3 minute read

Buch

CINEWORX BILDER:

nungen das Sounddesign bei, das einen mitten in die afghanische Hauptstadt versetzt. «My Sunny Maad» basiert auf dem Roman «Frišta», geschrieben von der tschechischen Kriegsberichterstatterin Petra Procházková, die den Alltag in Krisen- und Kriegsgebieten – und damit auch die Rolle der Frau – sehr gut kennt.

Als Hure beschimpft

Diese Innensicht erlaubt es, die Mädchen und Frauen nicht nur als Opfer der Taliban zu sehen, sondern als Menschen mit Hoffnungen und Träumen, für die sie zu kämpfen bereit sind. Die Hürden, denen Herra in ihrem neuen Leben begegnet, lösen beim Zuschauen oft Wut und Ohnmacht aus. Zum Beispiel, als sie auf dem Markt trotz Burka von einem Mann angefasst und als Hure beschimpft wird und Nazir hin- und hergerissen ist zwischen dem Reflex, sie zu verteidigen, und der Erwartung, die eigene Frau zu züchtigen, wenn das Ehrgefühl verletzt wurde.

Der Film ist ein vielschichtiges Porträt einer Familie, eingebettet in eine packende Geschichte. Die Bedrohung durch die instabile politische Lage aber ist allgegenwärtig. Sei es in Form eines Kraters, den eine Explosion auf der Strasse hinterlassen hat, oder durch die Präsenz des US-amerikanischen Militärs in Kabul.

Obwohl die Taliban im Laufe des Films fallen, deutet sich an, dass sie im Verborgenen wieder an Stärke gewinnen. Und damit auch den fragilen Zusammenhalt in Herras Familie bedrohen. Mit dem Wissen, dass – seit dem Rückzug der internationalen Truppen im August 2021 – erneut die Taliban an der Macht sind und sich die Situation für die Bevölkerung wieder verschlimmert hat, hinterlässt «My Sunny Maad» einen besonders nachhaltigen Eindruck.

«My Sunny Maad», Regie: Michaela Pavlátová, Animationsfilm, CZE/SVK/F 2021, 80 Min. Läuft ab 28. April im Kino. Buch Der Filmemacher Werner Herzog erzählt in «Das Dämmern der Welt» von der Absurdität des Krieges.

Ende 1944. Als der Japaner Hiroo Onoda den Befehl erhält, die Pazifikinsel Lubang mit Guerilla-Taktiken zu verteidigen, ist er Anfang zwanzig. Als sein Krieg 1974 (!) endet, Anfang fünfzig. Denn der Zweite Weltkrieg endet, ohne dass Onoda davon erfährt. Nahezu dreissig Jahre lang hält er eisern an seinem Auftrag fest, überlebt den Dschungel und 111 Hinterhalte. Hiroshima, Japans Kapitulation, Korea- und Vietnamkrieg, die Mondlandung – all das geht an Onoda vorbei. Kriegsschiffe und Bomberstaffeln, die vorüberziehen, hält er für Zeichen eines einzigen anhaltenden Krieges. Und alle Kontaktversuche schlagen fehl, da er sie für Täuschungen des Feindes hält.

Was für eine Geschichte! Filmreif! Kein Wunder, dass der Filmemacher und Autor Werner Herzog – der Onoda persönlich begegnet ist – von diesem Stoff angezogen wurde. Entstanden ist daraus ein Text, der als Erzählung in Bann zieht und zugleich etwas von einem Skript zu einem möglichen Film hat. Es gibt Hinweise darauf, etwa wenn es heisst: «Zum ersten Mal sehen wir einen Anflug von Lächeln in Onodas Gesicht.» Nicht, es zeigt sich oder es erscheint ein Lächeln. Es ist der Blick durch die Kamera.

Schon der erste Auftritt des Protagonisten ist filmreif. Eine mit Blättern getarnte Gestalt, die sich aus der Blätterwand des Dschungels löst, die Uniform aus Flicken zusammengesetzt, der Gewehrkolben mit Rinde umwickelt. Den «Geist im Wald» nennen ihn die Einheimischen. Ein mörderischer Geist, der gnadenlos tötet, um an Nahrung zu gelangen. Denn der Dschungel, diese Hölle aus Fäulnis und Feuchtigkeit, gibt nichts her.

Der Text pendelt zwischen einer lakonischen und einer zuweilen fast delirierenden Sprache, spannt den Bogen von einer Dokumentation hin zu einem surrealen, glühenden Bilderrausch. Dabei geht es dem Autor nicht um Detailtreue. Das macht eine Vorbemerkung deutlich, die festhält, dass es Herzog auf etwas anderes ankam, «auf etwas Wesentliches».

Das Wesentliche ist die Frage nach der Wirklichkeit. Onoda wird damit auf eine zugespitzte, exemplarische Weise konfrontiert. Denn er zweifelt an dieser Wirklichkeit, nachdem sich dreissig Jahre seines Lebens als Irrtum herausgestellt haben. War er ein Schlafwandler? Hat er alles nur geträumt? Die Erzählung beginnt mit dem Satz «Die Nacht wälzt sich in Fieberträumen …» und endet auch in Fieberträumen. Dabei nimmt Herzog dem Krieg nichts von dessen Schrecken, selbst wenn er ihn als das zeigt, was er auch ist: ein absurder Albtraum. CHRISTOPHER ZIMMER

ZVG

FOTO: Werner Herzog: Das Dämmern der Welt. Carl Hanser Verlag 2021, CHF 28.90

This article is from: