Spielzeit 2024/25
3. Philharmonisches Konzert
Werke von Frederick Delius und Antonín Dvořák
„So we bought a pack of cigarettes and Mrs. Wagner pies and walked off to look for America.“
Paul Simon
3. Philharmonisches Konzert
Frederick Delius (1862-1934)
Florida-Suite
Tropische Szenen für Orchester
1. Tagesanbruch. Andante moderato – Tanz der Majorbauer. Allegretto
2. Am Fluss. Andantino
3. Sonnenuntergang. Moderato – Bei der Plantage. Allegretto
4. Nachts. Andante moderato
Pause
Antonín Dvořák (1841-1904)
Sinfonie Nr. 9 e-Moll op. 95, „Aus der Neuen Welt“
1. Adagio – Allegro molto
2. Largo
3. Scherzo, molto vivace
4. Allegro con fuoco
Philharmonisches Orchester Vorpommern
Dirigent: GMD Florian Csizmadia
Öffentliche Generalprobe
Mo 28.10.2024, Greifswald: Stadthalle / Kaisersaal
Konzerte
Di 29.10.2024, Greifswald: Stadthalle / Kaisersaal
Mi 30. & Do 31.10.2024, Stralsund: Großes Haus
Fr 01.11.2024, Putbus
Liebe Gäste, wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass Ton- und/oder Bildaufnahmen unserer Aufführungen aus urheberrechtlichen Gründen untersagt sind. Vielen Dank.
„In Florida sitzend und die Natur beobachtend lernte ich nach und nach, wie ich zu mir selber finden konnte. Niemand würde mir dabei helfen können.“
Frederick Delius
The Sound of Silence
Frederick Delius: Florida-Suite
Wer sich mit Frederick Delius beschäftigt, begibt sich auf eine äußerst spannende Reise. War er bis in die 1920er Jahre hinein in Deutschland ein anerkannter Komponist, geriet er bereits zehn Jahre später in Vergessenheit und wird hierzulande erst seit den 80er Jahren wiederentdeckt. Er schrieb sechs Opern, darunter „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ nach der Erzählung von Gottfried Keller, Bühnenmusiken, zahlreiche Orchesterwerke, groß angelegte Chorwerke mit Orchester, Solokonzerte und Werke für Singstimme und Klavier.
Als viertes von vierzehn Kindern wurde
Frederick (urspr. „Fritz“) 1862 in Bradford/Yorkshire geboren. Seine Eltern stammten aus Bielefeld und hatten die englische Staatsbürgerschaft angenommen. Im musikalischen Elternhaus erhielt er eine fundierte Ausbildung im Violin- und Klavierspiel und schon früh ließ er den Wunsch verlauten, Musiker werden zu wollen. Doch der Vater, der erfolgreich einen Wollhandel leitete, sah eine andere Laufbahn für seinen Sohn vor. Anstatt Musiker zu werden,
sollte Frederick in seine Fußstapfen treten und den Familienbetrieb übernehmen. Mit 16 Jahren schickte er ihn daher zur Ausbildung in einen deutschen Partnerbetrieb und später als Handelsvertreter nach Frankreich und Schweden. Nur widerwillig folgte Frederick der Weisung des Vaters, und da er sich lieber seinen musikalischen Interessen widmete, nimmt es wohl kaum wunder, dass er in seiner Tätigkeit als Firmenrepräsentant nicht sehr erfolgreich war. Um dem permanenten Druck seines Vaters zu entkommen, ging er 1884 nach Florida, um dort gemeinsam mit einem Freund eine Orangenplantage zu bewirtschaften. Doch auch hier zeigte sich, wo Fredericks eigentliche Interessen und Stärken lagen: Während er die Orangen zunehmend sich selbst überließ, widmete er sich lieber der Musik, kaufte sich ein Klavier und nahm sich die Freiheit, nach seinen eigenen Vorstellungen zu leben.
