerungen von Heimatvertriebenen zu hören und zu sehen. In einer abschließenden Abteilung widmet sich das Museum dem Alltag und Gewerbe beziehungsweise der Industrie wie der Seifensiederei der Familie Georg Schicht, dem Böhmerland-Motorrad oder den Bereichen Porzellan, Glas und Musikinstrumente. Ebenso geht es um deutsche Volkskultur wie Totenbretter, Bauernschränke, Tracht, Mundart, Religion und Frömmigkeit, Passionsspiele, Wirtshaus- und Caféhauskultur. Aber es geht auch um Kirche und Kirchengeschichte mit Jan Hus, Reformation und Johannes von Nepomuk. „Wir bekamen bei bisherigen Besuchern nur positive Reaktionen. Leider hat sich die Eröffnung verspätet“, so Koura. Er glaubt, daß die Eröffnung im August oder September stattfinden wird. Die bemerkenswerte neue Dauerausstellung im Aussiger Museum hatte ein großer Stab tschechischer, deutscher und österreichischer Historiker und Museumsexperten konzipiert. Markus Bauer
� Ackermann-Gemeinde
Böhmisches Lampenfeuer im badischen Einsatz diese mit der Gesellenprüfung Goldschmiedin und Arbeiten an der Staatlichen Berufsfach- mit dem Böhmischen Lampenschule für Glas und Schmuck in feuer – das erscheint zuminKaufbeuren-Neugablonz ab. Zu- dest im ersten Moment etwas nächst war sie in Kaufbeuren als ungewöhnlich. „Im ersten AusGoldschmiedin an- bildungsjahr bekommt man Eingestellt. blicke in alle Berufssparten, dar1998 beschloß sie, unter auch in den Umgang mit im badischen Frei- dem Böhmischen Lampenfeuer“, burg im Breisgau als erläuterte die Goldschmiedin. selbständige Gold- Früher lieferte eine Öllampe das ie Technik des schmiedin zu arbei- Feuer, heute ist es ein GasbrenBöhmischen ten. Seit 2005 hat sie ner. Der Name wurde aber beibeLampenfeuers bedort ihr eigenes La- halten. herrscht die in Freidengeschäft. Und Zuvor hatte Sandra Uhlich ihburg im Breisgau Lampenfeuer-Ohrringe sie hat sudetendeut- rer Freundin Stefani Kithier bei wirkende Goldsche Wurzeln. ihr der Arbeit mit dem Böhmischen schmiedin Stefani Kithier. Sie Vater ist im Oktober 1944 in Prag Lampenfeuer zugesehen und die ließ sich für die monatliche On- geboren und lebte in der Regi- Tätigkeit per Video festgehalline-Veranstaltung der Acker- on bis 1945. Im Alter von einem ten. So gewannen die Zuschaumann-Gemeinde (AG) über die Jahr kam er aber bereits mit sei- er an den Bildschirmen einen Schulter blicken. ner Mutter nach München. Eindruck von den RahmenbeDie Freundschaft zur ZoomModeratorin Sandra Uhlich beziehungsweise gleiche Interessen waren der Ausgangspunkt für diesen thematisch ganz besonderen Zoom. Als bei Gesprächen über den Beruf Stefani Kithiers von einem Böhmischen Lampenfeuer die Rede war, stand fest, daß dieser Aspekt einmal vertieft werden sollte. Die Gelegenheit bot sich nun beim AG-Internet-Format Kultur-Zoom. Wie gewohnt stellte Uhlich die Referentin des Zooms vor. Stefani Kithier stammt aus München. Direkt nach dem Abitur absolvierte sie 1993 bis 1996 ihre Ausbildung als Goldschmiedin und schloß Goldschmiedin Stefani Kithier am Böhmischen Lampenfeuer und als Portrait. Glasperlen, die mit dem heute selten gewordenen Böhmischen Lampenfeuer hergestellt werden, standen im Mittelpunkt des Kultur-Zooms der AckermannGemeinde, zu dem am ersten Dienstag im Mai 70 Rechner und Telefone zugeschaltet waren.
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dingungen und Arbeitsschritten, die es braucht, um Glasperlen am böhmischen Lampenfeuer herzustellen: 1000 Grad Celsius, Gas, Sauerstoff – beide müssen immer wieder reguliert werden. Dann als zu bearbeitendes Material die Glasstäbe. Kithier beschreibt den Arbeitsvorgang auf ihrer Home page.„Zur Herstellung der Glasperlen setze ich ein Böhmisches Lampenfeuer, einen etwa zehnflammigen Brenner, ein. In dessen Feuer wird eine Glasstange so lange erhitzt, bis sie honigartig zu fließen beginnt. Die Schmelze wird dann um einen zuvor in Kaolin getauchten Metallstab gewickelt. Die Perle entsteht durch das kontinuierliche Drehen der Schmelze im Feuer. Sie kann durch Zugabe von weiteren Farben oder durch die Bearbeitung mit Hilfsmitteln wie einer Spachtel oder Pinzette in ihrer Form und Farbe variiert werden. Nach dem Abkühlen wird das Kaolin in Wasser gelöst, damit sich die Perle vom Metallstab ziehen läßt. Das dadurch entstandene Loch in der Mitte ermöglicht, die Perlen zu einer Kette aufzufädeln.“ Neben der Herstellung einer kleinen runden Perle war im Film auch die Fertigung einer hohlen Perle zu sehen. Hier wird das geschmolzene Glas wie eine Lakritzschnecke auf den Metallstab aufgezogen, und später wer-
den zwei Teile zu einem verbunden. Die Perlen können natürlich vielfach verfeinert werden. So kann dünnes Blattsilber in die Perle eingewickelt werden. Aus mehreren Perlen können Ketten entstehen, außerdem sind verschiedene Formen oder auch
läßt sich mit dem Glas herstellen. Kurze Informationen über die Glaskunst im heutigen Böhmen beziehungsweise im bayerisch-schwäbischen Kaufbeuren-Neugablonz gab Adriana Insel. „Es ist faszinierend zuzuschauen“, stellte sie fest. Ein Re-
Lampenfeuer-Ketten.
