Surprise 406

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Strassenmagazin Nr. 406 11. bis 24. August 2017

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Tadschikistan

Ganz unten auf dem Dach der Welt Ein Ort auf der Suche nach einer neuen Identität Seite 8

Putzfrauen

Porträt

Theaterspektakel

Was diejenigen über uns wissen, die unseren Dreck wegräumen

Wie man Staubfegen als Zen-Meditation betreiben kann

Wael Shawky erzählt von den Kreuzzügen aus arabischer Sicht

Seite 16

Seite 20

Seite 22


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TiteLbild: Mario Heller

Editorial

Hinweggefegt Es war einmal eine Kleinstadt namens Murghob, die gehörte zur Sowjetunion und wurde gebraucht: als strategisch wichtiger Ort, als Durchgang zu China im Osten und Af­ghanistan im Süden. Dann war die Sowjetunion plötzlich weg, und der Ort verlor seine Daseinsberechtigung. Die Menschen dort sind seither auf der Suche danach, wer sie sein könnten und was ihr Platz in der Welt sein könnte. Eigentlich ist es, als wären sie von der Landkarte gefegt worden. Wie sich das anfühlt, lesen Sie ab Seite 8.

In der Schweiz lernt man am meisten über die Menschen, wenn man ihre Sachen aufräumt und das Parkett bohnert, auf dem sie sich bewegen. Das tun Reinigungsfachleute in privaten Wohnungen – und sie haben uns erzählt, was ihnen dabei durch den Kopf geht. Ab Seite 16.

«Ich möchte dazu ermutigen, dem Kon­strukt Geschichte stets kritisch zu begegnen», sagt der ägyptische Künstler Wael Shawky. Dass die Krümel der Weltgeschichte immer wieder neu zusammengekehrt und dabei Wahrheiten und Mythen wie Staub im Wohnzimmer herumgewirbelt werden, weiss auch er. Was er damit macht, erfahren Sie ab Seite 22.

Wir haben gemeinsam mit den im Heft vertretenen Protagonisten für Sie vorgeputzt: Historie entstaubt, Geschichten aus dem Abfluss der Vergessenheit gefischt, Dreck aus den Ecken der menschlichen Seele gekratzt. Zum Schluss haben wir alles mit Rosenwasser poliert.

Und dann gibt es eine Ethnologin, die sich und andere lehrt, mittels Abstauben den Weg zum Zen-Buddhismus zu finden. Wie das geht? Lesen Sie selbst ab Seite 20.

Diana Frei Redaktorin

4 Aufgelesen 5 Vor Gericht

Vorsicht vor der Babysitterin 6 Moumouni

… macht Urlaub

8 Tadschikistan

Die Stoiker vom Pamirgebirge

20 Porträt

Putzen als Wohltat für Körper und Geist

16 Interview

28 Surplus 29 Wir alle sind Surprise Impressum Surprise abonnieren 22 Theater

«Geschichte ist ein grosses Fragezeichen» 26 Buch

Im Davorseits

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Miteinander statt nebeneinander 27 Veranstaltungen

Was verrät unser Dreck?

7 Die Sozialzahl

Die Verteilung der Zeit

26 Randnotiz

30 Surprise-Porträt

«Jeden Tag zwei Stunden zu Fuss zur Schule» 31 Lösungen der Rätsel aus Ausgabe 405

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Aufgelesen

Foto: Adrián Markis

News aus den 115 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

«Zunächst sah ich ein Baby, schutzlos und vernachlässigt von den Eltern inmitten von Kartons. Sofort begann ich mit Schuldzuweisungen. Doch dann schaute ich genauer hin: Das Baby war sauber und gepflegt und hatte seine Mutter bei sich. Sie ist Altpapiersammlerin. Auch die Geschwister und die Tante waren in der Nähe. Sie hingen am Baby. Da verstand ich, dass dies die Geschichte ist, die ich erzählen muss, und nicht die, die man sich aufgrund gesellschaftlicher Vorurteile vorstellt.»  Adrián Markis, Fotograf Hecho en Bs. As., Buenos Aires

Jung steht spät auf

Knast für Bettler

Langschläfer haben es schwerer in Universität und Schule. Dies besagt eine Studie der Universität Bologna und der Pädagogischen Hochschule Heidelberg von 2015. «Abend­ typen» seien genauso begabt wie Frühauf­ste­ her, müssten ihre Leistung lediglich zur falschen Uhrzeit abrufen, so die Studie. Ergeb­ nis: Frühaufsteher erbringen durchweg bessere akademische Leistungen als Lang­ schlä­fer. Besonders Jugendliche sind davon betroffen, befinden sich in der Altersgruppe 12 bis 20 Jahre doch besonders viele «Abendtypen».

Wer in Dänemark «aggressiv» in Fussgängerzonen, vor Supermärkten, in Bahnhöfen oder öffentlichen Verkehrsmitteln bettelt, kann in Zukunft mit zwei Wochen Gefängnis bestraft werden. Ohne Vorwarnung. Beschlossen hat dies das Parlament mit grosser Mehrheit im Rahmen einer Gesetzesverschärfung Mitte Juni. Flankiert wurde der Entscheid durch eine Debatte über bettelnde Roma aus Osteuropa. Justizminister Søren Pape Poulsen von der Konservativen Volkspartei liess verlauten, man werde «nicht zulassen, dass Leute auf öffentlichen Plätzen Lager aufschlagen, Kirchhöfe als Toiletten gebrauchen und in Zügen betteln».

Asphalt, Hannover

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Hinz & kunzt, Hamburg

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Fast eine halbe Million Menschen in Deutschland gelten als spielsüchtig. Sie «verdaddeln» ihr gesamtes Vermögen, machen im Schnitt rund 25 000 Euro Schulden, unter ande­ rem an den rund 267 000 Spielauto­maten, die in deutschen Spielhallen und gastronomischen Betrie­ ben stehen. 18 Milliarden Euro werden damit jährlich umgesetzt – schätzungsweise mehr als die Hälfte durch Süchtige.

Illustration: Priska Wenger

Keine Chance

Fast eine halbe Million Menschen machen rund 25000 Euro Schulden. Für den Staat ein einträgliches Geschäft: Mehr als eine Milliarde bekommt er als Abgaben. Auch die Wirte profitieren: Ein gut genutzter Automat sichert einen Umsatz von rund 500 Euro netto im Monat, zwei bis drei können die Pacht tragen.

fiftyfifty, Düsseldorf

Kein Extra Nicht einmal die Hälfte der deut­ schen Arbeitnehmenden bekommt Urlaubsgeld. Das ergab eine Studie der gewerkschaftsnahen HansBöckler-Stiftung unter 6600 Beschäftigten. Hiernach erhalten nur rund 43 Prozent diese in Deutschland übliche zusätzliche Lohnauszahlung, wobei mit knapp über 50 Prozent mehr Männer von dem Zustupf profitieren als Frauen (38,7 Prozent). Die Höhe des Urlaubsgeldes variiert von Branche zu Branche, die höchsten Auszah­ lungen erfolgen im verarbeitenden Gewerbe, die niedrigsten erhalten Beschäftigte in der Landwirtschaft, im Steinkohlenbergbau und im Hotel- und Gaststättengewerbe.

Hempels, Kiel

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Vor Gericht

Schöner Schein Nachdem man eine Viertelstunde neben ihr in der Lobby des Bezirksgerichts war­ tete und mutmasste, ob sie in der Ver­ handlungssache «Diebstahl» die Überset­ zerin sei oder die Verteidigerin, ist man verblüfft: Die kann es doch nicht gewesen sein. Doch der Gerichtsweibel führt die elegante Dame zur Anklagebank. Frau K.* ist erlesen dezent gekleidet: weisse Bluse, dunkelblauer Hosenanzug, mit Trenchcoat und Ballerinas. Unter dem Vorwand, sich auf Stellenanzeigen hin als Babysitterin vorzustellen, oder als Inte­ ressentin für Secondhand-Kindersachen soll sie sich innert zwei Jahren vier Mal Zutritt zu Wohnungen verschafft und dort Portemonnaies und Handys gestohlen ha­ ben. Sie ist ohne Anwalt gekommen. Zu den Vorwürfen möchte sie nichts sagen, ihr glaube doch sowieso niemand.

Ob sie nicht wenigstens etwas zur Person aussagen wolle? Ja, sie sei in Polen zur Schule gegangen, erzählt sie. Danach habe sie Kindererzieherin gelernt und sieben Jahre in Deutschland auf diesem Beruf ge­ arbeitet. Danach, ungefähr mit 27, sei sie wegen der Liebe in die Schweiz gekom­ men, habe geheiratet und sei jetzt Mutter eines sieben Monate alten Kindes. Letzten Frühling hatte eine Expat-Fa­ milie auf der Suche nach einem Babysitter eine Annonce aufgegeben. Frau K. ging sich an einem Montagnachmittag vorstel­ len. Vor dem Gespräch im Wohnzimmer legte sie ihren langen Mantel in der Küche ab. Während des Gesprächs verliess sie das Wohnzimmer kurz, um aus der Küche ein Taschentuch zu holen. Als sie zurückkam, hatte sie den langen Mantel über den Arm gelegt. Darunter muss sie die Handtasche der Hausdame gehabt haben. Frau K. un­ terhielt sich noch eine Viertelstunde mit ihr, dann verliess sie die Wohnung. Erst am Abend bemerkte die Hausdame den Verlust ihrer Handtasche. Frau K. widerspricht der Anklage leise: «Ich war’s nicht. Sie verwechselt mich.» Frau K. fährt sich mit den Fingern übers Gesicht, verbirgt die Augen. In einem anderen Fall bot eine Frau Z. in einer Annonce Kinderwagen und -klei­ der an. Während des Verhandlungsge­ sprächs musste die Angeklagte auf die Toi­lette, anschliessend fehlte die Handta­ sche. Doch Frau K. bestreitet auch dies und meint, sie sei nur wegen eines Polizei­ fotos, das ihr ähnlich sehe, unter Verdacht geraten. Schliesslich sei sie einige Tage später wiedergekommen, als sie die Ware mit dem Auto abholen wollte. Aber die ge­ schädigte Frau Z. liess die Angeklagte kein zweites Mal in die Wohnung. Der Richter fasst zusammen: «Es be­ steht kein Zweifel, dass es sich so abge­ spielt hat, wie der Staatsanwalt es darge­ stellt hat.» Die Angeklagte sei bislang nicht straffällig geworden, aber hier habe sie sich nun das Vertrauen der Geschädig­ ten erschlichen. Eine Geldstrafe sei angemessen, und zwar 90 Tagessätze zu 40 Franken, be­ dingt, und eine zu bezahlende Busse von 600 Franken. Frau K. akzeptiert das Urteil und wirkt erleichtert. * persönliche Angaben geändert ISABELLA SEEMANN ist Gerichtsreporterin in Zürich.

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Illustration: Rahel Nicole Eisenring

bewundernden Kommentaren über das Geld/Gold, den Käse, die Schokolade und die Neutralität im Zweiten Weltkrieg. Das ist was ganz anderes, als von Taxifahrern im Ausland als Deutsche immer auf Hitler angesprochen zu werden! Deshalb erzähle ich inzwischen auch nicht nur Deutschen, sondern allen, die es hören wollen, dass ich aus der Schweiz bin. Aber auch Schweizer haben es nicht leicht im Ausland. Es versteht ja keiner, wo das sein soll, dieses Schweiz! In Ruanda, «dem Land der tausend Hügel», das – weil es klein ist, viele Hügel hat und relativ wohlhabend ist – häufig als «die Schweiz Afrikas» bezeichnet wird, habe ich versucht zu erklären: «You know Switzerland? The Ruanda of Europe?» Da dachten sie wegen des Genozids aber wieder an Deutschland. In Ghana sagte ich «Switzerland» und sie verstanden neben Sweden und Swasiland «sweet land», was ich irgendwie nett fand, weswegen ich zustimmte, aus Sweetland zu kommen. Inzwischen ziehe ich jedoch einfach mein Schweizer Taschenmesser hervor – und nach dem ersten Schock meiner Gesprächspartnerinnen kommt dann meistens ein anerkennendes: «Ah. So you are from Swiss?», das ich resignierend einfach bestätige: «Yes. I am from Swiss! Swiss Army Knife you know!» Manchmal kommt daraufhin dann ein debiles «Rolex! Very good, very good!» zurück, auf das man sich einigen kann.

