DOUBLE Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater
Ausgabe 2/2022 ::: Nr. 46 ::: 19. Jahrgang ::: PREIS: 6 €
NETWORKING Netzwerkmodelle im Figurentheater Theater der Zeit
F I G U R E N T H E A T E R Z E N T R U M
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INHALTSVERZEICHNIS
E d i t o r i a l
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THEMA
Networking – Netzwerkmodelle im Figurentheater
Wolf-Dieter Ernst
Unterwegs zu (post)humanen Netzwerken? Von den Möglichkeiten und Grenzen neuer Verbindungen
6
Julia Pogerth
Das Ensemble als Netzwerk Modelle der Zusammenarbeit in der Stuttgarter Figurentheaterszene
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Eine Wette auf magische Momente Ein Gespräch mit Élise Vigneron, Julika Mayer und Petra Szemacha zum internationalen Projekt „RE-MEMBER”
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Stefanie Wenner
Kompostieren statt Netzwerken Ein Plädoyer für Pilze als Stichwortgeber
18
Ein Festival als Reflexionsraum Ein Gespräch zu Figure it out im Westflügel Leipzig
20
Leah Wewoda
Auf Spurensuche zwischen zwei Theaterwelten Rückblick auf ein Auslandssemester an der ESNAM in Frankreich
23
Katja Kollmann
Die Puppe und die Zukunft 50 Jahre Studiengang Zeitgenössische Puppenspielkunst in Berlin
24
Anke Meyer
Amazing View Der Baltic Visual Theatre Showcase in Tallinn
26
Leino Rei ESSAY
„Wir brauchen Zusammenarbeit“ Überlegungen zur Puppenspielausbildung in den nordischen und baltischen Ländern
28
Daria Ivanova-Hololobova
All the world’s ... vertep The Holocaust Tragedy as shown in two shows: „Everything will be alright” (Kyiv, Ukraine) and „Friedl Dicker” (Hamm, Germany)
30
Kann, darf, soll Ein Gespräch zu Tabus und ihrer Überwindung im Puppentheater
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Sabine Leucht
Die Reise von Krabbe und Storch Die südafrikanisch-deutsche Stückentwicklung „Iskhalo somlambo / Der Ruf des Wassers“
34
Christina Röfer
Vater, Sohn und ich in Nacht und Wind „Der Erlkönig“ als 360° Virtual Puppetry vom Puppentheater Zwickau
35
Mascha Erbelding
En avant toutes Festivalbesuche in Plzenˇ und Paris
36
Gislinde Nauy
Wenn die Sonne im Quadrat aufgeht Material-, Klang- und Bewegungsexperimente beim Festival FRATZ International
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NEXT GENERATION
STIPPVISITE
DISKURS Kathi Loch INSZENIERUNG
FESTIVALS
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INHALTSVERZEICHNIS
Jessica Hölzl und Mathilde Chagot-Mansuy
Befragung der Welt Festivalbericht von der FIDENA 2022
40
Hansueli Trüb
Neue Blickwinkel Grünschnabel-Preis beim FIGURA Theaterfestival 2022
43
Katja Spiess
Ein Fest der Verbundenheit Frank Bernhardts Abschiedsfestival „Beste Freunde“ am Puppentheater Magdeburg
46
Nadja Rothenburger
Spurensuche Eine Datenerhebung zum Figurentheater in der Schweiz
47
„Der Auftrag, den wir uns selbst geben möchten” Ein Gespräch mit Line Eberhard und Marcel Grissmer vom Theater Stadelhofen
48
SCHWEIZER FENSTER
E N G L I S H S U M M A R I E S
50
NOTIZEN/FESTIVALKALENDER
52
I M P R E S S U M
56
Titel: Den Draad & IMAGINART, Playscape Deluxe. Foto: Kattoo Hillewaere
Contents double 46: T H E M E: Networking – Network Models in Figure Theatre // Wolf-Dieter Ernst On the way to (post)human networks? On the possibilities and limits of new connections // Julia Pogerth The ensemble as a network Models of cooperation in the Stuttgart puppet theatre scene // A bet on magic moments A conversation with Élise Vigneron, Julika Mayer and Petra Szemacha on the international project “RE-MEMBER” // Stefanie Wenner Composting instead of networking A plea for mushrooms as cues // A festival as a space for reflection A conversation about “Figure it out” in the Leipzig Westflügel
N E X T G E N E R A T I O N Leah Wewoda Searching for traces between two theatre worlds Looking back on a semester
abroad at ESNAM in France // Katja Kollmann The Puppet and the Future 50 Years of Contemporary Puppetry Studies in Berlin
FLYING VISIT
Anke Meyer Amazing View The Baltic Visual Theatre Showcase in Tallinn // Leino Rei “We need cooperation” Reflections on puppetry training in the Nordic and Baltic countries
E S S A Y Daria Ivanova-Hololobova All the world's. .. vertep The Holocaust Tragedy as shown in two shows: “Everything
will be alright” (Kyiv, Ukraine) and “Friedl Dicker” (Hamm, Germany)
D I S C U S S I O N Kathi Loch Can, may, should A discussion on taboos and
overcoming them in puppet theatre P R O D U C T I O N Sabine Leucht The journey of Krabbe and Storch The South African-German play development “Iskhalo somlambo / The call of the water” // Christina Röfer Father, Son and I in Night and Wind “The Erl King” as 360° Virtual Puppetry by the Zwickau Puppet Theatre F E S T I V A L S Mascha Erbelding En avant toutes Festival visits to Plzenˇ and Paris // Gislinde Nauy When the Sun Rises in a Square Experiments with material, sound and movement at the FRATZ International Festival // Jessica Hölzl and Mathilde Chagot-Mansuy Questioning the World A report from the FIDENA 2022 // Hansueli Trüb New Perspectives Grünschnabel Prize at the FIGURA Theatre Festival 2022 // Katja Spiess A Celebration of Connectedness Frank Bernhardt’s Farewell Festival “Best Friends” at the Magdeburg Puppet Theatre S W I S S W I N D O W S Nadja Rothenburger Searching for Traces A Data Survey on Puppet Theatre in Switzerland // “The Mission, we would like to give ourselves” An interview with Line Eberhard and Marcel Grissmer from Theater Stadelhofen
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EDITORIAL
NETWORKING Netzwerkmodelle im Figurentheater Wenn wir über Netzwerke reden, können wir eigentlich mit diesem Heft anfangen. double wäre ohne das internationale Netzwerk, das sich seit Jahren um die Redaktion aufgebaut hat, nicht denkbar. Es besteht nicht nur aus Autor*innen, Künstler*innen und Theatern, vielmehr umfasst es auch Inszenierungen, Festivals, Diskurse, Ästhetiken und Themenfelder, die im gemeinsamen Spiel zwei Mal im Jahr zu einem Heft führen. Dass es dabei auch eine ganz eigene Dynamik entwickeln kann und maßgeblich die Hefte mitgestaltet, können wir auch dieser Ausgabe bescheinigen. Mit Blick auf die Diskussion im double-Diskurs „Netzwerke gegen die Angst“, der im Mai auf der FIDENA stattfand, diskutiert Wolf-Dieter Ernst in seinem einleitenden Artikel Ideen von vernetzten Beziehungen und neue Kooperationen zwischen Menschen, Dingen, Flora und Fauna und fragt danach, ob das Figurentheater nicht über das passende ästhetische Vokabular verfügt, diese produktiv zu machen. Welche konkreten Modelle der Vernetzung Puppenspieler*innen auf Arbeitsebene schaffen und wie sich diese auf den künstlerischen Prozess auswirken, betrachtet der Artikel von Julia Pogerth am Beispiel zweier Stuttgarter Kompanien, während das Gespräch mit Élise Vigneron, Julika Mayer und Petra Szemacha anhand einer deutsch-französischen Koproduktion internationale Netzwerke und Vernetzungen von freien und institutionellen Strukturen befragt. Einen produktiven Seitenblick ermöglichen Stefanie Wenners Gedanken dazu, was das Theater von Pilzen lernen kann, bevor abschließend am Beispiel des Festivals Figure it out im Leipziger Westflügel fachspezifische Vernetzungen und der Kontakt mit dem Publikum im Zentrum stehen. Im zweiten Teil des Heftes blicken die Autor*innen auf Entwicklungen der internationalen Figurentheaterszene: Ihre Erfahrungen in einem Auslandssemester an der ESNAM in Charleville-Mézières reflektiert die Puppenspiel-Studentin Leah Wewoda, deren Studiengang in Berlin im Sommer sein 50. Jubiläum begangen und in dreitägigen Festivitäten über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nachgedacht hat. Aus Estland berichtet Anke Meyer vom Baltic Visual Showcase in Tallinn, und Festivalleiter Leino Rei fasst in seinem Artikel die Bemühungen zusammen, in den nordischen und baltischen Ländern eine universitäre Ausbildung im Figurentheater wieder aufleben zu lassen. Wiederbelebt ist auch der internationale Kulturaustausch: Rezensent*innen waren für double in Tschechien, Frankreich, der Schweiz und Deutschland unterwegs und schildern ihre Eindrücke von sechs Festivals. Als Impuls verstehen sich die Aufsätze der ukrainischen Theaterwissenschaftlerin Daria Ivanova-Hololobova, der auf der Grundlage der szenografischen Idee des traditionellen ukrainischen Puppentheaters Vertep zwei Produktionen aus Kiew und Hamm vergleicht, sowie von Kathi Loch, der über Tabus in den Darstellungspraktiken des Figurentheaters nachdenkt. Über impulsgebende internationale Kooperationen und digitale Formate berichten unsere Rezensentinnen in der Inszenierungsrubrik. Komplettiert wird das Heft wieder durch unsere Schweizer Kolleg*innen, die dieses Mal auf den personellen Neustart am Zürcher Theater Stadelhofen sowie auf eine Erhebung zum zeitgenössischen Figurentheater blicken. Eine anregende Lektüre wünschen Katja Spiess und Tim Sandweg
Editorial This issue of double invites you to consider different concepts of networking in the context of puppet theatre: How do concrete models of networking among puppeteers affect artistic processes? How can international networks and cooperations between independent and institutional structures facilitate new forms of collaboration? How can specialist networking and contact with the audience succeed? Does puppet theatre have the appropriate aesthetic vocabulary to enable it to think about networked relationships and new collaborations between people, things, flora and fauna? And what can we learn from mushrooms?
Puppentheater Magdeburg, Proben zu RE-MEMBER. Foto: Joachim Fleischer
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THEMA
UNTERWEGS ZU (POST )HUMANEN NETZWERKEN? Von den Möglichkeiten und Grenzen neuer Verbindungen Der französische Soziologe Bruno Latour entwarf 2001 ein ‚Parlament der Dinge‘. Der Gedanke ist verlockend: eine Zusammenkunft von Menschen, Dingen, Flora, Fauna etc. – ein demokratisches Kooperationsmodell, ein Netzwerk, in dem nachhaltig und fair Natur und Mensch aufeinander bezogen wären und sie ihre komplex vernetzten Beziehungen aushandeln. Gleiches Rederecht gälte für Dinge und Menschen, und das würde sogar funktionieren, denn in Latours Denken handeln sowohl menschliche Akteur*innen als auch nicht-menschliche Entitäten und sie bewirken etwas. Sage einer, die Wurzel, die den Radweg aufsprengt, handele nicht. Von Wol f - D i e t e r E r n s t /// Für das Figuren- und Objekttheater wäre so ein Parlament der Dinge eine schöne Sache, und wäre diese Sache quasi als Alleinstellungsmerkmal dieser Theatersparte zu beobachten, ganze Schulklassen würden zur Umwelterziehung in Figurentheateraufführungen geschickt. Man wäre für eine Weile finanziell saniert. Wir sind bekanntlich weit davon entfernt. Dinge werden weiterhin gerne als stumm, die Natur in Industrie und Wissenschaft gewöhnlich als bereinigte Ressource betrachtet. Jedes Bauprojekt beginnt noch mit einer Tabula Rasa, einer bereinigten und egalisierten Fläche. Menschliche Akteur*innen und ihre Interessen dominieren weiterhin das Feld. Auch im Theater gilt weitestgehend noch ein anthropozentrisches und kein posthumanes Weltbild, und entsprechend werden Geschichten von menschlichen Schicksalen priorisiert. Von neuen ‚weird animisms‘, die der französische Anthropologe Jérémy Damian als sich fügende und uns zustoßende Mitsprache von Natur und Dingwelt entwirft, können wir nur träumen, solange noch beseelt und belebt wird, was zuvor für tot erklärt wurde.
„Ungeheuer ist viel, doch nichts ungeheurer als der Mensch.“ Dabei ist das posthumane Paradigma theoretisch ebenso weit entwickelt, wie die spürbaren ökologischen und politischen Krisen ein notwendiges Umdenken erforderlich erscheinen lassen. Sehen wir der Idiotie ins Auge: Es wird ernsthaft über einen Atomkrieg gesprochen, als seien wir zurück in die 50er Jahre katapultiert. Die Summe der Artefakte übersteigt die der Biomasse, jetzige Generationen evozieren negative Klimaeffekte, die erst nachfolgende Generationen betreffen. „Ungeheuer ist viel, doch nichts ungeheurer als der Mensch.“ (Chor der thebanischen Alten, Antigone) – dieser Vers gewinnt an Aktualität und interessanterweise gehört zu einer der Kulturtechniken, die da von den Alten besungen werden, auch die Vernetzung. „Und leichtträumender Vögel Welt Bestrickt er, und jagt sie; Und wilder Tiere Zug, Und des Pontos salzbelebte Natur Mit gesponnenen Netzen, Der kundige Mann.“ Die gesponnenen Netze scheinen aus Sicht der Vögel und Fische das Gegenteil eines strategischen Vorteils darzustellen; jedenfalls nichts, dem man mit einer Angst außen vor zu bleiben (fear of missing out) begegnen würde. Nehmen wir mal probeweise die Perspektive eines Karpfenschwarms ein und glotzen trübe auf das, was Menschen da am Ufer so treiben. Warum entwickeln Menschen in ‚sozialen Netzwerken‘, auf Szene-Events, bei Sozialkontakten eine fear of missing out? Warum werden auf Theater-Festivals Talkrunden zu Vernetzung in den Künsten veranstaltet, werden Tischgespräche und Partys organisiert, um sich zu vernetzen? Warum gilt in der individuellen Karriereplanung das Vernetzen und ‚connecten‘ inzwischen als Tugend? Und warum ist man zugleich skeptisch gegenüber institutionalisierten Netzwerken wie Parteien, Vereinen, strategischen Seilschaften, Bündnissen, Stiftungen,
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staatlichen Förderstellen etc. und sucht nach neuen Kooperationsmöglichkeiten? Aus Sicht so eines Karpfenschwarms wäre dieses Verhalten unverständlich, denn diesem Kollektivsubjekt ‚Schwarm‘ fehlt schlicht die Möglichkeit, sich als Individuum für oder gegen diese Existenzweise zu entscheiden. Deshalb entwickelt jeder vereinzelte Karpfen sofort Stress und lebt nicht lange, egal ob im See, im Netz oder in der Wanne.
Vernetzung ist auch Zeichen einer Krise natürlicher Gleichgewichte Man kann also Vernetzung als Zeichen einer Krise natürlicher Gleichgewichte ansehen. Seit wann hat dieser Begriff der Vernetzung Konjunktur? Dies müsste gesondert erforscht werden. Jedenfalls ist die aus der französischen Theoriebildung über Gilles Deleuze, Michel Serres oder Latour übernommene Metapher ursprünglich einmal das Netz (réseau) gewesen, dem man eine Aktivität des Webens und Knüpfens hinzufügte: Netzwerk. Ein Netz muss ins Werk gesetzt werden, Kanäle, U-Bahnröhren, Datenströme, Adressen oder emotionale Bindungen müssen hergestellt und unterhalten werden. Das sind alles Sprachbilder, die deutlich die Spuren der späten Industrialisierung und Individualisierung zeigen. Der Naturbegriff bleibt da vorerst außen vor. Charakteristisch für die Krise des natürlichen Gleichgewichts war der double-Diskurs 2022. Er stand unter dem Titel „Netzwerke gegen die Angst“ und fand auf der FIDENA in Bochum statt. In einem ehemaligen Pumpenhaus inmitten post-industrieller
Netzwerken gegen die Angst, double Diskurs Nr. 11 auf der FIDENA 2022. Foto: dfp 2022
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THEMA
Architektur der Jahrhunderthalle trafen sich nun Künstler*innen und Wissenschaftler*innen zum Ideenaustausch. Das war also von Beginn an keine Schwarmintelligenz, da jede*r auf solchen Podien ja aus einer spezifischen Position und mit bestimmter Expertise spricht. Kein Platz für Fische oder Dinge. Immerhin aber war eine autonome Vernetzung der Wortbeiträge zu beobachten. Li Kemme etwa führte ein ziemlich provokantes Beispiel einer autopoetischen Vernetzung an. Pilze oder junge Pflanzen siedeln sich um einen Schatten spendenden Baum an. Da sie selbst ans Licht wollen, machen sie den Baum krank oder der Baum weiß, dass er alt und im Weg ist, jedenfalls fällt er um, stirbt ab, dient den Nachkommen als Nahrung und erlaubt Zugang zum Licht. Im Resultat verjüngt sich das biologische Netzwerk, es ist evolutionär dynamisch. Laia Ribera Cañénguez und Antonio Cerezo berichteten von ihrer künstlerischen Zusammenarbeit und nehmen damit quasi die Innensicht eines bestehenden Netzwerkes ein. Ihre Beiträge waren entsprechend polyphon, Halbsätze werden ergänzt. Sie erzählen dem Publikum und sich selbst eine Version des Netzwerkens, deren Wirken zugleich zu beobachten war. Dabei hoben sie die Qualitäten hervor, die im gemeinsamen Ringen um künstlerische Positionen und Ressourcen entstehen. Man vertraut sich, fühlt sich innerhalb einer Szene oder Gruppe von Gleichgesinnten aufgehoben. Das beinhaltet auch den Dissens und die Krisen. Insbesondere während der sozialen Isolation durch diverse Schließungen und Ausgangssperren treten diese Werte in den Vordergrund. Stefanie Oberhoff stellte hingegen ihr Privileg als gestandene Künstlerin heraus, welches es ihr erlaubte, bislang prekär finanziell bedachte Künstler*innen zu unterstützen. Sie bekomme nun eine nachhaltige Förderung, eine Energie, die sie wiederum – sie zeigt auf ihren Körper in einer Geste, die das Durchströmen anzeigt – zugunsten benachteiligter Künstler*innen in Afrika verwenden könne. Privilegien seien auch Einflussgrößen, die nicht per se abgelehnt, sondern deren Gebrauch überdacht werden könne. Katja Spiess wendet ein, dass junge Künstler*innen, die quasi mit der Indifferenz Deleuzscher Wurzelwerke (Rhizomatik) argumentieren, unwissentlich die Förderung von Kunst und Kultur als Selbstverständlichkeit annehmen, die Abwesenheit von Förderinstitutionen und rechtlichen Sicherheiten sich aber gar nicht vorstellen können. Eine Realität sei allerdings der Verteilungskampf und jede institutionelle Verstetigung sei auch ein Selbsthalt gegen zu viel Abbau und Verflüssigung von Netzwerken. Der Autor selbst weist aus theaterwissenschaftlicher Perspektive auf zwei vergessene Aspekte der Netzwerkdebatte hin: Zunächst haben Netzwerke eine Geschichte, die weiter reicht und anderen Werten verpflichtet ist, als die aktuelle Begriffsverwendung es
Teilnehmer*innen im Festivalseminar auf der FIDENA 2022. Foto: Theaterwissenschaft Bayreuth, Madeleine Scheuerpflug
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andeutet. Früher gab es etwa Netzwerke im Zeichen des Glaubens, des gesellschaftlichen Fortschritts oder der Gerechtigkeit. Mit Blick auf den Ort der Diskussion, einem Stahlgusswerk der 1840er Jahre, fallen einem Solidarität, Klassenkampf und Brüderlichkeit ein. Die SPD war mal ein Netzwerk, netzwerkte im Geheimen zu Zeiten der Sozialistengesetze. Heute ist sie eine Partei neben anderen. Netzwerke also altern, und das kann man bereits jetzt rekapitulieren. Wie etabliert sich ein Netzwerk, wie endet es und wird etwas anderes? Zweitens sind Netzwerke wie die der frühen Sozialisten ‚bottom up‘ entwickelt. Es gibt aber auch Netzwerke ‚top down‘, wie etwa LinkedIn oder Xing. In Zeichen neoliberaler Aushöhlung und Durchdringung des Privaten, Sozialen, Gesellschaftlichen ist daher die machtpolitische Struktur zu bedenken. Wer sagt, dass er oder sie Teil eines Netzwerkes sei? Konnte man früher emische Selbstbezeichnung und epistemische Fremdbezeichnungen eines Netzwerkes gut gegeneinandersetzen, macht heute die Übernahme aller möglicher Zuschreibungen in das Selbstbild die Sache unübersichtlicher. Kann man individuell und bewusst behaupten, man sei Teil eines Netzwerkes oder einer Szene oder habe Angst, dort herauszufallen? Ist es endemische Rede oder Fremdzuschreibung, wenn jemand ‚sein Netzwerk pflegt‘ oder ‚netzwerkt‘? Ist Fremdzuschreibung der Fall, augenscheinlich bei Xing und LinkedIn, so gibt es immer eine Instanz, die schlau genug ist, das Netzwerken anderer zu beobachten und zu bewirtschaften, ohne selbst Teil der Angelegenheit zu sein.
Auszug aus dem Pumpenhaus Während die Runde auf dem Podium ihre Ideen zu neuen Kooperationsformen zirkulieren lässt, ruht sich über ihnen der tonnenschwere Hebekran Nr. 7 aus, zweifelhaft, wofür er wieder genutzt werden könnte. Alle Objekte und Subjekte im Raum muss man für zu leicht befinden und an die schweren Probleme, die diskutiert werden, rührt er nicht ran. Vermutlich ist der Kran selbst bereits das Schwergewicht im Raum. Ein Kran, der sich selbst hebt; komische Vorstellung von Aufwand und Nutzen. Ein Gebläse pustet im Raum daneben Stefanie Oberhoffs Großfigur „Pamela, die Moneymaus“ auf. Dabei gibt es auf dem Gelände auch ein so genanntes Dampfgebläsehaus. Da weht allerdings kein Lüftchen mehr und der Name verweist nur noch auf Geschichte. Draußen über den Abklingbecken kreisen Möwen, Birken wachsen zwischen Backstein und Beton. Den Namen der Stadt Bochum kann man zurückführen auf das Heim unter den Buchen. Die Industrialisierung hat von dieser pittoresken Vorstellung nicht viel übrig gelassen, und offensichtlich diskutieren wir hier im Stadtteil Stahlhausen auch in den Ruinen des Kapitalismus; sitzend zwischen Sondermüll, den die Schwerindustrie den Kommunen als ‚kulturelles Erbe‘ überlassen hat. Alles eine Frage der Deklarierung. Sollten neue Kooperationsmodelle nicht nur für die Künste gefunden werden, so zeigt dieser Ort, das Pumpenhaus, und diese Diskussion um die „Netzwerke gegen die Angst“ neben allen guten Ideen auch unsere begrenzten Möglichkeiten und Perspektiven auf, solche Kooperationen diskursiv herbeizuschaffen. Man kann sich in dieser post-industriellen Atmosphäre nämlich ganz gut der Vorstellung hingeben, es gäbe zu wenig von allem, weshalb neue Kooperationen notwendig seien für das eigene Fortkommen und Überleben. Und diese neuen Kooperationen werden gerade nicht ressourcenneutral gedacht. Jedenfalls wurden die Dinge und das, was Natur genannt wird, erstmal nachrangig behandelt. Um uns herum schien vielmehr eine übermächtige Kultur, Historie und Menschengeschichte aufgehäuft. Sie war sogar verdichtet zur Idiotie, mit demselben Aufwand, mit denen man hier einst Waffen goss, auch die Friedensglocke von Hiroshima herzustellen. Vielleicht muss man dieselben Zuhörer*innen und Referent*innen tatsächlich mal auf einer Waldlichtung in einem posthumanen Netzwerk versammeln, irgendwo unter Buchen inmitten von Totholz und Pilzen. Ob dann eher geredet oder schwarmartig gelauscht wird, ob die Pilze was sagen oder nur strahlend von Tschernobyl 1986 berichten, müsste man dann allerdings vielleicht einer neuen Form der Themensetzung überlassen. Die Sitzung könnte jedenfalls länger dauern.
Jahrhunderthalle Bochum, Turbinenhalle und Dampfgebläsehaus, Foto: Theaterwissenschaft Bayreuth, Madeleine Scheuerpflug
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DAS ENSEMBLE ALS NETZWERK Modelle der Zusammenarbeit in der Stuttgarter Figurentheaterszene Von Ju l i a Po g e rt h /// Welches Verständnis von Netzwerkarbeit bestimmt die Praxis freier Figurentheater-Ensembles und welches Selbstverständnis liegt diesem zugrunde? Welche Strategien der Arbeitsorganisation ergeben sich daraus? Und welche Entwicklungen, Hoffnungen und Wünsche verbinden sich damit? Hierüber sprach double-Autorin Julia Pogerth mit Akteur*innen des „Figurenkombinat – Ensemble für zeitgenössisches Figurentheater“ und des „Ensemble Materialtheater“.
Ensemble Materialtheater/Théâtre Octobre/Roemersloewe Film, Aufstand der Dinge. Ein Kurzfilm. Foto: Luigi Consalvo
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Sie haben sich „Kombinat“ genannt und „Ensemble“. Und „Ensemble“ meint hier gewiss nicht die an eine feste Institution gebundene künstlerische Gemeinschaft. Und Kombinat wohl auch nicht den sozialistisch-künstlerischen Großbetrieb – allenfalls mit einem ironischen Augenzwinkern –, sondern eher eine Genossenschaft oder ein Kollektiv. Aber die Begrifflichkeit ist vielleicht nicht ganz so wichtig. Schauen wir, welche Vorstellungen sich dahinter verbergen. Es sind Gespräche, bei welchen die Empathie und Begeisterung auffällt, mit der alle Gesprächsteilnehmer*innen bei der Sache sind. Auch die Neugier, die immer mitschwingt, die Zuversicht, der Mut, die Hoffnung, der Elan. Gegründet auf eine reiche Arbeitserfahrung, auf Erfolge und überstandene schwere Situationen der vergangenen 35, respektive der letzten 11 Jahre: Alles hilft im Hier und Heute, die Lage einzuschätzen und Wege für die Zukunft neu zu erschließen, Visionen zu entwickeln und sich diesen mit Inszenierungen anzunähern, die eine große Diversität aufweisen. „Figurenkombinat – Ensemble für Zeitgenössisches Figurentheater“: Das sind Anja Müller (Puppenspielerin und Ausstatterin/ Tübingen), Benjamin Garcia (Musiker/Köln), Esther Falk (Spielerin, Regisseurin, Ausstatterin/Stuttgart), Maik Evers (Spieler, Regisseur/Oldenburg), Helen Schumann (Spielerin/Berlin), Mirjam Ellenbroek (Spielerin/überall zuhause) und Kora Tscherning (Konzeptionelle Arbeit und dramaturgische Beratung/Meiningen). Nach einem intensiven Probentag haben drei Akteur*innen des Figurenkombinats (Helen Schumann, Maik Evers und Esther Falk) sich Zeit für ein Gespräch mit mir genommen.
Realitätsschock und Vernetzungsstrategien Bis auf den Kölner Jazz-Kontrabassisten Benjamin Garcia (ausgebildet an der Essener Folkwangschule) sind alle Mitglieder dieser Formation Absolvent*innen des Studiengangs Figurentheater an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart. Künstlerisch im geschützten Raum der Hochschule arbeiten zu können, das sei wunderbar gewesen. Es gab viele Freiheiten und eine funktionierende Infrastruktur. Aber nach dem Abschluss standen die gut ausgebildeten Figurenspieler*innen vor dem Problem, sich auf dem freien Kunstmarkt zurechtfinden zu müssen. Ein Realitätsschock: Ohne selbstverständliche Hilfe von außen musste die künstlerische Arbeit nun vollkommen selbständig organisiert werden. Und nicht wenige Fragen stellten sich drängend: Wo kann ich arbeiten, proben, Puppen und Bühnenbild bauen? Woher kommt das Geld für die Produktion? Wie und an wen verkaufe ich meine Arbeit? Wie finde ich ein Publikum? Welche Organisationsform wähle ich für mich, für meine Gruppe?
Figurenkombinat & Christian Müller, D3R 54NDM4NN. Foto: Dominique Brewing
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„Da hat uns ja keiner darauf intensiv vorbereitet.“ (M. Evers) Allesamt wurden sie ausgebildet zu eigenständigen Künstler*innenpersönlichkeiten, aber nicht zu Netzwerker*innen in eigenen oder fremden Strukturen. „Wir sind alle in die Welt gespuckt und wissen noch nicht, wohin der Weg geht, wir sind alle auf der Suche.“ (M. Evers) Alle hatten dieselben Probleme. Und die musste ja nicht jeder für sich alleine lösen! Sie sagten sich, lasst uns einander helfen, lasst uns gemeinsam die nächsten Schritte gehen. Der Gedanke der Solidarität, der gegenseitigen Hilfe stand und steht bis heute im Vordergrund. Ein Grundsatz übrigens, der auch alle genossenschaftlich organisierten Verbände eint. Die Mitglieder des Figurenkombinats können immer aufeinander zählen. Und sind dabei in der Lage, in die verschiedensten Rollen einzusteigen. Mal macht der eine Regie und die anderen spielen. Oder mal baut der eine die Puppen, mal die andere. Oder mal schreibt der eine Förderanträge, mal die andere. „Klar gibt es unterschiedliche Begabungen, Neigungen, Talente. Aber unser Ideal ist es, dass alle alles können.“ (E. Falk) Gearbeitet wird in immer wechselnden Besetzungen. Je nachdem, wie es ein bestimmtes Projekt erfordert – und wie es die persönlichen Umstände jeder*s einzelnen gerade erlauben.
Ein dynamischer Prozess des Gebens und Nehmens Dabei ist jede*r einzelne frei, auch als Solist*in zu arbeiten. Oder zusammen mit einer anderen Gruppe sich einem Projekt zu widmen. „Wir müssen durchaus nicht immer alles zusammen und gemeinsam machen. Das ist ja auch klar, weil wir ja nicht alle in einer Region leben. Die eine ist in Berlin, der andere in Köln, eine in Stuttgart …“ Die Zusammenarbeit mit anderen Gruppen, die nicht nur möglich, sondern Teil des Konzepts ist, wird dabei nicht als Konkurrenz zur Arbeit des Figurenkombinats empfunden, sondern als Bereicherung. Was an anderen Orten und in anderen Zusammenhängen an Erfahrungen gemacht wird, welche neuen Beziehungen aufgebaut, welche neuen Kontakte geknüpft werden, wird als Wertschöpfung für die Arbeit des Figurenkombinats gewertet. Es entsteht ein Netzwerk, das immer größer und vielfältiger und wertvoller wird. Das gibt der künstlerischen Arbeit ständig neue Impulse und kommt der Formation Figurenkombinat letztendlich an anderer Stelle wieder zugute. Ein dynamischer Prozess des Gebens und Nehmens, der für die Gruppe sehr vorteilhaft ist. Meinen Fragen zum Ensemble Materialtheater Stuttgart stellen sich Annette Scheibler und Sigrun Kilger. Auch diese Formation hat ihre Wurzeln an der Stuttgarter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst. Sigrun Kilger und Hartmut Liebsch, die sich zunächst zum „Materialtheater Stuttgart“ zusammengetan hatten, gehören zu den ersten Absolvent*innen des 1983 etablierten Studiengangs. Durch verschiedene Faktoren wurde der Start des Materialtheater Stuttgart begünstigt. Ein bestehendes großes globales Kulturnetzwerk, das Goethe-Institut, sorgte für ein erstes, mehrwöchiges Engagement in Westafrika. Zudem war der renommierte Marionettenspieler Albrecht Roser, Mitbegründer und Lehrender an der Stuttgarter Figurentheaterschule, sehr hilfreich beim Start der neuen Compagnie. Er verfügte über ein weitreichendes Netzwerk in die internationale Figurentheaterszene, das er für seine Absolvent*innen fruchtbar machte. Annette Scheibler, die vier Jahre später ihr Studium an der Hochschule in Stuttgart abschloss, kam nach ersten Soloproduktionen und gemeinsamen Arbeitserfahrungen dann 2004 zum Team, das fortan unter dem Namen „Ensemble Materialtheater
Figurenkombinat, Pandoras Kitchen. Foto: Maik Evers
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Stuttgart“ firmierte. Mit von der Partie waren außerdem der Regisseur, Schauspieler und Autor Alberto García Sánchez (Théâtre Octobre Brüssel) und der Bildende Künstler, Fotograf, Bühnenbildner und Techniker Luigi Consalvo. Es gab weitere Änderungen bei der Kerngruppe. Hartmut Liebsch schied aus und ging eigene künstlerische Wege. Und Daniel Kartmann stieß als theaterbegeisterter Musiker (Percussion, Vibraphon) und Komponist 2008 zur Kerngruppe des Teams hinzu. Projektbezogen ergänzt sich das Ensemble Materialtheater mit weiteren Musiker*innen, Regisseur*innen, Schauspieler*innen, Figurenspieler*innen oder Figurenbauer*innen.
Interdisziplinäre Impulse Wichtige Impulse kamen in der Anfangszeit vor allem aus der Schauspielszene: von den Akteur*innen des Frankfurter Wu WeiTheaters, der Schauspielerin Miriam Goldschmidt und Regisseur*innen wie Barbara Meerkötter, Christina Rast und Astrid Griesbach. Profilbestimmend wurden aber auch langjährige Kooperationen mit der französischen, italienischen und deutschen Objekttheaterszene: mit der Cie. Skappa, den Objekttheatermacher*innen Gyula Molnàr und Francesca Bettini und dem Berliner Ensemble Kaufmann&Co. Nicht zuletzt prägte die Kollaboration mit interdisziplinär arbeitenden Stuttgarter Kolleg*innen wie Stefanie Oberhoff und Katharina Wibmer das Ensembleprofil entscheidend mit. So entstand ein Netzwerk, das sich ständig erweitert – auch um junge Absolvent*innen des Studiengangs Figurentheater, die bei Produktionen als Mitspieler*innen oder -autor*innen dazustoßen. In vielem ähneln sich die Ideale und Visionen des Ensemble Materialtheater und des Figurenkombinats: Unverzichtbar sind die Anregungen von außen und der Wunsch, nicht im engen Zirkel des Puppenspiels zu verharren, sondern Grenzüberschreitungen zu wagen. Diese Öffnung – hin zum Schauspiel, zum Tanz, zur Musik, zur Bildenden Kunst – ist essentiell, und das war in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts sicher Pionierarbeit. Verbunden mit der Arbeit im Netzwerk der Freien Szene ist ein Stück Freiheit. Hier sind eher Generalist*innen am Werk, die natürlich jeweils besondere Talente haben, aber die darüber hinaus in verschiedenen Bereichen des künstlerischen Schaffens Verantwortung übernehmen. Es schwingt Stolz mit, wenn Annette Scheibler und Sigrun Kilger davon erzählen, dass sie unabhängig in der Auswahl und in der Art der Bearbeitung eines Stoffes sind. Sie genießen es, dieses „Alles ist möglich“. Eine Erkenntnis, die auch die Mitglieder des Figurenkombinats motiviert und begeistert. Große, genreübergreifende, gesellschaftskritische Ensembleinszenierungen auf den Weg zu bringen, wie es das Ensemble Materialtheater (im Abendprogramm für ein erwachsenes Publikum) wiederholt tut, kommt in der Freien Szene einem ökonomischen Suizid ziemlich nahe. Aber andererseits „ist es toll für uns, in einem großen Ensemble zu arbeiten. Und es ist doch auch schöner und spannender für das Publikum“ (S. Kilger). Und zu allem Willen, mit ästhetischen und poetischen Mitteln zu unterhalten, kommt immer auch noch eine kritische, poetisch-politische Dimension hinzu. Programmatisch kurz und bündig lautet der Slogan des Ensembles: „Das Ensemble Materialtheater: Brisant. Politisch. Komisch.“
Lokale Netzwerke Vernetzt hat sich das Ensemble Materialtheater Stuttgart auch in der lokalen Kulturszene. Durch kulturpolitische Aktivitäten gemeinsam mit anderen Kulturschaffenden. Nicht von ungefähr ist der Kunstverein Wagenhalle im Stuttgarter Norden, wo das Ensemble sein Atelier und seinen Probenraum hat, ein Stück Heimat geworden. Produziert wurde und wird vor allem im FITZ – Zentrum für Figurentheater – häufig in Kooperation mit Festivals oder festen Häusern wie dem Puppentheater Magdeburg oder dem Zürcher Theater Stadelhofen. Aktuell ist das Ensemble auch außerhalb der klassischen Theaterorte sehr aktiv. Die filmische Adaption vom „Aufstand der Dinge“ kommt in Repair-Cafés zur Aufführung. Und mit „Dingdarium“ – gespielt in einer eigens konstruierten Jurte – ist die Gruppe vollends mobil. Sigrun Kilger und Annette Scheibler bezeichnen sich als „Motor“ des Ensemble Materialtheater Stuttgart. Das ist vielleicht ein Unterschied zum Figurenkombinat. Dort geht die Initiative von immer anderen Mitgliedern des Kombinats aus. In jedem Fall aber sind die Hierarchien innerhalb einer konkreten Produktion sehr flach. Dabei hilft, dass über grundlegende Fragen Einigkeit herrscht und nicht diskutiert werden muss. Basis sind die solide, langjährige gemeinsame Arbeitserfahrung und die gegenseitige Wertschätzung. Ganz wesentlich auch: Das Vertrauen, dass die jeweils anderen ihr Bestes zu geben bereit sind, sich nach bestem Vermögen im gemeinsamen Projekt engagieren. Befragt zu Hoffnungen und Wünschen für die Zukunft nennen die Mitglieder des Figurenkombinats vier Punkte: „Eine stärkere Sichtbarkeit des Figurentheaters in der Öffentlichkeit und im künstlerischen Diskurs. Eine bessere Unterstützung seitens der Politik (Fördergelder, Spielmöglichkeiten, Arbeitsbedingungen, …). Eine stärkere Vernetzung der freien Figurentheaterszene mit anderen Sparten und festen Häusern. Stärkere Spiegelung der Vielfalt der Gesellschaft in den künstlerischen Projekten.“ (M. Evers, E. Falk, H. Schumann) Ich würde sagen: Alles Baustellen, welche die freie Figurentheaterszene seit Jahrzehnten beschäftigen. Und es werden wohl Dauerbaustellen auf unabsehbare Zeit bleiben! – www.materialtheater.de – www.figurenkombinat.net
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EINE WETTE AUF MAGISCHE MOMENTE Ein Gespräch mit Élise Vigneron, Julika Mayer und Petra Szemacha zum internationalen Projekt „RE-MEMBER“ Am Puppentheater Magdeburg werden aktuell in einer internationalen Zusammenarbeit zwischen dem Ensemble und den Künstlerinnen Élise Vigneron und Julika Mayer die Produktionsarten des klassischen Repertoirebetriebs hinterfragt. „RE-MEMBER“ entsteht in prozesshafter Arbeitsweise, in die die Spieler:innen von Beginn an künstlerisch eingebunden sind, sodass das Projekt weit über die für ein Stadttheater typische Inszenierungsarbeit hinausgeht. Für double sprach Diane Sinizergues mit den Künstlerinnen Élise Vigneron und Julika Mayer sowie Petra Szemacha, der Chefdramaturgin des Puppentheaters Magdeburg. Wie ist das Projekt entstanden? Wie habt ihr euch zusammengefunden? Petra Szemacha: Das Preisgeld des Theaterpreises des Bundes, den 2019 das Puppentheater Magdeburg gewann, eröffnete uns die Möglichkeit, einem schon länger gehegten Wunsch nachzugehen. Unser Ensemble mit seinen individuellen Künstler:innen sollte stärker in den künstlerischen Entstehungsprozess involviert werden. Im normalen Betrieb stehen dem Team sonst fünf oder sechs Wochen Proben bis zur Premiere zur Verfügung. Hier sollten alle von Anfang an künstlerisch involviert sein, wenn möglich, in einem internationalen Projekt. Von Anfang an war auch klar, dass wir dafür eine offene Produktionsweise ermöglichen wollen – das ist etwas, das uns eher aus der Freien Szene bekannt ist. Élise Vigneron: Ich hatte nie daran gedacht, mit einem deutschen Theater zusammenzuarbeiten, aber ich kannte Frank Bernhardt schon seit zehn Jahren. Als er mit diesem Auftrag zu mir kam, habe ich vorgeschlagen, mit Julika zu arbeiten. Wir haben viele Gemeinsamkeiten, da wir beide an der ESNAM in Charleville-Mézières studiert haben und unsere künstlerische Praxis viele Ähnlichkeiten aufweist. Der Auftrag von Magdeburg gab uns die Gelegenheit, eine Ko-Inszenierung zu machen. Julika Mayer: Das Projekt ist eine Begegnung auf mehreren Ebenen: Es ist ja eine deutsch-französische Begegnung zwischen Élise und mir sowie von zwei künstlerischen Arbeitsweisen und Regie-Ansätzen, aber auch eine Begegnung mit dem Magdeburger Ensemble, das eine lange Tradition hat. Ich bin selbst von meiner Arbeit zwischen Deutschland und Frankreich sehr geprägt und sammele seit einigen Jahren auch Erfahrungen an staatlichen und städtischen Theaterinstitutionen.
Ein Ensemble aus individuellen Künstler:innen Wie waren eure Wünsche an das Projekt zu Beginn? PS: Wir wollten etwas Neues für das Ensemble probieren, anders arbeiten. Die Ensemblespieler:innen sind alle individuelle Künstler:innen und wir wollten, dass sie – mehr noch als sonst – als Künstler:innen involviert sind und sich einbringen können. Nicht nur auf der Bühne, sondern auch in der Entstehung und beim künstlerischen Wachsen des Projekts. Sie sind in diesem Projekt mehr als Interpret:innen; das sind sie auch schon in vielen Inszenierungen, aber hier in einem sehr, sehr hohen Maße. JM: Ich habe das Gefühl, dass die Puppentheater-Institutionen, insbesondere in den neuen Bundesländern, auch daran interessiert sind, mit freischaffenden Künstler:innen zusammenzuarbeiten. Das sind Orte mit unglaublichen Ressourcen: Einerseits die große Professionalität und Routine der Darsteller:innen mit ihrem genialen Spielniveau, aber auch die Werkstätten, dramaturgische Begleitung, Ausstattung etc. Diese Theater zeigen für mich einerseits eine gewisse Einschränkung und Grenzen in ihrem System des eng getakteten Repertoirebetriebs, gleichzeitig verfügen sie aber auch über unglaubliche Möglichkeiten. Wenn man hier ansetzt und dieses Zusammensein, dieses Zusammenführen praktiziert als eine Art Teamsport, was Theater ja ist, es ernst nimmt und mit Lust ran geht, was in Magdeburg passiert ist, werden großartige Möglichkeiten freigesetzt. Kam die Projektidee aus einem Impuls der Theaterleitung heraus oder gab es klare Wünsche vom Ensemble, im künstlerischen Prozess mehr involviert zu werden? PS: Im Ensemble haben wir zehn individuelle Persönlichkeiten mit jeweils verschiedenen Wünschen: Was bedeutet es für sie, im Ensemble zu spielen? Auf der Bühne zu stehen? Wir als Theaterleitung stehen im permanenten Dialog mit ihnen und es wird automatisch auch über Sehnsüchte gesprochen. Außerdem sieht das Ensemble andere Formen des künstlerischen Ausdrucks in unserem Genre bei den Gastspielen im Rahmen unseres Festivals Blickwechsel. Dadurch entsteht eine Art Dialog zwischen dem Festival
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und dem festen Haus mit Repertoirebetrieb. Solche Momente führen zu Reflexionen darüber, was der tägliche Spielbetrieb für das Künstler:innen-Dasein im Ensemble ausmacht. Das Projekt entstand auf jeden Fall aus Wünschen vom Ensemble, aber nicht konkret zu diesem Projekt, das wir ja im Dialog mit Élise und Julika entwickelt haben. Ihr habt euch 2022 zu einem Workshop und dann zu einer ersten Forschungsphase in Magdeburg getroffen. Im September findet die dritte Etappe in Frankreich statt. Wie war die Zusammenarbeit bis jetzt? ÉV: Zuerst hatten wir fünf Tage Laboratorium mit den zehn Spieler:innen des Ensembles, um unsere künstlerische Praxis zu erforschen. Wir hatten mit Julika ein Programm mit Improvisationen, Austausch, Forschungsmomenten, auch im Wald, vorbereitet. Julika wollte von Anfang an mit dem unglaublichen Puppenfundus des Theaters arbeiten und ich mit Materialien aus der Natur. Die eine hat die andere inspiriert. Parallel konnten die Spieler:innen ihre Wünsche äußern und sagen, was dieses Labor mit ihrer künstlerischen Praxis zu tun hat. Es gab eine echte Synergie bei der Arbeit. Wir sind nicht dabei, alles zu inszenieren und über allem zu stehen. Es sind die Spieler:innen, die uns inspirieren. Wir waren und sind ständig im Dialog. Nach dem Workshop sollten wir fünf Spieler:innen für die weitere Arbeit auswählen, wobei keine:r gezwungen wurde mitzumachen. Das ist das Wunderbare am Projekt: Wir haben uns wirklich gegenseitig gewählt. Die Spieler:innen geben viel von sich preis, von ihrer Intimität und auch, wie sie sich in Bezug auf ihre Praxis und das Projekt positionieren. Wir hatten mehrere Berührungspunkte: unsere Praxis als Puppenspieler:innen, aber auch unsere Beziehung zur Natur, aus der sich ein zeitgenössischer Bezug zum Begriff Anthropozän ergab. Wir waren uns schnell einig, dass unsere Kunstpraxis von der heutigen Welt erzählt. Wir arbeiten zusammen an etwas Gemeinsamen, als Herz, als ein Teil oder Fragment der Menschheit, und gleichzeitig sind wir sehr verschieden und haben unterschiedliche Visionen. Das ist, was uns an dem Projekt interessiert: Wie sind wir zusammen? Puppentheater Magdeburg, Proben zu RE-MEMBER. Foto: Joachim Fleischer
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JM: Genau. Wir sind von den Begegnungen ausgegangen und haben darauf aufgebaut. Ich finde anthropologische Vorgehensweisen inspirierend, wir befinden uns mit diesem Projekt wie in einer Art Feldforschung. Das Feld hier sind der Ort und die Begegnungen zwischen den einzelnen künstlerischen Praxen und Personen.
Offenheit jenseits der Komfortzone Wie hat das Ensemble darauf reagiert? PS: Es gab im Ensemble eine große Begeisterung für das Projekt und die Zusammenarbeit mit Élise und Julika. Und zugleich gab es eine große Bereitschaft, sich auf etwas Unbekanntes einzulassen und das in viel größerem Maße als sonst. Sowohl nach dem Workshop, bei dem alle zehn Puppenspieler:innen dabei waren, als auch nach der ersten Forschungsphase mit den fünf Besetzten. Alle in ihrem eigenen Tempo und in der Art, wie sie sind. In unserem Vorgespräch, an dem auch das Ensemble teilgenommen hat, haben die Puppenspieler:innen erzählt, dass sie sich viel nackter gefühlt haben. JM: Ja, nackt in dem Sinne, dass sie sich einbringen, zeigen, die Komfortzonen verlassen, Risiken eingehen. Im Repertoirebetrieb müssen sie auf eine bestimmte Art und Weise funktionieren und die Spieler:innen sind in ihrer Arbeit sehr gut optimiert. An einem bestimmten Punkt wird vielleicht ein Schutz aufgebaut. Bei unserem Projekt müssen sie sich öffnen. Das ist ein riesiges Geschenk für uns. Wir hatten es zwar gehofft, aber es ist immer eine Wette. Man weiß nie, ob es funktioniert. Hier hat sich etwas wirklich entwickelt. Irgendwie magisch! Julika, Élise, inwiefern hat die Zusammenarbeit mit einem deutschen Ensemble mit all seinen Besonderheiten eure Arbeitsmethoden in Frage gestellt? Puppentheater Magdeburg, Proben zu RE-MEMBER. Foto: Joachim Fleischer
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ÉV: Ich als Außenstehende bemerke den Unterschied zwischen Repertoirebetrieb und Freier Szene nicht. Man spürt zwar, dass das Ensemble miteinander verbunden ist und die Spieler:innen über eine gewisse Virtuosität, eine tägliche Praxis verfügen, die schon bemerkenswert ist. Ansonsten bleiben sie sehr frei in ihrer Art zu kreieren und sind wie ein Team, das ich für eine freie Produktion hätte rekrutieren können. Die größte Herausforderung für mich ist eher die Tatsache, dass ich mit Menschen aus einem anderen Land arbeite. In einer anderen Sprache, an einem fremden Ort. JM: Als Professorin für Figurentheater an der HMDK Stuttgart, als diejenige, die mitverantwortlich ist für den Nachwuchs und die Zukunft unseres Genres, ist es für mich außerdem spannend zu hinterfragen, wie man die bestehenden Theaterinstitutionen entwickeln kann. Als Hochschule werden wir von den Theatern darauf hingewiesen, wie schwer es manchmal ist, Spieler:innen für feste Engagements zu finden. Wie können wir dafür sorgen, dass diese Strukturen nicht aussterben und wie können wir die Möglichkeit schaffen, die künstlerische Ausbildung mit diesen Institutionen in Resonanz treten zu lassen? Anstatt zu sagen, dass diese Institutionen veraltet und nicht mehr spannend sind, ist es unsere Herausforderung, sie gemeinsam umzugestalten, mit unserer Zeitgenossenschaft neu zu „besetzen“.
Neue Räume für mehr Zufall Petra, möchtet ihr solche Projekte weiter dem Ensemble anbieten? PS: Sehr gern, aber solche Projekte sind mit normalen Mitteln im Repertoirebetrieb schwer zu realisieren und zusätzliche Förderung ist nötig. Darüber hinaus braucht eine solche freie Produktion sehr viele Ressourcen aus dem Haus, da viel offengelassen wird und dies in die Produktionsplanung der gesamten Spielzeit eingreift. Nicht nur das Ensemble muss mitmachen, sondern das ganze Haus: die Gewerke, das Atelier, selbst die Verwaltung. Was nehmen die Künstler:innen aus dem Projekt in ihre alltägliche Theaterpraxis mit? Bemerkst du schon Unterschiede in ihrer Arbeitsweise? PS: Für eine generelle Aussage ist es zu früh, aber all die Erfahrungen gehen in die Körper rein und es wird sich in der einen oder anderen Form in den nachfolgenden Produktionen widerspiegeln. Daran glaube ich fest. Unsere Puppenspieler:innen nehmen sich selbst mit einer größeren Durchlässigkeit neu wahr, aber auch die anderen Mitspieler:innen. Das ist ein großer Gewinn. Wird auch die traditionelle Rollenaufteilung Regie/Darsteller:in/Dramaturgie stärker durch die Spieler:innen hinterfragt? PS: Zum einen forderten Élise und Julika unsere Puppenspieler:innen gezielt auf, sich mit Texten einzubringen, die sonst eher im Dialog von Regie und Dramaturgie geteilt werden. Zum anderen stehen bei uns in Magdeburg nicht alle ausschließlich auf der Bühne. Einige Puppenspieler:innen sind auch Regisseur:innen, die anderen kennen sie in dieser doppelten Rolle. Die Ensemblemitglieder werden dazu ermutigt, eigene Projekte zu starten. Nicht für den kompletten Spielplan, aber das ist bei uns möglich. Der große Unterschied in Magdeburg ist die Eigenständigkeit des Puppentheaters. Oft ist das Puppentheater eine Sparte in einem Theater und dazu die kleinste, die in den Abläufen vom ganz großen Haus steckt. Andere Projekte oder Arbeitsweisen sind zwar möglich, es hängt allerdings sehr stark von der künstlerischen Leitung ab. JM: Es gibt ein Rhythmusproblem. Oft muss an den großen Häusern am ersten Probentag das Stück stehen: Bühnenbild, Puppen etc. sind am besten schon gebaut, die Rollen verteilt. Das liegt am Rhythmus des Repertoirebetriebs. Ich glaube aber, dass die kreativen Schaffensprozesse sehr unter diesem Vorplanungsdruck leiden. Eine Stückentwicklung auf der Bühne während der Proben ist so kaum möglich: Unsere Vorstellungskraft ist viel eingeschränkter, wenn wir am Tisch oder überwiegend konzeptionell arbeiten. Dem Zufall wird kaum Raum gelassen. Für unsere Vorgehensweise braucht man viel Energie und Durchsetzungsvermögen, das „noch nicht zu wissen“ zu verteidigen, dem Ungewissen Raum zu geben. Als Künstlerin schlage ich nur eine Methode, einen Weg, kein fertiges Produkt vor. Dafür muss man das Vertrauen der Theater und der Teams gewinnen. Ich denke aber, dass diese offene Vorgehensweise auch in der Institution möglich ist. – www.puppentheater-magdeburg.de – www.julikamayer.com – https://lentrouvert.com Puppentheater Magdeburg, Proben zu RE-MEMBER. Foto: Joachim Fleischer
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KOMPOSTIEREN STATT NETZWERKEN Ein Plädoyer für Pilze als Stichwortgeber Stefanie Wenner, Professorin für Angewandte Theaterwissenschaft und Künstlerin, beschäftigt sich in ihrer künstlerischen Forschung seit einigen Jahren mit dem größten Netzwerk der Welt: Mykorrhiza oder Wood Wide Web. Für double denkt sie darüber nach, was das Theater und seine Institutionen von Pilzen lernen können. Von St e f a ni e We nn e r /// Mykorrhiza nennen wir ein Geflecht aus Pilzen und Pflanzen, das gemeinschaftliche Interessen zu verfolgen scheint. Über von Menschen definierte Speziesgrenzen hinweg gelingt es Pilzen und Pflanzen Informationen ebenso wie Nährstoffe auszutauschen. In der Logik der Systeme, die wir begrifflich nutzen, um Welt beschreibend hervorzubringen, bezeichnen wir Menschen dieses Zusammenwirken als Netzwerk. Der Gedanke des Netzwerkes wird in Bezug auf Ökologie als ein sich selbst regulierendes System unter anderem von Peder Anker, einem Historiker an der New York University, kritisch diskutiert. Ökologie ist ihm zufolge in ihrer historischen Ausdifferenzierung zutiefst verflochten mit rassistischer Ideologie des Imperialismus ebenso wie mit einer kybernetischen Ordnung der an Computerprozessen orientierten westlichen Kosmologie post 1945. Kurz gesagt existieren Ökologie und eine prästabilierte Ordnung auf der Erde ebenso wenig wie ein Netzwerk von Mykorrhiza. Dies sind lediglich Worte, die wir verwenden, um diese Dinge zu beschreiben, die sie aber zugleich in dieser Existenzweise zumindest für uns hervorbringen.
Die grossen Transformatoren Über Mykorrhiza wissen wir noch recht wenig, noch weniger aber über das Potential von Pilzen. Pilze sind keine Pflanzen, sie sind keine Tiere, sie sind ihre eigene Spezies. In jedem Fall aber sind sie sowas wie die große Müllabfuhr. Wenn es etwas gibt, das zu zersetzen, zu zerlegen und zu kompostieren ist, sind Pilzorganismen in der Regel beteiligt. Als große Transformatoren sind Pilze unter anderem dazu in der Lage, von Menschen gemachte Verschmutzungen zu beseitigen, Strände von Öl zu befreien und dabei sogar noch für andere Organismen verzehrbare Nahrung zu produzieren. Worin sie nicht so gut sind, ist Photosynthese. An diesem großen Wunder der Pflanzenwelt nehmen sie unterirdisch Anteil über Mykorrhiza. Mykorrhiza existiert in sehr unterschiedlichen Formen, manchmal so, dass es zwischen Pflanzen und Pilzen geteilte Körper gibt, bei denen unklar ist, wo das eine anfängt und das andere endet. Auf diese Weise sind Pilze und Pflanzen gemeinsam dazu in der Lage, riesige Mengen an Kohlendioxid unterirdisch zu halten, was für die Stabilisierung des Klimas von unschätzbarem Wert ist. Dieser Prozess benötigt Licht und Wasser; Wasser, das knapp werden kann, wenn es nicht regnet. In diesem Sinne sind wir als Menschen eingelassen in diesen Vorgang, der weit über ein sichtbares oder unsichtbares Netzwerk hinausgeht und weitreichende Verflechtungen des Planeten Erde beinhaltet. Wenn über Mykorrhiza als Netzwerk gesprochen wird, dann wird ein Bild von etwas von Menschen Gemachtem verwendet, um über das zu sprechen, was wir Natur nennen. Die Trennung von Natur und Kultur ist indes in der Vorstellung der Opposition einer vorgefundenen und einer hergestellten Realität selbst prekär, denn jede Rede von Natur ist Teil von Kultur. Natur ist genauso unsere Kultur wie zum Beispiel Theater und die vorgestellte Trennung selbst ist nicht nur prekär, sondern sogar ein Problem. Genauso wenig, wie mein menschlicher Körper getrennt ist von Pilzen, die Teil meines Stoffwechsels sind und die ich in meiner Existenz ebenso benötige wie Bakterien, ist Natur getrennt von Kultur vorstellbar. Ebenso wenig ist ein Publikum vorstellbar, das wahrhaftig getrennt wäre von denjenigen, die etwas aufführen. Westliche Kultur ist allerdings spätestens seit dem Zeitalter der Aufklärung und der Industrialisierung mit der Etablierung und Wahrung dieser Grenzen befasst. Wenn Natur außerhalb steht, menschliche Körper nicht Teil der Verflechtungen sind, die weit über Mykorrhiza und die Vorstellung eines Netzwerkes hinaus Leben auf der Erde ausmachen, dann lässt sich diese ausgelagerte Natur eben auch ausbeuten, nutzen, verbrennen. Der epistemologische Schnitt ist so wirksam, dass alles nicht von Menschen Gemachte nicht als Teil von Kultur erzählt wird; Natur umgekehrt abgesprochen wird, intelligent zu sein. Natur wird einerseits glorifiziert und andererseits zerstört: Der Krieg gegen die Erde mit unseren menschlichen Körpern aus Wasser, Eisen, Kupfer usw., die mit der Luft der Bäume beatmet werden, ist in vollem Gange. Die Vorstellung von einem Netzwerk, das produziert und Mehrwert generiert, auf Wachstum orientiert ist und dabei den Verfall als Scheitern wahrnimmt, behauptet sich gegen den eigenen Verfall. Demgegenüber sind Mykorrhiza und Pilze mit der Wiederverwertung dessen befasst, was keine eigene Lebenskraft mehr hat. Vielleicht sind Pilze so etwas wie die Aasfresser des Waldes. Was wir Netzwerk nennen im Kontext von Pilzen und Pflanzen, wäre vielleicht weniger in der Logik der Kybernetik zu situieren denn
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als Kollektivkörper zu verstehen, der sich nicht um individuelle Grenzen und Ressourcen schert, sondern sich um den gemeinsamen Prozess von Leben und Vergehen sorgt.
Kollektive Körper Von Pilzen lernen könnte also bedeuten, bestehende Institutionen und Systeme nicht um jeden Preis aufrechtzuerhalten, sondern den Verfallsprozess kompostierend zu begleiten und zu beschleunigen. Bestehende Institutionen mit ihren Konzepten von Öffentlichkeit, von handelnden Perfomer_innen und konsumierenden Gästen erhalten sich vor allem selbst. Die sie bespielen, Künstler_innen zumeist, leben vielfach in Konkurrenz zueinander und sind aufgrund mangelnder Kooperationen, Solidarität oder eben aufgrund einer mangelnden Idee eines gemeinsamen Stoffwechsels wie erstarrt. Mykorrhiza wird von Bäumen genutzt, um miteinander zu kommunizieren. Wir wissen inzwischen, dass Bäume auf diesem Wege sogar Kontakt mit ihrem Nachwuchs halten und auch vor Fressfeinden wird mittels Mykorrhiza gewarnt. Was im Wald stirbt, wird dann aber von unterschiedlichen Organismen, auch von Pilzen, zersetzt und zu neuem Leben transformiert. Auch mein menschlicher Körper, wenn ich denn einmal gestorben sein werde, kann in der Erde neues Leben generieren. Das mag morbid klingen, beschreibt aber einen Stoffwechselprozess, der nicht ein wachsendes Netzwerk, sondern einen Kollektivkörper im Prozess von Kompostieren und Rekreieren umfasst. Wir müssen Zerfall und Zerstörung als Teil des Werdens wahrnehmen lernen, um diese Welt zu verändern. Pilze können hierfür Stichworte liefern. – apparatusberlin.de Ruth Wenner, aus der Serie sottobosco von apparatus, fortlaufend seit 2019
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EIN FESTIVAL ALS REFLEXIONSRAUM Ein Gespräch zu Figure it out im Westflügel Leipzig Figure it out. Internationales Treffen für Figurentheater + Showcase am Westflügel Leipzig erfüllte den von Festivals oft behaupteten und selten eingelösten Anspruch, nicht nur eine Abfolge von Events zu bieten, sondern auch in den vertieften Austausch untereinander und mit dem Publikum zu gelangen. Tom Mustroph sprach für double mit der Theaterwissenschaftlerin Jessica Hölzl, die gemeinsam mit Julia Lehmann das Diskursprogramm organisierte, und Dana Ersing vom kuratorischen Team des Westflügels, das für das Showcase aus insgesamt 12 Produktionen verantwortlich war. Jessica Hölzl, Dana Ersing, das Festival Figure it out hatte drei Komponenten: Das Showcase mit zwölf Produktionen sowie der „Late Night Junges Figurentheater“, das Diskursprogramm für internationales Fachpublikum und die experimentellen Feedback-Formate. Zunächst zum Diskursprogramm: Was hat sich dort an Themen und Aspekten herauskristallisiert? Jessica Hölzl: Wir hatten an den drei Vormittagen des Festivals jeweils die Morning Sessions mit Fachpublikum und den Künstler*innen. Am ersten Tag ging es um die Möglichkeiten des Kuratierens. Drei Sprecher*innen stellten kurz ihre Arbeit vor: Wie wird kuratiert, wie funktionieren verschiedene Konzepte und Konstellationen? Das war auch für den Westflügel interessant, wo es ja nicht eine künstlerische Leitung gibt, sondern es sich beim Kuratieren um einen Teamprozess handelt. Dana Ersing, Sie gehören zum Team des Westflügels. Was an nachahmenswerten Impulsen haben Sie gefunden? Dana Ersing: Etwas ganz Konkretes nicht. Es war aber interessant zu erfahren, welche Herausforderungen beim Kuratieren auch andere haben. Maxence Rocheteau vom Festival Mondial des Théâtres de Marionnettes in Charleville-Mézières hat davon gesprochen, dass sie sehr vielen unterschiedlichen Zielgruppen gerecht werden müssen. Allein die Spanne zwischen dem internationalen Fachpublikum und den Menschen vor Ort ist schon groß. Das ging uns bei Figure it out ja ähnlich. JH: Bei der nächsten Morning Session beschäftigten wir uns mit Netzwerken und Allianzen. Da unterscheidet sich natürlich ein Haus wie das FITZ Stuttgart in Deutschland sehr von einem kleinen Haus in Litauen, das das einzige unabhängige Haus im ganzen Land ist und zu internationaler Zusammenarbeit regelrecht gezwungen ist, wenn es mit freischaffenden Akteur*innen und Produktionszentren kooperieren, selbst verwaltet arbeiten und eigenen ästhetischen Interessen und künstlerischen Fragestellungen nachgehen möchte. Am dritten Tag legten wir unter dem Titel „Neue Barrieren in Europa“ das Augenmerk auf Situationen in Schottland, Polen und Ungarn. Es ging um das Verhältnis von Kunst, Kultur und politischer Verwaltung, um Themen wie Finanzierung, Rechtsruck und Konservativismus, aber auch um spezifische Förderstrukturen, die vielleicht problematisch sind. Es war eine sehr bereichernde Runde, weil die Teilnehmer*innen nach drei Tagen bereits ausgiebig miteinander ins Gespräch gekommen waren und sich dann auch wirklich sehr intensiv über Bedürfnisse und Möglichkeiten der Unterstützung innerhalb der Szene austauschen konnten. Welche Barrieren haben sich als die hinderlichsten herausgestellt? JH: Es ging schon viel um Struktur und Förderung. DE: Und auch um Zensur – das Wort wurde schon in den Mund genommen, gerade in Bezug auf Polen. Was können wir überhaupt noch beantragen als freie Gruppe, was wird überhaupt gefördert? Und es ging um die grundsätzliche Frage: Macht man, wenn man keine Förderung erhält, trotzdem das Projekt und zeigt damit dem Staat: Wir können es auch so! Oder sagt man: Nein, wir machen es nicht, um zu zeigen, dass wir Unterstützung brauchen. Wie war da das Stimmungsbild? JH: Es war superkontrovers. DE: Ich würde sagen, es ging eher in Richtung trotzdem machen, weil nur so etwas beim Publikum entstehen kann. Es wäre so viel verloren für die Gesellschaft, wenn beispielsweise ein Festival nicht stattfindet. Die Verantwortung ist also, es trotzdem stattfinden zu lassen. Aber so richtig geeinigt haben wir uns nicht. Mir ist in dem Kontext noch einmal deutlich geworden, dass in dieser Runde auch Künstler*innen auf dem Podium saßen und dass wir in Zukunft, wenn wir so eine Showcase mit Konferenzprogramm noch einmal veranstalten, versuchen werden, das anders zu lösen. Denn es gibt das Dilemma, dass die Künstler*innen abends spielen und tagsüber aufbauen und für diese Runden einfach
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wenig Zeit haben. Beim nächsten Mal müssen wir das Programm so legen, dass auch die Künstler*innen Zeit haben, an der Konferenz gut teilnehmen zu können. Das ist schließlich auch etwas, was den Westflügel ausmacht: Dass in unserem Team Spieler*innen mit kuratieren. Aufgefallen ist mir, dass viele Stücke im Programm vertreten waren, die schon einige Jahre im Repertoire der jeweiligen Gruppen sind. Klar, es ging darum, die mit dem Westflügel verbundenen Künstler*innen zu präsentieren. Aber es ist für ein Festival doch ungewöhnlich, so gar nicht auf Neuheiten zu setzen. Wie hat dies das Stammpublikum aufgenommen, dass ja wahrscheinlich viele Produktionen schon kannte? DE: Es gab auch einige neuere Stücke wie „Die Blumen des Bösen“ vom Figurentheater Wilde & Vogel, aber auch welche, die im Westflügel noch gar nicht gezeigt wurden, beispielsweise „Stadt. Land. Kuh“ von flunker produktionen oder „Straszka Pospolita“ von Grupa Coincidentia. Und „My Psychedelic Diary“ von Christoph Bochdansky hat noch nicht bei uns stattgefunden. Wir zeigen
Westflügel Leipzig, Figure it out. Foto: Thilo Neubacher
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im Westflügel traditionell nicht immer nur die neuesten Produktionen der Gruppen. Unser Publikum kennt es, dass Stücke alle paar Jahre wiederkommen, und viele haben inzwischen den Reiz des Wiedersehens erkannt. Sie sind tatsächlich überzeugt, dass nicht nur Ihnen, also den Figurentheaternerds hier im Hause, sondern auch dem Leipziger Publikum diese Art von Wiedersehen älterer Produktionen gefällt? DE: Auf jeden Fall. Das bekommen wir auch gesagt, wenn wir Stücke wieder ins Programm nehmen: Ah, hier kommt wieder „Krabat“ oder „Dust“. Und es wird auch immer wieder gefragt: Ich habe das Stück jetzt nicht gesehen, wann kommt es wieder? Oder: Ich wollte das noch meiner Freundin zeigen. Also ich glaube nicht, dass das Publikum das als langweilige Wiederholung empfindet. Klar, Nachhaltigkeit ist ein viel genutztes Wort, aber im Falle des Westflügels stimmt es wirklich. Es ist gar nicht unser Anliegen, die Künstler*innen zu drängen, immer neue Stücke zu produzieren, sondern auch Wiederaufnahmen zu machen, ein Stück zu überarbeiten, zu schauen, was daran noch aktuell ist, und eher so zu denken, dass Stücke einfach über Jahre eingespielt werden. Wie viele Kurator*innen aus dem In- und Ausland waren zum Festival eingeladen? Und weil es sich ja auch um einen Showcase handelte: Wie war das Feedback im Sinne von Einladungen einzelner Produktionen? DE: Es waren 15-20 Kurator*innen beim Festival. Der Westflügel selbst hat ja kein angestelltes Hausensemble, sondern nur mehr oder weniger fest mit dem Haus assoziierte Ensembles, die ihre Gastspiele und Koproduktionen selbst organisieren. Ich weiß, dass es für einige Stücke Interesse der Kurator*innen gab, aber abgefragt haben wir das nicht. Ihr eigenes Augenmerk als Festivalorganisatorinnen lag also weniger auf dem Verkauf fertiger Produktionen, sondern richtete sich mehr auf das Feld der Kooperationen, Koproduktionen und Austauschformate? DE: Genau. Unser Kontakt als Spielstätte war während des Festivals mit den Kolleg*innen aus anderen Häusern eher vom Austausch zu den aktuellen Herausforderungen geprägt, aber auch zu zukünftigen Zusammenarbeiten und Netzwerken. Diesen Fachaustausch habe ich als sehr gewinnbringend empfunden, gerade in Bezug auf eine gegenseitige Stärkung, Unterstützung und Solidarität innerhalb der internationalen Figurentheaterszene. Es war uns aber wichtig, den Künstler*innen, die das Haus in den letzten Jahren begleitet haben, die Möglichkeit zu bieten, ihre Produktionen einem internationalen Fachpublikum vorzustellen, damit sich dadurch in Zukunft Gastspielmöglichkeiten oder Koproduktionen für sie ergeben. „Figure it out“ versuchte auch, den Dialog mit dem Publikum anders zu gestalten. Welche Formate wurden entwickelt? JH: Es gab zum einen die Nach(t)gespräche. Dafür hinterließ man nach den Abendvorstellungen seine Telefonnummer und erhielt per SMS eine Nummer einer anderen interessierten Person für ein Telefonat etwa fünfzehn Minuten nach Ende der Vorstellung. Für die Kurzstücke am Nachmittag baute eine Künstlerin kleine Boxen für Feedbackzettel. Zu jeder Produktion, außer zu den Kurzformaten, luden wir als Special Guest eine*n Künstler*in oder Wissenschaftler*in ein, der*die einen interdisziplinären Anknüpfungspunkt zum jeweiligen Stück findet und im zeitlichen Abstand von zwei Wochen einen Text, ein Bild oder ein Audiofile dazu erstellt. Als Künstler*innennachgespräche hatten wir Table Talks an schön gedeckten Tischen, die von einem*r Gastgeber*in moderiert wurden. Es gab Essen für alle, jede*r konnte sich dazusetzen und ganz zwanglos ins Gespräch kommen. War Figure it out eine einmalige Gelegenheit oder denken Sie an regelmäßige Wiederholungen im ein- oder zweijährigen Rhythmus? DE: Jetzt ist es noch zu früh, etwas in Stein zu meißeln. Aber wir haben schon im Westflügel darüber gesprochen, ob wir es in drei Jahren in ähnlichem Rahmen noch einmal machen – es war doch ein sehr schönes Erlebnis in unserem Haus und alles ist gut aufgegangen. Es wird sicher nicht das letzte Mal gewesen sein. Jetzt finden erst einmal ähnliche Formate in unseren Allianz-Partnerhäusern statt: 2023 in der Schaubude Berlin und 2024 im FITZ Stuttgart. – www.westfluegel.de Westflügel Leipzig, Figure it out. Foto: Dana Ersing
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AUF SPURENSUCHE ZWISCHEN ZWEI THEATERWELTEN Rückblick auf ein Auslandssemester an der ESNAM in Frankreich Von L e a h We w o d a /// Wie, sie klatschen hier schon bei der Generalprobe? Statt dreimal Toitoitoi über die Schulter zur Premiere gibt es nur ein „merde“ in die Runde? Die ungeschriebenen Theatergesetze stehen schnell Kopf, als ich mich von Februar bis Juli nach Frankreich an die „École Nationale Supérieure des Arts de la Marionnette“, kurz ESNAM, in Charleville-Mézières begebe. Auf Spurensuche nach den Nuancen in der Probenarbeit schließe ich mich hier für ein Semester dem derzeitigen Jahrgang, der ‚13. Promotion‘ an. In Berlin studiere ich an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Zeitgenössische Puppenspielkunst. Es ist eher die Ausnahme, dass Studierende der HfS ins Ausland gehen, umso mehr freue ich mich, dass dieser Traum in Erfüllung geht. Am Rande sei gesagt, dass der Hochschulalltag an der ESNAM derzeit von Umstrukturierungen geprägt ist, die ‚13. Promotion‘ meldet sich zu Wort als „treize en colère“, „die wütende Dreizehn“. Bleibt zu hoffen, dass sich ihr Einsatz für eine pädagogische Begleitung und konstante Hochschulleitung auszahlt. Zwei Schulen, zwei Strukturen – während in Berlin sieben Studiengänge unter einem Dach sind, konzentriert sich Charleville auf Puppenspiel. Das bedeutet, dass rund 25 Personen ein Gebäude für sich haben. Die ESNAM nimmt, anders als Berlin und Stuttgart, wo jedes Jahr Aufnahmeprüfungen stattfinden, nur alle drei Jahre neue Studierende auf. Den Austausch der Studienjahre und -gänge in Berlin schätze ich sehr – aber ich genieße in Charleville den Luxus, als Puppenspielstudierende alle Räume exklusiv nutzen zu können. In der Berliner Klasse sind wir in Szenenstudien à drei bis vier Studierende aufgeteilt, in Charleville findet aller Unterricht in der Gruppe statt. Einzelunterricht wie Sprechen und Gesang gibt es keinen. Über die Zeit des Aufenthalts wird mir bewusst: die Eins-zu-Eins-Situation lässt zu, sich gezielt den persönlichen Herausforderungen zu widmen. Hierfür lässt der Gruppenunterricht weniger Raum, weshalb das Arbeiten für mich anfangs sehr ungewohnt ist. Doch er fordert auch dazu heraus, Diskussionen mit Gelassenheit zu begegnen – und sich im besten Fall in der Mitte zu treffen. Das schweißt zusammen. Bewusst wird mir das bei einem Gastspiel im Schloss Vincennes bei Paris. Mit Texten aus Shakespeares „Henry V“ und choreographischem Material hatten wir eine Collage konzipiert. Im Schloss aber war die Spielsituation eine völlig andere als auf der Hochschulbühne; einzelne Gemächer wurden zur Spielstätte, das Publikum kam in einem Rundgang dazu. Ein Durchlauf, und los ging es. Dass in der kurzen Zeit alles gelungen ist, ist meiner Meinung nach der täglichen Gruppenarbeit zu verdanken. Rückblickend konnte ich in diesem Projekt am meisten über mich hinauswachsen. Das erste Mal auf Französisch auf der Bühne mit diesem Klassiker der Weltliteratur erfordert detaillierte Textarbeit und Üben, Üben, Üben. Ein Sprung ins kalte Wasser – und genau richtig, um die Mutschwelle zum Sprechen wie beiläufig zu überwinden. Reich an Eindrücken gehe ich wieder zurück – und bin stolz, dass die französische Klasse das Toitoitoi übernommen hat. Eine Nuance der Probenarbeit. – marionnette.com King Henry V im Schloss Vincennes. ESNAM 13 Charleville Mézières, Foto: Marina de Munck
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DIE PUPPE UND DIE ZUKUNFT 50 Jahre Studiengang Zeitgenössische Puppenspielkunst in Berlin 1972 wird an der damaligen Staatlichen Schauspielschule Berlin das Angebot um Puppenspielkunst erweitert und der erste Studiengang für ein Theater der Dinge im deutschsprachigen Raum geboren. Zum 50. Jubiläum gestalteten Studierende, Lehrende und Alumni ein kompaktes Programm aus künstlerischen Beiträgen und Gesprächsrunden, in denen Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Ausbildung befragt wurden. Von Ka t j a K o l l m a nn /// Drei Tage im Juli an der Hochschule für Schauspielkunst (HfS) Ernst Busch in Berlin: goldene lamettaartige Papiervorhänge konterkarieren 72 Stunden lang das ruhige Grau des Sichtbetons, an das man sich gewöhnt hat nach dem Einzug der verschiedenen Studiengänge in das lang ersehnte gemeinsame Haus in Berlins Mitte. Streckt man jetzt die Arme nach oben, dann kann man diese übergroßen Goldfäden sogar berühren. Und man ist so ganz kurz eins mit diesem Papierwesen, das auf jede nachbarschaftliche Bewegung mit einer wunderbaren Verspieltheit reagiert. Mit dieser Installation und einem opulenten Programm, zu dem AbsolventInnen und MitstreiterInnen und alle, die kommen wollten, eingeladen waren, beglückwünschte sich der Studiengang Zeitgenössische Puppenspielkunst zu seinem 50. Geburtstag. Das zweite Juliwochenende, an dem die Feier stieg, musste sich laut Programmzettel aufteilen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Menschen wuseln herum zwischen „Bühne oben“ und „Bühne unten“. „Was war“ quillt über von gelebtem Puppen- und PuppenspielerInnen-Leben. Fällt man durch die Tür des Raumes 1.32, hört man die Stimme Lutz Großmanns, Puppenspiel-Student zu einer Zeit, als dieses Jahrtausend noch frisch und unverbraucht war. Der bringt „seinen“ Kasper mit, den unzerstörbaren Evergreen des Puppenspiels, und führt ihn zu den großen Baustellen des Lebens: Liebe, Krankheit und Tod. Die Puppenspiel-Erfahrung von Laura Schulze und Sven Tillmann ist vergleichsweise kurz. Sie studieren noch und zeigen ihre an der Hochschule entwickelten Arbeiten verteilt über alle drei Tage: Szenenstudium Maske, Handpuppe und Klappmaul. Beide sind so an diesem Wochenende Zeitreisende. Ihr Spiel erzählt in seiner handwerklichen Genauigkeit von einer inzwischen fünfzigjährigen Lehrpraxis, ist mit seiner energetischen Aufladung total im Jetzt und lässt erahnen, wie sich ihr Umgang mit der Puppe weiterentwickeln könnte nach dem Studium.
Peer – nach Peer Gynt, Szenenstudium Maske mit Annika Schaper, Laura Schulze, Sven Tillmann. Leitung: Prof. Astrid Griesbach. Foto: © Barbara Braun/ MuTphoto
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Szenarien der Zukunft Die Puppe und die Zukunft. Das ist die Gretchenfrage des dritten Tages. Darum gibt es nur noch ein Viertel Unterhaltung. Das Übrige sind Vorträge und Gesprächsrunden, die sich um die großen Fragen im Umkreis der Existenzfrage, also Puppe und Zukunft, gruppieren: Puppe und Kollaboration. Puppe und Nachhaltigkeit. Puppe und Digitalität. Puppen und Menschen auf einer Bühne. Beim Thema „Puppe und Nachhaltigkeit“ denke ich an ressourcenschonenden Puppenbau – bis ich die ersten Worte von Ingo Mewes höre. Denn das heißt eigentlich: Puppenbauer wendet physikalisches Wissen, das er z. B. beim Marionettenbau braucht, wissenschaftlich an und entwickelt so das Windrad weiter. Mewes holt einen Flugdrachen hervor, der an Seilen hängt, die angeordnet sind wie bei einer Marionette und die wiederum mit einem Generator, der am Boden steht, verbunden sind. Und jetzt bitte vorstellen, dass der Flugdrachen in 600 Meter Höhe schwebt und so durch den Höhenwind viel mehr Strom erzeugt werden kann als durch Windräder. Puppe goes Wissenschaft. Puppe goes auch Digitalität. Friedrich Kirschner, Leiter des Masterstudienganges „Spiel und Objekt“ legt ein Kärtchen auf den Boden, sagt mit „Krankenkassenkarte“ sein letztes Wort auf Deutsch, macht auf Englisch weiter und beschreibt unsere Abhängigkeit von digitalen Prozessen am Beispiel dieser Karte. Im Studiengang werden spielerisch Szenarien entwickelt, die sich u. a. mit Themen wie Macht und Abhängigkeit auseinandersetzen. Der Zugang über das Objekt schafft eine neue Ebene. So gibt es das klassische Rollenspiel – mit Figuren. Entworfen werden aber zunehmend Szenarien, die in der Zukunft möglicherweise stattfinden könnten, z. B. die selbstverständliche Interaktion zwischen Mensch und Eidechse. „Eine Welt darstellen, die es noch nicht gibt“, ruft Kirschner ins Publikum, „das ist unsere Aufgabe“.
Zusammenarbeit und Spielflow „Puppe und Kollaboration“ bringt einen mental wieder sanft zurück in die vier Wände der Hochschule. Bei dieser Gesprächsrunde geht es um die Verbindung oder Nicht-Verbindung zwischen den Studiengängen Regie und Puppenspiel. Naemi Friedmann (Regie im zweiten Studienjahr), Markus Joss (Leiter Studiengang Zeitgenössische Puppenspielkunst), Roscha A. Säidow (Regie-Absolventin) und Britta Geister (lehrt am Studiengang Regie) ergänzen sich produktiv. Es kristallisiert sich heraus: Regie zu führen bei Puppen ist eine ziemlich komplexe Angelegenheit. Aber die Puppe kann Sachen, die der Mensch nicht kann. Das ist der Mehrwert. Der Weg von der Regie zur Puppe führt oft über Umwege. Diese Wege könnten im neuen Hochschulgebäude stark abgekürzt werden, indem man die Zusammenarbeit institutionell im Stundenplan verankert. „SchauspielerInnen haben Angst vor Puppen. Sie haben Angst, dass die Puppe ihnen die Show stiehlt“, behauptet der Regisseur Moritz Sostmann, der an der HfS Puppenspiel studiert hat. Er selbst sieht die Großpuppe als Erweiterung des eigenen Körpers. Jörg Lehmann ist in beiden Studiengängen unterwegs. In der Gesprächsrunde „Puppen und Menschen auf einer Bühne“ sieht er in dieser Begegnung viel Potential. Er spricht sogar von einem ungehobenen Schatz. Er macht sich aber Gedanken um die unterschiedlichen Geschwindigkeiten von SchauspielerIn und Puppe bzw. den andersartigen Spielflow im Puppenspiel. Hauptfrage: Wie kommt die Puppe in den Spielflow? Bei Suse Wächter, Puppenbauerin, Puppenspiel-Regisseurin und Puppenspielerin in Personalunion, haben die Puppen den Flow in der DNA. Zum 50. Geburtstag ihres Studiengangs bringt sie einige KollegInnen mit und ihr Stück „Max Reinhardt probt Shakespeares Sommernachtstraum“. Hans-Jochen Menzel spielt Max Reinhardt, er trägt den Abend und stattet diese kongeniale WächterPuppe mit einem Schmäh aus, vor dem man sich auf den Boden legen möchte. Suse Wächter schenkt uns einen wunderbar fiktiven Blick in die Vergangenheit und einen langen Moment der Verzauberung in der Gegenwart. Das Gold der Lamettavorhänge glänzt danach in der Abendsonne, eine leere Bierflasche fällt krachend um und der Wind fegt einen Programmzettel durch den Raum. Was war. Was ist. Was wird … – www.hfs-berlin.de Bruder Tiger, Freies Diplomprojekt von Keumbyul Lim. Foto: © Barbara Braun/ MuTphoto
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AMAZING VIEW Der Baltic Visual Theatre Showcase in Tallinn Zum „Baltic Visual Theatre Showcase“ lud vom 26. bis 28. Mai 2022 das Estnische Theater für Junges Publikum – vor 70 Jahren ˙ ˙ aus Vilnius als „Puppentheater der Estnischen Republik“ gegründet – nach Tallinn ein. Gemeinsam mit dem Puppentheater Lele und dem lettischen Büro der ASSITEJ hatte der Festivalleiter Leino Rei ein Programm mit 13 aktuellen Produktionen aus Litauen, Lettland und Estland organisiert, das einen Einblick in das künstlerische Schaffen von staatlichen ebenso wie von freien Theatern des Baltikums erlaubte. Von A nke M e y e r /// Die Bandbreite der gezeigten Arbeiten war groß: Zielgruppen von Unter-1-Jährigen bis zu erwachsenen Zuschauer*innen, performative Handschriften von klassischer Puppenhaus-Bespielung („Queen of Seagulls“, Latvian Puppet Theatre) über Klipp-Klapp-Dramaturgie in einem mysteriösen Zoogehege („Aardvark the One“, Rezekne theatre Joriks) bis zu einem mit knalligen Videos hinterlegten Comic-Vaudeville („Topsy-Turvy“, Estonian Theatre for Young Audiences). Die Stoffe reichten von spekulativen Szenarien zu Beginn und Ende unserer Welt („Big Bang“, Klaipeda Puppet Theatre) über die exzessive Beschäftigung mit Spiegelungen und dem eigenen Erscheinungsbild in einer Oscar Wilde-Adaption („The Picture of Dorian Gray“, Vilnius Theatre Lele) bis hin zu spiritistischen Phänomenen und Rissen in der Realität („Emilie Sagée“, Heinloo/Aadla/Suits + Kellertheatre). Dass wir alle – die baltischen wie die vielen internationalen Gäste – dieses Festival nicht ganz unbeschwert erleben konnten, lag natürlich an der durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelösten Bedrohungslage, die im Baltikum sehr viel unmittelbarer und massiver erfahren wird. Unter diesen Bedingungen wirkte die Inszenierung „Siberian Haiku“ des litauischen Vilnius Table Theatre (Stalo teatras) beklemmend aktuell. Auf Grundlage der gleichnamigen Graphic Novel von Yurga Vile und Lina Itakaki bringt die Regiearbeit von Saulé Degutyté eine böse, gewalttätige, grausame und leider wahre Geschichte von Deportation und Straflager in stalinistischen Zeiten lakonisch auf Distanz und zugleich sehr nahe. Der so genaue wie unprätentiöse Umgang des Spielers und Erzählers Balys Ivanauskas mit seinem darstellenden Material – Blecheimer, Holzstücke, Haushaltsgeräte und vor allem Erde – lässt uns ohne Gefühlsnötigung und fast ohne Pathos teilhaben an der Verzweiflung wie an dem unzerstörbaren Lebensmut der Protagonisten. Und wie wundervoll: Drei Frauen des Chores Obuoliai liefern den Soundtrack zum Stück, mit dem Klappern von Blecheimern, mit Vogelpfeifen und vor allem mit betörendem Gesang (Komposition: Mantvydas Leonas Pranulis). Damit tragen sie einen wichtigen Teil zur Balance aus bedrängendem Schrecken des Inhalts und widerständiger Schönheit der künstlerischen Umsetzung bei. Zudem: endlich LiveMusik auf diesem Festival! In fast allen anderen Inszenierungen des Showcase untermalte – überraschend in einer für ihre Gesangskunst berühmten Kultur – meist pausenlose Konservenmusik das Geschehen. Ganz anders in „Wood Paths“ einer Kollektivarbeit vom Gertrude Street Theatre aus Riga: Zwei Männer, Paletten, zwei Holzstämme, an der Bühnenseite sortiertes Werkzeug. Stille. Die beiden Performer nehmen eine Axt zur Hand und beginnen im Takt auf die Stämme einzuhauen. Estnisches Theater für Junges Publikum Tallinn, YLT. Foto: Siim Vahur
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Kleine Holzstücke sprühen in den schwarzen Raum, dazu das rhythmische Geräusch und die parallelen, kräftigen Bewegungen der auf die Stämme eindreschenden Männer – mehr gibt es lange nicht. Schließlich werden die verschieden großen Stücke auch noch mittels Keilen und Körperkraft gespalten. Das alles dauert. Und wer nicht entnervt aussteigt, beginnt in dieser langen Zeit jede kleinste Veränderung wahrzunehmen – wie sich der Rhythmus der Axtschläge ändert, von parallelen Schlägen zu alternierenden, dann auch Synkopen; welchen energetischen Unterschied es macht, ob auf Holz eingehackt wird oder ob es mit den Händen auseinandergerissen wird. Wie es riecht. Wie es klingt. Black. Im Dunkeln geistern die zwei Spieler mit Taschenlampen zwischen den instabil arrangierten Hölzern umher. Mit täppischem Tanz in artifiziellem Zottelfellkostüm, Posen mit überdimensionalem Waldfoto und Verrenkungen in Dada-Papiermaske unterlaufen sie am Ende noch einmal die Zumutungen dieser Performance um das fragwürdige und durch Gewalt geprägte Verhältnis von uns Menschen zu „Natur“. Das Widersprüchliche als Konzept – konsequent und eindringlich umgesetzt ist das auch in der Inszenierung YLT (estnisch: ÜLT), einer Produktion des gastgebenden Theaters. Für Autorschaft, Regie, Bühne und Sound zeichnet die frei arbeitende estnische Künstlerin Renate Keerd verantwortlich. Schon der Titel gibt sich rätselhaft, passend zum Anliegen der Regisseurin, „not to impose my own narrative on the audience – it is essentially present and on some level reaches the viewer one way or another.” Was ihr in buchstäblich (um)werfender Weise gelingt. Denn so wie zu Beginn ein bühnenfüllender Riesenhaufen an Kleidungsstücken von den vier Performer*innen in einer Choreografie exzessiver Wurfbewegungen ins Off verfrachtet wird, so werfen sich die vier selbst und gegenseitig in die unsäglichsten Positionen – laufend neu und signifikant gewandet oder sich auch mal in einen Teppich rollend. Ließ das erste Bild u.a. Gedanken an Überfluss, Ausbeutung und obszönen Lebensstil aufkommen, macht und ist nun die Kleidung in rasantem und teils offenem Garderobenwechsel auch Charakter, zitiert Epochen mit rohem Fellmantel oder Reifrock, Haltungen mit Etuikleid und roten High Heels oder Lederjacken, verbindet Animalisches mit Technischen. Immer grundiert oder durchkreuzt von ebenso liebes- wie gewaltbereiter Begegnung der Geschlechter, von gerannter, gesprungener, getanzter Lebenslust, dem Willen zur Nähe und dem Umschlag in brutales Scheitern. Absurd, ironisch, komisch und latent beunruhigend. Zum Schluss – wenn aus den bunten Textilien ein schwarzer Haufen geworden ist und die vor den ebenfalls schwarzen Bühnenwänden kauernden oder hängenden Performer*innen in dieser düsteren Raumvision zu verschwinden bereit scheinen – sprintet eine von ihnen plötzlich los wie ein Silberpfeil und schmeißt sich mit Verve auf den Haufen. Black. Alles wieder offen. – www.eestinoorsooteater.ee Vilnius Table Theatre (Stalo teatras), Siberian Haiku. Foto: Theater
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„WIR BRAUCHEN ZUSAMMENARBEIT“ Überlegungen zur Puppenspielausbildung in den nordischen und baltischen Ländern Im Rahmen des Baltic Visual Theatre Showcase Tallinn fand ein Symposium zur Lage der Ausbildung im Bereich Visuelles Theater und Puppentheater statt. Leino Rei brachte ein Statement zur Ausbildungssituation in die Diskussion ein, das sich zum einen aus seinen Beobachtungen als Festivalchef, zum anderen aus seiner eigenen Arbeit als Darsteller und Regisseur am Estnischen Theater für junges Publikum in Tallinn speist. Von L e i no Re i /// Vor einigen Jahren wurde bei einem Seminar im Rahmen des Internationalen Puppentheaterfestivals in Finnland im Gespräch plötzlich deutlich, dass zur Zeit weder in den nordischen noch in den baltischen Ländern Puppenspielkunst auf Universitätsebene gelehrt wird.
Das Verschwinden der Puppentheater-Studiengänge Die Ausbildung von Puppenspieler*innen und Puppenspielregisseur*innen in diesen Ländern war insgesamt relativ vielseitig – mit einer Mischung aus Spezialausbildung bzw. Studium, konventioneller Theaterausbildung, Studioausbildung, Kurzzeitkursen und beruflich erworbenen Fähigkeiten. Hochschulen mit einem speziellen Studienangebot für Puppentheater gab es bis vor einiger Zeit in den meisten Ländern Skandinaviens und des Baltikums. In den letzten Jahren jedoch wurden alle Studiengänge der Puppenspielkunst eingestellt. Die Schulen selbst wurden nicht geschlossen, aber das Lehrfach Puppentheater wurde in andere Disziplinen integriert und etwa mit Multimedia-, Schauspiel- oder Körpertheater-Ausbildung kombiniert. Die Puppentheaterausbildung ist in der zeitgenössischen Ausbildung der Darstellenden Künste aufgegangen. In dieser Situation stellt sich die Frage: Kann das Puppentheater als eigenständiges Genre aufrechterhalten werden, wenn der nachwachsenden Generation eine umfassende Ausbildung im Puppenspiel fehlt? Gleichzeitig ist zu konstatieren, dass sich die Anforderungen an eine zeitgenössische Puppentheater-Inszenierung verändert haben: Über welche Fähigkeiten müssen moderne Puppenspieler*innen entsprechend verfügen? Sollte die universitäre Puppenspielausbildung Studierende möglichst universell zu einer Mischung aus guten Schauspieler*innen und Puppenspieler*innen ausbilden, deren Werkzeugkästen auch Materialtheater, digitales und multimediales Theater, Maskentheater, physisches Theater usw. umfasst? Oder wäre es klüger, eine spezifische Basisdisziplin anzubieten, auf der Techniken verschiedener Theater-Genres aufgebaut werden können?
D i e I d e e e i n e s n o r d i s c h - b a lt i s c h e n C u r r i c u l u m s Wenn man sich das Problem der Puppenspielausbildung in den baltischen und nordischen Ländern insgesamt ansieht, wird klar, dass es nicht mehr möglich ist, dass alle nur „ihr eigenes Ding machen“. Wir brauchen Zusammenarbeit. Ein Ausbildungsprogramm ist teuer und es ist schwierig, es kontinuierlich aufrechtzuerhalten. Der Bedarf an neuen Puppenspieler*innen ist von Land zu Land unterschiedlich, aber es ist sicher, dass derzeit kein Land alle zwei Jahre eine ganze Absolvent*innenklasse zum Einsatz bringen kann. Würde aber die Ausbildung nur alle fünf Jahre angeboten, müsste die Schule jedes Mal neu aufgebaut, müssten die Lehrpläne überarbeitet und modernisiert, Lehrer*innen gefunden werden. Es scheint daher logisch, die Einrichtung einer gemeinsamen Akademie in einem der Länder zu erwägen, ein internationales Lehrprogramm, das alle Bilder- und Puppentheater in den Partnerländern mit Puppenspieler*innen, Regisseur*innen, Puppengestalter*innen und anderen Künstler*innen des Genres versorgen könnte. Bei der Diskussion über diese Themen im Symposium „Challenges of Visual Theatre Makers in the 21st Century, das vom Baltic Visual Theatre Showcase veranstaltet wurde, haben wir versucht zu ergründen, ob tatsächlich Bedarf für eine solche gemeinsame Schule besteht und ob es Menschen gibt, die bereit sind, zur Verwirklichung dieser Idee beizutragen. Ebenso wollten wir wissen, was realistische Möglichkeiten für eine solche Schule wären. In der an das Symposium anschließenden Diskussion über die Chancen einer gemeinsamen Institution, die dazu beiträgt, die akademische Puppenspielausbildung in allen baltischen und nordischen Ländern am Leben zu erhalten und dabei den Gesamtauf-
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wand zu optimieren, suchten wir nach konkreten nächsten Schritten. Wir kamen zu dem Schluss, dass die Gründung einer gemeinsamen Schule zu ehrgeizig und arbeitsintensiv wäre, während eine realistischere Möglichkeit darin bestünde, das Projekt mit den Theaterschulen in den drei baltischen Staaten zu diskutieren. Unsere Idee ist, das moderne Puppenspiel und andere Mittel des visuellen Theaters in den Lehrplan für Schauspiel zu integrieren. Für junge Schauspieler*innen wäre es eine wertvolle Möglichkeit, über die Beschäftigung mit zeitgenössischem Puppenspiel und visueller Theaterkunst einen spezifischen Zugang zur Abstraktion zu finden. Die Überlegungen gehen dahin, dass es in jedem baltischen Staat eine Theaterschule geben könnte, die Puppentheater als Fach in ihr erstes Studienjahr integriert. Darauf aufbauend könnten wir länderübergreifend gemeinsame Kurzzeit-Workshops zu verschiedenen Arten des visuellen Theaters für die Studierenden organisieren. Und im letzten Jahr würde eine der Abschlussproduktionen jeder Theaterschule sich dem zeitgenössischen Puppentheater widmen. In Estland haben wir dieses Modell bereits fast zufällig erlebt. Mirko Rajas, der künstlerische Leiter des Estnischen Theaters für junges Publikum, das größte Theater in Estland, das regelmäßig Puppentheater produziert und das gesamte Spektrum des visuellen Theaters nutzt, unterrichtete Studierende in ihrem ersten Jahr an der Abteilung für Schauspiel der Estnischen Akademie für Musik und Theater im Fach Puppenspielkunst. Ursprünglich sollten sie vier Jahre lang darin unterrichtet werden, aber dann änderten sich die Pläne der Hochschule, und die Puppenspielausbildung endete nach einem Jahr. Dennoch setzten die Studierenden in ihrer Abschlussaufführung Puppen ein. Rajas kam zu dem Schluss, dass dieses Modell gut funktionierte – es hat gute Theaterschauspieler*innen hervorgebracht, von denen einige auch als Puppenspieler*innen erfolgreich sein könnten. Auf dieser oder einer ähnlichen Basis eine internationale Zusammenarbeit in Form von weiterführenden Workshops mit genrespezifischen Inhalten zu etablieren, könnte sich als äußerst nützlich für die Puppenspielszene der nordischen und baltischen Länder erweisen. – Aus dem Englischen von Anke Meyer und Tim Sandweg
Flaggen der baltischen Staaten im Theaterinnenhof. Foto: Theater
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ALL THE WORLD´S ... VERTEP The Holocaust tragedy as shown in two shows: “Everthing Will Be Allright" (Kyiv, Ukraine) and “Friedl Dicker" (Hamm, Germany) Die Wissenschaftlerin und Künstlerin Daria Ivanova-Hololobova lehrt an der Nationalen Karpenko-Kariy Universität für Theater, Film und Fernsehen in Kiew Geschichte und Theorie des Puppentheaters. In ihrem neuen Aufsatz, den double als Auszug veröffentlicht, vergleicht sie auf der Grundlage der szenografischen Idee des traditionellen ukrainischen Puppentheaters Vertep zwei Produktionen: Die eine, entstanden 1994 in Kiew, beschäftigt sich mit der Biografie des Pädagogen Janusz Korczak, der zusammen mit den ihm anvertrauten Kindern im Vernichtungslager Treblinka ermordet wurde. Die andere, 2022 in Hamm entwickelt, stellt die Künstlerin Friedl Dicker-Brandeis ins Zentrum, die im Ghetto Theresienstadt Zeichenkurse für Kinder realisierte, bevor sie im Konzentrationslager Auschwitz vergast wurde. Der vollständige englischsprachige Aufsatz ist im Online-Portal www.fidena.de ab November 2022 zugänglich. B y Daria Iv ano v a-H o lo lo b o v a /// An analysis of two productions: “Everything Will Be Alright" (1994) by the Kyiv Municipal Academic Puppet Theatre on the Left Bank of the Dnieper (directed by Serhii Yefremov) and “Friedl Dicker" (2022) by Theatre “Helios" (the town of Hamm in Germany, directed by Barbara Kolling). Both shows form a peculiar “diptych" in that they were synonymous. Synonymous not only in their theme (the self-sacrifice of a teacher and the triumph of human dignity over death), but also in their concepts, which are reflected in their artistic and scenographic solutions. The puppet shows were created by utterly different groups and directors, who were unfamiliar with each other's work, and were located in different historical periods and different cultural paradigms. In order to analyse the visual images laid down by the directors and artists in the plays “Everything Will Be Alright" and “Friedl Dicker", I shall refer to a Ukrainian puppet theatre tradition – vertep. As we know from the history of puppetry, vertep is one of the oldest forms of theatre in Ukraine (it has existed since the XVI century). It originally signified “a spectacle, which was played out in a wooden chest by puppets"1. The tradition of a nativity scene is closely connected with Christianity. For right from the start vertep was based on the Biblical story of the birth of Jesus Christ. One of the artistic cornerstones of vertep's type of theatre is the use of a closed “cubic form"2, which serves as the basis for the composition of the stage space. It is important to note that the classical arKyiv Municipal Academic Puppet Theatre on the Left Bank of the Dnieper, Everything Will Be Alright. Photo: Archive.
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chitecture of vertep assumes a binary structure; that is, the distribution of the cubic space of the chest into two levels. There is a deep philosophical idea in this delineation of the levels – the sacred world is at the top, the secular world is at the bottom; salvation and hope are at the top, death and blood-stained justice are at the bottom. The starting point of the scenographic concept of both shows is also a “closed cubic form" – a suitcase. However, we do not simply want to speak about their external similarities and the technical parameters of the suitcases, but primarily about their semantic totality. In the shows the suitcase-vertep becomes a kind of gateway to another world – the world of hope, the world of salvation (although not physical). For example, the basic symbol in the play “Everything Will Be Alright" was “an old suitcase", which during the action of the performance “was transformed into a vertep chest"3. The actor Sharl Foerberg, in the role of Janusz Korczak, performs New Testament stories for his foster children. This idea embodies the essence of the eternal conflict – the struggle between good and evil, and at the same time the inevitable victory of the first. This truth is reflected in the show's scenography – in the clearly vertical “hell – heaven" opposition, set down in the long tradition of dividing the vertep into two different levels. The vertical line shows unmistakably that in spite of all his iniquity and lawlessness, King Herod will pay for his sins and die in hell, which is located on the bottom level of the vertep. All those who died and were murdered will certainly go to heaven, which stretches over the higher level of the vertep suitcase. In the play “Friedl Dicker" this idea of a “binary" world order is interpreted somewhat differently. Here it should be said that the “Helios" production uses not one, but two suitcases, which can be semantically equated with the inherent meanings in the two levels of the vertep. In the German puppet show, when the Jews are informed that they have to limit their belongings to fifty kilograms, an actress refers to a suitcase, and holds out a wooden box where Friedl Dicker plans to put paper, scissors, paints for the children in the Theresienstadt ghetto. The announcement of the limits of personal property and the subsequent deportation of Jews to a death camp sounds like a paraphrase of the classical scene in the vertep drama, where Herod orders the persecution and murder of innocent babies. In this context, one of the two suitcases (or rather a makeshift box), is a symbol of the lower level of the vertep, where acts of unprecedented inhumanity and unprecedented atrocities and physical torture take place. The second suitcase appears in the last moments of the play. It is carried by the actress. The puppeteer works slowly: she opens the suitcase and takes out children's drawings. Another two actresses explain to the audience that Friedl had packed the drawings of “her children" in a suitcase just before departing for Auschwitz. The second suitcase is a silent witness to the torture and torment endured by the Jews of Theresienstadt, and a solemn tribute to Friedl Dicker's achievements. At the same time it is an unconditional symbol of the triumph of life over death, and the neverending continuation of the circle of life. Like the second sacred level of the vertep where, according to strict religious canons, only members of the Holy Family and the Magi can be found, the second part of the Friedl Dicker show becomes the abode of the souls of the innocent children and their teacher, Friedericke Dicker, who not only gave them lessons in drawing but also the unceasing struggle of life. All their lives were tragically cut short but are now immortalised in static presentations of children's unsophisticated drawings, that preserve the priceless memory of the tragedies of the 20th century. Like a vertep story, the two productions are an act of unparalleled victory of good over evil, of light over darkness; a victory that cost the lives of the innocent children of Bethlehem, Treblinka, Auschwitz, Theresienstadt – but nonetheless an undeniable victory. 1 Kiselev A. G. Ukrainskiy vertep. [Ukrainian vertep]. Chernigov: EparhIalnaya tipografIya, 1915. 36 p. [in Russian]. 2 Freydenberg O. M. Mif i teatr. Lektsii. [Myth and theatre. Lectures]. Moskva: GITIS, 1988. 132 p. [in Russian]. 3 Pavlenko H. Svitle i pravedne torzhestvuie. [The bright and righteous triumphs]. KinoTeatr. 2020. No. 5. URL: http://archivektm.ukma.edu.ua/show_content.php?id=2516 (data zvernennia: 25.08.2022). [in Ukrainian].
Helios Theater Hamm, Friedl Dicker. Photo: Bülent Kirschbaum
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KANN, DARF, SOLL Eine Gesprächsrunde zu Tabus und ihrer Überwindung im Puppentheater Einmal im Jahr tagt die Dramaturgische Gesellschaft. Zum diesjährigen „Klassentreffen“ der Dramaturg*innen aus dem deutschsprachigen Raum fanden sich vom 23. bis 26. Juni an die 300 Besucher*innen im Dresdner tjg. theater junge generation ein. Als zukünftige Nachbarin des Kinder- und Jugendtheaters auf dem Areal des Kraftwerks Mitte war auch die Dresdner Puppentheatersammlung ins Programm mit eingebunden. Deren Direktorin Kathi Loch resümiert das von ihr moderierte Gesprächsformat mit dem Titel „Die Puppe darf das! Tabus und ihre Überwindung im Puppentheater“. Von Ka t h i L oc h /// „Die Kunst der Begegnung“ lautet das Tagungsmotto. Daran angelehnt nehmen wir in unserer Veranstaltung die Begegnung zwischen Publikum und Puppe unter die Lupe und fragen nach ihren spezifischen Potentialen und Grenzen. Im Fokus stehen die Tabus, die in dieser Darstellungsform verhandelt wurden, werden und werden sollten. Unsere Erkundung führen wir einerseits historisch durch, andererseits im Lichte aktueller Diskurse und der zeitgenössischen Puppenspielpraxis.
Der Blick zurück Zuständig für den historischen Blickwinkel ist Lars Rebehn. Der Oberkonservator der Dresdner Puppentheatersammlung hat drei Beispiele im Gepäck, um den Umgang des Puppentheaters mit Tabus zu illustrieren: Erstens die Darstellung von Gewalt im traditionellen Handpuppentheater. Zweitens die (verbalen) Grenzüberschreitungen des Kaspers im traditionellen Marionettentheater. Drittens die subversiven Strategien des freien DDR-Puppentheaters. Fazit des historischen Teils: Mit der lustigen Figur konnte das Puppentheater immer auf ein Grundprinzip zurückgreifen, das gut geeignet war, um sich gegen herrschende Klassen und moralische Zwänge aufzulehnen. Vor allem die vielfältigen Beispiele aus dem Rebehnschen Videoarchiv machen das sehr plastisch und liefern hervorragende Impulse für die Diskussion aktueller Fragestellungen. Für diese sind wir als Trio aufgestellt: Als Direktorin der Dresdner Puppentheatersammlung darf ich die Gesprächsrunde moderieren. An meiner Seite denken und sprechen Jemima Milano, seit 2019 im Puppentheater-Ensemble des tjg. theater junge generation, und Michelle Bray, Diversitätsberaterin, studierte Schauspielerin und einige Jahre Ensemblemitglied im Bautzner Puppentheater.
Wozu das alles? Wir auf dem Podium sind uns einig: Können kann die Puppe ganz viel. Auch wenn Michelle Bray sich an Momente erinnert, in denen sie die Puppe gerne zur Seite gelegt und den Text selbst gesprochen hätte, ist die Überwindung der physischen Grenzen, die die Puppe ermöglicht, sowohl aus Spieler*innen- wie auch aus Publikumsperspektive eine unschlagbare Bereicherung. Aber wozu soll dieses Potential denn nun genutzt werden? Und wozu lieber nicht? Auch darin sind wir uns einig: Es gibt nicht per se Dinge, die ich auf der Puppentheaterbühne darf oder nicht (mehr) darf. Aber es gibt Dinge, bei denen sollte ich mir überlegen, ob ich sie machen möchte, wenn mir etwas daran liegt, respektvoll mit Menschen umzugehen, die eine andere Lebensrealität haben als ich selbst. Heißt das, dass ein weißes Ensemble nur weiße Geschichten erzählen sollte? Oder Schwarze Puppen nur von BPoC-Spieler*innen gespielt werden sollten? Wir auf dem Podium glauben, nein. ABER: Es braucht in solchen Fällen einen bewussten Prozess, der die eigene Position immer wieder reflektiert: Wer erzählt was über wen? Gibt es eine Kommentarebene? Wie wird kontextualisiert? Gibt es eine Begleitung durch jemanden, der*die Expertise mitbringt, oder Kontakt zu bestimmten Communities? Im Moment sind wir noch an einem Punkt, an dem überwiegend privilegierte Menschen (das bedeutet in den meisten Fällen: weiße, cis-geschlechtliche Personen ohne Behinderung) die Geschichten erzählen. Dieser mangelnden Diversität müssen wir mit besonderer Aufmerksamkeit und intensiver Reflexion begegnen. Und daran arbeiten, dass sich die Verhältnisse zukünftig ändern werden.
Darf man das (noch)? Zwischenfrage aus dem Publikum: Sind traditionelle Spielformen, Texte und Sujets damit heute einfach nur inakzeptabel, wenn sie voller Rassismen, Sexismen und Stereotype stecken? Das Podium plädiert für Differenzierung, Beispiel Gewalt: „Ich hab‘ nix gegen Gewalt“, stellt Jemima Milano klar, ABER: Es macht einen großen Unterschied, ob eine Szene darauf zielt, strukturelle Gewalt aufzu-
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DISKURS
zeigen und Diskriminierung bewusst zu machen, oder ob Gewalt und Diskriminierung einfach nur reproduziert werden. Bei der Einordnung helfen die Fragen: Wer tritt in welche Richtung? Wer hat die Macht? Wer kritisiert wen? Und was ist die Gesamthaltung der Inszenierung? Es geht auch nicht darum, unsichtbar zu machen, was einmal war, im Sinne pauschaler Aussagen wie „Man darf keine Stoffe mehr aufführen, in denen XY erwähnt wird“. Stattdessen können wir unsere heutigen Möglichkeiten nutzen, uns mit Machtverhältnissen und Ungleichheiten auseinanderzusetzen. Wir können die alten Stoffe neu anschauen, neue Blickwinkel und kritische Inszenierungsansätze entwickeln. Selbst mit Stereotypen, zu denen die Puppe nun einmal neigt, können wir fruchtbar umgehen, solange wir uns bewusst machen, welche Schubladen wir da im Kopf haben. Vielleicht verschwinden die Schubladen dann – oder sie bekommen ein neues Etikett. Michelle Bray zum Abschluss des Themas: „Wenn nach oben gehauen wird, bin ich immer dabei!“
Wünsche und Visionen Ist das Thema Tabubruch im Puppentheater denn heute überhaupt noch ein Thema? Wieder Einigkeit auf dem Podium: Ja, denn erstens gibt es die Dauerbrenner (#sexdrugsandviolence), die jede Generation mit ihren eigenen Formen beackern muss. Und dann gibt es auch neue Tabus – oder zumindest solche, die hier und heute mit neuer Brisanz aufgeladen sind. Und taugt der Kasper noch als oberster Rebell gegen Tabus und gesellschaftliche Zwänge? Auch ein klares Ja, denn sein anarchisches Potential ist zeitlos. ABER: Nicht mehr zeitgemäß ist vermutlich, dass die Kasperfigur automatisch als weißer, heterosexueller, cis Mann daherkommt. Wie wäre es also mal mit einem nicht-binären Kasper, der*die sich das Thema Abtreibung vornimmt? Eine Vision wäre somit: eine Mischung aus „back to the roots“ und einem forschen Aufbruch in die Zukunft. Schlusswort von Jemima Milano: „Ich hoffe, wir hören nicht auf, uns zu hinterfragen, weil: Das bringt uns weiter.“ – dramaturgische-gesellschaft.de Theater Junge Generation Dresden, Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute. Foto: Marco Prill
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INSZENIERUNG
DIE REISE VON KRABBE UND STORCH Die südafrikanisch-deutsche Stückentwicklung „Iskhalo somlambo/Der Ruf des Wassers“ Vo n S ab ine Leu ch t /// Mit zweijähriger Verspätung hat das Kooperationsprojekt des Staatstheater Augsburg mit dem südafrikanischen Ukwanda Puppets & Designs Art Collective seinen Weg auf die Bühne gefunden. Der Grund – wie üblich: Covid. Inzwischen ist Krieg in Europa, das Gas wird knapp und die Hitze hat selbst im sonst so grünen Bayern die Farbe aus der Botanik gewaschen. Da ist die Suche nach dem lebensspendenden Nass, von dem „Iskhalo somlambo/Der Ruf des Wassers“ erzählt, alles andere als ein Narrativ aus einer anderen Welt. Auch wenn die Idee zur Zusammenarbeit auf die historische Trockenphase 2018 in Kapstadt zurückgeht, nach der sich das Team um die Regisseurin Dorothea Schröder das erste Mal traf. Nur 50 Liter Wasser pro Bürger*in und Tag waren damals noch erlaubt. Damit bekäme man, wie das bi-nationale Ensemble auf der Augsburger Brechtbühne leutselig erklärt, eine Bass Drum halb voll oder sechs Toilettensitzungen weggespült. Aber wie bringt die interkontinentale Stückentwicklung nun die auf der UNESCO-Welterbe-Liste stehenden Brunnen und 180 km langen Wasserwege der Fuggerstadt mit dem dürregeplagten Kap der Guten Hoffnung zusammen? Nun: Der ästhetische Spagat zwischen deutscher Schau- und südafrikanischer Puppenspiel-Tradition, von dem man sich von Augsburger Seite offenbar einen optisch-poetischen Zugewinn und zugleich die Möglichkeit versprochen hat, grundlegende Dinge direkt und geradeaus anzusprechen, gelingt ungleich besser. Und zwar zum einen, weil Schröder eine Erzähltheater-Zwischenebene einzieht, in der Siphokazi Mpofu, Sipho Ngxola, Luyanda Nogodlwana, Thomas Prazak, Franziska Rattay und Karoline Stegemann gemeinsam Bäume, Tiere und Kostümteile aus Papier falten und knüllen. Und weil die offen geführten Puppen beeindruckend sind: Eine Krabbe und ein Storch, die es in mehreren zur jeweiligen Szene passenden Größen gibt, werden teilweise mit vereinten Kräften bewegt. Die Krabbe kann ihre Stielaugen einzeln wandern lassen, und die Schnalz- und Klicklaute der Sprache isiXhosa passen perfekt zu den Bewegungen ihrer Scheren. Es gibt einen hitzigen Zweikampf zwischen den beiden, in dem die ganze Krabbe vibriert und der Storch wütend aufstampft. Später fliegt er mit der Mini-Krabbe im Schnabel über die Bühne, auf der Suche nach Wasser, das sie nur gemeinsam finden können. Immer wieder aber wird die sorgsam etablierte Märchen-Collage von der einfachen, einst glücklichen Dorfgemeinschaft, von Verrat aus Mitleid und Strafe für Gier und Korruption mit teils überflüssigen Fakten durchlöchert: Mit dem Wasserverbrauch von Tesla und Schnittblumen, aber auch der Info, dass zwei Schauspieler aus Halle an der Saale kommen, und einem kleinen Quiz fürs Publikum. Volkshochschul-Einschübe in eine poetische, selbst bereits mild belehrende Tier-Reise-Fabel, die an Überschwemmungen, brennenden Wäldern und Flussgöttern mit deutschen Namen und globalen Nöten vorbeiführt. Am Ende setzt sich nicht die zu laute „We have to change now!“-Message fest, aber die Hoffnung, dass massive Not uns den Umgang mit knappen Ressourcen schon lehren wird. – staatstheater-augsburg.de Staatstheater Augsburg und Ukwanda Puppets & Design Art Collective, Iskhalo somlambo/Der Ruf des Wassers. Foto: Jan-Pieter Fuhr
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INSZENIERUNG
VATER, SOHN, ICH IN NACHT UND WIND „Der Erlkönig“ als 360° Virtual Puppetry vom Puppentheater Zwickau Vo n C h ri st i na R ö f e r /// Puppentheater aus Zwickau in meinem Berliner Wohnzimmer – nach den Streaming-Marathons in Pandemiezeiten zwar nicht mehr so ungewöhnlich, doch der heutige Abend verspricht Neues: Per Post wurde mir das Theaterset zugestellt, dem ich nun VR-Brille und Kopfhörer entnehme. Kurz darauf sitze ich im digitalen Saal des Puppentheaters und steuere mit meinem Blick den Start-Button an: Die Vorstellung kann beginnen! Die Bühne befindet sich um mich herum und ich folge mit Blicken den seitwärts ziehenden Nebelschwaden, dem sanft von oben herabfallenden Herbstlaub, den hinter mir erklingenden Stimmen oder dem Bewegung verheißenden Rascheln der Blätter. Dabei drehe und wende ich mich auf meinem Sitzplatz, während ich mich zugleich, dem virtuellen Wolkenstrudel sinnbildlich folgend, immer tiefer in die Geschichte hineinziehen lasse. Im stark reduzierten, überwiegend aus Naturmaterialien gefertigten Waldsetting beschwört die knapp halbstündige Inszenierung unter der Regie von Monika Gerboc eine morbide Atmosphäre herauf, in der sich die Visualisierungen der bekannten GoetheStrophen, untermalt von düsteren Klängen (Daniel Špiner), wie beunruhigende Traumsequenzen aneinanderreihen. Martha Stöckner streift, in unschuldiges Weiß gekleidet und zunächst neugierig staunend, dann zunehmend entrückt wirkend, durch die Szenerie, in der tanzende Schmetterlinge und skelettierte Unterwasserwesen das Kind hartnäckig umgarnen. Plötzlich schwebt ein Knochenvogel (Puppen: Rafał Budnik) mit gespreizten Krallen auf mich zu. Ebenso wie die verführerisch-säuselnde Off-Stimme des Erlkönigs (Błazej Modelski) scheint auch diese Gestalt, die in ihrer Fortbewegung von den schwarz gekleideten Spieler*innen immer neu zusammengesetzt wird, flüchtig. Währenddessen lässt Calum MacAskill als Vater dessen Hilflosigkeit und wachsende Verzweiflung ob des dahinschwindenden Kindes sichtbar werden. Das gelungene Ensemblepuppenspiel (Hanna Daniszewska, Laura Waltz, Camillo Fischer, Calum MacAskill) zeigt sich auch, wenn etwa ein Hirsch mit ausladendem Geweih scheinbar leichthufig durch den Raum trabt. Dabei werden dessen Vorderbeine von einer Spielerin geführt, die zugleich seinen Rumpf auf dem Rücken trägt, während die weiteren Körperteile von den Kolleg*innen in stimmiger Choreografie mitbewegt werden. Oder wenn ein beinahe lebensgroßes Pferd herangaloppiert, über mich hinwegspringt und mir so erlaubt, das Metallgerüst der Puppe von unten zu beschauen. Mögen auch manche Sequenzen mehr Effekt als erzählerisches Mittel sein – Gerboc und ihr Team haben die 360°-Idee ernst genommen und die puppenspielerische Experimentierfreude mit dem Medium Virtual Reality deutlich spürbar werden lassen. Am Ende grauset’s nicht nur dem Vater, als er endlich den Hof erreicht und doch zugleich den Tod seines Kindes feststellen muss: Kam der Balladentext bisher aus dem Off, so blicken mich nun die Spieler*innen direkt an, während sie die tragische Pointe rezitieren, die mir dadurch umso unausweichlicher erscheint. Den Applaus verlagere ich auf die Postkarte, die ich mit dem technischen Equipment am nächsten Tag zurück nach Zwickau schicke. Auch wenn das Spiel nicht live war – mein Erlebnis war es. Diese und ab Dezember 2022 weitere Puppen-VR-Balladen unter www.puppentheater-zwickau.de – www.virtual-puppetry.de Puppentheater Zwickau, Der Erlkönig. Foto: © Kultour-Z
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EN AVANT TOUTES Festivalbesuche in Plzenˇ und Paris Während das Festival Skupova in Plzenˇ vor allem ein Fest der Ensemble-Theater aus Tschechien und der Slowakei ist, richteten die diesjährigen Scénes ouvertes à l’insolite in Paris den Schwerpunkt auf Soloarbeiten – fast alle von jungen Frauen. Gemeinsam war vielen auf den beiden Festivals gezeigten Produktionen aber ein gesellschaftskritischer Impetus und eine Lust an der Historie. Vo n M as ch a E rb eld in g /// Das Eröffnungsstück der Skupova hinterlässt in heutiger Zeit ein mulmiges Bauchgefühl: Das Divadlo Minor aus Prag beschäftigt sich in „Brothers of Hope“ mit dem Schicksal der Kopecky-Brüder, vier Puppenspieler, die im Ersten Weltkrieg eingezogen wurden – und auf wundersame Weise mit dem Leben davonkamen. Denn die Bilder und Berichte aus dem Krieg in der Ukraine und von Geflüchteten, die Nachrichten von zerstörten Wohnhäusern, Schulen, Universitäten und Theatern rückt die Kriegserfahrung ganz nah heran, gefühlt näher als all die anderen Konflikte und Kriege auf anderen Kontinenten. Regisseur Jan Jirku° macht aus der Geschichte der Brüder allerdings eine Schwejk-hafte Fabel – und zu einem musikalischen Puppen-Schauspiel auf großer Bühne. Kasparek, Teufel und Tod sind als große Ganzkörpermasken präsent und prägen die Handlung, die rasant durch Kindheit mit Tod von Vater und Mutter, Lehrjahre bei den Verwandten und schließlich in die Armut in der Weltwirtschaftskrise von 1929 führt. Der Tod kann tanzen in den Kriegsjahren – und der Teufel als Offizier versucht, die Kapitulation der Brüder in auswegloser Lage an der Front in Italien zu verhindern. Was am Ende wichtig ist? Seine Familie zu retten. Und genug Geld zu verdienen, um den Kindern ein schönes Weihnachtsfest zu bereiten. Geschichte zum Puppen-Melodram zu verkleinern, das könnte man der Inszenierung vorwerfen. Aber vielleicht ist das gerade in diesen Zeiten mit neuem, ungebremsten Kriegs- und Heldenpathos auch die einzige Möglichkeit, damit umzugehen. Auch die Inszenierung „The journey of good Hans Böhm through Europe“ des Festivalgastgebers Divadlo Alfa stellt ein historisches Thema in den Mittelpunkt. Mit aus groben Holzklötzen zusammengesetzten und dennoch sehr ausdrucksvollen Figuren erzählt das starke Ensemble die Geschichte eines Jungen, der zur sudetendeutschen Minderheit in der Tschechischen Republik gehört, bis zum Ende des 2. Weltkrieges. In rasant aufeinanderfolgenden, prägnanten Szenen stellt das Stück dar, wie der junge Hans Böhm immer wieder zwischen die Fronten gerät, nicht dazugehört. Und wie ihm seine Mehrsprachigkeit – neben Tschechisch und Deutsch auch Englisch, Französisch und später Polnisch –, also genau dieses Dazwischen, das Leben rettet. Zwischen all den großen Ensembleproduktionen, die die Lebendigkeit der tschechischen Puppentheaterszene beweisen – darunter auch die Inszenierung „O for Otesanek“ eines Ensembles von Studierenden an der DAMU, das die Geschichte des alles verzehrenden Otek mit Computermüll als humorvolle Dystopie erzählt – soll im Programm noch das Gastspiel „Hatenashi“ von Miyako Kurotani hervorgehoben werden, Teil des diesjährigen Japan-Schwerpunktes des Festivals. Die Grande Dame des japanischen Puppentheaters Divadlo Minor, Brothers of Hope. Foto: Theater
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zeigt in ihrem Solo mit einer Figur, die ihr selbst als junges Mädchen gleicht, nicht nur virtuose Puppenspielkunst. Sie findet zugleich auch Bilder für die Zurichtungen, die sie als Frau, als Puppe der Gesellschaft, erfährt. Aus der Reduktion der schwarzen, leeren Bühne und der Kraft dieser über 70-jährigen Frau entstehen wunderschöne, berührende Bilder eines verletzlichen Körpers.
