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Interview

Interview

«Theater ist ein Gespräch mit der Gesellschaft»

Bühne Das sogar theater setzt auf die Macht des Wortes. Co-Leiterin Ursina Greuel sagt, wieso Bühnensprache auch scheinbar fehlerhaft und mit Akzent gefärbt sein kann. Und auch muss.

INTERVIEW DIANA FREI

Ursina Greuel, das sogar theater nennt sich «literarisches Theater». Wenn Sprache und Literatur im Zentrum stehen, kann es schnell elitär werden. Weshalb passiert das bei Ihnen nicht?

Für uns ist es eher ein Theater, das mit literarischer Sprache spielen will. Sprache formen, mit Sprache gestalten – das ist für uns Literatur. Theater muss nach unserer Auffassung etwas mit dem Ort, wo es lokalisiert ist, zu tun haben. Der Zürcher Kreis 5 hat so eine durchmischte Anwohnerschaft – Menschen aus 78 verschiedenen Nationen sind hier ansässig –, das muss sich auch bei uns im Programm widerspiegeln, personell und sprachlich. Sprache, das sind ja auch Klänge, Fremdsprachen, gebrochene Sprachen.

Welche Rolle spielt das Quartier inhaltlich für Sie?

Wir möchten die Themen aus dem Quartier aufnehmen und gleichzeitig ein Theater für das Quartier sein. Unser Leitsatz «Theater ist ein Gespräch mit der Gesellschaft» heisst ja auch, dass ein Theater nicht nur Kultur anbieten soll, die man bezahlen kann. In einem Gespräch müssen beide Seiten zu Wort kommen. Der Austausch zwischen Publikum und Theaterschaffenden gehört zur Aufführung dazu. Ich habe einmal ein Theaterstück zum schweizerischen Asylsystem gemacht, und da sagte der Kulturchef der betreffenden Stadt zu mir: ‹Weisst du, Ursina, du musst dich in deiner Arbeit mal entscheiden zwischen gesellschaftlichem Engagement und künstlerischer Qualität.› Das fand ich krass, dass sogar jemand aus der Kulturförderung das als Widerspruch sieht. Das Theater kann und soll gesellschaftliche Themen transportieren und dazu Stellung beziehen und nicht einfach chic sein.

Sie betonen, dass dieses «Gespräch mit der Gesellschaft» auch Zuhören bedeutet. Wie hört man zu als Theater?

Wir sind im Austausch mit Organisationen aus dem Quartier und haben Themen bei Anwohner*innen gesammelt, mit ihnen das Gespräch gesucht und ihr Wissen abgeholt. Was ich aus Sicht des Publikums aber fast am wichtigsten finde: Wir sind am Abend der Vorstellung vor Ort und wir bieten immer wieder an, dass auch die Autor*innen

da sind. Dass es Gespräche gibt nach Aufführungen. Dass man uns anquatschen kann. Dass man uns auch kritisieren kann. Und wenn wir mit Menschen aus anderen Ländern zusammenarbeiten, sei es an der Bar und nach und nach auch auf der Bühne, dann ist das etwas, das unser Theaterverständnis und unsere Sehgewohnheiten ruhig beeinflussen darf. Das ist ein Weg, bei dem man nicht sagt: Wir wissen, wie Kunst geht, und ihr dürft mitmachen, sondern wo man fragt: Wie könnte es aussehen, wenn wir es gemeinsam machen? Kulturförderstellen fordern immer wieder Teilhabe und Inklusion und verlangen, dass Kulturinstitutionen das irgendwie praktizieren. Und dann wird es delegiert, da gibt es Teilhabebeauftragte, Theaterpädagog*innen und so weiter. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass die Protagonist*innen der Kulturinstitution – seien es die Leitenden, die Personen auf der Bühne oder die Autor*innen – das selber leisten müssen.

Man erwartet von Kulturinstitutionen Inklusion und Teilhabe, aber will dann, dass es irgendwie flankierend stattfindet und nichts mit der Kunst an sich zu tun haben soll?

Ja, und zwar deshalb, weil es Zeit braucht. Zuhören braucht Zeit und Anwesenheit, und das lässt sich auch nicht schlanker und effizienter auslagern. Es gibt in Kulturinstitutionen auch Inklusion als Labelling. Das ist genau deswegen aufgekommen, weil man damit Gelder generieren kann. Ich finde das ganz unangenehm, weil man damit auch andere Biografien, andere Schicksale missbraucht fürs eigene Image. Man kann bei Produktionen und Institutionen, die mit Geflüchteten oder Beeinträchtigten arbeiten, die Integration für sich beanspruchen oder Minderheiten thematisieren, immer den Lackmustest machen, indem man fragt: Wer hat auf welcher Ebene wirklich etwas davon? Und wenn rauskommt, dass am Ende einfach der Regisseur gehypt wird und die Betreffenden kaum in irgendeiner Form wirklich profitiert haben, dann ist es für mich Labelling.