Moumouni

… macht Urlaub Es gibt zwei Arten von Urlauberinnen: Die einen freuen sich darüber, ihre Landsfrauen und -Männer im Ausland zu treffen, die anderen sind nicht umsonst weit, weit weg gefahren. Ich gehöre zu letzteren und zucke jedes Mal zusammen, wenn wieder irgendwo (überall sind sie!) jemand Hochdeutsch spricht. Darüber, wie er oder sie den Preis der Kokosnuss um zehn Cent herun­ tergehandelt hat, wie das Wetter in Deutschland ist oder wie sehr es doch überall stinkt, wo nicht Deutschland ist. Das alles will ich nicht hören, wenn ich im Ausland bin, und ich tue auch alles daran, nicht als Deutsche erkannt zu werden, um nicht in solche Gespräche verwickelt zu werden. Das klappt relativ gut, mir wird ja in der Heimat schon nicht geglaubt, dass ich deutsch bin – für einmal ist das dann auch mal von Vorteil. 6

Manchmal rutscht einem dann aber doch ein deutsches Wort heraus oder man gibt durch verräterische Mimik zu erkennen, dass man genau verstanden hat, was da am Nebentisch geschwafelt wird. Das ist der Moment, in dem ich inzwischen angefangen habe zu behaupten, ich sei Schweizerin. Das ist irgendwie logisch: Die sind auch überall (was um einiges schwieriger ist bei einer Po­ pulation, die um ein Zehnfaches kleiner ist – Hopp Schwiiz!) und können ja teilweise auch ein bisschen Hochdeutsch*. Gleichzeitig symbolisiere ich damit eine Grenze und dass es keinen Grund für Schweizer und Deutsche gibt, sich verbunden zu fühlen, wir feiern ja schliesslich zwei verschiedene Natio­ nalfeiertage und singen unterschiedliche Hymnen bei Fussballspielen. Danach lasse ich mir noch den Bauch pinseln mit

Allerdings sollte man als Schweizerin nicht in Diktaturen reisen. Da wollen die Leute dann ihr Geld zurück, das ihre Regierungen angeblich in unserem schönen Land auf Bankkonten gebunkert haben. *sowas denken Deutsche!

Fatima Moumouni  findet es auch im Ausland anstrengend, andauernd gefragt zu werden, wo sie herkommt. Von «Sweetland» hätte sie jedoch gerne einen Ausländerausweis!

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Die Sozialzahl

Bügeln sind hingegen klar Aufgaben, die an die Frauen delegiert werden. Nur in zwei Kategorien der Hausarbeit engagieren sich Männer etwas stärker als ihre Partnerinnen: bei den handwerklichen Tätigkeiten und den administrativen Arbeiten.

Die Medienmitteilung des Bundesamtes für Statistik von Anfang Juli weckt Hoffnungen. Sie trägt den Titel: «Männer legen bei Haus- und Familienarbeit zu – Frauen bei bezahlter Arbeit». Verglichen mit der Situation im Jahr 2010 leisten Frauen heute pro Woche eine Stunde mehr bezahlte Arbeit, Männer 1,7 Stunden mehr Haus- und Familienarbeit. An der traditionellen Rollenverteilung in Paarhaushalten aber ändert sich wenig.

Im Moment ist wieder eine heftige Diskussion über die nach wie vor bestehenden Lohndifferenzen zwischen Frauen und Männern entbrannt. Der Bund will Firmen mit 50 und mehr Angestellten dazu verpflichten, Lohntransparenz zu schaffen – in der Hoffnung, dass sich so die Lohnschere zwischen den Geschlechtern schneller schliesst. Das ist richtig so. Doch damit sind die zeitökonomischen Unterschiede noch lange nicht aus der Welt geschafft. Soll der Staat auch hier intervenieren? Die Frage scheint absurd. Schliesslich ist es Sache der Paare, wie sie die Zeit für unbezahlte und bezahlte Arbeit unter sich aufteilen und vereinbaren, wer was daheim macht.

Die Verteilung der Zeit

Das zeigt sich schon, wenn man den zeitlichen Aufwand für die Haus- und Familienarbeit von alleinlebenden Personen mit jenen von Paaren ohne Kinder vergleicht. Warum Frauen in gemeinsamen Haushalten 6 Stunden pro Woche mehr Haus­ arbeit verrichten als der Partner, ist erklärungsbedürftig. Die altbekannten Muster zeigen sich noch deutlicher, wenn die verschiedenen familiären Situationen miteinander verglichen werden. Ist das jüngste Kind weniger als sechs Jahre alt, wenden Frauen mehr als 8 Stunden pro Tag für die Haus- und Familienarbeit auf, die Männer begnügen sich mit etwa 4,5 Stunden. Diese ungleiche Verteilung der unbezahlten Arbeit zwischen den Geschlechtern setzt sich in der Erwerbsarbeit fort. Frauen mit kleinen Kindern arbeiten deutlich weniger lang als Frauen ohne Kinder. Bei den Männern ergibt sich umgekehrt die paradoxe Situation, dass sie in Haushalten mit Kindern mehr Stunden in der Woche erwerbstätig sind als in Haushalten ohne Kinder.

Trotzdem ist der Staat nicht so völlig unbeteiligt an dieser Spielanlage, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Mit dem Ausbau der familienergänzenden Kinderbetreuung und der Verstärkung der steuerlichen Anreize zur Erwerbsarbeit von Paarhaushalten will der Staat angesichts des Mangels an Fachkräften und mit Blick auf die Arbeitsmigration erreichen, dass die Frauen ihren Beschäftigungsgrad ausweiten, also in der Woche mehr Stunden erwerbstätig sind. Ändert sich nichts an der innerfamiliären Arbeitsteilung, mündet das in eine sich verstärkende Mehrfachbelastung der Familienfrauen. Gut verdienende Paare können sich mit Angestellten in ihren privaten Haushalten entlasten, Familien mit knappem Budget hingegen haben diese Möglichkeit nicht. Entsprechend hoch ist das Konfliktpotenzial in diesen Beziehungen.

Noch einmal wird die angeblich überkommene Rollenver­ teilung zwischen Frau und Mann sichtbar, wenn man sich anschaut, was Väter und Mütter tun, wenn sie zuhause bei den Kindern sind. Am meisten Zeit wenden Väter auf, um Mahlzeiten zuzubereiten, mit den Kindern zu spielen und sie bei den Hausaufgaben zu unterstützen. Putzen, Wäsche waschen und

Prof. Dr. Carlo Knöpfel ist Dozent am Institut Sozialplanung, Organisationaler Wandel und Stadtentwicklung der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz.

Paar mit Kind 0-6 jährig Alleinlebend

18,1

14,6

Paar ohne Kinder

21,7

32,7

15,7

33,9

25,1

23,6 44,2

57,8

26,6

Paar mit Kind 7-14 jährig

34,9 37,6

39,4 18

13,9 Total Stunden/Woche Frauen: 46,8 Männer: 50,6

Geleistete Arbeitsstunden pro Woche, Männer und Frauen

InfoGrafik: Bodara

Total Stunden/Woche Frauen: 44,7 Männer: 48,5

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Haus- und Familienarbeit

Erwerbstätigkeit

Total Stunden/Woche Frauen: 71,7 Männer: 70,3

Total Stunden/Woche Frauen: 62,2 Männer: 63


Die Stoiker vom Pamirgebirge Tadschikistan Murghob gehörte einst zur Sowjetunion. Heute machen Chinas Einflüsse den 7000-Seelen-Ort zum Ramschladen, und der Traum von Tourismus aus dem Westen bleibt vage. Ein von der Regierung vergessener Ort. TEXT und FOTOS  MARIO HELLER

Abends kehren in Murghob alle nach Hause zurück – auch die Ziegen.

KASACHSTAN

KIRGISTAN

UZBEKISTAN

Murghob CHINA

TADSCHIKISTAN

AFGHANISTAN

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PAKISTAN

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Boburs «Altar der Erinnerungen» im Wohnzimmer.

Von Beruf ist Bobur Jäger. Das Marco-Polo-Schaf hat er selbst geschossen.

Das Motorrad fährt schon lange nicht mehr. Verschrotten will Bobur es nicht.

Schwarzes, langes Haar, dazu ein zerzauster Bart und ein Cowboyhut: Bobur könnte den Dreharbeiten eines amerikanischen Westerns aus den Sechzigerjahren entflohen sein. Mit dem Jagdmesser im Schaft an seiner Lederhose wirkt er gar gefährlich. Die Augen in seinem zerfurchten Gesicht aber blicken gutmütig, wachsam. Er steht auf dem Basar seiner Heimatstadt Murghob in Tadschikistan. Ein paar alte Container aus Sowjetzeiten fungieren als Marktstände. Das Metall reflektiert die frühmorgendlichen Sonnenstrahlen, über den Dächern der trostlosen Betonhütten Surprise 406/17

ringsherum steigt dichter Rauch auf, es wird mit dürren Ästen geheizt. Ratlos wühlt Bobur in der Auslage eines Händlers. Süssigkeiten, Kopfhörer, Seife – alles «Made in China». Eigentlich wollte er frisches Obst kaufen, doch das ist Mangelware. Um seine Familie zu versorgen, muss Bobur auf chinesische Produkte zurückgreifen, deren Qualität katastrophal ist. «Meine Kinder haben hier keine Perspektive», sagt der 44-Jährige. Der Container-Basar bildet das Zentrum von Murghob, der Kleinstadt mit rund 7000 Einwohnern in Berg-Badachschan,

einer Region im Südosten Tadschikistans. Sie liegt weit ab vom politischen und wirtschaftlichen Zentrum Duschanbe, der Hauptstadt der zentralasiatischen Republik. Die meisten Bewohner Murghobs leben in grosser Armut. Mitten auf dem sogenannten Dach der Welt, dem Pamirgebirge, gelegen, ist die Region ein Paradies für Hochgebirgsfans und Abenteurerinnen. Schweizer Reiseanbieter bewerben es mit seiner Unberührtheit. Darin steckt Potenzial. Doch Bobur glaubt nicht daran. Seiner Meinung nach gibt es hier oben auf 3600 9


Anschreiben lassen: Das Schulden-Buch der Markthändlerin Razan.

Das Warten auf Kunden verkürzt Razan sich mit Sockenstricken.

Die Moschee von Murghob: Die Mehrheit der Menschen hier ist muslimisch.

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Meter über dem Meer nicht viel: Der Boden ist unfruchtbar, das Klima rau, Strom und Wasser sind Mangelware. «Hier gibt es keine Arbeit. Nur die wenigsten können sich ein Studium in den grossen Städten leisten», sagt er. Viele junge Männer gingen nach Russland und arbeiteten auf dem Bau. «Manche lassen ihre Familien hier und kehren nie wieder zurück.» ­Bobur schlägt den Weg nach Hause ein. Es ist kalt, wie immer in Murghob. Die Durchschnittstemperatur des Ortes schwankt um die 0 Grad Celsius, im Januar sinkt das Thermometer bis auf minus 20 Grad. Das ganze Jahr über fallen so gut wie keine Niederschläge, Wasser muss aus Brunnen gepumpt werden. Am Stadtrand steht zwar ein altes sowjetisches Wasserkraftwerk und Einzelne behelfen sich mit Solarzellen, eine flächendeckende Surprise 406/17


Auf dem Dach der Welt: Blick aus dem Hotel Pamir.

Die Durchschnittstemperatur schwankt um 0 Grad, im Januar sinkt das Thermometer auf minus 20. Stromversorgung jedoch gibt es nicht. In der Nacht ist es zappenduster. Boburs Haus, ein einfacher Flachbau, liegt nicht weit entfernt. Er wohnt zusammen mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern. Es ist seine zweite Ehe. «Meine erste Frau war Russin. Als die Sowjetunion zusammenbrach, nahm sie unsere zwei Kinder und flüchtete nach Russland. Ich habe nie wieder etwas von ihnen gehört», erzählt er. Für Bobur war Auswandern nie eine Option. «Wenn ich Murghob verlasse, werde ich innert weniger Stunden krank. Ich bekomme Kopfschmerzen und fühle mich todunglücklich», sagt er. Bobur ist ethnischer Kirgise, das Volk lebt seit Generationen in dieser Gegend. «Ich bin hier geboren, meine Eltern und mein Bruder sind hier begraben. Ich werde diesen Ort niemals verlassen.» Bobur ist stolz auf Surprise 406/17

Hotelbetreiber Tahir glaubt fest an den Tourismus.

seine Heimat. «In Russland hat man zwar einen Job. Aber man wird von der Gesellschaft diskriminiert und arbeitet sich für wenig Geld zu Tode» sagt er. Von Beruf ist er Jäger, hat das Handwerk von seinem Bruder erlernt, bevor dieser starb: «In dieser Gegend wimmelt es von Yaks und seltenen Schafen, welche saftiges Fleisch liefern.» Doch seit Bobur Herzprobleme hat, geht er nur noch dann jagen, wenn sich der Fleischvorrat der Familie dem Ende zuneigt. Geld verdient er als Verkäufer von Telefonkarten im Nachbarort. Die meisten sind gegangen In der Werkstatt neben seinem Haus steht sein blaulackiertes Motorrad. Es prangen die Schriftzüge «Lone Wolf» und «Big Boss» darauf, CD-Rohlinge zwischen den Speichen glitzern in der Sonne. Die Sym-

bolik der Freiheit. Inmitten dutzender Werkzeuge, Stromkabel und anderem Kleinkram hängen an der Wand ein paar Pin-up-Girls, daneben ein Bild von Bobur und seiner ersten Frau. Das Motorrad läuft seit Monaten nicht mehr. Verschrotten will Bobur es nicht. Bevor die Russen Mitte des 19. Jahrhunderts in die Region kamen, zogen nur einige kirgisische Nomaden umher. Dann kam die Russische Revolution, und kurz danach folgten neue Grenzen: Ab 1924 wurde die Gegend Teil der Tadschi­kischen SSR. Murghob avancierte wegen seiner Nähe zu China im Osten und Afghanistan im Süden zu einem strategisch wichtigen Punkt. Im Ort waren Soldaten stationiert, Fahrzeuge auf der Durchreise nach ­Duschanbe oder in das kirgisische Handelszentrum Osch wurden hier gewartet. 11


Wegen des lebensfeindlichen Klimas wurde die Bevölkerung besonders stark subventioniert. Strom, Wasser und regelmässige Essenslieferungen waren staatlich gesichert. Mit dem Ende der Sowjetunion hörte dies alles schlagartig auf. Viele verliessen Murghob. Seit der Öffnung der Grenze zu China vor 13 Jahren strömen neue Waren ins Land. Die tadschikische Regierung verpachtet den Chinesen auch kleinere Landesteile, welche besonders rohstoffreich sind. Die angestammte Bevölkerung befürchtet, dass die Gegend bald ausgeschlachtet wird vom übermächtigen Nachbarn. «Die Regierung scheint uns vergessen zu haben», sagt Bobur. Aus der Ferne lässt sich das Donnern von Motoren vernehmen. Bobur deutet auf die grossen Lastwagen mit chinesischen Fähnchen über der Windschutzscheibe, die über den zerschlissenen Asphalt der einzigen Überlandstrasse brausen. Er schüttelt resigniert den Kopf. «Seit der Kulma-Pass offen ist, wird Murghob mit chinesischem Müll

überschwemmt. Lebensmittel, Pflegeprodukte, elektronische Geräte und Spielzeug», zählt er auf und fügt ärgerlich an: «Ich glaube, dass daher meine Herzprobleme kommen.» Zurück auf dem Basar. Razan, eine Frau mit braungebrannter Haut, rotem Kopftuch und gutmütigen Augen, steht vor ihrem Geschäft. Ihr Container ist prall gefüllt mit Textilien und Krimskrams, draussen stehen einige Holzkisten mit Äpfeln und Birnen, die Bobur vorher übersehen hatte, winzig und bereits ein wenig faul. Razan blättert in einem kleinen Büchlein, welches mit Namen und Zahlen vollgeschrieben ist. Es ist eine Liste der Schulden, die die Bewohner von Murghob bei ihr gemacht haben. «Inzwischen fehlen mir mehrere tausend Dollar. Damit könnte ich einige Jahre überleben», sagt die 40-Jährige und wendet sich wieder einer Socke zu, die sie gerade strickt. «Die Preise für Lebensmittel und Textilien sind stark gesunken in den letzten Jahren. Am Anfang hatte ich eine kleine Kiste mit Waren. Jetzt ist es ein grosser Container,

der Wert meines Ladens ist jedoch gleich niedrig geblieben», erzählt sie. Die Menschen in Murghob seien arm. «Immerhin sind sie ehrlich, bisher habe ich mein Geld am Ende immer bekommen», fügt sie hinzu. Anders als die meisten Menschen in Murghob verlässt Razan den Ort im Winter. Sobald die Temperaturen im Oktober anfangen zu sinken, siedelt sie zusammen mit ihrer Mutter über in die Stadt Chorugh. Es ist die Hauptstadt der Region Berg-­ Badachschan mit etwa 30 000 Einwohnern,

Wegen des feindlichen Klimas werden die Menschen in Murghob selten älter als 60 Jahre.

Fliegender Händler: Zum Anfeuern gibt es Sträucher statt Holz.

Die Ziegen sind einheimisch, die Lastwagen chinesisch.

Postsowjetische Denkmalkultur: Überall stehen Ehrenmale für Präsident Emomalij Rahmon. 12

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ungefähr fünf Autostunden von Murghob entfernt. «Meine Kinder sind längst erwachsen und haben Häuser in Chorugh», erzählt sie. Am Anfang sträubte sich Razans Mutter noch, ihre Heimat Murghob zu verlassen, doch die extreme Höhe des Ortes und die Kälte setzen ihr zu stark zu. Wegen der enormen Höhe, der schlechten Versorgung und den lebensfeindlichen klimatischen Bedingungen werden die Menschen in Murghob selten älter als 60 Jahre. Das sind zehn Jahre weniger als der Durchschnitt des Landes. «Eigentlich komme ich nur noch wegen der Sehnsucht meiner Mutter hier hoch », sagt Razan mit einem Lächeln und legt den Kopf schief. «Vielleicht können die Touristen den Menschen hier helfen», sagt sie und deutet auf die inzwischen fertiggestrickte Socke. «Es werden immer mehr. Und die Ausländer lieben unsere traditionell hergestellten Produkte.» Fast wie Island Der Tourismus könnte zur neuen Hoffnung Tadschikistans werden. Ein gutes Beispiel ist das «Hotel Pamir», welches sich architektonisch vom Rest der Stadt abhebt. Das Gebäude besitzt eine majestätische Grösse, auffällige Glasfronten und eine sauber gestrichene Fassade. Es ist das einzige Hotel weit und breit, abgesehen von einigen Privatunterkünften. Tahir führt es seit einigen Jahren. Er ist 26 Jahre alt, leicht pummelig und wirkt auch hinter dem Tresen der Rezeption stets so, als wäre er erst vor wenigen Minuten aufgestanden. Wenn jedoch wie jetzt Gäste das Hotel betreten, kommt Leben in ihn. Umtriebig erklärt er in gutem Englisch die Bedingungen für eine Übernachtung, auch Deutsch wäre ihm geläufig. «Da war zum Beispiel ein verrückter Kerl aus Spanien. Er ist durch ganz Europa geradelt und fährt nun weiter bis in die Mongolei», erzählt Tahir, nachdem die Gäste auf ihr Zimmer gegangen sind. 20 Dollar kostet der Aufenthalt in einem Mehrbettzimmer, für tadschikische Verhältnisse ein sehr hoher Preis. Tahir findet ihn gerechtfertigt: «Wir können das Hotel nur im Sommer öffnen. Im Winter hat es keine Gäste, und viele Angestellte kehren über die kalten Tage in ihre Heimatorte zurück. Dazu kommen hohe Betriebskosten durch die Generatoren und Lebensmittellieferungen», erklärt er. Wenn es nach ihm gehen würde, könnten die Menschen in Murghob viel mehr Surprise 406/17

Eine verlassene Fabrikhalle dient Jugendlichen als Fussballplatz.

In der kalten Morgendämmerung ist auf dem Basar noch alles ruhig.

In sowjetischen Zeiten spielte der Fluss Panj eine militärisch wichtige Rolle.

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Der Kunstrasen eines einst pompösen Fussballstadions ist nun verwahrlost.

Mit Hochzeitsfesten verschulden sich manchmal ganze Familien. Erst die Sonne bringt wieder Licht: Morgendämmerung über Murghob.

Soll die Fruchtbarkeit fördern: die heisse Quelle Bibi Fatima.

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Tadschi­kistan verzeichnete im Jahr 2015 einen Anstieg des Tourismus um 94 Prozent. Surprise 406/17


Altes System, neu gestrichen: Denkmal von Lenin im Zentrum der Stadt.

aus dem Tourismus machen. «Seit einiger Zeit erleben wir einen enormen Zuwachs an Besuchern aus aller Welt. Ob aus Europa, China oder anderen ehemaligen Sow­jetstaaten: Dieser Ort fasziniert die Menschen. Leider gibt es bisher keine starken Reiseanbieter, die sich hier dauerhaft einrichten möchten.» Tatsächlich verzeichnete Tadschi­ kistan im Jahr 2015 einen Anstieg des Tourismus um 94 Prozent. Nur Paraguay lag noch weiter vorne. Deswegen wird das Land gerne mit Island verglichen: wegen der Vielfalt an malerischen Landschaften Surprise 406/17

und weil es von heissen Quellen nur so wimmelt. Der Tourismus wäre die Chance für das krisengebeutelte Land. Doch die Regierung des Landes hat dies noch nicht erkannt, meint Tahir. «Präsident Emomalij Rahmon denkt, dass die Touristen nur wegen der Hauptstadt Duschanbe kommen, um den prunkvollen Präsidentenpalast oder den zweithöchsten Fahnenmast der Welt zu betrachten. Er scheint keine Ahnung zu haben, wie wunderschön die Pamirregion ist.» Die letzten Sonnenstrahlen verschwinden hinter den Hügeln über der Stadt.

Zwei Hirtinnen führen eine Herde mit Schafen zurück ins Tal. Innert weniger Minuten legen sich dichte Wolken über Murghob, ein starker Wind kommt auf, leichter Schnee fällt. Auf den Strassen brausen noch einzelne Fahrzeuge vorbei, Menschen gehen zu Fuss nach Hause. Hier und da dient das Display des Mobiltelefons als Taschenlampe. In der Mitte des Ortes steht vergessen eine Statue von Lenin. Der Arm weit ausgestreckt, hört ihm längst keiner mehr zu.

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Was verrät unser Dreck? Putzen Sie blicken täglich tief in unterschiedlichste Leben hinein – häufig ohne deren

Protagonisten zu Gesicht zu bekommen. Die Raumpflegerinnen Carla, Carlos, Magdalena und Letizia erzählen von vollgebluteten Taschentüchern, verstreutem Münz, fehlenden Fernsehern und den Abgründen, die sich in Toilettenschüsseln auftun können. Text  Manuela Enggist und Stephanie Hess­

Sie putzen längst nicht mehr nur Haushalte in Villengegenden und bei Senioren. Raumpflegerinnen und Raumpfleger wirbeln in Studenten-WGs, bei Grossfamilien, auf dem Bauernhof oder bei Singles. Zum Trend hin zur Putzkraft haben auch Online-Agenturen wie Book A Tiger beigetragen, die selbständige Raumpflegerinnen und Raumpfleger für einmalige oder regelmässige Einsätze an Private vermittelt. Die Reinigungskräfte dort verdienen alle gleich viel – etwas mehr als 23 Franken pro Stunde. Gemäss dem Bundesamt für Statistik beseitigen heute mindestens 73 000 Menschen Schmutz und Staub in den Wohnungen anderer. Was lernt man über die Menschen, wenn man für sie putzt? Genieren sie sich für ihren Dreck? Und sind die Menschen in der Schweiz hinter ihren schönen, frisch gestrichenen Fassaden eigentlich reinlich? Darüber sprechen wir mit Carla, Carlos, Magdalena und Letizia von Book A Tiger – der einzigen unter etlichen von uns angefragten Firmen, die dazu bereit war, uns Gesprächspartner zu vermitteln. Die Stimmung ist ungezwungen, wir einigen uns schnell aufs Du. Carla, 49 Jahre alt, aus der Dominikanischen Republik lebt

in Zürich Seebach, arbeitet seit eineinhalb Jahren in einem 80-Prozent-Pensum bei Book A Tiger. Daneben putzt sie bei einer Liegenschaftsverwaltung und für eine Firma am Flughafen. Carlos, 50 Jahre alt, aus Chile

arbeitet seit September 2015 für Book A Tiger, rund 60 Prozent. Er wohnt in der Stadt Zürich und ist seit 20 Jahren als Raumpfleger tätig. Magdalena, 31 Jahre alt, aus Bosnien und Herzegowina

lebt seit 2010 in der Schweiz. Sie ist seit vier Monaten bei Book A Tiger. Früher arbeitete sie als Sekretärin. Später will sie eine Ausbildung zur Pflegehelferin machen. Letizia, 58 Jahre alt, aus der Ukraine

ist erst seit zwei Monaten bei Book A Tiger und noch in der Probezeit. Sie ist gelernte Visagistin und arbeitete früher bei der Post und als Verkäuferin. Surprise 406/17

IllustraTion  Mirko Cresta

Raumkosmetikerin, Putzfrau, Putzhilfe, Reinigungskraft, Raumpfleger – für euren Job gibt es zahlreiche Bezeichnungen. Welche ist euch die liebste? Magdalena: Raumpflegerin. (Alle nicken.) Carlos: Das finde ich auch. Das klingt respektvoll. Putzen ist keine Arbeit, die alle gern machen. Aber es ist ein ehrlicher Job. Magdalena: Wir pflegen die Räume ja wirklich. Komme ich in eine Wohnung, ist es so, als würde ich nach Hause kommen. Ich weiss ja auch genau, wo alles steht und wie ich was putzen muss. Viele Leute schämen sich ja für ihren Dreck … Letizia: … ich sage immer zu meinem Mann: Die Menschen schämen sich nicht! Man merkt aber, ob eine Frau oder ein Mann in der Wohnung lebt. Eine Frau denkt nämlich schon daran, dass sie ab und zu putzen sollte. Zudem sind die Wohnungen von Frauen oft geschmackvoller eingerichtet. Carlos: Ich weiss nicht, ob sie sich schämen. Sehr oft sind meine Kunden ja nicht zuhause, wenn ich putze. Sie selber sehe ich nicht, aber dafür alles andere von ihnen. Ich weiss, was die Kunden essen, was sie anziehen, welche Bücher sie lesen, wie viel sie trinken. Wie sie leben. Merkt ihr, wenn die Kunden vorputzen, weil sie sich zu sehr genieren für ihren Dreck? Letizia: Es gibt wohl schon Leute, die vorputzen. Weil sie nicht wollen, dass wir denken, dass sie ihre Wohnung nicht sauber halten können. Magdalena: Ich arbeite in der Umgebung von Zollikon, an der Goldküste. Da herrscht nie Chaos. (lacht) Ich denke, wenn jemand vorputzt, dann sind das eher die älteren Leute, die jüngeren nicht. Die lassen alles liegen, Kleider, Flaschen, Aschenbecher. Carlos: Ich merke auch, dass die jüngere Generation nicht so diszipliniert ist. Letizia: Ich glaube, es ist eher vom Charakter als vom Alter abhängig. Entweder ist man reinlich oder eben nicht. Habt ihr euch schon einmal richtig geekelt? Carlos: Einmal hatte ein Kunde wohl Nasenbluten und hat die Taschentücher herumliegen lassen. Das Blut ist dann getrocknet und hat überall geklebt. 17


Letizia: Manche Männer machen Pipi und fast alles geht daneben, auf den Boden, an die Rückwand, auf die WCBrille. Das ist schon eklig. Magdalena: Ich hatte einmal Mühe, die Toilette zu putzen, weil sie so dreckig war. Aber die Kundin war sehr krank, sie konnte nichts dafür. Carla: Ich hatte auch einmal eine Toilette, von der ich dachte, dass ich sie nicht sauber kriege. Alles war gelb. Ich habe dem Kunden dann gesagt, dass ich jetzt was Stärkeres brauche – ich ging raus und kaufte Javelwasser. Der Kunde fragte mich dann, wie ich das geschafft habe. Ich sagte ihm, dass ich das in meiner Heimat so gelernt habe, ein Geheimtipp. (lacht)

«Ich mag das Wohnzimmer. Da kann ich meine Leidenschaft ausleben.»

Carlos: Nein, das musst du doch nicht, Carla! Du musst es einfach der Firma melden. Es war ja ein Versehen. Carla: Ja, ich weiss schon. Die Kundin hat mich dann auch zurückgehalten. Sie sagte, das könne passieren. Carlos: Mir ist auch einmal etwas kaputtgegangen und ich habe es dem Büro gemeldet. Etwas Teures habe ich noch nie kaputt gemacht. Man muss sehr vorsichtig sein. Aber passieren kann natürlich immer etwas. Und die Kunden lassen auch viel rumliegen. Was denn so? Carlos: Laptops beispielsweise. Letizia: Und auch Geld. Vor Ostern war ich bei einer Kundin, die hatte Ostergeschenke, an denen 200 Euro hingen. Sie hat das vielleicht extra gemacht, um herauszufinden, ob sie mir vertrauen kann. (lacht) Carla: Ich habe mal in einer Wohnung geputzt und in wirklich jeder Ecke der Wohnung Münz gefunden. Ich habe alles gesammelt und auf den Tisch gelegt und einen Zettel dazu geschrieben: Das lag alles in der Wohnung. Letizia: Ja. In vielen Wohnungen liegt Münz herum. Carla: Vielleicht waren die Leute im Stress und haben es darum liegen gelassen.

Le tizia

Mit dem Badezimmer hatten also alle schon negative Erlebnisse. Gibt es denn ein Zimmer, das ihr besonders gern putzt? Carla: Am liebsten putze ich das Kinderzimmer. Ich finde das herzig. Da steht ja überall Spielzeug rum, und ich stelle mir immer vor, wie die Kinder damit spielen. Carlos: Ich mag Wohnungen ohne Kinder lieber. Denn da sind sonst Dinge auf dem Boden verstreut und ich kann nicht richtig putzen. Ausserdem sieht es immer etwas chaotisch aus und man erkennt nicht sofort, wie gut ich geputzt habe. (lacht) Letizia: Ich mag das Wohnzimmer. Da kann ich meine Leidenschaft ausleben. Ich bin ja diplomierte Visagistin. Und ich versuche immer, die Wohnung mit meinen Dekorationen etwas schöner zu hinterlassen. Aber nur dezent, ich stelle den Menschen nicht die Wohnung um. Ich ordne beispielsweise die Kissen auf dem Sofa schön an oder arrangiere die Nippes neu. Carlos: Ich versuche auch, den Kunden mit kleinen Dingen eine Freude zu machen, zum Beispiel, indem ich das Ende des Toilettenpapiers zu einer Spitze falte. Letizia: Das mache ich auch. Wie im Hotel. Im Eifer des Staubgefechts kann es ja manchmal schnell gehen, und schon liegt etwas in Scherben. Welches ist das schlimmste Missgeschick, das euch je passiert ist? Carla: Ich passe immer auf, dass ich nichts kaputt mache. Einmal habe ich aus Versehen eine Seifenschale kaputt gemacht. Oh mein Gott! Ich habe es der Kundin sofort gesagt und wollte schon losrennen, um eine neue zu kaufen. 18

Bekommt ihr eigentlich Trinkgeld? Carlos: Ab und zu. Aber das darf man nicht jedes Mal erwarten. Letizia: Mir wird oft Kaffee und Mineral angeboten. Magdalena: Ich habe schon einmal Schminke geschenkt bekommen. Und gestern war ich zum ersten Mal bei einer Kundin und sie hat mir 20 Franken Trinkgeld gegeben. Carla: Eine Kundin hat mir nach dem ersten Putzen 10 Franken zugesteckt. Einfach einmal, danach nicht mehr. Ich denke, die Kunden sind auch zufrieden, wenn sie kein Trinkgeld geben. Glaubt ihr, dass ihr den Charakter der Menschen an deren Wohnung erkennt? Letizia: Ja, man sieht schon, ob jemand pingelig ist. Oder einfach ein Arschloch, was man dann aber eher daran merkt, wie die Menschen mit einem umgehen. (lacht) Ich war kürzlich bei einer jungen Familie putzen. Ich habe gefragt, wo die Putzsachen seien, sie sagten mir, sie hätten keine, und gaben mir eine Küchenpapierrolle. Sie meinten nur, ich solle die Tücher einfach ein wenig nass machen und damit putzen. Ich habe zwei Rollen verbraucht. So etwas habe ich noch nie erlebt. Am Schluss meinten sie dann noch, ich hätte das WC nicht gut geputzt. Carla: Wirklich? Carlos: Unglaublich. Letizia: Und über den Spiegel haben sie sich auch beschwert, weil noch kleinste Stäubchen des Küchenpapiers an ihm klebten. Ich weiss, dass ich sehr gut putze, aber mit Küchentüchern geht das nicht! Auf dem Heimweg musste ich fast weinen. Später schrieb ich der Firma eine Mail, dass ich dort nicht mehr putzen will. Carlos: Ich hatte auch schon Kunden, die nicht das richtige oder einfach sehr billiges Putzzeug zuhause hatten. So kann man nicht arbeiten. Surprise 406/17


Carla: Viele haben auch die falschen Produkte. Magdalena: Das stimmt. Viele kaufen einfach das billigste. Diese Mittel sind voller Chemikalien, sie stinken, und damit putzt es sich auch schlechter. Ich empfehle meinen Kunden immer Produkte mit möglichst wenig aggressiver Chemie drin. Manchmal eignen sich sowieso simple Hausmittel am besten. Für die Fenster nehme ich Schwarztee mit einem Schuss Zitrone. Zudem Zeitungen und kein Haushaltspapier. So hinterlasse ich keine Fussel auf dem Glas. Was denkt ihr, welches ist das wichtigste Zimmer für die Menschen? Letizia: Das Wohnzimmer. Carlos: Das denke ich auch. Mir fällt auf, dass viele Leute keinen Fernseher haben. Die Leute lesen mehr. Zumindest lassen das die Bücherregale vermuten Und ich sehe immer viele Modems, Tablets und Laptops. Carla: Ja. Das mit dem Fernseher ist mir auch schon aufgefallen. Im Schlafzimmer haben viele keinen. Ich schon. Achtet ihr darauf, wie die Wohnungen eingerichtet sind? Carlos: Ich habe gar keine Zeit, mir die Wohnungen anzusehen. Carla: Mich interessiert das nicht. Es ist ja auch nicht meine Wohnung. Magdalena: Mich schon. (lacht) Ich schaue, ob mir die Einrichtung gefällt. Momentan muss ich meine eigene Wohnung einrichten. Da lasse ich mich inspirieren und mache gewisse Dinge bei mir zuhause nach, zum Beispiel schöne Dekorationen. Letizia: Ich schaue schon darauf, wie es eingerichtet ist. Ich merke, ob viel Geld in die Einrichtung investiert wurde oder nicht. Es ist mir auch schon passiert, dass mir eine Wohnung leidgetan hat. Es war eine wunderschöne Wohnung, aber leider sehr schlecht und lieblos eingerichtet. Es wohnt ein Mann darin. Kommt ihr manchen Kunden auch persönlich näher? Letizia: Wir sind ja schon Putzleute, aber ich mag es auch, mit den Kunden ins Gespräch zu kommen. Sie merken dann, dass ich auch etwas zu erzählen habe. Wir reden kurz und tauschen uns aus. Vor allem eine Kundin habe ich sehr ins Herz geschlossen. Mit einer anderen Kundin bin ich auf Facebook befreundet, manchmal schreiben wir uns. Magdalena: Ich schreibe meinen Kunden jeweils eine Karte zu Weihnachten und bekomme auch welche zurück. Ich finde das schön. Ich lebe allein, und es ist für mich sehr wichtig, dass ich mit anderen Menschen in Kontakt komme. Letizia: Das sehe ich auch so. Wir haben ja wirklich einen intimen Einblick in das Leben unserer Kunden. Da finde ich es nur normal, dass man sich persönlich näherkommt. Ich weiss zum Beispiel bei meinen Kundinnen auch, ob sie gerade in einer Beziehung sind oder nicht – je nachdem, ob da noch ein Duschgel für Männer steht oder nicht. Surprise 406/17

Putzt ihr eure Wohnungen eigentlich genauso gut wie diejenige der Kunden? Carla: Nein, viel schlechter. (lacht) Ich bin abends einfach zu kaputt, um bei mir noch gründlich zu putzen. Meine beiden Kinder helfen auch nicht gern. Und wenn, dann machen sie es nicht so, wie ich es will. Letizia: Ich habe es gerne sauber. Ich mache aber nicht alles am gleichen Tag, sondern verteile die Arbeit über die Woche. Carlos: Meine Frau und ich teilen das Putzen untereinander auf. Könntet ihr euch vorstellen, selber eine Raumpflegerin oder einen Raumpfleger anzustellen? (Alle schütteln den Kopf.) Warum nicht? Letizia: Ich kann mir das nicht leisten. Aber ich verstehe alle Menschen sehr gut, die jemanden zum Putzen engagieren. Die meisten putzen einfach nicht gern. Die Leute hier leben eher für ihre Hobbys, sie gehen reisen. Sie sind auch nicht viel zuhause, nur um kurz zu schlafen. Und wenn man es sich leisten kann, ist es doch toll, wenn man das Putzen abgibt. Ich verstehe das. Carlos: Ich sehe das auch so. Was bedeutet euch eure Arbeit? Carlos: Mir ist es schwergefallen, Arbeit zu finden. Nun bin ich sehr zufrieden mit diesem Job. Ich bin flexibel und mein eigener Chef. Und ich komme glücklich nach Hause, wenn ich meine Arbeit gut gemacht habe. Letizia: Es ist natürlich nicht mein Traumjob. Das wäre gelogen. Aber es ist schwierig, etwas anderes zu finden. Vielleicht liegt es an meinem Alter. Der Beruf hat auch

«Manchmal eignen sich simple Hausmittel am besten. Für die Fenster nehme ich Schwarztee mit einem Schuss Zitrone.» magdalena

positive Seiten: Keiner sagt, wie du das genau machen musst. Es ist lockerer. Und irgendwie auch familiär. Carla: Ich putze ja auch am Flughafen und bei anderen Firmen. Die Arbeit bei den Menschen zuhause finde ich entspannter. Man arbeitet für sich allein. Und die Kunden sind nett. Sie kennen deinen Namen und wissen, wer du bist. So fühlt es sich ein bisschen so an, als wäre man zuhause. 19


Die Hingabe zum Lappen Porträt  Putzen ist vielen ein Graus. Doch könnte man dabei nicht auch Freude empfinden?