die Kombination von zwei Farben in Steckern möglich. Ringe, Ketten, Anhänger, Ohrschmuck, Manschettenknöpfe oder Armreifen – all das und viel mehr
sümee, das sicher auch die weiteren Zoom-Teilnehmer zogen. Weitere Informationen bietet www.goldschmiede-sk.com Markus Bauer
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Dux
Ladowitz
Klostergrab
Ossegg
für die Kreise Dux, Bilin und Teplitz-Schönau
Bilin
Heimatlandschaft Erz- und Mittelgebirge – Landschaftsbetreuer: Dietmar Heller, Hillenloher Straße 10, 87733 Markt Rettenbach, Telefon (0 83 92) 9 34 72 77, Telefax 9 34 72 78, eMail dietmar.heller@deheller.de. Heimatkreis Bilin – Patenstadt Gerolzhofen; Heimatkreisbetreuer: Dietmar Heller. Internet www.heimatkreisbilin.de. H eimatkreis Dux – Patenstadt Miltenberg; Heimatkreisbetreuer: Klaus Püchler, In den Seegärten 35a, 63920 Großheubach, Telefon (0 93 71) 9 94 01, eMail klauspuechler@web.de. Heimatkreis Teplitz-Schönau – Patenstadt Frankfurt am Main; Heimatkreisbetreuer: Erhard Spacek, Franz-Schubert-Straße 13, 01796 Pirna, Telefon (01 60) 95 32 07 27, eMail spacek@ teplitz-schoenau-freunde.org. Redaktionsschluß: Freitag der Vorwoche. Redaktion: Lexa Wessel, eMail heimatruf@ sudeten.de
Die Glocke mit Rankenmuster von 1926 im Turm der Duxer Kirche.
Der Innenraum der evangelischen Kirche in Dux.
Teplitz-Schönau
Graupen
Niklasberg
Das Denkmal des Lyrikers Walther von der Vogelweide.
� Teplitz-Schönau und Dux
Die Nacht der Kirchen bietet Konzerte und Turmbesteigung siv des Erzgebirges mit dem typischen Gipfel des Stürmers. Und auf der linken Seite winkt das moderne Wahrzeichen von Teplitz-Schönau: der Wasserturm hoch oben auf dem Wacholderberg im ehemals eigenständigen Neudörfel. Die Straße führt durch das Dorf Loosch. Dort fließt seit Jahrtausenden eine Riesenquelle hindurch, welche in alten Zeiten zahlreiche Mühlen ie ersten frühsommerlichen betrieb. Und dann winkt schon In der Nacht der Kirchen gibt es in der Seume-Kapelle Kammerkonzerte. Tage verlockten zu diesem von weitem das Waldsteinkleinen, abendlichen Ausflug. sche Schloß in Dux, wo einst der bagger in den 1960er Jahren kurz Von den vier Kirchen ist die Dux liegt nur wenige Kilome- Abenteurer und Autor Giacomo vor den Toren des Schlosses halt- Kirche in Dux am besten erhalter von Teplitz-Schönau entfernt. Casanova seinen Lebensabend machten. Das Barockspital im ten, denn sie wurde 1991 renoAuf der rechten Seite der Straße, verbrachte. Duxer Schloßgarten ging jedoch viert. Die sogenannte Grüne Kirdie aus Teplitz-Schönau herausDux entging nur um ein Haar für immer verloren. che in Teplitz-Schönau wurde führt, fällt der Blick auf das Mas- dem Untergang, als die KohlenAuf der Teplitzer Straße biegt 1974 abgerissen. Auch die Kireine Seitenstraße nach links zur che in Karbitz war nicht zu retten. evangelischen Kirche ab und Sie wurde erst 1987 abgerissen. führt zunächst zum Barbara-See Seit vielen Jahren bemüht sich und zum rekultivierten Park mit die Stadt Klostergrab um die Erdem Denkmal des mittelalterli- haltung ihrer evangelischen Aufchen Lyrikers Walther von der erstehungskirche – bisher nicht Vogelweide. Dem unermüdli- sehr erfolgreich. chen Einsatz des Duxer HeimatDer Nürnberger Stil und der kreisvereins Miltenberg ist es Historismus beeinflußten die Arzu verdanken, daß diese Gestalt chitektur der Kirche in Dux, erdes mittelalterlichen Minnesän- richtet 1899 bis 1902. Sie ist ein gers, die der bekannte Bildhauer Beispiel deutscher Architektur Heinrich Scholz 1911 geschaffen jener Zeit. Der einfache Giebel hatte, 1991 als Zeichen der Ver- der einschiffigen Kirche erinnert söhnung dort wieder aufgestellt an Renaissance-Bürgerhäuser wurde. und wird von einem steinernen Die Unterstützung der deut- Kreuz gekrönt. In der Mitte ist ein schen Freunde ermöglichte auch großes Fenster, darunter befindet die Rettung der evangelisch-lu- sich – hinter zwei Säulenbögen therischen Kirche, seit 1945 Hussi- – der Haupteingang zu der Kirtische Kirche genannt. Obwohl es che. Ihr Inneres ist sehr schlicht. in der Tschechischen Republik in Den Eingang zum Turm auf fast jedem kleinen Dorf eine ka- der Westseite schmücken Metholische, meist barocke Kirche daillons von Martin Luther und gibt, sind die evangelischen Kir- Philip Melanchthon. Die 168 Stuchen viel weniger vertreten. Die fen führen zu den vier AussichtsJugendstil-Kirchen in den böh- plattformen, die als Balkone aus mischen Ländern ließen über- dem 42 Meter hohen Turm herwiegend die evangelisch-luthe- ausragen. Sie bieten hinreißende rischen Kirchengemeinden im Ausblicke auf Dux, den BarbaraRahmen der Los-von-Rom-Bewe- See, das Böhmische Mittelgebirgung an der Wende des 19. zum ge und das Erzgebirge. Die zwei 20. Jahrhundert errichten. Eine ursprünglichen Glocken fielen ganze Gruppe von Jugendstil- dem Ersten Weltkrieg zum OpKirchen projektierte in Nordböh- fer. Bei dem Turmaufstieg ist eimen das Architekturbüro Schil- ne Glocke mit Blumenranken zu Die Seume-Kapelle in Teplitz-Schönau. ling & Graebner aus Dresden. sehen, wohl von 1926. Die jährliche Nacht der Kirchen fand dieses Jahr am 28. Mai statt. Aber wegen der CoronaPandemie waren die Möglichkeiten heuer begrenzt. Die evangelische Kirche in Dux bot eine Turmbesteigung an, während es in der Seume-Kapelle in TeplitzSchönau kleine Kammerkonzerte zwischen 18.00 und 22.00 Uhr gab. Jutta Benešová war vor Ort, um darüber zu berichten.
