7 minute read

Natur, die unter die Haut geht

Next Article
Im Mittelpunkt

Im Mittelpunkt

Das Beste liegt oft ganz nahe: im Kräutergarten, Nadelwald, Ziegenstall und Bienenstock. Wie an verschiedenen Orten des Eisacktals das Wissen um natürliche Rohstoffe und ihre Wirkung für Pflege und Kosmetik genutzt wird. Vier Einblicke

Advertisement

Ausgewählte Hersteller veredeln Christine Lageders Kräuter zu Cremen, Salben, Seifen.

Im Rhythmus der Pflanzen

Im Sommer macht Christine Lageder den letzten Rundgang im Garten abends, gegen halb zehn. Erst wenn es dunkel ist, öffnet die Nachtkerze ihre Blüten, die sie sammeln will. „Sie bringen die gesamte Umgebung zum Leuchten“, sagt die ausgebildete Kräuterexpertin. Von den 350 verschiedenen Gewächsen in ihren Gärten sind ihr Nachtkerze und Malve am liebsten. Blüten und Blätter der beiden hochwachsenden Pflanzen eignen sich bestens für die Tee- und Gewürzmischungen, die Lageder am Dorfrand von Barbian abfüllt. Und für ihre Kosmetikprodukte. Sämtliche Grundzutaten dafür baut sie direkt vor der Haustür an, am Oberpalwitterhof auf 900 Meter Meereshöhe: Rosen, Ringelblumen, Edelweiß, Thymian, Maiglöckchen, Beinwell. Ausgewählte Hersteller veredeln die Kräuter zu Cremen, Salben, Seifen.

2006 hat die ehemalige Krankenpflegerin mit dem biologischen Kräuteranbau und einer Handvoll Produkten begonnen. „Der Boden hier ist ideal: steinig, mager, sonnig.“ Die Arbeit in den vier Gärten, die sie auf steilen Hängen angelegt hat, wird von Hand erledigt. 3.500 Quadratmeter gilt es zu bewirtschaften. Den Takt gibt die Natur vor. Im Februar werden die allerersten Pflanzen ausgesät. Danach beginnt das Aufräumen. Lageder muss die Gewächse vom Vorjahr zurückschneiden, Platz für die frischen Setzlinge schaffen. „Von April bis Spätsommer bin ich dann täglich im Garten“, sagt sie. Jedes Kraut, jedes Gewürz, jedes Pflänzchen hat seinen eigenen Biorhythmus, sprießt und blüht früher oder später im Jahr. Deshalb wird ständig gleichzeitig gesetzt, gejätet, gepflückt und getrocknet.

Im Sommer helfen zwei Mitarbeiterinnen und Lageders Tochter am Oberpalwitterhof mit. Arbeitsbeginn ist morgens um halb sechs. „Die Königskerzen müssen wir vor Sonnenaufgang pflücken, denn bei Sonnenschein verwelken sie sehr schnell.“ Für die Rosenernte darf es nicht zu warm sein. Bei Ringelblume und Kamille hingegen wird auf die heißeste Zeit des Tages gewartet. Das Wissen um die Pflanzen, ihre natürliche Wirkkraft und wie sie am besten zur Geltung kommt, hat sich die Kräuterfachfrau in vielen Kursen, Aus- und Weiterbildungen angeeignet. Das Öl der Nachtkerze in den Cremen wirkt nährend, Malve beruhigt. Die heilende Ringelblume schützt Hände und Lippen. Edelweiß hat einen natürlichen Sonnenschutz, unterstützt die Spannkraft der Haut. Gerne gibt Lageder ihre Kenntnisse bei Gartenführungen weiter.

Ende September steht die letzte Ernte an. Der Herbst ist die Zeit zum Ordnungmachen: Lager, Trocken- und Verarbeitungsraum werden auf Vordermann gebracht. Die getrockneten Blüten und Kräuter gemischt, abgefüllt und gemeinsam mit den Kosmetikprodukten für den Verkauf im Onlineshop, Hofladen und auf Märkten vorbereitet. „Weihnachten ist am stressigsten“, meint Christine Lageder. Sind diese Tage vorbei, kommt auch sie etwas zur Ruhe. Wie die Natur. Bis im Februar das neue Gartenjahr beginnt.

oberpalwitterhof.com

Zu wertvoll zum Wegschütten

Seit 2008 die ersten Ziegen am Untereggerhof in Vals nahe Mühlbach eingezogen sind, war das Ziel eines: alles verwenden, nichts verschwenden. Leichter gesagt als getan. Die 140 Deutschen Weißen Edelziegen geben jedes Jahr 100.000 Liter Milch. Richard Zingerle und Sohn Manuel verarbeiten sie zu Käse. Für ein Kilogramm benötigen sie rund zehn Liter Ziegenmilch. Übrig bleiben 90.000 Liter Molke. „Die Ausbeute bei der Käseherstellung ist denkbar niedrig“, sagt der Junior. Er hat den Hof, wo sein Vater 15 Jahre zuvor von Kuh- auf Ziegenhaltung umgestiegen war, im Februar 2023 übernommen. Seinen Beruf als Zimmermann hat er aufgegeben, als der Vater mit den Ziegen ernst machte.