Unbedingt, meint Putzexpertin Katharina Zaugg. Und weiss auch, wie das geht. Text  SAMANTA SIEGFRIED  Foto  ALEXANDER PREOBRAJENSKI

«Jeder eingesammelte Zigistummel gibt mir einen Atemzug mehr in meinem Leben»: Katharina Zaugg auf Reinigungstour im Kleinbasel.

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Es ist Samstagnachmittag in Basel, 30 Grad, wer kann, Ein anderes Hilfsmittel für hingebungsvolles Putzen ist geht schwimmen. Katharina Zaugg geht Abfall sammeln. für Zaugg auch Singen. Denn wer singt, der atmet, und Bereits zum dritten Mal heute. Sie trägt dazu keinen wer atme, könne besser loslassen. Eine gute Übung sei es, summend zu staubsaugen. Das hält dem Lärm entgegen orangen Overall und keine Handschuhe, sondern eine türkise Stoffhose und eine gehäkelte Bluse. Mit der einen und lässt die Atmung fliessen. Zaugg selbst singt leidenHand zieht sie einen Wagen mit einem Müllsack hinter schaftlich gerne, am liebsten Jodel und Impro-Gesang. sich her, in der anderen hält sie eine vergoldete SalatzanSeit bald zwei Jahren ist sie Mitglied im Surprise Stras­ ge. «Immer mit der schwachen Hand arbeiten, das stimusenchor: ein Ort, an dem sie sich sehr zuhause fühle. «Die liert die andere Gehirnhälfte», leitet Zaugg die Abfall-Tour Chor-Mitglieder sind für mich mutige Menschen», sagt im Kleinbasel an, die im Rahmen der Umwelttage Basel Zaugg. «In ihrem Alltag gehen sie einer Arbeit nach, die stattfindet. Ausser ihrer Tochter und ihren zwei Enkelandere freiwillig nicht tun würden. Wie das Putzen.» Ihkindern sind jedoch keine Teilnehmer erschienen. Wer rem Umfeld zu erklären, dass sie von nun an als Reiniwill schon freiwillig die Strassen reinigen? gungskraft arbeite, sei damals auf viel Unverständnis gestossen. Wenn sie heute wieder in die Schublade der arFast niemand. Genau darin liegt der Kern von Katharina Zauggs Arbeit. Seit 30 Jahren versucht die studierte men Putzfrau gesteckt wird, nimmt sie sich das längst Ethnologin, das Putzen aus der Schmudnicht mehr so zu Herzen. Dennoch: «Ich delecke zu holen und der Tätigkeit eine bin froh, wenn man mich als HandwerkeWürde zu geben. In den Medien wird sie als rin sieht und nicht als arme Frau, die Expertin für Wellness-Putzen gefeiert, sie nichts erreicht hat.» selbst spricht von «achtsamer RaumpfleZuhause kann Zaugg ihr Handwerk jege», schreibt Bücher darüber, hält Vorträge doch auch ruhen lassen. Sie sei keineswegs und gibt Workshops zum Thema. Mit ihrer von einem Sauberkeitsfimmel getrieben. 1988 gegründeten Reinigungsfirma «Mi«Dreck ist etwas vom Lebendigsten», sagt tenand Putzen GmbH» in Basel rückt sie Katharina Zaugg sie und lässt den Staub in ihrer Wohnung regelmässig allein oder im Team aus und zwischendurch auch liegen. Nur wenn Bemacht Wohnungen sauber. such komme, lege sie sich so richtig ins Dabei hatte sie mit Putzen lange nichts Zeug. «Am liebsten gleite ich mit verdünnam Hut. Zwar war ihre Mutter Hausfrau, tem Rosenwasser über die Oberflächen», doch für die Reinigungsarbeiten hatte die sagt sie und malt mit der Hand eine KreisFamilie eine Fachkraft angestellt. Später, während des bewegung in die Luft. «Aber nur, wenn es sein muss.» Ein Studiums, habe sie höchstens «Brösmeli unter dem Tisch wichtiges Element ihrer Putzlehre ist die Ökologie, und hervorgewischt», so Zaugg. Das änderte sich erst, als sie das bedeutet für sie mehr als nur biologisch abbaubare Reinigungsmittel. Auch die richtige Dosierung, ein schöschwanger wurde und ihre Tochter allein grosszog. «Auf ner Putzschrank und fair bezahlte Arbeitskräfte gehörten einmal war ich immer nur am Putzen», erinnert sie sich. dazu. Vor allem aber die mentale Einstellung. «Im Austausch mit anderen Müttern ist mir aufgefallen, was für ein niedriger Wert dieser Tätigkeit anhaftet.» Und Denn Putzen reinige nicht nur das Haus, sondern da sie Ethnologin und es gewohnt ist, jede Situation zu auch den Geist. Ihr Konzept der «achtsamen Raumpflehinterfragen, beschloss sie, sich unser Verhältnis zum ge» will in erster Linie der Tätigkeit die volle AufmerkDreck etwas näher anzuschauen. samkeit schenken, angelehnt an den Zen-Buddhismus. «Zu Zen gehört auch die Pflege von sogenannten profaHinschauen, wo sich andere abwenden, das habe sie schon immer gerne gemacht. Eine gute Übung, um die nen Tätigkeiten», so Zaugg. «In der bürgerlichen HierarBlockaden vor dem Dreck abzubauen, sei Abfall einsamchie kommt die Reinigung an unterster Stelle, die gerne meln. «Indem ich mich dem Dreck hingebe anstatt ihm delegiert wird. In der geistigen gibt es keine Entwicklung auszuweichen, bleibe ich elastisch», sagt Zaugg und ohne Reinigung.» Das wusste schon Beppo der Strassengreift mit der vergoldeten Zange nach Zigarettenstumkehrer, die Figur aus Michael Endes Buch «Momo», der meln, Melonenschnitzen, Bierdosen und Taschentüchern. langsam, aber stetig die ganze Strasse kehrt: bei jedem «So gibt mir jeder eingesammelte Zigistummel einen Schritt einen Atemzug und bei jedem Atemzug einen Besenstrich. «Nur wenn du deine Arbeit mit voller Präsenz Atemzug mehr in meinem Leben.» Dabei beugt sie die ausführst, ist es eine gute Arbeit», ist die Essenz von BepKnie sanft und dreht sich schwungvoll nach links und rechts. pos Lehre, der sich auch Zaugg anschliesst. Trotz allem: Wer Katharina Zaugg beobachtet und ihr zuhört, «Putzen an sich ist nichts Tolles», sagt sie. Aber eben eine merkt schnell: Putzen hat für die 66-Jährige nichts mit notwendige Tätigkeit, die sie «zivilisatorische Gartenarmechanischem Schrubben zu tun. Sondern mit Flow und beit» nennt. «Wer sich ihr verweigert, bleibt stehen. Nur Sinnlichkeit, mit Energie und Präsenz. In ihren Workwer sich ihr hingibt, kommt weiter.» shops lernen die Teilnehmer etwa, beim Staubsaugen die Nach einer halben Stunde endet die Abfall-Tour im Hüften zu schwingen, mit geschlossenen Augen Fenster Kleinbasel. In dieser Zeit hat die Putzequipe einen Sack mit zu wischen, mit offenen Händen abzustauben oder den Müll, einen mit Papier und einen mit Dosen gefüllt. Und Lappen mit dem richtigen Dreh auszuwinden. «Putzen das war nur der gröbste Dreck. Dann verabschieden sich ist Slow-Dance und fordert konstante Bewegung.» auch Zauggs Enkelkinder eilig. Das Schwimmbad ruft.

«Dreck ist etwas vom Leben­digsten»

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«Geschichte ist ein grosses Fragezeichen» Theater Der Ägypter Wael Shawky ist einer der wichtigsten zeitgenössischen

arabischen Künstler. Am Zürcher Theaterspektakel erzählt er die blutrünstige Geschichte der Kreuzzüge aus arabischer Perspektive. INTERVIEW  MONIKA BETTSCHEN

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Bilder: Janto Djassi

Ab Ende des 11. Jahrhunderts folgten dem Aufruf zum Krieg durch die katholische Kirche zwei düstere Jahrhunderte, während der die europäischen Kreuzritter Konstantinopel, den mittleren Osten und schliesslich Jerusalem angriffen. Dies in der festen Überzeugung, das Heilige Land von den «ungläubigen» arabisch-muslimischen Völkern befreien zu müssen. Während Wael Shawky mit seiner verfilmten Marionettentheatertrilogie «The Cabaret Crusades» in einer einzigartigen Bildsprache diese Ereignisse nacherzählt, bringt er mit dem Musiktheater «The Song of Roland: The Arabic Version» das Rolandslied, eines der bekanntesten Heldenepen des europäischen Mittelalters, auf die Bühne. Es handelt von den Schlachten Karls des Grossen gegen die Sarazenen, die im 8. Jahrhundert in den Mittelmeerraum vordrangen. In Shawkys Bühnenstück tragen traditionelle Fidjeri-Musiker aus der Golfregion die altfranzösischen, vor Gewalt strotzenden Liedzeilen auf Hocharabisch vor. Wael Shawky legt in all seinen Arbeiten mit analytischem Gespür den schmalen Grat zwischen Wahrheit und Mythos frei. Herr Shawky, Sie beleuchten die Kreuzzüge vor einem Jahrtausend aus einem arabischen Blickwinkel. Ihre Arbeiten folgen der Prämisse, dass die Lesart von Geschichte davon abhängt, wer sie schreibt. Gehen Sie davon aus? Wael Shawky: Absolut, denn wenn wir von Geschichte sprechen, gibt es keine korrekte Version davon. Sie ist eine vom Menschen geschaffene Ansammlung unterschiedlicher Perspektiven. Die Kreuzzüge beeinflussen das Verhältnis zwischen dem sogenannten Westen und Osten bis heute. Darum habe ich mich entschieden, diese historischen Ereignisse aus einer arabischen Perspektive zu zeigen. Diese ist genauso wenig die korrekte Version. Ich möchte dazu ermutigen, dem Konstrukt Geschichte stets kritisch zu begegnen, unabhängig davon, wer sie geschrieben hat.

«Jedem historischen Dokument haftet eine Art Zweifel an, egal aus welcher Quelle es stammt.» Wael Shawk y

Und damit auch die Motive der einzelnen Akteure nachvollziehen? Ja. Wenn man zum Beispiel Aufzeichnungen über Aleppo in Syrien während der Kreuzzüge liest, erfährt man, was die Kreuzritter antrieb. Sie waren davon überzeugt, den Sieg über die Muslime zu verdienen, weil sie glaubten, ihr Gott sei mit ihnen und darum sei es auch gerechtfertigt, diese Menschen zu töten. Selbstverständlich zeigen schriftliche Aufzeichnungen aus dem Inneren der belagerten Stadt eine andere Sichtweise. Ich beschäftige mich als Künstler damit, wie Geschichte manipuliert wurde und immer noch wird. Ihre Filmtrilogie «The Cabaret Crusades» hat eine dokumentarische Qualität. War das Ihre Absicht? «The Cabaret Crusades» ist eine Dokumentation und gleichzeitig eine Analyse davon, wie wir an die Gültigkeit von Geschichte glauben. Jedem historischen Dokument haftet aber eine Art Zweifel an, ganz egal, ob dieses nun aus französischer, italienischer oder arabischer Quelle stammt. Für diese Arbeit haben Sie Marionetten anstelle von Schauspielern gewählt. Denken Sie, dass wir in Zeiten von Fake News auch solche Marionetten sind? Absolut! Es wird immer klarer, dass wir alle manipuliert werden. Entweder von Behörden oder von Regierungen. Und sogar Regierungen werden von noch mächtigeren Regierungen beeinflusst. Und wir alle beziehen unsere Nachrichten von den führenden Medien. Sie und der Kontrolldrang der Mächtigen sind heute grosse Bedrohungen.

Fidjeri-Musiker im Bühnenstück «The Song of Roland: The Arabic Version» (beide Bilder)

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Sie denken dabei sicher auch an den Arabischen Frühling. Während des Arabischen Frühlings 2011 schloss ich mich mit Freunden den Protesten um den Tahrir-Platz in Kairo an. Leider ist die ägyptische Revolution gescheitert. Das 23


alte Regime war stärker und hat einfach alles übernommen, auch die Medien. In der Folge wurden komplett verdrehte Informationen über die Revolution verbreitet. Es ist unglaublich: Diese Ereignisse liegen erst sechs Jahre zurück, aber wenn man die Menschen heute auf der Stras­ ­se fragt, was damals genau passiert sei, haben sie keine Ahnung. Es geht Ihnen darum, wie historische Fakten so weit verändert werden, bis sie schliesslich ganz verzerrt sind? Ja. Nehmen wir zum Beispiel die Rede von Papst Urban II. im Jahr 1095: Sie bildete den Anstoss für die zwei Jahrhunderte der Kreuzzüge. Wir wissen, dass er diese Rede

«Cabaret Crusades: The Horror Show File», 2010 Videostill (beide Bilder)

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im französischen Clermont gehalten hat. Es existieren aber vier verschiedene Versionen. Wir wissen nicht, was genau gesagt wurde, aber wir kennen die Auswirkungen. Unzählige Männer brachen Richtung Konstantinopel auf. Von dort zogen sie weiter nach Syrien und schliesslich nach Jerusalem. Geschichte ist ein einziges grosses Fragezeichen, eine menschliche Schöpfung und ein Analysebereich, mit dem ich sehr gerne arbeite. Vom Rolandslied existieren ebenfalls mehrere Versionen. Auch beim Rolandslied wissen wir nicht genau, wann und von wem es verfasst wurde. Ich denke, dass gerade diese Arten von Unsicherheiten bei der Entstehung von Kunst eine entscheidende Rolle spielen, denn dadurch eröffnen sich Gestaltungsmöglichkeiten.

«Wenn ich mit historischen Texten arbeite, tue ich das auf sehr heilige Weise.» Wael Shawk y

Das heisst, dass man die Lücken der Geschichte füllt, indem man sie infrage stellt? Und darüber hinaus sogar jene Gewissheiten und Einsichten infrage stellt, die man dadurch gewonnen hat. Das Gleiche gilt für die eigenen Überzeugungen. Gerade wenn man schriftlich Überliefertes hinterfragen möchte, ist es wichtig, die althergebrachten Wortlaute zu respektieren. Wenn ich mit historischen Texten und mit dem Koran arbeite, tue ich das immer auf eine sehr heilige Weise. Ich ändere nichts, nicht einen einzigen Buchstaben.

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Videostills: Courtesy the artist & Sfeir-Semler Gallery Hamburg/Beirut Foto: Pauline Beugnies

Sie haben Ihre Kindheit sowohl in Ägypten als auch in Saudi-Arabien verbracht. Wie hat diese Zeit ihren Blick auf die arabische Welt geprägt? Ich wurde 1971 in Alexandria geboren, aber mein Vater musste in Mekka in Saudi-Arabien arbeiten. Etwa sieben Jahre lang lebten wir im Winter in Mekka und im Sommer in Alexandria. Saudi-Arabien ist zentral in meiner künstlerischen Arbeit. Nachdem westliche Firmen ab den 1930er-Jahren in der Region auf Erdöl gestossen waren, wandelten sich die Gesellschaften von ihrer landwirtschaftlichen Prägung in Ägypten respektive von «Cabaret Crusades: The Path to Cairo», 2012 Videostill nomadischen Beduinen-Gesellschaften in Saudi-Arabien zum entwickelten Urbanismus. Vor der Erdölförderung gab es in der GolfreWenn wir uns die Krisenherde im Mittleren gion, abgesehen von heiligen Städten wie Mekka oder und Nahen Osten anschauen und diese mit Medina, fast nur Wüste und ein paar Zelte. Von einem den Kreuzzügen vergleichen: Würden Sie sagen, dass sich die Geschichte wiederholt? künstlerischen Standpunkt aus finde ich diesen Wandel Nicht unbedingt, denn wir können die Geschichte nicht sehr interessant, er mutet beinahe surreal an. zerschneiden. Ich erzähle einfach, was sich vor 1000 Jahren ereignet hat. Wir sehen heute, wie diese Ereignisse Ihre Videoinstallation «Asphalt Quarter», die 2003 an der Biennale in Venedig gezeigt wurde, ist von Abdul gegenwärtige Konflikte beeinflussen, und es drängen sich natürlich Parallelen auf. Rachman Munifs Roman «Cities of Salt» inspiriert. Der Autor beschreibt darin diese weitreichenden AuswirWenn wir über das Zusammenprallen verschiedener kungen, welche die Ölförderung mit sich brachte. Ich habe mich intensiv mit diesem Thema beschäftigt und Kulturen sprechen, fällt oft der Begriff Identität. wollte danach noch tiefer gehen. Ich machte eine grosse Das Konzept Identität ist sehr komplex, und ich bekämpfe Recherche über die Geschichte es vehement. Natürlich bin ich ein Ägypter, Araber, Mosder Golfregion. «The Song of lem, Künstler. Das ist Teil meiner Geschichte, meiner FaWael Shawky Roland» ist ein Ergebnis davon. milie, meiner Erinnerung. Aber gleichzeitig versuche ich, Es ist eine Mischung aus «The mich dessen zu entziehen, kategorisiert zu werden. MenCabaret Crusades» und der Geschen mögen es sehr, andere zu schubladisieren, das ist schichte der Golfregion. Die altwirklich ein Problem. französischen Verse werden von Fidjeri-Musikern auf HocharaZum Schluss ein kleiner Ausblick: Denken Sie, bisch vorgetragen. Fidjeri war dass sich das Verhältnis zwischen der westlichen eine jahrhundertealte Tradition und der muslimischen Welt entspannen wird? der Perlentaucher. Sie verAktuell versucht alle Welt, zu Spaltung und Rassismus Der 1971 in Alexandria geborene schwand, als die Ölindustrie zurückzukehren. Viele neue Machthaber sind rassistisch Wael Shawky ist mit seinem dort Fuss fasste. Wie beim Round ignorant. Sie haben ihre Unterstützer, aber sehr viele Film-Zyklus «Cabaret Crusades» landslied ist auch bei der FidjeriMenschen sind nicht mit ihnen einverstanden. Früher (2010–2015) zu einem der Tradition unklar, woher sie geoder später werden sie einsehen müssen, dass man nicht bedeutendsten arabischen Künstler mit Einzelschauen u.a. nau stammt. die ganze Zeit lügen kann. Es gibt also auch sehr viel Hoffin London, Berlin und im Museum nung, darum muss man optimistisch sein. of Modern Art MoMA in New Was hat Sie am Rolandslied York geworden. Shawky lebt, besonders fasziniert? arbeitet und lehrt in Philadelphia Das Rolandslied ist eine folklound Alexandria. ristische Erzählung, voller Mythen. Als die Kreuzzüge starteten, wurde es dazu benutzt, Soldaten und Pilger zu motivieren. Es ist eine Glorifizierung des weissen europäischen Mannes. Es geht um Überlegenheit. Die gut 4000 Zürcher Theaterspektakel, 17. August bis 3. September, Zeilen sind voller Gewalt, und wenn dieses Stück nun von «The Song of Roland: The Arabic Version» und «The Cabaret den Fidjeri-Musikern auf Hocharabisch gesungen wird, Crusades», Di, 22. und Mi, 23. August; Künstlergespräch ist das ein Perspektivenwechsel in Bezug auf die Ge«Religion und Macht» mit Wael Shawky, Di, 22. August. schichte und damit auch in Bezug auf aktuelle Konflikte. www.theaterspektakel.ch Surprise 406/17

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Im Davorseits

Randnotiz

Miteinander statt nebeneinander

Buch Im Gedichtband «Überall & Nirgends»

ist das Reden vom Tod eine traurig-schöne Begegnung mit dem Leben. «War ich schon, bevor’s mich gab?» So beginnt Bette Westeras Gedicht «Im Davorseits», und auf einmal ist das Leben das Jenseits und das, was (vielleicht) nach dem Tod kommt, nur ein weiteres Davorseits, in das man zurückkehren könnte. Dies ist nur eine der vielen Facetten von «Überall & Nir­ gends», in dessen Gedichten all das zur Sprache kommt, wo­ rüber allzu oft geschwiegen wird. Der Autorin Bette Westera und ihrer kongenialen Illustra­ torin Sylvia Weve gelingt dies auf eine so unverkrampfte und unverblümte wie einfühlsame Weise, dass man gerne bereit ist, die Scheu und auch die eigenen Scheuklappen abzulegen. Der Bogen, den sie dafür spannen, findet für vieles offene und offenherzige Worte und Bil­ der. Vom Seemannstod über die Nahtoderfahrung bis zu Wie­ dergeburt und Suizid, vom Ster­ ben der Jüngsten, der Frühchen und Schulfreunde, bis zu den Ältesten, den Omas und Opas, oder auch den Namenlosen im Hospiz, von denen nur die Särge erzählen. Und selbst der Tod von geliebten Haustieren hat hier Platz. Dabei wird nichts geschönt. Trauer und Verlust zeigen sich in ihrer ganzen Wucht, wenn sich die Lücke, die durch den Tod gerissen wird, einfach nicht schliessen will, der verlorene Mensch in allem fehlt, was man gerade noch mit diesem geteilt

Ich sitze im Café einem jungen Mann gegenüber, der seit seiner frühen Jugend anderen hilft. In vielen Facetten, ohne dabei Anerkennung zu suchen und ohne eine Belohnung im Sinn zu haben. Es ist ein Bedürfnis von ihm, als empathischer Mensch im Rahmen seiner Möglichkeiten etwas zu geben. Er sorgt für sein Umfeld scheinbar wie für sich selbst, im Beruf, in ehrenamtlichen Tätigkeiten wie auch in der Freizeit. Mir scheint, er sei einer dieser «Übermenschen», von denen Nietzsche geträumt hat. Eine real gewordene Vision einer Idealvorstellung einer geistigen Weiterentwicklung. Alles im Rahmen eines weiteren Abschnitts der Evolution, der hätte stattfinden können, hätten wir es uns nicht so gemütlich im letzten eingerichtet. Das Tier Mensch hat sich durchgesetzt, weil es fähig war, untereinander komplex zu kommunizieren und reflektiert als Einheit zu agieren. Doch wie «miteinander» sind wir heute, hier bei uns? Der grosse Widersacher des Übermenschen ist der Egoismus, er steht mit den Trieben der Empathie, dem Bewusstsein und dem Interesse am Mitmenschen gegenüber. Laufe nicht auch ich mit einem Tunnelblick durch meine Beziehungen zu Mensch und Tier, unfähig, die Bedürfnisse und Wünsche der anderen zu spüren und zu berücksichtigen? Der junge Mann erzählt mir, dass er sich mitverantwort­ lich dafür fühle, dass es seinem Umfeld gut gehe. Fühle ich mich auch mitverantwortlich? Bin ich überhaupt fähig, mich mit meinem Umfeld auseinanderzusetzen? Ich schaue mich im Café um. Das würde bedeuten, dass ich mich für meine Mitmenschen interessieren müsste. Und zwar über die höfliche Floskel hinaus, wie es dem Gegenüber so gehe. Ich würde im vollen Supermarkt als ein anderer an der Kasse anstehen, wenn ich für die anderen mitfühlen würde. Mein Leben wäre ganz anders, wirkungsvoller und vielfältiger.

Florian Burkhardt war Sportler, Model und Internetpionier. Sein Leben wurde im Film «Electroboy» dokumentiert. Soeben ist seine Autobiografie «Das Kind meiner Mutter» im Wörtersee-Verlag erschienen.

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Bild: ZVG

Gibt es denn die Möglichkeit, dass selbst ich zu einem kleinen Übermenschen heranwachsen kann, wenn ich mir Mühe gebe? Ich frage den jungen Mann, ob er mir dabei helfen könne.

hat. Doch die Ehrlichkeit, mit der diesem Schmerz begegnet wird, ist zugleich wie Balsam für die Seele und macht vieles mög­ lich. Die Hoffnung dort, wo sich das Verlorene in schönen Erin­ nerungen wiederfindet, und selbst die Ausgelassenheit, in der Fiesta de los Muertos etwa, wo der Tod nach Zuckerguss schmeckt. Was an diesem Buch über­ rascht, berührt und begeistert, ist die Vielgestaltigkeit der Ge­ dichte und besonders auch der Bilder, die immer wieder neue Formen und Ansätze finden, von düster bis fröhlich bunt, wild bis verspielt, skizzenhaft, in satten Farben oder zarten Strichen. Da spiegelt sich der Tod an der Farb­palette des Lebens. Aber eignet sich «Überall & Nirgends» wirklich, wie ange­ geben, für Menschen ab acht Jahren? Unbedingt! Vor allem für das gemeinsame Lesen, denn das Buch wird zu Recht auch für Erwachsene empfoh­ len. Und die ergänzenden Erläu­ terungen im Anhang tragen dazu bei, dass man diesen Ge­ dichtband immer wieder von Neuem mit Gewinn in die Hand nimmt. Drei Lesebändchen hat die­ ses Buch, ein goldgelbes, ein ro­ tes und ein blaues. Doch eigent­ lich sind das noch zu wenige, denn man bräuchte für jede der Seiten ein eigenes.

Christopher Zimmer

Bette Westera & Sylvia Weve: «Überall & Nirgends», Gedichte (ab 8 Jahren), Susanna Rieder Verlag 2016, CHF 35.90

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Fotos: © Andrea Badrutt, Chur (1), Luca Christen (1), Courtesy Esther Schipper, Berlin, Sean Kelly, New York © 2017 ProLitteris, Zurich (1), Zentralbibliothek Zürich, Ms Rh hist 161 (1), Lutz Bacher, Wham, 2016 (1)

Veranstaltungen Albigna-Region GR Kunstprojekt: Arte Albigna, 1200–2565 m. ü. M., bis 30. September. arte-albigna.ch

Schon Giovanni Giacometti fand Gefallen an der Albigna-Region und animierte mit Gemälden wie «Blick auf Albigna und die BondascaGruppe» 1914 die Bergsteiger zu wagemutigen Erstbesteigungen. Giacometti ist tot, dafür haben sich nun Leute wie Pipilotti Rist und – wenig erstaunlich – Roman Signer im Bergell zu schaffen gemacht. Auch wenn der eine oder andere vielleicht lieber wandert, ohne sich Kunst anzuschauen: Die Beschäftigung mit Themen wie Technik und Industrie und ihrem Einfluss auf das soziale Leben und den Alpinismus ergibt hier Sinn, immerhin wurde in den Fünfzigern und Anfang der Sechziger ein gewaltiger Staudamm gebaut, der die Region prägt. DIF

Wohlen-Frauenkappelen Freilufttheater: «Moby Dick im Wohlensee», Fr, 11. August bis Sa, 9. September, jeden Di, Do, Fr und Sa, jeweils 19.30 Uhr, Wohleibrücke Wohlen-Frauenkappelen. www.vorort.be

Münchenstein bei Basel Ausstellung: «David Claerbout – Olympia», Schaulager Münchenstein, Ruchfeldstrasse 19, Münchenstein, bis 22. Oktober. www.schaulager.org Der belgische Künstler David Claerbout hat das martialische Olympia-Stadion in Berlin am Computer digital restauriert. Und zwar, um es ganz langsam wieder zerfallen zu lassen: Claerbout hat einen Alterungsprozess berechnet, der sich über die kommenden 1000 Jahre erstreckt, und gibt den Monumentalbau seit März 2016 dem Zerfall preis. Das Stadion wurde im Dritten Reich mit einem tausendjährigen Herrschaftsanspruch erbaut, Claerbout lässt das ideologische Konstrukt nun wieder im angemessenen Zeitrahmen in sich zusammenfallen. DIF

Online Webserie in fünf Folgen: «1992 – Auf der Suche nach der Schweiz». www.nb.admin.ch/1992

«Auf ewig vereint sind Wasser und Tiefsinn»: Sowas denkt sich normalerweise nicht unbedingt, wer durch die lauschige Wohlei Sommerbadi spaziert. Wer aber eine Walfang-Soundscape und die Stimme Ismaels, des schwermütigen Erzählers aus «Moby Dick» auf den Ohren hat und erlebt, wie die

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Bern/Glarus Ausstellung: «Sie sagen, wo Rauch ist, ist auch Feuer», Eine Zusammenarbeit zwischen der Kunsthalle Bern und dem Kunsthaus Glarus. 12. August bis 1. Oktober, Kunsthalle Bern und Kunsthaus Glarus. www.kunsthalle-bern.ch Nichts als Gerüchte: das darf man von der Doppelausstellung in der Kunsthalle Bern und im Kunsthaus Glarus sagen. Denn thematisiert wird das schillernde, verführerische und verunsichernde Halbwahre als Form der Kommunikation. Beide Häuser setzen unterschiedliche Schwerpunkte: In Bern geht es um das künstlerische Spiel mit Identität, um Pseudonyme, fiktive Charaktere und maskierte Identitäten. Glarus fokussiert auf Kunstwerke, die ihre Kraft und Wirkung erst entfalten, wenn darüber gesprochen wird. Was gesagt wird, ist vielleicht aber alles nur Gerücht. AMI

Wohleibrücke zu Ahabs Walfangschiff Pequod wird, wähnt sich im Nu im Hafen von Nantucket. Harpunier Queegegs Sarg und sein Harpunierboot werden auf dem See zur schwimmenden Plattform für die Spieler und die Zuschauer zu Zeugen von Kapitän Ahabs irrem Kampf gegen den weissen Pottwal Moby Dick. DIF

Was ist die Schweiz? Vor 25 Jahren stellte sich diese Frage auf den unterschiedlichsten Schauplätzen. 1992 schienen die hergebrachten Mechanismen nicht mehr zu greifen, es war Zeit für einen Neuanfang. Begann 1992 die Geschichte der Schweizer Gegenwart? Die Webserie 1992 der Nationalbibliothek beleuchtet fünf Jubiläen bedeutender Ereignisse 1992 und versieht sie mit frischen Kommentaren. Da erinnert etwa Patrizia Keller an das «Suiza no existe» der Weltausstellung in Sevilla, Franz Hohler spricht zur Einführung des Zivildienstes und Dick Marty erläutert die NEAT – die Neue Eisenbahn-Alpentransversale. WIN

zwischen 7 und 12 Jahren entdecken dabei die geheimnisvolle Welt der alten Bücher und Handschriften. Auf sechs Stockwerken unter der Erde finden sie uralte Bücher und Dokumente über Einhörner und Drachen. Wetten, das schlägt ein? AMI

Zürich Kinderführung: «Zeit-Reise», Fr, 18. August, 14.30 Uhr, Zentralbibliothek, Zähringerplatz 6, Zürich. Anmeldung unter: fuehrungen@zb.uzh.ch, Teilnahme gratis. Weitere Termine: Mi, 11. Oktober und Mi, 15. November. Wie bringt man Digital Natives zum Staunen? Richtig, mit Papier. Am besten mit altem Papier. Unter dem Titel «Zeit-Reise» führt die grosse Zentralbibliothek Führungen für Kinder durch. Junge Leute

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IND 0.– S AB 50 ABEI! SIE D

Die 25 positiven Firmen Unsere Vision ist eine solidarische und vielfältige Gesellschaft. Und wir suchen Mitstreiterinnen, um dies gemeinsam zu verwirklichen. Übernehmen Sie als Firma soziale Verantwortung. Unsere positiven Firmen haben dies bereits getan, indem sie Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Mit diesem Betrag unterstützen Sie Menschen in prekären Lebenssituationen dabei auf ihrem Weg in die Eigenständigkeit. Die Spielregeln: 25 Firmen oder Institutionen werden in jeder Ausgabe des Surprise Strassenmagazins sowie auf unserer Webseite aufgelistet. Kommt ein neuer Spender hinzu, fällt jenes Unternehmen heraus, das am längsten dabei ist. 01

Schweizerisches Tropeninstitut, Basel

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Iten Immobilien AG, Zug

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AnyWeb AG, Zürich

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Stoll Immobilientreuhand AG, Winterthur

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Madlen Blösch, GELD & SO, Basel

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Praxis PD Dr. med. Uwe Ebeling, Bern

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Proitera Betriebliche Sozialberatung, Basel

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Gemeinnütziger Frauenverein Nidau, Nidau

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VXL gestaltung und werbung ag, Binningen

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Hervorragend AG, Bern

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Lisa Stettler Körpertherapie, Bäch

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Coop Genossenschaft, Basel

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Velo-Oase, Erwin Bestgen, Baar

14

Maya-Recordings, Oberstammheim

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Scherrer & Partner, Basel

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Fischer + Partner Immobilien AG, Otelfingen

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ChemOil Logistics AG, Basel

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Schluep & Degen Rechtsanwälte, Bern

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Institut und Praxis Colibri, Murten

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Kaiser Software GmbH, Bern

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Klinik Sonnenhalde AG, Riehen

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Rechtsanwalt Peter von Burg, Zürich

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Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich

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Hofstetter Holding AG, Bern

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Hedi Hauswirth Privat-Pflege, Oetwil am See

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende ab 500 Franken sind Sie dabei. Spendenkonto: PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma und Ihr gewünschter Namenseintrag Sie erhalten von uns eine Bestätigung. Kontakt: Nicole Huwyler Team Marketing, Fundraising & Kommunikation T +41 61 564 90 50 I marketing@surprise.ngo

SURPLUS – DAS NOTWENDIGE EXTRA Das Programm

Wie viele Surprise-Hefte müssten Sie verkaufen, um davon in Würde leben zu können? Hätten Sie die Kraft?

Wussten Sie, dass einige unserer Verkaufenden fast ausschliesslich vom Heftverkauf leben und keine Sozialleistungen vom Staat beziehen? Das fordert sehr viel Kraft, Selbstvertrauen sowie konstantes Engagement. Und es verdient besondere Förderung. Mit dem Begleitprogramm SurPlus bieten wir ausgewählten Verkaufenden zusätzliche Unterstützung. Sie sind mit Krankentaggeld und Ferien sozial abgesichert und erhalten ein Nahverkehrsabonnement. Bei Problemen im Alltag begleiten wir sie intensiv.

Eine von vielen Geschichten Josiane Graner, Juristin, wurde in ihrem Leben von schweren Schicksalsschlägen getroffen. Sie kämpft und steht immer wieder auf. Ein Geschäftsprojekt, das sich zum Flop entwickelte, führte sie 2010 zu Surprise. Ihr Geschäftspartner hatte sich ins Ausland abgesetzt und sie mit dem Schuldenberg allein gelassen. Um ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu bestreiten, verkauft Josiane Graner in Basel das Strassenmagazin. Zudem ist sie für den Aboversand zuständig. Dank des SurPlus-Programms erhält sie ein ÖVAbonnement und Ferientaggeld. Diese Zusatzunterstützung verschafft der langjährigen Surprise-Verkäuferin etwas mehr Flexibilität im knappen Budget.

Die ganze Geschichte lesen Sie unter: surprise.ngo/surplus

Unterstützen Sie das SurPlus-Programm mit einer nachhaltigen Spende Derzeit unterstützt Surprise 14 Verkaufende des Strassenmagazins mit dem SurPlus-Programm. Ihre Geschichten stellen wir Ihnen hier abwechselnd vor. Mit einer Spende von 6000 Franken ermöglichen Sie einer Person, ein Jahr lang am SurPlusProgramm teilzunehmen.

Unterstützungsmöglichkeiten: · 1 Jahr: 6000 Franken · ½ Jahr: 3000 Franken · ¼ Jahr: 1500 Franken · 1 Monat: 500 Franken · oder mit einem Beitrag Ihrer Wahl.

Spendenkonto: PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 | Vermerk: SurPlus Oder Einzahlungsschein bestellen: T +41 61 564 90 90 info@surprise.ngo | surprise.ngo/spenden Herzlichen Dank!


Bild: ZVG

Wir alle sind Surprise

Wir begegnen Ralf Rohr jeden Samstag vor dem Coop Wiedikon und freuen uns jedes Mal darauf. Wir halten immer einen kleinen Schwatz zusammen, und wir geniessen seine offenherzige Art. Wir stehen meist vor dem Briefkasten, und Ralf hält während unseres Gesprächs den Leuten stets den Schlitz auf, damit sie die Briefe einhändig einwerfen können – das finden wir sehr galant! Wir wünschen Ralf und allen Surprise-Verkäufern alles Gute!  Markus und Trix, Zürich

Leserbrief

«Etwas zu sagen» Herzliche Gratulation zum neuen Heft/Layout/Papier. Alles super, und weiterhin viele gute Inhalte. Ihr habt ja echt etwas zu sagen! V. Früh, Belp

Sozialer Stadtrundgang

«Unbekannte Lebensweise»

Stadtrundgang

Leserbrief

«Beeindruckende Eloquenz»

«Hohler Titel»

Die informative Tour mit Markus Christen hat uns sehr beeindruckt. Er konnte uns mit seinem Wissen und seiner beeindruckenden Eloquenz einen spannenden Einblick in eine Welt geben, die für uns leider oft nur parallel und unbemerkt stattfindet.

Ich hätte Euer Magazin bestimmt schon dutzendmal gekauft, wenn es nicht so einen nichtssagenden, völlig hohlen Titel hätte: Surprise. Wenn ich eine Ahnung hätte, ob für mich etwas Interessantes drin wäre, dann würde ich es vielleicht kaufen. Aber mit diesem Namen?