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Auf dem Weg zurück nach Teplitz-Schönau führt ein kurzer Umweg über Klostergrab zu einer kleinen Kapelle auf der Königshöhe mit einer Aussicht bis nach Dux und Ladowitz. Im Hintergrund sieht man den Milleschauer im Böhmischen Mittelgebirge. Für mich endete die Nacht der Kirchen in Teplitz-Schönau an der Seume-Kapelle in der Lindenstraße. Diese Friedhofskapelle Zum Heiligen Kreuz, 1728 von Christian Lagler errichtet, stand auf dem damaligen städtischen Gottesacker hinter den Stadtmauern von Teplitz. Dort wurden 1813 auch Gefallene der Napoleonischen Kriege beigesetzt, deren Namen auf zwei Tafeln an der Kapelle stehen. Der Friedhof wurde um 1860 aufgelöst und in einen Park verwandelt. Die Kapelle wurde 2013 renoviert. Nun nutzt die gegenüber-
liegende Stadtbibliothek in der Grohmann-Villa sie für kulturelle Veranstaltungen. In der Nacht der Kirchen gab es dort kleine Kammerkonzerte, bei der sich Solisten des Teplitz-Schönauer Konservatoriums und der Nordböhmischen Philharmonie Teplitz-Schönau abwechselten. Die Musik alter Meister, auf Flöte, Harfe, Klavier und Geige vorgetragen, hörte man durch die offene Tür auch draußen. Die wenigen Sitzgelegenheiten in der Kapelle waren ständig besetzt. So verweilten viele vor der Tür in der abendlichen Atmosphäre neben dem erhaltenen Grab von Gottfried Seume. Allen Beteiligten war anzumerken, daß sie nach den langen, winterlichen Monaten diese Nacht der Kirchen wie ein Frühlingserwachen empfanden, trotz Nasen- und Mundschutz, den man auch weiterhin in Kirchen und Kapellen tragen muß.
Die kleine Kapelle auf der Königshöhe.
TERMINE n Donnerstag, 12. bis Sonntag, 15. August: 7. Kreistreffen in der Heimat. Donnerstag eigene Anreise nach Teplitz-Schönau, Hotel Prince de Ligne (Zámecké náměstí 136); 19.00 Uhr dort Abendessen. Freitag 9.00 Uhr Abfahrt nach Melnik mit Besichtigung des Schlosses und Weinverkostung; Mittagessen im Schloßrestaurant; anschließend Besichtigung der Peter-und-PaulKirche und des Beinhauses; Weiterfahrt nach Leitmeritz; dort Abendessen im bischöflichen Brauereigasthof. Samstag 9.00 Uhr Abfahrt nach Ober-Georgenthal; dort Besuch des Schlosses
Eisenberg; danach Fahrt über das Erzgebirge auf den Mückenberg; dort Mittagessen; anschließend Bus- oder Seilbahnfahrt nach Graupen mit Spaziergang über den Mariascheiner Kreuzweg; 17.00 Uhr Abendessen im Hotel; 19.00 Uhr dort Jubiläumskonzert der Nordböhmischen Philharmonie. Sonntag eigene Fahrt zur Heiligen Messe in der Barockkirche Mariä Himmelfahrt in Zinnwald, Uhrzeit wird mitgeteilt. Änderungen vorbehalten. Kostenbeitrag inklusive drei Übernachtungen, Frühstück, bewachtem Parkplatz, Bus, allen Mahlzeiten, Be-
sichtigungen, Führungen, Weinverkostung, Seilbahnfahrt und Konzert pro Person im Doppelzimmer 390 Euro, im Einzelzimmer 440 Euro. Getränke außerhalb des Frühstücks auf eigene Rechnung. Verbindliche Anmeldung bis Montag, 2. August, durch Überweisung des Reisepreises auf das Konto Erhard Spacek – IBAN: DE35 7008 0000 0670 5509 19, BIC: DRESDEFF700. Bitte Anschrift und Namen der Reiseteilnehmer angeben, sonst Mitteilung mit diesen Angaben an eMail spacek@teplitz-schoenau-freunde.org
HEIMATBOTE
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Bischofteinitz
Ronsperg
FÜR DEN KREIS BISCHOFTEINITZ
15 Hostau
Heimatkreis Bischofteinitz – Patenstadt Furth im Wald. Heimatkreisbetreuer: Peter Pawlik, Palnkamer Straße 73a, 83624 Otterfing, Telefon (0 80 24) 9 26 46, Telefax 9 26 48, eMail peter-pawlik@t-online.de, Internet www.bischofteinitz.de. Spendenkonto: Heimatkreis Bischofteinitz, Raiffeisenbank Chamer Land – IBAN: DE55 7426 1024 0007 1343 20, BIC: GENODEF1CHA. Heimatbote für den Kreis Bischofteinitz – Redaktionsschluß: Donnerstag der Vorwoche. Verantwortlich von seiten des Heimatkreises: Peter Pawlik. Redaktion: Nadira Hurnaus, eMail post@nadirahurnaus.de
Eisendorf
Die Aufnahme stammt von Wilhelm Gabriel, nach Emil Reimer Heimatkreisbetreuer: Walter Preiwisch (Mirschikau), Josef und Maria Bernklau, Rudolf Schieberl (Mirschikau) und Erwin Steinbach, der Gattichn Wine aus Hochsemlowitz. Doch wer ist der Bub?
Treffen trotz Corona
Josef Kaas und Margarete Kaas/Christof mit Sohn Peter Kaas aus Mogolzen, Haus-Nr. 16. Er feierte Priminz in Mogolzen, war Pfarrer in Gleißenberg, wo er jung starb. Neben Pfarrer Kaas Maria Bernklau und ein Ehepaar aus dem Mogolzer Kirchspiel, Namen nicht mehr bekannt. Vergangenes Jahr Erinnerungen an das Heimatkreistreffen vor 50 Jahren in Furth im Wald fiel das Heimatkreistreffen in der Patenstadt Furth in Wald an Fronleichnam Corona zum Opfer. Heuer erneut. Schwelgen wir deshalb in der Erdaran. Chronologisch war das verein „Die Drachenstädter“, die zwangslose Programm ein. Dort innerung an das erste Heimat- Heimatkreistreffen am 5. und 6. Sängergruppe „Lamerer Buam“ beschränkten sie sich nicht nur kreistreffen vor 60 Jahren, so August 1961 zwar schon das vier- sowie der Festmusikkapelle Hus- auf den Egerländer Marsch und wie es uns Josef Bernklau über- te. Für viele jedoch – auch für ka. Herzlich begrüßt hatten nach- das Böhmerwaldlied, sondern mich – das erste. einander Alfred Peter, Erster Bür- heimsten für ihre zahlreichen liefert. Nach der Ankunft in Furth er- germeister der Patenstadt, Emil Mundartlieder Beifall auf Beim 17. April 1946 fuhr Trans- folgte zuerst die Quartiervertei- Reimer, Bischofteinitzer Kreisbe- fall ein. Zum Beispiel mit „Asn port Nr. 1 aus dem Kreis Bi- lung. Für 14.00 Uhr war der Hei- treuer, sowie Max Lotter, Schrift- Eghalånd bin i, dees is aa ma(n schofteinitz vom Sammellager Stolz. In‘ Eghalånd Holleischen mit 1200 Personen in dåu is‘s halt herrle, in‘ 40 Waggons in den Raum Gießen Eghalånd dåu is‘ hålt in Hessen. Am 2. Mai 1946 folgschäi(n! Ich kuas bete ihm Transport Nr. 2 aus dem hauptn, ich woa(r durt Kreis Bischofteinitz von Holleiund ho(b)s g‘eah!“ schen, ebenfalls mit 1200 PersoKeineswegs notnen in 40 Waggons, in den Kreis wendig wurde es, Melsungen in Hessen. auch nur im überVon Treffen der Landsleute tragenen Sinn, Vetaus dem Heimatkreis Bischoftta Huska zu bitten: einitz andernorts hatten viele in „Touts dian Du(d) „Glaube und Heimat“ (Herauslsock hea(r, Vetgeber Erzdechant Josef Hüttl) ta Huska, blåust‘n und im Heimatboten für die Beaf!“ Zumal das „Jeszirke Tachau, Pfraumberg und Der Nemlowitzer Schmiedemeister Anton Der Obermedelzener Waldheger Franz sas, Jessas, gäih nea(r Bischofteinitz (Herausgeber Max Mahal (rechts), Sohn Rudolf (ganz links), Hnilitschka zwischen seiner Frau Ma- hea(r, ho(b we di scho Lotter) erstmals im August 1949 Tochter Maritsch und ihre zwei Töchter, da- ria und Tochter Anni. Rechts Maria Bern- lång niat g‘seah! Jesklau/Willinger aus Weshorsch/Kreis Mies. sas, Jessas, bist du erfahren. Aber auch im Kreis hinter Josef Bernklau. Melsungen veranstalteten – gråuß, wöis de du wohl ab 1949 – die Vertriebe- mattag, die Versammlung der leiter des Heimatboten, für den vawåchsn håust!“ immer wienen auf dem Heiligenberg zahl- Ortsbetreuer, im Hotel Hohen- Festausschuß. der neu festzustellen war. Jünreich besuchte Treffen. Über sie bogen angesetzt. Ihm folgte um Das Sonntagsprogramm be- gere Jahrgänge, die ich seit Enhat unser Heimatbote mehrfach 17.30 Uhr die Totenehrung auf gann um 9.00 Uhr mit dem Fest- de 1943/Anfang 1944 nicht mehr und ausführlich berichtet. dem Friedhof. Ab 19.00 Uhr gab gottesdienst in der Stadtpfarr- gesehen hatte, waren seitdem 1961 startete der erste Bus von die Egerländer Dudelsackka- kirche. Ab 10.00 Uhr tagte die unwahrscheinlich in die Höhe Melsungen nach Furth im Wald. pelle Huska aus Weiden in der Hauptversammlung des Vereins geschossen. Der Ronsperger Rudolf Kief- Oberpfalz auf dem Stadtplatz Heimatkreis Bischofteinitz in der Aber auf der Stelle wiedererner hatte mit seinen Eltern, Ver- ihr Standkonzert. Beim Gemein- Festhalle. Stadtplatz und Bahn- kannt habe ich die Familie unwandten und Freunden die Fahrt schafts-Heimatabend ab 20.00 hofplatz sahen ab 11.00 Uhr die seres Nemlowitzer Schmiedefür die Landsleute aus dem gan- Uhr in der Further Festhalle wirk- Egerländer Dudelsackmusikan- meisters Anton Mahal, den Mezen Kreis Melsungen ermöglicht. ten die „Further Dearndln“, der ten spielen. Dann stimmten diese delzer Vetter, die Medelzer Basl Wer von den Teilnehmern noch Sängerverein Furth im Wald, der beim Großtreffen in der Festhal- mit Tochter und die Mogolzer lebt, erinnert sich immer gern Heimat- und Gebirgstrachten- le in der Eschlkamer Straße ins Frånknfamilie mit ihrem Pfar-
