Surprise 403

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Strassenmagazin Nr. 403 30. Juni bis 13. Juli 2017

CHF 6.–

davon gehen CHF 3.– an die Verkaufenden

Obdachlosigkeit

Der lange Winter des Daniel Dettling Seite 8

Adoption

Wie es ist, den leiblichen Eltern zu begegnen Seite 18

Volker Schlöndorff

Sein neuer Film «Return to Montauk» Seite 22

Kunstpro jekt

Mit Yokos Stimme Surprise-Verkaufende werben für den Frieden Seite 14

Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass


GESCHICHTEN VOM FALLEN UND AUFSTEHEN

Porträts der Surprise Verkaufenden in Buchform

Kaufen Sie jetzt das Buch «Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand» und unterstützen Sie einen Verkäufer oder eine Verkäuferin mit 10 CHF. «Standort Strasse» erzählt mit den Lebensgeschichten von zwanzig Menschen, wie unterschiedlich die Gründe für den sozialen Abstieg sind – und wie gross die Schwierigkeiten, wieder auf die Beine zu kommen. Porträts aus früheren Ausgaben des Surprise Strassenmagazins ergänzen die Texte. Der Blick auf Vergangenheit und Gegenwart zeigt selbstbewusste Menschen, die es geschafft haben, trotz sozialer und wirtschaftlicher Not neue Wege zu gehen und ein Leben abseits staatlicher Hilfe aufzubauen. Surprise hat sie mit einer Bandbreite an Angeboten dabei unterstützt: Der Verkauf des Strassenmagazins gehört ebenso dazu wie der Strassenfussball, der Strassenchor, die Sozialen Stadtrundgänge und eine umfassende Beratung und Begleitung.

156 Seiten, 30 farbige Abbildungen, gebunden, CHF 40 inkl. Versand, ISBN 978-3-85616-679-3 Bestellen bei Verkaufenden oder unter: surprise.ngo/shop Weitere Informationen T +41 61 564 90 90 | info@surprise.ngo | surprise.ngo | Facebook: Surprise NGO Surprise 403/17

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TiteLbild: REUTERS/Vincent West

Editorial

Späte Lektionen Meine Oma war adoptiert. Sie hiess Ursula. Als Ursula erstmals nach ihrer leiblichen Mutter suchte – vom Vater war nie die Rede –, war sie schon über 70. Es war ihr Mann, der sie dazu drängte. Ursulas Adop­tivmutter war eine alleinste­ hende Frau gewesen, die mit ihrer Schwes­ ter zusammengelebt hatte. Die beiden Frauen waren gut zu Ursula gewesen, auch dann noch, als Ursula Anfang der Fünf­ ziger­jahre ungewollt schwanger wurde und das Kind – meine Mutter – behalten wollte. Als meine Oma dann als betagte Dame ins Dorf ihrer leiblichen Mutter reiste, erfuhr sie, dass diese keine Wahl gehabt hatte: Sie war 16 gewesen, als sie schwanger wurde, arm und ohne Aussicht auf eine Ehe – die Frauen des Dorfes entschieden, das Baby, das meine Grossmutter werden sollte, zur Adoption freizugeben. Die meisten Adoptivkinder beginnen irgend­wann nach ihren leiblichen Eltern zu suchen. Eine bewegende und heilsame Er­

4 Aufgelesen 5 Vor Gericht

8 Obdachlosigkeit

Dettlings Rückkehr

fahrung, wie unser Autor Eric Breitinger ab Seite 18 erzählt. Ob meine Oma damals mit 25, als sie selbst ein uneheliches Kind im Bauch trug, daran dachte, dass es ihrer leiblichen Mutter wo­ möglich ähnlich ergangen war – und sich deshalb dazu entschied, meine Mutter zu behalten? Ich weiss es nicht. Sicher ist: Meine Oma schämte sich zeitlebens ihrer un­ehelichen Mutterschaft und impfte meiner Mutter ein, bloss nicht aufzufallen. Niemand sollte wissen, dass sie ein Defizit hatten – so ganz ohne Mann in der Familie. Bloss nicht aufzufallen war auch Daniel Dettlings oberste Priorität, als er plötzlich ohne Job und Wohnung dastand (Seite 8). Ein Winter auf der Gasse hat den stolzen Mann gelehrt, dass man ruhig mal um Hilfe bitten kann – etwas, das meiner Mutter bis heute schwerfällt. Sar a Winter Sayilir  Redaktorin

18 Adoption

Suche nach dem Ich 22 Film

Filmreifer Deal

«Ich glaube nicht an den freien Willen»

6 Challenge League

Der Saz-Sozialist 7 All Inclusive

Kultur ist Wurst 26 Veranstaltungen 27 Wörter von Pörtner

Freunde 28 Surplus

Überall Missbrauch!

29 Wir alle sind Surprise Impressum Surprise abonnieren 25 Buch 14 Ausstellung

Yoko Ono bei Surprise Surprise 403/17

25 Piatto forte

In der Lebensmühle

30 Surprise-Porträt

«Das Gefühl, dazu­ zugehören»

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Aufgelesen

News aus den 100 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

«Auch wenn du obdachlos bist, hast du Verantwortung.» Der US-Rapper Pookanu heisst mit bürgerlichem Namen Ron Dudley: «Auch wenn du obdachlos bist, hast du Kinder, bekommst du Rechnungen, hast du eine Familie, Freunde und Verantwortung. Das Einzige, was dich vom Rest der Welt unterscheidet, ist die Miete.» Er verkauft seit drei Jahren die Strassenzeitung Street Sense in Washington, D.C. Gerade ist sein neues Album «Father’s Day» erschienen.

Das tägliche Brot Es klingt absurd: Drei von vier Hun­ gernden weltweit sind Kleinbauern, Viehzüchter oder Arbeiter auf dem Land. Zwar ist die Zahl der Kinder, die an Unterernährung sterben, im Vergleich zu den Neunzigerjahren drastisch zurückgegangen, wie Zahlen von Unicef belegen. Trotzdem verhungerten 2015 immer noch drei Millionen Klein­ kinder. Hunger bleibt damit global das grösste Gesundheitsrisiko. Jährlich sterben mehr Menschen daran als an AIDS, Malaria und Tuberkulose zu­ sammen. Zudem gibt es eine direkte Korrelation von Hunger und Migration: Steigt der Hunger in einer Bevölkerung um 1 Prozent, zwingt das 1,9 Pro­ zent zum Auswandern.

Hinz & kunzt, Hamburg

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Bürgernähe Rund 50 Neonazis waren am Abend des 14. Mai im Dortmunder Rathaus, wo mehrere Parteien die Wahlergebnisse der Landtagswahl Nordrhein-Westfalen verfolgten. Männer (und einzelne Frauen) teilweise mit «HKNKRZ»-T-Shirts und bekannten Beziehungen zur rechtsradikalen Terrorgruppe «Combat-18» spazierten ins Foyer, plauderten beim Bierchen an Stehtischen und beklatschten das Wahlergebnis der rechtspopulistischen AfD, die mit 8,6 Prozent in den Landtag einzog. SPD und CDU hatten im Vorfeld den Vorschlag der Stadt abgelehnt, die Halle als private Wahlveranstaltung zu schliessen. Sie argumentierten mit Offenheit und Bürgernähe. Bodo, Bochum/Dortmund

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Fotos: BastIan Püt ter (1), Rodney Choice/Street Sense (1)

Street Sense, Washington DC


Illustration: Prisk a Wenger

Geschlechtergeschichten #1 Deutschland tut sich schwer mit der Gleichstellung. Das belegen Zahlen des Bundesministeriums für Fami­ lien von Ende 2016. Demnach ver­ dienen Männer immer noch sieben Prozent mehr als Frauen mit gleicher Erwerbsbiografie. Da aber Frauen viel öfter auf Teilzeitstellen arbeiten als Männer, nämlich insge­ samt 45,2 Prozent der erwerbs­ tätigen Frauen, verdienen Männer im Bundesdurchschnitt de facto sogar 21 Prozent mehr als Frauen. Das wirkt sich auch auf die Ver­sor­gung im Alter aus: Die Einkünf­te der Frauen im Ruhestand im Jahr 2011 waren nicht einmal halb so hoch wie die der Männer.

Strassenkreuzer, Nürnberg

Geschlechtergeschichten #2 Nach Hamburg hat nun auch die norddeutsche Stadt Flensburg zwei Lichtzeichensignale dauerhaft zu Diversitäts-Ampeln umgerüstet. Zu sehen sind grüne und rote gleichgeschlechtliche und händ­ chenhaltende Pärchen mit Rock oder Hose statt der üblichen Einzelam­ pelmännchen. Die Stadt will damit ein Zeichen gegen Homophobie und Ausgrenzung setzen. Vorbild ist Wien: Dort gibt es seit 2015 Pär­ chenampeln. Der Einsatz von Am­ pelfrauen als Alternative zur männlichen Leucht­signalnorm ist übrigens auch noch nicht alt: 2000 tauchten die ers­ten Ampelmäd­chen in den Nieder­landen auf.

Hempels, Kiel

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Vor Gericht

Bergtour oder krumme Tour? Es ist ein ausgeleiertes Wort, aber «film­ reif» trifft’s. Und es wäre ein dichter pan­ europäischer Krimi um dreist agierende Ganoven und verdeckt operierende Er­ mittler. Unsichtbare Hauptfigur: Richard Ayoub. Unter diesem Namen meldete sich 2014 ein Mann bei einer Zürcher Galerie und bekundete Interesse am Kauf von Kunstobjekten. Sein Klient sei Mitglied des Herrscherhauses der Arabischen Emirate –prompt bot die Galerie die Gia­ cometti-Skulptur «La Main» an: für 25 Millionen Franken. Man verhandelte in Mailand und vereinbarte, Mr. Ayoubs Pro­ vision in Höhe von 1,8 Mio. Franken bei einer Bank in Buchs SG zu deponieren, um den Deal zu sichern. Derweil an einer Hochzeitsfeier im Pa­ riser Vorort Bondy: Zwei Gäste, Ratko und Toni, kommen ins Gespräch – und ins Ge­ schäft. Ratko soll für 5000 Euro nach Buchs fahren, um dort Tonis «Augen und Ohren» zu sein. Konkret: um zu melden, wenn eine bestimmte Frau eine be­ stimmte Bank verlässt. Also fährt Ratko zwei Wochen später mit seinem Mercedes via Vaduz in die Schweiz. Mit dabei: seine Frau Vlada. Der hat er gesagt, man fahre in die Schweiz, um sich die Berge anzuse­ hen. So zumindest erzählt es Ratko dem Zürcher Obergericht. Wieder mit dabei: seine Frau, als Mitangeklagte. Ratko sagt wieder, sie habe nicht gewusst, dass er in Buchs ein bulgarisches Ehepaar überwa­ chen sollte. Ihm war bekannt, dass es um einen Diebstahl ging, nicht aber die De­ tails: Dass die Bulgarin in die Bank ging, um im «Diskretraum» eine Galerieange­

stellte zu treffen und die 1,8 Millionen in bar gegen ein paar Bündel Papierschnip­ sel auszutauschen. Das echte Geld steckte sie in eine Tasche unter ihrem Rock. Voilà: Der Rip-Deal war perfekt. Für ein paar Sekunden. Als sie den Raum verlassen wollte, wurde sie festgenommen. Ebenso ihr Mann und Ratko und Vlada, die sich vor der Bank aufhielten. Die Galerieangestellte entpuppte sich als Ermittlerin, der Giaco­ metti als Köder. Die Polizei hatte das Ge­ schehen im Griff, seit sich die Galerie nach Richard Ayoubs Anruf gemeldet hatte. Der war schon zuvor bei solchen Deals als Drahtzieher aufgetaucht. Die Eheleute seien Marionetten, sagen Ratkos und Vladas Strafverteidiger. Im rechtlichen Sinne nicht mal Mittäter, sondern Gehil­ fen. Vor allem Vlada: Sie sei eine «einfache Persönlichkeit». Zudem hätten «Frauen in ihrer tsiganischen Kultur kein Anrecht auf Erklärungen». Aber ist sie tatsächlich so ahnungslos? Oder Teil einer geschickten Scharade, bei der Vorurteile genutzt werden, um die Strafen einzelner Akteure im organisierten Verbrechen niedrig zu halten? Eindeutig letzteres, sagt das Gericht. Die Ermittlun­ gen ergäben ein klares Bild. Zweifelsohne sei es hier um einen «grossen Coup» ge­ gangen. Ratko habe die Aktion koordiniert und Vlada ihn dabei aktiv unterstützt: 39 Monate unbedingt für ihn und 30 Monate teilbedingt für sie.

Yvonne Kunz  ist Gerichtsreporterin in Zürich.

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Challenge League

Der Saz-Sozialist Foto: Flurin Bertschinger

Er habe eine schwierige Zeit hinter sich, sagt Kamran: «Das Problem war nicht nur der negative Entscheid der Schweizer Behörden, sondern der Kummer darüber, dass ich nicht bei der Trauerfeier meiner Eltern dabei sein konnte. Mehrfach habe ich mit dem Gedanken an Suizid gespielt.» Innerhalb der letzten zwei Jahre starben sowohl Kamrans Mutter als auch sein Vater. Doch Kamran biss sich durch die Trauer. Irgendwann brachte ein kurdischer Freund, der in Kamrans Asylaufnahmezentrum als Sozialarbeiter arbeitete, eine Saz mit. Kamran verriet ihm, dass er gut Saz spielen könne. «Also habe ich gespielt und er hörte zu. Am Ende hat er mir die Saz geschenkt.» Das war ein guter Einstieg in die Schweiz.

Mit der Saz in der Hand fühlt Kamran Mohammadi sich in der Schweiz ganz zuhause.

Wenn ich mich in der Autonomen Schule Zürich mit meinen Freunden traf, sah ich oft auch Kamran, der als Aktivist in der Schule arbeitete. Ich stellte mir immer vor, er käme aus Skandinavien, wegen seines Aussehens und weil er gebrochen Deutsch sprach. Er war immer im Stress. Als ich ihn eines Tages richtig kennenlernte, stellte ich erstaunt fest, dass er Kurde ist, wie ich. Mit vollem Namen heisst er Kamran Mohammadi. In Teheran hatte er Musiktheorie studiert und war ein Profi auf der Saz, einer orientalischen Langhalslaute. Am «Markaz-e Gostaresh», wo er selbst studiert hatte, unterrichtete er Saz und Musiktheorie. Weil er damit aber nicht genug Geld verdiente, begann er 2006 ein zweites Studium: Tiefbau-Ingenieurwesen an der Universität in Kermanschah, einer Stadt im kurdischen Teil des Irans. «Danach habe ich Saz nur noch für mich zuhause gespielt», erinnert sich der 32-Jährige. Über Studentenjobs kam er mit Arbeitern in Kontakt, die unter den schweren Arbeitsbedingungen auf dem Bau litten. 6

Das motivierte Kamran dazu, sich für die Rechte der Arbeiter starkzumachen. Mit unmittelbaren Folgen: «Ende 2013 musste ich wegen der Bedrohung durch das Regime fliehen.» Im Februar 2014 kam er in die Schweiz. Am Flughafen Zürich wurde er in ein Zimmer gesperrt, weil er ohne Pass einreisen wollte. Also beantragte Kamran Asyl, doch innerhalb der ersten drei Wochen bekam er zwei negative Entscheide von den Behörden. Heute belächelt er seine eigene Naivität: «Ich habe gedacht, dass mir der rote Teppich ausgerollt würde. Aber mein Weg führte direkt ins Gefängnis.» Erst Ende August 2014 betrat er das erste Mal die Stadt Zürich. Heute besitzt Kamran einen F-Ausweis. Denn er konnte dem Staatssekre­ tariat für Migration beweisen, dass er als Mitglied der Komala-Partei – einer sozialistisch-kommunistischen Partei im iranischen Teil Kurdistans – politisch verfolgt wurde. «Nachdem ich mit den Arbeitern Demonstrationen organisiert hatte, bekam ich im Iran viele Probleme.»

Nach und nach lernte Kamran andere Musiker in der Schweiz kennen, mit denen er auch Konzerte spielen konnte. Im Herbst 2015 gründete er die Musikgruppe Mezo. Die Musiker stammen alle aus dem Nahen Osten, viele sind Kurden und Iraner. Kamran betont: «Wir spielen Musik aus unserer Region, gemischt mit westlicher Musik.» Kamran spielt nicht nur Saz, sondern auch Oud, ein mit der Laute verwandtes Saiteninstrument. Und er singt. Vor ein paar Monaten hatte er einen Auftritt bei einem Event zur kurdischen Sprache an der Sprachwissen­ schaftlichen Fakultät der Uni Zürich. Alle Anfragen aber nimmt Kamran nicht an: «Manche Angebote lehne ich ab, sobald ich merke, dass man mich für irgendeine politische Agenda benutzen will.» Sein nächster Plan ist, ein Album mit seiner Musik und seinen Liedern auf­zu­nehmen. Aber dazu braucht es viel Geld, das muss er erst einmal zusammensammeln.

Khusraw Mostafanejad, Journalist und Blogger, floh aus seiner Heimat Iran. Seit 2014 lebt er in der Schweiz.

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Illustration: Rahel Nicole Eisenring

Misstrauen gegenüber IV-Bezügerinnen – speziell jenen mit unsichtbaren Behin­ derungen – festgesetzt. Als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte letzten Herbst befand, dass im schweizerischen Recht eine hinreichend präzise rechtliche Grundlage für die Observation von Versicherten fehlt, flammte wieder öffentliche Empörung auf. Die «fremden Richter» würden den Versicherungs­ betrügern geradezu den roten Teppich ausrollen, schallte es aus einschlägigen Kreisen.

All inclusive

Missbrauch, überall Missbrauch! Haben Sie in letzter Zeit mal einen SVPPolitiker über «Scheininvalide» lamen­ tieren hören? Vermutlich nicht. Momentan befeuert das rechte Milieu gerade andere Missbrauchsdebatten. Über das Asylwesen beispielsweise. Mithilfe von skandalisierten Einzelfällen lässt sich hervorragend Empörung auslösen und Aufmerksamkeit generieren. Man weiss zwar nichts Genaueres, aber die Missstände sind enorm. Ganz bestimmt. Sobald aber effektive Fakten vorliegen, schrumpeln die aufgeblasenen Missbrauchsdebatten wie ein Ballon, aus dem man die Luft herausgelassen hat. Seit bald zehn Jahren untersuchen die IVStellen jede Anmeldung routinemässig auf Hinweise auf einen Missbrauchsversuch. Auch die Dossiers von langjährigen IV-Bezügern werden regelmässig überprüft. Manche IV-Stellen bieten auf ihrer Webseite sogar die Möglichkeit, anonym den Nachbarn anzuschwärzen und Beobachtungen zu melden. In gewissen Fällen wird eine Observation des betreffenden Versicherten angeordnet. Surprise 403/17

Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) veröffentlicht dazu alljährlich Statistiken. 2016 deckten die IV-Stellen 650 Fälle von Versicherungsmissbrauch auf – 180 davon mittels Obser­vation. Da das BSV keine Quote veröffent­licht, steht jeweils nur die Zahl der «vielen» Missbrauchsfälle prominent in allen Zeitungen. Wie viele IV-Bezüger es insgesamt gibt – aktuell 219 100 – und wie hoch damit die Missbrauchsquote effektiv ist – nämlich 0,3 Prozent – fällt dabei geflissentlich unter den Tisch. In vielen Fällen handelt es sich lediglich um Meldepflichtverletzungen und nicht um Betrug im juristischen Sinn – letz­ terer würde kriminelle Energie voraussetzen, also beispielsweise eine bewusste Täuschung oder eine Lüge. Dass diese offenbar eher gering ausfällt, zeigt sich an der geringen Anzahl von 20 Strafanzeigen, welche von den IV-Stellen im letzten Jahr eingereicht wurden. Mit diesen Zahlen lässt sich keine grosse Empörung mehr generieren. Aber in den Köpfen hat sich das jahrelang geschürte

Dabei ging es nicht um ein Verbot von Observation, sondern schlicht um eine präzisere rechtliche Grundlage. Der Zürcher Anwalt Pierre Heusser schrieb dazu in einer kritischen Betrachtung im Jusletter, einem Newsletter von und für Schweizer Juristen: «Da es aufgrund der technologischen Entwicklung immer einfacher und kostengünstiger wird, jemanden zu überwachen, muss im Gesetz besonders klar geregelt sein, was zulässig ist oder nicht. In wenigen Jahren könnte ja sonst – aus rein technischer Sicht – jeder IV-Bezüger und jeder Sozi­ al­hilfeempfänger tagtäglich von einer ‹Sozialmissbrauchsdrohne› be­gleitet und gefilmt werden, sobald er das Haus verlässt.» Kürzlich wurde bekannt, dass die IV-Stellenkonferenz in der Vernehm­ lassung zur neuen Gesetzgebung nun genau das fordert: dass auch neue technischen Mittel zur Überwachung eingesetzt werden dürfen. Zum Beispiel soll es erlaubt sein, GPS-Tracker am Auto eines verdächtigen IV-Bezügers anzubringen. Natürlich soll im Sinn der Versichertenge­ meinschaft so wenig ungerechtfertigte Leistungen wie möglich ausbezahlt werden. Vor lauter Besessenheit mit dem Thema Missbrauch geht zuweilen aber unter, was die Hauptaufgabe der IV ist: Nämlich die über 99 Prozent Bezüger­ innen mit einer effektiven Beeinträchtigung zu unterstützen. Und nicht hauptsächlich – wie es die mediale Berichterstattung glauben lässt – CSI-mässig Verbrecher zu jagen.

Marie Baumann befasst sich mit der medialen Darstellung von Menschen mit Behinderungen und schreibt darüber unter ivinfo.wordpress.com

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Zum ersten Mal in seinem Leben wusste er nicht mehr weiter. DAniel de t tling, ehemaliger Obdachloser

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Keiner, der kuscht Obdachlosigkeit  Daniel Dettling verlor gleichzeitig seine Arbeit und seine Wohnung.

Einen Winter lang schlief er unter freiem Himmel, später in einer Kirche. Heute hat er wieder eine eigene Wohnung. Die Geschichte einer Rückkehr. TEXT  SIMON JÄGGI Fotos  ROLAND SCHMID

Daniel Dettling geht in grossen Schritten durch die Stadt. Ein Mann mit schweren Schuhen und breiten Schultern, das schwarze T-Shirt in den Bund seiner Jeans gesteckt. Sein Weg führt vom Basler Bahnhof SBB durch das Stadtzentrum und über die mittlere Rheinbrücke, durchs Kleinbasel und weiter bis zum Badischen Bahnhof. Vorbei an den Stationen seines früheren Lebens: dem Tageshaus für Obdachlose, dem Treffpunkt für Randständige, der Gassenküche. An einer Strassenkreuzung spricht ihn ein Bekannter von damals an. «Sali, wie geht’s? Lange nicht mehr gesehen», ein flüchtiger Handschlag, drei kurze Sätze, dann geht Dettling weiter seinen Weg. Vor dem Badischen Bahnhof am östlichen Ende der Stadt führt die Strasse unter den Zuggeleisen hindurch. Ein paar hundert Meter hinter dem letzten Reihenhaus beginnt der Wald, das Nah­ erholungsgebiet Lange Erlen, wo die Baslerinnen ihre Hunde spazieren führen und Jogger ihre Runden drehen. Der Weg führt in ein grünes Dickicht aus Buchen und Birken. Leise ist das Rauschen des nahen Flusses zu hören. Ein Velofahrer fährt vorüber, neben einem kleinen Weiher spielen Kinder. Schweizer Nachmittagsidylle. Hundert Meter weiter bleibt Dettling stehen, sein breites Kinn deutet zu einer kleinen Lichtung. Auf vier Holzträgern steht dort ein verwittertes Dach, darunter zwei Tische mit Bänken. Daniel Dettling lächelt sanft. Hier war während eines langen Winters sein Zuhause. Zwölf Monate bevor Dettling zum ersten Mal unter den Bäumen seinen Schlafsack ausrollt, scheint sein Leben noch in Ordnung. Im Herbst 2011 hat er eine gut bezahlte Surprise 403/17

Arbeit als Anlagetechniker in einem Ingenieurbüro, wo er Flüssigsalzreaktoren entwickelt. Mit seinem fast erwachsenen Sohn lebt er gleich neben dem Betrieb in einer Wohnung, die ihm sein Arbeitgeber vermietet. Er hat sein Leben im Griff. Bis zu jenem Nachmittag, als er sich mit seinem Vorgesetzten zu einer Aussprache trifft. Es geht um eine Meinungsverschiedenheit. Ein lösbares Problem, denkt ­Dettling. Doch sein Arbeitgeber stellt ihn vor die Wahl: Entweder du willigst ein – oder du gehst. Dettling bleibt stur, er ist keiner, der kuscht. Sein Chef greift in die Schublade und legt zwei Kündigungen auf den Tisch. Als D ­ ettling das Büro verlässt, hat er keine Arbeit mehr. Und noch drei Monate, um für sich und seinen Sohn eine neue Wohnung zu finden. Ohne Job ist die Suche aussichtslos Dettling erzählt von diesem verhängnisvollen Tag in einem Café in der Basler Innenstadt. Dabei betrachtet er seinen Gesprächspartner mit prüfendem Blick, wägt jeden Satz vorsichtig ab. Allzu genau möchte er nicht erzählen, worum es bei dem Streit mit seinem Arbeitgeber ging. Er denkt nur ungern an Gespräch zurück. «Mit der Stellenkündigung hätte ich leben können», sagt er. «Aber dass ich auch meine Wohnung verlassen musste, das hat mir den Boden unter den Füssen weggezogen.» Zum ersten Mal in seinem Leben wusste er nicht mehr weiter. Drei Monate nach der Kündigung hat er für sich und seinen Sohn noch immer keine neue Wohnung gefunden. 9


Eine Absage folgt auf die nächste, die Vermieter wollen den Kontakt eines Arbeitgebers, manche eine Bestätigung für eine Anstellung. Ohne festen Job scheint die Suche aussichtslos. Seine Verzweiflung wächst. Dettling ist zehn Jahre zuvor von Zürich nach Basel gezogen, wegen der Liebe. Freunde, bei denen er unterkommen könnte, hat er hier keine. Der Kontakt zu seinem früheren Umfeld ist abgebrochen. Schliesslich bietet ihm seine ehemalige Lebenspartnerin an, mit seinem Sohn bei ihr und ihrer Tochter in Basel einzuziehen, eine Lösung auf Zeit. Dettling darf nur die Nächte in der Wohnung verbringen, einen eigenen Schlüssel hat er keinen. Er hangelt sich von einem Gelegenheitsjob zum nächsten, erkrankt an einer Lungenentzündung, liegt mehrere Wochen im Bett. Die Wohnsituation wird immer mehr zur Belastung, die Spannungen mit der ehemaligen Lebenspartnerin nehmen zu. Dettling tut, was er seit einem halben Jahr zu vermeiden versuchte: Er meldet sich beim Sozialamt, bittet um Unterstützung bei der Wohnungssuche. «Man sieht Ihnen an, dass Sie die Tage unter freiem Himmel verbringen», sagt der Betreuer. Er erhält etwas Unterstützungsgeld, aber nur für kurze Zeit. Als er ein paar Wochen darauf einen noch ausstehenden Betrag ausbezahlt bekommt, kündigt die Sozialhilfe die Unterstützung. Er solle sich in vier Monaten wieder melden, teilt ihm sein Betreuer mit. Ein paar Tage später verliert er auch seinen Schlafplatz. Seine Exfreundin bittet ihn zu gehen. Dettling sieht nur noch eine Möglichkeit. Er lagert seine Kleider in der Einstellbox ein, die er ein paar Monate zuvor für seine Möbel gemietet hatte, kauft sich einen Schlafsack und geht auf die Suche nach einem

Niemand soll merken, dass er auf der Strasse lebt.

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sicheren Ort für die Nacht. Er findet ihn in den Langen Erlen: abgelegen, im Winter ungestört und ruhig. Anfang Oktober packt er seinen Rucksack auf die Schultern und macht sich bei Einbruch der Dämmerung auf den Weg in den Wald. Der inzwischen volljährige Sohn kann bei seiner ehemaligen Lebenspartnerin bleiben. Nach Einbruch der Dunkelheit Es ist ein sonniger Herbst, die Luft noch mild, als er zum ersten Mal unter den Bäumen sein Lager aufschlägt. In den ersten Wochen fühlt sich Dettling befreit. Von der belastenden Wohnsituation und der Angst vor dem Nichts, die ihm das ganze Jahr wie ein Gespenst im Nacken gesessen hat. Fortan steht er jeden Morgen in der Dämmerung auf, wäscht sich an einem kleinen Brunnen im Wald, packt seinen Rucksack und geht quer durch die Stadt zu seiner Einstellbox. Dort legt er den Schlafsack ab, wechselt die Kleider. Beim Bahnhof trinkt er einen Kaffee. Während der ersten zwei Wochen verbringt er die warmen Nachmittage auf den Stufen des Rheinufers in der Sonne und liest sich durch eine Fantasy-Romanreihe. Danach setzt er sich ins Internetcafé und bewirbt sich um Arbeit, die Speicherkarte mit den Bewerbungsunterlagen trägt er immer bei sich. Am Abend kauft er sich im Coop etwas Warmes zu essen. Dann geht er zurück zur Einstellbox, wechselt wieder die Kleider, packt seinen Schlafsack ein und macht sich zu Fuss auf den Weg zur anderen Seite der Stadt, zu seinem Schlafplatz. Er achtet darauf, dass er immer erst nach Einbruch der Dunkelheit dort ankommt, wenn die Joggerinnen und Hundehalter verschwunden sind. Er möchte nicht gesehen werden. Niemand soll merken, dass er auf der Strasse lebt. Zu gross ist am Anfang seine Scham. Als einmal ein paar Jugendliche in der Nähe seines Schlafplatzes ein Feuer machen, weicht er zu einer anderen Sitzbank aus, auf der anderen Seite des Flusses. Wenn er nachts in der Dunkelheit liegt, hört er den Wind in den Bäumen. Seine Füsse sind geschwollen und schmerzen von den langen Märschen durch die Stadt. Einmal erwacht er mitten in der Surprise 403/17


Wenn er nachts im Dunkeln liegt, hÜrt er den Wind in den Bäumen rauschen. Surprise 403/17

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Anderen Menschen, die auf der Strasse leben, geht er aus dem Weg.

Erst fühlte er sich befreit: Dettling an seinem früheren Schlafplatz.

Dieser Brunnen war Dettlings Waschstelle.

War sein üblicher Platz besetzt, wich er auf diese Bank aus. 12

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Nacht, das Licht von Polizeitaschenlampen im Gesicht. Sie wollen von ihm wissen, was er hier tut. «Schlafen», sagt er. Die Polizisten kontrollieren seine Papiere und fahren weiter. Obdachloser auf Zeit In diesen ersten Wochen ist Dettling auf sich allein gestellt. Manchmal tauscht er kurze SMS mit seinem Sohn und seinem Bruder in Zürich aus. Mit dem öffentlichen Verkehr fährt Dettling fast nie, die langen Fussmärsche vom einen Ende der Stadt zum anderen geben seinen langen Tagen etwas Struktur. Anderen Menschen, die auf der Strasse leben, geht er nach Möglichkeit aus dem Weg. Er kennt keine der Anlaufstellen für Menschen in Not. Dettling sieht sich als Obdachloser auf Zeit. Es ist ein Surprise-Verkäufer, dem es gelingt, zu Dettling durchzudringen. Er sieht den grossen Mann mit dem Rucksack und den schweren Schuhen fast jeden Tag auf seinem Gang durch die Stadt, er spricht ihn immer wieder an und nimmt ihn eines Tages zum Surprise-Strassenchor mit. Dort lernt Dettling weitere Menschen kennen, die das Leben auf der Strasse kennen. Sie erzählen ihm von den verschiedenen Hilfsangeboten in der Stadt. Als die Tage kälter werden, schwinden langsam seine Berührungsängste. Er wird zu einem regelmässigen Gast in der Wärmestube Soup&Chill hinter dem Bahnhof, alle paar Tage geht er ins Tagesheim für Obdachlose und findet beim Vermittlungsbüro Overall gelegentlich Arbeit als Tagelöhner. Auf Menschen zugehen, Hilfe suchen: Für Dettling sind es lehrreiche Wochen. Nur um die Notschlafstelle macht er weiterhin einen Bogen. In kleinen Zimmern, eingeteilt mit fremden Personen, das kann er sich nicht vorstellen. Stattdessen legt er sich jeden Abend auf die Holzbank im Wald, eingewickelt in Faserpelz und Schlafsack, und zählt die Tage, bis er sich wieder bei der Sozialhilfe melden kann. Als er Ende Januar wieder im Büro seiner Beraterin steht, geht alles ganz rasch. Sie vermittelt ihm ein kleines Zimmer in einem stark vernachlässigten Haus Surprise 403/17

im Kleinbasel, das er ein paar Tage später beziehen kann. In den Duschen sammelt sich Abfall, Schimmel wächst an den Wänden. Doch für Dettling ist es eine Erlösung, endlich wieder auf einem Bett schlafen zu können. Er arbeitet als Tagelöhner bei Zügelunternehmen und Baufirmen. Am Ende verdient er so viel, dass die Sozialhilfe nicht länger für die Unterkunft aufkommt. Selber will er die hohe Miete von rund tausend Franken für ein kleines Zimmer nicht bezahlen (zur Problematik der überteuerten Wohnungen, die direkt vom Sozialamt bezahlt werden siehe Surprise 400/17). Ohne festen Job ist die Suche nach einer Wohnung erneut aussichtslos. Ein Bekannter erzählt ihm von einer Freikirche am Stadtrand, die Schlafplätze anbietet. Die folgenden sechs Monate lebt Dettling in einem kleinen Raum neben dem Kirchsaal, zusammen mit zwei Arbeitsmigranten aus Osteuropa. Als Gegenleistung hilft er bei Handwerksarbeiten und verdient daneben weiterhin sein Geld als Tagelöhner. Als die Kirche von ihm Miete verlangt, weigert er sich, diese zu bezahlen. Er findet, dass er sich mit der Arbeit bei seinen Gastgebern genügend revanchiert. Dettling ist keiner, der kuscht. Ein halbes Jahr später unterschreibt er endlich wieder einen Arbeitsvertrag. Befristet zwar, aber kurz darauf klappt es mit der Wohnung: «Sind Sie Schweizer?», fragt die Vermieterin am Telefon. Ausländer nehme sie keine. Am nächsten Tag besichtigt er die Wohnung, eine Woche später kann er einziehen. «In diesem Moment war mir klar, ich bin wieder zurück», sagt Dettling. Er steht vor dem Café in der Basler Innenstadt und zieht an seiner Zigarette. Die Wohnung hat er immer noch. Er konnte sich ein Motorrad kaufen und hat wieder eine Beziehung. Nur Arbeit hat er gerade keine mehr, er hat seine Stelle vor wenigen Wochen gekündigt. Im Team gab es Schwierigkeiten mit seinen Kollegen. «Also bin ich gegangen.» Sorgen, dass er wieder auf der Strasse landet, macht sich Dettling deswegen keine. Denn etwas Wichtiges habe er gelernt: Sich rechtzeitig Hilfe zu holen. 13


Das Yoko-Ono-Konzept Ausstellung  Wie man lernt, ein Interview als Kunst zu lesen. Text  Diana Frei

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FotoS: REUTERS/Vincent West

Die Galerie Ziegler zeigt mit ihrer Ausstellung «Voice Of A Woman» Kunst von Yoko Ono – oder vielmehr: bindet die Besucher in das gedankliche Universum der japanisch-amerikanischen Künstlerin ein. Auch Surprise ist Teil der Ausstellung: Galerist Serge Ziegler schickt Onos Stimme im Rahmen des Zürcher Kunstprojekts «Gasträume» auch auf die Strasse. In der Galerie an der Zürcher Rämistrasse stehen zwei Bistrotischchen, darauf zerbrochene Spiegel, Scherben, daneben Leim, Holzspatel, Schnur. Das Werk heisst «Mend Peace (Mirrors)», unter dem Titel steht an der Wand: «While you are mending the mirror, think of mending the world» – «Während du den Spiegel flickst, denk daran, die Welt zu flicken». Einige Scherben, die daliegen, sind dicker und gehören nicht mal zum kaputten Spiegel. Ich klebe eine zu dicke Spiegelscherbe über die Splitter, noch eine. Das Splitterwerk im Rahmen wird zu einem mehrschichtigen Gebilde, mit neuen Brüchen in der Perspektive. Mend Peace: Ursprünglich stammt Yoko Onos Instruktion aus dem Jahr 1966, da schrieb sich «Piece» aber noch mit «ie» und bedeutete «Stück». Die Aufforderung war damit stärker auf den Kunstkontext ausgerichtet, es ging um das Zusammenfügen von Teilen, um Neuordnung und Veränderung von Vorhandenem. Yoko Ono flickte auch Tassen, Untertassen, Teekrüge. Zerscherbelte Gebilde, die mit Schnüren zusammengehalten wurden. Es ging schon da ums Flicken im Sinne des sozialen Zusammenhalts. Yoko Ono Aber erst später, ab den Siebzigerjahren, wurde «Piece» zu «Peace», die Botschaft des Welt­ friedens rückte explizit ins Zentrum. Auf einem Papier an der Wand des nächsten Raumes steht: Voice Of A Woman / Scream / 1. against the wind / 2. against the wall / 3. against the sky. Am offenen Fenster, das auf den Kunsthausplatz hinausgeht, steht ein Mikrofon. Man kann hineinschreien, aber die Schweizer tun so was nicht. An der Eröffnung vor ein paar Tagen haben zwei angeheiterte Vernissagenbesucher zum Fenster hinausgeschrien, sonst hat es bisher keiner gewagt. Also schreit Yoko Ono so lange selbst vom Band. Sie sagt: «I came here so you can hear the voice of a woman», «Ich bin hierhergekommen, damit Sie die Stimme einer Frau hören können». Es ertönt ein Schrei-Gesang, intoniert wie moderne Musik. Unten an der Tramhaltestelle Kunsthaus schauen einige Leute fragend in die Luft. Yoko Ono begann 1958 mit ihren sogenannten Instructions: Kunst, die aus einer Aufforderung ans Publikum besteht. Mend Piece. Scream. Ono ist ursprünglich klassisch ausgebildete Musikerin. Musiknoten sind auch Instruktionen. Wenn sie mittels eines In­ struments zu Tönen werden, können sie uns in andere Welten versetzen. So funktioniert im Grunde Konzeptkunst: Die Idee ist das Wichtigste, die Ausführung kann auch durch andere erfolgen. Jeder ist eingeladen, an ihrem Werk weiterzuarbeiten – ihr eine eigene Idee für eine Umsetzung ihrer bereits bestehenden Arbeiten zu liefern. Gefällt sie ihr, willigt sie ein. Als Ausstellungsmacher mietet man sozusagen ihr Konzept: Die «Mend Peace»-Spiegel hat Serge Ziegler für seine aktuelle Ausstellung selbst gekauft. Er arbeitet seit 20 Jahren mit ihr. Es war seine Idee, Yoko Onos Stimme den Surprise-Verkäufern bei ihrer Arbeit

auf einem mp3-Player mitzugeben und die Worte «Imagine Peace» unter die Leute zu bringen. Er hat Ono gebeten, die Worte extra für ihn einzusprechen, was sie auch getan hat. Das Werk «Imagine Peace» besteht an sich nur aus diesen Worten. Es gibt Pins, es gibt T-Shirts, die die Botschaft tragen: Merchandise für die Vorstellung von Frieden. In der Galerie Ziegler hängen an der Wand hinter dem Mi­ krofon drei Leinwände mit Bleistift-Kringeln darauf, die die Galeriebesucher gezeichnet haben: der «Draw Circle Event». Die Instruktion: Zeichne Kreise. Wenn Besucher kommen, fordert der Galerist sie auf: Sie sollen schreien, sie sollen Spiegel kleben, sie sollen Kreise zeichnen. Von sich aus traut sich niemand. Aber auch wer nichts macht, reagiert – emotional, indem er darauf gestossen wird, dass es ihm zu peinlich ist. Oder zu blöd. Man kommt nicht darum herum, sich irgendwie zu all diesen Aufforderungen zu verhalten. Serge Ziegler hat uns ein Interview mit Yoko Ono vermittelt, das auf ihren Wunsch hin schriftlich geführt wurde. Ihre Tochter Kyoko Ono ging die Fragen am 11. Juni 2017 mit ihr durch und hielt ihre Antworten fest.

«Ich habe das Gefühl, dass wir alle heimatlos sind.»

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Yoko Ono, Sie waren eine der ersten einfluss­ reichen Fluxus-Künstlerinnen. Das heisst, Sie machen Kunst, in der die Idee wichtiger ist als das Werk an sich. Sie haben das Publikum herausgefordert, indem Sie sich an Presse­ konferenzen unter Säcken verbargen oder Jour­nalisten an den berühmten Bed-ins für den Frieden mit John Lennon empfingen. Niemand erwartet, dass eine Pressekonferenz als Kunst daherkommt. Ihre Kunst fand oft ausserhalb des Museums statt. Macht es überhaupt Sinn, Ihr Werk in einer Ausstellung zu zeigen? Wie wichtig ist die Inter­ aktion mit den Zuschauern? Yoko Ono: Die ist in der Kunst immer wichtig.

In der Zürcher Galerie Ziegler ist «Voice Of A Woman» zu hören. Und Surprise-Verkaufende tragen Mini-Laut­sprecher mit Ihrer Stimme, die die Passanten hören lässt: «Imagine Peace». Der Schrei und die Worte «Imagine Peace» scheinen einen treffenden Eindruck des aktuellen politischen Klimas zu geben: zwischen Schrecken, Unglauben und Verzweiflung einerseits und der Hoffnung und dem Glauben anderseits, dass man die Dinge verändern kann. Wie würden Sie die Stimmung des Jahres 2017 beschreiben? «Voice Of A Woman» ist der Klang dessen, was eine Frau im Herzen trägt. Und der wird eines Tages noch lauter werden. «Voice Of A Woman» – die Stimme einer Frau – wird immer noch ignoriert. Ihre Arbeiten «Play it by Trust», «Cut Piece» oder das «Grape­ fruit Book» handeln von grundlegenden menschlichen Themen wie Vertrauen, Verantwortung, Zusammenarbeit, Frieden oder kultureller Identität. Ich gehe davon aus, dass Sie auch im Alltag ein waches Auge auf diese Themen haben. In welchen Momenten des per­sönlichen oder politischen Lebens spielen Vertrauen, Verantwortung oder Zusammenarbeit eine wichtige Rolle für Sie? 15


Diese Dinge sind sehr wichtig im sozialen Leben, und ohne sie würde die politische Szene untergehen.

kann auch hart sein. Und meine Brüder und Schwestern, glaubt mir, dass ich diesen Schmerz kenne.

