Spielzeit 2024/25
In der Oper wird nicht gemordet!
Freistil – Das etwas andere Musiktheater
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„Mord ist der Wollust so nah wie Rauch dem Feuer.“
William Shakespeare
In der Oper wird nicht gemordet!
Ein Musiktheaterabend mit Mordsmusik von Don Giovanni bis Wozzeck
Mit:
Bassem Alkhouri, Tenor
Alexandru Constantinescu, Bariton
Thomas Rettensteiner, Bariton und Elke Zeh als verbindliche Nachrichtensprecherin
Stückentwicklung
Musikalische Leitung & Klavier
Inszenierung
Bühne, Kostüme & Video
Dramaturgie & Texte
Licht
Inspizienz & Abendspielleitung
Lisa Henningsohn & Katja Pfeifer
David Wishart
Lisa Henningsohn
Eva Humburg
Katja Pfeifer
Marcus Kröner
Lisa Henningsohn, Frida Jasper
Premiere in Greifswald am 11. Januar 2025
Premiere in Stralsund am 21. Februar 2025
Aufführungsdauer: ca. 1 Stunde, keine Pause
Ausstattungsleiterin: Eva Humburg Technischer Direktor: Christof Schaaf Beleuchtungseinrichtung: Marcus Kröner Bühnentechnische Einrichtung:
Jens-Uwe Gut Toneinrichtung: Nils Bargfleth Leitung Bühnentechnik: Robert Nicolaus, Michael Schmidt Leitung Beleuchtung: Kirsten Heitmann Leitung
Ton: Daniel Kelm Leitung Requisite: Alexander Baki-Jewitsch, Christian Porm Bühne & Werkstätten: Produktionsleiterin: Eva Humburg Tischlerei: Stefan Schaldach, Bernd Dahlmann, Kristin Loleit Schlosserei: Michael Treichel, Ingolf Burmeister Malsaal: Anja Miranowitsch, Fernando Casas García, Sven Greiner
Dekoration: Lukas Ensikat Kostüm & Werkstätten: Gewandmeisterinnen: Ramona Jahl, Annegret Päßler, Carola Bartsch Modisterei: Elke Kricheldorf
Ankleiderinnen: Ute Schröder, Petra Westphal Maske: Helga Petritsch
Liebe Gäste, wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass Ton- und/oder Bildaufnahmen unserer Aufführungen aus urheberrechtlichen Gründen untersagt sind. Vielen Dank.
Anstelle einer Ouvertüre
Freistil. Wie der Name schon sagt, handelt es sich hier um ein Musiktheaterformat, das den Beteiligten viele Freiheiten lässt und gleichzeitig dazu veranlasst, in ungeahnter Art kreativ mit der Materie umzugehen. Die „Materie“ ist in diesem Fall die Opernliteratur, aus der sich der Abend freizügig bedient. Freizügig, doch nicht wahllos. Also galt es zunächst, die unendlich vielfältigen Möglichkeiten thematisch einzugrenzen. Worum geht es im Kern in der Opernliteratur? Grundsätzlich um Großes. Die Oper neigt zum Superlativ und zu extremen Handlungen. Alltägliches kommt so gut wie nicht vor. Wird auf der Opernbühne Liebe verhandelt, dann ist es die eine, die große und nicht selten tödliche Liebe. Wird der Tod in der Oper zum Gegenstand der Betrachtung, dann ist es immer ein besonderer. Niemand lebt in der Oper „einfach so“ ab. Da wird verdurstet, sich zu Tode gehustet, da finden Suizide statt und vor allem Morde. Und hier sind der Fantasie der Komponisten und Librettisten keine Grenzen gesetzt. Hier wird mit allem getötet, dessen man habhaft werden kann, aus Leidenschaft, Verzweiflung, Eifersucht oder Wahnsinn. Ja, Morden gehört zur Oper genauso wie die Musik. Was wäre nun
aber, wenn man im Zuge der allgemeinen Achtsamkeit das Morden auf der Bühne verbieten würde? Eine durchaus totalitäre Idee, die tödliche Konsequenzen hätte – für die Oper selbst. Aber auch ein amüsantes Gedankenspiel. Was bliebe von der Oper, wenn dort nicht mehr gemordet würde? Wo wären die großen, schicksalhaften Momente, tief empfundener Tragik? Und vor allem: Wo blieben dann all die potenziellen Opernmörder?
Bei uns bleiben sie auf der Bühne – allerdings in einer Zwischenhölle voller zu archivierender Mordinstrumente, einer Asservatenkammer des Grauens, in der sie sich erst einmal zurechtfinden müssen, bevor sie das tun, was sie am besten können: singen und morden!
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Musik!
... ohne die es keine Oper gibt. Diese Produktion nimmt sich die Freiheit, Ihnen im Verlauf des Abends zu präsentieren:
Giuseppe Verdi: Otello
Arie des Iago „Ich glaube an einen Gott“
Pjotr I. Tschaikowskij: Evgenij Onegin
Duellszene „Mein Feind! Wie Irrsinn will’s mir scheinen“
Giuseppe Verdi: Don Carlo
Duett Marquis Posa/Don Carlo: „Gott! Der Tod!“
Kurt Weill: Die Dreigroschenoper
Die Moritat von Mackie Messer
Giacomo Puccini: Il tabarro
Arie des Marcel: „Fließe, ew’ges Wasser“
Eugene d’Albert: Tiefland
Finale: „Verräter, glaubst du, ich schlafe?“
Alban Berg: Wozzeck
Wahnsinnsszene: „Das Messer!“
Wolfgang Amadeus Mozart: Don Giovanni
Giovannis Höllenfahrt: „Don Giovanni, du hast zum Mahle mich geladen“
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Lanzen brechen für den Opernmord
Für Opernschaffende gehören Morde zum Alltag. Es gibt kaum eine große ernste Oper, in der nicht gemordet oder wenigstens gestorben wird. Das gehört einfach zum guten Ton – im wahrsten Sinne des Wortes, denn die letzten Arien einer Bühnenfigur sind oft die schönsten, es sind Schwanengesänge beim tragischen Dahinscheiden.
Dabei spielt die Realitätsnähe eher eine untergeordnete Rolle. Nur so ist es zu erklären, dass Violetta in Verdis „La Traviata“ trotz diagnostizierter Tuberkulose beim Verscheiden an dieser Lungenkrankheit in der anrührendsten Weise singt – unter Einsatz der gesamten (gesunden!) Lungenkapazität. Wer wollte da Realismus hören?
Sollte das Bühnenableben mit einer Form von Wahnsinn einhergehen, gesellt sich zum Schönklang meist noch Virtuosität hinzu. In Verdis Oper nach dem berühmten „Scottish Play“ ergeht sich Lady Macbeth in halsbrecherischen Koloraturen, bevor sie sich den Hals im Anschluss beim Sturz vom Burgturm de facto bricht.
Tatsächlich ist es kein Zufall, dass die beiden eben angeführten Beispiele sterbender Schönsängerinnen Frauen
des Stimmfachs Sopran betreffen. Denn in der Oper, namentlich in der des 19. Jahrhunderts, herrscht auch ein starkes Rollen- und Stimmfachbewusstsein, das zu folgender vereinfachten morphologischen Darstellung der opernhaften Grundkonstellation verleitet: Die Sopranistin liebt den Tenor – so brillant wie hochtönend. Der Bariton hingegen ist meist vielschichtiger und oft eifersüchtiger; in jedem Fall scheint die Mordlust bei ihm ausgeprägter. Unter dieser leidet meist der Tenor. Nach dessen gewaltsamem Ableben verscheidet nicht selten auch die Sopranistin. Der seriöse Bass spricht ein betrachtendes Schlusswort oder vollstreckt ein moralisches Urteil – da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt, das kann von einer Haftstrafe über die Begnadigung bis zur Höllenfahrt führen und kommt oft aus unerwarteter Richtung. Wer würde glauben, dass sich eine steinerne Statue, die frech von dem Draufgänger Don Giovanni zum Essen geladen wird, tatsächlich dazu bequemt, zum vereinbarten Zeitpunkt zu erscheinen und dem Gastgeber fest die Hand zu drücken – bloß um sie nicht mehr loszulassen und mitsamt dem Verführer ins religiöse Souterrain abzutauchen?
Selbstredend kommt es bei solchen Szenen in der Oper nicht so sehr auf den Schöngesang oder Belcanto an, auch nicht auf die Stringenz der Handlung
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oder gar auf Logik, sondern ausschließlich auf emotionale Überzeugungskraft. Im musikalischen Buhlen um die Gunst der Zuschauer ist auch den Mördern auf der Bühne jedes Mittel recht, um das Publikum in ihren Bann zu ziehen. Ziel eines jeden Bühnenverbrechers ist es, seine Handlungsweise emotional, wenn auch nicht immer logisch – aber wir sind ja in der Oper – nachvollziehbar zu machen. Die Aufgabe der Zuschauer ist es dann, mitzuleiden; mit wem, das liegt ganz im Auge der Betrachtenden – im besten Fall mit beiden, Opfer wie Täter.Und schon hat sich die Oper, wiewohl sie als Gattung erst um 1600 ent-
stand, ganz in die Dramentheorie des antiken Theaters geschmiegt. Schon Aristoteles hatte um 355 v. Chr. für das Drama gefordert, dass durch das Nachahmen einer Handlung auf der Bühne „Jammer“ und „Schaudern“ hervorgerufen werden müsse, auf dass beim Publikum durch das Mit- und Nachempfinden eine Reinigung von derartigen Erregungszuständen bewirkt werde. Oder kurz gesagt: Wer mitansieht, dass auf der Bühne gemordet wird, braucht dieses im häuslichen Umfeld nicht mehr selbst zu tun.
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Nun hat sich im Laufe der Jahrhunderte das Schauspiel inhaltlich sukzessive weg von der mythologischen Überhöhung hin zum Verhandeln der dramatisierten Realität auf der Bühne entwickelt. Die Oper hingegen lebt von ihrer Realitätsferne. Ihr Markenzeichen ist die Künstlichkeit. Niemand singt im Alltag durchgängig, niemand trägt auf der Straße solche Roben und niemandes Schicksal nimmt durch eine göttliche Fügung, die aus dem Schnürboden herunterschwebt, eine entscheidende Wendung. Die Oper unterstreicht mit jedem Ton, der in ihr gesungen wird, ihre artifizielle Natur. Und das ist gut so. Denn es eröffnet ihr, über Dinge zu philosophieren, die in der Realität als unverhandelbar, als Tabubruch angesehen würden. So werden hier Prostituierte wie Violetta zu Heroinen, Kindsmörderinnen wie Fausts Gretchen zu Identifikationsfiguren. In Richard Wagners Werken drehen sich ganze Opernzyklen um Inzest. Der aus der tabuisierten Geschwisterliebe zwischen Siegmund und Sieglinde hervorgehende Held Siegfried ist allerdings – vielleicht doch als Folge der geschwisterlichen Vereinigung – zwar körperlich potent, scheint aber seinen Kopf eher als Resonanzraum denn als intellektuelles Zentrum zu nutzen.
Doch auch mit diesem Heldentenor fiebert das Publikum mit, ganz gleich, ob er selbst mordet oder schließlich er-
mordet wird. Denn daran hat sich nichts geändert: Heute wie vor 400 Jahren leiden die Zuschauer*innen mit ihren Opernheld*innen, vergießen Tränen, zischen, rufen – wahlweise Bravo oder Buh – und debattieren im Anschluss heftig und emotionsgeladen über das Erlebte. In dieser Wirkungsmacht übertrifft die Oper jede andere Kunstform. Und das nicht obwohl, sondern weil in ihr gemordet wird. Wer wollte das verbieten?!
Katja Pfeifer
„Das war’s, so ist die Oper. Mehr brauchen Sie nicht zu wissen. Einfach jede Menge Leute in Kostümen, die sich verlieben und sterben. … Und jede Menge Musik. Das schon. Und zum Teil sogar ganz schön.“
Kim Thompson, „All the Great Operas in 10 Minutes“
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Impressum
Herausgeber: Theater Vorpommern GmbH
Stralsund – Greifswald – Putbus
Spielzeit 2024/25
Geschäftsführung: André Kretzschmar
Textnachweise:
Redaktion: Katja Pfeifer
Layout: Öffentlichkeitsarbeit TVP
1. Auflage: 500
Druck: Flyeralarm www.theater-vorpommern.de
Bei den Texten handelt es sich um Originalbeiträge von Katja Pfeifer für dieses Heft. Das Zitat von Kim Thompson entstammt dem Kurzfilm „All the Great Operas in 10 Minutes“, 2006.
Bildnachweise:
Die Szenenfotos stammen von Peter van Heesen. Sie entstanden bei der Hauptprobe am 07.01.2025.
Das Theater Vorpommern wird getragen durch die Hansestadt Stralsund, die Universitäts- und Hansestadt Greifswald und den Landkreis Vorpommern-Rügen
Es wird gefördert durch das Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und EU-Angelegenheiten des Landes Mecklenburg-Vorpommern.