Stark ohne Steak Veganer erobern die Welt der Muskeln «Kein Luxusproblem»: Skos-Präsident über Armut in der Schweiz
«Die Schweiz ist ein lebendes Museum»: Professor Baltisberger über Naturschutz
Nr. 325 | 16. bis 29. Mai 2014 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.
Nehmen Sie an einem «Sozialen Stadtrundgang» teil! Erleben Sie Basel aus einer neuen Perspektive! Tour 1: Konfliktzone Bahnhof – vom Piss-Pass zur Wärmestube. Samstag, 7. Juni 2014 um 9 Uhr. Tour 2: Kleinbasel – vom Notschlafplatz zur Kleiderkammer. Mittwoch, 11. und Samstag 21. Juni 2014 um 9 Uhr. Tour 3: Kleinbasel – von der Sozialhilfe zur Selbsthilfe. Samstag, 14. Juni 2014 um 9.30 Uhr. Anmeldungen unter rundgang@vereinsurprise.ch oder 061 564 90 40. Weitere Infos unter www.vereinsurprise.ch/stadtrundgang
Eine Tasse Solidarität! Zwei bezahlen, einen spendieren. Machen Sie mit! Café Surprise gibts hier: In Basel Café-Bar Aktienmühle, Gärtnerstrasse 46 Café Restaurant Haltestelle, Gempenstrasse 5 Post Bar, St. Johanns-Vorstadt 80 Trattoria Bar da Sonny, Vogesenstrasse 96
In Bern Restaurant Genossenschaft Brasserie Lorraine, Quartiergasse 17 Café Kairo, Dammweg 43 Luna Llena Gelateria Restaurant Bar, Scheibenstrasse 39
In Zürich Café Zähringer, Zähringerplatz 11
Weitere Informationen: www.vereinsurprise.ch/cafesurprise Ein Projekt des Verein Surprise. 2
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Titelbild: Caroline Pitzke & Christine Fiedler für PETA
Seine wahre Stärke sei sein Mitgefühl: Das sagt kein Geringerer als der Mann auf unserem Titelbild. Patrik Baboumian zerreisst Telefonbücher und verbiegt Bratpfannen mit seinen blossen Händen und ist offiziell der stärkste Mann Deutschlands. Und Baboumian ist Veganer, ernährt sich also komplett ohne tierische Produkte. «Müssen wir wirklich töten um zu leben?», fragt Baboumian. Er steht damit beispielhaft für eine neue Generation von Kraftsportlern und Bodybuildern, die nicht nur von Anabolika und Hormonen die Finger lassen, sondern auch von Fleisch und Eiern. Die Journalistin Seraina Kobler hat ihre Welt erforscht (Seite 14). Der moderne Mensch hat ein komplexes Verhältnis zur Natur: Sie umgibt ihn und hat ihn hervorgebracht – einerseits vergöttert er sie, andererseits versucht er sie zu beherrschen und beutet sie aus. Dass die Natur mitunter vor uns Menschen ge- AMIR ALI schützt werden muss, ist unbestritten. Zu kurz kommt dabei die Frage, was genau REDAKTOR wir zu bewahren versuchen. Ein grosses Thema in den zuständigen Ämtern von Bund und Kantonen ist die Bekämpfung von eingeschleppten Pflanzenarten, die einheimische verdrängen. «Mit Naturschutz hat das nichts zu tun», sagt der Zürcher ETH-Botaniker Matthias Baltisberger im Gespräch mit unserem Autor Stefan Michel. Vielmehr gehe es darum, «dass man gerne eine vertraute Umgebung hat». Das Interview lesen Sie auf Seite 18. Wir haben die Natur zum Teil überwunden. Dank der modernen Medizin zögern wir den Tod hinaus – und hebeln die brutale Selektion der Tier- und Pflanzenwelt aus. Ethik statt Darwinismus, Solidarität statt «fressen und gefressen werden»: Das macht uns Menschen erst zu dem, was wir sind. So betrachtet ist die Sozialhilfe Institution gewordene Menschlichkeit. «Ich finde, man kann und muss Eigenverantwortung zum Thema machen», sagt ausgerechnet der abtretende Präsident der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe, Walter Schmid, in unserem Interview (Seite 10). Schmid, studierter Jurist und Abgänger der US-Eliteuniversität Stanford, kann man bestimmt nicht als sozialpolitischen Dogmatiker bezeichnen. Umso bedenklicher, wenn er sagt: «Die Sozialhilfe hat heute auf politischer Ebene niemanden, der sie wirklich verteidigt. Das schwächt das gesamte gesellschaftliche System.» Und damit jene Eigenschaften, die uns Menschen menschlich machen. Ich wünsche Ihnen eine reichhaltige Lektüre. Herzlich Amir Ali
Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 Ihre Meinung! Wir sind gespannt auf Ihre Kritik, Ihr Lob oder Ihre Anmerkungen. Schreiben Sie uns! Auf leserbriefe@vereinsurprise.ch oder an Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion trifft eine Auswahl und behält sich vor, Briefe zu kürzen. Oder diskutieren Sie mit uns auf www.facebook.com/vereinsurprise SURPRISE 325/14
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BILD: WOMM
Editorial Fressen und gefressen werden
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10 Sozialhilfe Ein Gutmensch tritt ab BILD: PETER LAUTH
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Inhalt Editorial Der Natur entkommen Basteln für eine bessere Welt Bekenntnis in XL Porträt Die Kunst des Sterbens Aufgelesen Beste Absichten Zugerichtet Recht oder Rache Hausmitteilung Eine Tasse Solidarität Starverkäufer Fabian Schläfli Wörter von Pörtner Krampf und Leidenschaft Dan Perjovschi Politik aus einfachen Strichen Kultur Shanghai von unten Ausgehtipps Im Rausch des Bewegtbildes Verkäuferporträt Träumen in den Lauben Projekt SurPlus Eine Chance für alle! In eigener Sache Impressum INSP Da läuft was Surprise in der Kirche
Armut ist in der Schweiz kaum sichtbar. Die Sozialhilfe dagegen, die letzte Sicherung im System, sorgt regelmässig für Schlagzeilen. Wann immer es in den letzten 15 Jahren um Schmarotzer, Missbrauch und Anreize ging, hielt Walter Schmid sein Gesicht in die Kamera und den Kopf hin. Im Gespräch hat uns der abtretende Präsident der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe unter anderem erzählt, warum kaum jemand die Sozialhilfe verteidigt – und warum er es künftig noch lauter tun wird.
14 Körperkult Ganze Kerle, keine Eier BILD: INSTAGRAM
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Der Anfang des 21. Jahrhunderts gehört dem Hipster. Und der Purismus dieses urbanen Selbstdarstellungsstils hat mittlerweile auch die Fitnessstudios erreicht. Auch wenn immer grössere Mengen Anabolika illegal die Schweiz erreichen und diese Leistungs- und wachstumsfördernden Stoffe vor allem von Jungen eingenommen werden, geht der letzte Schrei in eine ganz andere Richtung: veganes Bodybuilding. Immer mehr Athleten schwören für den Waschbrettbauch auf Tofu und Sojamilch.
BILD: PHILIPP BAER
18 Natur Fremde Fötzel
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Seit Kolumbus versehentlich Amerika entdeckt hat, sind hunderte Pflanzenarten aus der neuen Welt nach Europa und in die Schweiz gekommen. Viele von ihnen nutzen wir ganz selbstverständlich, einige hingegen machen Probleme und verdrängen angestammte Arten. Wir haben den ETH-Botaniker Matthias Baltisberger zu einem Gespräch über diese sogenannten invasiven Neophyten getroffen – und landeten schnell bei der Grundsatzfrage: Was ist Natur überhaupt?
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ILLUSTRATION: SIMON DREYFUS | WOMM
1. Kaufen Sie sich ein weisses, graues oder gelbes T-Shirt aus ökologischer Produktion und fairem Handel (wichtig! Bangladesch-T-Shirts würden die Aussage automatisch neutralisieren) und Textilfarben in Rot und Schwarz.
2. Laden Sie sich auf www.strassenmagazin.ch die Schablonenvorlage herunter, drucken Sie sie aus und kleben sie mit Klebestift auf ein Stück dünnen Karton. Schneiden Sie die Buchstaben mit einem Teppichmesser aus.
3. Legen Sie die Schablone aufs T-Shirt (mit ein paar Tupfern Klebestift fixieren) und tragen Sie die Farbe mit einem trockenen Schwamm vorsichtig auf.
4. Fertig ist Ihr modisches Bekenntnis für eine Welt, in der das Gute noch gut sein darf.
Basteln für eine bessere Welt Bekenntnis zum Gutmenschentum Das anhaltende rhetorische Trommelfeuer von Rechts gegen alle, die sozial denken und handeln oder auf Hilfe angewiesen sind, hat doch tatsächlich dazu geführt, dass man Leute damit beschimpfen kann, dass sie gute Menschen seien (siehe dazu auch das Interview ab S. 10 mit dem abtretenden Präsidenten der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe, Walter Schmid, einem bekennenden Gutmenschen). Wir sind der Überzeugung, dass es an der Zeit ist, zurückzuschiessen! Und zwar mit der schärfsten aller Waffen: mit Liebe. SURPRISE 325/14
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Porträt Mit Mut und Pastellkreide Margot Kessler erschafft Zeichnungen von grosser Ausdruckskraft. Zu verdanken sind diese ihrer schweren Krankheit – und der Auseinandersetzung mit dem Tod. VON MICHÈLE FALLER (TEXT) UND DOMINIK PLÜSS (BILD)
len Rosa. Die Künstlerin nickt, auf ebendiese Fläche zeigend: «Da ist man bei Gott.» Das klingt gut, doch obwohl sie sich schon lange mit dem Tod auseinandersetzt, ist es nicht so einfach. Sie nimmt unter Anstrengung Bücher zum Thema hervor, «Was beim Sterben geschieht», steht auf dem einen Buchdeckel. Eigentlich sollte man auch als gesunder Mensch an den Tod denken, findet Margot Kessler. Sie habe das früher aber auch nicht getan. Mittlerweile spreche sie mit ihrem Mann nicht mehr darüber: «Es ist auch eine Belastung für ihn.» Auch mit dem Sohn nicht mehr. Neben ihrer Beschäftigung mit der geistigen Welt und der Spiritualität befasst sich Margot Kessler mit den Möglichkeiten der Medizin, verfolgt aktuelle Forschungsdiskussionen und hätte sehr gerne als Probandin bei einer Studie mitgemacht. Trotz der Hoffnung auf Heilung dachte Margot Kessler bereits ans Sterben, als die Krankheit noch nicht so fortgeschritten war. Sie organisierte vor knapp zwei Jahren zu ihrem 60. Geburtstag ein Fest mitsamt Ausstellung in ihrem Atelier. Da war das Gehen schon schwierig, reden konnte sie aber noch einigermassen gut. Familie und Freunde waren da, eine Band spielte. Und das Geburtstagskind erzählte offiziell von seiner Diagnose. «Für mich war es meine Beerdigung», sagt Margot Kessler ohne eine Spur von Sentimentalität. Sie habe das niemandem gesagt, sich mit diesem Fest aber eigentlich verabschiedet. Nun liegen die Pastellkreiden bereit und die sich selber therapierende Kunsttherapeutin zeigt an einem noch nicht fertigen Blatt, wie die
Die zierliche Frau mit den ausdrucksvollen dunklen Augen trägt einen weissen Malerkittel und sitzt vor einem Tischchen mit Blättern, einem Ordner, einem Computer. «Die Kommandozentrale», scherzt der freundliche Mann, der neben ihr sitzt. Er frage sich, ob es nicht ein Fehler gewesen sei, den Computer hier einzurichten, denn seither male sie nicht mehr so viel. «Zeichnen», sagt sie mit nachsichtigem Lächeln. Und er seufzt, den Unterschied lerne er wohl nie. Margot Kessler zeichnet. Mit Pastellkreide, die nach dem Auftragen mit den Fingern verrieben wird, was fast wie gemalt aussieht. Viele ihrer teilweise collagierten Zeichnungen sind düster, oft wirken sie mysteriös, einige sind auch bunt. Keine ist älter als sechs Jahre. Was war der Auslöser für das Zeichnen? «Lust und Drang.» Die knappe Antwort ist nicht etwa der Einsilbigkeit der Künstlerin geschuldet, sondern ihrer Krankheit. Sie leidet unter den fortschreitenden Krankheiten des Nervensystems MSA (Multisystematrophie) und dem Parkinson-Syndrom, ist auf einen Rollstuhl angewiesen und kann nur mit grosser Mühe sprechen. Sehr gut möglich, dass sie früher gerne und viel gesprochen hat, doch selbst wenn sie eher schweigsam gewesen sein sollte: Heute muss Margot Kessler wenige Worte auswählen, um sich mitzuteilen. Da es für die Gesprächspartner nicht einfach ist, sie zu verstehen, hilft ihr Pfleger, der nun unterstützend, fast beschützend neben ihr sitzt – und mit durch Blicke rückversichertem Einverständnis seiner Arbeitgeberin und Patientin über sie erzählt oder einfach mal ein Wort «übersetzt». Die ersten «Eigentlich sollte man auch als gesunder Mensch an den Einschränkungen und darauf die Diagnose der Tod denken.» Parkinsonschen Krankheit erfuhr Margot Kessler 2008, etwas später wurde MSA diagnostiziert. Beruflich war sie damals als Maltherapeutin mit eigenem Atelier Technik funktioniert. Sie zeichnet engagiert, geradezu energisch, was tätig. Am Ostquai 25 auf dem Basler Hafenareal in Kleinhüningen arman ihr wegen der körperlichen Einschränkungen gar nicht zugetraut beitete sie mit ihren Malenden. Vorher war sie Grafikerin. hätte. In letzter Zeit habe der Drang zu zeichnen etwas nachgelassen, Eine der Zeichnungen zeigt die leuchtendrote Silhouette einer lauerklärt sie, als sie die Kreiden wieder zur Seite gelegt hat. «Der Glaube fenden Figur. Dahinter eine grosse weisse Gestalt. Das Rote sei der an Heilung ist nicht mehr so aktiv», so die Begründung. Trotzdem sei Körper, der sich bewegen will, das Weisse die Krankheit. Auf einem andas Zeichnen noch sehr wichtig. Das Einzige, was sie noch könne. Auch deren Blatt mehrere – Figuren? «Figuren von oben», sagt die Künstlerin. im Hinblick auf die geplante Ausstellung in der Basler ElisabethenkirSeelen, Engel, geistige Wesen? Ihr Nicken ist zustimmend, scheint aber che, zu der auch ein Katalog erscheinen wird. auch zu bedeuten, dass die genaue Bezeichnung nicht so wichtig ist. Je Trotz der schweren Situation und den vielen traurigen Äusserungen früher die Werke, desto dunkler sind sie, und desto mehr steht die lacht Margot Kessler oft, etwa über die Spässe ihres Vertrauten und PfleKrankheit im Vordergrund. Meistens aber in Verbindung mit «Hilfe von gers. Und sie hält klar fest, was ihr die Krankheit gebracht hat, nämlich oben», wie eine Serie heisst. Jüngere Blätter behandeln auch die Fussdas Zeichnen sowie Mitgefühl und Hilfsbereitschaft der Leute. «Ich habe ball-WM in Brasilien oder das Bienensterben. die Esoterik kennengelernt und die geistige Kraft, die von dort kommt», Die Zeichnungen sind umwerfend. Und wer nun denkt, dass es ja ergänzt sie. Mut scheint sie aber schon von Haus aus zu besitzen, wie ihr «nur Therapiekunst» sei, blosses Mittel zum Zweck, dem muss bewusst Mann, der mittlerweile dazugestossen ist, mit Bewunderung erwähnt. sein, dass diese Kunst andernfalls nicht besser wäre, sondern vielmehr Kennengelernt hat sie ihn bei der Besichtigung einer WG, wo er in der gar nicht existieren würde. Sie ist aus einem dringenden und drängenKüche sass und Zeitung las. «Du bist dann aber trotzdem wieder in deiden Bedürfnis entstanden, und das sieht man den Werken an. nen Kartoffelkeller an der Rheingasse zurückgekehrt», witzelt er und erBeim Weiterblättern grinst einem bald ein Sensenmann entgegen, klärt, sie habe in dieser unsicheren Wohngegend nie Angst gehabt. dann ein abstraktes Blatt, das drei schmale Farbflächen in Schwarz, Furchtlos sei sie noch immer, bestätigt Margot Kessler. Und: «Ich bin Grau und Rosa zeigt. «Die drei Phasen des Sterbens», sagt Margot Kessunverbesserlich. Im Hoffen auf Heilung.» Keine unverbesserliche Optiler unaufgefordert. Irgendwie beruhigend, mit diesem freundlichen helmistin, das nicht, aber einfach unverbesserlich, sagt sie und lacht. ■ SURPRISE 325/14
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Aufgelesen News aus den 90 Strassenmagazinen, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.
Gut gelaunt ins Verderben Nürnberg. Der 82-jährige Joe Übelmesser war, seinem Namen zum Trotz, sein Leben lang Priester. Er resümiert: Wir machen den Planeten kaputt – mit den besten Absichten. Und er beklagt, dass die Industriegesellschaft durch Verursachung von Armut in anderen Weltgegenden ebenso viele Menschen auf dem Gewissen habe wie früher mit Kriegen. Die bitteren Erkenntnisse über und die Konfrontationen mit Armut verarbeite er mit dem Glauben – oder auch mal mit einem guten Essen, das er bewusst geniesse.
Center entvölkern Zentren Wien. Architekt Walter Brune hat vor 45 Jahren eines der ersten Shoppingcenter Deutschlands entworfen. Heute ist er profilierter Shoppingcenter-Kritiker. Der Grund: Sie entvölkerten die Innenstädte, aus denen das Leben und letztlich auch die Kultur ausziehe. Investoren von Shopping-Galerien in den Innenstädten seien nur am Profit interessiert, und seine Berufskollegen würden sich für den Bau billiger Architektur willig vor den Karren spannen lassen.
Schweinischer Kapitalismus Dortmund. Professor Christoph Butterwegge, seinem Namen zum Trotz Armutsforscher, beobachtet in Deutschland Ähnliches wie Skos-Präsident Schmid in der Schweiz (siehe S. 10): In den 70er-Jahren wurde noch unbürokratisch und grossgügig geholfen auf dem Sozialamt, heute heisst die Devise: fordern und überfordern. Nach dem Mauerfall, so Butterwegges Interpretation, habe der Westen nicht mehr demonstrieren müssen, wie sozial er funktioniere: Der rheinische Kapitalismus habe sich zum «schweinischen Kapitalismus» gewandelt.
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Zugerichtet Rache oder Vergeltung Oft ist derzeit die Rede von der Entfremdung von Politik und Bevölkerung – dasselbe gilt auch für das Verhältnis von Justiz und Öffentlichkeit. Deshalb gibt es hier zur Abwechslung keinen knackigen Fall, sondern einen notwendigen rechtsphilosophischen Exkurs zum Thema Strafe. Anlass dazu gibt eine Erfahrung, die fast alle Gerichtsberichterstatter teilen: Selbst in Fällen, in denen aus der Insiderperspektive eine Tat extrem streng beurteilt wird und die Strafe entsprechend hoch ausfällt, kommen viele Leserzuschriften, aus denen das blanke Entsetzen über unsere «Kuscheljustiz» spricht. Die bisher wohl krasseste Diskrepanz zwischen der juristischen Sicht der Dinge und dem Empfinden der Volksseele zeigte sich beim Schönenwerder Raserfall 2008. Zur Erinnerung: Der Hauptangeklagte Nekti T. lieferte sich mit Kollegen ein illegales Rennen, fuhr innerorts mit über 100 km/h auf eine Kreuzung und verursachte einen Crash mit einem unbeteiligten Fahrzeug. Dabei verlor eine junge Frau ihr Leben. Die erstinstanzlichen Richter verhängten eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten, im Berufungsprozess vor dem Solothurner Obergericht gab es noch zwei Monate drauf. Im Nachgang sprachen Fachleute von einer historisch harten Strafe, denn erstmals überhaupt erkannten die Gerichte bei dieser Ausgangslage eine vorsätzliche und nicht fahrlässige Tötung. Die öffentliche Empörung hingegen war grenzenlos: Leserkommentare forderten «mindestens zehn Jahre im Steinbruch», das Verdikt sei eine «Verhöhnung der Opfer». Ein Mensch sei zu Tode
gekommen, deren Angehörige hätten damit ja lebenslänglich gekriegt: «Wo bleibt die Gerechtigkeit?» Auch in anderen breit diskutierten Fällen wie zuletzt «Carlos», wo es «nur» um Körperverletzung ging, war diese Frage ein eigentlicher Refrain: «Was ist mit dem Opfer?» All das deutet auf einen Bruch im gesellschaftlichen Konsens über die Frage nach dem Sinn von Strafe hin. Das ist bedenklich. Denn die Strafe ist das hauptsächliche Mittel, mit dem eine Gesellschaft das Trauma von Straftaten bewältigt. Da sind also die Institutionen, unfähig, die Ausgewogenheit und Komplexität des Strafzwecks (Schuldausgleich, Sühne, Vergeltung, Prävention, Resozialisierung) als Errungenschaften unserer Rechtskultur zu vermitteln. Ihnen gegenüber stehen vermehrt Bürgerinnen und Bürger, die mit juristischen Radikallösungen eine verloren geglaubte Ordnung wieder herstellen wollen: Täter für immer verwahren, keine Verjährbarkeit für gewisse Taten, lebenslanger Landesverweis. Das Rechtssystem solle sich endlich wieder auf die Seite der Opfer stellen! Dieser Gedanke ist so verständlich wie verkehrt. Denn er fusst auf einer Illusion: Wiedergutmachung für das Opfer gibt es gerade eben nicht, denn nichts kann eine Tat ungeschehen machen. Zudem ist es durchaus weise, dass das Rechtssystem weder für das Opfer noch für den Täter steht, sondern für uns alle: für die Gesellschaft. Andernfalls würde die strafrechtliche Vergeltung einer Tat sehr schnell zur Rache am Täter. Und Rache, so lehrt uns das Recht, ist ein niederes Motiv. Und eine Auge-um-Auge-Justiz kein Merkmal einer zivilisierten Gesellschaft. YVONNE KUNZ (YVONNE.KUNZ@GMAIL.COM) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 325/14
Hausmitteilung Solidarität – kein kalter Kaffee!
Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welche/n Verkäufer/in Sie an dieser Stelle sehen möchten: Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 (0)61 564 90 99, redaktion@vereinsurprise.ch
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BILD: DOMINIK PLÜSS
re Namen aufgelistet, und auf der Homepage www.cafesurprise.ch erfahren Sie mehr über das Projekt. Dort und auch im Heft werden wir die Liste der Restaurants und Bars nachführen, die neu einen «Café Surprise» anbieten. Zusätzlich nutzten wir unsere Kontakte zu den Organisationen, die mit finanziell benachteiligten Personen arbeiten, um über dieses Projekt zu informieren – damit wir diejenigen, denen ein Kaffee spendiert werden soll, auch tatsächlich erreichen. Dies könnte dazu führen, dass Sie in Ihrem Stammcafé eines Tages vielleicht neben einem etwas streng riechenden Obdachlosen sitzen werden. Oder aber zu einem überraschenden Gespräch und der Erkenntnis, dass sich Armutsbetroffene äusserlich oft gar nicht von denjenigen mit etwas besser gefülltem Portemonnaie unterscheiden. In diesem Sinne: Herzlich willkommen im «Café Surprise»!
Paola Gallo Geschäftsleiterin Verein Surprise
BILD: TOBIAS SUTTER
In Neapel gibt es eine alte Überzeugung: Jede und jeder hat ein Recht auf den täglichen Kaffee. Und so erfanden die Neapolitaner den «caffè sospeso». Das Prinzip: Ich bestelle einen Kaffee, bezahle aber für zwei. Der zweite Kaffee wird auf einer Tafel aufgeschrieben. Die nächste Person, die gerne einen Kaffee hätte, aber das nötige Kleingeld nicht besitzt, erhält den «caffè sospeso». So einfach. Es ist eine kleine Geste der Solidarität – ein wunderschöner Gedanke, finden wir bei Surprise. Die Idee des «caffè sospeso» setzten auch einige Restaurants und Bars in der Schweiz um. Mit unterschiedlichem Erfolg. Die Kaffees wurden zwar fleissig gespendet, aber oft nicht abgeholt. Wie auch? Das Problem war, dass diejenigen, denen man einen Kaffee spendieren wollte, gar nicht vom Angebot erfuhren. Hier setzt Surprise an – ab sofort gibt es den «Café Surprise». In verschiedenen Restaurants und Bars in Bern, Basel und Zürich klebt ab heute das Logo mit der lächelnden Kaffeetasse. Diese Lokale haben sich bereit erklärt, mit Surprise zusammen die Geste der Solidarität umzusetzen. Auf Seite 2 dieses Hefts finden sie ih-
Starverkäufer Fabian Schläfli Elisabeth Augstburger, Landrätin EVP in Baselland und Einwohnerrätin in Liestal, schreibt: «Ich empfehle Ihnen Fabian aus Basel als Starverkäufer. Er ist immer freundlich und er ist ein motivierter Surprise-Verkäufer. Ich wünsche ihm alles Gute und viel Erfolg für alles, was er anpackt.»
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Sozialhilfe «Ich fürchte die Volksmeinung nicht» Walter Schmid tritt nach 15 Jahren als Präsident der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe Skos ab. Schmid hat sich für die Einführung finanzieller Anreize eingesetzt und fordert Eigenverantwortung genauso wie Solidarität. Ein Gespräch über Angriffe von Rechts, den Mindestlohn und direkte Demokratie.
VON FLORIAN BLUMER UND AMIR ALI (INTERVIEW) UND PETER LAUTH (BILDER)
Eine junge serbische Migrantin sagte kürzlich im Surprise-Interview, sie habe sich nicht vorstellen können, dass es in der reichen Schweiz Armut gebe. Wie würden Sie ihr die Situation in unserem Land erklären? Armut gibt es in allen Gesellschaften. Armut in Serbien sieht einfach anders aus als Armut in Zürich. Man kann Armut nicht in Franken und Rappen zählen. Die Frage ist: Wie leben Betroffene im Vergleich zum Rest der Bevölkerung? Welche Chancen und Möglichkeiten haben sie? Wie sieht Armut in der Schweiz aus? Sie ist versteckt. Wir haben aber Menschen, die mit sehr knappen Mitteln durchkommen müssen, Menschen, die nicht die gleichen Möglichkeiten haben wie der Rest der Bevölkerung. Es ist eine Armut, die sich auch in verminderten Chancen der Kinder ausdrückt, in einer dauernden Unsicherheit, was der nächste Tag bringt. Wer arm ist, gilt als Versager, die Schuld wird bei ihm gesehen. Darum ziehen sich Arme eher zurück. Oft hört man: Im Vergleich zu Menschen, die verhungern, ist Armut bei uns ein Luxusproblem. Wenn man nirgends dazugehört, nur Ablehnung erfährt, sich zum hundertsten Mal auf einen Job bewirbt und keine Chance erhält, wenn man im Ämterdschungel mit seinen Anträgen nicht durchkommt, wenn selbstverständlich erwartet wird, dass man eine Zahnarztrechnung oder Schulden bezahlt – das sind keine Luxusprobleme. Wer Armut verharmlost, hat diese Erfahrung selber nie gemacht.
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Armut ist in der Schweiz also versteckt. Die Sozialhilfe hingegen steht regelmässig in den Schlagzeilen. Ein Widerspruch? Die Sozialhilfe steht im Schaufenster, weil exemplarisch die Frage zu beantworten ist: Wie viel Solidarität, wie viel Steuergelder soll die Gemeinschaft für Armutsbetroffene aufbringen? Und das ist eine Frage, die immer strittiger geworden ist in den letzten 20 Jahren. Was hat sich verändert? Der Druck auf die Armutsbetroffenen, die Auflagen, die Erwartungen, wie sie sich verhalten sollen: All das ist nicht neu. Ich glaube aber, in den letzten Jahren hat eine politische Polarisierung und Ideologisierung stattgefunden. Die Schuld wird beim Individuum gesehen, wenn es in Armut lebt. Die Stimmen, die daran erinnern, dass es auch strukturelle Ursachen von Armut gibt – wie die Konjunktur, das Bildungsniveau, die Schulchancen –, sind sehr leise geworden. Haben Sie eine Erklärung dafür? Das muss man in einem gesamtpolitischen Kontext sehen. Früher hat man sehr vieles der Gesellschaft zugeschrieben. Zu viel? Ja. Man hat bei einem individuellen Scheitern gleich ein gesellschaftliches Grundversagen gesehen und das Individuum völlig in Schutz genommen. Jetzt ist das Pendel auf die andere Seite ausgeschlagen – nicht nur bei der Armut. Beim Umgang mit Migrantinnen und Migranten läuft es ähnlich. Wie hat sich der Wandel auf die soziale Arbeit ausgewirkt? Der ideologische Diskurs hatte interessanterweise nur beschränkt Einfluss auf die Praxis. Es ist immer noch so: Man hat es konkret mit SURPRISE 325/14
Fällen von Menschen zu tun, die bedürftig sind. Diese Fälle klärt man ab und beschliesst Massnahmen. Das ist nicht anders als vor 100 Jahren.