Es geht in Ihrem Werk auch um Selbstwahrnehmung und den Abbau von Vorurteilen. Wenn man sich auf Ihr Werk einlässt, kann es zu einer Art Training in Selbstwahrnehmung werden und einen dazu bringen, Vorurteile abzubauen. Glauben Sie, dass Ihr Publikum diese Fähigkeiten dann auch tatsächlich in seinen Alltag mitnimmt? Sie können das auf Ihr Leben übertragen. Ja, das tun wir alle …

Sie sind sowohl in Japan und in den USA zuhause, beide sind oder waren im Fokus der Weltpolitik. Sie protestierten einst gegen den Vietnam-Krieg. Sie waren ein Leben lang mit grossen, bedeutenden Ereignissen konfrontiert. Was möchten Sie mit Ihrer Kunst im kleinen, gemütlichen Zürich bewirken? Welche neuen Gedanken und Ideen täten den Schweizern gut? Ich möchte sagen, dass ihr alle euer Bestes gebt, so wie ich auch. Lasst uns weitermachen. Mit dem Leben, wie es uns gegeben ist – es ist der Ursprung unserer Intelligenz, unserer Weisheit und Liebe.

Und heisst das dann, dass Kunstliebhaber letzten Endes zu besseren Menschen werden? Es ist einfach so, dass wir alle Kunstliebhaber sind. Ihre Stimme wird zurzeit von Surprise-Verkaufenden durch die Strassen getragen. Es sind Leute, die durch ihre soziale Posi­tion auffallen. Kommt hinzu, dass die Lautsprecherstimme möglicherweise für Irritation sorgt. Was wünschen Sie sich als Reaktion der Passanten? Was wird da passieren? Es gibt viele Arten zu kommunizieren, und die Surprise-Ver­ kaufenden werden uns etwas Neues lehren. Die Surprise-­ Verkaufenden werden uns eine unglaubliche Überraschung (engl.: surprise) liefern! Sie selber haben eine Gemeinsamkeit mit den Surprise-Verkaufenden: Auch Sie sind in einer ungewöhnlichen sozialen Position, die die meisten Menschen nicht mit Ihnen teilen. Sie kommen aus einer wohlhabenden Familie, die in Japan im Zweiten Weltkrieg aber auch schwere Zeiten durchgemacht hat. Sie sind erfolgreich, mussten aber auch harte Kritik ertragen. Sie sind mit sehr unterschiedlichen Lebenssituationen vertraut: Wie hat sich Ihr Blick auf das Leben verändert? Ich habe das Gefühl, dass wir alle heimatlos sind. So betrachtet geht es uns gut. In meinem eigenen Leben habe ich so viel gelernt aus jeder Situation, in der ich je war. Und ich bin sehr, sehr dankbar.

Yoko Onos Antworten hinterlassen zunächst eine gewisse Ratlosigkeit. Wer Einordnung, etwas Analytischeres oder ein paar Erklärungen erwartet, ist bei ihr an der falschen Adresse. Ob im Interview oder in der Kunst, ihr Ansatz ist derselbe: Ihre Antworten bestehen aus einfachen Friedensbotschaften, aus Dankbarkeit, aus dem Glauben an das Gute. Damit bricht sie die Erwartung der Fragenden, entzieht sich der Deutungshoheit und lässt den Fragenden mit der Suche nach Antworten allein zurück. Die Idee ist: Yoko Ono funktioniert wie ein Katalysator, verstärkt, was die Betrachtenden selbst mitbringen. Mit kühnen Aussagen wie: «Wir sind alle Kunstliebhaber» provoziert sie spontane Reaktionen, ähnlich wie vor ihr David Bowie, der sang: «We can be heroes, just for one day», oder Andy Warhol, der sagte: «In Zukunft wird jeder 15 Minuten lang weltberühmt sein» und Beuys’ «Jeder Mensch ist ein Künstler». Ihre Aussage, die Surprise-Verkaufenden werden uns viel lehren, ist mit voller Absicht unspezifisch. Denn aus ihrer Sicht entsteht bei jeder individuellen Begegnung mit einem Surprise-Verkaufenden etwas Eigenes, Neues, Spezielles. Und so funktioniert auch die Ausstellung «Imagine Peace»: Yoko Onos Stimme transportiert eine sehr reduzierte Botschaft. Antworten, Erklärungen, eine Einordnung dazu gibt es nicht. Dafür ist jeder selbst zuständig.

«Wie alles andere hat auch Kunst die Kraft, die Welt zu verändern.» Yoko Ono

Sie hatten ein sehr bewegtes Leben und wechsel­ ten zwischen Japan und den USA hin und her. Wie empfanden Sie das Leben zwischen den beiden Kulturen? Wo auch immer ich hinging – durch Zufall oder aus Absicht – alles brachte mir viele Überraschungen. Danke, danke, danke! Du bist meine Schwester und mein Bruder. Ich wünsche euch allen ein gutes Leben. Und ich weiss, dass mein Leben dank euch erst möglich wurde. Nochmals: danke. Als Kind kehrten Sie mit Ihrer Familie 1945 aus den USA nach Tokio zurück. Trotz privilegierter Herkunft litten Sie Hunger. Als Künstlerin kämpfen Sie für den Frieden und für Menschen­ rechte. Wuchs dieses Engagement aus persönlichen Erfahrungen heraus? Ich wurde auf viele verschiedene Arten durch die Dinge beeinflusst, die mir und den Menschen um mich herum passierten. So habe ich Erfahrungen gesammelt. Das Leben ist schön, aber es 16

Glauben Sie daran, dass Kunst die Welt verändern kann? Wie alles andere hat auch Kunst die Kraft, die Welt zu verändern, also lasst sie uns nutzen!

Galerie Ziegler, Voice Of A Woman, bis 3. September, Rämistrasse 34, Zürich. www.galerieziegler.ch Surprise-Verkaufende sind mit Yoko Onos «Imagine Peace» am Projekt «Gasträume – Kunst auf öffentlichen Plätzen Zürichs» beteiligt. www.stadt-zuerich.ch/gastraeume Surprise 403/17


FotoS: Bodara (4), ZVG (1)

«Entscheidend ist, was danach geschieht» Ausstellung  Für ihre Teilnahme am Yoko-Ono-Kunstprojekt erhalten die Surprise-Verkaufenden

einen kleinen Lohn. Aber das Geld ist dabei nicht ihre einzige Motivation.

Nicolas Gabriel, 52, verkauft Surprise auf der Uraniabrücke

Jela Veraguth, 65, verkauft Surprise bei der Migros Limmatplatz

«Ich habe bereits einmal an einem sehr ähnlichen Projekt im Zürcher Kunsthaus mitgewirkt. Ein halbes Jahr lang arbeitete ich da. Meine Rolle: aus dem Nichts heraus einen Spruch aufzusagen. Dass die Besucher nicht wussten, ob ich dazu gehöre oder nicht, war Teil des Kunstwerks. Bei dieser Art von Kunst geht es für mich darum, wie geschickt man eine Botschaft kommunizieren kann. Entscheidend ist dann, was danach geschieht. Wie die Leute reagieren werden, was für Gespräche entstehen.»

«Mich fragen sie immer, wenn sie Leute suchen, die bei solchen Sachen mitmachen. Weil sie wissen, dass ich fast immer dabei bin. Ich bin aufgeschlossen und neugierig. Und bisher habe ich nur positive Reaktionen erhalten, die Leute sind überrascht. Ein wenig Abwechslung ist nie schlecht.»

Peter Conrath, 52, verkauft Surprise am Zürcher Hauptbahnhof «Es ist natürlich toll, bei einem Projekt von Yoko Ono mitzu­ machen. Insgesamt sehe ich es aber als Engagement im Rahmen von Surprise. Grundsätzlich kann ich sagen: Wenn es Kunst ist, mache ich gerne mit. Das war schon bei unserer Zusammenarbeit mit der Manifesta so, als wir uns kritisch mit Kunstwerken auseinandergesetzt haben und darüber schrieben.»

Daniel Stutz, 44, verkauft Surprise am Paradeplatz

Ruedi Kälin, 58, verkauft Surprise in Zürich, Zug und Chur «Diese Aktion finde ich super. Auffallen ist immer gut, das hilft beim Heftverkauf. Ich denke ganzheitlich: Alles, was uns Aufmerksamkeit verschafft, ist gut für uns. Und was gut ist für Surprise, ist auch gut für mich.»

«Ich habe letztes Jahr auch schon beim Manifesta-Heft mitgewirkt, habe also gute Erfahrungen mit Kunstprojekten gemacht. Mir gefällt die Botschaft von Yoko Ono. Ich kann mir vorstellen, dass dieser suggestive Ansatz etwas bringt: Je mehr Leute an den Frieden denken, desto eher wird er Wirklichkeit.» Aufgezeichnet von Amir Ali

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Nase gefunden Adoption  Viele Adoptivkinder wachsen ohne Kontakt zu ihren leiblichen Eltern auf.

Die meisten machen sich irgendwann auf die Suche. Ein Erfahrungsbericht. Text  Eric Breitinger Illustration  Wanda Honegger

Seine lange Nase passt nicht in sein rundliches Gesicht. Das ist mein erster Gedanke, als er mich am Bahnsteig begrüsst. Er ist eher untersetzt, ein Mann um die 50 mit roten Wangen und flinken Augen. Ich bin einen Kopf grösser als er, 23, und trage die Haare etwas zu lang für die nordbayrische Provinz. Im Zug rauchte ich Kette, hielt die Spannung kaum aus: Wie sollte ich mit dem Mann sprechen, ohne den es mich nicht geben würde, der mich aber bisher verleugnet hat? Was sollte ich tun, wenn er nur Desinteresse zeigt? Oder lügt? Und was, wenn er mir gefällt? Wäre das ein Verrat an den Adoptiveltern? Wir gehen in die Kneipe. Er erkundigt sich nach meiner Jugend, meiner Mutter, meinen Adoptiveltern, meinen Vorlieben, meinen Freunden und Plänen. Er hört zu, hakt nach, will es wirklich wissen. Das Eis zwischen uns taut schnell. Vieles an ihm kommt mir bekannt vor. Die Unentschlossenheit, als der Kellner dasteht und er nicht weiss, was er bestellen soll. Seine Ehrlichkeit. Er erzählt mir, warum es mit meiner Mutter und ihm nicht geklappt hätte. Und sein schlechtes Gewissen, das er mit Sätzen beschwichtigt wie: «Bei mir hättest du kein Gymnasium besucht.» Auch seine Eitelkeit. Wenn er etwa sagt, er wüsste, von wem ich meine Intelligenz habe. Beiläufig werfe ich seiner Nase mal wieder einen Blick zu. Auch sie ist mir vertraut. Ich rätselte lange, woher ich meine habe. Jetzt weiss ich es. Seit dieser Begegnung mit meinem Vater habe ich mit Dutzenden Adoptierten gesprochen, die als Erwachsene zum ersten Mal ein leibliches Elternteil trafen. Viele stellten verwundert und erleichtert körperliche Gemeinsamkeiten mit ihnen fest. 60 Prozent der Adoptierten leiden als Kinder und Jugendliche daran, dass ihnen die physischen Ähnlichkeiten fehlen, die sie als vollwertiges Mitglied der Adoptivfamilie ausweisen. Ihr anderes Aussehen beschämt und frustriert sie und verstärkt ihr Fremdheitsgefühl. Zumindest fanden das US-Forscher heraus, die 1991 zwölf Studien zum «Suchbedürfnis erwachsener Adoptierter» auswerteten. Als Michael J. seine Mutter erstmals in den Arm nimmt, weiss er: Sie ist es. Er kann es riechen. «Das war mein Stallgeruch, der mir bei den Adoptiveltern immer gefehlt hatte», erzählt er mir später. Er erkannte an seiner Mutter auch seine Augen, seine Zähne, sein Lachen wieder. Beide weinten. Die Mutter des heute 50-jährigen Münchners hatte ihn als Vierjährigen vor einem Kinderheim in der Pfalz ausgesetzt. Niemand weiss, wie viele der 35 000 Menschen, die laut dem Bundesamt für Statistik in den letzten 35 Jahren in der Schweiz adoptiert wurden, irgendwann im Leben nach Blutsverwandten suchen – eine Folge der Inkognito-Adoption. In der Schweiz ist dies bei Nicht-Verwandten Surprise 403/17

seit 1973 das einzige mögliche Adoptionsmodell. Das bedeutet, dass das Kind mit der Adoption jede rechtliche Bindung zu seiner Ursprungsfamilie verliert. Die Adoptiv­ eltern und die Behörden können als Einzige auf die Adop­ tionsdaten zugreifen. Das dient aus Sicht der Kritiker vor allem den Interessen der Adoptiveltern. Laut der Dissertation der Luzerner Juraprofessorin Monika Pfaffinger haben Adoptivkinder und schlecht beleumundete Mütter kaum Mitsprachemöglichkeit bei der Gestaltung der Adop­ tionsgesetze. Adoptiveltern hingegen gehören meist der Mittel- und Oberschicht an. Die Geheimhaltung hilft ihnen, sich nach aussen hin als normale Familie darzustellen und sich vor unbequemen Fragen zu schützen. Viele Adoptiveltern glauben auch, dass dem Kind der Kontakt zu den leiblichen Eltern schade. In der Schweiz müssen Adoptierte in der Regel 18 Jahre alt sein, um bei den kantonalen Behörden Auskunft über die Personalien ihrer leiblichen Eltern verlangen zu können. Für den deutschen Adoptionsexperten und langjährigen Adoptionsvermittler Harald Paulitz hingegen stellt eine Inkognito-Adoption «ein Unrecht am Kind» dar: «Schliesslich wird es über seine wahre Herkunft getäuscht und teils mit fantasiereichen oder halbmythischen Geschichten richtiggehend belogen.» Dies beraube die Adop­ tierten ihrer Vergangenheit und der Chance, bereits früh mit ihrer Biografiearbeit zu beginnen. So erfuhr der heute 81-jährige Innerschweizer Eugen Huber (Name geändert) erst mit acht Jahren von Schulkameraden, dass er kein «echter» Huber war. Seine Pflegeeltern hatten ihm das verheimlicht. Ebenso, dass der Adoptivvater, kinderloser Direktor einer Privatbank, den wenige Monate alten Eugen aus dem Heim geholt hatte, weil er einen Stammhalter brauchte und sich für unfruchtbar hielt. Seine Adoptiveltern bekamen dann später doch noch drei leibliche Söhne – und Eugen fühlte sich ständig zurückgesetzt. Für Eugen Huber war die Enthüllung der Schock seines Lebens: «Ich war auf einmal überflüssig.» Auch die heute 75-jährige Ursula J. aus dem Schwäbischen erfuhr erst mit zehn Jahren, dass ihre «Mutti» sie gar nicht geboren hatte. Andere Kinder warfen es ihr im Pausenhof im Streit an den Kopf. Sie war schockiert. «Mutti» bestätigte das, erzählte dem Mädchen aber Lügen über ihre Herkunft. Erst mit 57 Jahren erfuhr die Adoptierte dann, dass sie in einem Lebensborn-Heim der SS untergebracht gewesen war, bevor sie adoptiert wurde. Hierher kamen Kinder ungewollt schwangerer «arischer» Mütter und verschleppte Kinder aus besetzten Gebieten, um dann von entsprechend ausgesuchten, meist SS-Familien adoptiert zu werden. Ursulas leiblicher 19


Vater war schon seit Jahren tot, als sie anfangen konnte, ihn zu suchen. In Österreich und Deutschland vereinbaren Adoptionsfachkräfte heute in der Mehrheit offenere Formen der Adoption: Mutter oder Vater haben weiter Kontakt zu ihrem Kind, ob per Brief, Telefon oder durch gelegentliche Treffen. In der Schweiz sind Inkognito-Adoptionen weiter Standard: Die Schweizerische Fachstelle für Adoption vereinbart nach eigenen Angaben etwa nur eine von ihren jährlich zwölf Vermittlungen inländischer Kinder als offene Adoption. Immerhin verabreden die Beteiligten heute öfter einen anonymen Briefkontakt. Den Namen meines Vaters und seine Adresse fand ich an einem sommerlichen Sonntagnachmittag in einem Ordner mit amtlichen Dokumenten. Meine Eltern waren weg, als ich im Kirschbaumschrank im Wohnzimmer nach Geheimnissen forschte. Ich war 13 oder 14. Der Fund brachte mich durcheinander. Ich wusste, dass meine Eltern nicht meine leiblichen Eltern waren, das hatten sie mir früh gesagt. Wer aber war er? War er reich und berühmt? Oder nur armselig? Ein Gauner? Warum hat er sich weggestohlen? Wieso liebte er mich nicht? Die weitere Suche verlief in Wellenbewegungen. Mit 15 war ich mit einem Lager in seiner Nähe. Ich traute mich nicht anzurufen. Zwei Jahre später schaffte ich es: Er sprach fränkisch und freundlich, hatte aber keine Zeit. Nach Jahren das nächste Telefonat: Diesmal willigte er ein, mich zu treffen. Er sagte: «Ruf vom Bahnhof aus an, wenn du da bist. Ich komme zu dir.» In dem Moment durchflutete mich ein Glücksgefühl. Er hatte «dir» gesagt. Es schien mir, als habe er erstmals meine Existenz anerkannt. Dabei hatte er meiner Mutter damals Geld für die Abtreibung gegeben. Heute suchen Adoptierte anders. Sie googeln, hangeln sich durch Links, bleiben bei einem Facebook-Profil oder einem Foto hängen. Viele wenden sich an ihre sozialen Geburtshelfer: Die Fachstelle für Adoption in Zürich hat heute mehr damit zu tun, Herkunftsanfragen Adoptierter nachzugehen, als Babys an neue Eltern zu vermitteln. Insgesamt lässt das Interesse an Adoption nach: Im Jahr 2015 fanden in der Schweiz laut dem Bundesamt für Statistik noch 174 Adoptionen nichtverwandter Kinder statt. 1980 hatte es noch viermal so viele dieser Adoptionen gegeben, nämlich 741. Der Niedergang hat viele Gründe: Alleinstehenden Frauen droht weniger Ächtung, wenn sie ihr Baby behalten. Paare bekämpfen ihre ungewollte Kinderlosigkeit heute tendenziell mit moderner Fortpflanzungsmedizin oder heuern eine Leihmutter an, anstatt sich ein Kind nach Hause zu holen, bei dem sie nicht wissen, was in ihm steckt. Bei der Suche sind es vor allem die Frauen, die ihrer leiblichen Herkunft auf den Grund gehen. Laut Adoptionsforscher Peter Kühn kommt ein Mann auf drei Sucherinnen, obwohl beide Geschlechter je die Hälfte der Adoptierten stellen. Die meisten starten die Suche an der Schwelle zu einer neuen Lebensphase: wenn sie die Schule abschliessen, eine Lehre, das Studium. Oder wenn eine Heirat ansteht, ein Umzug oder sie selbst ein Kind bekommen. Adoptionsexpertin Christine Swientek führt 20

dies darauf zurück, dass in biografischen Umbruchphasen die Themen Identität und Kontinuität des eigenen Lebenslaufes an Bedeutung gewinnen. Die Forscher sind sich einig, dass Adoptierte mehr und länger mit der Ich-Findung zu kämpfen haben als Menschen, die bei ihren leiblichen Eltern aufgewachsen sind. Bei Auslandsadoptierten allerdings sind oft wenig Fakten und Akten vorhanden. Manche leugnen auch jedes Interesse, Mutter oder Vater zu finden. Vielleicht aus Selbstschutz. Die 52-jährige Kim S. aus Zürich machte sich mit Mitte dreissig auf die Suche nach ihrer Herkunft. Sie und ihr Adoptivbruder buchten einen Flug nach Seoul. Sie sprach kein Koreanisch und konnte sich dort kaum verständigen. Mit Mühe fand sie das Kinderheim, in dem sie als Kind zwei Jahre lang gelebt hatte. Zuvor war sie 14 Monate in einem staatlichen Waisenhaus gewesen, nachdem sie mit fast zwei Jahren ausgesetzt worden war. Nun lief sie durch die Gänge des Kinderheimes und «fühlte gar nichts». Selbst Gerüche und Geräusche holten keine Kindheitserinnerungen zurück. Akten fand sie keine. Auch ihre sonstigen Nachforschungen ergaben nichts. Die meisten Adoptierten aus dem Ausland haben keine realistische Aussicht, ihre Eltern kennenzulernen. Viele sind Findelkinder, oft fehlen korrekt geführte Unterlagen. Andere lähmt die Angst. Denn die Eltern haben sie bereits einmal verlassen. Entwicklungspsychologen sagen, dass das Verlassenwordensein prägt. Laut der Basler Psychotherapeutin Barbara Steck leiden «die meisten Adoptierten ihr Leben lang an einer besonderen Verletzlichkeit ihres Selbstwertgefühls». Auch die deutsche Psychotherapeutin und Autorin Irmela Wiemann betont im Gespräch, dass bei den Adoptierten «ein Rest-Misstrauen und eine Selbstunsicherheit bestehen bleibt». Ich wusste damals nicht recht, was ich mit mir anfangen sollte. Im Gespräch mit dem Vater versuchte ich erstmal herauszufinden, warum ich fortgegeben wurde. Und ich hörte zum ersten Mal die Geschichte aus seiner Perspektive. Michael J. erinnert sich daran, dass die Unterhaltung mit der Mutter über lange Strecken belanglos verlief. Er vermutete, dass sie beide Angst hatten, die entscheidenden Fragen zu stellen: «Da fehlte die Vertrautheit.» Erst nach einer Weile stellte er seiner Mutter «zehntausend Fragen und sog ihre Antworten auf wie ein trockener Schwamm». Viele Adoptierte beschreiben die Begegnung im Nachhinein als Erlebnis, das sie verändert habe. Untersuchungen zeigen, dass Adoptierte nach einer erfolgreichen Suche bedeutende psychische Veränderungen bei sich feststellen: Sie entwickeln ein stärkeres Selbstwertgefühl, verändern ihr Körperbild und sind in der Lage, Beziehungen zu intensivieren. Das erging mir genauso. Viele Adoptierte können dadurch, dass sie das fehlende Puzzleteil in ihrer Biografie gefunden haben, ihrem Lebenslauf mehr Kontinuität abgewinnen. Eine Deutschschweizerin erzählte mir, dass sie durch die Begegnung mit ihrer leiblichen Mutter die Erfahrung gemacht habe, «sich erstmals ganz gefühlt zu haben». Zuvor hatte sie das Gefühl, «nicht genug wert zu sein, damit mich meine Mutter behalten hätte». Die Endvierzigerin hatte ihre Mutter knapp 30 Surprise 403/17


Mein Vater nahm mich damals mit nach Hause, stellte mich meinen beiden erstaunten jüngeren Schwestern und dem Bruder vor. Er hatte sie erst am Abend zuvor eingeweiht. Ich war als Einzelkind aufgewachsen und hatte mir stets Geschwister gewünscht. Mein Vater gab mir auch ein dickes blaues Buch, den Stammbaum seiner Familie, deren Angehörige bis ins Mittelalter zurück vor allem in Süddeutschland und der Schweiz gelebt hatten. Ein gutes Gegenmittel gegen mein vages Gefühl der Familien- und Geschichtslosigkeit. Ich fing bald nach dem Besuch an, Geschichte zu studieren. Surprise 403/17

Ein paar Tage nach der Rückkehr besuchte ich meine Adoptiveltern, zu denen ich zuvor auf Distanz gegangen war. Ich brauchte den Abstand, um mich ohne Loyalitätskonflikt mit meiner Herkunftsfamilie beschäftigen zu können. Meine Adoptiveltern hatte ich nur kurz vorab über meine Reise informiert. Doch nun erzählte ich ihnen haarklein am Küchentisch, wie meine Begegnungen verlaufen waren. Und empfand eine grosse Nähe zu ihnen. Es war klar: Sie sind meine Eltern. Sie sollten wissen, wie es mir geht. Ich war heilfroh, meinen leiblichen Vater und die Geschwister kennengelernt und mehr Klarheit über meine Herkunft zu haben. Manchmal kam auch Trauer hoch, Neid und Wut, dass er sich nicht um mich gekümmert hatte. Am Ende überwog der Stolz, mein Schicksal selbst in die Hand genommen zu haben. Ich habe meinen Vater seitdem einige Male gesehen. Viele Adoptierte treffen ihre leiblichen Eltern ein paar Mal, bevor die Beziehung unspektakulär einschläft. Sie wollten oder konnten nur die Lücke in ihrer Biografie füllen, aber keine bleibende Beziehung zu ihren leiblichen Eltern aufbauen, von denen wiederum viele auch jetzt noch keinen Platz für ihr Kind schaffen können oder wollen. Auch mein Vater verlor mit der ersten Begegnung auch die Magie des Geheimnisumwitterten. Ich bemerkte auch, dass – so banal das klingt – sich die verlorene Zeit in der Kindheit nicht nachholen lässt und ich auf keine Vergangenheit mit ihm zurückgreifen konnte. Und ich erkannte, was mich mit meinen Adoptiveltern verband: 20 Jahre Alltag, ihre Liebe und Fürsorge. Eine Bindung, die stärker ist als die Gene.

FOTO: ZVG

Jahre nach der Adoptionsfreigabe erstmals getroffen. Nach dem Gespräch realisierte sie, dass ihre leibliche Mutter das Weggeben ihres Babys nie verkraftet hatte. Die Mutter arbeitete damals als Kellnerin, hatte eine Affäre mit einem verheirateten Mann, doch der liess sie sitzen. Schwanger konnte sie sich auf dem Bauernhof der Eltern nicht blicken lassen. Die Vertreter der Behörden drängten sie zur Freigabe der Neugeborenen. Sie sah keine andere Lösung, unterschrieb die Dokumente und bedauerte diesen Schritt ihr ganzes Leben lang. Wer es nicht schafft, Mutter oder Vater aufzuspüren, kann die Suche selten ganz abschliessen. Noch schwerer verkraften lässt sich, wenn sie zwar ein Elternteil finden, es aber den näheren Kontakt abblockt oder Gleichgültigkeit an den Tag legt. Der 63-jährige Schauspieler Heinrich S. war 49, als er seinen Vater zum einzigen Mal zuhause besuchte. Der tischte ihm Lügen und Ausflüchte auf, anstatt die Wahrheit zu sagen über seine Affäre mit Heinrichs Mutter und warum dieser im Kinderheim gelandet war. Dennoch: Kein Adoptierter, den ich bei meinen Recherchen kennenlernte, bereute im Nachhinein seine Suche. Wer sucht, gewinnt neue Erkenntnisse, die offenbar einen festeren Boden unter den Füssen bieten als alle bisherigen Vermutungen und Fantasien.

Eric Breitinger, «Adoptiert. Eine lebenslange Aufgabe.» (Herder 2016)

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«Ich glaube nicht an den freien Willen» Film  In «Return to Montauk» baut Volker Schlöndorff seine Geschichte auf die Frisch-Erzählung.

Ein Gespräch über verpasste Chancen, Lebensentwürfe und die Wiederholung seiner selbst. INTERVIEW  DIANA FREI

Herr Schlöndorff, Sie sind bekannt für Ihre Literaturverfilmungen, für gesellschaftskritische und politische Filme. Jetzt nehmen Sie eine Max-Frisch-Vorlage und packen sehr viel Autobiografisches rein. Ist das eine Kehrtwende? Volker Schlöndorff: Man kann sagen, eine späte Einsicht. Eine Reaktion. Ich habe so oft die Geschichten der ande­ ren erzählt und mich dabei zurückgenommen. Natürlich bin ich zwischen den Zeilen immer in den Filmen vorge­ kommen, weil ich mir die Vorlagen ja oft selbst gesucht habe. Weil sie indirekt auch ein Stück weit von mir erzählt haben. Bei «Homo Faber» war das so. Ich war in einer Krise in New York, und auf einmal fiel mir dieses Buch wieder ein, das ich 20 Jahre zuvor gelesen hatte. Da sagte ich: Mensch, das bist ja du. Dasselbe könnte man von vie­ len meiner Filme sagen, ganz bestimmt vom allerersten, von «Der junge Törless», der mit meiner Internatszeit zu 22

tun hatte. Mit Frisch hatte ich sogar einmal über eine mög­ liche Verfilmung von «Montauk» gesprochen, aber ich hatte keine Lust, auf Ingeborg Bachmann und alles Mög­ liche zurückzukommen. Dafür konnte ich mir vorstellen, «Montauk» als Vorlage zu nehmen: Ein Autor kommt nach New York. Die übliche Routine, man muss Interviews ge­ ben. Aber man ist zurück an einem Ort, an dem man etwas erlebt hat. Man meint, man hätte es überwunden, aber es springt einen an jeder Strassenecke an. Die Frau, die Ihre Hauptfigur Max Zorn im Film wiedertrifft, Rebecca – das war Ihre eigene verpasste Chance? Ja, auch in meiner Biografie ist ihr ein Kapitel gewidmet. Ich bin ihr tatsächlich nach 15 Jahren wieder begegnet. Und diese Wiederbegegnung ist zum Herzstück des Films geworden. Surprise 403/17


Alle Bilder: Ziegler Film/Franziska Strauss

Autobiografisch erzählen heisst ja, dass man dem gelebten Leben im Nachhinein einen roten Faden gibt, eine Sinnhaftigkeit. Geht Ihnen das auch so? Ich habe mir einen Spiegel vorgehalten. Unbewusst oder unbeabsichtigt, weil ich natürlich jede Szene so geschrie­ ben und inszeniert habe, wie sie mir am wahrhaftigsten vorkam, ohne Rücksicht darauf, ob die Hauptfigur dadurch sympathisch oder unsympathisch wird. Und das Ergebnis ist für mich selbst ziemlich erschreckend, wenn ich sehe, was für ein Narr ich oft gewesen bin. Wie rücksichtslos. Wenn die eigenen Erlebnisse zur Geschichte taugen, kann das eine Art Legitimation dafür sein, dass die Dinge so passieren mussten. Ich glaube, es passiert alles nur, weil man gar nicht anders kann. Ich glaube nicht, dass wir in unserem Leben wirklich über den freien Willen verfügen, unser Leben so oder anders zu gestalten. Wenn Leute sich einreden, ich habe zwar das und das getan, aber eigentlich wollte ich etwas ganz anderes, dann glaube ich, das ist eine grosse Lebenslüge. Reue ist aber ein grosses Thema in Ihrem Film. Wenn man der Meinung ist, dass alles so passiert, wie es kommen muss, dann hat Reue ja gar keinen Platz. Ja, aber ganz so einfach ist es auch wieder nicht. Ich weiss nicht, was Reue ist – aber man kann bedauern, dass man gewollt hat, was man gewollt hat. Obwohl man nicht anders konnte. Am Ende läuft es darauf hinaus: Erkenne dich selbst. Mach dir nichts vor. Was übrigens Max, meine Hauptfigur, nach wie vor nicht versteht.

«Ich glaube, es passiert alles nur, weil man gar nicht anders kann.» Volker Schlöndorff

Max merkt immerhin, dass er Rebecca zu einer Roman­ figur gemacht hat, indem er auf seine Erinnerungen ­aufbaute. Sie hat aber 17 Jahre lang ein reales Leben weitergeführt. Das passt nicht mehr zusammen. Ja, er wird kleinlaut. Sie sagt ihm, du bist der, von dem ich wollte, dass er der Vater meiner Kinder würde. Das war ihm damals offenbar nicht klar: dass es ihr so ernst war. Er hat sehr leichtfertig gehandelt. Schriftsteller können oft sehr genau aufschreiben, was sie selbst empfinden, aber andern hören sie meistens schlecht zu. Die Frage, ob man auch ein anderes Leben hätte führen können, ist ein grosses Frisch-Thema. In den Mann-­FrauBeziehungen geht es nicht bloss um unterschiedliche Frauen. Es ist vielmehr jedes Mal eine mögliche alternative Biografie, ein anderer Lebensentwurf. Vollkommen. Die Männer meinen, sie könnten verschie­ dene Entwürfe durchspielen. Frauen sind in dieser Be­ ziehung viel ernsthafter. Wenn ich mich einmal entschlos­ sen habe, mit einem Mann Kinder zu haben, dann habe ich mein Leben eben auf diese Karte gesetzt. Auch wenn ich mich von dem Mann trenne, die Kinder bleiben mir. Surprise 403/17

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Da kann man sich nicht fünf Jahre später für einen ganz anderen Lebensentwurf entscheiden. Sie glauben wirklich, dass es eine Sache der Männer ist, sich andere Lebensentwürfe vorzustellen? Dass Frauen gar nicht daran denken? Jedenfalls wollen Männer sich nicht festlegen. Es gibt ja vielleicht immer noch andere Möglichkeiten. Frauen gehen nicht so spekulativ ans Leben ran. Nun gibt es diesen Film, in dem viel Persönliches von Ihnen drinsteckt, und das erzählen Sie jedem Journalisten wahrscheinlich mehr oder weniger gleich. Wieder so ein Thema aus dem Max-Frisch-Kosmos: die Wiederholung seiner selbst, das Zurückgreifen auf Vorformuliertes, das Leben im Zitat. Ich hatte im Laufe des Lebens Zeit, mich daran zu gewöh­ nen, dass das ein Teil der Arbeit ist. Ein sehr gefährlicher Teil. Natürlich stilisiert man sich so, wie man gerne gese­ hen werden würde. Das ist ja auch legitim in der Öffent­ lichkeitsarbeit. Aber wenn man schreibt, dann darf man nicht so eitel sein. Sonst wird das ein unglaubwürdiger Roman oder ein schlechter Film. 23


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Volker Schlöndorf bei den Dreh­ arbeiten zu «Return to Montauk». 2/3 Eintauchen in eine vergangene Liebesgeschichte: Rebecca (Nina Hoss) und Max Zorn (Stellan Skarsgård). 4 Schriftsteller Max Zorn mit seiner Lebensgefährtin (Susanne Wolff). 5 Max und Clara im Gespräch mit Walter (Niels Arestrup), Max´ altem Freund und Mentor. Alle Bilder: Ziegler Film/Franziska Strauss

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Es belastet Sie aber nicht, dass Sie sich selbst ständig wiederholen müssen? Doch, doch, es belastet mich. Es belastet einen komischer­ weise desto mehr, je älter man wird, weil man Angst hat, dass man zum Schluss nur noch der ist, der die Interviews gibt und gar nicht mehr der, der wirklich arbeitet. Man arbeitet intensiv ein Jahr an einem Film und dann muss man noch ein, meistens zwei Jahre lang Öffentlichkeits­ arbeit machen. Das hat mit der Vervielfältigung der Medien derartig überhandgenommen. Es wird eine Dauer­ beschäftigung, man wird für sich selber dabei unglaub­ würdig. Man braucht danach wirklich ein paar Monate, bevor man wieder zu sich selbst zurückgefunden hat. In «Return to Montauk» kann Max, der Schriftsteller, zum Schluss in einem einfachen Gespräch mit der Frau, die er angeblich am meisten geliebt hat, nicht einmal mehr klar und offen reden, sondern fällt in Floskeln und vorgefer­ tigte Anekdoten zurück. Das Vergehen der Zeit wird in «Return to Montauk» auch thematisiert. Es tut mir leid, wenn ich Sie nun ständig mit Max Frisch vergleiche – aber bei ihm habe ich den Eindruck, der alternde Mann sei schon sehr früh ein Thema gewesen. Er hat sich selbst als alternden Mann wahrgenommen, als er … … 40 Jahre alt war. (lacht) Bei Ihnen habe ich den gegenteiligen Eindruck: Sie haben eine 25-jährige Tochter und haben mit 60 begonnen, Marathon zu laufen. In dieser Hinsicht sind Sie Frisch nicht wesensverwandt. Wahrscheinlich nicht. Ich bin ein Filmer, ein Regisseur. Wir sind Macher. Das ist, wie wenn Max Frisch Architekt geblieben wäre: Man fängt das nächste Bauwerk an, man muss im realen Leben ununterbrochen Entscheidungen treffen. Das heisst, man kann sich nie wie ein Schriftsteller 24

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verinnerlichen. Das ist sicher auch der Grund, wieso ich immer wieder in der Literatur Zuflucht gesucht habe. Weil ich das Gefühl hatte, Schriftsteller können präzise aus­ drücken, was ich zwar empfunden habe, aber nicht die Geduld habe zu artikulieren.

«Return to Montauk» Der Schriftsteller Max Zorn (Stellan Skarsgård) kommt für die Premiere seines neuen Buchs nach New York, wo seine Lebensgefährtin Clara (Susanne Wolff) auf ihn wartet. Kaum angekommen, holen ihn Erinnerungen an eine längst vergangene Liebesgeschichte mit Rebecca (Nina Hoss) ein. Volker Schlöndorff, Jahrgang 1939, ist einer der bedeutends­ ten deutschen Regisseure mit internationaler Ausstrahlung («Die Blechtrommel», «Die verlorene Ehre der Katharina Blum», «Homo Faber»). Mit Max Frisch war er befreundet. Schlöndorff schrieb das Drehbuch entlang Frischs Erzählung «Montauk», zusammen mit dem irischen Schriftsteller Colm Tóibín. «Return to Montauk», D 2017, Englisch mit deutschen UT, 108 Min. Läuft zurzeit im Kino.

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Illustr ation: chi Lui Wong

In der Lebensmühle Buch «Steingrubers Jahr» ist das tragikomische Journal

eines stillen Beobachters, den das Leben einholt.

Bild: ZVG

Felix Steingruber ist Kammer­ jäger. Er lebt vom Töten von Ameisen, Kakerlaken, Silber­ fischchen und Co. Daneben führt er ein unspektakuläres Leben als Junggeselle, dessen Mutter die Hoffnung auf Enkel nicht aufgibt, als Halter einer Katze namens Frau Obermül­ ler, als Besitzer eines Wildbie­ nenhauses und vor allem als stiller Beobachter. Als einer, der nur zuschaut, sich selber und den Menschen, für die er Un­ geziefer beseitigt und bei de­ nen er viel Einsamkeit begeg­ net, die ihnen ins Gesicht und in den Geruch geschrieben ist. Jeder versucht auf seine Art, damit zurechtzukommen: mit Alkohol, mit Schiffen aus Zündhölzern oder mit Quitten­ marmelade aus den Früchten des Baumes, an dem sich der eigene Mann erhängt hat. Und gebetsmühlenartig stellt Stein­ gruber fest: So kann man das natürlich auch machen. Doch Leben und Tod gehen auch an einem stillen Beobach­ ter nicht spurlos vorüber. Die Lebensmühle reisst auch ihn in ihr Mahlwerk. Als Steingruber von einem Psychiater träumt, der ihm verkündet, dass er nur noch ein Jahr zu leben habe, holt er sich einen Ratgeber in der Bibliothek und beschliesst, Tagebuch zu führen. Dass er dabei die Bibliothekarin Frau Amrain kennenlernt, bleibt ebenfalls nicht folgenlos. Vor allem, nachdem er, der nicht einmal weiss, wie Ausge­ hen geht, sich endlich dazu

durchringt, sie zum Besuch ei­ nes Tangokurses aufzufordern. Eigentlich könnte jetzt eine schöne Liebesgeschichte mit Happy End ihren Ausgang nehmen, die Wandlung eines Lebensuntüchtigen zum Le­ benslustigen. Aber das Schick­ sal meint es nicht gut mit den beiden, und das Tagebuch, das anfangs eher distanziert Le­ bensbruchstücke und die Le­bensgeschichten der anderen festhält, wird zu einem verzwei­ felten Anschreiben gegen den Tod, das sich schliesslich bis zur reinen Auflistung von Todes­ arten und perfiden Schicksals­ schlägen steigert. Und irgend­ wann bleibt nur noch die Frage: Gibt es ein Leben nach dem Tod der anderen? Der Schweizer Ralf Schlatter ist ein mehrfach preisgekrön­ ter Kabarettist, der immer auch literarisch ist, und ein Autor, in dessen Texten man wiederum unschwer den Kabarettisten erkennt. Das macht das Lesen des schmalen, schön und licht gestalteten Bändchens durch­ aus vergnüglich. Dennoch ist in «Steingrubers Jahr», bei aller Poesie und allem Witz, recht düster und verzweifelt, was sich der Protagonist da von der Seele schreibt. Ein tragikomi­ scher Tagebuch-Roman, der unerbittlich bohrt und fragt. Und wenn wir das lesen? Lesen wir uns dabei dann auch so manches von der Seele? Es lohnt sich, diesen Versuch zu machen. CHRISTOPHER ZIMMER

Ralf Schlatter: «Steingrubers Jahr», Roman Limbus 2017 CHF 26.90

Piatto forte

Unsere Wurstkultur Verglichen mit anderen Ländern haben wir eine unter­ ent­wickelte Wurstkultur. Der Wurstsalat allerdings ist nicht aus der helvetischen Gartenbeiz wegzudenken. In unseren Nachbarländern liegen Streichwürste, Leber­ würste, Blutwürste, Brühwürste und viele mehr in den Theken. In der Schweiz setzen wir neben der Bratwurst vor allem auf den berühmten Cervelat. Wikipedia weiss, dass wir davon jährlich 160 Millionen Stück essen. Der Schweizer isst also 21 Stück pro Jahr. Nicht nur auf einem Holzstecken aufgespiesst, sondern auch als Wurstsalat. Allerdings können wir den Wurstsalat nicht als eidgenös­ sische Spezialität lobpreisen, er wird nämlich auch in Süddeutschland und im Elsass mit Hingabe zubereitet und gegessen. Wir machen ihn aber für einmal nicht aus unserer Natio­ nalwurst, sondern aus einer groben Schweinsbratwurst. Dafür garen wir die groben Schweinsbratwürste etwa 30 Minuten indirekt bei rund 100 °C im Rauch auf dem Grill. Die Würste auskühlen lassen und in Rädchen schneiden. Aus mildem Apfelessig, etwas Birnel, Rapsöl, Salz, Pfeffer und kleingeschnittenem Peterli eine Vinaigrette rühren. Die Bratwursträdchen darin ziehen lassen. Aus grobkörnigem Senf, etwas Verjus, Honig und einer selbst gemachten Mayonnaise eine Senfmayonnaise kreieren. Dazu aus altem Brot Würfel schneiden und in etwas Butter zu knusprigen Croutons braten. Anschlies­ send im Ofen bei 60 °C eine Stunde trocknen lassen und im Mörser grob zerkleinern. Brotkrümel auf dem Teller verteilen, die Würste versetzt neben der Senfmayo anrichten und einige feine Ringe einer milden Schalotte dazwischen stecken. Mit der restli­ chen Vinaigrette beträufeln. Und schon haben wir einen Salat, den uns keiner mehr so schnell nachmacht. TOM WIEDERKEHR  schreibt mit Genuss über häufig Gegessenes und noch weitgehend Unentdecktes. Bezugsquellen und Rezepte: www.piattoforte.ch/surprise