Ein Erlebnis der besonderen Art: Wir waren alle sehr beeindruckt von den Stadtführern Ruedi Kälin und Peter Conrath, ihrer Art zu erzählen und ihrem Umgang miteinander. Man hätte auch noch eine Stunde länger zuhören mögen! Die Einblicke in eine so ganz andere, für uns unbekannte Lebensweise, aber auch, wie viel Einsatz durch Freiwillige und die Kirche geleistet wird – all das war für uns unerwartet. Diese Stadttour ist ein sehr gutes Aushängeschild für Surprise und wirbt besser als jede Plakatwand oder Zeitung.

L . Gantner, Basel

M. Widmer-Phutadon, über Facebook

I. Sprenger, Meilen

Impressum Herausgeber Surprise, Spalentorweg 20 CH-4051 Basel Geschäftsstelle Basel T +41 61 564 90 90 F +41 61 564 90 99
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 Ständige Mitarbeit
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Rahel Nicole Eisenring, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Khusraw Mostafanejad, Fatima Moumouni, Stephan Pörtner, Isabella Seemann, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Chi Lui Wong, Christopher Zimmer

Ich möchte Surprise abonnieren 25 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.–) Verpackung und Versand bieten Strassen­verkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen Gönner-Abo für CHF 260.–

Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise, nur mit Geneh­ migung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt.

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FOTO: RUBEN HOLLINGER

Surprise-Porträt

«Jeden Tag zwei Stunden zu Fuss zur Schule» «Als ich im August vor zwei Jahren im Empfangszentrum Basel ankam und meinen Antrag auf Asyl stellte, hatte ich noch überhaupt keine Vorstellung von der Schweiz. Ich war elf Monate zuvor aus meinem Heimatland Eritrea geflohen, weil ich es für mich unmöglich war, weiterhin dort zu leben. Ich hatte eines Tages einen Brief vom ‹Nationaldienst› bekommen – mehr möchte ich dazu nicht erzählen. Die fast ein Jahr dauernde Flucht war sehr beschwerlich, manchmal gefährlich, und führte mich unter anderem vom Sudan durch die Wüste nach Libyen und von dort über das Mittelmeer nach Italien. An den Bahnhöfen von Bologna und Mailand traf ich auf andere Flüchtlinge, die mir davon abrieten, in Italien zu bleiben. Das Leben dort sei nicht gut, sagten sie. Ich setzte meine Reise deshalb fort und landete im August 2015 eigentlich per Zufall in der Schweiz. Nach kurzer Zeit im Empfangszentrum wurde ich dem Kanton Bern zugeteilt und in einer Flüchtlingsunterkunft im kleinen Dorf Hondrich bei Spiez untergebracht, oberhalb des Thunersees. Am Anfang war ich einfach glücklich, dass ich es geschafft hatte und nun ein Leben in Freiheit leben durfte. Aber dann merkte ich, dass es für mich sehr schwierig war, den ganzen Tag fast nichts zu tun. Natürlich gab es die Möglichkeit, in der Unterkunft mitzuhelfen, aber die meisten Arbeiten, wie zum Beispiel das Treppenhaus putzen, waren nach einer halben Stunde erledigt. Zum Glück erzählte mir irgendwann ein Kollege, der in Bern wohnt, vom Surprise Strassenmagazin. Ich meldete mich im Surprise-Büro in Bern und bekam schliesslich die Möglichkeit, in Interlaken Hefte zu verkaufen. In Spiez war der Verkaufsplatz zu dem Zeitpunkt noch besetzt. Doch wieder zum Glück wurde schon bald der Standort in Spiez bei der Migros frei, und ich konnte wechseln und mir die Reisekosten nach Interlaken sparen. Nach einem Jahr in Hondrich wurden ein anderer Eritreer und ich nach Adelboden transferiert, wo wir uns jetzt eine kleine Wohnung teilen. Ski gefahren bin ich noch nicht, aber mein Kollege und ich haben im Winter schon Schneeballschlachten gemacht. Ich habe Spass am Schnee. In Adelboden gefällt es mir zwar auch, aber Hondrich liegt näher bei Spiez, wo ich unter der Woche jeden Vormittag in einen Deutschkurs gehe. Jetzt muss ich am Morgen jeweils um sechs Uhr aufstehen und mich auf die einstündige Reise nach Spiez machen. Aber ehrlich gesagt sind das Frühaufstehen und die Fahrt mit Bus und Zug nichts im Vergleich mit dem Schulweg, den wir als Kinder einer Bauernfamilie in Eritrea hatten. Dort gingen wir jeden Tag zwei Stunden zu Fuss zur Schule und wieder zwei Stunden nach Hause zurück! 30

Seit zwei Jahren lebt Mulugeta Teklia, 26, im Berner Oberland und verkauft Surprise in Spiez. Um die Arbeit und seinen Deutschkurs ist er sehr froh, denn nur herumsitzen und nichts tun geht für den Eritreer gar nicht.

Mein Deutsch-Intensivkurs beginnt um acht Uhr und dauert bis zwölf. Danach kaufe ich mir ein Picknick, esse und ruhe mich ein wenig aus, bevor ich dann von ein Uhr bis meistens zum Ladenschluss um sieben Uhr Surprise verkaufe. In Adelboden bin ich vor allem zum Schlafen, deshalb habe ich noch kaum Kontakt zu den Menschen dort. Anders ist es in Spiez, dort kenne ich viele Leute vom Surprise-Verkauf. Einmal hat mich ein Mann zum Kaffee eingeladen, das hat mich sehr gefreut. In den letzten Wochen musste ich mit dem Verkaufen pausieren, weil ich zweimal im Spital war. Beim zweiten Mal wurde dann die Ursache meiner Beschwerden entdeckt: Ich hatte Gallensteine, die entfernt werden mussten. In diesen Tagen im Spital bekam ich einen Eindruck von der Arbeit in der Pflege und ich denke, so etwas in dieser Richtung würde mir auch gefallen. Ich habe aber gehört, dass man in der Pflege sehr gut Deutsch sprechen sollte. Um das Niveau B1 zu erreichen, werde ich also noch eine Weile die Schule besuchen.» Aufgezeichnet von ISABEL MOSIMANN

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7 8 4 3 5 12 29 86 31 9 1 5 9 7 6 58 34 73 82 1 Lösungen der Rätsel aus Ausgabe 405 2 3 6 4 1 49 67 95 28 5 9 1 3 6 4 27 92 68 45 3 Kreuzworträtsel Sudoku 86 51 97 6 8 4 2 9 3 175 7 8 4 3 5 2 9 6 1 2 8 3 9 4 5 6 7 15 5 96 7 67 8 42 3 2 8 53 8 14 6 13 713 99 7244 8 F I C HK B SM 2 3 6 4 1 9 7 5 8 4 6 9 2 5 7 3 1 8 T O U G H U NW E S E N T L I C H 98 9 69 82 54 356 18191 7 2 31 39 76 43 57 2 5 88 5 7 2 272 6 14 38 47 3 HASS A G I L E T K UNAU 8 4 2 9 3 5 6 1 7 8 5 9 6 1 2 4 3 56 6 74 2 85 1 39 9 4 3 35 1 46 7 812 68 589 4 EK SORGE G NAESE LN 1 2 7 6 4 5 4 2 8 1 9 3 5 3 7 5 8 2 6 1 4 9 8 5 3 1 2 9 4 766 7 F AMO S E P E R E A S S G 4 2 8 1 9 3 5 7 6 4 1 5 7 3 8 9 2 29 1 7 39 783 DAU N A L BR ECHT A L E 98 4 95 714 8 4 52 3 6 7 694 4 21 635 35 2 66 7 278 6 42 T A X E WO S M S U P E R 9 1 4 3 2 16 25 98 57 8 WE S T E R N T K EMP F O K N A E H E M R OMA N U A B U 5 8 6 7 1 284 43 62 29 1 8 9 3 5 7 2 4 6 1 9 8 3 7 1 4 6 5 I ME R AN D B E RN E R D 674 53 9 32 1 28 7 8 9 53 6 1 76 8 45 9 I R R E A L S S I MU L T A N 5 1 3 4247 9 2 7 1 4 6 8 9 3 5 4 3 7 6 2 5 9 8 1 I L E D L SE T R UT TA 9 1 4 3 2 6 5 8 7 2 9 5 8 3 7 4 6 4 5 7 6 8 1863 81 39 72 5 L SCHNE P F E G B Y T E 5 8 6 7 1 4 3 2 9 4 6 2 1 7 5 3 9 U R O P A E R R R MA L A R I A 7 3 2 8 9 5 6 1 4 3 7 5 4 9 6 8 1 2 78 318 51 9934 3 415 76 6 89 3 12 9 2 4 67 7 52 2 U BAYER L ES HARD 1 6 9 2 4 7 8 5 3 7 1 2 9 3 4 6 5 8 S E D HOE HN E N GE Y S I R E 9 7 42 1763 6 33 2 82 1 58 9 7 14 6 5 99 5 45 1 64 8 F UNK E LN SANDA L EN Lösungswort: Faxmaschine Die Gewinner werden benachrichtigt.

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GESCHICHTEN VOM FALLEN UND AUFSTEHEN Kaufen Sie jetzt das Buch «Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand» und unterstützen Sie einen Verkäufer oder eine Verkäuferin mit 10 CHF. «Standort Strasse» erzählt mit den Lebensgeschichten von zwanzig Menschen, wie unterschiedlich die Gründe für den sozialen Abstieg sind – und wie gross die Schwierigkeiten, wieder auf die Beine zu kommen. Porträts aus früheren Ausgaben des Surprise Strassenmagazins ergänzen die Texte. Der Blick auf Vergangenheit und Gegenwart zeigt selbstbewusste Menschen, die es geschafft haben, trotz sozialer und wirtschaftlicher Not neue Wege zu gehen und ein Leben abseits staatlicher Hilfe aufzubauen. Surprise hat sie mit einer Bandbreite an Angeboten dabei unterstützt: Der Verkauf des Strassenmagazins gehört ebenso dazu wie der Strassenfussball, der Strassenchor, die Sozialen Stadtrundgänge und eine umfassende Beratung und Begleitung. 156 Seiten, 30 farbige Abbildungen, gebunden, CHF 40 inkl. Versand, ISBN 978-3-85616-679-3 Bestellen bei Verkaufenden oder unter: surprise.ngo/shop Weitere Informationen T +41 61 564 90 90 | info@surprise.ngo | surprise.ngo | Facebook: Surprise NGO

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Café Surprise – eine Tasse Solidarität Zwei bezahlen, eine spendieren. BETEILIGTE CAFÉS BASEL BackwarenOutlet, Güterstr. 120 | Café Bohemia, Dornacherstr. 255 | Café-Bar Elisabethen, Elisabethenstr. 14 | Flore, Klybeckstr. 5 | Café Restaurant Haltestelle, Gempenstr. 5 | Kiosk Amann, Claragraben 101 | Oetlinger Buvette, Unterer Rheinweg | Quartiertreffpunkt Kleinhüningen, Kleinhüningerstr. 205 Quartiertreffpunkt Lola, Lothringerstr. 63 | Les Gareçons to go, Badischer Bahnhof | Restaurant Manger et Boire, Gerbergasse 81 | Trattoria Bar da Sonny, Vogesenstr. 96 BERN Café Kairo, Dammweg 43 | Café Marta, Kramgasse 8 | Café Tscharni, Waldmannstr. 17a | Café-Bar das Lehrerzimmer, Waisenhausplatz 30 LoLa Lorraineladen, Lorrainestr. 23 | Luna Llena Gelateria Restaurant Bar, Scheibenstr. 39 | Restaurant Genossenschaft Brassierie Lorraine, Quartiergasse 17 Restaurant Löscher, Viktoriastr. 70 | Restaurant Sous le Pont – Reitschule, Neubrückstr. 8 | Rösterei Kaffee und Bar, Güterstr. 6 | Treffpunkt Azzurro, Lindenrain 5 Zentrum 44, Scheibenstr. 44 BIEL Treffpunkt Perron bleu, Bahnhofplatz 2d LUZERN Jazzkantine zum Graben, Grabenstr. 8 | Meyer Kulturbeiz, Bundesplatz 3 Blend Teehaus, Furrengasse 7 OBERRIEDEN Strandbad Oberrieden, Seestr. 47 RAPPERSWIL Café good, Marktgasse 11 SCHAFFHAUSEN Kammgarn-Beiz, Baumgartenstr. 19 STEIN AM RHEIN Raum 18, Kaltenbacherstr. 18 ZÜRICH Café Zähringer, Zähringerplatz 11 | Cevi Zürich, Sihlstr. 33 | Flussbad Unterer Letten, Wasserwerkstr. 12 | Sphères, Hardturmstr. 66

Weitere Informationen: surprise.ngo/cafesurprise


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