Orstbetreuer Waldemar Hansel richtet sich an die Landsleute des ehemaligen Kirchensprengels Eisendorf. rer – bei seiner Primiz waren meine 27er Jahrgangskameraden noch kleine Buben –, dann aus Mirschikau meine zwei 27er Rudolf Schieberl und Walter Preiwisch – sie hatten wie ich den Krieg noch erlebt und überlebt. Auch den Gattichn Wine, den Erwin Steinbach aus Hochsemlowitz, die Gertrud Raschka aus Zetschowitz, den Thaler Heiner aus Bischofteinitz, den Gruber Rudi, den ich erstmals 1950 kurz in Kassel wiedergetroffen hatte, erkannte ich sofort wieder. Einige von ihnen wurden auf Photographien festgehalten, die trotz ihres damals üblichen Sechs-Mal-Sechs-Formats bis heute nichts an ihrem Wert verloren haben. Wer fehlende Namen kennt oder weitere Informationen zu den Bildern hat, den bitte ich herzlichst um Auskunft (Weserstraße 30, 34212 Melsungen). Dankbar erwähnen darf ich auch drei Landsleute, die mein „Bischofteinitzer Heimatlied“ „Im Tale der Radbusa, dort wo das Egerland dem grünen Böhmerwalde zum Gruß reicht seine Hand“ vertont haben: Kapellmeister Adolf Huska, der es mehrmals mit seinen Musikern erklingen ließ, der Bischofteinitzer Hans Friedl sowie Ernst Haas aus Wolfershausen. Letzterer stammte aus Graslitz und fungierte als Chorleiter der Egerländer Trachtengruppe des Heimatkreises Bischofteinitz. Seine Gattin war die Bill Anni aus Bischofteinitz, die ihm schon 1947 die ersten Lieder zur Aufzeichnung mit Noten vorsang.
Jessas, Jessas, bist du gråuß
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„Burg Hirschstein, Stockau und Frohnau im Wandel der Jahrhunderte“ heißt das neueste Buch von Zdeněk Procházka.
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er Historiker, Autor und Gründer des BöhmerwaldVerlags Nakladatelství Českého lesa in Taus ist Heimatforscher und Brückenbauer. Das Centrum Bavaria Bohemia in Schönsee ehrte ihn 2008 mit seinem Brückenbauerpreis. Seit mehr als 25 Jahren beschäftigt er sich mit der deutsch-tschechischen Geschichte der Region und brachte zahlreiche Publikationen heraus, die stets auf großes Interesse stoßen. Das dürfte auch bei
Hirschstein, Stockau und Frohnau
Im Wandel der Jahrhunderte
seinem neuesten Buch wieder so sein, bei dem ihn Štěpán Zemek, der örtliche Heimatkundler aus Frohnau, unterstützte. Das Werk kam im Herbst auf den Markt, konnte aber bisher wegen Corona nicht vorgestellt werden. Mittlerweile sprach sich herum, daß Procházka in dem Buch die wechselvolle Geschichte von Burg Hirschstein, Stockau und Frohnau schildert, denn es wurde bereits öfter danach gefragt. Gleichzeitig wurde Hirschsteins Burgturm renoviert, als das Buch herauskam. Das war ein schönes Zusammentreffen. Das Buch enthält viele bislang unbekannte alte Fotos, ZeichnunDieses Bild des Klosters Stockau von der Wende 18. zum gen und Plä19. Jahrhundert bewahrt die tschechische Ordenspro- ne. Diese havinz des heiligen Augustinus in Prag auf. ben auch eine
deutsche BildAnfänge des beschreibung. Klosters Pivoň/ Den tschechiStockau – Myschen Text bethen, Realitäten, gleiten deutsche Fragen“, „Das ZusammenfasKloster Stockau sungen der einin früher Neuzelnen Kapiteln. zeit“, „BauliSie tragen die che GeschichTitel „Geschichte des Stockaute der Burg er Klosters“ und Hirschstein und „Augustinerkloder Beziehung ster in Stockau deren Besitzer (Kreis Taus) aus zum Stockauer archäologischer Kloster der AuSicht“. gustiner-EremiIn seiner Einten“, „Beschreileitung weist bung Hirsch- Zdeněk Procházka: „Burg Hirsch- Procházka für stein im Licht stein, Stockau und Frohnau im das Autoreneiner Oberflä- Wandel der Jahrhunderte“. Na- kollektiv darauf chen- und einer kladatelství Českého lesa, Taus hin, daß auch archäologischen 2020; 334 Seiten, 17,90 Euro. (IS- dieses Buch eiUntersuchung“, BN 978-80-7660-001-0) ne Geschichte „Alt Hirschstein habe. Diese sei und Umgebung aus archäologi- natürlich viel kürzer, denn sie scher Perspektive“, „Die siegrei- habe erst 2005 begonnen, als Jiří chen Schlachten der Fürsten Bo- Jánský und Štěpán Zemek zu arleslav I. und Břetislav I. an der chäologischen Untersuchungen böhmisch-bayerischen Grenze in zur Ruine der Burg Hirschstein den Jahren 955 und 1040“, „Die gekommen seien. Damals habe
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orona läßt die Planung eines Treffens beziehungsweise unseres Waldkapellenfestes nach wie vor nicht zu. Da alle örtlichen Vereine ihre Feste absagen mußten und der Markt Eslarn auf das bereits von 2020 auf August 2021 verschobene Heimatfest verzichtet, sehe ich keine Möglichkeit, unser Fest im bisherigen Umfang zu gestalten. Das heißt aber nicht, daß unsere Landsleute, die trotzdem nach Eslarn kommen wollen, auf ein Wiedersehen verzichten müssen. Ich schlage deshalb für diese Landsleute ein Treffen am Samstag, 3. Juli um 14.00 Uhr im Gasthaus Tillyschanz in Eslarn vor. Von diesem Ausgangspunkt wäre eventuell auch die Möglichkeit für einen gemeinsamen Spaziergang zum Steinock oder zu unserem Ehrenmal in Eisendorf gegeben. Vielleicht ließe sich auch eine kurze Andacht am Sonn- Kreuz am Steinock. tag an der Waldkapelle organisieren. Dies und Belange des Vereins könnten bei dem Treffen besprochen werden. Soweit die Landsleute Kontakt zueinander haben, wäre es sinnvoll, wenn sie sich vorher absprächen. Für die Organisation bitte ich dringend um Rückmeldung bis spätestens Ende Juni: Postfach 1105, 92691 Eslarn, Telefon (01 51) 28 92 19 32. In der Einleitung informiert Zdeněk Procházka auch darüber, daß das wiederholt renovierte und verfallende Augustiner-Kloster in Stockau 2020 wieder einmal einen neuen Besitzer bekommen habe, der nun über dessen Zukunft entscheide. Štěpán Zemek bemerkt, daß ihm mit der Herausgabe dieses Buches ein Traum erfüllt worden sei. Es biete mannigfaltige Arbeiten von Berufshistorikern und Archäologen. Aber auch regionale Amateurforscher hätten mitgeholfen. Das Buch kann auch bei Procházkas Freund Karl Reitmeier, Lengau 16, 93449 Waldmünchen, Telefon (0 99 73) 31 74 oder eMail k.reitmeier@t-online.de gekauft werden.
man sich unterhalten, wie verdienstvoll es wäre, ein Buch über die vergessene Burg und das geheimnisvolle Kloster in Stockau herauszugeben. Die Burg sei im Kommunismus schwer zugänglich gewesen und das Kloster stark beschädigt worden. Jiří Jánský habe kurz darauf eine Studie über die Burggeschichte verfaßt, die erstmals in diesem Buch veröffentlicht werde. 2019 habe ihn Štěpán Zemek an den alten Plan erinnert, ein Buch über das Kloster herauszugeben. Die Zeit sei reif gewesen, nachdem Zemek über die Jahre eine Sammlung von Fotografien und Schriftstücken in beachtlichem Umfang zusammengetragen habe. Zuerst sei beabsichtigt gewesen, ein Buch mit historischen Fotografien und Dokumenten zu veröffentlichen. Später habe man entschieden, alle anzusprechen, die sich der Burg Hirschstein und dem Stockauer Kloster in den vergangenen Der Stich des Augustinerklosters in Jahren bei ihren Studien ge- Schönthal repräsentiert historische Gebäude auf der bayerischen Seite. widmet hätten.
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Heimatbote für den Kreis Ta<au
Heimatkreis Tachau – Patenstadt Weiden in der Oberpfalz. Heimatkreisbetreuer: Dr. Wolf-Dieter Hamperl, Aubergstraße 21, 83352 Altenmarkt, Telefon (0 86 21) 6 36 27, Telefax 64 75 27, eMail wolf-dieter.hamperl @online.de. Internet www.tachau.de. Tachauer Heimatmuseum: Kulturzentrum Hans Bauer, Schulgasse 3a, 92637 Weiden, Telefon (09 61) 81 41 02, Telefax 81 41 19, eMail museum@tachau.de. Spendenkonto: Heimatkreis Tachau, HypoVereinsbank Nürnberg – IBAN: DE38 7602 0070 0002 0824 54, BIC: HYVEDEMM460. Heimatbote für den Kreis Tachau – Redaktionsschluß: Donnerstag der Vorwoche. Redaktion: Nadira Hurnaus, eMail post@nadirahurnaus.de
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ngrid Leser lebt in der Oberpfälzer Grenzstadt Bärnau. Sie engagiert sich für unsere Heimat und organisiert und begleitet grenzüberschreitende Besichtigungs-, Informations- und Begegnungsfahrten. Ihr Vater Karl Leser stammte aus dem Altvatergebiet in Nordmähren, ihre Mutter Hildegard Leser/ Wiederer aus Glitschau im Kreis Tachau. Auch Ingrid Leser war ein Corona-Opfer. Mittlerweile ist sie genesen und voller Tatendrang. Dieser führt sie zum Grenzkamm Bärnau–Paulusbrunn. Mit ihrer Kamera dokumentiert sie den Blick nach drüben auf das ehemalige Paulusbrunn und Tachau in der Senke mit dem Wolfsberg im Hintergrund, einem Basaltkegel und früheren Zielort von Schulausflügen aus der Umgebung. Sie dokumentiert eine der neuen Informationstafeln entlang des Böttgerweges nach Paulusbrunn. Und sie dokumentiert den vertrauten Blick zum Pfraumberg. Bilder: Ingrid Leser
� Pater Jaroslav Baštář berichtet über zwölf Jahre im Grenzgebiet – Teil VI
Fast vergeblicher Rettungsversuch In diesem Teil schildert Pater Jaroslav Baštář tschechiche Mörder, die Folgen der kommunistischen Machtübernahme 1948 und seinen fast vergeblichen Versuch, ein Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges zu retten.
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er Ausblick war von der Neudorfer Kirche aus am schönsten. Vor dem Hintergrund der Wälder schimmerte im Sonnenlicht das Kolowrater Jagdschlößchen Dianaberg. Die dazugehörige Siedlung gehörte der Kirchengemeinde Neudorf an. Wir machten uns auf zur Lärchenkapelle in Dianaberg. Der Weg führte durch die kleine Siedlung Nowohradsky, die spärlich von ein paar deutschen Familien bewohnt wurde, die auf ihre Aussiedlung warteten. Meine beiden Begleiter von der Finanzwache waren – wie ich bald aus Gesprächen erkannte – begeisterte Anhänger der Kommunistischen Partei. Ich ahnte aber nicht, daß einer von ihnen, der Kommandant, später als Verbrecher und Mörder entlarvt werden sollte. Er wurde überführt, für hohes Bestechungsgeld Deutschen den illegalen Übertritt der Grenze ermöglicht – oder besser gesagt nur versprochen zu haben. In den öden Wäldern erschoß er sie allerdings mit dem Gewehr und vergrub die Körper. Die unglücklichen leichtgläubigen Opfer beraubte er um Wertsachen und Gold. Nach ein paar Jahren wurde er verhaftet, die Strafe war angesichts der Schuld unverhältnismäßig niedrig. Nach einiger Zeit kam er auf freien Fuß, die Tachauer Gegend sah ihn jedoch nie wieder. Ich sagte, daß die ausgebrannte Ortschaft Neudorf nur scheinbar menschenleer sei. Daß sie bewohnt war, erfuhren wir am Sonntag, als ich in der ausgebrannten Kirche den ersten Gottesdienst feierte. An diesem Tag war die Siedlung noch düsterer, über die Hügel kroch nämlich Nebel und es nieselte. Auf einmal ertönte vom Turm die Glocke, und die Kirche füllte sich: Frauen in schwarzen Kleidern, Männer in dunklen Anzügen. Ich machte Bekanntschaft mit dem jungen deutschen Küster
namens Schumack, einem guten Menschen. Die Menschen waren etwas scheu, aber gegenüber dem Priester höflich, mitteilsam. Die Heilige Messe wurde in Neudorf bis Ostern regelmäßig abgehalten. Aus Neudorf fuhren wir regelmäßig noch zu einer dritten Heiligen Messe nach Dianaberg. Manchmal fuhr mich Ingenieur Trunec mit dem Auto nach Neustadtl, da eine Übernachtung in Neudorf nicht möglich war. Im Haus, das als provi-
ren. Da bot Küster Schumack an, uns mit seinem Pritschenwagen zu fahren. Wir fuhren erst bei Dunkelheit los. Der Weg führte durch tiefe Wälder über Pfraumberg und Pabelsdorf. Die Ehefrau des hilfsbereiten Küsters hielt in der Hand eine Laterne und beleuchtete spärlich den Weg. Neustadtl erreichten wir spät in der Nacht. Der Weg war mühsam. Kaum hatten sich die Pferde in der Durchfahrt etwas erholt, begaben sich die Schumacks auf
gend (SKM) zu gründen. Regelmäßige Treffen fanden vorerst in der Pfarrküche statt. Die Anfänge waren aussichtsvoll – aber leider nur die Anfänge. Damals ahnte niemand, was uns in naher Zukunft noch bevorstand. Diese Zukunft begann am 25. Februar 1948. Das Jahr 1948 war der Anfang einer neuen Etappe in der Volksgeschichte und in den Leben der Einzelnen. Ein Zustand der Rechtsunsicherheit begann. Et-
Schloß Dianaberg. Rechts oben die schloßeigene Lärchenkapelle. Links oben der Gedenkstein mit der Inschrift „1852–1910. Leopold Graf Kolowrat-Krakowsky. 1904–1910“ und dem Portrait des Grafen. sorische Pfarrei diente, waren zwar Betten, aber gleich am ersten Tag nahm eine Deutsche die Decken weg – womöglich waren sie nur eine Leihgabe aus jener Zeit, als noch deutsche Priester die Pfarrei gepflegt hatten. Und so übernachteten wir beim Verwalter der Weidegenossenschaft, einem gewissen Palabán. Der entpuppte sich später als ein Gewalttäter, der in Zummern Deutsche quälte. Als er selbst über die Grenze floh, wurde er erkannt und in der Bundesrepublik Deutschland festgenommen. An die Familie des Küsters Schumeck haben wir sehr schöne Erinnerungen. Bei unserem zweiten Besuch in Neudorf und in Dianaberg konnte uns Ingenieur Trunec wegen einer Autopanne nicht nach Neustadtl fah-
den Rückweg. In der Früh wartete auf die beiden harte Arbeit im Wald. Sehr langsam gewöhnten wir uns an das neue Zuhause. Es schien, als sei die Seelsorge nicht schlecht und als würden sich die Umstände mit der Zeit ändern. Zum Gottesdienst am Sonntag kamen Gläubige auch aus den umliegenden Siedlungen, sogar auf Pritschenwägen aus dem weiter entfernten Ratzau. Regelmäßig fuhren wir zu Messen in die Kapellen nach Konraditz und Kleinmayerhöfen. Die Teilnahme in diesen Kapellen war sehr gut. Sie fuhren uns auf Pritschenwägen. Erst später, als ich mehr Pfarreien administrierte, konnte ich nur ausnahmsweise in diese Siedlungen fahren. In Neustadtl gelang es mir, den Bund der Katholischen Ju-