Lange versuchte Zingerle eine Antwort auf die Frage zu finden: Was mit der Molke anfangen? Sie einfach wegschütten, wie es üblich ist? Dafür ist die wässrige, gelb-grünliche Flüssigkeit, die in der Käserei anfällt, zu schade. Molke enthält wertvolle Mineralstoffe, Milchsäurebakterien, Vitamine, Fettsäuren und Eiweiße. Ideen wurden gesammelt – und wieder verworfen. Bis der Gedanke aufkam, den Wellnesshotels der Umgebung frische Molke für Bäder anzubieten. Eine ältere Dame habe ihm erzählt, dass sie wegen ihrer empfindlichen Haut nur in Molke bade, so Zingerle. Doch das Interesse blieb aus. Nicht einen einzigen Liter sei er losgeworden. Er ließ sich nicht abbringen, suchte und fand einen Produzenten, der mit der Restflüssigkeit aus der Käserei Kosmetikprodukte herstellt. Im Sommer 2018 kamen die ersten auf den Markt – zur Pflege von Gesicht, Körper, Händen, für die Reinigung von Haut und Haaren. Manuel und seine Eltern, die beide weiter am Hof mitarbeiten, verwenden Shampoo, Duschgel und Cremen, mit leichtem Vanilleduft versetzt, auch selbst. Der Verkauf geschieht direkt ab Hof, online, in Fachgeschäften sowie über einen Großhändler in Deutschland, der Kosmetikstudios beliefert.

Anstelle von Wasser enthält jeder der sieben Pflegeartikel vom Untereggerhof mindestens 60 Prozent Ziegenmolke. „Sie spendet viel Feuchtigkeit und kann die Haut ins natürliche Gleichgewicht bringen.“ Die Milchsäurebakterien machen die Flüssigkeit leicht verderblich, sie muss rasch zur Weiterverarbeitung in die Produktionsstätte transportiert oder eingefroren werden. Haltbare Produkte wie die seiner Pflegelinie sind eine gute Lösung, um so viel Molke wie möglich zu verwerten, meint Zingerle. Der geprüfte Molkereifachmann aber weiß: Die gesamten 90.000 Liter pro Jahr sind nicht zu schaffen. Nichtsdestotrotz und auch wenn der Zeitaufwand für die Vermarktung ihrer Kosmetik enorm sei – die Zingerles sind stolz auf das, was sie geschafft haben.

unteregger.it

Brennen wie damals latschenkiefer.it

Der Aufwand hinter den dunkelbraunen Fläschchen lässt sich nicht gleich erahnen. Sechs bis acht Stunden dauert der Brennvorgang, mit dem Meinrad Rabensteiner das Öl in den Flakons gewinnt – aus Zweigen mit den Nadeln der Bäume um Barbian. Bevor es ans Brennen geht, werden die kleinen Äste gehackt, mehrere Wochen getrocknet, gehäckselt und in den Metallkessel in der urigen Latschenölbrennerei auf der Barbianer Alm gefüllt. Dort, auf 1.850 Metern, hat Rabensteiners Großonkel 1912 begonnen, ätherisches Öl aus Latschenkiefern zu destillieren. Das Wissen um die Destillation mit Wasserdampf wurde in der Familie über Generationen bewahrt. Heute hält der Großneffe die Tradition hoch.

2016 hat Rabensteiner seinen Beruf als Tischler aufgegeben und sich mit der Brennerei selbstständig gemacht. Die gänzlich naturreinen Öle lässt er inzwischen über ein Labor auch zu Kosmetikartikeln verarbeiten. Die Zirbe verleiht Shampoos, Seifen und Deos ihren waldig-würzigen Geruch. Die kräftig-aromatisch duftende Latsche kann als Einreibung und zusammen mit der harzig riechenden Fichte als Brustbalsam verwendet werden. Die Essenzen wirken in ihrer Reinform genauso wie in den kosmetischen Produkten: entspannend, befreiend für die Atemwege, schleimlösend, entzündungshemmend. Genutzt werden sie zum Inhalieren bei Erkältungen, zum Einreiben bei Gelenkschmerzen und Muskelkater, in Duftlampen und für Saunaaufgüsse.

Auf der Barbianer Alm destilliert Rabensteiner die Zweige und Nadeln von Latschen, Zirben, Fichten, Föhren und Wacholder. Die Faustregel: Je länger die Nadeln, desto mehr Öl lässt sich daraus gewinnen. Das Destillieren geschieht mithilfe von Wasserdampf bei konstanten Temperaturen von 90 bis 95 Grad Celsius. Für die sorgt Rabensteiner, indem er den Ofen unter dem Wasserkessel ständig nachheizt. Über Rohre steigt der Dampf in den Metallbehälter, in dem sich die gehäckselten Nadelbaumzweige befinden, und entzieht ihnen Öle und Aromen. In den Behälter passen rund 1,6 Kubikmeter Gehölz. Übrig bleibt ein dreiviertel Liter Latschenöl. Bei der Zirbe ist es etwas mehr. Zwischen 70 und 100 Liter kommen so im Jahr zusammen.

