
4 minute read
«Die Schweiz hat die Nase vorn, wenn es um innovative Ideen geht.»
Digitalisierung – Die Schweizer PropTechBranche bleibt auf Wachstumskurs. Nachhaltigkeit ist hierbei ein grosses Thema, sagt Thomas Rieder, Head Swiss Real Estate Economics, Credit Suisse und Autor des Swiss Proptech Reports 2023.
Von Susanne Osadnik – Foto: zVg
SwissPropTech Magazin: Herr Rieder, haben Krieg, Inflation und das Wirtschaftsumfeld 2022 die Gründung neuer Start-ups erschwert?
Thomas Rieder: Bei den Neugründungen haben wir keine Zurückhaltung beobachten können, im Gegenteil. Im Zeitraum zwischen Januar 2022 und Januar 2023 ist die Anzahl der PropTechs auf dem Schweizer Markt gemäss der PropTech Map Switzerland von 354 auf 378 gestiegen.
Bei Unternehmen in der Gründungsphase dürfte der Kapitalbedarf noch eher gering sein. Wie sieht es bei den PropTechs auf Wachstumskurs aus?
Die gesamte Branche leidet unter dem schwierigen Wirtschaftsumfeld. PropTechs, die zurzeit auf weitere Finanzierungen angewiesen sind, erleben teils herausfordernde Zeiten. Die steigenden Zinsen haben eine Trendwende in der Immobilienwirtschaft eingeläutet, die sich negativ auf das Marktumfeld auswirkt und die Investitionsfreudigkeit vieler Unternehmen bremst. Das dürfte es vielen PropTechs zunehmend erschweren, notwendiges Kapital einzusammeln. Dies ist übrigens nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit zu beobachten. So verströmen PropTech-Investoren global markant weniger Zuversicht, was sich auch in der schwindenden Zuversicht der global befragten CEOs von Start-ups widerspiegelt.
Was treibt die Start-up-Szene ausser der Finanzierung 2023 sonst noch um?
Neben der schwächeren Wirtschaft sind die jungen Unternehmen mit der genau gleichen Frage wie die etablierten konfrontiert: Wo bekommen wir künftig geeignete Fachkräfte her? Der Arbeits- markt ist regelrecht ausgetrocknet, was auch die Start-ups beim Recruiting neuer Arbeitskräfte merken. Im Rahmen der diesjährigen PropTechUmfrage vertiefen wir dieses Thema und analysieren, wie stark hiesige PropTechs von der Problematik betroffen sind.
Kein Geld, keine Mitarbeiter – und doch viel zu tun? Obschon das Marktumfeld schwieriger geworden ist, sind die enormen Aufgaben, die es zu bewältigen gilt, ja nicht vom Tisch. Die Digitalisierung ist im Bereich Immobilien vielerorts noch nicht sehr weit fortgeschritten. Da gibt es reichlich Handlungsbedarf. Dasselbe gilt natürlich auch für das Thema Nachhaltigkeit, das immer stärker in den Fokus rückt. Die Immobilienwirtschaft ist da in besonderem Masse gefordert, weil beinahe ein Viertel aller Treibhausemissionen in der Schweiz durch Immobilien verursacht werden – in erster Linie durch das Heizen mit fossilen Brennstoffen sowie die Aufbereitung von Warmwasser.
Der Gebäudebestand in der Schweiz soll bis 2050 klimaneutral sein. Wie können PropTechs dazu beitragen, das ehrgeizige Ziel zu erreichen? Bereits eine grosse Anzahl von PropTechs bietet Lösungen, die das Bestreben nach mehr Nachhaltigkeit unterstützen. Die Bandbreite der Themen ist dabei sehr gross: Es geht um intelligente Heizsysteme, nachhaltige Baumaterialien, um optimierte Bauprozesse und generell alles rund um das Thema «smart building».
Die PropTechs legen ihren Fokus klar auf Umweltaspekte – oder das «E» der ESG-Kriterien. Es ist absolut richtig, den Schwerpunkt der Aktivitäten auf Umwelt- und Klimaschutz zu legen. Dort ist der Handlungsbedarf am grössten, und die Zeit drängt angesichts der Klimaschutzziele, die erreicht werden sollen. Das empfindet auch die Bevölkerung so. Das Ergebnis des aktuellen «Sorgenbarometers» der Credit Suisse war da eindeutig. Mit 39 Prozent ist die Belastung der
Umwelt, wozu bei der Umfrage Umweltschutz, Klimawandel und auch Umweltkatastrophen zählten, die neue Top-Sorge der Schweizer. Man sieht hier deutlich, dass auch die gesellschaftliche Wahrnehmung ein Treiber in Sachen Umweltschutz und Nachhaltigkeit ist.
Gibt es auch eine soziale Komponente?
Immobilien nehmen durch die Gestaltung unserer Lebensräume und damit unseres sozialen Umfeldes eine besondere Rolle bei der Erreichung sozialer Nachhaltigkeitsziele ein, wodurch sich für Immobilieneigentümer ein interessanter Gestaltungsspielraum eröffnet. Auch wenn der Fokus derzeit vor allem auf dem «E» in ESG liegt, beschäftigen sich PropTechs bereits heute auch mit dem «S». Wir sehen vor allem Lösungen im Bereich Sharing Economy und alternative LivingKonzepte. Beispiele sind Plattformen für Zwischennutzungen oder Bürokonzepte, bei denen sich mehrere Firmen die Ressourcen teilen. Aber auch im Bereich Human Responsability bieten PropTechs Lösungen an. Ein Beispiel hierfür ist die Bürobegrünung, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Und nicht zu vergessen ist, dass für die finanziell schwächsten Haushalte die finanzielle Belastung durch die Wohnkosten zuletzt stark gestiegen ist und zunehmend zu einem Problem wird. Hier dürfte das Potenzial technologischer Lösungen jedoch kleiner sein als beim «E».
Die Schweiz gehört zu den zehn Ländern mit den meisten nachhaltigen Start-ups. Was ist aus Ihrer Sicht der Grund für das gute Abschneiden? In der Tat hat die Schweiz mit die Nase vorn, wenn es um innovative Ideen geht. Das liegt zum einen daran, dass wir über eine exzellente Hochschullandschaft in den Bereichen Technik und Naturwissenschaften verfügen, die sich seit vielen Jahren intensiv mit Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen beschäftigt. Da ist es wenig erstaunlich, dass junge Wissenschaftler in diesen Themen ihre Ideen in Start-ups weiter entwickeln und auf den Markt bringen. Zum anderen wächst auch der gesellschaftliche Druck, alles zu forcieren, was dem Klimaschutz, dem sparsameren Umgang mit natürlichen Ressourcen oder der Abfallvermeidung dient. Auch die anvisierten Ziele und die regulatorischen Ansätze der Politik, die zu einem grossen Bedarf an nachhaltigen Lösungen führt, macht es für Firmengründer attraktiv, Ideen und Produkte im Nachhaltigkeitsbereich zu entwickeln. Umso mehr, da Unternehmen, die sich nun plötzlich verstärkt mit Nachhaltigkeit beschäftigen müssen, häufig noch nicht über das notwendige Know-how verfügen. Sind offen dafür, Lösungen einzukaufen.
Guter Nährboden für PropTechs und jede Menge zu bewältigende Aufgaben im Bereich Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft: Wie geht es aus Ihrer Sicht in den nächsten Jahren weiter?
Auch wenn die aktuelle Entwicklung in Bezug auf Nachhaltigkeit schon in die richtige Richtung weist, darf man nicht vergessen, dass wir noch am Anfang stehen und eine Herkulesaufgabe zu bewältigen haben. Die Nachhaltigkeitsbestrebungen im Immobiliensektor werden uns in der Schweiz noch über Jahrzehnte beschäftigen. Entsprechend wichtig sind weitere Innovationen, um den Bau und den Betrieb von Immobilien nachhaltiger zu machen. Während die Nachhaltigkeitsbestrebungen im Neubau bereits sehr ausgeprägt sind, besteht im Bestand noch viel Handlungsbedarf und diese Nachhaltigkeitsbestrebungen müssen weiter beschleunigt werden. Im Fokus steht hier vor allem das Thema Heizungsersatz. Vor allem kurzfristig werden primär Wärmepumpen helfen, von fossilen Energieträgern wegzukommen. Bei Mehrfamilienhäusern dürfte aber auch die Fernwärme vermehrt eine wichtige Rolle spielen. Während diese bisher häufig noch aus dem Verbrennen von Kehricht entsteht, wird hier die Wärmegewinnung aus Seewasser in Zukunft immer wichtiger werden. In Zukunft dürfte auch der Aspekt der grauen Energie stärker in den Fokus rücken, dem bisher häufig viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. ∙
Der SwissPropTech-Report 2023 von Credit Suisse und SwissPropTech wird am Kongress The Big Handshake präsentiert.