Bei Ihnen stehen auch Figuren und Menschen mit sogenannter Migrantensprache auf der Bühne. Geht es dabei vor allem um Repräsentation? Oder was passiert auf der Bühne, wenn Figuren gebrochen Deutsch sprechen?

Im Stück «Sodeli» hat der Pflegefachmann einen polnischen Akzent. Da geht es um

Integrative Theaterarbeit

Das Projekt «sogar zäme» umfasst integrative Einzelprojekte, die den Spielplan begleiten: Im offenen Chor «sogar singen» arrangiert die Chorleiterin Sibylle Aeberli Songs aus den Herkunftsländern der sogar-Mitarbeitenden (Syrien, Tibet, Afghanistan, Guinea). Die Theaterbar wird von Kulturschaffenden und theaterinteressierten Migrant*innen aus dem Quartier geführt. Der Sprachtisch ist ein regelmässiger Stammtisch für Deutschlernende: Im Anschluss an eine Vorstellung wird nieder- schwellig über die Themen des Stücks geredet. Ein- bis zweimal jährlich wird ein Stück und die Diskussion dazu in Gebärdensprache übersetzt. Nächster Anlass: «Sodeli» am So, 7. Nov. mit Gespräch zwischen Autor Klaus Händl und Marcia Brunner, gehörloser Sozialpädagogin.

Ursina Greuel ist Regisseurin und zusammen mit Tamaris Mayer Co-Leiterin des sogar theaters. Sie leitet die Theater- gruppe «Matterhorn Produktionen», präsidierte den Schweizerischen Berufsverband der Theaterschaffenden und ist Mitherausgeberin der «edition spoken script» im Luzerner Verlag Der gesunde Menschenversand.

Repräsentation, und dazu kommt, dass in der Care-Arbeit viele Menschen aus Osteuropa arbeiten. Es bildet eine bestehende Realität ab. Aber in «Glück», einem Stück von Dragica Rajčić, ging es uns auch darum, den Text als literarische Sprache zu würdigen. Dragica Rajčić ist in Kroatien aufgewachsen und schreibt in einer migrantischen, scheinbar unperfekten Sprache. Es ist wichtig, dass man anerkennt, dass eine gebrochene Sprache nicht ein temporärer Zwischenzustand ist. Menschen, die als Erwachsene in ein anderes Land kommen, lernen die Landessprache in der Regel nie perfekt. Statt dass man also sagt: Naja, sie können halt noch nicht so gut Deutsch, müsste man anerkennen, dass das ihre Sprache ist, in der sie leben. Etliche Menschen sprechen sie, und in dieser Sprache gibt es auch Literatur. Das finde ich extrem wichtig. Es ist das Gegenteil davon, Sprache mit Akzent mit einem Defizit zu assoziieren. Bei «Glück» habe ich ein Paradebeispiel von unbewusstem Rassismus erlebt. Die Schauspielerin ist eine Schweizerin mit serbischen Eltern, spricht perfekt Baseldeutsch, Hochdeutsch und Serbisch. Sie hat dieses Stück in Dragicas Sprache gespielt, in ihrem Deutsch, mit Akzent. Da gab es eine Zuschauerin, die nachher zu mir kam und sagte, sie hätte kein Wort verstanden. Sie hat wahrgenommen: Hier ist eine Ausländerin – und in der Folge davon hat sie, als Einzige im Zuschauerraum, nur Bahnhof verstanden. Sie hat den künstlerischen Wert der Sprache gar nicht gesehen, nicht erkannt.

In «Sodeli» geht es um eine ältere Frau, die ihren Pfleger sexuell begehrt, und nächstes Jahr zeigen Sie «en schöne buep seit adjö» von Martin Frank, der mit «De Fögi isch en Souhung» bekannt wurde, einem radikalen Text über das Zürcher Schwulenmilieu. Das sind Tabubrüche, die bei Ihnen aber leise daherkommen. Aktivistische, plakative Praktiken, die einem im Theater sonst oft begegnen, findet man bei Ihnen nicht.

Gerade diese beiden Produktionen sind für mich besonders feine, zarte Arbeiten. Wir sind ein ganz kleines Theater. Wenn wir uns da nun aktivistisch die Finger wund kratzen würden, müssten wir uns fragen, was wir damit bewirken können. Ich glaube, unsere Stärken sind die Arbeit mit Sprache und unser intimer Raum. Dass über Rhythmus, die Lautstärke, die Dynamik Bilder im Kopf entstehen können. Deswegen haben wir auch eine grosse Nähe zur Musik. Wir verbinden Sprache ja oft mit Musik. Es ist ein fliessender Übergang, Sprache ist auch Musik und Klang.

«Sodeli», von Klaus Händl, Regie: Ursina Greuel, So, 7., Mi, 10., Do, 11., Sa, 13. Nov., jeweils 19 Uhr, Sa/So 17 Uhr. www.sogar.ch

ZVG FOTO:

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