Dabei übte die ländliche Einsamkeit der Plantage – der nächste Ort, Jacksonville, war 35 Meilen entfernt – und die Weite der unglaublichen Landschaft ei-
nen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf Delius aus, „einen größeren, als man denken sollte, denn er beschloss dort nicht nur, Komponist zu werden … Als er dort ankam, beeindruckte ihn vor allem die Stille. Er erzählte mir einmal, dass er schon als Junge die Stille in den Ilkley Moors [in Yorkshire] geliebt hat, und er verbrachte auch hier ganze Tage damit, meilenweit in die Landschaft zu reiten. Er wusste, dass er irgendetwas mit seinem Leben anfangen musste, aber er war sich nicht sicher darüber, welchen Weg er einschlagen würde. Diese Erkenntnis kam ihm erst in Florida“, weiß Delius‘ langjähriger Mitarbeiter Eric Fenby zu berichten.
Das Unternehmen „Orangenplantage“ scheiterte dieweil, Delius tauchte monatelang in Amerika unter und wurde schließlich im Auftrag des Vaters von einem Privatdetektiv aufgespürt und nach Bradford zurückgebracht.
Nun hatte Delius den Vater endgültig von seinem Unvermögen in betriebswirtschaftlichen Dingen überzeugt, und dieser gab seine Zustimmung, Frederick am Leipziger Konservatorium ausbilden zu lassen. Das Studium am Konservatorium von 1886-1888, u. a. bei Carl Reinecke, befähigte ihn nun, seine Ideen in die Tat umzusetzen. Auch inspirierten ihn die Begegnungen mit
Komponisten wie Pjotr Tschaikowskij und Edvard Grieg ungemein. Besonders mit Edvard Grieg verband Delius bald eine innige Freundschaft. Tatsächlich war er bereits in Florida über eine Verwandte des Komponisten, die ebenfalls dort wohnte, mit dessen Werken in Berührung gekommen.
Und nun setzte Delius in Musik um, was in Florida bereits gedanklich gereift war. Sein erstes Orchesterwerk, das er 1886/87 schrieb, trägt den programmatischen Titel „Florida-Suite“ und enthält weit mehr als die bloße Erinnerung an eine Plantage am St. Johns River. Es ist das musikalische Bekenntnis einer Lebensentscheidung, eingebettet in die Erinnerung an eine großartige Landschaft, an die Lieder der Plantagenarbeiter und strukturiert als Schilderung eines Tageslaufs: vom Sonnenaufgang über die Mittagshitze zum Sonnenuntergang und bis hinein in die Nacht mit der Implikation, dass auf die Nacht wieder ein neuer Morgen folgt. Die Assoziation eines circadianen Rhythmus und damit der bewusst gewählte Eindruck eines „natürlichen Verlaufes“ der musikalischen Schilderung werden dadurch verstärkt. Auch wählt Delius eine Reihe von thematischen und musikalischen Gesten, die mit den programmatischen Überschriften korrelieren. So verortet er sein Florida geradezu bildhaft – geografisch wie genretechnisch.
Die Exotik, also das Außergewöhnliche, das der Untertitel „tropische Szenen für Orchester“ impliziert, liegt nicht in der tonmalerischen Beschreibung einer Landschaft, sondern ist ganz auf der Empfindungsebene zu suchen, der Delius in dieser Komposition breiten Raum gibt.
Der „Tagesanbruch“ wird von der SoloOboe eingeleitet, die sich über einem geheimnisvollen pianissimo-Klangteppich erhebt. Alsbald gesellen sich Flöten und Klarinetten hinzu und leiten zum „Erwachen des Tages“ im Tutti über. Dieser erste Teil mündet in den lebhaften „Tanz der Majorbauer“. Delius zitiert hier eine traditionelle Tanzweise aus Martinique, die zehn Jahre später Eingang in seine Oper „Koanga“ finden sollte und als „La Calinda“ bis heute gespielt wird, während die Oper weitgehend dem Vergessen anheimgefallen ist. Nach dieser rhythmisch prägnanten Episode klingt der Satz ruhig aus.
Das lyrische „Am Fluss“ wird dominiert von wellenartigen Bewegungen, die den musikalischen Fluss mit dem gedanklichen verbinden. In wiegendem Dreiermetrum fließt der Satz, getragen von den Streichern und Holzbläsern, ruhig und melodiös dahin und verklingt schließlich als entschwinde er – gleich dem Fluss – in weiter Ferne. Der folgende Satz lässt bisweilen aufhorchen,
wagt sich Delius doch hier harmonisch bereits in Sphären, die erst Jahre später seine Klangsprache dominieren werden. In den mit Moderato überschriebenen „Sonnenuntergang“ mischen sich nach kurzer Zeit Melodien mit gospelartigem Charakter. Sie charakterisieren in Delius‘ Klanggemälde die Weisen der Plantagenarbeiter, die nach dem Tagwerk heimkehren. Ähnlich wie im ersten Satz folgt auch hier auf den ruhigen ersten Teil ein tänzerischer zweiter, der hörbar spanisches Kolorit in den Abend „bei der Plantage“ einbringt. Eine ruhige Coda bereitet das Feld für das ausgesprochene Nocturne, das der letzte, mit „Nachts“ überschriebene Satz darstellt. Die bereits aus dem ersten Satz bekannte „einsame“ OboenKantilene und choralartige Hornpassagen lassen hier ein romantisches Nachtbild entstehen, das bisweilen fast an die Tonsprache Edvard Griegs gemahnt. Dieses Nachtstück ist weit entfernt von jeglicher Landschaftsmalerei, es ist pure Empfindung, losgelöst von jeglicher Programmatik. Die Suite verklingt in harfenfunkelndem D-Dur.
„Nicht die Natur selbst wird bei Delius zum Tönen gebracht, sondern ihr Bild in der Fantasie dessen, der sie betrachtet oder sich träumend an sie erinnert.“
Arne Stollberg
Wie in einem Gemälde kommen verschiedene Farben zum Einsatz, sie können nebeneinanderstehen, sich überlagern oder vermischen. Der Vergleich mit der Malerei liegt nahe, denn schließlich kannte Delius nicht nur die Konzepte der Malerei seiner Zeit, sondern er war auch mit bedeutenden Malern befreundet. 1888 verließ er Leipzig, um nach Paris überzusiedeln. Hier genoss er als einer der wenigen Zugang zu den Kreisen der Maler und Schriftsteller wie August Strindberg, Paul Gauguin und Edvard Munch. Durch Gauguin lernte er auch seine spätere Frau, die Malerin Jelka Rosen, kennen, Enkelin des Klaviervirtuosen und Komponisten Ignaz Moscheles, deren impressionistische Auffassungen von Kunst bei Delius auf Gegenliebe stießen. Hans Sitt, bei dem Delius während seiner Europa-Reisen Violinstunden
genommen und den er nach seiner Rückkehr aus Amerika in Leipzig wiedergetroffen hatte, arrangierte 1888 eine Probeaufführung der Florida-Suite – wohl in einem Leipziger Restaurant. Die einzigen Zuhörer waren Edvard Grieg, der Maler Otto Sinding und Delius daselbst.
Anschließend überarbeitete Delius zwei Sätze, doch hat er zu Lebzeiten die Florida-Suite nie mehr in einer Aufführung erleben können. (Eine für den Winter 1888 vorgesehene Aufführung der Suite in London wurde von dem Dirigenten August Manns abgelehnt.) Erst 1937, drei Jahre nach Delius‘ Tod, ist das Werk unter der Leitung von Sir Thomas Beecham erstmals wieder öffentlich gespielt worden und wird bis heute leider viel zu selten aufgeführt.
„Sieht diese Musik für Sie aus wie die Neue Welt?“
Leonard Bernstein
Auf der Suche nach Amerika
Antonín Dvořák: Sinfonie Nr. 9
Ein sensationelles Angebot lockte Antonín Dvořák nach Amerika. Er hatte 1891 eine telegrafische Einladung erhalten, seine Lehrtätigkeit von Prag nach New York zu verlegen. Nach anfänglichem Zögern sagte er zu und begab sich im September 1892 gemeinsam mit seiner Frau und zwei seiner sechs Kinder auf die große Reise. Das Prager Konservatorium hatte ihn beurlaubt und so wurde Dvořák Direktor des New Yorker National Conservatory of Music. Jeannette M. Thurber, die Gründerin des Konservatoriums, hatte bewusst Dvořák den Posten angeboten, denn er war eine europäische Koryphäe und auf der Höhe seines Ruhmes als Dirigent und Komponist angelangt; ein Großteil seiner Werke war schon in New York bekannt. So erwartete Thurber nicht nur eine Aufwertung ihres eigenen Lehrinstituts, sondern erwartete sich durch den erfolgreichen europäischen Komponisten große neue Impulse für die amerikanische Musik. Dvořák fühlte sich gleichermaßen geschmeichelt, wie gefordert: „Die Amerikaner erwarten große Dinge von mir […]; vor allem soll ich ihnen den Weg ins gelobte Land und in das Reich der neuen, selbstständigen
Kunst weisen, kurz, eine nationale Musik schaffen! Wenn das kleine tschechische Volk solche Musiker habe, warum sollten sie sie nicht auch haben, wenn ihr Land und Volk so riesig groß ist!“
In der Zeit von Ende Dezember 1892 bis Ende Mai 1893 arbeitete Dvořák in Amerika an einer neuen Komposition, seiner Sinfonie in e-Moll. Sie gehört zu den zentralen Werken aus seiner amerikanischen Periode. Jeannette Thurber sah sich später voller Stolz als „Geburtshelferin“ bei der Entstehung des Werkes: „Wenn ich auf meine 35-jährige Tätigkeit als Präsidentin des amerikanischen Konservatoriums zurückblicke, dann gibt es nichts, worauf ich so stolz wäre, wie darauf, dass es mir gelungen ist, Dr. Dvořák nach Amerika zu bringen. Ich hatte das Privileg, einem der sinfonischen Meisterwerke der Welt den Weg zu ebnen.“
Gespannt wartete New York auf die neue Sinfonie, die der böhmische Meister geschaffen und die, mit dem Titel „Aus der Neuen Welt“ angekündigt, beim Publikum große Neugier geweckt hatte.
Die Uraufführung fand am 16. Dezember 1893 in der Carnegie Hall in New York mit dem New York Philharmonic
Orchestra unter der Leitung von Anton Seidl statt. Die Aufführung war ein großer Erfolg und trug dazu bei, Dvořáks Ruf als einen der führenden Komponisten seiner Zeit zu festigen. Schon einen Tag zuvor hatten die Zeitungen über die öffentliche Generalprobe positiv berichtet. „Der Erfolg der Symphony am 15. und 16. Dezember war enorm“, schrieb Dvořák an seinen Verleger Fritz Simrock. „Die Zeitungen sagen, noch nie hatte ein Componist einen solchen Triumph. Ich war in der Loge, die Halle war mit dem besten Publikum von N. York besetzt, die Leute applaudierten so viel, daß ich aus der Loge wie ein König!? alla Mascagni in Wien (lachen Sie nicht!) mich bedanken mußte. Sie wissen, daß ich mich solchen Ovationen gern entziehen kann, aber ich mußte es tun und mich zeigen!“ Um den Komponisten entstand eine einzigartige Euphorie und die Geschäftswelt witterte ein lukratives Geschäft mit dem Verkauf bestimmter Waren, wie z. B. Kragen und Krawatten mit der Bezeichnung „Dvořák“. Die neunte und letzte Sinfonie Dvořáks ist eine der populärsten und meistgespielten weltweit und auch fest im amerikanischen Musikkanon verwurzelt. Doch wieviel Amerika steckt wirklich in der Sinfonie?
