Spielzeit 2024/25
Puccini-Gala
Zum 100. Todestag des Komponisten
„ … und Gott berührte mich mit dem kleinen Finger und sprach: Schreibe für das Theater!
Merke dir: nur für das
Theater!“
Giacomo Puccini in einem Brief an Giuseppe Adami, 1920
Puccini-Gala
Zum 100. Todestag des Komponisten
Solist*innen:
Antje Bornemeier, Sopran
Soobhin Kim, Sopran
Bassem Alkhouri, Tenor
Semjon Bulinsky, Tenor
Raùl Alonso, Tenor
Alexandru Constantinescu, Bariton
Thomas Rettensteiner, Bariton
Philharmonisches Orchester Vorpommern
Dirigent: GMD Florian Csizmadia
Konzerte
So 01. & 29.12.2024, Stralsund: Großes Haus
Sa 07. & 28.12.2024, Greifswald: Stadthalle / Kaisersaal
Mi 11.12.2024, Putbus
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Programm Giacomo Puccini (1858-1924)
Preludio sinfonico A-Dur
La Bohème
Arie der Mimì „Sì, mi chiamano Mimì“ und Duett Mimì / Rodolfo „O soave fanciulla“
Arie der Musetta „Quando me’n vo’“
Edgar
Arie des Frank „Questo amor, vergogna mia“
Gianni Schicchi
Arie der Lauretta „O mio babbino caro“
Tosca
Duett Tosca / Mario „Mario! – Son qui!“
– Pause –
La Bohème
Szene Rodolfo / Marcello
„In un coupé? – O Mimì, tu più non torni“
Manon Lescaut
Intermezzo
Arie des Chevalier Des Grieux „Donna non vidi mai“
Arie der Manon „Sola, perduta, abbandonata“
Turandot
Arie der Liù „Signore, ascolta“
2. Akt, 1. Szene: „Olà, Pang! Olà, Pong!“
Tosca
Arie des Mario „È lucevan le stelle“
Szene Scarpia / Tosca „Già mi dicon venal – Vissi d’arte“
Turandot
Arie des Calaf „Nessun dorma“
Giacomo Puccini
– ein Leben für die Oper
Zur Zeit ihrer Entstehung wurden Giacomo Puccinis Opern fast ausnahmslos von der Kritik als „Kitsch“ oder „Kolportage“ abgewertet. Der Autor Fausto Torrefranca erhob sogar 1912 in einer Schmähschrift über den Komponisten den Vorwurf, Puccini habe den Untergang der italienischen Musik heraufbeschworen.
Die Kritik ging weder an Puccini noch an der Einschätzung seiner Werke spurlos vorüber. Misstrauisch vor so viel negativer Fachpresse hielt man die unmittelbaren Publikumserfolge der meisten seiner Opern für Modeerscheinungen. Heute, 100 Jahre nach seinem Tod, gehören Werke wie „La Bohème“, „Tosca“ oder „Turandot“ nach wie vor zu den meistgespielten Opern weltweit. Grund genug, dem Geheimnis dieses Erfolgs im Rahmen der Puccini-Gala auf den Grund zu gehen.
Die musikalische Begabung war dem 1858 geborenen Giacomo bereits in die Wiege gelegt worden. Seit dem frühen 18. Jahrhundert befand sich das Musikleben der toskanischen Stadt Lucca fest in Pucciniʼscher Hand. Das Amt des Kapellmeisters und Kirchenmusikers
wurde von Generation zu Generation in der Familie weitergereicht. Es scheint eine Ironie des Schicksals zu sein, dass ausgerechnet der erfolgreichste Musiker der Familie, Giacomo, diese Tradition nicht fortführen sollte. Denn bereits seine frühen Kompositionen atmen weit mehr Bühnen- als Kirchenluft. Im Falle des 1882 für seine Jahresabschlussprüfung am Konservatorium geschriebenen Preludio sinfonico ist es „der Atem einer Kraft, die gleichsam ein Widerhall der Wagnerischen von jenseits der Alpen war“, wie Puccini selbstironisch bemerkte. Und tatsächlich lässt sich der Einfluss Wagners musikalisch weder in diesem Frühwerk noch bei der Wahl seiner ersten Opernstoffe leugnen. So sind die Schauplätze seiner ersten beiden Opern unerwartet nördlich verortet. „Le Villi“ geht auf eine deutsche Schauererzählung zurück, während „Edgar“ im flämischen Courtrai angesiedelt ist. In beiden Opern entwickelt sich die melodramatische Handlung aus dem Konflikt eines Mannes, der zwischen zwei Frauen hin- und hergerissen ist. Während es in „Le Villi“ die geisterhafte Macht von Feenwesen ist, die die Untreue des Mannes tödlich rächen, wird der Protagonist in „Edgar“ Opfer der erbosten Tigrana, die Edgar am Ende der Oper nicht ganz grundlos mit einem Messer heimsucht, hatte dieser doch im ersten Akt ein Haus angezündet und Tigranas Verehrer Frank
verwundet. Zugegeben: Der Vorwurf der Kolportage scheint hier nicht ganz aus der Luft gegriffen, aber er muss sich auf die textliche Basis beschränken, denn musikalisch ist die sehnsüchtige Arie, die Franks unerhörte Liebe zu Tigrana beschwört, von eindringlicher Schönheit.
Dieser „femme fatale“, der Frank wie Edgar zum Opfer fallen, steht immer auch ein weiblicher Gegenentwurf gegenüber, der die folgenden beiden PucciniOpern beherrschen und an sowie in ihnen zugrunde gehen sollte, die „femme fragile“: eine charakterlich starke, aber körperlich umso schwächere Frau, die – und darin liegt meist die Tragik bei Puccini – trotz größter Anstrengungen von ihrem Geliebten nicht gerettet werden kann, sodass am Ende der Opern „Manon Lescaut“ und „La Bohème“ jeweils beides steht: Tod und Verzweiflung. Bis dahin beziehen beide Opern ihre Energie aus dem Spannungsfeld ungeklärter Beziehungen. So finden die Liebenden jeweils zu Beginn der Oper in heißen Schwüren zueinander, um sich dann wieder zu trennen und am Ende – zu spät – wieder zueinander zu finden. Im Gegensatz zu Wagners Opern zelebriert Puccini keinen Liebestod, der ein Wiedersehen im Jenseits verspricht, sondern stellt vielmehr die Tragik der Trennung heraus. Und immer sind es die „zerbrechlichen Frauen“, die
– wie im Fall von Manon Lescaut – in der Wüste verdursten oder Mimì, die in „La Bohème“ an Schwindsucht stirbt.
Beinahe schon vermutet man ein Prinzip hinter dieser Personenkonstellation, zumal Puccini selbst die Verschränkung von Leben, Liebe, Leid und Tod als Maxime sowohl für seine Opern als auch anscheinend für sein eigenes Leben ansah. „Für die Liebe stirbt, wer für sie lebt“, postulierte er und stürzte sich auch im Privatleben in zahlreiche leidenschaftliche Liebesaffären.
Doch mit der folgenden Oper betritt eine neue Art weiblicher Protagonistin die Opernbühne. Tosca ist weder fragil noch fatal – sie ist die personifizierte Kunst, leidenschaftlich und entschlossen bis zum Tod. Sie wird gleichermaßen aus Liebe und Verzweiflung zur Mörderin, aber sie bleibt Herrin der Lage – bis zu ihrem eigenen Freitod. Dieser starken Tosca steht mit dem Polizeichef Scarpia ein ebenso starker Antagonist gegenüber. Hinzu kommt Toscas Geliebter Mario, der sich als standhafter Freiheitskämpfer entpuppt. Für lange sentimentale Momente ist in dieser Oper kein Platz und so überwiegen die großen Gesten, die jedoch überraschend und eben dadurch so berührend von äußerst intimen musikalischen Momenten kontrastiert werden. Bezeichnenderweise sind dies Augen-
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blicke der Hilflosigkeit wie in Toscas „Vissi d’arte“ und der Erinnerung an unwiederbringlich Verlorenes wie in Marios „È lucevan le stelle“. Sentimentale, ja süßliche Momente sucht man in der „Tosca“ vergebens. Dafür sollte die nächste Oper, „Madama Butterfly“, vor solchen, gepaart mit viel Exotik, überfließen – und dennoch den erfolgreichen Höhepunkt von Puccinis Karriere markieren.
Längst hatte er sich vom armen Studenten, der er in seinen frühen Jahren in Mailand gewesen war, zum wohlhabenden Star der Opernszene entwickelt. Groß und stets gut gekleidet hatte Alma Mahler ihn einmal als „einen der schönsten Männer, denen ich je begegnet bin“ beschrieben. Doch so sehr man geneigt ist, in ihm den Lebemann zu sehen, so sehr liebte er die Zurückgezogenheit. Nirgends verbrachte er seine Zeit lieber als in dem kleinen Ort Torre del Lago, wo er Ruhe zum Komponieren fand, ein ausgedehntes Revier für den leidenschaftlichen Jäger, der er war, einen See, den er mit immer schnelleren Motorbooten befuhr und eine Garage für die stets neuesten Autos. Beinahe hätte ihn dieses Hobby das Leben gekostet, als Puccini 1903 mit seinem Lancia Trikappa, einem Achtzylinder, der es auf eine Höchstgeschwindigkeit von 115 km/h brachte – wahrscheinlich beim Aus-
reizen der Möglichkeiten seines Autos – sich überschlug und im Graben landete. Nur langsam erholte er sich von den Verletzungen, die er davongetragen hatte, und es scheint, dass sich zu den körperlichen Beschwerden auch eine künstlerische Durststrecke anbahnte. Fast meint man, Puccini habe seinen Zenit überschritten, als sei die Zeit an ihm, dem Fortschrittsbegeisterten, doch vorbeigeeilt. So ist seiner „Fanciulla del West“ – einem echten Gegenstück zu „Madama Butterfly“ – nur kurzer Erfolg beschieden. Während sich Anfang des 20. Jahrhunderts Komponisten wie Richard Strauss oder Arnold Schönberg harmonisch weit nach vorne wagen, scheint Puccini unbeirrt seinen Weg weiterzugehen. Zunehmend wird er von der Musikwelt als epigonal angesehen, das Verlagshaus Ricordi, das bislang alle seine Opern verlegt hatte, fördert nun vermehrt andere Komponisten. Puccini jedoch schreibt und entwickelt sich weiter. Er wendet sich neuen Stoffen zu. Einen ersten Ausflug ins heitere Fach gedenkt er mit „La Rondine“ zu unternehmen – und scheitert: Weder wird die Oper ein großer Erfolg, noch ist sie ausgesprochen heiter. 1918 dann folgt die Uraufführung dreier Einakter in New York. Puccini hatte die Kurzopern in den vergangenen Kriegsjahren geschrieben. Hier treffen drei gänzlich unterschiedliche Werke aufeinander – und bilden doch
eine Einheit, nicht zuletzt aufgrund des ausgeprägten Wiedererkennungswertes der Pucciniʼschen Tonsprache. Und hier wird deutlich, wie sehr sich auch Puccini – entgegen der Ansicht der damaligen Musikkritik – mit den zeitgenössischen Strömungen auseinandersetzte, ja experimentierte. „Il tabarro“, die erste der Opern, spielt im Arbeitermilieu. Puccini spiegelt in seiner Musik gleichsam soziale Härte wie unerfüllte Sehnsüchte und begibt sich mit dem Auskomponieren einer verstimmten Drehorgel sogar in harmonisch experimentelle Regionen. Die zweite Oper, „Suor Angelica“ ist ein Klangerlebnis der besonderen Art, da hier ausschließlich Frauenstimmen zum Einsatz kommen. Das dritte Werk schließlich, „Gianni Schicchi“, ist tatsächlich komödiantisch – und sollte die erfolgreichste der drei Kurzopern werden. Eine Arie daraus hat es bis in den Olymp der beliebtesten Konzertstücke geschafft: „O mio babbino caro“.
Ein letztes Mal widmet sich der bereits schwerkranke Puccini einem neuen großen Opernprojekt nach einem Theaterstück von Carlo Gozzi. In diesem Opus summum scheint alles zu kulminieren. Die Titelfigur Turandot übertrifft alle bisherigen Puccini-Heroinen an Stärke und Grausamkeit und wird doch im Verlauf der Oper auch ihre Verletzlichkeit zeigen. Ihr weibliches Gegenüber
ist die Sklavin Liù, die in ihrer Standhaftigkeit, ein Geheimnis auch unter Folter zu bewahren, dramaturgisch wie musikalisch über sich hinauswächst. Dazwischen steht Prinz Calaf, der Turandot nicht nur die Stirn bietet, sondern sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen gedenkt, was der Prinzessin schlaflose Nächte bereiten und Calaf eine der wohl berühmtesten Tenorarien, „Nessun dorma“, bescheren wird. Puccini wird die Oper nicht mehr fertigstellen können. Sein Leben endet mit der Vollendung der Sterbeszene der Sklavin Liù.
„Er wusste, wie man eine Musik schreibt, die eine spezielle Atmosphäre einfängt, die Landschaften und Menschen charakterisiert. Sein Herz war warm, und seine Musik berührt durch ihre Humanität. Wie Verdi war er in seinen Wurzeln Italiener, dies hinderte ihn jedoch nicht daran, eine Musik zu schreiben, die universal ist.“
Howard Taubmann, New York Times
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Impressum
Herausgeber: Theater Vorpommern GmbH
Stralsund – Greifswald – Putbus
Spielzeit 2024/25
Geschäftsführung: André Kretzschmar
Textnachweise:
Redaktion: Katja Pfeifer
Gestaltung: Wenzel Pawlitzky
1. Auflage: 500
Druck: Flyeralarm www.theater-vorpommern.de
Bei dem Text zu Puccini handelt es sich um einen Originalbeitrag für dieses Heft von Katja Pfeifer.
Bildnachweise:
Umschlag: Autograph von Giacomo Puccini, 1908;
S. 2: Giacomo Puccini, 1924;
S. 6: Adolph Hohestein: Werbeplakat für die Oper „Tosca“, 1899; (bearbeitet)
S. 9: Giacomo Puccini in seinem De Dion-Bouton „5CV“, 1902
Das Theater Vorpommern wird getragen durch die Hansestadt Stralsund, die Universitäts- und Hansestadt Greifswald und den Landkreis Vorpommern-Rügen
Es wird gefördert durch das Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und EU-Angelegenheiten des Landes Mecklenburg-Vorpommern.
„Puccinis Genie der Sentimentalität ist so vollkommen der dramatischen Substanz angepasst und so prächtig entfaltet, dass sogar ich, wenn es mir gelingt, eine Karte zu bekommen, das
Theater mit dem Lied meiner verlorenen
Unschuld auf den Lippen verlasse.“
Igor Strawinsky
Theater Vorpommern
Stralsund – Greifswald – Putbus www.theater-vorpommern.de