Die Ratten

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Spielzeit 2024/25

Die Ratten

Tragikomödie von Gerhart Hauptmann

„In Fällen, wo wir das Leben der dramatischen Kunstform nicht anpassen können: – sollen wir nicht diese Kunstform dem Leben anpassen?“
Gerhart Hauptmann

Die Ratten

Tragikomödie von Gerhart Hauptmann

Henriette John

Paul John

Harro Hassenreuter, ehemaliger Theaterdirektor

Frau Direktor Hassenreuter

Walburga Hassenreuter

Pastor Spitta

Erich Spitta

Pauline Piperkarcka

Bruno Mechelke

Sidonie Knobbe

Selma Knobbe

Quaquaro

Alice Rütterbusch

Frau Kielbacke

Schutzmann Schierke

Gabriele Völsch

Hannes Rittig

Markus Voigt

Christiane Schoon

Friederike Serr

Jan Bernhardt

Franz Warnek

Nora Hickler

Anjo Czernich

Susanne Kreckel

Friederike Serr

Jan Bernhardt

Susanne Kreckel

Christiane Schoon

Anjo Czernich

Liebe Gäste, wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass Ton- und/oder Bildaufnahmen unserer Aufführungen aus urheberrechtlichen Gründen untersagt sind. Vielen Dank.

Inszenierung

Bühne & Kostüme

Musikalische Einstudierung

Dramaturgie

Regieassistenz / Abendspielleitung

Inspizienz

Soufflage

Hospitanz

Uta Koschel

Lars Peter

Andreas Dziuk

Joris Löschburg

Georg Meier

Stefano Fossat

Elke Zeh

Luise Hartmann

Premiere in Greifswald am 04. Oktober 2024

Premiere in Stralsund am 26. Oktober 2024

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden und 20 Minuten, Pause nach dem 3. Akt

Ausstattungsleiterin: Eva Humburg Technischer Direktor: Christof Schaaf Beleuchtungseinrichtung: Christoph Weber Bühnentechnische Einrichtung: Jens-Uwe Guth Toneinrichtung: Nils Bargfleth Leitung Bühnentechnik: Robert Nicolaus Leitung Beleuchtung: Kirsten Heitmann Leitung Ton: Daniel Kelm Leitung Requisite: Alexander Baki-Jewitsch, Christian Porm Bühne & Werkstätten: Produktionsleiterin: Eva Humburg Tischlerei: Stefan Schaldach, Bernd Dahlmann, Kristin Loleit Schlosserei: Michael Treichel, Ingolf Burmeister Malsaal: Anja Miranowitsch, Fernando Casas Garcia, Sven Greiner Dekoration: Frank Metzner Kostüm & Werkstätten: Gewandmeisterinnen: Carola Bartsch, Annegret Päßler Assistenz: Dorothea Rheinfurth Modisterei: Elke Kricheldorf Ankleiderinnen: Ute Schröder, Petra Westphal Maske: Tali Rabea Breuer, Jill Dahm, Antje Kwiatkowski, Kateryna Maliarchuk, Ilka Stelter

Von der Abgründigkeit des

Zusammenlebens

Gerhart Hauptmanns „Die Ratten“ und die Mietskaserne als Guckkasten

Die sogenannten ‚Mietskasernen‘, eigens für die Arbeiterschaft angelegte Bauten mit Platz für bis zu 3000 Personen, bewegten im Berlin um 1900 die Gemüter. Viel zu wenig Wohnraum hatte man in der rasant wachsenden Stadt geplant, acht bis zwölf Personen hausten auf gerade mal 19 Quadratmetern, halbwüchsige Mädchen kampierten auf Strohsäcken zwischen Schlafburschen und siechen Greisen, Erwachsene beim Geschlechtsverkehr waren ein alltäglicher Anblick für Kinder… Der Magistrat von Berlin, der diese Fakten in einem

Bericht sammelt, spricht schon im frühen 19. Jahrhundert von einer „Quelle der Verderblichkeit“. In Berliner Lokalanzeigern finden sich vermehrt Berichte über Krankheiten, Prostitution, Kriminalität und Gewalt. Eine solche Mietskaserne wird in Gerhart Hauptmanns (1862-1946) Berliner Tragikomödie „Die Ratten“ von 1911 zum Schauplatz einer dramatischen Geschichte: Drei Jahre ist es her, dass die Putzfrau Henriette John ihren kleinen Sohn verloren hat.

Berliner Mietskaserne 1912

Mit nur acht Tagen verstarb Adalbertchen am Brechdurchfall, einer um die Jahrhundertwende insbesondere in ärmlichen Milieus verbreiteten Krankheit. Ihr Mann, der als Maurerpolier in Altona arbeitet, lässt sich immer seltener sehen, plant sogar die Ausreise nach Amerika. Als das Dienstmädchen Pauline Piperkarcka ein uneheliches Kind erwartet und sich bei Frau John ausheult mit der Drohung, sich am besten gleich im Berliner Landwehrkanal zu ersaufen, sieht diese ihre Chance gekommen: Für „einhundertdreiundzwanzig Mark“ (ihre gesamten Ersparnisse) schwatzt sie ihr das Kind ab und präsentiert es als das eigene. Ihr Mann ist gerührt, das Familienglück scheint gerettet, Frau John ist endlich Mutter. Doch auch in Pauline reifen Muttergefühle. Sie meldet ihr Kind auf dem Standesamt und nennt Frau John lediglich als Pflegemutter. Die wiederum versucht, Pauline und die Behörden zu betrügen, indem sie ihnen den todkranken Säugling von Sidonie Knobbe, einer morphiumabhängigen (und notorisch abwesenden) Prostituierten unterschiebt. Zugleich soll Ihr gewalttätiger Bruder Bruno Pauline einschüchtern und geht dabei zu weit… Erst als das Haus schließlich von der Polizei umstellt ist, bricht das Lügengebäude endgültig zusammen und Frau John findet sich inmitten anklagender Stimmen. Ihr Mann ist fassungslos und verlangt laut-

hals nach „Wahrheet!“ Das Stück endet mit der Meldung, Frau John habe sich vor einen Pferdewagen geworfen.

„ALLENS IS HIER MORSCH! ALLENS FAULET HOLZ! ALLENS UNTERMINIERT, VON UNJEZIEFER, VON RATTEN UND MÄUSE ZERFRESSEN!“

(Maurerpolier John in „Die Ratten“)

Diese an sich tragische Geschichte, Hauptmann hatte am 13. Februar 1907 im Berliner Lokal-Anzeiger vom Fall einer doppelten Kindsunterschiebung gelesen und davon ausgehend die Idee zu den Ratten konzipiert, gewinnt zusätzlich an Fahrt durch die Mietskaserne als dramatischem Ort: So arbeitet Frau John nebenbei als Putzfrau für den ehemaligen Theaterdirektor Harro Hassenreuter auf dem Dachboden der Kaserne. Hassenreuter ist ein ehemaliger Gernegroß, ein Gefallener und im Gestern verhafteter Großbürger, der zumindest den Theaterfundus von seiner ehemals ansehnlichen Stellung retten konnte. Zwischen alten Ritterrüstungen und verstaubten Kostümen gibt er Schauspielunterricht, betrügt seine Frau und diskutiert mit dem ehemaligen Theologiestudenten Erich Spitta über die Kunst des dramatischen Proklamierens. Auf jenem Fundus wird auch Pauline Piperkarcka ihr Kind zur Welt bringen. Frau John wiederum wird es eine

Etage tiefer, vorbei an der verrauchten Wohnung der Morphinistin Knobbe in die eigene Wohnung tragen. Auch ihr Bruder Bruno schleicht mit Mausefallen durch die dunklen Gänge, tritt plötzlich wie ein Gespenst aus der Dunkelheit.

Mit ansteigender Dramatik der Ereignisse rund um die falsche Mutterschaft nehmen auch die Personen zu, die plötzlich im Fundus und in der Wohnung der Johns auftauchen: Scheinbar beiläufig zu heimlichen Rendezvous verabredet oder um die Blessuren der Straße abzuwaschen. Doch die Mietskaserne ist weder ein Ort der Gemeinschaft noch ein heimeliger Rückzugsort des bürgerlichen Biedermeier. Bei Hauptmann wird sie zu einem Auffang-

becken des sozialen Verfalls. Die Klassenunterschiede der Bewohner werden gerade durch das gedrängte Leben Wand an Wand ins Überdeutliche gezogen. Zugleich sind alle Einzelkämpfer, die darum ringen nicht noch tiefer abzurutschen. Die morsche Bausubstanz versinnbildlicht die ebenso morsch gewordene Architektur einer ganzen Gesellschaft.

Und während das Drama um das erkaufte Kind sich vor aller Augen abspielt – ebenso wie der Nebenschauplatz des in Anwesenheit aller versterbenden Kindes der Morphinistin Knobbe, debattieren der Theaterdirektor a. D. und sein vom Idealismus beflügelter Schüler Spitta darüber, ob nicht auch ein Frisör

oder eine Putzfrau „ebensogut ein Objekt der Tragödie sein könnte als Lady Macbeth und König Lear“. Die hitzige Debatte über das Theater kann also auch als eine Art groteske Überzeichnung der Unfähigkeit zum Handeln gelesen werden. Das Theater im Theater wird zur Farce der lebensweltlichen Beschränkung der Figuren.

Neben dem typisch naturalistischen Anspruch, das menschliche Handeln unter bestimmten Ausgangsvoraussetzungen geradezu wissenschaftlich zu durchleuchten, entwirft Gerhart Hauptmann in den Ratten also auch eine Theorie des Theaters als unmittelbar in das Soziale involvierter Institution. Die Mietskaserne versinnbildlicht dabei die konkrete Perspektive des Theaters als Guckkasten in die Abgründe des menschlichen Miteinander. Zwischen ihren morschen Mauern spielt sich das Drama des gesamten Lebens ab.

Zugleich steht sie für eine Welt, in der um die Deutungshoheit über die Tragödie gerungen wird, noch während sie sich abspielt.

„Ein Tropfen ist das ganze Meer.“

(Gerhart Hauptmann: „Einsichten und Ausblicke“, 1942)

Gerhart Hauptmann, 1914

Die Kunst dem Leben angleichen –Gerhart Hauptmann als Dramatiker des Naturalismus

Hauptmanns Weg zum Dramatiker

Gerhart Hauptmann wird 1862 im schlesischen Ober-Salzbrunn geboren. Die Eltern betreiben ein Hotel –es heißt, Hauptmann habe schon früh den Kontakt mit unterschiedlichsten Menschen gesucht. Hauptmanns Weg zum Dramatiker verläuft nicht geradlinig: Nach einer abgebrochenen Ausbildung in der Landwirtschaft meldet er sich zunächst in der Bildhauerklasse in Breslau an. Es folgen ein Aufenthalt in Rom, wo er eher vergeblich Anschluss an deutsche Künstlerkollegen sucht, dann ein literaturwissenschaftliches Studium in Jena, ein Zeichenstudium in Dresden und schließlich ein Geschichtsstudium in Berlin, die er allesamt abbricht. Nichtsdestotrotz findet Hauptmann in Berlin so etwas wie eine geistige Heimat: Hier kommt er in Kontakt mit wichtigen Vertretern seiner Zeit wie Arno Holz, den Brüdern Hart oder Wilhelm Bölsche. Ab 1885 ist Hauptmann Mitglied der avantgardistischen Vereinigung Durch! Dem Zeitgeist der späteren Avantgardebewegungen vorausgreifend, verlangen seine Mitglieder in manifestartigen Aufsätzen emphatisch nach einer Erneuerung der

Kunst: „Kunst = Natur-X“ schreibt Arno Holz und Hauptmann fragt rhetorisch: „In Fällen, wo wir das Leben der dramatischen Kunstform nicht anpassen können: – sollen wir nicht diese Kunstform dem Leben anpassen?“ Das Theater solle sich also dem Leben zuwenden, die Inszenierung, einer experimentellen Anordnung gleich, dazu dienen, Handlungen von Menschen vor bestimmten sozialen Hintergründen nachvollziehbar zu machen.

In Frankreich hatten Auguste Comte (1798-1857) und Hippolyte Taine (18281893) die Soziologie als eine Lehre postuliert, die sich ebenso wie die Naturwissenschaft auf empirische Fakten, sogenannte „soziale Tatsachen“ berufen müsse. Bestand hierin ein offensichtlicher Bruch zum insbesondere in Deutschland und vor allem durch Kant und Hegel populären Idealismus und den sogenannten Geisteswissenschaften, so ließen sich ähnliche Forderungen sehr bald auch in der Kunst wiederfinden.

Allen voran zählt Émile Zolas „Roman expérimental“ (1879) als Gründungswerk des Naturalismus: Darin schreibt Zola, er glaube an eine Neukonzeption des Theaters durch den wissenschaftlichen Geist als dem einzigen Weg der Zukunft. In Berlin und München, den beiden Epizentren der naturalistischen Dichtung, werden solche Forderungen emphatisch aufgenommen und gemeinsam mit der Lektüre Ibsens, Strindbergs, Tschechows und Tolstois für die eigene Arbeit fruchtbar gemacht.

„Der Dichter [...] ist in seiner Weise ein Experimentator, wie der Chemiker, der allerlei Stoffe mischt [...] und den Erfolg beobachtet. Natürlich: der Dichter hat Menschen vor sich, keine Chemikalien. Aber auch diese Menschen fallen ins Gebiet der Naturwissenschaften. Ihre Leidenschaften, ihr Reagieren gegen äußere Umstände, das ganze Spiel ihrer Gedanken folgen gewissen Gesetzen, die der Forscher ergründet hat und die der Dichter bei dem freien Experimente so gut zu beobachten hat, wie der Chemiker.“

(Wilhelm Bölsche: „Die Naturwissenschaftlichen Grundlagen der Poesie“, 1887)

Zum Drama des Naturalismus

Während man den Naturalismus im strengen Sinne zumeist als eine recht kurze Epoche von 1880-1900 datiert, ergeben sich aus seinen theoretischen Forderungen dennoch wichtige praktische Veränderungen des Dramas, die unsere Auffassung noch heute bestimmen. Konkret ging es darum, mit der Ständeklausel zu brechen, also der Vorstellung, dass das Drama, einem hohen sozialen Status der Charaktere entsprechend, an dramatischer Fallhöhe gewinne. Demgegenüber interessierte man sich zunehmend für das gemeine Volk und seine Probleme: In Hauptmanns Vor Sonnenaufgang (1897), mit dem er seinen Durchbruch erreichte, thematisiert er Armut, Alkoholismus, Sexualität und Gewalt – ein echtes Novum auf der Bühne um 1900 und ein Skandal, der Kaiser Wilhelm 1893 sein Theaterabonnement im Deutschen Theater kündigen ließ. Als eine zweite wichtige Neuerung lässt sich die Forderung bezeichnen, den Charakter vor die Handlung zu setzen. Ging es in der Dramentheorie seit Aristoteles immer wieder um das Primat der Handlung vor den in sie verwickelten Protagonisten, wollte man nun möglichst authentische Figuren bis in die Abgründe Ihres Handelns und Denkens verfolgen.

„Die Menschen auf der Bühne sind nicht wegen der Handlung da, sondern die Handlung der Menschen wegen.“

(Arno Holz: „Die Kunst - ihr Wesen und ihre Gesetze“, 1891)

Dies ging mit wichtigen stilistischen Neuerungen einher: Vom sogenannten Sekundenstil, der bestimmte Situationen und Sprechakte en detail wiedergab (es tropfte…tipp….tipp…..tipp) bis zu der Verwendung von Dialekt, wie in Hauptmanns wohl berühmtesten Stück „Die Weber“ (1892), das dieser zunächst als „De Waber“ in schlesischem Dialekt veröffentlichte. Hauptmann ging es dabei um nicht weniger als einen Bruch mit der Konvention des Hochdeutschen als einzig autorisierter Ausdrucksform der hohen Künste und einer damit verbundenen Rehabilitierung des Dialektes als Mundart des Volkes. Anders als in den Webern, hat Hauptmann seine Ratten, die er im Untertitel als Berliner Tragikomödie bezeichnet, nicht überarbeitet. Die Figuren berlinern, mit teilweise unterschiedlichen Einflüssen aus dem Schlesischen, dem Jiddischen oder der Gaunersprache.

Das Theater nach dem Theater

Obgleich die Kontextualisierung von „Die Ratten“ durch den Naturalismus helfen kann, um wichtige Dynamiken aufzuschlüsseln, lässt sich das Besondere an Hauptmanns Dramatik gerade nicht darauf reduzieren. Hauptmann ist zuvorderst ein großer Geschichtenerzähler, ebenso wie ein Kind seiner Zeit. Als solches war für ihn die Gründung des Deutschen Reiches am 18.1.1871 von einschneidender Bedeutung und hat ihn ein Leben lang beschäftigt. Das bescherte ihm zum Teil anerkennende Wertschätzung, wie den Nobelpreis 1912 und den Orden pour le Mérite, mit dem sein Engagement für den Wiederaufbau nach 1918 geehrt wurde. Es brachte ihn aber auch in gefährliche Nähe zu den Nationalsozialisten, zu denen er zumindest eine opportunistische Nähe einging. Hauptmanns dramatische Dichtung bewahrt ihre Größe auch dadurch, dass er sich darin niemals für einfache Lösungen aussprach: Die Weber thematisieren den revolutionären Aufstand, zeigen aber auch sein Scheitern und sind insofern zugleich konterrevolutionär, worin Hauptmanns Zeitgenosse, Theodor Fontane, dessen große Stärke sah. Auch in den Ratten konfrontiert Hauptmann seine Zuschauer gleich mit mehreren virulenten Konflikten seiner Zeit, enthält sich aber einer eindeutigen Parteiergreifung oder gar Lösung. Indem er dem Zuschauer so

den Ball zuspielt und dazu auffordert, die Fäden der Handlung selbstständig zusammenzuführen, das Experiment also de facto selbst zu Ende zu führen, ist er wiederum deutlich als naturalistischer Autor identifizierbar. Nicht zuletzt dank dieser ‚offenen‘ Dramaturgie sind Gerhart Hauptmanns Theaterstücke bis in die Gegenwart anschlussfähig geblieben – sie provozieren noch immer und immer wieder jenes potentiell unbequeme Nach-Denken, das jeder große Theaterabend mit sich bringt.

„Diese Kunst ist nicht mehr, nach dem alten Sinnbilde, eine Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt, sondern eine, die uns beklemmend die Brust umschnürt und uns, ehe sie ihre Ringe löst, einen Stich versetzt... Statt eine erhebende, beruhigenden Katharsis will man den Eindruck eines ungelösten Problems empfangen und mit einem Stachel im Gemüt das Theater verlassen.“

(Paul Heyse: „Vortrag vor der Goethegesellschaft“, 1857)

Drei Fragen an Uta Koschel (Regie)

Was reizt Dich insbesondere an Hauptmanns Ratten? Warum habt Ihr den Titel in den Spielplan genommen?