was bisher Unbekanntes begann sich am Horizont des Lebens derer abzuzeichnen, die 1945 nach Jahren der Besetzung für eine kurze Weile wieder hatten frei atmen können. Die Ereignisse des Jahres 1948 sind allgemein bekannt und müssen nicht detailliert beschrieben werden. Selbstverständlich schlug sich der Februar-Putsch mit all seinen Folgen im ganzen Land nieder. Er beeinflußte auch die Zustände in Neustadtl. An die Spitze des öffentlichen Lebens kam der Aktionsausschuß, dessen Vorsitzender Jan Frous wurde. Unter den weiteren Mitgliedern des Ausschusses waren František Mráz, Milan Kubát und Josef Hrouda. Ihre erste „heldenhafte“ und „patriotische“ Tat war der Abriß des Denkmals für die Gefallenen der Jahre 1914 bis
1918. Dieses stattliche Denkmal aus schwedischem Granit stand an der Südseite der Pfarrkirche in einem kleinen Garten. Warum haben diese Menschen das Andenken an die Toten geschändet? Sie wußten es wohl selbst nicht. Sie hatten aber die Macht und wenig Verstand. Das zeigte sich auch später. Das verfallene Denkmal lag einige Jahre im verödeten Garten neben der Kirche. Übrigens wurde auch die ganze Umgebung der Kirche geschändet. Ans Geländer der Terrasse banden die Menschen Tiere an, denn gegenüber befand sich ein Gebäude der Wirtschaftsgenossenschaft. Steine des Sockels fielen ab, das Geländer war gebrochen. 1953 legten wir vor der Kirche und an der Südseite Beete an. Sie währten nicht lange. Aber gleichzeitig gelang mir mit einigen hilfsbereiten Menschen, das Denkmal wenigstens provisorisch wieder aufzustellen. Natürlich ertrugen einige Neustadtler Einwohner wie Jaroslav Houba oder Josef Sýkora die Wiederaufstellung des Denkmals nur schwer und mißmutig. Ich lehnte Sýkoras Forderung ab, die Tafeln mit den Namen der Gefallenen zu entfernen. Mir gelang sie zu retten. Ich mußte allerdings in Kauf nehmen, daß sie mit der Stirnseite an die Wand gelehnt wurden. Aber sie sind noch da! 1948 formierte sich die Volksmiliz, die viele Mitglieder auch in Neustadtl hatte. Sichtbar wurde dies, als sie 1953 bei der Währungsreform in Bereitschaft waren. Die Milizionäre marschierten oft mit Gewehren und schwarzen Baretts auf dem Kopf zu Manövern, die regelmäßig an Sonntagen mal in Neustadtl, mal in Tachau stattfanden. Im selben Jahr wurde der Verband der tschechischen Jugend (SČM) gegründet. Zum Vorsitzenden wurde Němeček jun. gewählt, Geschäftsführer wurde Jaroslav Sedláček. Aber amtierender Vorsitzender wurde Milan Kubát. Die Katholische Jugend existierte fortan nicht mehr, denn andere Jugendverbände außer der SČM waren verboten. Kurz darauf wurde der Verband der Freunde der UdSSR gegründet. Fortsetzung folgt
n Sonntag, 20. Juni, 15.00 Uhr, Haid: Deutschsprachige Messe in der Loreto; anschließend Kirchkaffee in der Sakristei. Für Zweifach-Geimpfte keine Quarantäne-Pflicht nach Rückreise. n Sonntag, 18. Juli, 15.00 Uhr, Haid: Deutschsprachige Messe in der Loreto; anschließend Kirchkaffee in der Sakristei. Für Zweifach-Geimpfte keine Quarantäne-Pflicht nach Rückreise. n Sonntag, 1. August, 10.00 Uhr, Neulosimthal: Gottesdienst anläßlich des Sankt-Anna-Festes mit Monsignore Andreas Uschold in GeorgenbergHinterbrünst am Gedenkstein beim Kastanienhof. Bereits am Vorabend gemütliches Beisammensein. Auskunft: Albert Kick, Faislbach 5, 92697 Georgenberg, Telefon (0 96 58) 3 15. n Sonntag, 15. August, 15.00 Uhr, Haid: Deutschsprachige Messe in der Loreto; anschließend Kirchkaffee in der Sakristei. Für Zweifach-Geimpfte keine Quarantäne-Pflicht nach Rückreise. n Samstag, 28. bis Sonntag, 29. August: 32. Heimatkreistreffen in Weiden in der Ober pfalz. Samstag 8.15 Uhr Abfahrt nach München zum Besuch des Sudetendeutschen Museums; 18.00 Uhr gemütliches Beisammensein mit Egerländer Wirtshausmusik im Gasthof Ratskeller in Weiden. Sonntag 9.00 Uhr Feier am Tachauer Gedenkstein in der Kurt-Schumacher-Allee; 10.15 Uhr Versammlung der Mitglieder des Heimatkreisvereins mit Neuwahlen im Kulturzentrum Hans Bauer, Schulgasse 3a; 12.00 Uhr dort Ausstellungseröffnung; 13.00 Uhr Mittagessen auf Einladung der Patenstadt im Ratskeller. Anmeldung: WolfDieter Hamperl, Adresse siehe Impressum. n Samstag, 11. September, 10.00 Uhr, Haid: Tschechischsprachiger Gottesdienst anläßlich des Loretofestes mit Bischof Tomáš Holub aus Pilsen; anschließend Prozession mit dem Gnadenbild zur Schloßkapelle. Für Zweifach-Geimpfte keine Quarantäne-Pflicht nach Rückreise. n Samstag, 11. September, 19.00 Uhr, Haid: Deutschsprachige Messe in der Loreto im Rahmen der Fußwallfahrt aus Waidhaus mit Pfarrer Georg Hartl aus Waidhaus; anschließend Kirchkaffee in der Sakristei. Für Zweifach-Geimpfte keine Quarantäne-Pflicht nach Rückreise. n Sonntag, 17. Oktober, 15.00 Uhr, Haid: Deutschsprachige Messe in der Loreto mit Bischof em. Friedhelm Hofmann aus Würzburg; anschließend Kirchkaffee in der Sakristei. Für Zweifach-Geimpfte keine Quarantäne-Pflicht nach Rückreise.
Gnadenbild der Haider Loreto.