Haben Sie den Eindruck, dass seit der Einführung der Detektive das Vertrauen in die Sozialhilfe als Institution zugenommen hat? Ich glaube, es hat eine gewisse Entlastung gebracht. In der Bevölkerung ist eine gewisse Beruhigung eingetreten im Sinne der Feststellung: Die tun etwas.
Aber der Spielraum ist kleiner geworden? Die Betroffenen müssen heute viel stärker begründen, warum sie bedürftig sind. Es ist eine Zero-Tolerance-Politik aufgekommen, die den Handlungsspielraum der Sozialarbeiter stark einschränkt. Wann immer ein skandalträchti«Früher hat man das Individuum völlig in Schutz genommen. ger Fall auftaucht, kommt der Ruf nach einer Jetzt hat das Pendel auf die andere Seite ausgeschlagen.» Regelung. Dann wird etwas reglementiert, das bisher nach gesundem Ermessen entschieden Können Sie die kritische Haltung der Politik gegenüber der Sowerden konnte. Aber man will sich absichern gegen Vorwürfe. Diese Tenzialhilfe nachvollziehen? denz ist nachteilig für die Sozialhilfe, denn diese büsst ihre grosse StärIch verstehe, dass Politiker nicht einfach die Hände in den Schoss leke der individuell bezogenen Hilfe ein. Und die Sozialarbeiter trauen sich gen können, wenn krasse Missbrauchsfälle publik werden. Aber die nicht, ihren ohnehin schon schwindenden Ermessensspielraum auszuganze Missbrauchsdebatte dahinter ist ideologisch überlagert. Sie ist nutzen, weil sie Angst haben, etwas falsch zu machen. Teil einer Strategie, die in verschiedenen Bereichen beobachtet werden kann und nach dem Muster abläuft: diffamieren – diskreditieren – disEin Beispiel dafür ist die Einführung von Sozialdetektiven. Warum kriminieren. Zuerst wird Misstrauen gesät. Wenn das Bild geschaffen hat die Skos unter Ihrer Leitung diesem Begehren aus der Politik wurde, dass diese Leute Schmarotzer sind, dann werden als Zweites die nachgegeben? Institutionen diskreditiert, die mit ihnen zu tun haben: Sozialarbeiter, Erst hatten wir uns dagegen gewehrt, weil wir den Eindruck hatten, Sozialämter und so weiter. Wenn das erreicht ist, kann man in einem dass damit ein Generalverdacht ausgesprochen wird. Dass die Sozialardritten Schritt die betroffene Bevölkerungsgruppe diskriminieren. Mit beiterin und der Sozialarbeiter diskreditiert werden, weil man ihnen den Behinderten und den Asylsuchenden läuft es genau gleich. nicht zutraut, die Fälle selbst zu lösen. Wir waren auch der Ansicht, dass die Missbrauchsfälle in ihrem Umfang massiv überschätzt werden. Ein konzertierter Angriff auf die Sozialhilfe? Wir mussten aber einsehen, dass der Legitimationsdruck hoch ist und Wie stark das strategisch durchdacht ist, weiss ich nicht. Ich sage die Politik die Sozialdetektive will. Gleichzeitig erkannten wir aber auch nicht, dass immer eine böse Absicht dahintersteckt. Viele Einwänauch, dass diese punktuell eine sinnvolle Unterstützung sein können. de sind durchaus berechtigt und sinnvoll. Aber hinter dem beschrieWichtig ist einfach, dass die Grundrechte der Armutsbetroffenen gebenen Vorgehen steckt eine Logik, die ich erst im Nachhinein erkannt wahrt werden und die Sozialbehörden das Heft in der Hand behalten. SURPRISE 325/14
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habe. Im SVP-Parteiprogramm steht zum Beispiel klipp und klar, dass sie den Standard der Sozialhilfe absenken wollen, Punkt. Es kann also niemand behaupten, er habe es nicht gewusst. Wie gross war denn das Ausmass der Missbrauchsfälle in der Sozialhilfe tatsächlich? Wir gingen immer von drei bis fünf Prozent der Fälle aus. Aber die Frage ist, wo Missbrauch überhaupt anfängt. Sozialhilfemissbrauch gibt es nicht als rechtlichen Begriff, das kann man gar nicht genau quantifizieren. Aber unabhängig von der Zahl muss man sich der Missbrauchsdebatte stellen, denn das Entscheidende ist: Soziale Sicherungssysteme funktionieren nur, wenn die Menschen Vertrauen darin haben. Die Empörung ist immer gross, wenn ein Missbrauchsfall bekannt wird. Über die Leistungen der Sozialhilfe wird aber selten geredet. Das kann ich wegstecken. Was mir Sorgen bereitet: Die Sozialhilfe hat heute auf politischer Ebene niemanden, der sie wirklich verteidigt. Das schwächt das gesamte gesellschaftliche System. Die politische Rechte attackiert die Sozialhilfe sehr heftig, und die Linke verteidigt sie fast gar nicht. Weshalb nicht? Die Linke setzt sich traditionell für die Sozialversicherungen ein, die AHV, die IV, die Arbeitslosenversicherung. Die Sozialhilfe dagegen ist für sie ein notwendiges Übel. Zudem ist die Sozialhilfe föderalistisch organisiert und deshalb kein national wirksames Thema. Darum hält sich der Bund zurück, obwohl er durchaus auch einmal etwas zur Sozialhilfe sagen könnte. Die Skos, die als Fachverband Richtlinien herausgibt und Normierungsarbeit leistet, kommt deshalb in die Rolle hinein, dass sie die Sozialhilfe verteidigen muss. Schiebt die Politik die Verantwortung für die Sozialhilfe nicht noch so gern auf einen privaten Verein wie die Skos ab? Bequem ist es auf jeden Fall. Man kann auf die Skos-Richtlinien verweisen und muss sie nicht selber entwickeln. Man kann sagen: Es passt uns zwar nicht so, was dort drin steht, aber wir übernehmen die jetzt, wir haben ja nichts anderes. Wenn eine Regierung solche Richtlinien selbständig entwickeln müsste, gäbe das in jedem Kanton eine Riesendebatte.
Kann man Sozialhilfeempfänger mit finanziellen Anreizen dazu bringen, eine Arbeit zu finden? Finanzielle Anreize sind sicher wirksam. Aber vermutlich werden sie überschätzt und die innere Motivation der Leute zum Arbeiten unterschätzt. In Zürich hatten wir in den Neunzigerjahren in den Arbeitsprogrammen bei Weitem nicht genug Plätze für alle, die arbeiten wollten. Jeden Tag wurde neu ausgelost, wer einen Platz bekam.
«Wir wollen die Leute nicht einfach auszahlen und fertig. Wie würde es aussehen, wenn das Volk direkt über die Höhe der Sozialhilfe entAktivierender statt versorgender Sozialstaat: Dem kann ich scheiden würde? schon etwas abgewinnen.» Ich fürchte die Volksmeinung nicht. Vielleicht wäre es sogar gut, wenn das Thema einDer maximale Freibetrag für einen Zusatzverdienst liegt laut mal im Rahmen einer Abstimmung diskutiert würde. Im Kanton Zürich Skos-Richtlinien bei 700 Franken. Das gewährt aber praktisch beispielsweise wurde ein neues Sozialhilfegesetz, das unter anderem keine Gemeinde. Surprise-Verkäufer erreichen das Limit oft die Skos-Richtlinien gesetzlich verankert, mit einer komfortablen Mehrschon nach kurzer Zeit, danach lohnt sich das Verkaufen nicht heit angenommen. mehr. Sind da die Anreize nicht falsch gesetzt? Dass sie eine obere Limite haben, an die sie schnell stossen, das finde Unter Ihrem Präsidium wurde 2005 ein System der finanziellen Anich für den Einzelnen auch schwierig. Die Krux ist: Man möchte auf der reize in die Skos-Richtlinien aufgenommen. Wie lautet Ihr Fazit? einen Seite Einkommensfreibeträge gerne erhöhen, kommt aber bald an Es war damals klar – und ist es bis heute –, dass in ein soziales Sidie Grenze, wo sich die Leute sagen: Mit Sozialhilfe bin ich besser dran, cherungssystem leistungsbezogene Elemente eingeführt werden müsals wenn ich noch mehr arbeite. Man muss eben den Abstand mit in den sen. Hinzu kommt der Integrationsauftrag: Wir wollen die Leute nicht Blick nehmen zu jenen, die nicht in der Sozialhilfe sind und arbeiten. einfach auszahlen und fertig. Aktivierender statt versorgender Sozialstaat: Dem kann ich schon etwas abgewinnen. Solidarität heisst für Wo sehen Sie diese Grenze? mich, dass für gemeinsame Ziele alle ihren möglichen Beitrag leisten. Die Freibeträge, die man bei 400 bis 700 Franken festgelegt hat, waIch finde, man kann und muss Eigenverantwortung zum Thema maren natürlich Kompromisse. Ich habe bei der Aushandlung sehr für diechen. Die Frage ist, was Menschen brauchen, damit sie diese wahrnehse 700 Franken plädiert und mich dann gewundert, dass verschiedene men können. 12
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Kantone, die lautstark nach Anreizen gerufen haben, dann doch das Wagnis nicht eingegangen sind, 700 Franken zu gewähren.
«Man hat nicht gesehen, dass ein Drittel der Sozialhilfeempfänger sowieso schon arbeitet, dabei aber einfach zu wenig verdient.»
Das finanzielle Anreizsystem hat also die Erwartungen enttäuscht? Die quantitativen Erwartungen ganz bestimmt. Man glaubte, damit ganz viele in den Arbeitsprozess zurückbringen zu können. Man hat nicht gesehen, dass ein Drittel der Sozialhilfeempfänger sowieso schon arbeitet, dabei aber einfach zu wenig verdient. Und man hat auch nicht gesehen, dass über ein Drittel überhaupt nicht mehr in der Lage ist zu arbeiten. Was sind die Gründe dafür? Das sind Leute, bei denen es für eine IV nicht reicht, die aber psychisch so am Rand sind, dass sie kein Arbeitgeber mehr einstellt. Oder Leute, die keine Stelle mehr finden, weil sie zu starke Defizite punkto Sprache und Integration haben oder bald pensioniert werden. Der Arbeitsmarkt hat sich natürlich auch verändert, das ist die strukturelle Seite. Viele Leute mit eingeschränkten Möglichkeiten, die früher eine Stelle hatten, finden nun keine mehr. Viele von ihnen sind auch in der IV gelandet: Der Südeuropäer, der nach 30 Jahren noch kein Deutsch konnte und einen Rückenschaden hatte, landete nicht bei uns in der Sozialhilfe, sondern bei der IV. Und wenn er keinen Rückenschaden hatte? Dann konstruierte man einen, im Einvernehmen mit allen: Ärzten, Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern. Da muss man sich nichts vormachen. Es gab eine starke Tendenz bei den Arbeitgebern, die Leute in die IV abzuschieben, insbesondere bei staatlichen Betrieben. Die gleichen Leute, die sich für einen Abbau des Sozialstaats einsetzen, sind auch gegen den Mindestlohn. Wie geht das auf? Der Mindestlohn ist eine schwierige Frage. Wir von der Skos haben es nicht einfach, uns hier zu positionieren. Denn wenn weiter Arbeitsplätze wegrationalisiert werden, weil sie zu teuer sind, verschwinden auch Nischen, die allenfalls unseren Leuten zugutekämen. Ich erwarte nicht, dass eine Firma den Lebensunterhalt für die Familie eines
schlecht qualifizierten Arbeiters mit einem einzigen Lohn deckt. Das kann man einer Firma nicht zumuten. Man muss unterscheiden zwischen dem Leistungslohn und dem Bedarf einer Familie. Ist der schlecht Qualifizierte mit drei Kindern also selber schuld, dass er mehr Kinder hat, als er sich leisten kann? Nein, das sage ich nicht. Ein einzelner niedriger Lohn reicht einfach nicht, Schluss, fertig. Daran ist niemand schuld, das ist ein Faktum. Die Frage ist, wie ein Sozialstaat damit umgeht. Kann er die Arbeitgeber dazu verpflichten, einen Lohn in der Höhe des Bedarfs zu zahlen, 5000, 6000 Franken? Sicher nicht. Dann bleibt nur die Kompensation durch Sozialleistungen für einkommensschwache Familien. Und die sind in der Schweiz schwach ausgestaltet. Als der Begriff in der Debatte abschätzig verwendet wurde, haben Sie sich öffentlich zum Gutmenschentum bekannt. Sind Sie ein Gutmensch? Nein. Ich arbeite seit 25 Jahren in Führungspositionen, da hatte ich durchaus auch meine eigenen Interessen. Wenn Gutmensch aber bedeutet, dass einer Positionen vertritt, die wichtig sind für die Gesellschaft und an eine positive Entwicklung glaubt, dann stehe ich zu dieser Bezeichnung. Wenn die Sozialhilfe unter Beschuss geriet, mussten Sie hinstehen. Sie sagten jeweils, es gehöre zu Ihrem Job, dass sie ruhig bleiben. Werden wir Sie in Zukunft etwas lauter erleben? (Lacht) In der professionellen Kommunikation muss man sich immer seiner eigenen Rolle bewusst sein, damit man etwas erreicht. Ich hätte aber durchaus gerne mal etwas lauter ausgerufen, gerade bei Themen wie dem Wohlstandsgefälle, der Steuergerechtigkeit oder der einseitigen Schuldzuweisung an die Armutsbetroffenen. Das könnte in Zukunft durchaus passieren. ■ Walter Schmid, 61, ist Jurist und Rechtsanwalt. Seine Karriere führte ihn von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe über das Zürcher Amt für Jugend- und Sozialhilfe und die Solidaritätsstiftung des Bundesrates an die Schule für Soziale Arbeit in Luzern, deren Rektor er seit 2003 ist. Von 1999 bis im Mai 2014 war Schmid nebenamtlich Präsident der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe. Am 22. Mai wird bekannt, wer seine Nachfolge antritt.
Beispiele für Einkommensfreibeträge 2000
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+ 600 + 500 + 400
1000 986
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Stadt Bern
Kanton Uri
Stadt Zürich
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Monatlicher Freibetrag in CHF. Monatlicher Grundbedarf für den Lebensunterhalt für eine Einzelperson in CHF. SURPRISE 325/14
Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe Skos ist ein privater Fachverband, in dem unter anderem Vertreter von Bund, Kantonen und Gemeinden sitzen. Die Skos gibt die Richtlinien zur Bemessung der Sozialhilfe heraus, dazu gehören auch ein Anreizsystem und Beschäftigungsprogramme. Die Richtlinien sind juristisch nicht bindend, werden aber von den meisten Schweizer Gemeinden übernommen. Die Sozialhilfe ist als vorübergehende Überbrückung für Menschen in finanzieller Not gedacht. Mit der Auslagerung niedrig qualifizierter Arbeit landen jedoch immer mehr Menschen in der Sozialhilfe, die dauerhaft auf Hilfe angewiesen sind. In den letzten Jahren gerieten die Sozialhilfe und die Skos unter Druck. Fälle von unkooperativen Sozialhilfebezügern machten Schlagzeilen und führten dazu, dass die Gemeinden Rorschach, Dübendorf ZH und Berikon 2013 aus der Skos ausgetreten sind. Und im September 2013 hat der Kanton Bern eine generelle Kürzung der Sozialhilfe um zehn Prozent beschlossen. (fer)
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Körperkult Pumpende Weltverbesserer Sie sind gegen Massentierhaltung und für eine gerechtere Welt: Vegane Bodybuilder mischen die Fitness-Szene auf.
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VON SERAINA KOBLER
Möglichkeiten: mitdopen oder drogenfrei auf einem der hinteren Plätze landen. Deshalb bleiben die natürlichen Muskelpakete unter sich. Der German Natural Bodybuilding & Fitness e.V., gegründet 2003, zitiert auf seiner Website Schopenhauer statt Schwarzenegger: «Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.» Wer an Natural-Bodybuilding-Wettbewerben teilnehmen will, muss zuvor Urin- und Blutproben abgeben und sich einem Test am Lügendetektor unterziehen. Letztes Jahr stemmte sich der Bieler Informatiker Eder Oliveira quasi über Nacht vom Niemand zum Weltmeister im Natural Bodybuilding. Der Weg dazu: dreimal täglich 90 Minuten Training und eine strikte Aufbau-Diät. Danach habe er sich erstmal «ein 400Gramm-Steak mit Pommes» reingehauen. Und es geht noch puristischer: In Berlin Friedrichshain eröffnete anfangs April das erste vegane Fitnessstudio Deutschlands. Wer dort trainiert, verzichtet auf alles, was vom Tier kommt. Isst weder Fleisch noch
«Ich habe Orgasmen im Fitnessstudio und zuhause mit meiner Freundin. Ich komme Tag und Nacht. Ich bin im Himmel.» Arnold Schwarzenegger war 28 Jahre alt, als er das in einem Dokumentarfilm sagte. «Pumping Iron» aus dem Jahr 1977 gilt als Kultfilm der BodybuildingSzene. 85 Minuten Muskelberge und Gestöhne. Mehrmals am Tag trainierte und zeigte sich der junge Schwarzenegger am «Muscle Beach». Das eigentliche Freiluft-Trainingszentrum am Strand im kalifornischen Santa Monica ist der Geburtsort des modernen Fitnesswahns. Und eine grosse Bühne: Auf der anderen Seite des Gitterzauns bewunderten Passanten das Spiel der von der kalifornischen Sonne gebräunten Muskeln. Eine grosse Show. «Erst wenn es wehtut, bei den letzten zwei, drei Wiederholungen, wachsen deine Muskeln. Wenn Du nicht bereit bist, durch diese Schmerzbarriere zu gehen, dann vergiss es», bringt Schwarzenegger das Ethos des MuskelKarl Ess ist Deutschlands populärster Fitness-Youtuber. Er hat kultes auf den Punkt: eiserner Wille für einen gegen 330 000 Fans auf Facebook – fast so viele wie die «Tagesgestählten Körper. Mit Disziplin wird man zur schau» der ARD. lebenden Skulptur. Aber nicht nur. Den Athleten war fast jedes Mittel recht, um ihren Bizeps Fisch noch Käse, trinkt keine Milch, trägt kein Leder. Die Verpflegung im aufzupumpen. Anabole Steroide, synthetische Stoffe, die Testosteron Fitnesstudio ist komplett vegan. ähneln, steigern die Proteinsynthese in den Muskelzellen. Wachstumshormone stimulieren das Muskelwachstum. Ab einer bestimmten Stufe Frühstück: Shake aus 100 g Haferflocken, 30 g Trockenfrüchten, 600 ml geht es ohne Doping nicht mehr weiter. Sojamilch, wenig Kakaopulver; 645 kcal, 33 g Protein, 16 g Fett Über die Jahre kommt es immer wieder zu Todesfällen unter den Bodybuildern. Bei manchen findet man im Blut Wachstumshormone in Vorreiter wie der deutsch-türkische Koch Attila Hildmann (siehe Bild Konzentrationen, die zehnmal so hoch sind wie das, was ein Arzt einem linke Seite) oder der Strongman und Weltrekordhalter Patrik BaboumiPatienten verschreiben würde. an haben die vegane Bodybuilding- und Fitnesszene einem breiten PuNatürlich verlassen sich die Anhänger des extremen Körperkultes blikum bekannt gemacht. Beide haben ein Hochschulstudium, ernähren auch weiterhin nicht auf die Natur allein. Fast jeden Tag bleiben am sich vegan und haben hohe moralische Ansprüche an sich selbst und ihSchweizer Zoll Sendungen mit Anabolika hängen. Sie sind nach Viagra re Konsumgewohnheiten. Und sie haben Muskeln. Richtig viel Muskeln. und Schlankheitspillen die am meisten illegal eingeführten MedikamenBaboumian, der unser Titelbild ziert und der offiziell stärkste Mann te. Nicht Profisportler, sondern vor allem Jugendliche seien die AbnehDeutschlands ist, sagt: «Wir als Athleten sind in einer ähnlichen Situamer, schätzt die Agentur Antidoping Schweiz. tion wie ein Baby oder Kleinkind. Wir brauchen Baumaterial zum Wachsen.» Seine Nahrung sei pflanzlich. «Die stärksten Tiere sind PflanSchopenhauer statt Schwarzenegger zenfresser: Elefanten, Gorillas und ich», liess er sich für eine PlakatDer Trend aber geht in die andere Richtung. Die neuste Generation kampagne der Tierschutzorganisation Peta zitieren. von Bodybuildern will mit Doping nichts zu tun haben. Die Swiss NaBaboumian macht seit 20 Jahren Kraftsport, hat Psychologie studiert tural Bodybuilding and Fitness Federation wurde 1997 als eine Art und ernährt sich seit vielen Jahren vegetarisch. Durch seine Präsenz in Gegenbewegung gegründet. Doping sei in den meisten Verbänden omnider Öffentlichkeit sei ihm klar geworden, dass er den letzten Schritt in präsent, heisst es auf der Website. Athleten hätten dort genau zwei SURPRISE 325/14
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die vegane Lebensweise tun müsse, um seinen eigenen Prinzipien zu genügen. Das war vor drei Jahren. Und er teilt seine Überzeugung gerne mit anderen. «Eier: Echte Männer müssen sie nicht von Vögeln klauen», postete er zu Ostern auf seiner Facebook-Fanpage. Zwischenmahlzeit: Sauerteigbrot bestrichen mit Mandelmus, dazu 4 dl Super-Smoothie; 330 kcal, 11 g Protein, 11 g Fett Auch Attila Hildmann wirbt eifrig für vegane Ernährung kombiniert mit diszipliniertem Training. Hildmann ist die Galionsfigur der jungen und hippen veganen Bewegung in Deutschland. In den letzten zwei Jahren hat er über eine halbe Million Kochbücher verkauft. Und nach langhaarigen Aussteigern riecht hier gar nichts mehr: Das System Hildmann funktioniert nach einem «Challenge»-Prinzip. Hildmann mischt narzisstische Motive mit veganer Lebensweise, ganz nach dem Motto: vitaler, fitter, jünger – und dabei Gutes tun. «Es geht um eine messbare Verjüngung innerhalb von nur 60 Tagen», sagt Hildmann, alles sei wissenschaftlich nachgewiesen. Auf Internet-Foren posten unzählige «Challenger» ihre Vorher-Nachher-Bilder.
Die «Muskelshirt und Eisen»-Ästhetik …
Mittagessen: Vollkornnudeln mit Tofu, Pilzen und Gemüse; 557 kcal, 33 g Protein, 13 g Fett Hildmann war früher selbst übergewichtig. Er wog 105 Kilogramm bei einer Grösse von 1,78 Zentimetern. «Mein Vater starb vor meinen Augen an einem Herzinfarkt, als ich 19 Jahre alt war», sagt er im Interview. Dieses Ereignis habe ihn emotional stark mitgenommen. Der Physikstudent begann sich mit Ernährung zu beschäftigen. Änderte seine Essgewohnheiten, verzichtete auf alle tierischen Inhaltsstoffe und begann, intensiv zu trainieren. Über die Jahre seien weitere Aspekte hinzugekommen: Klimawandel, Umweltzerstörung, Massentierhaltung. Nachmittagssnack: Gemischter Salat mit Gemüse, Nüssen, Samen, roten Bohnen mit Sauce aus Sojajoghurt, Öl, Essig und Gewürzen; 403 kcal, 20 g Protein, 25 g Fett
… bedienen Karl Ess (rechts) und seine Anhänger perfekt.
Auf Recherche für seine Kochbücher reiste Die einen vermischen Eitelkeit mit Gesundheit. Andere nutzen die Hildmann in ferne Welten. Er besuchte sehr ganze Palette der modernen Medizin. Bleibt die grosse Frage alte und vegan lebende Mönche im japaninach dem Warum. schen Kyoto und vitale Mammas im italienischen Campodimele, dem Dorf der Hundertjährigen. Heute fehle ihm nichts. «Kulinarisch komme ich komplett auf Abendessen: Vollreis mit Tofu und Gemüse; 557 kcal, 33 g Protein, 13 g Fett meine Kosten», sagt Hildmann. Er könne schlemmen ohne schlechtes Gewissen. Und ohne das zwanghafte Verlangen, Sport machen zu müsDie Muscle-Beach-Attitüde eines Arnold Schwarzenegger hat aber sen, weil er dieses oder jenes Fastfood-Menü gegessen habe. Nebenbei durchaus ihren Platz bei den pumpenden Veganern. Karl Ess bedient die nimmt er am Ironman teil und hat sich einen Waschbrettbauch antrai«Muskelshirt und Eisen-Ästhetik» perfekt: Er ist 1,83 gross, 90 Kiloniert. gramm schwer und sein Körperfettanteil liegt knapp unter 10 Prozent. Sein Bizeps-Umfang misst 45 Zentimeter. Ess ist Deutschlands populärsZwischensnack: Shake, bestehend aus 35 g Sojaprotein, 20 g Glucose und ter Fitness-Youtuber. Er hat gegen 330 000 Fans auf Facebook – fast so 20 g Maltodextrin; 280 kcal, 30 g Protein, 0 g Fett viele wie die «Tagesschau» der ARD. In seinem Blog zeigt er, dass veganes Bodybuilding auch eine sehr Patrik Baboumian ist vor allem als Strongman bekannt. Als Krafttheoretische Angelegenheit ist. Chemisches und biologisches Grundmensch, der seine Stärke in verschiedenen Vergleichen unter Beweis wissen sowie penibelste Essenspläne sind Pflicht. «Man muss einen stellt: Bratpfanneneinrollen oder Telefonbuchzerreissen sind zwei DisziPlan machen und ihn dann durchexerzieren», predigt Ess im Video. Der plinen. Bis ins 20. Jahrhundert hinein dienten die Kraftdemonstrationen Lohn: ein Lifestyle, hinter dem man «stehen kann» und der vor «Zivilials Attraktionen auf Jahrmärkten. Später wurden die Showeinlagen im sationskrankheiten» schütze. Fernsehen gezeigt. Heute ist Strongman eine eigenständige Sportart mit Wettbewerben und festen Regeln. «Müssen wir wirklich töten, um zu leGute-Nacht-Shake: 200 ml Sojamilch, 100 ml Wasser, 20 g Reisprotein, ben?», fragt Baboumian in einem Youtube-Clip. Er sitzt dabei in einem 1 EL Leinöl; 227 kcal, 22 g Protein, 13 g Fett Wald, geht über Felder, Klaviermusik im Hintergrund. Stärke verursache Leid und Tod. Wie die Menschheit damit umgehe, bestimme über ihre Der moderne Fitness-Wahn hat sich seit den Siebzigerjahren in unZukunft. Wahre Stärke sei, Schwäche nicht als Schwäche zu sehen. Seizähligen Formen und Facetten weiterentwickelt. Die einen vermischen ne Stärke sei sein Mitgefühl. Eitelkeit mit Gesundheit. Andere nutzen die ganze Palette der modernen
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kontrolle und Leistungsfähigkeit. Hinzu kommen noch Jugendlichkeit Medizin. Bleibt die grosse Frage nach dem Warum. Der Frankfurter und Natürlichkeit, welche ebenfalls im aktuellen Schönheitsideal ihren Sportsoziologe Robert Gugutzer beschäftigt sich mit Körperkulturprakkörperlichen Niederschlag finden würden. tiken. Er beobachtet in den letzten Jahren eine Ausweitung des Körperbewusstseins – über alle Bevölkerungsgruppen hinweg, unabhängig von Weniger Wachstum ist mehr Wachstum Alter, Bildungsniveau oder Geschlecht. «Im Grossen und Ganzen wird «Der Mode entkommt man nicht. Denn auch wenn Mode aus der MoKörperkult noch immer kritisch gesehen», sagt Gugutzer im Gespräch. de kommt, ist das schon wieder Mode», sagte Karl Lagerfeld. Einerseits Zumindest in den Feuilletons und in der Wissenschaft. Die Kritik gelte hier aber eher den grossen Eingriffen wie der Schönheitschirurgie oder der «Body ModificaAlkohol, Nikotin und tierisches Protein: Die Sportler sind zum tion» wie Schmucknarben, Implantaten oder Verzicht bereit. Damit bewegen sie sich in einem prototypischen Piercings. Kleinere Ästhetisierungspraktiken Bereich von Ästhetik und Askese. wie etwa ein Tattoo seien dagegen gesellschaftlich relativ akzeptiert. Grund dafür sei treiben Modeerscheinungen unsere Wirtschaft an. Immer exklusivere auch die Berichterstattung in den Medien. «Wir haben uns dran geEssenstrends. Kleidungsstücke, die nach zweimal Tragen wieder in die wöhnt, dass Menschen ihren Körper auf alle nur erdenkliche Weise verKleidersammlung wandern. Technische Geräte, die nicht länger halten schönern wollen», sagt Gugutzer. sollen als 18 Monate. Andererseits kann die Wiederentdeckung vergessener Eigenschaften Ästhetik und Askese zum Trend werden: Verzicht, Konzentration auf ein Ziel, Genügsamkeit Das Schönheitsideal, welches Bodybuilder anstreben, sei hart erarund Stärke sind die Schlüssel zum Erfolg der veganen Athleten. Nicht beitet. Alkohol, Nikotin und tierisches Protein: Die Sportler sind zum weil sie müssen. Sondern weil sie wollen. Ihr Erfolg zeigt, dass viele Verzicht bereit. Damit bewegten sie sich in einem prototypischen BeMenschen der Wachstumsmaschinerie überdrüssig sind. Sie investieren reich von Ästhetik und Askese. Dass Menschen ihren Körper formen, lieber in das Wachstum ihrer Muskeln als in ihre Kaufkraft. Oder wie um einem ästhetischen Idealbild nahezukommen, findet Gugutzer nicht schon der junge Arnold Schwarzenegger feststellte: Die besten Dinge verwerflich. Schlankheit sei nicht naturgegeben. Dafür müsse man diskönnen wir uns selbst schenken. zipliniert sein. Den inneren Schweinehund überwinden. Sport treiben. ■ Man müsse seine Ernährung kontrollieren und Verzicht üben. Damit symbolisiere man hoch anerkannte Werte unserer Zeit: Disziplin, SelbstDie Rezepte im Text stammen von: veganstrength.de
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Natur «Nur der Mensch bekämpft sich selbst» Im Namen des Artenschutzes werden fremde Pflanzen bekämpft, die einheimische verdrängen. Für Matthias Baltisberger, Professor für Botanik an der ETH, hat das mit Naturschutz nichts zu tun. Ein Gespräch über das Wesen der Natur – und die Rolle des Menschen darin.
VON STEFAN MICHEL (INTERVIEW) UND PHILIPP BAER (BILD)
Fremde Wesen bedrohen die Einheimischen, nehmen ihnen Futter und Platz. Wird nichts unternommen, verlieren die Alteingesessenen ihren Platz an der Sonne an die Neuankömmlinge. Das ist nicht die Tirade eines rückwärtsgewandten Fremdenhassers. Das ist die Meinung der Mehrheit, wenn es um die Artenvielfalt in der Schweiz geht. Der Grund: Seit Jahrhunderten verschleppen Menschen Pflanzen von einem Kontinent auf den anderen – meist als Garten- und Ziergewächs. Einzelne von ihnen haben den Weg in die Freiheit gefunden und fühlen sich im Schweizer Klima so wohl, dass sie einheimische Pflanzen zu verdrängen beginnen. Die Fachwelt nennt die grünen Eindringlinge invasive Neophyten. Rund 350 Pflanzenarten in der Schweiz gelten als gebietsfremd. Das heisst, sie wurden nach 1492 – nachdem Christoph Kolumbus aus Versehen auf dem amerikanischen Kontinent landete – in die Schweiz eingeführt. Die meisten Neophyten stören kaum – im Gegenteil: Was wäre
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die Schweizer Küche etwa ohne Mais und Kartoffeln? Rund ein Zehntel der gebietsfremden Pflanzen sorgt jedoch für Probleme: Sie dominieren Lebensräume und verdrängen einheimische Arten. Einzelne wie der Japanknöterich destabilisieren zudem Böschungen und Bauwerke. Andere gefährden die Gesundheit, etwa der Riesenbärenklau, der auf Menschenhaut schwere Verbrennungen hinterlässt. Bund und Kantone sind sich einig: Invasive Neophyten müssen bekämpft und daran gehindert werden, sich weiter auszubreiten. Ausrotten lassen sie sich längst nicht mehr, das wissen die Neophyten-Verantwortlichen der Kantone am besten. Gerade in Naturschutzgebieten, etwa aufwendig rekonstruierten Auenwäldern, lässt man Zivildienst-Trupps in wochenlanger Handarbeit Pflanze für Pflanze ausreissen oder baggert sie kurzerhand aus. Die Neophyten-belastete Erde muss wie Sondermüll entsorgt werden. Da fragen sich nicht nur Romantiker, was das mit Umweltschutz zu tun hat. Eine eindeutige Antwort darauf hat Matthias Baltisberger, Professor für Botanik an der ETH. Was ihn eher stört als die invasiven Pflanzen: die einseitige Sichtweise des Menschen. SURPRISE 325/14
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Herr Baltisberger, Sie lehren systematische Biologie. Worum geht es da? Einfach gesagt, um die Namen der Pflanzen. Unter Systematik versteht man aber nicht nur die Namen, sondern die gesamten Informationen zu einem Organismus: seine Eigenschaften, Ökologie, Verbreitung und – für mich besonders spannend – seine Entstehung, also seine Evolution. Warum gibt es eine solche Vielfalt an Arten und nicht bloss eine? Erstens herrschen nicht überall die gleichen Bedingungen. Und zweitens gibt es eine treibende Kraft: die Mutationen, also Veränderungen im Erbgut eines Lebewesens. Wie hängen die Selektion und das Verschwinden von Arten mit der Entstehung neuer Arten zusammen? Das Verschwinden ist für uns Menschen der negative Aspekt. Aber damit etwas Neues entstehen kann, muss oft etwas verschwinden, denn der Platz ist nicht unendlich. Die Selektion ist die treibende Kraft, die ausliest, welche Mutationen sinnvoll sind und dem Organismus nützen und welche nicht. Natürlich muss nicht für jede neue Art eine alte verschwinden. Wenn aber eine Art unfähig ist, mit der Umwelt umzugehen oder sich den Platz mit anderen zu teilen, dann stirbt sie aus. Die Bekämpfung von Neophyten legitimiert man mit dem Schutz der Schweizer Artenvielfalt. Was ist dagegen einzuwenden? Es kommt drauf an, was man schützen will. Es ist nichts dagegen einzuwenden, die Landschaft und die hoch strukturierte Landwirtschaft zu schützen, weil die Menschen sie schön finden. Mich stört, wenn man behauptet, man schütze damit die Natur. Mit Naturschutz hat das nichts zu tun.
Geschwindigkeit und über riesige Distanzen tut. Hinzu kommt, dass es der Mensch als einziger Organismus geschafft hat, die Selektionskriterien für seine eigene Art zu eliminieren. Was bedeutet das? Das ist ein heikles Thema, aber in der Natur gibt es viel weniger Unterschiede innerhalb einer Art als beim Menschen, weil viele Mutationen nicht überleben und weil störende Elemente von der eigenen Population aktiv ausgemerzt werden. Das macht der Mensch nicht. Ist in der Schweiz noch etwas natürlich, also nicht vom Menschen beeinflusst? Wenn wir indirekte Beeinflussung wie etwa Übersäuerung durch Regen weglassen, dann gibt es oberhalb der Baumgrenze viele Standorte, die der Mensch nicht oder kaum verändert hat: Felswände, Schutthalden, Abhänge, die zu steil für die Bewirtschaftung sind. Das Tiefland aber war praktisch vollständig bewaldet, abgesehen von den Gewässern und ein paar extrem trockenen Gebieten am Jurasüdfuss. Überall, wo heute kein Wald ist, war der Mensch am Werk. Können Sie sagen, wie viele einheimische Pflanzen in der Schweiz wie vielen gebietsfremden gegenüberstehen? Von vielen Pflanzen weiss man, wie lange sie schon hier sind, von den meisten aber nicht. Ob etwas einheimisch ist, kommt auch auf den Zeithorizont an. Die Römer haben vor 2000 Jahren den Walnussbaum und die Edelkastanie eingeführt. Die waren aber vor den Eiszeiten schon einmal heimisch in der Schweiz und sind dann ausgestorben. Sind sie nun einheimisch oder nicht? Das sind spannende Fragen, denen ich gerne nachgehe. Aber sie sind nicht relevant. Relevant ist, was sichtbare Veränderungen in der Pflanzenwelt verursacht.
Wie würde die Schweizer Pflanzenlandschaft aussehen, wenn der Ganz besonders scheint es Sie zu stören, wenn Pflanzen als inMensch nie da gewesen wäre? vasive Neophyten bezeichnet werden. Warum? Es gäbe in der Schweiz praktisch nur Wald. Es gäbe keine Häuser, Mich stört die einseitige Sichtweise des Menschen. Er verteufelt die keine Strassen, keine Felder, keine Weiden, keine Weinberge. Vor ein invasiven Pflanzen und sagt: Man muss sie ausmerzen, zurückdrängen und alle anderen schützen. Selber steht der Mensch aber im Mittelpunkt dieses Prozesses, «Es gibt keine invasivere Art als den Menschen, kein der dazu führt, dass fremde Pflanzen einheimische Arten verdrängen. Dabei bin ich nicht anderer Organismus schadet den anderen so sehr wie gegen Naturschutz. Ich freue mich auch, wenn der Mensch.» ich seltene Pflanzen sehe, die es nur noch gibt, weil man ihren Standort schützt. Flachmoore paar tausend Jahren wurde die Artenvielfalt in der Schweiz krass erhöht zum Beispiel gäbe es in der Schweiz keine mehr, wenn man sie nicht durch den Ackerbau. Der eröffnete einjährigen Ackerunkräutern ein schützen würde. Die wären entweder zugebaut worden oder zugeBiotop, das man heute schützt, damit sie nicht wieder verschwinden. wachsen. Das andere, was die Biodiversität massiv vergrösserte, sind die Städte mit ihrem speziellen, warmen Klima, den Standorten, die es sonst nicht Merzt der Mensch denn nicht nur einen Fehler aus, den er gegibt. Flächen, die neu angelegt werden und auf denen Arten gedeihen, macht hat, indem er Pflanzen bekämpft, die er selber hierhergedie ausserhalb der Städte nicht wachsen würden. bracht hat? Auch das ist eine sehr menschenbezogene Sichtweise. Für die PflanKann man die Neophyten auch als Bereicherung sehen? ze selber ist es kein Fehler, wenn sie einen neuen Lebensraum findet, Auf jeden Fall! Die Biodiversität wird durch die neuen Arten erhöht, sondern ein grosses Glück. Nur der Mensch sieht das als Fehler. Und sofern diese nicht gleich viele Arten verdrängen. sich selber nimmt er von diesem Prinzip aus. Es gibt keine invasivere Art als den Menschen, kein anderer Organismus schadet den anderen so Der Japanknöterich wird bekämpft, weil er andere Arten versehr wie der Mensch. drängt. Was halten Sie davon? Ich habe nichts dagegen. Exkursionen mit Studenten wären nicht Neophytenbekämpfung ist also kein Naturschutz. Was ist das mehr interessant, wenn überall nur noch der Japanknöterich wüchse. überhaupt: die Natur? Ist sie auch ein menschliches Konzept? Vor 40 Jahren machte ich erste Exkursionen im Auengebiet bei Brugg. Natur ist, was sich entwickelt, ohne dass der Mensch eingreift. Oder, Da gab es dort noch keinen. Heute geht man dort durch einen Wald, in um es nicht auf den Menschen zu konzentrieren, ohne dass ein Orgadem auf einer Strecke von etwa 150 Metern der Unterwuchs ausnismus von aussen eingreift. Aber nur der Mensch hat die Macht und schliesslich aus Japanknöterichstauden besteht. Ausmerzen kann man die Dominanz, die Natur massiv zu verändern. Das Problem ist weniger, diese Pflanze in der Schweiz nicht mehr. dass der Mensch die Natur verändert, als dass er das mit einer enormen
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BILDER: ISTOCKPHOTO
«Ausmerzen kann man diese Pflanze in der Schweiz nicht mehr»: Japanknöterich.
Von Botanikern eingeschleppt: Das Einjährige Berufkraut.
Ihr wird mit Heerscharen von Zivildienstleistenden zu Leibe gerückt: Goldrute.
Gedeiht im städtischen Klima: Götterbaum.