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Fotos: Independent Newspapers (1), ZVG (1), Nachlass Travaglini (1), Lorenzo Pusteria/Migros Museum Für Gegenwartskunst/Maja Bajevic/Galerie Peter Kilchmann, ZH (1), Studio Tom Emerson Photographs (1)

Basel Ausstellung: «Bilder des Zeitgeschehens», Presse­fotografie und Archive in Afrika, bis 26. August, Mo bis Sa, 9 bis 21 Uhr, Universitätsbibliothek Basel, Ausstellungsraum (1. OG), www.african-photography-initiatives.org/index.php/exhibitions/ bilder-des-zeitgeschehens

Der Basler Afrikanist Jürg Schneider und seine Kollegin Rosario Mazuela kümmern sich im südlichen Afrika um den Erhalt, die Sammlung und Digitalisierung des visuellen Erbes dieser Weltregion – in Zusammenarbeit mit lokalen Projekten. Ein Teil der in verschiedenen afrikanischen Staaten gesichteten und gesicherten Fotografien von 1945 bis heute ist nun in der Ausstellung «Bilder des Zeitgeschehens» in der Basler Universitätsbibliothek zu sehen. Lokale Schwerpunkte bilden Kamerun, Süd­ afrika und Uganda. WIN

Basel Jubiläum: Zehn Jahre Internetcafé Planet13, Feier am 14. Juli, 9.30 bis 23 Uhr, Klybeckstrasse 60, Basel, www.planet13.ch

puterreparaturservice, Zugang zu zahlreichen Arbeitsstationen und Internet, eine «Uni von unten», ein wöchentlicher Frauentag und regelmässige Filmabende. Alles kostenlos. Betreut von Freiwilligen und Ehrenamtlichen. Hut ab und herzlichen Glückwunsch! WIN

Bern Ausstellung: Peter Travaglini – Eine Hommage mit Plastiken, Objekten und Arbeiten auf Papier, bis 16. Juli und 27. August bis 5. November, Mi bis Sa, 14 bis 17 Uhr, So 11 bis 17 Uhr, Kunsthaus Grenchen, Bahnhofstrasse 53, Grenchen, www.kunsthausgrenchen.ch

Seit zehn Jahren betreiben Avji Sirmoglu und Christoph Ditzler das Internetcafé Planet13: den zentralen Treffpunkt für Armutsbetroffene im Kleinbasel. Geboten werden Deutsch- und Englischkurse, EDV-Einführungen, Com-

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Peter Travaglini (1927–2015) war der Meister des Reissverschlusses. Aber auch der Teigwaren und Trockenwürste, des Föhns und des Fotoapparates: Als wichtiger Vertreter der Schweizer Pop-Art ernannte er das Alltagsobjekt zur Kunst und bediente sich der Massstabsverschiebung. So wurde der

Zürich Ausstellung: «for now or forever – Swiss Pavilions», bis 23. Juli, Mi bis So, 12 bis 18 Uhr, Do bis 20 Uhr, Pavillon Le Corbusier, Höschgasse 8, Zürich

Reissverschluss aufgeblasen, bis er sich wie eine Autobahn durch eine Stadt zu fressen scheint. Und plötzlich wird auf ganz neue Art offensichtlich, was darin an Themen steckt: Zusammenhalt und Trennung, die genaue Zusammenarbeit der Zähnchen, das Zusammenbringen zweier Teile, die anders nicht ineinandergreifen. Ein Reissverschluss in einer Stadt: Ja, es wäre praktisch, wenn man mittels Reiss­ verschluss so leicht Zusammenhalt finden könnte. DIF

Es gibt den Restaurant-, den Musik-, den Kunst-, Garten- oder Aussichtspavillon. Erstellt werden solche Bauten von Leuten wie Mario Botta, Santiago Calatrava oder Herzog & de Meuron. Ihr Sinn und Zweck bleibt oft etwas diffus, da sie weder richtige Gebäude noch Provisorien sind. Damit sind sie so etwas wie eine freiere Form in der Architektur, in der sich die Macher künstlerisch etwas austoben dürfen. Das gefiel vor allem den Meistern der Moderne: Le Corbusier errichtete 1966 in Zürich seinen Ausstellungspavillon. Und wo Pavillon draufsteht, ist auch Pavillon drin: eine Ausstellung über dieselben jedenfalls. DIF

Zürich Ausstellung: Maja Bajevic – Power, Governance, Labor, bis 13. August, Di, Mi, Fr 11 bis 18 Uhr, Do 11 bis 20 Uhr, Sa, So 10 bis 17 Uhr, Limmat­ strasse 270, Zürich, www.migrosmuseum.ch Welches sind die Instrumente staatlicher Macht und welcher Strategien und Medien bedient sie sich? – Das klingt nach der Fragestellung für eine Seminararbeit, ist aber ein Thema, das Maja Bajevic mit ihrer Kunst beackert. Die französisch-bosnische Künstlerin interessiert sich für staatliche, ökonomische oder reli­giöse Manipulation, für politische Propaganda und für die Formung nationaler Identität. Und wie macht man nun Kunst daraus? Indem man die Prozesse aus dem gewohnten Kommunikationskontext herausnimmt, imitiert und zweckentfremdet: Politische Slogans, Parolen und propagandistische Sprüche werden zum Spielmaterial. DIF

Zürich Theater: «Der Wolf im Sihlwald», Krimi von Stephan Pörtner, Eigenpro­ duktion und Uraufführung. 6. bis 30. Juli, 20 bis 22.15 Uhr, Spielpavillon, Besucher­ zentrum Wildnispark Sihlwald, Freilichtaufführung mit gedeckter Zuschauertribüne, www.turbinetheater.ch Seit der Rückkehr des Wolfes in unsere Gefilde wird die Anwesenheit des Raubtiers heiss diskutiert: Nun hat auch Surprise-Kolumnist und Zürcher Krimi-Star Stephan Pörtner Meister Isegrim zur Titelfigur seines neusten Theaterstücks gemacht. Dabei geht es nur am Rande um den Wolf, sondern mehr um das Verhältnis der Städter zur Natur und zu ihrem Naherholungsgebiet – dem Wildnispark Sihlwald. Hier, wo Bühne und Handlungsort zusammentreffen, geschieht ein Mord. Und einer läuft im Schafspelz umher. WIN

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Wörter von Pörtner

Freunde Der Mensch ist ein soziales Wesen und braucht Freunde, daran besteht kein Zweifel. Die Frage ist nur: wie viele? Schon in Kinder­büchern wird uns vermittelt, dass mit Freunden alles viel mehr Spass macht, dass es unabdingbar ist, viele davon zu haben. Im Erwachsenenleben werden Freunde zu Status­ symbolen. Die einen prahlen damit, Wirtschaftsführerinnen, Politiker, Sportlerinnen und Stars zu ihren Freunden zu zählen. Andere erwähnen gerne die Diversität ihres Freundes­ kreises, zu denen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zählen, ganz hoch im Kurs zurzeit Flüchtlinge, nicht mehr so aktuell: Latinos. Freunde sollten interessante Menschen mit spannenden Biogra­ fien sein. Das impliziert, dass man selber zu diesem Menschen­ schlag gehört, wie man sich bei gemeinsamen Nachtessen mit Freunden und Freundesfreunden gegenseitig bestätigt. Das ist schön für Leute, die kontaktfreudig und extrovertiert, die gerne mit anderen zusammen sind. Es gibt aber viele Menschen, für die das Zusammensein mit mehreren Leuten mehr Stress als Er­ holung bedeutet. Diese Menschen glauben, etwas stimme nicht mit ihnen, wenn sie sich in der Gesellschaft von «interessanten» Menschen – die oft laut, selbstbezogen und dominant sind – nicht wohlfühlen, sondern das Alleinsein oder aber das Zusam­ mensein mit ein, zwei Personen bevorzugen, die kein aufregen­ des Leben, hochtrabende Ziele oder spannende Jobs haben. Im schlechtesten Fall entdecken sie das Wundermittel, das hilft, kontaktfreudig zu sein und die eigene Person ein wenig zu überhöhen: den Alkohol. Dessen Wirkung erlaubt auch Surprise 403/17

scheuen, introvertierten, einzelgängerischen Menschen, sich in Gesellschaft zu begeben und sich dort unauffällig zu verhalten, beziehungsweise ebenso auffällig wie die anderen. Der Haken daran ist, dass sie leicht zu viel trinken, sich zu sehr an das Wundermittel gewöhnen und somit bald wieder in die alte Aussenseiterrolle zurückfallen, nun aber mit einem Alko­ holproblem oder einem heftigen Kater. Es gab früher einmal eine Werbung der alkoholfreien Schaumweinmarke Rimuss: «Für Menschen, die auch ohne Alkohol fröhlich sein können.» Inspiriert davon entstand der Club Rimuss: «Für Alkoholiker, die auch ohne Menschen fröhlich sein können.» Die Mitglieder sind nach der Gründung nie mehr zusammengekommen. Wie fragil das Konzept der Freundschaft ist, erfahren diejeni­ gen, die ihren Status als interessante Menschen, also ihren Job, ihren Erfolg oder ihre Schönheit verlieren. Die Gefahr, aus dem Kreis der sich gegenseitig bewundernden und bestätigen­ den Menschen ausgeschlossen zu werden, verursacht Angst, weil man glaubt, dass nur Menschen mit vielen Freunden rich­ tig leben. So kann das Zusammensein mit Freunden zu einer Art Wettbewerb um den Status, die Position in der Freundes­ hierarchie ausarten, bei dem Allianzen geschmiedet und an Stühlen gesägt wird. In aller Freundschaft natürlich. Dabei lässt es sich auch als durchschnittlicher Mensch mit we­ nigen Freunden, die man bestenfalls auch nur selten sieht, genauso gut leben. Nur sagt einem das keiner, weil sonst der Genussmittelindustrie und der Gastronomie herbe Einbussen drohen würden. Stephan Pörtner  fragt sich, was wohl seine Freunde über diese Kolumne denken würden. Wenn er Freunde hätte. Die denken könnten.

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IND 0.– S AB 50 ABEI! SIE D

Die 25 positiven Firmen Unsere Vision ist eine solidarische und vielfältige Gesellschaft. Und wir suchen Mitstreiterinnen, um dies gemeinsam zu verwirklichen. Übernehmen Sie als Firma soziale Verantwortung. Unsere positiven Firmen haben dies bereits getan, indem sie Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Mit diesem Betrag unterstützen Sie Menschen in prekären Lebenssituationen dabei auf ihrem Weg in die Eigenständigkeit. Die Spielregeln: 25 Firmen oder Institutionen werden in jeder Ausgabe des Surprise Strassenmagazins sowie auf unserer Webseite aufgelistet. Kommt ein neuer Spender hinzu, fällt jenes Unternehmen heraus, das am längsten dabei ist. 01

Madlen Blösch, GELD & SO, Basel

02

Praxis PD Dr. med. Uwe Ebeling, Bern

03

Proitera Betriebliche Sozialberatung, Basel

04

Gemeinnütziger Frauenverein Nidau, Nidau

05

VXL gestaltung und werbung ag, Binningen

06

Hervorragend AG, Bern

07

Lisa Stettler Körpertherapie, Bäch

08

Coop Genossenschaft, Basel

09

Velo-Oase, Erwin Bestgen, Baar

10

Maya-Recordings, Oberstammheim

11

Scherrer & Partner, Basel

12

Fischer + Partner Immobilien AG, Otelfingen

13

ChemOil Logistics AG, Basel

14

Schluep & Degen Rechtsanwälte, Bern

15

Institut und Praxis Colibri, Murten

16

Kaiser Software GmbH, Bern

17

Klinik Sonnenhalde AG, Riehen

18

Rechtsanwalt Peter von Burg, Zürich

19

Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich

20

Hofstetter Holding AG, Bern

21

Hedi Hauswirth Privat-Pflege, Oetwil am See

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Echtzeit Verlag, Basel

23

OpenTrack Railway Technology GmbH, Zürich

24

Intercelix AG, Basel

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Naef Landschaftsarchitekten GmbH, Brugg

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende ab 500 Franken sind Sie dabei. Spendenkonto: PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma und Ihr gewünschter Namenseintrag Sie erhalten von uns eine Bestätigung. Kontakt: Nicole Huwyler Team Marketing, Fundraising & Kommunikation T +41 61 564 90 50 I marketing@surprise.ngo

SURPLUS – DAS NOTWENDIGE EXTRA Das Programm

Wie viele Surprise-Hefte müssten Sie verkaufen, um davon in Würde leben zu können? Hätten Sie die Kraft?

Wussten Sie, dass einige unserer Verkaufenden fast ausschliesslich vom Heftverkauf leben und keine Sozialleistungen vom Staat beziehen? Das fordert sehr viel Kraft, Selbstvertrauen sowie konstantes Engagement. Und es verdient besondere Förderung. Mit dem Begleitprogramm SurPlus bieten wir ausgewählten Verkaufenden zusätzliche Unterstützung. Sie sind mit Krankentaggeld und Ferien sozial abgesichert und erhalten ein Nahverkehrsabonnement. Bei Problemen im Alltag begleiten wir sie intensiv.

Eine von vielen Geschichten Das Leben schenkte Marlis Dietiker alles, wovon sie geträumt hatte: eine Familie, Kinder, ein Haus und einen Beruf. Doch beinah alles wurde ihr wieder genommen. Schwere Krankheiten, die Trennung von ihrem Mann und später sein Tod liessen die Mutter von drei Kindern allein und gesundheitlich schwer angeschlagen am Existenzminimum zurück. Seit 2007 verkauft Marlis Dietiker in Olten das Surprise Strassenmagazin. Dank dem SurPlus-Programm ist sie bei Krankheit sozial abgesichert. Dies ermöglichte der engagierten Surprise-Verkäuferin die dringend benötigte Herzoperation und die Genesung, was ihr letztlich das Leben rettete.