Ich habe mir viele Gedanken über unsere Gesellschaft gemacht – die sozialen Unterschiede, die wachsende Spaltung. Nachdem wir viele Stoffe geprüft hatten, kamen uns DIE RATTEN in den Sinn, wo Hauptmann ja ganz unterschiedliche soziale Milieus einfach in ein Mietshaus packt und diese aufeinander treffen lässt.

Als ein ‚typisch‘ naturalistisches Element könnte man die Sprache, also den Berliner bzw. polnischen Dialekt bezeichnen. Wie geht es dem Ensemble damit bei der Arbeit? Tatsächlich war das zunächst gar nicht so leicht, da es ja auch kein alltäglicher

Dialekt ist. Um sich den Figuren zu nähern, hilft diese ganz eigene Sprache dann aber auch wieder. Und je länger wir proben, desto natürlicher nehmen sich die Schauspieler der Sprache der Figuren an. Gesprochen wirkt alles auch viel verständlicher, als wenn man es liest!

Welche Diskussionen, welche Emotionen, welche Reflexionen würdest Du mit der Inszenierung gerne beim Publikum anregen?

In den Ratten wird über Idealismus und Theater diskutiert, während sich gleich nebenan das echte Leben und Leiden abspielt. Alle sind irgendwie verwickelt, alle sind dabei nur auf sich selbst, auf ihr eigenes Überleben bedacht und darauf, bloß nicht eine Etage tiefer im gesellschaftlichen Gebäude runterzurasseln. Vielleicht kann das Stück dazu einladen hinzuschauen, statt wegzusehen, nachzufragen, statt nur auf der eigenen Meinung zu beharren.

(Die Fragen stellte Joris Löschburg, Dramaturg der Produktion)

Impressum

Herausgeber: Theater Vorpommern GmbH

Stralsund – Greifswald – Putbus

Spielzeit 2024/25

Geschäftsführung: André Kretzschmar

Textnachweise:

Redaktion: Dr. Joris Löschburg

Gestaltung: Wenzel Pawlitzky

1. Auflage: 500

Druck: WIRmachenDRUCK www.theater-vorpommern.de

Hauptmann, Gerhart: Die Ratten. Textausgabe mit Kommentar und Materialien. Hrsg. Peter Langemayer.

Ditzingen 2019.

Hauptmann, Gerhart: Das gesammelte Werk. Berlin 1943. Hier: 17. Band. Einsichten und Ausblicke. Aphorismen. Zuerst erschienen 1942.

Hoefert, Sigfrid: Das Drama des Naturalismus. Stuttgart: Metzler 1979.

Ruprecht, Erich: Literarische Manifeste des Naturalismus. Stuttgart: Metzler 1962. Johann Friedrich Geist/Klaus Kürvers: Das Berliner Mietshaus 1740 bis 1862. Prestel-Verlag, München 1980. Texte auf Seite 4 bis 17 stammen von Dr. Joris Löschburg.

Bildnachweise:

Das Coverfoto (U1) und die Fotos auf den Seiten 3, 6, 7, 8, 9, 11, 12-13, 14-15, 16, 18, 20-21, 22, 24 und 25 stammen von Peter van Heesen.

Seite 4: Berliner Wohnungselend 1912: agk images/ Heinrich Lichte&co.

Seite 10: Gerhart Hauptmann, 1914: Fotografie von Nicola Perscheid.

Das Theater Vorpommern wird getragen durch die Hansestadt Stralsund, die Universitäts- und Hansestadt Greifswald und den Landkreis Vorpommern-Rügen

Es wird gefördert durch das Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und EU-Angelegenheiten des Landes Mecklenburg-Vorpommern.

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