Was würde passieren, wenn man die Neo«Das Reisen ist einer der Hauptfaktoren dafür, dass phytenbekämpfung einstellen würde? sich Pflanzen verbreiten.» Die Natur würde sich verändern. Wie viele Arten zurückgedrängt würden, weiss ich nicht. Dann sind nicht die Gärtner schuld, die exotische Pflanzen verMan muss auch sehen: Es geht dabei um den Schutz von Arten in der kaufen? Schweiz, nicht von Arten überhaupt. Vor 50 Jahren waren Weizenäcker Nein, die Hauptschuld tragen die Botaniker, die früher, schon vor 300 bunt vom Blau der Kornblume, dem Rot der Kornrade und dem Weiss Jahren, fremde Arten für die Wissenschaft und als Bereicherung einder Hundskamille. Heute kommen diese Ackerunkräuter in der Schweiz führten. Damals kamen in Europa die botanischen Gärten auf. So wurnur noch vereinzelt vor. Der Mittelmeerraum ist immer noch voll davon. den beispielsweise aus Nordamerika die Goldruten und das Einjährige Berufkraut bereits vor 300 und mehr Jahren in botanischen Gärten kulIst es möglich, dass ein natürlicher Feind einzelner Neophytenartiviert, seit dem letzten Jahrhundert breiten sie sich immer mehr in naten auftaucht? türlichen Vegetationen aus. Das ist ein wahrscheinliches Szenario. Aber die Menschheit wird das nicht erleben. Die Natur reagiert langsam. Das dauert Hunderte, TauDie Diskussion um fremde Pflanzen, die einheimische gefährden, sende oder noch mehr Jahre. Der Mensch hingegen verändert die Natur erinnert manchmal an die Migrationsdiskussion. Geht es bei den in extrem kurzer Zeit und über zu grosse Distanzen. Wenn wir die verNeophyten auch um das Ablehnen des Fremden? traute Vegetation erhalten wollen, müssen wir eingreifen. Ich denke, es könnte das gleiche Grundprinzip dahinterstecken: dass man gerne eine vertraute Umgebung hat. Wie viel Fremdes als BedroDamit sind Sie grundsätzlich einverstanden? hung wahrgenommen wird, ist individuell. Was in der Biologie aber völJa. Ich bin nur dagegen, dass man das als Naturschutz bezeichnet. Das lig anders ist: Keine Art bekämpft sich selber. Eine Buche verdrängt keiist Museumsschutz. Die Schweizer Landschaft ist ein lebendes Museum. ne andere Buche. Nur der Mensch bekämpft sich selbst. ■ Man versucht auch, der Ausbreitung weiterer Neophyten zuvorzukommen, indem man ihre Einführung beschränkt oder sogar verbietet. Kann das erfolgreich sein? Das Tempo kann man sicher verlangsamen. Effektiver wäre, wenn die Leute weniger reisen würden. Das Reisen ist einer der Hauptfaktoren dafür, dass sich Pflanzen verbreiten. SURPRISE 325/14
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BILD: GUIDO SÜESS
Wörter von Pörtner Chrampfer Bei einer Fahrt durch eine ländliche Gegend begegnet mir auf einem Wahlplakat der Begriff «Chrampfer». Der abgebildete Kandidat bezeichnete sich als solchen und empfahl sich damit für den Gemeinderat. Dieses Wort, das ich schon fast vergessen hatte, heimelte mich an und erinnerte mich an meine Kindheit. Als Chrampfer galten jene Väter von Spielkameraden – oft waren es Inhaber eigener Geschäfte –, die wir nur selten zu Gesicht bekamen, weil sie ständig am Arbeiten waren. Der Titel Chrampfer war hart verdient, und wer ihn trug, dem wurde mit Ehrfurcht begegnet. Trotzdem fand ich schon damals, dass das Wort ungesund klang. Ein Chrampf ist ein starrer, schmerzhafter Zustand, in dem gar nichts mehr geht. Von einem Menschen, der anstrengend ist oder Dinge tut, die nerven, sagt man, dass er Krämpfe mache. Wenn man jemanden
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als vollkommen verkrampft beschreibt, ist das kein positives Urteil. Das positiv gewertete Chrampfen hingegen beschreibt das Arbeiten, das mit einer derartigen Intensität ausgeführt wird, dass keinerlei Raum für Entspanntheit und Musse bleibt. Es ist kein Zufall, dass dieser Begriff vor allem in ländlichen Gegenden noch in Gebrauch ist. Als die meisten Tätigkeiten noch manueller Art waren und viel Körperkraft verlangten, machte es einen entscheidenden Unterschied, wie jemand seine Arbeit verrichtete. Schaufeln, Pickeln, Heuen, Schleppen sind über längere Zeit nicht mit Leichtigkeit auszuführen. Irgendwann sind die Muskeln müde und verkrampfen sich. Wer dann weitermacht, chrampft. Mehr in kürzerer Zeit zu erledigen war immer besser. Mit einem Burnout brauchte da keiner zu kommen. Bis für die meisten derartigen Tätigkeiten Maschinen erfunden wurden, mit denen kein Mensch mithalten kann. Dadurch hat sich die Arbeitswelt radikal verändert. Heute verlangen die meisten Tätigkeiten eine sehr hohe Sachkenntnis oder einen gewissen Grad an Kreativität und Flexibilität. Das Letzte, was gefragt ist, ist Verkrampftheit. Unternehmen wie Google oder Facebook, obwohl sie mitunter im Verdacht stehen, die Weltherrschaft anzustreben, geben sich betont locker und entspannt, bieten Kurse in Meditation, Tai-Chi und Yoga an, die sogar während der Arbeitszeit besucht werden
können. Natürlich wird auch dort hart gearbeitet, die Anforderungen sind hoch, nur die Besten der Besten finden eine Stelle. Fleiss, Leistungsbereitschaft und Ehrgeiz sind nicht verschwunden. Hinzugekommen ist der Anspruch, dass man seine Arbeit mit Leidenschaft ausführt. Vom Chrampf zur Leidenschaft ist es ein weiter Weg. Arbeit bedeutet – idealerweise – Erfüllung für die Person, die sie ausübt. Die Arbeit an und für sich ist schon eine Belohnung. Für die Chrampfer ist sie der Weg zum Ziel. Man chrampft, damit man es einmal besser hat oder es die Kinder einmal besser haben. Obwohl der Begriff am Verschwinden ist, gibt es immer noch viele Chrampfer auf der Welt. Vor allem in ärmeren Ländern und undankbaren Jobs. Wenn es sie eines Tages nicht mehr bräuchte, wäre das ein Fortschritt. Doch das wird so schnell nicht geschehen, und wahrscheinlich wird es dann noch schwieriger, Leute für den Gemeinderat zu finden.
STEPHAN PÖRTNER (STPOERTNER@LYCOS.COM) ILLUSTRATION: SARAH WEISHAUPT (SAVVE@VTXMAIL.CH) SURPRISE 325/14
Dan Perjovschi Brandbeschleuniger des Protests Der rumänische Künstler Dan Perjovschi bebildert mit seinen Zeichnungen Protestbewegungen. Und zeigt mit wenigen Strichen, dass Kunst politische Wirkung haben kann.
Arbeitstische stehen zwischen den weissen Wänden der Zürcher Shedhalle, Mineralwasserflaschen darauf, Permanent Marker und Facebook-Ausdrucke. Dan Perjovschi ist drei Tage vor der Eröffnung daran, die Ausdrucke an die Wand zu heften, da und dort mit wenigen Strichen einige seiner cartoonhaften Zeichnungen hinzuzumalen, und vor allem: zu erklären, welchen Lauf politische Proteste nahmen, die er in den unterschiedlichsten Ländern mit seinen Zeichnungen befeuert hat. Perjovschi, im kommunistischen Rumänien zum Maler ausgebildet, ist bekannt für seinen einfachen, aber wirkungsvollen Stil. «Im Gegensatz zu etlichen zeitgenössischen Künstlern, die riesige Produktionsbudgets brauchen, um aktuelle Themen zu kommentieren, ist Dan nur er selbst, sein Stift und eine Wand», sagt die Kuratorin Olga Stefan, die Perjovschi nach Zürich geholt hat. Er ist einer der wichtigsten rumänischen Künstler und international in einigen der wichtigsten Institutionen ausgestellt worden, darunter auch im Museum of Modern Art MoMA in New York. Perjovschi kombiniert Witz mit Wahrheit, spielt mit Silben, Wortverschiebungen und Formen: Da kullert zum Beispiel einer der olympischen Ringe von Sotschi davon – mit wenigen Strichen in einen Panzer umgewandelt. Ein Pfeil weist ihm die Richtung: «CRIMEA» – die Krim. Weiter oben steht das Wort «politics» an der Wand – das «t» zu einem Friedhof an Kreuzen vervielfacht. Perjovschi erzählt im Gespräch in der Shedhalle, wie seine Zeichnungen von den Museumswänden ins Internet gefunden haben: Begonnen hat es 2010 mit dem deutschen Protest gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21. Die Demonstranten haben den Künstler um Zeichnungen angefragt, als Bilder des Protests, die sie auf Facebook weiterverbreiteten. «Das war der erste direkte Kontakt zu Facebook», sagt Perjovschi, «ich hatte vorher gar keinen Account.» Letzten Sommer war er bei Künstlerfreunden in Istanbul zu Gast, genau zur Zeit der Aufstände: «Ich war mitten drin im Geschehen und habe jeden Tag Zeichnungen gepostet, von meinen Freunden wurde ich auf dem Laufenden gehalten. So wurde die Verbreitung meiner Bilder auf Facebook zur Arbeitsmethode.» In der Shedhalle sind nun die Belege davon ausgestellt. Überall sind Selfies von Leuten zu sehen, die eine Perjovschi-Zeichnung in die Kamera halten oder sie als Profilbilder verwenden. Der rumänische Künstler und Aktivist bezeichnet die Zustände in Griechenland und an der Olympiade in Sotschi genauso, wie er seine Sichtweise zur Fussball-WM in Brasilien und aktuell zur Ukraine zu Papier und auf Museumswände bringt. Eine weitere Protestbewegung richtete sich gegen den Goldabbau im rumänischen Rosia Montana; der grösste zyanidverseuchte See Europas befindet sich dort. Auch hier wurden Perjovschis Zeichnungen SURPRISE 325/14
BILD: DAN PERJOVSCHI
VON DIANA FREI
So einfach kann Protest aussehen. Wirkungsvoll ist er trotzdem.
zum Brandbeschleuniger des politischen Protests. Und zwar mit konkretem Erfolg, das Projekt wurde sistiert. «Ich bin total beeindruckt», sagt Perjovschi, «denn in den letzten 12 bis 15 Jahren ist in meinem Land nichts Derartiges passiert. Die Leute merken, dass sie Mittel haben, sich zu wehren. Eine andere Form von Gesellschaft entsteht dadurch.» Natürlich ist es auch cool, einen Perjovschi in die Kamera zu halten und sich engagiert zu geben. Die Berührung von Kunst und politischem Engagement bekommt Eventcharakter. «Viele beginnen, selber ähnliche Zeichnungen zu machen», sagt Perjovschi, «und es stimmt schon, viele davon sind oberflächlich. Aber die Leute haben gelernt, sich gegen repressive Systeme zu wehren. Sie sind damit auf Augenhöhe mit der Polizei und den Autoritäten angekommen.» Es sind flüchtige Zeichnungen, die der Rumäne mit seinem Permanent Marker macht; nach einer Ausstellung verschwinden die Zeichnungen normalerweise. Auch das ist eine Form des Protests: «Mich kann man nicht kaufen, nicht kapitalisieren», sagt Perjovschi. Der Austausch, die Diskussion ist ihm wichtig. «Zum Beispiel mit Ihnen», sagt er zu den Journalisten, denen er seinen Blick auf die Welt gezeigt hat. Und die die Facebook-Einträge von der Museumswand weitertransportieren in ein gedrucktes Medium, das nochmals andere Leute erreicht. ■ «Drawing Protest – Von Museumswänden zu Facebook-Walls und zurück», noch bis zum 7. September, Shedhalle, Zürich. Filmvorführungen zu den Ereignissen rund um den Bergbau in Rosia Montana: «Wo bist du, Bukarest?», «Romanian Autumn», Do, 22. Mai, 19 Uhr. www.shedhalle.ch
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BILD: ZVG BILD: ZVG
Kultur
Bärte mögen hip sein. Trotzdem bleiben sie verdächtig.
Von Berufs wegen Beobachter: Museumswärter Johann.
Buch Wuchernde Apokalypse
DVD Der Blick des stillen Betrachters
In Stephen Collins’ bildgewaltiger Graphic Novel verändert ein Bart nicht nur das Leben des tragischen Helden, sondern eine ganze Gesellschaft.
Was hat ein Besuch in einem Kunstmuseum mit dem Entdecken einer Stadt zu tun? Jem Cohens «Museum Hours» führt uns die Antwort buchstäblich vor Augen – in einem kontemplativen Film voller stiller Schönheit.
VON CHRISTOPHER ZIMMER VON THOMAS OEHLER
In Hier ist alles perfekt: jeder Baum, jedes Haus, jede Strasse. Alles ist wohlgeordnet, bis ins kleinste Detail. Hier in Hier lebt Dave, ein unauffälliger Angestellter der Firma A&C, von der niemand genau weiss, was sie betreibt. Früher hat Dave noch danach gefragt, aber inzwischen weiss er, dass dies nicht geschätzt wird, und hält sich an seine Zahlen und Statistiken, deren Klarheit und Systematik er liebt. In seiner Freizeit sitzt er am Fenster und zeichnet: Bäume, Häuser, Passanten – und hört dazu ununterbrochen das gleiche Lied, «Eternal Flame» von den Bangles. Dave lebt am Rand von Hier, in einem der Häuser, die nur schwer verkäuflich sind, weil jenseits der Strasse die See beginnt, das Ungeordnete, das Dunkle, das Chaos. Denn Hier ist eine Insel, und jenseits der See liegt Dort, wo alles – so munkelt man – wild, unberechenbar und gefährlich ist. Doch die scheinbar perfekte Ordnung von Hier ist trügerisch, denn «unter der Haut von allem steckt etwas, von dem niemand weiss», wie es gleich zu Beginn von Stephen Collins’ Graphic Novel «Der gigantische Bart, der böse war» heisst. Manchmal ist dieses Etwas sogar sichtbar. Wie bei Dave, der ein einzelnes, hartnäckiges, nicht zu beseitigendes Barthaar hat. Und genau hier beginnt eines Tages das Unfassbare: Dave wächst ein Bart, urplötzlich, überfallartig, urgewaltig. Nicht irgendein Bart, sondern ein gigantisch wuchernder von nie da gewesenen Ausmassen, der nicht zu bändigen ist und unaufhaltsam apokalyptische Dimensionen annimmt. Dimensionen, die eskalierende Gegenmassnahmen provozieren, gegen dieses Abbild des Bösen, das die öffentliche Ordnung gefährdet – und das schliesslich auch alles aus den Fugen geraten lässt und alles verändert. Stephen Collins hat mit seiner bildgewaltigen Graphic Novel eine groteske und doch erschreckend lebensnahe, packende und berührende Parabel geschaffen. Ein inhaltlich kluges und zeichnerisch einfallsreiches Spiel mit den Formen des Genres, mit Vorurteilen und Verhaltensmustern und selbst mit den Grenzen von Zeichnendem und Gezeichnetem. Ein heisser Kandidat für eine Auszeichnung.