„Meine Vorfahren haben Latschenöl noch in großem Stil gebrannt und an den Großhandel geliefert“, sagt Rabensteiner. Die gesamte Familie und bis zu ein Dutzend Angestellte waren eingespannt. Heute verkauft er seine biozertifizierten Produkte als „Original Barbianer“ direkt auf der Alm, online, über ausgewählte Geschäfte und Märkte sowie in einzelnen Hotels. Die Arbeit im Wald und in der Brennerei erledigt der 41-Jährige großteils allein. Lebenspartnerin Andrea Unterkalmsteiner macht die Büroarbeit und Führungen. Vor zehn Jahren stand die Überlegung im Raum, die über hundert Jahre alte Latschenölbrennerei samt Anlage zu modernisieren. Am Ende wurde alles so belassen wie eh und je. Immerhin ist die Brennerei ein Stück Familiengeschichte. Einzig der alte Ofen wurde 2021 ausgetauscht. „Er litt an Altersschwäche“, meint Rabensteiner. Nach 109 Jahren hat er das getrost dürfen.

Die Kraft des Schwarms

Kurz, dafür umso intensiver, ist das Arbeitsjahr von Erich Larchers Bienen. Wie es wird, hängt vor allem vom Wetter ab. „Bei idealer Witterung kann ein Bienenvolk binnen kurzer Zeit bis zu 30 Kilogramm Honig einbringen“, erklärt der Imker. Im Stock hinterlassen die fleißigen Tierchen nicht nur den süßen, goldenen Sirup, sondern weitere wertvolle Früchte ihrer Arbeit. 2014 hat Larcher begonnen, diese für Pflegeprodukte zu verwenden: Honig, Bienenwachs und Propolis spenden Feuchtigkeit, sorgen für Linderung bei rauer oder gereizter Haut, wirken wundheilend und antibakteriell. Angefangen hat Larcher mit acht Produkten für die Pflege von Gesicht, Körper, Haar, Händen, Lippen und Zähnen. Nach und nach ist das Sortiment auf mehr als das Doppelte angewachsen.

Mehr geworden sind auch Larchers Bienen. 1988, als 14-Jähriger, ist er mit zwei Völkern in die Welt der Imkerei aufgebrochen. Rund 180 sind es heute. Jedes Volk hat eine Königin – und Tausende Arbeitsbienen. „Zwischen zehn- und zwölftausend“, sagt Larcher. Bis zu 50.000 pro Volk können es im Sommer werden, wenn der Nachwuchs der Königin geschlüpft ist. Ist es warm genug, beginnt Ende April der Einsatz der Bienen. Zunächst auf den Wiesen, wo sie in den bereits blühenden Blumen Nektar finden. Im Wald setzt die Baumblüte später ein. Bis Mitte Juli erntet Larcher den Blüten- und Waldhonig in den Bienenstöcken ab. Dann geht es schon daran, die Tiere für das nächste Jahr vorzubereiten, „sie mit flüssiger Weizenstärke einzufüttern, damit sie im Winter genug Nahrung haben“. Ihren natürlichen Vorrat, den Honig, haben die Bienen eingelagert. Und mit Wachs versiegelt.

Um den Saft zu gewinnen, aus den Waben schleudern zu können, entfernt der Imker die goldgelbe wächserne Schicht über den kleinen sechseckigen Öffnungen – „ein natürlicher, reiner Rohstoff, der sich bestens für die Körperpflege eignet“, so Larcher. Das Propolis holt er von Wabenrähmchen im Stock. Die Bienen dichten die feinmaschigen Gitter mit der klebrigen Masse ab. Nachdem er es tiefgefroren hat, kann der Imker das Propolis abschaben und vermahlen. Als Pulver oder in Alkohol gelöst wird es weiterverarbeitet.

Die Produktion der Honig-Pflegelinie findet im Labor statt. Verpackt werden die einzelnen Artikel im Firmensitz in Vahrn bei Brixen. Unverwechselbar der Duft, der beim Öffnen der Döschen, Tuben und Tiegel entströmt: Blumigsüße Honigaromen, beim Propolis um eine harzige Note angereichert, treten im Bienenwachs noch intensiver hervor. Der Imker vertreibt die Produkte, die seinen Namen tragen, auf Märkten, in einem Onlineshop und ausgesuchten Geschäften. „Ich würde mich freuen, wenn auch Hotels vermehrt meine Erzeugnisse nutzen würden“, wünscht sich der Vahrner, der seit 2021 Obmann des Südtiroler Imkerbundes ist. Vor 35 Jahren hat Larcher mit der Imkerei begonnen. Nach zahlreichen Weiterbildungen im In- und Ausland gibt er Interessierten jetzt selbst Kurse. Denn wer mit Bienen arbeitet, sagt er, könne eines nie: stehen bleiben.

larcher-honigprodukte.it astrabx.com

Das Propolis holt der Imker von Wabenrähmchen im Stock. Als Pulver oder in Alkohol gelöst wird es weiterverarbeitet.

This article is from: