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BIS 29.10.23

BIS 29.10.23

Er ist ein Gralshüter, Lexikon und Fan: Matthias Thoma leitet das Eintracht Frankfurt Museum und archiviert die Höhen und Tiefen der Vereinsgeschichte.

THE FRANKFURTER traf ihn zum Lunch bei Alfio’s am Opernplatz, ganz nah bei dem Ort, wo einst die Geschichte der Eintracht ihren Lauf nahm.

A keeper of the Grail, an encyclopedia and a fan, Matthias Thoma heads the Eintracht Frankfurt Museum and archives the highs and lows of the soccer club‘s history.

THE FRANKFURTER met up with him for lunch at Alfio‘s on Opernplatz square, very close to the place where Eintracht‘s history once took its course.

Kaum haben wir auf der schönen Außenterrasse des Alfio’s, vis-àvis der Alten Oper, Platz genommen, erfahren wir die spannende Historie, die sich hier abgespielt hat. Für Matthias Thoma ist die Eintracht überall in Frankfurt. Er zeigt auf ein Haus mit blauen Markisen und erzählt: „Dort war das Vereinslokal des FFC Germania 1894. Als sich einige Germanen in die Haare bekamen, gründete man im ‚Friedrichshof‘ im Bahnhofsviertel einen eigenen Fußballverein – die Victoria, den ältesten Vorgängerverein der Eintracht. Und der Kneipenwirt dort hat gleich einen Ball gespendet. Fußball war anfangs hochbürgerlich und in den feinsten Viertel zuhause.“

Und ja: „Dort, wo früher am Opernplatz das Mövenpick Restaurant war, stand in den 1920er-Jahren das Café Hanselmann, damals ein Treffpunkt der Eintracht. 1932 ging es von dort zum Endspiel nach Nürnberg – in einem Konvoi aus 102 Autos!“

No sooner have we taken our seats on the beautiful outdoor terrace of Alfio‘s, vis-à-vis the Alte Oper, than we learn the exciting history that has taken place here. For Matthias Thoma, Eintracht is everywhere in Frankfurt. He points to a building with blue awnings and says: “That was the clubhouse of the FFC Germania 1894. When some of their fans got into a fight, they ended up founding their own soccer club in the ‘Friedrichshof’ in the station district – the Victoria, the oldest predecessor club of Eintracht. And the pub landlord there immediately donated a ball. Soccer was, at first, something for aristocrats, at home in the finest neighborhoods.” And yes: “Where Mövenpick Restaurant used to be on Opernplatz, that’s where Café Hanselmann was in the 1920s, a meeting place for Eintracht at the time. In 1932, we went from there to the final match in Nuremberg –in a convoy of 102 cars!”

Matthias Thoma ist in seinem Element. Minutiös hat er Daten und Fakten parat. Und man lässt sich von ihm gern tragen zu den vielen Geschichten und torstarken Persönlichkeiten der Eintracht. Es ist sein Verdienst, dass das Eintracht Frankfurt Museum aus einem von Vielen belächelten Sammelsurium zu einer Institution von Rang geworden ist. Von den Clubs geführte Fußballmuseen gibt es in Deutschland nicht viele und die wenigen sind inzwischen gut vernetzt, was nicht zuletzt Matthias Thoma zu verdanken ist. Das Eintracht Frankfurt Museum in der Haupttribüne des Deutsche Bank Parks sei für Kinder und Jugendliche oft die erste Begegnung mit einem Museum, sagt Thoma. Es gibt viele Workshops für Schulklassen und junge Fans. Erwachsene wiederum suchen die Nähe zu Sammlerstücken und Pokalen, was oft religiöse Züge annehme: „Den DFB-Pokal küssen ist erlaubt, aber man darf ihn bei uns im Museum nicht hochheben. Manche bringen Fotos von verstorbenen Fans aus der Familie mit und lassen sich damit vor dem Pokal fotografieren“, weiß Thoma. Einmal Fan, immer Fan.

Matthias Thoma is in his element. He has meticulous facts and figures at his fingertips. And you’re happy to let him carry you along to the many stories and goal-scoring personalities of Eintracht. It’s to his credit that the Eintracht Frankfurt Museum has evolved from a collection that many once smiled at into an institution of distinction. There aren’t that many club-run soccer museums in Germany and the few that do exist are now well networked, thanks in no small part to Matthias Thoma. The Eintracht Frankfurt Museum in the main stand of Deutsche Bank Park is often the first time children and adolescents encounter a museum, Thoma says. There are lots of workshops for school classes and young fans. Adults, on the other hand, are interested in getting close to collectibles and trophies, an act that often takes on religious overtones: “In our museum, kissing the DFB Cup is allowed, but you’re not allowed to lift it. Some people bring photos of deceased fans from their families and have their picture taken with them in front of the trophy,” Thoma says. Once a fan, always a fan.

BLOOD, SWEAT & TEARS

Lieber Stadionbratwurst statt Gourmet? Lieber Cola statt Sekt? Glücklicherweise können wir den Museumsleiter leicht überreden, auf die köstlichen Empfehlungen des Patrons zu vertrauen –Ferrari Spumante und, yummie, Meeresfrüchte! Das sizilianische Fine Dining Restaurant Alfio’s ist schließlich bekannt für seine exklusive Seafood-Auswahl.

Wir fragen nach den Neuzugängen im Museum, nach denen sich die Fans die Finger lecken. Für die einen sind es Heiligtümer, für die anderen verschmutzte Kleidungsstücke: Die Hose von mittlerweile Ex-Trainer Oliver Glasner oder das Trikot von Sebastian Rode, das er beim Europa League-Finale in Sevilla trug. Matthias Thoma erklärt: „Glaser machte mit der Hose nach dem Sieg in Camp Nou einen Diver. Danach übergab er uns die Hose, auf der man am Knie Rutschspuren vom Rasen erkennen kann. Rode traf in Sevilla ein Stollen am Kopf und sein Trikot wurde blutig. Das zeigen wir jetzt in der Ausstellung. Filip Kostic brachte uns persönlich seine Schuhe aus dem Spiel, bei dem die Eintracht mit 3:2 bei Barca siegte. Leider frisch geputzt!“

Do you prefer stadium bratwurst to gourmet food? Coke rather than champagne? Fortunately, we can easily persuade the museum director to trust the patron’s delicious recommendations – Ferrari Spumante and, yummy, seafood! After all, Sicilian fine-dining restaurant Alfio’s is known for its exclusive seafood selections.

We ask about the new additions to the museum that fans are dying to see. For some, they’re shrines, for others, just soiled garments: The pants of now ex-coach Oliver Glasner or Sebastian Rode’s jersey, which he wore at the Europa League final in Seville. Matthias Thoma explains: “Glasner made a dive while wearing the pants after the victory in Camp Nou. Afterwards, he handed us the pants, on which you can see skid marks from the turf on the knee. Rode hit his head with a stud in Seville and his jersey got bloody. We now show that in the exhibition. Filip Kostic personally brought us his shoes from the game in which Eintracht won 3:2 at Barcelona. Freshly cleaned, sadly!”

Dass Fußball-Sammlerstücke und kirchliche Reliquien sich nahe seien, liege auf der Hand, so Thoma: „Tatsächlich gibt es einige Parallelen. Die Nähe zu Religion und Kult fängt bereits bei den Wechselgesängen und den gebetsmühlenartig gesungenen Liedern im Stadion an, oder beim Fahnenklau, den es schon bei den römischen Legionen gab. Ein blutiges Trikot ist hier natürlich eine Reliquie ersten Grades. Und die Haltung ‚Eintracht - Getreu bis in den Tod‘ nicht zu vergessen. Uns berät bei diesem Thema ein Religionspädagoge, und die Parallelen, die er aufzeigt, sind wirklich erstaunlich.“

The fact that soccer collectibles and church relics are closely linked is obvious, Thoma says: “There are, in fact, some parallels. The closeness to religion and cults is already evident with the alternating chants and the prayer-like songs sung in the stadium, or with the stealing of flags, which already existed with Roman legions. A bloody jersey is, of course, a relic of the first degree here. And don’t forget the attitude of ‘Eintracht - Getreu bis in den Tod’ (‘Eintracht – faithful unto death’). We have a religious educator advising us on this topic and the parallels he points out are truly amazing.”