Die Eingangsszene: Der Museumswächter Johann (Bobby Sommer) sitzt in einem Raum des Kunsthistorischen Museums in Wien auf seinem Stuhl. Alles ruht. Es könnte sich um eine Fotografie handeln. Doch da läuft jemand von rechts in die Szenerie. Und das Bild wird zum Film. Was sieht ein Museumswärter? Hauptsächlich Menschen, wie sie schweigend oder verhalten diskutierend entlang der Bilderreihe pilgern und jedem Werk seine eigene, wenn auch kurze Zeit der konzentrierten Betrachtung widmen. Johanns Lieblingssaal im Museum ist derjenige mit den Bildern des holländischen Malers Breughel. Gerade sie sind angefüllt mit Detailszenen, die jede für sich wieder eine eigene Geschichte erzählen – ganz so, wie es die Szenen im Film auch tun. Denn wie ein Besucher im Museum schreitet die Kamera im Film von Bild zu Bild, vom Museum in die Strassen und Cafés von Wien und gibt jeder Szene ihren Raum – unkommentiert, dokumentarisch. «Museum Hours» zeigt uns so auf verschiedenen Ebenen Beispiele der Kontemplation – des ruhigen Wirkenlassens des Betrachteten. Dabei funktionieren die beiden Protagonisten des Films – Johann und Anna (die kanadische Folksängerin Mary Margaret O’Hara) – wie Katalysatoren des Sehens: Johann ist quasi von Berufs wegen Beobachter und Anna, die Kanadierin, die in Wien ihre komatöse Cousine besucht, sieht die Stadt neu mit den Augen einer Touristin – neugierig, aber immer leicht verloren. Es scheint dieses Nichtdazugehören und beinahe Unsichtbarsein zu sein, das die beiden zusammenbringt und so dem Film einen erzählerischen Faden gibt. Jem Cohen – ein amerikanischer Filmemacher mit afghanischen Wurzeln – versteht sich selber mehr als «Filmessayist» denn als Regisseur. Gerne setzt er Bilder und Handlung und übrigens auch Musik in einen Zusammenhang, der erst noch gesucht werden muss. Das verlangt den Zuschauern natürlich etwas ab. Aber lässt man sich darauf ein, so offenbart sich eine stille Schönheit, die uns bereichert aus dem Film kommen lässt – wie aus einem guten Museum.
Stephen Collins: Der gigantische Bart, der böse war.
Jem Cohen: «Museum Hours», Österreich/USA 2012, 106 Min, Englisch/Deutsch,
Graphic Novel. Atrium Verlag 2014. 42.90 CHF
mit Bobby Sommer, Mary Margaret O’Hara, Ela Piplits u.a. Mit freundlicher Unterstützung von Les Videos, Zürich. www.les-videos.ch
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BILD: XU XIXIAN, 1980
Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.
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Velo-Oase Erwin Bestgen, Baar
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Bruno Jakob Organisations-Beratung,
Die Pu Hui Tang Brücke in Shanghai aus der Perspektive des Reisverkäufers.
Ausstellung Shanghai von unten Vier Jahrzehnte lang dokumentierte der Reisverkäufer Xu Xixian die rasende Entwicklung Shanghais. In Kriens sind nun Bilder aus seinem riesigen Archiv zu sehen. VON BENEDIKT SARTORIUS
Wer heute an Shanghai denkt, dem erscheinen vor dem inneren Auge die prägnante Skyline mit den Wolkenkratzern und damit die Lichter einer Megacity. Man vergisst schnell, dass diese Bauten erst in der jüngeren Vergangenheit entstanden sind. Das Museum im Bellpark in Kriens widmet dieser rasenden Stadtentwicklung eine Ausstellung, und das Museum tut dies mit dem Blick von unten, konkret: aus der Perspektive des Reisverkäufers Xu Xixian. Der heute 72-jährige Fotoamateur hat von den Sechzigerjahren bis 2009 über 40 000 Fotos gemacht, die die Veränderungen Shanghais nachvollziehbar machen. «Die Bilder berichten auch aus dem Alltag dieser Stadt. Sie zeigen, was Herr Xu gesehen hat», sagt Hilar Stadler, der Leiter des Krienser Museums, der gemeinsam mit dem Künstler und Kulturwissenschaftler Jürgen Krusche die Ausstellung «Die Reisen des Herrn Xu» kuratiert hat. Zudem ermöglichen die Schwarz-Weiss-Fotografien, die erstmals in dieser Fülle in Europa zu sehen sind, einen differenzierten Blick auf die Metropole: «Die Fotografien von Herrn Xu hinterlegen die Bilder von Shanghai, die ich aus den Medien kenne, mit Ansichten dieser Stadt, die durch einen ihrer Bewohner gemacht wurden», so Stadler. Die beiden Kuratoren sichteten in der kleinen Zweizimmerwohnung, die Xu gemeinsam mit seiner Frau bewohnt, während mehreren Tagen rund 8000 Bilder. Nun sind 200 Fotografien in der Ausstellung zu sehen, die der Ordnung von Xus Archiv folgen: Bilder aus dem Zentrum sind zu sehen, aber auch Szenen aus Dörfern, die nach und nach von der wachsenden Stadt aufgefressen werden. «Uns waren bei der Auswahl auch die Bruchstellen wichtig, die zeigen, wo was Neues einbricht oder passiert», sagt Stadler. Auch knorrigen Bäumen und alten Brücken gilt das Interesse von Herrn Xu: «Er ist interessiert an alter Architektur, die sich trotz Auswirkungen von Kulturrevolution und Modernisierung erhalten hat.» Hilar Stadler zeigt sich überzeugt, dass Xus Archiv immer mehr an Bedeutung gewinnen wird: «Die Leute in Shanghai beginnen sich mehr und mehr mit der jüngeren Vergangenheit ihrer Stadt zu beschäftigen.»
Pfäffikon SZ 03
Balz Amrein Architektur, Zürich
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Supercomputing Systems AG, Zürich
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Kultur-Werkstatt – dem Leben Gestalt geben, Wil SG
06
Schluep Degen Rechtsanwälte, Bern
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Anyweb AG, Zürich
08
A. Reusser Bau GmbH, Recherswil
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Verlag Intakt Records, Zürich
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Hotel Basel, Basel
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Homegate AG, Zürich
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Balcart AG, Therwil
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Arbeitssicherheit Zehnder GmbH, Ottenbach
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applied acoustics GmbH, Gelterkinden
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Privat-Pflege, Hedi Hauswirth, Oetwil am See
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Hofstetter Holding AG, Bern
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Bachema AG, Schlieren
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fast4meter Bern, Storytelling & Moderation
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Fischer & Partner Immobilien AG, Otelfingen
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Oechslin Architektur GmbH, Zollikerberg
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Kaiser Software GmbH, Bern
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Thommen ASIC-Design, Zürich
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mcschindler.com, PR-Beratung, Redaktion,
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Corporate Publishing, Zürich
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Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich
Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.
«Die Reisen des Herrn Xu. Xu Xixians Fotografien von Shanghai», noch bis zum 6. Juli, Museum im Bellpark, Kriens. www.bellpark.ch SURPRISE 325/14
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Bitte lächeln: Fritz Luchsinger auf dem Khumbu 1956.
BILD: RAHEL NICOLE EISENRING
BILD: ERNST REISS/ALPINES MUSEUM DER SCHWEIZ UND SSAF
BILD: ZVG
Ausgehtipps
Mit Weitblick: Agglo-Wandern für eine offene Schweiz.
Bern Hype in der Todeszone
Zürich Aktion rote Socken Der 9. Februar hallt nach: Nicht nur im zähen Ringen der Schweiz um die Quadratur des Kreises in den Beziehungen zur EU. Sondern auch in den Köpfen von Migranten, die sich nach der Abstimmung gegen die «Masseneinwanderung» von den Schweizer Stimmbürgern abgestraft und ausgeschlossen fühlen. Und in den Köpfen von Schweizern, die die Sündenbockpolitik von Rechts nicht mittragen wollen. Rund um unsere Kolumnistin Shpresa Jashari hat sich die Gruppe «Bewanderte Schweiz» gegründet, die zum Ziel hat, diejenigen Kräfte zu stärken, die sich ein offenes Land mit Weitblick wünschen. Deshalb wird am 31. Mai durch die Zürcher Agglo gewandert, von Opfikon nach Effretikon. Ganz nach dem Motto: Wir sind alle Wanderer. Ein Kulturprogramm während der Wanderung und an der Schlusskundgebung in Effretikon ist angekündigt, Details und Updates findet man im Netz. (fer)
Schweizer Ludotheken, 11 Uhr bis 18 Uhr,
Seit das Alpine Museum Bern unter dem neuen Direktor Beat Hächler modernisiert wurde, ist es kaum wiederzuerkennen. Die Ausstellungen sind packend und treffen den Nerv nicht nur von eingefleischten Berggängerinnen und Naturfreaks. Die neuste Ausstellung setzt sich mit dem ambivalenten Verhältnis zwischen der Einsamkeit des Bergsteigens und dessen (von den Akteuren nicht immer ungewollter) medialer Inszenierung auseinander. Das Thema ist brandaktuell, wie die jüngsten Ereignisse am Mount Everest zeigen, aber alles andere als neu: Auf acht Metern sind zum Einstieg die 74 Tagebücher des Himalaya-Pioniers Jacot Guillarmod ausgestellt, der bereits um 1900 seine Bergsteigererlebnisse als Fortsetzungsgeschichte in einer Westschweizer Zeitung veröffentlichte. Dazu sind die 3D-Bilder zu sehen, die er von der Katastrophe seiner Expedition zum Kanchenjunga 1905 geschossen hatte. Weiter lässt sich die Geschichte eines Gipfelwahns nachvollziehen, der bis in die Siebzigerjahre hinein ganz im Zeichen des Nationalismus stand – bis Reinhold Messner kam und ohne Flagge im Gepäck auf die Gipfel stieg, ganz nach seinem Credo: Bergsteigen ist nutzlos, aber individuell sinnstiftend. Sein Name wurde zur Marke und er selbst damit zum Vorbild von heutigen Bergsteigern, die sich ihr Tun (und noch etwas darüber hinaus) über Medien- und Werbeauftritte für ihre Sponsoren finanzieren lassen. Die Kontroverse lässt sich in der Ausstellung nachvollziehen, die eigene Meinung kann man danach in einem eigens dafür eingerichteten Block loswerden. (fer)
Barfüsserplatz Basel. Programm gesamte Schweiz:
«Himalaya Report. Bergsteigen im Medienzeitalter».
www.spieltag.ch
Ausstellung bis 26. Juli 2015, Alpines Museum Bern.
Ob die Schminke wohl wasserfest ist?
Basel/ganze Schweiz Spielen, spielen, spielen Wer findet, dass die Anschaffung von Spielzeug schweineteuer ist und die Verstauung in Kinderzimmer und Restwohnung ausserdem eine enorme logistische Herausforderung, dem seien Ludotheken wärmstens empfohlen. Ludotheken sind eine wunderbare Erfindung. Es gibt sie in der ganzen Schweiz, man kann mit Kind und Kegel dort aufschlagen, Spielsachen aussuchen und dann ausleihen. Und zwar alles: Vom schönen Holzverkäuferli-Laden bis zum Velöli, vom Bäbiwagen bis zum Playmobilschiff, für circa zwei Franken pro Spielzeug und Monat. Um ihr Angebot noch bekannter zu machen und auf die Wichtigkeit des Spielens hinzuweisen, laden die Ludotheken zum Nationalen Spieltag in ihre Räumlichkeiten und auf öffentliche Plätze ein. «Wasser» ist das Thema des 8. Nationalen Spieltags, und so wird – etwa auf dem Basler Barfüsserplatz – hauptsächlich gewässerlet: Es gibt spielerische Parcours rund ums Wasser, Wasserexperimente und «Water Walking», aber auch einen Ballonwettbewerb und eine «Däfeli»-Schleuder. Also: Ersatzkleider einpacken und ab auf den Barfi! (mek) 8. Nationaler Spieltag, veranstaltet vom Verein der
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Massenwanderung: Besammlung ab 9 Uhr im Glattpark (Tramhaltestelle Fernsehstudio) in Opfikon am Stadtrand Zürichs, Kundgebung und Kulturprogramm um 17 Uhr in Effretikon. www.bewanderteschweiz.wordpress.com
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BILD: ZVG
BILD: CHRISTIAN GLAUS
Am Fabriktheater werden Geld, Macht und Sehnsucht inszeniert.
Surreale Abrechnung mit dem Vater: «The Dance of Reality».
Zürich Rentable Liebe
Basel Filmfest des Eigenwilligen
Welchen Wert stellt Geld dar? Und was hat das mit uns zu tun? Die Beantwortung dieser Frage ist eine Sache – ihre Übersetzung in Tanz nochmals eine ganz andere. Genau das tut die Performance «Offshore» der Choreografin Verena E. Weiss. Im Zentrum steht die Vorstellung von der Liebesbeziehung als Investment. Eine Arbeit, die Zürich als Börsenplatz künstlerisch spiegelt. (ami)
«Bildrausch» ist nicht nur ein schöner Name für ein Festival. Denn es gibt Filme, die narrative Risiken eingehen, die von ihrer Lust am visuellen Erzählen leben und diese Lust auf die Zuschauer übertragen. Und das ist tatsächlich berauschend. Das kleine Basler Filmfestival Bildrausch ist 2011 vom Direktionsteam des Stadtkino Basel auf die Beine gestellt worden. Es zeigt Filmentdeckungen, die an grossen Festivals mit ihrer eigenwilligen Filmsprache Erfolg hatten, in der Schweiz aber sonst kaum zu sehen wären. Um endgültig in Laune zu kommen, gibt es Talks, Gespräche, Begegnungen mit den Filmemachern, die zahlreich in Fleisch und Blut in Basel anwesend sein werden. Zu sehen gibt es eine wilde Transgender-Geschichte (Ester Martin Bergsmarks «Something must break») oder Alejandro Jodorowskys tragikomischer «The Dance of Reality» mit seinen ins Surreale gleitenden Impressionen der unglücklichen Kindheit des Regisseurs und der anschliessenden, wüst fabulierten Läuterung des diktatorischen Vaters. Der Film sei, sagt der Regisseur, «im psychomagischen Sinn ein Stück Familienheilkunst geworden». Man kann auch sagen: ein filmischer Exorzismus. Eröffnet wird das Festival mit «Das grosse Museum» (Caligari-Preis an der diesjährigen Berlinale) von Johann Holzhausen, der persönlich anwesend sein wird – ebenso wie Yannis Economides mit «Stratos», einem Film noir über einen Auftragsmörder in einem Griechenland, das in Trümmern liegt. Auch der dänische Autorenfilmer Nils Malmros wird seinen «Sorrow and Joy» persönlich präsentieren, und Frederick Wisemans neue vierstündige Dokumentation «At Berkeley», die den Kosmos und schleichenden Niedergang der renommierten Berkeley-Universität kaleidoskopartig porträtiert, wird zu sehen sein. Und mehr der cineastischen Drogen ab Ende Mai. (dif)
«Offshore», Tanzperformance, Premiere 16. Mai, weitere Vorstellungen 17., 22. bis 24. Mai, jeweils 20 Uhr, Fabriktheater, Zürich. www.rotefabrik.ch
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Bildrausch Filmfest Basel, Mi, 28. Mai bis So, 1. Juni, Festivalzentrum Stadtkino Basel, Klostergasse 5, Basel. www.bildrausch-basel.ch
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Verkäuferporträt «Ab und zu mal raus hier!» Wenn Özcan Ates¸ (34) in den Berner Lauben Surprise verkauft, träumt er von seinem Traumjob, erinnert sich an den letzten Konzertbesuch oder plant in Gedanken seine nächste Reise.