Zweifellos interessierte sich Dvořák ebenso brennend, wie er sich für die volksmusikalischen Wurzeln seines
eigenen, tschechischen Idioms interessiert hatte, für die vielfältigen folkloristischen Einflüsse amerikanischer Musik. In zahlreichen Interviews der New Yorker Tageszeitungen äußerte er die Ansicht, dass die Musik der amerikanischen Ureinwohner und der Schwarzen die Basis sein müsste, auf der sich die amerikanische Musik entwickeln könne. Allerdings fußte seine Kenntnis von „indianischer“ Musik auf publizierten Volksmusiksammlungen, die bereits durch weiße Herausgeber-Ohren gefiltert waren. Immerhin machte ihn Harry Burleigh, ein schwarzer Student am Musikkonservatorium, der später als Herausgeber von Spirituals zu einigem Ruhm gelangte, mit Gospel und Spirituals bekannt. Dvořák befasste sich intensiv mit den neuen musikalischen Entdeckungen: „Eine jede Nation hat ihre Musik. […] warum nicht auch amerikanische Musik? Die Wahrhaftigkeit dieser Musik hängt von ihren Charakterzügen, von ihrer Farbe ab. Ich meine damit nicht, dass man die Melodien von den Plantagen, den kreolischen oder südlichen, einfach nehmen und sie als Thema verarbeiten sollte, das ist nicht meine Absicht. Aber ich studiere bestimmte Melodien so lange, bis ich soweit durchdrungen bin von ihren charakteristischen Zügen, dass ich mir ein musikalisches Bild machen kann, welches im Einklang mit diesen Zügen steht.“
Unter dem Eindruck dieser Studien komponierte Dvořák seine Sinfonie. Euphorisch schrieb er einem Freund in die böhmische Heimat, die neue Sinfonie werde sich „fundamental von meinen früheren unterscheiden. Jeder, der ein Gespür dafür hat, wird den Einfluss Amerikas wahrnehmen.“
Es ist sicher unstrittig, dass Dvořáks Amerikaaufenthalt prägend für die 9. Sinfonie gewesen ist. Auch zeichnet sich die Komposition durch eine gehäufte Verwendung pentatonischer Skalen, synkopierter Rhythmen und erniedrigter Leittöne aus – alles Merkmale folkloristischer Einflüsse, die der Sinfonie ihren ganz eigenen Charakter verleihen. Aber macht das die Sinfonie zu einer amerikanischen? Diese Fragestellung treibt Musiker weltweit seit der Uraufführung der Sinfonie um. Während der Musikwissenschaftler
Herbert Schulzen im lyrischen zweiten Satz, Adagio, „eine Legende aus den alten Zeiten Nordamerikas … wo die Prärie noch den Vätern gehörte“ zu vernehmen glaubte, analysierte Leonard Bernstein in seinem pointierten Aufsatz zur Dvořáks Neunter, dass alle vermeintlich ur-amerikanischen Einflüsse ebenso auf Brahms, Tschaikowskij, Beethoven und – ja – Dvořák selbst zurückgeführt werden können. Das „Amerikanische“ dieser Sinfonie sei eine Legende, die eng mit der Re-
zeptionsgeschichte zusammenhänge: „Es lässt vor unserem inneren Auge Bilder von Feldarbeitern erstehen, von Plantagenarbeitern, die leise im Mondlicht vor sich hin summen, ‚Vom Winde verweht‘ – was immer man will – aber nur, weil wir die Musik unablässig in diesem Zusammenhang gehört haben, in praktisch jedem Südstaaten-Beitrag, sei es im Film oder im Radio. Würden wir einen tschechischen Text unterlegen, würde es genauso tschechisch klingen, wie es für uns jetzt amerikanisch klingt, mit einem chinesischen Text klänge es chinesisch.“ Tatsächlich hatte nur wenige Jahre nach der Uraufführung der Neunten ein ehemaliger Student Dvořáks vom Musikkonservatorium, William Fisher, die EnglischhornKantilene des 2. Satzes mit einem sentimentalen Text unterlegt („Goinʼ home“), der eben jenen Effekt erzielte, ein Stück absoluter Musik zu einem nationalen zu machen.
Doch es ist müßig, sich überlang an dieser Fragestellung aufzuhalten, denn letztlich handelt es sich bei Dvořáks Sinfonie um ein großartiges Stück absoluter Musik, das über seinen musikalischen Gehalt hinaus keines Programmes bedarf.
Viersätzig aufgebaut, entspricht die Sinfonie dem klassischen Aufbau. Als Sonatensatz angelegt, beginnt der erste Satz mit einer langsamen Einleitung (Adagio), in der Dvořák die Vorstellung
des ersten Themas geradezu bühnenwirksam mit Pauken und energischen Streichern vorbereitet, bevor es in den Hörnern erstmals erklingt. Diesem steht ein lyrisches zweites Thema gegenüber, das die anhaltend vorwärtsdrängende Dynamik dieses Satzes aber nur partiell innehalten lässt. Und so strebt das Allegro molto spannungsreich seinem Ende entgegen. Von diesen letzten e-MollAkkorden ist es ein harmonisch weiter Weg zum Des-Dur des lyrischen langsamen Satzes. Doch Dvořák moduliert sich angstfrei über sieben geradezu magische Akkorde hin zur gewünschten Tonart und der folgenden pastoralen Englischhorn-Kantilene, die für die einen Ohren amerikanisch, für die anderen sehnsuchtsvoll böhmisch klingt,
in jedem Fall aber im Gedächtnis bleibt: ein leiser, aber intensiver musikalischer Brückenschlag über alle nationalen Grenzen hinweg. Das folgende Scherzo gibt sich rhythmisch prägnant und energiegeladen, während im Trio das leichte tänzerische Moment überwiegt. Am Ende des Satzes greift Dvořák das Thema des ersten Satzes wieder auf. Dies ist nur ein Vorgeschmack auf das Themenfeuerwerk, das sich im Finale entlädt. Zitathaft lässt Dvořák hier annähernd die ganze Sinfonie noch einmal revuepassieren und schließt den thematischen Reigen mit einem Blick zurück auf den Beginn der Sinfonie, bevor das Werk in den „mit Feuer“ zu spielenden Schlusstakten endet.
„Ich kann nicht sagen, ob die Symphonie amerikanisch ist oder nicht. Mich spricht nichts Amerikanisches an. Es ist Dvořák.“
Leopold Damrosch
Vorschau
4. Philharmonisches Konzert
„He was one of the last of the great old-school European tyrants.“
Leonard Bernstein
Leonard Bernstein
Divertimento für Orchester
Serge Koussevitzky
Konzert für Kontrabass und Orchester
zum 150. Geburtstag des Komponisten
Samuel Barber
Sinfonie Nr. 2 op. 19
Solist: Dominik Wagner, Kontrabass
Philharmonisches Orchester Vorpommern
Dirigent: Alexander Mayer
Öffentliche Generalprobe
Mo 13.01.2025, 19.00 Uhr Greifswald: Stadthalle / Kaisersaal Konzerte
Di 14.01.2025, 19.30 Uhr Greifswald: Stadthalle / Kaisersaal
Mi 15. & Do 16.01.2025, 19.30 Uhr Stralsund: Großes Haus
Impressum
Herausgeber: Theater Vorpommern GmbH
Stralsund – Greifswald – Putbus
Spielzeit 2024/25
Geschäftsführung: André Kretzschmar
Textnachweise:
Redaktion: Katja Pfeifer
Gestaltung: W. Pawlitzky
1. Auflage: 500
Druck: Flyeralarm www.theater-vorpommern.de
Bei den Texten handelt es sich um Originalbeiträge von Stephanie Langenberg und Katja Pfeifer für dieses Heft unter der Verwendung von u. a. folgenden Quellen:
Musik-Konzepte Neue Folge. Heft 141/142. Frederick Delius, hrsg. v. Ulrich Tadday, München 2008; Edvard Griegs Briefwechsel, hrsg. v. Klaus Henning Oelmann, Bd. 2, Der Briefwechsel mit dem Hause Breitkopf & Härtel, die Briefe von Frederick Delius an Nina und Edvard Grieg und andere ausgewählte Schreiben, Egelsbach (u. a.) 1996;
Grimley, Daniel M.: Delius and the sound of place. Cambridge 2018; Eric Fenby im Interview mit Robert Layton, 1972 in: Delius Society Journal Nr. 106, Winter/Spring 1991 Gabrielová, Jarmila: Vorwort und Einleitung zur Partitur der 9. Sinfonie von Antonín Dvořák, Kassel 2004; Honolka, Kurt: Antonín Dvořák. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1974; Schulze, Herbert: Antonín Dvořák, Leipzig 1956; Bernstein, Leonard: The infinite variety of music, New York 1965.
Bildnachweise:
Titelbild: Foto von Peter van Heesen; S. 3: Two horseman cowboys at John Ford Point, Monument Valley, Arizona. Foto: FRS Archives - Keeper Collection from Freerange Stock; S. 4: Foto: Gerhard Lipold auf Pxhere; S. 8/9 Sattelitenaufnahme der nächtlichen USA vom 6. November 2015. Foto auf unsplash; S. 11: Freiheitsstatue bei Sonnenuntergang. Foto: Freerange Archives (CG Collection) from Freerange Stock. S. 12 Alte Ladenzeile in New York. Foto: Freerange Archives (CG Collection) Freestock.
Das Theater Vorpommern wird getragen durch die Hansestadt Stralsund, die Universitäts- und Hansestadt Greifswald und den Landkreis Vorpommern-Rügen
Es wird gefördert durch das Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und EU-Angelegenheiten des Landes Mecklenburg-Vorpommern.