Apropos Tod. Wahre Liebe geht über den Tod hinaus. Schalke-Fans haben ja ihren eigenen Friedhof – mit Blick aufs Stadion. Wann ist das für die Fans der Eintracht möglich? „Noch ist das kein Thema, aber es wird irgendwann eines sein“, glaubt Thoma und erzählt über die beliebten Führungen auf dem Haupt- und Südfriedhof zu den Gräbern von Eintracht-Prominenten. Von der Wiege bis zur Bahre? Eintracht-Hochzeiten und -Taufen finden bereits seit langem in der Stadionkapelle statt, die Nachfrage sei groß. Einmal mehr zeigt sich daran, dass Fußball weit mehr als ein Spiel ist – Fußball ist für echte Fans ein ewiger Lebensbund. Auch für Thoma. Erst neulich war er bei seinem Vater und schenkte ihm eine Flasche Sekt, denn „vor genau 40 Jahren waren wir erstmals zusammen im Stadion, als die Eintracht 0:1 gegen Bremen verlor.“ Das Stehen in der Fankurve ist für ihn nach wie vor ein Erlebnis, „machtvoll und kräftig, auch wenn man vor lauter Fahnen nicht viel vom Spiel sieht, aber es geht ja um das Gesamterlebnis“, schwärmt er.

Speaking of death… True love goes beyond death. After all, Schalke fans have their own cemetery – with a view of the stadium. When will that be an option for Eintracht fans? “It’s not in the cards yet, but it will be at some point,” Thoma firmly believes and talks about the popular tours of the main and southern cemeteries to see the graves of Eintracht celebrities. From the cradle to the grave? Eintracht weddings and baptisms have long been held in the stadium chapel and they are in high demand. Once again, this shows that soccer is much more than a mere game: for true fans, soccer is an eternal life covenant. For Thoma, too. Just the other day, he was with his father and gave him a bottle of champagne, because “it was exactly 40 years ago that we were in the stadium together for the first time when Eintracht lost 0:1 to Bremen.” Standing in the fan section is still an experience for him, “powerful and strong, even if you can’t see much of the game because of all the flags, but it’s all about the overall experience,” he enthuses.

NOTHING IS FOREVER?

Jedes Spiel ist endlich, doch auch Torwarthandschuhe sind es, staunen wir. Kunststoffe verändern sich über die Jahrzehnte und sind konservatorisch eine echte Herausforderung. „Der Verfall von Torwarthandschuhen ist nicht zu stoppen. Es gibt noch keine Lösung, sie dauerhaft zu erhalten“, weiß Thoma. Heikel seien die Grip-Noppen, „die fangen irgendwann an zu bröckeln“. Und die Bälle: „Die aus den 70er- und 80er-Jahren werden strohtrocken und steinhart. Die Ganzleder-Bälle aus den 1950er-Jahren kann man dagegen gut erhalten.“ Bestandserhaltung sei daher ein wichtiges Thema im Eintracht Museum geworden. Rat holte man sich von verschiedenen Frankfurter Museen. Das Rasengrün auf Glasners Hose und das Blut auf Rodes Trikot etwa wurden von einem Restaurator aus dem Rheingau für die Ewigkeit präpariert.