«Surprise kenne ich schon sehr lange. Der Leiter des Schulungs- und Wohnheims Rossfeld in Bern, in dem ich elf Jahre wohnte, schlug mir bereits 1998 oder 1999 vor, mich zu melden, weil ich einen Job ausserhalb der Institution suchte. Doch offenbar war damals für mich noch nicht der richtige Zeitpunkt, um einzusteigen. Ins Rossfeld zog ich mit 16, nachdem ich die gesamte obligatorische Schulzeit in einem Internat in Appenzell Ausserrhoden verbracht hatte. Meine Eltern, die aus der Türkei stammen, und meinen älteren Bruder sah ich jeweils nur an den Wochenenden und in den Schulferien, und zwar im thurgauischen Weinfelden, wo ich auch geboren wurde. Dieses Hin und Her hat unter anderem bewirkt, dass mein Türkisch nicht sehr gut ist und dass ich meinen eigenen Dialekt entwickelt habe – von allen Regionen ein bisschen. Zeit für Surprise wurde es schliesslich letzten Januar: Als ich nach einem Jahr, in dem ich fast ununterbrochen im Spital war, endlich in meine eigenen vier Wände zurückkam, verspürte ich den Drang, wieder etwas anzupacken. Mit meiner Behinderung – ich kam mit Spina bifida, einem offenen Rücken, zur Welt und bin vom Bauch an abwärts gelähmt – ist es jedoch nicht einfach, eine Arbeit zu finden. Jedenfalls keine ‹normale›, eine bezahlte Tätigkeit. Erschwerend bei der Jobsuche ist auch, dass ich keine Berfusausbildung vorweisen kann. Im Rossfeld habe ich zwar jahrelang gearbeitet, doch das war im geschützten Rahmen und ohne Abschluss. Mein absoluter Traumberuf ist und bleibt Radiooder Fernsehmoderator. Bei Surprise konnte ich Anfang März problemlos und beinahe umgehend anfangen. Ich habe hier den grossen Vorteil, dass ich mir die Zeit selbst einteilen kann. Ich fahre am Vormittag zu meinem Verkaufsstandort vor dem ‹Kaiserhaus› an der Marktgasse, wenn ich zuhause mit allem fertig bin, und bleibe dann so lange ich will. Ich verliere meinen Job auch nicht, wenn ich wie letzte Woche ein paar Tage im Spital war. Im Zusammenhang mit meiner Behinderung kommt es immer wieder zu Komplikationen, die man stationär behandeln muss. Letztes Mal musste ich beispielsweise eine Urosepsis, eine Infektion der Harnwege, kurieren. Für mich ist der Heftverkauf aber nicht nur eine Beschäftigung – für mich ist es ein äusserst willkommenes Zusatzeinkommen zur Invalidenrente. Nachdem ich all meine Rechnungen bezahlt habe, bleibt mir am Ende des Monats vor allem wegen der Gesundheitskosten, die ich teilweise selbst übernehmen muss, nicht mehr viel. Es reicht schon für das Alltägliche und mal ins Kino, aber ich will eben ab und zu mal weg, mal raus hier. Einen meiner grössten Träume kann ich mir im Mai erfüllen: Ich fliege mit einer Gruppe für acht Tage nach New York.
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BILD: IMO
AUFGEZEICHNET VON ISABEL MOSIMANN
An freiwilliger, unentgeltlicher Arbeit mangelt es mir übrigens nicht. Einerseits engagiere ich mich für bessere Bedingungen für Menschen mit einer Behinderung. Obwohl das Behindertengleichstellungsgesetz seit 2004 in Kraft ist, sind zum Beispiel Rollstuhlfahrer auch zehn Jahre später immer noch mit viel zu vielen Hindernissen konfrontiert. Da gibt es noch eine Menge zu verbessern. Andererseits überlege ich mir, andere Freiwilligeneinsätze wie Besuche in Gefängnissen zu machen. Durch meine zahlreichen Spitalaufenthalte konnte ich dieses Vorhaben noch nicht konkret angehen, aber mir gefällt die Idee, Häftlinge zu besuchen, mich mit ihnen auszutauschen – solche Begegnungen könnten doch beiden Seiten etwas geben. Den Mut und die Geduld bei meinen Einschränkungen und gesundheitlichen Problemen nicht zu verlieren, fällt mir nicht immer gleich leicht. Meistens finde ich jedoch einen Weg oder ein Mittel, das mir hilft, mich wieder aufzurichten. Eines davon ist die Musik, im besten Fall Live-Musik. Die Besuche der Konzerte des Berner Sängers Jesse Ritch, den ich persönlich kenne und einen sehr herzlichen, sympathischen Menschen finde, wirken Wunder.» ■ SURPRISE 325/14
SurPlus – eine Chance für alle! Werden Sie Gotte oder Götti bei SurPlus Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten. Menschen, die kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt wieder Struktur und mehr Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Das verdient Respekt und Unterstützung. Das Spezialprogramm SurPlus ist ein niederschwelliges Begleitprogramm für ausgewählte Surprise-Verkaufende, die regelmässig das Strassenmagazin
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1 Monat: 500 Franken
325/14 Talon bitte senden oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 325/14
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Surprise ist: Hilfe zur Selbsthilfe Surprise hilft seit 1997 Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Mit Programmen in den Bereichen Beschäftigung, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit. Surprise hilft bei der Integration in den Arbeitsmarkt, bei der Klärung der Wohnsituation, bei den ersten Schritten raus aus der Schuldenfalle und entlastet so die Schweizer Sozialwerke.
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Sport und Kultur Surprise fördert die Integration auch mit Sport. In der Surprise Strassenfussball-Liga trainieren und spielen Teams aus der ganzen deutschen Schweiz regelmässig Fussball und kämpfen um den Schweizermeister-Titel sowie um die Teilnahme an den Weltmeisterschaften für sozial benachteiligte Menschen. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Chor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Kontakte, Glücksmomente und Erfolgserlebnisse für Menschen, denen der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Finanzierung, Organisation und internationale Vernetzung Surprise ist unabhängig und erhält keine staatlichen Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle anderen Angebote wie die Betreuung der Verkaufenden, die Sportund Kulturprogramme ist Surprise auf Spenden, auf Sponsoren und Zuwendungen von Stiftungen angewiesen. Surprise ist eine nicht gewinnorientierte soziale Institution. Die Geschäfte werden vom Verein Surprise geführt. Surprise ist führendes Mitglied des Internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow, Schottland. Derzeit gehören dem Verband über 100 Strassenzeitungen in 40 Ländern an.
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Herausgeber Verein Surprise, Postfach, 4003 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Do T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 info@vereinsurprise.ch Geschäftsführung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (stv. GL) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Amir Ali (ami, Heftverantwortlicher), Florian Blumer (fer), Diana Frei (dif), Mena Kost (mek) redaktion@vereinsurprise.ch, leserbriefe@vereinsurprise.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Rahel Nicole Eisenring, Shpresa Jashari, Carlo Knöpfel, Melanie Kobler (Grafik), Yvonne Kunz, Stephan Pörtner, Milena Schärer, Isabella Seemann, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Philipp Baer, Michèle Faller, Seraina Kobler, Peter Lauth, Stefan Michel, Isabel Mosimann, Thomas Oehler, Dominik Plüss, Benedikt Sartorius Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 18 350, Abonnemente CHF 189, 24 Ex./Jahr Marketing, Fundraising T +41 61 564 90 50 Christian von Allmen
Vertriebsbüro Basel T +41 61 564 90 83 Thomas Ebinger, Anette Metzner, Spalentorweg 20, 4051 Basel, basel@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Zürich T +41 44 242 72 11, M +41 79 636 46 12 Reto Bommer, Engelstrasse 64, 8004 Zürich, zuerich@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Bern T +41 31 332 53 93, M +41 79 389 78 02 Andrea Blaser, Alfred Maurer, Bruno Schäfer, Pappelweg 21, 3013 Bern, bern@vereinsurprise.ch Strassenchor T +41 61 564 90 40, F +41 61 564 90 99 Paloma Selma, p.selma@vereinsurprise.ch Strassensport T +41 61 564 90 10 Lavinia Biert (Leitung), Olivier Joliat (Medien), David Möller (Sportcoach) l.biert@vereinsurprise.ch, www.strassensport.ch Vereinspräsident Peter Aebersold Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise oder in Ausschnitten, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird von der Redaktion und dem Verlag jede Haftung abgelehnt. Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen.
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BILD: FRIEDEL AMMANN
Surprise Da läuft was Surprise Strassenchor «Ein Projekt der Hoffnung!» Der Surprise Strassenchor ist an der Feier zum 20-Jahr-Jubiläum der Offenen Kirche Elisabethen aufgetreten – er war damit bereits zum vierten Mal zu Gast beim «Ereignisort im Basler Zentrum». Paloma Selma, Projektleiterin des Strassenchors, hat Monika Hungerbühler vom Leitungsteam der Offenen Kirche Elisabethen zum Gespräch getroffen. Paloma Selma: Welche Ziele verfolgt die Offene Kirche Elisabethen? Monika Hungerbühler: Wir möchten ein Ort der Gastfreundschaft sein und alle erreichen – Alte, Junge, Angehörige verschiedenster Religionen und Konfessionen. Als Kirche ohne Gemeinde organisieren wir soziale, spirituelle und kulturelle Projekte. Manche trinken Kaffee bei uns, tanzen in der Disco, zünden eine Kerze an oder besuchen einen Gottesdienst. Andere sitzen einfach ein wenig in unserer Kirche. Ihr wollt offen sein für alle. Wie sprecht ihr beispielsweise einen Obdachlosen an? Ein Obdach findet man bei uns in einem ganz wörtlichen Sinn, da unsere Kirche jeden Tag ausser montags offen zugänglich ist – von Dienstag bis Freitag bis abends 21 Uhr, am Wochenende bis 18 Uhr. Hier kann man einfach sein, und viele kommen sehr häufig, wohnen geradezu bei uns. Weiter können beim Projekt ‹Tischlein deck dich› armutsbetroffene Menschen bei uns Nahrungsmittel beziehen. Unseren Präsenzdienst verrichten Freiwillige, die sich auskennen mit Orten, an denen man etwas zu Essen bekommt oder wo man schlafen oder seine Kleider waschen kann. Sie haben immer Zeit für ein Gespräch. Weiter gibt es die Gelegenheit, sich jeden Mittwoch gratis und unangemeldet von fünf bis sieben Uhr mit dem Pfarrer oder mit einer der Pfarrerinnen auszutauschen. Welchen Eindruck haben Sie vom Surprise Strassenchor? Ich habe schon mehrmals einen Chorauftritt miterleben dürfen und ich finde diesen Chor fantastisch: lebendig, ermutigend, vielfarbig – ein Projekt der Hoffnung! Ich habe mich gefreut, dass der Chor auch bei unserem Jubiläum gesungen hat. Was bedeutet soziale Integration für Sie? Für mich als Theologin bedeutet es, dass man seinem Gegenüber stets vorbehaltlos begegnet – unabhängig davon, ob er ein Obdach hat, welcher Hautfarbe oder Nationalität er oder sie ist. Ich wünsche mir, dass man den Menschen vor Augen hat und seine Menschenwürde achtet. Natürlich muss auch ich meine Wahrnehmung immer wieder hinterfragen, denn manchmal erliegt man den eigenen Vorurteilen. Integration bedeutet für mich, dass Menschen sich an einem Ort akzeptiert und zu Hause fühlen. Wichtig ist, dass wir uns für eine Zukunft einsetzen, in der auch unsere Kinder leben können. Eine intakte Umwelt ist in diesem Zusammenhang wichtig; ebenso ein faires politisches System, das die Menschenwürde respektiert. Gerade die Vielfalt an Kulturen und Religionen sehe ich als Gewinn für uns. In einem Land wie
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der Schweiz, wo der ausländische Bevölkerungsanteil relativ gross ist, sind Spannungen möglich. Umso wichtiger ist es, dass man Respekt voreinander hat und miteinander redet. Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrem Alltag gemacht? Insbesondere mit Kindern habe ich sehr positive Erfahrungen gemacht: Das Nebeneinander der Kulturen gehört für viele von ihnen zur Normalität. Dass auch die Regeln der Gemeinschaft zu befolgen sind, ist selbstverständlich, etwa beim Umgang der Buben mit den Mädchen oder beim Schutz der Schwächeren. Integration bedeutet, dass man gemeinsam unterwegs ist auf dem Weg zu einer respektvollen Gesellschaft. Nächste Auftritte des Surprise Strassenchors: Sonntag, 25. Mai, Brunch in der Wärmestube Soup&Chill an der Solothurnerstrasse 8 in Basel. Brunch ab 11 Uhr, Auftritt ab 12 Uhr. Der Eintritt ist gratis, Spenden werden gerne entgegengenommen und gehen zugunsten von Soup&Chill und Surprise Strassenchor. www.soupandchill.com Sonntag, 15. Juni, Mondsucht Festival in Bubendorf. www.mondsucht.ch
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