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Unterstützungsmöglichkeiten: · 1 Jahr: 6000 Franken · ½ Jahr: 3000 Franken · ¼ Jahr: 1500 Franken · 1 Monat: 500 Franken · oder mit einem Beitrag Ihrer Wahl.

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Wir alle sind #Surprise Bild: ZVG

Jovanka Rogger Radu und ich kennen uns schon seit Jahren. Sieht sie mich am Bahnhof Altstetten kommen, grüsst sie von Weitem und winkt mit dem Heft in der Hand. Wir tauschen unsere persönlichen Nachrichten aus. Ich drücke ihr das Geld in die Hand, sie reicht mir das Surprise. Ich freue mich darauf, es zu lesen. Wir verabschieden uns wie gute Freundinnen. M. Fognini, Zürich

Leserbrief

Ausgabe 396

Zur Not

Neuer Blick

Mir gefällt das neue Erscheinungsbild von Surprise sehr gut. Es ist griffiger, handfester, entspricht einem Strassenmagazin viel eher. Nach der Lektüre liesse es sich auch zum Entfachen eines Feuers verwenden – obwohl ich gelesene Surprise-Ausgaben lieber zum Lesen weitergebe. Immer noch ein hochaktuelles, engagiertes, mitfühlendes Magazin!

Die Ausgabe hat mich durchwegs in den Bann gezogen; besonders spannend fand ich die Artikel «Reporter statt Opfer» und «Irren macht menschlich». Zum einen ein Artikel, der einen über den Gartenhag blicken lässt, der andere spiegelt mich selbst, wenn auch mit völligen anderen Erfahrungen, und wirkt auch irgendwie unterstützend.

B. Gnos, Allschwil

S. Christen, Münchenbuchsee

Impressum Herausgeber Surprise, Spalentorweg 20 CH-4051 Basel

Seemann, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Chi Lui Wong, Christopher Zimmer

Geschäftsstelle Basel T +41 61 564 90 90 F +41 61 564 90 99
 Mo–Fr 9–12 Uhr info@surprise.ngo, surprise.ngo

Mitarbeitende dieser Ausgabe Flurin Bertschinger, Eric Breitinger, Ruben Hollinger, Wanda Honegger, Isabel Mosimann, Roland Schmid

Regionalstelle Zürich Kanzleistrasse 107, 8004 Zürich T  +41 44 242 72 11 M+41 79 636 46 12

Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise, nur mit Geneh­ migung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt.

Regionalstelle Bern Scheibenstrasse 41, 3014 Bern T  +41 31 332 53 93 M+41 79 389 78 02

Gestaltung und Bildredaktion Bodara GmbH, Büro für Gebrauchsgrafik

Anzeigenverkauf Stefan Hostettler, 1to1 Media T  +41 61 564 90 90 M+41 76 325 10 60 anzeigen@surprise.ngo Redaktion
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 Ständige Mitarbeit
 Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Marie Baumann, Florian Burkhardt, Rahel Nicole Eisenring, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Khusraw Mostafanejad, Fatima Moumouni, Stephan Pörtner, Isabella

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Druck  AVD Goldach Papier  Holmen TRND 2.0, 70 g/m2, FSC®, ISO 14001, PEFC, EU Ecolabel, Reach Auflage  22 500 Abonnemente  CHF 189, 25 Ex./Jahr Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsen­dungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinaus­gehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkau­fenden zugute kommen. Helfen macht Freude, spenden Sie jetzt. Spendenkonto:
PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3

Sozialer Stadtrundgang

Erreicht Herr Christen hat uns authentisch, persönlich und sehr kompetent die Sicht auf ein Basel vermittelt, in dem Menschen ohne Arbeit und oft auch ohne Wohnung an den Rand gedrängt werden. Meine Klasse war sehr interessiert. Herr Christen hat die Jugendlichen mit seinen Ausführungen sichtlich erreicht. Mich haben die zwei Stunden sehr zum Nachdenken angeregt, und ich glaube, dass auch meine Schülerinnen und Schüler nach dieser Tour nun vielleicht wie ich ein wenig anders als vorher durch ihre Stadt gehen. B. Dietrich, Gymnasium Leonhard, Kl. 5c, Basel

Sozialer Stadtrundgang

Perspektive Tief berührt, erstaunt, überrascht und überwältigt von dieser Art Welt (-Ansicht). V. Steiger, Zug

Ich möchte Surprise abonnieren 25 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.–) Verpackung und Versand bieten Strassen­verkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen Gönner-Abo für CHF 260.– Geschenkabonnement für: Vorname, Name Strasse PLZ, Ort

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Bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Surprise, Spaltentorweg 20, CH-4051 Basel, F +41 61 564 90 99, info@surprise.ngo

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Foto: ruben hollinger

Surprise-Porträt

«Das Gefühl, dazuzugehören» «Ich war knapp 20-jährig, als ich 1978 als Tourist in die Schweiz kam. Ein Lehrer aus Langenthal, den ich in meiner Heimat Sri Lanka kennengelernt hatte, hatte mich eingeladen. Während dieses Besuchs schaute ich mich nach einer Arbeit um und fand schliesslich eine Stelle als Deckarbeiter auf einem Schiff. Zwei Jahre verbrachte ich erst auf einem Frachter, später auf einem Tanker. Beide Schiffe fuhren entlang der europäischen Küsten, und in den grossen Häfen wurde jeweils die Fracht gelöscht und neu geladen. Diese zwei Jahre waren eine gute und abwechslungsreiche Zeit. Wir waren dauernd unterwegs. Nur einmal blieben wir drei Monate am gleichen Ort, weil unser Schiff in Göteborg repariert werden musste. 1980 kehrte ich zu meinem Bekannten in die Schweiz zurück – mit dem ich übrigens bis heute in Kontakt bin – und verliebte mich hier in eine Schweizerin. Wir heirateten und bekamen bald eine Tochter. Weil ich anfangs kaum Deutsch sprach, arbei­tete ich zuerst in einer Fabrik, die Küchenmöbel herstellte, dann in einer Fensterfabrik und später auch noch in einem Restaurant am Buffet. Neben der Arbeit lernte ich an einer Sprachschule intensiv Deutsch, was mir nicht schwerfiel. In Sri Lanka hatte ich im Gymnasium sehr gut Englisch gelernt – da war der Schritt zum Deutsch für mich nicht so gross. Später fing ich sogar an, Berndeutsch zu reden. Als 1983 der Bürgerkrieg in Sri Lanka ausbrach und viele meiner tamilischen Landsleute in die Schweiz flüchteten, war ich sozusagen der richtige Mann am richtigen Ort. Mit meinen Sprachkenntnissen – ich spreche neben Tamilisch auch Singhalesisch – wurde ich damals von den Behörden als Dolmetscher engagiert und übersetzte jahrelang unter anderem bei Befragungen von Flüchtlingen. Grundsätzlich habe ich diese Arbeit gern gemacht, aber sie war auch belastend. Die Schilderungen der Bürgerkriegserlebnisse gingen nicht spurlos an mir vorüber. Eine Erleichterung für mich war, dass meine Eltern und Geschwister zu Beginn des Bürgerkriegs nach Indien flüchten konnten. Trotzdem hatte ich zeitweise grosse Mühe, hier zurechtzukommen. Das Leben in zwei Kulturen fiel mir vor allem in den ersten Jahren nicht leicht. Ich habe hier in der Schweiz angefangen, in der Bibel zu lesen, und der Glaube an Gott hilft mir oft, meinen Alltag besser zu bewältigen. Heute bin ich immer noch als Dolmetscher tätig, jedoch nur für Privatleute, die einen Termin bei einem Anwalt oder Verständnisschwierigkeiten im Spital haben. Auch schriftliche Übersetzungen von Briefen oder Urkunden erledige ich ab und zu. Mit dem Verkauf von Surprise habe ich letzten Dezember angefangen, weil ich mir zu meiner Rente etwas dazuverdienen und auch regelmässig unter die Leute kommen will. Ich bin seit Jahren geschieden und lebe alleine. Den Kontakt zu den Mit­ arbeiterinnen und Mitarbeitern im Büro von Surprise schätze 30

Yogendra Duraiswamy (58), genannt «Yoga», kam einst als Tourist in die Schweiz. Heute ist der gebürtige Sri Lanker als Übersetzer und Dolmetscher tätig und verkauft Surprise beim Coop im Berner Sulgenau-Quartier.

ich sehr. Das gibt mir das Gefühl, dazuzugehören. Etwa einmal pro Woche gehe ich im Büro vorbei, hole neue Hefte und setze mich gerne dazu, wenn es einen Brunch gibt. Für mich ist Surprise verkaufen auch deswegen ideal, weil ich mir die Arbeitszeiten frei einteilen kann. Wenn ich Übersetzungsaufträge habe, erledige ich zuerst diese, dann gehe ich etwa zwei Stunden an meinen Verkaufsstandort beim Coop im Berner Sulgenau-Quartier. Wenn ich keine Lust mehr habe, kehre ich nach Hause zurück und löse zur Entspannung ein Kreuzworträtsel.»

Aufgezeichnet von ISABEL MOSIMANN

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GESUCHT: DER FAN-SCHAL FÜR DIE NATI 2017! Die Strassenfussball Nati nimmt vom 29.8. bis 5.9. am Homeless World Cup in Oslo teil – mit Ihrem Schal im Gepäck? Wie in den Jahren zuvor überreichen unsere Spieler auch in diesem Jahr ihren Gegnern zum Handshake original handgemachte Fanschals. Machen Sie mit! Der Schal sollte zirka 16 cm breit und 140 cm lang sein, am liebsten mit Fransen und – Sie haben es erraten – in Rot und Weiss gehalten. Gestrickt, gehäkelt, genäht: alles geht! Die Spieler unserer Nati werden den schönsten Schal küren – der Gewinnerin oder dem Gewinner winkt ein attraktiver Überraschungspreis!

Schicken Sie den Schal bis spätestens Freitag, 11. August 2017 an: Surprise | Strassenfussball | Spalentorweg 20 | CH-4051 Basel INS_Kurzportraet_GzD_Layout 1 09.05.17 15:43 Seite 1 INS_Kurzportraet_GzD_Layout 1 09.05.17 15:43 Seite 1

Kultur Kultur

Solidaritätsgeste Solidaritätsgeste

STRASSENCHOR STRASSENCHOR

CAFÉ SURPRISE CAFÉ SURPRISE

Lebensfreude Zugehörigkeitsgefühl Lebensfreude Zugehörigkeitsgefühl Entlastung Sozialwerke Entlastung Sozialwerke

BEGLEITUNG UND BEGLEITUNG BERATUNG UND BERATUNG

Unterstützung Unterstützung

Job Job

STRASSENMAGAZIN STRASSENMAGAZIN Information Information

SURPRISE WIRKT SURPRISE WIRKT

Entwicklungsmöglichkeiten Entwicklungsmöglichkeiten

STRASSENFUSSBALL STRASSENFUSSBALL

Erlebnis Erlebnis

Expertenrolle Expertenrolle SOZIALE STADTRUNDSOZIALE GÄNGE STADTRUNDGÄNGE Perspektivenwechsel Perspektivenwechsel

Surprise unterstützt seit 1998 sozial benachteiligte Menschen in der Schweiz. Unser Angebot wirkt in doppelter Hinsicht – auf den armutsbetroffenen Menschen und aufSurprise die Gesellschaft. Wir arbeiten nicht gewinnorientiert, finanzieren uns ohne staatliche Gelder und sind auf Spenden und Fördergelder angewiesen. Spenden auch Sie. 403/17 Surprise unterstützt seit 1998 sozial benachteiligte Menschen in der Schweiz. Unser Angebot wirkt in doppelter Hinsicht – auf den armutsbetroffenen Menschen surprise.ngo/spenden | Spendenkonto: PC 12-551455-3 | IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 und auf die Gesellschaft. Wir arbeiten nicht gewinnorientiert, finanzieren uns ohne staatliche Gelder und sind auf Spenden und Fördergelder angewiesen. Spenden auch Sie. surprise.ngo/spenden | Spendenkonto: PC 12-551455-3 | IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3

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Café Surprise – eine Tasse Solidarität Zwei bezahlen, eine spendieren. BETEILIGTE CAFÉS BASEL BackwarenOutlet, Güterstr. 120 | Café Bohemia, Dornacherstr. 255 | Café-Bar Elisabethen, Elisabethenstr. 14 | Flore, Klybeckstr. 5 Café Restaurant Haltestelle, Gempenstr. 5 | Kiosk Amann, Claragraben 101 | Oetlinger Buvette, Unterer Rheinweg | Quartiertreffpunkt Kleinhüningen, Kleinhüningerstr. 205 | Quartiertreffpunkt Lola, Lothringerstr. 63 | Les Gareçons to go, Badischer Bahnhof | Restaurant Manger et Boire, Gerbergasse 81 | Trattoria Bar da Sonny, Vogesenstr. 96 LUZERN Jazzkantine zum Graben, Garbenstr. 8 | Meyer Kulturbeiz, Bundesplatz 3 Blend Teehaus, Furrengasse 7 RAPPERSWIL Café good, Marktgasse 11 SCHAFFHAUSEN Kammgarn-Beiz, Baumgartenstr. 19 BERN Café Kairo, Dammweg 43 | Café Marta, Kramgasse 8 | Café Tscharni, Waldmannstr. 17a | Café-Bar das Lehrerzimmer, Waisenhausplatz 30 | LoLa Lorraineladen, Lorrainestr. 23 | Luna Llena Gelateria Restaurant Bar, Scheibenstr. 39 | Restaurant Genossenschaft Brassierie Lorraine, Quartiergasse 17 Restaurant Löscher, Viktoriastr. 70 | Restaurant Sous le Pont – Reitschule, Neubrückstr. 8 | Rösterei Kaffee und Bar, Güterstr. 6 | Treffpunkt Azzurro, Lindenrain 5 | Zentrum 44, Scheibenstr. 44 BIEL Treffpunkt Perron bleu, Bahnhofplatz 2d ZÜRICH Café Zähringer, Zähringerplatz 11 Cevi Zürich, Sihlstr. 33 | Sphères, Hardturmstr. 66 STEIN AM RHEIN Raum 18, Kaltenbacherstr. 18

Weitere Informationen: surprise.ngo/cafesurprise


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