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Internationales Verkäufer*innen-Porträt

Internationales Verkäufer*innen-Porträt

Zuhause in der Ferne

Fragt man Ion Firescu nach dem Geruch seiner Kindheit, muss er nicht lange nachdenken. Der Duft von frischem Heu und schwerer Sommerhitze sei das für ihn, antwortet er, der Landmensch, der schon als Kind mit seinem Grossvater aufs Feld gefahren ist. Aufgewachsen sei er in einem kleinen Dorf in der Walachei, keine 25 Kilometer entfernt von der Stadt Pitești, wo die Dacia-Werke Autos für ganz Europa produzieren und die Armut trotzdem allgegenwärtig ist.

Neugierig und wissbegierig sei er als schon Kind gewesen, erzählt Ion, und dass er gerne weiter in die Schule gegangen wäre. Stattdessen wurde er schon mit sechzehn Jahren arbeitslos. Die Aufnahmeprüfung für einen Betrieb in der Gegend habe er zwar beinahe mit Bestnoten geschafft, trotzdem reichte es am Ende nicht für einen der begehrten Arbeitsplätze. Und so suchte der junge Mann sein Glück bald in der Ferne, fuhr auf Baustellen, arbeitete schwarz und landete schliesslich in Salzburg.

Seitdem existieren zwei Welten im Leben des Ion Firescu. Die eine ist das Dorf seiner Kindheit mit dem alten Bauernhof; dort leben seine drei Kinder, Sidonia, 14, Sagar, 11, und der ein- jährige Benjamin. Die andere Welt ist hier in Salzburg, wo Ion seit 2011 als Verkäufer für Apropos arbeitet. Verbunden sind diese beiden Welten durch ein altes Smartphone mit zerkratztem Display, auf dem Ion die Fotos seiner Kinder gespeichert hat.

Man sieht es ihm nicht an, dem Mann mit den gepflegten Haaren und der sportlichen Trainingsjacke, dass er seine Nächte meist im Freien verbringt. Und dass er in all den Jahren nie ganz in Salzburg angekommen ist. Weil es einen Teufelskreis gibt, der von aussen schwer zu begreifen ist: ohne Job keine Wohnung, ohne Wohnung kein Meldezettel, ohne Meldezettel kein Job. Und weil es am Ende des Tages eine Rechnung ist, die aufgehen muss: Mit dem Geld, das er in Salzburg verdient, unterstützt Ion seine Kinder. Müsste er in Salzburg Miete, Strom und Gas bezahlen, bliebe am Monatsende zu wenig für sie übrig. Also schläft Ion meistens auf der Strasse, manchmal in der CaritasNotschlafstelle. Ab und zu würden ihn Stammkunden fra- gen, wie er es anstellt, selbst im Winter bei Minus graden nicht krank zu werden. Alles eine Frage der Gewöhnung, sagt Ion dann und erzählt von Nächten, in denen die Polizei ihn alle zwei Stunden von seinem Schlafplatz vertreibt.

Man hört von Ion kein schlechtes Wort über die Stadt, in der er nun seit über zehn Jahren lebt, ohne wirklich zuhause zu sein. Er ist gerne hier und bleibt immer genau so lange, bis wieder einmal genug Geld da ist für ein Busticket nach Hause, zu den Kindern und zu seiner Frau, die seit Benjamins Geburt in Rumänien geblieben ist und nun wohl auch bald wieder nach Salzburg kommen wird, um Zeitungen zu verkaufen. Die Kinder blieben dann bei der Tante, erzählt Ion. Auch das Zeitungverkaufen habe sich während der Pandemie verändert. Die Stammkund*innen, die so wichtig sind für einen Apropos-Verkäufer, blieben während des Lockdowns plötzlich aus, die Strassen leer. Fatal für einen, der davon lebt, dass Menschen zusammenkommen – nicht irgendwo im Internet, sondern im Gegenüber, im Gespräch, auf der Strasse.

Eine Zeit lang sei dann gar nichts mehr gegangen. Also blieb Ion zum ersten Mal seit über zwanzig Jahren längere Zeit in Rumänien, fuhr zum ersten Mal nicht mit dem Bus nach Salzburg, sah zum ersten Mal eines der Kinder aufwachsen. Und musste am Ende doch wieder weg, weil die wirtschaftliche Not zu sehr drückte. Denn auch wenn er Pläne macht, bleibt es doch ein Leben von einem Tag auf den anderen.

Wenn Ion könnte, würden ihn keine zehn Pferde von seinem Bauernhof wegbringen. Und doch weiss er, dass er noch eine ganze Weile nach Salzburg kommen wird.

Ion Firescu verkauft in Salzburg die Strassenzeitung Apropos und sehnt sich nach seinem Zuhause, das immer weiter wegrückt.

Aufgezeichnet von MATTHIAS GRUBER Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Apropos / INSP.ngo

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