Every game is finite, but so are goalkeeper gloves. Plastics have changed over the decades and pose a real challenge when it comes to conserving them. “We can’t stop goalkeeper gloves from deteriorating. There’s still no way we can preserve them forever," says Thoma. The grip nubs are tricky, “they start to crumble at some point.” And the balls? “The ones from the ‘70s and ‘80s become as dry as a rock. The all-leather balls from the 1950s, on the other hand, can be well preserved.” Conservation has, therefore, become an important topic at the Eintracht Museum, he says. Advice was sought from various Frankfurt museums. The grass stains on Glasner’s shorts and the blood on Rode’s jersey, for example, were preserved for eternity by a restorer from the Rheingau region.

Increased Interest

Das Eintracht Frankfurt Museum hat eine starke Rückendeckung. Man arbeitet selbstständig als GmbH, eine Tochtergesellschaft der Fußball AG: „Man merkt, dass die Historie immer mehr Aufmerksamkeit bekommt, auch für Sponsoren, vor allem nach dem Pokalsieg 2018.“ Hinzu kommt ein Förderverein mit derzeit rund 900 Mitgliedern (die u.a. freien Museumseintritt und Führungen an den Spieltagen genießen). Mittlerweile verfügt das Museum über fünf festangestellte Mitarbeiter:innen, rund 20 Werkstudent:innen, Honorarkräfte und weitere freie Mitarbeiter:innen. Bedenkt man die Anfänge, als Thoma um das Jahr 2005 als Einzelkämpfer mit den ersten Recherchen begann, ist dies ein Riesenschritt, der heute deutschlandweit nicht nur in Fußballkreisen Anerkennung findet. Bücher zur Vereinsgeschichte schreibt Thoma, der in Hofheim lebt, auch. Inzwischen beim Dessert angekommen – ein Schlaraffenland aus Süßspeisen sizilianischer Art – erzählt er über sein neuestes Projekt. „Helmut ‚Sonny‘ Sonneberg, Holocaust-Überlebender und langjähriger Fan, war ein herausragender Zeitzeuge. Im Museum führte er regelmäßig Besuchergruppen. Schon vor seinem Tod sprachen wir über den Plan, ein Buch über ihn zu schreiben. Jetzt schaut er vom Fußballhimmel runter, wie ich es mache.“

The Eintracht Frankfurt Museum has strong backing. It is run independently as a limited liability company, a subsidiary of Fußball AG: “You notice that its history is attracting more and more attention, also for sponsors, especially after the 2018 Cup victory.” In addition, there’s a sponsoring association with around 900 current members. They enjoy, among other things, free admission to the museum and guided tours on match days. The museum now has a staff of five permanent employees, around 20 student workers, contractors and freelancers. Considering its humble origins, when Thoma started his first research as a lone warrior around 2005, this was a huge step, which today is recognized throughout Germany –and not only in soccer circles. Thoma, who lives in Hofheim, also writes books on the club’s history. Meanwhile, having arrived at dessert – a paradise of Sicilian treats – he talks about his latest project. “Helmut ‘Sonny’ Sonneberg, Holocaust survivor and longtime fan, was an outstanding contemporary witness. He regularly led groups of visitors at the museum. Even before his death, we talked about the plan to write a book about him. Now, he looks down from soccer heaven, as I do so.”

Matthias Thoma, 51, Hofheim. Seit 2015 Leiter des Eintracht Frankfurt Museums, Sporthistoriker und Buchautor. Jurymitglied beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten. Gelernter Bankkaufmann, studierter Pädagoge. Sammelt privat historische Ansichtskarten aus dem Taunus und recherchiert zur Sportgeschichte im Rhein-Main-Gebiet. „Keine Bratwurst mehr im Stadion? Das würde die Fanklientel verärgern.“

Matthias Thoma, 51, from Hofheim. Head of the Eintracht Frankfurt Museum since 2015, sports historian and author. Jury member for the Federal President’s History Competition. A trained banker, studied education. Privately collects historical postcards from the Taunus region and researches the sports history of the Rhine-Main area. “No more bratwurst in the stadium? That would really upset the fan base.”

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