Rollenbilder, Identitätsfindung und feministischer Kampf Um die Rolle der Frau in der Gesellschaft geht es auch bei den Scènes ouvertes à l’insolite gleich in mehreren Stücken. Während Adele Cuoëtil (Collectif Toter Winkel) in ihrem kurzen Solo den Versuch einer Frau, aus ihrem immergleichen Arbeitsalltag und aus ihrem fremdbestimmten Leben auszubrechen, in den Kampf mit einem Stuhl übersetzt, von dem sie sich nicht lösen kann, hat die Compagnie Boom von Zoé Grossot für „En avant toutes“ – ein feministischer Kampfruf, der volle Kraft voraus und Frauen nach vorne in einem Ausdruck verbindet – das Medium des Papiertheaters gewählt. Sie stellt Dutzende starke Frauen vor, ein Stück, das gut für ein jugendliches Publikum funktionieren wird, als szenische Geschichtsstunde über die Frauenbewegung – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ungleich lust- und humorvoller ist die Inszenierung „Le jeu de l’ourse“ der Nids Dhom Compagnie, die sich mit dem weiblichen Begehren auseinandersetzt. Als klassisches Objekttheater mit Schleichfiguren und kleinem Spielzeug mit viel Witz umgesetzt, lässt die Spielerin das Publikum ihrem erotischen Erwachen und ihren ersten Affären mit Frauen folgen, nicht ohne auch deutlich zu machen, dass eine queere Identitätsfindung mitnichten einfach war und ist. Auch ohne Liebestrank, den eine Zuschauerin probieren darf, wickelt Alice Mercier in ihrem dicken Bärenfellmantel ihr Publikum um den Finger. Auch die am gleichen Abend präsentierte Hamlet-Version „Hamlet et nous“ der Compagnie Tac Tac arbeitet mit Schleichtieren. Aus der Fiktion einer Kick-Off-Veranstaltung für die Finanzierung einer Filmproduktion, die zwei Brüder planen, entwickelt sich ein rasantes Spiel, das Ophelias Schicksal in den Mittelpunkt stellt. Auf der Folie des Hamletstoffs gesteht einer der Brüder, wie er seine erste Liebe – ein junges Reh – nicht gegen das Cybermobbing ihres Exfreundes verteidigt hat. Aber diese Ophelia bringt sich nicht um, sie schlägt zurück. Eine ihre einfachen Mittel gekonnt und wirksam einsetzende mobile Klassenzimmerproduktion, die leichtfüßig, quasi en passant, Männer- und Frauenrollen infrage stellt. Unglaubliche Spielfreude hat auch Blanche Lorentz von der Compagnie Granit Suspension, die in „Moby Dick 150“ gar zu einer kleinen Revolte aufruft. Mit überraschenden Einfällen wie einer piepsig rappenden Fliege und echten Fliegen-Puppen als „Pausensnack“ gelingt es ihr, ihr Publikum zu unterhalten. Leider verliert sich ihre Geschichte über Outsider-Kunst und Fliegen allzu sehr in der Freude am Unsinn – so bleibt am Ende der Eindruck eines Schülerstreiches. Aber die Revolution kann bei diesen vielversprechenden jungen Spieler*innen ja noch kommen, die gerade erst begonnen haben, an den Fronten unserer Gegenwart zu kämpfen. En avant toutes! – www.skupovaplzen.cz – www.lemouffetard.com oben: Compagnie Granit Suspension, Moby Dick 150. Foto: Christophe Loiseau unten: Compagnie Boom, En Avant Toutes. Foto: Christophe Marand
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wenn die sonne im quadrat aufgeht Material-, Klang- und Bewegungsexperimente beim Festival FRATZ International Alle zwei Jahre lädt das vom Berliner Theater o.N. ausgerichtete Kindertheaterfestival FRATZ International eine Auswahl von bemerkenswerten Gastspielen aus unterschiedlichen Ländern für die Zielgruppe von 0 bis 6 Jahren ein. Das Programm wird dezentral in verschiedenen Berliner Stadtbezirken veranstaltet und richtet sich an Kindertagesstätten, Familien und Fachpublikum. Von G i sl i nd e N a u y /// Das diesjährige Festival präsentierte vom 13. bis 19. Mai 2022 acht ausgewählte Inszenierungen. Neben dem Figuren- und Objekttheater trat in dieser Ausgabe die Sparte Tanz als Schwerpunkt deutlich hervor. Dabei zeigten die ausgewählten Produktionen, wie ausgezeichnet sich beide Genres eignen, das sehr junge Zielpublikum auf einer Ebene anzusprechen, die auf weite Strecken auch ohne das Medium Sprache auskommt. Die belgische Gruppe Hanafubuki schildert in „Diorama“ den Umgang der Tiere mit einem Tag, an welchem die Sonne einmal nicht rund, sondern quadratisch aufgeht. Auf der philosophischen Ebene wird die große Frage verhandelt, wie wichtig Rituale und Routinen sind und wie sehr es uns Menschen aus der Bahn wirft, wenn einmal etwas nicht so aussieht, wie wir es gewohnt sind. Dies gelingt mit einer Inszenierung aus kleinsten Dingen: Winzig steht die kleine Guckkastenbühne auf einem Tisch. Kulissen und auftretende Tiere werden seitwärts oder von oben hinein- und hinausgeschoben. Dass man dem Kulissenschieben offen zusehen kann, erweitert den Zauber für das Publikum um eine weitere Ebene. Die beiden Spieler*innen Sari Veroustraete und Samuel Baidoo bedienen die kleine Welt virtuos und bestens aufeinander eingespielt. Das gilt nicht zuletzt für die Musik, die mit winzigen Instrumenten (Mundharmonika, Pfeife oder Ukulele) und Klängen das Sicheinlassenkönnen auf diese miniatur-kleine und doch in sich vollständige Welt unterstützt. Am Ende gibt es noch ein Nachspiel: ein eigens aufgebauter Spielplatz mit Elementen aus der Inszenierung, der die Kinder zum Entdecken und Selberspielen einlädt.
Farbschlacht und Wasserspiele Die Produktion „Kolofu“ ist ein Output aus Forschungen zu den Themen Hautfarben, Bleichen und Tönen, Kolorismus, Rassendiskriminierung und Identität der Gruppe KiNiNso Koncepts (Nigeria). Zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer im weißen Kostüm entdecken nach und nach Farbpulver als Schlüssel zur Welt der Vielfarbigkeit. Das Pulver wird verstreut, durch die Luft geblasen, in Gesichter gemalt, in Wasser aufgelöst, miteinander vermischt. Am Ende herrscht auf der ganzen Bühne eine intensive Farbschlacht, in die die kleinen Besucher*innen nur zu gerne und mit viel EnTheater o. N., Bubbles. Foto: Martin Koos
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thusiasmus buchstäblich eintauchen – von Kopf bis Fuß. Tanz, Trommeln und Gesänge runden die Perfomance zu einem Erlebnis ab, das auf mehreren Kanälen zugleich anspricht und fesselt. Der optische Effekt ist bemerkenswert, und der spielerische unverbrauchte Umgang mit Farbpulver als Material zeigt ein großes Verständnis für den kindlichen Blick auf die Welt und deren erste Ergründung. Dabei beruhigt es, dass die Frage des Rassismus nicht mit dem moralischen Zeigefinger thematisiert wird. Doch bleibt es fragwürdig, ob bei der angesprochenen Zielgruppe (2- bis 6-Jährige) der Zusammenhang zwischen der Ästhetik eines Farbenspektrums und der Gleichwertigkeit von unterschiedlichen Hautfarben nicht doch unverstanden verhallt. Der „wässrig-musikalischen“ Performance „bubbles“ des Theater o.N. gelingt es, Kindern ab 2 Jahren etwas über den Zauber moderner Musik zu vermitteln: Das Publikum lauscht gebannt dem Tropfen von Wasser, dem Blubbern, wenn man mit Strohhalm oder einer Klarinette in ein mit Wasser gefülltes Goldfischglas hinein bläst, und trägt schließlich selbst aktiv zu diesem außergewöhnlichen Klangteppich bei, wenn irgendwann alle auf ihrem eigenen Eiswürfel herumkauen. Die Theorie, dass das experimentelle Musiktheater ein geschultes akademisches Gehör benötigt, wird hier widerlegt. Und das ganz nebenbei. Denn eigentlich steht im Vordergrund ein ästhetisch in sich stimmiges Spektakel aus Ausstattung, Klängen und Licht. Das Nachspiel-Angebot, bei dem die kleinen Zuschauer*innen selbst mit „blubbern“ dürfen, wird nur allzu gerne angenommen. Insgesamt trägt das FRATZPublikum, ebenso international aufgestellt wie die Künstler*innen, maßgeblich zu einer euphorischen Festival-Stimmung bei, die sich durch alle bespielten Berliner Stadtteile gleichermaßen hält. – www.fratz-festival.de oben: KiNiNso Koncepts, Kolofu. Foto: Anu Sangukunle unten: Hanafubuki, Diorama. Foto: Olmo Peeters
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BEFRAGUNG DER WELT Festivalbericht von der FIDENA 2022 Nachdem die FIDENA 2020 pandemiebedingt ausfallen musste, konnte sie im Mai 2022 wieder live in Bochum und den Nachbarstädten Hattingen, Marl und Recklinghausen stattfinden. Die Erfahrung des Bruchs, die Suche nach alternativen Formen der Vernetzung und das Ausloten von Digitalität nicht nur als Instrument des Austauschs, sondern auch als Modus künstlerischer Produktivität spiegeln sich im Motto der diesjährigen FIDENA. Unter der Überschrift „Befragung der Welt“ reflektierte eine vielfältige internationale Puppen-, Figuren-, Objekt- und Materialtheaterszene ihre Position, lotete Möglichkeiten der Vernetzung aus und befragte Aufgaben, Probleme und Potenziale der eigenen künstlerischen Tätigkeit. Von Je ssi c a H öl z l (Bericht Auftaktwochenende) un d Mat h ild e Ch ag o t -M ans u y (Festivalbericht) /// Den Auftakt der FIDENA bildete eine publikumswirksame Eröffnungsparade: Eine große Stelzenpuppe mit bunten Flügelarmen führte den Zug zur Musik von „Rabatz“ durch die sommerliche Bochumer Innenstadt, gefolgt von drei Damen mit hochgeschlossenen Kitteln, die eine riesige Nadel mit dickem rotem Faden durch die Menschenmenge fädelten. Ein freches Krokodil foppte die Begleitpolizei, seltsame Wesen huschten durch die Schaulustigen, und auch die Gäste hatten eine Vielzahl von Handpuppen, Masken und Verkleidungen mitgebracht.
La Compagnie S’Appelle Reviens, Pinocchio (Live) #2. Foto: Daniel Sadrowski
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Produktionsprozesse und kollektive Rituale Offiziell eröffnet wurde das Festival mit der deutschsprachigen Erstaufführung von „Pinocchio (LIVE) #2“ der Compagnie S’Appelle Reviens. Mit Tanzschüler*innen des Centre Choréographique de Strasbourg und Performer*innen der Schauspielklasse des Conservatoire de Colmar führt die bildende Künstlerin und Regisseurin Alice Laloy in einem faszinierend-verstörenden Prozess voller Rhythmus und (A)Synchronizität die Produktion von zehn Pinocchio-Puppen vor. Mit großem Können den eigenen Körper als Objekt zur Verfügung stellend, provozieren die jungen Akteur*innen ein Unbehagen, das Zuschreibungen kindlicher Naivität und die Unzulänglichkeit ihrer (Selbst-)Wahrnehmung gleichermaßen in Anschlag bringt. Zugleich verweist die Performance über den konkreten Stoff hinaus auf Fragen der Animation und Materialität, die nicht nur klassische theatertheoretische Reflexionen miteinbeziehen, sondern in der spezifischen Ausgestaltung zugleich auf Fragen nach Souveränität und Autonomie, Machtverhältnis und Vormundschaft verweisen. In anderer Weise vermeintliche Setzungen normativer Weltanschauungen befragend, verwebt der kanadische ‚Master of Puppetry‘ Ronnie Burkett in der europäischen Erstaufführung „Forget me not“ Animation und Spiritualität. Vor dem Hintergrund der imposanten Turbinenhalle entführt der Spieler als Guru und allmächtige Erzählinstanz das Publikum in eine ebenso varietéhafte wie archaische Welt ‚a long time ago‘ und verwickelt die Zuschauer*innen in ein berührendes kollektives Ritual. Dagegen kommen die heutigen Mechanismen einer globalisierten Welt den Besucher*innen der Videoarbeit „Guilty Landscapes“ von Studio Dries Verhoeven schmerzhaft nahe. Während die vorbeifahrende S-Bahn die regelmäßig getakteten Verbindungen der Ruhrmetropolen hör- und fühlbar werden lässt, entführt die begehbare Installation im früheren Festivalzentrum Kunstverein Rottstraße jeweils eine Person für ca. 10 Minuten in die ferne und zugleich spürbar nahe Wirklichkeit industrieller Textilproduktion. Ein solches Festival in Raum und Zeit bringt nicht nur das haptische Erleben von Bühnenkunst, partizipativen Formaten und begehbaren Installationen mit sich, sondern auch einen speziellen Rahmen: Ein Festivalzentrum im Pumpenhaus der Jahrhunderthalle, deren Industriepark mit Birken und Patina eine beeindruckende Kulisse abgibt, Diskussions- und Austauschformate und jede Menge zufälliger Begegnungen, spontaner Gespräche und neuer Vernetzungen.
W e lt e n i n B e w e g u n g Die weit auseinanderliegenden Spielorte in Bochum und den benachbarten Festivalstädten erforderten von den Besucher*innen eine große Bereitschaft zur Mobilität. Zu spüren war dabei, wie die Tatsache, ins Theater zu gehen, dem Körper selbst eine bestimmte Haltung gibt, eine besondere Weise, die Welt wahrzunehmen – und sie zu befragen. Auch in den einzelnen Inszenierungen der diesjährigen Ausgabe drückte sich dieses Motiv aus – sei es thematisch, als dramaturgisches Prinzip oder als Bewegungsmodus des Publikums. In „Shell Game – Lost in Paranoialand“, einer „Mischung aus theatralem Abend und Live Game“ vom Bochumer Kollektiv Anna Kpok, mussten sich die Teilnehmenden nach der Notlandung ihres intergalaktischen Raumschiffs auf einem unbekannten Planeten zurechtfinden. Während wir, die Reisenden, zunächst den Anweisungen unserer androiden Flugbegleiterin voller Vertrauen folgten, fingen wir nach kurzer Zeit zu zweifeln an. Da allen Teilnehmenden zusätzlich eine geheime Rolle zugeschrieben worden war, fiel es besonders schwer zu wissen, auf wen man sich verlassen konnte, um „gerettet“ zu werden. Durch das Kombinieren von Indizien und (womöglich falschen) Informationen galt es, sich in futuristischen Landschaften aus bunt beleuchteten Stoffquallen, pilzartigen Schauspielhaus Graz, Nikolaus Habjan und Neville Tranter, The Hills are Alive. Foto: Lex Karelly
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Riesenkissen und zart leuchtenden Papierfelsen zu orientieren, wobei es keine „gute“ oder „schlechte“ Lösung gab. Am Ende teilten sich die 32 Reisenden spontan in drei Gruppen auf – und es stellte sich die Frage: Sollten wir lieber ins Raumschiff zurückkehren? Auf dem Planeten bleiben, auf dem wir gelandet waren? Oder einen Schritt nach vorne, ins Unbekannte, wagen? Wo wäre man gelandet? Vielleicht in einer Welt voller skurriler Mensch-Objekt-Hybride, wie sie in der Performance „After all Springville“ der belgischen Künstlerin Miet Warlop, einem Remake des 2009 entstandenen Klassikers „Springville“, zu erleben war. Da versuchen ein nervöser Sicherungskasten, ein Tisch mit langen Beinen und hohen Absätzen, ein ebenso neugieriger wie schüchterner Karton und weitere Figuren auf zugleich ungeschickte und zärtliche Weise in Berührung zu kommen. Im Laufe der Aufführung wird es immer chaotischer, aber durch die absurde Logik der Situationen entsteht ein tief prägendes Gefühl des Zusammenseins, das in unkontrollierbarem, kollektivem Lachen gipfelt.
V o m F e s t h a lt e n u n d E n t g l e i t e n
In „Dimanche“, einer in Kooperation mit den Ruhrfestspielen präsentierten Inszenierung der belgischen Kompanien Focus und Chaliwaté, erweist sich die Fortbewegung als ein Kennzeichen jener Welt, die ins Verderben rennt und in der der Mensch vergeblich versucht, die Illusion der Normalität zu behalten – so wie das Paar, dessen vier Wände kurz vor dem Sonntagsessen von einem Sturm erschüttert werden. Umgeben von fliegendem Geschirr und zerbrochenem Glas halten sich die beiden mit aller Kraft am Tisch fest und versuchen, in einer unbewohnbar gewordenen Welt ihre Gewohnheiten wie Rituale ad absurdum weiterzuführen. Den Tisch decken, eine Kerze anzünden (und sie erneut anzünden, sobald sie erlischt), das Geflügel zerlegen: In all diesen sinnlosen Widerstandsversuchen der Körper auf der Bühne zeigen sich der Immobilismus und die Realitätsverweigerung der Menschheit gegenüber der Katastrophe, die sie selbst in Gang gesetzt hat. Könnte die Illusion, sich am vermeintlich Vertrauten festhalten zu können, auch die misslungene Rückkehr eines Kaspers erklären? Eine solche erlebt dieser jedenfalls in „Croc Fiction – Jerk of All Trades“, einer Uraufführung des Pangalaktischen Theaters und des Bochumer Kollektivs impulskontrolle. Aufgefordert vom alten Freund und Kollegen Kroko erklärt sich Kasper bereit, an einem neuen Projekt teilzunehmen, bei dem er sich in einem videospielartigen Haus bewegen muss. Trotz des Einsatzes hochmoderner digitaler Medien gelingt es ihm nicht sich zu erneuern, und er erlebt ein unfreiwillig tragisches Ende. Das Motiv der Mobilität fungiert auch als thematischer Leitfaden in „The Hills are Alive“, der ersten Zusammenarbeit von Neville Tranter und Nikolaus Habjan, in der sie die Emigrationsgeschichte der österreichischen Musiker*innenfamilie von Trapp – die hier von Trüb heißt – in die Gegenwart verlängern. Die Rückkehr des Paares 50 Jahre nach seiner Flucht aus Österreich nach Amerika gibt den Figurenspielern die Gelegenheit, sich mit dem zeitgenössischen Österreich und seiner nicht aufgearbeiteten Geschichte zu befassen. Besonders beeindruckend ist es, wie beide von einer Puppe zur anderen übergehen, so dass vielfältige Stimmen entstehen, von denen es bald unmöglich ist zu wissen, woher sie kommen. Mit bitterbösem Humor zeigen Habjan und Tranter auf, wie die Mobilität der Menschen Grundwerte unserer Gesellschaft ins Wanken bringt, so dass am Ende die Frage steht: Gibt es eigentlich gute und schlechte Flüchtlinge? In einem Festival, das so sehr auffordert, die vielfältigen Wege auszuloten, sich in der Welt zu situieren, ist es bestimmt nicht erstaunlich, dass sich bei der Abschlussparty sowohl Zuschauer*innen als auch Künstler*innen und Organisationsteam auf dem dancefloor der Stachanow-Bar mischten und stundenlang, dank der begabten DJ Death (aka Pia Alena Wagner), alle zusammen tanzten. Denn letztendlich ging es den Menschen im Festival wie den Dingen auf der Bühne: Um die unermüdliche und freudige Suche nach neuen Vernetzungen. – www.fidena.de Compagnie Chaliwaté und Compagnie Focus, Dimanche. Foto: Virginie Meigné
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NEUE BLICKWINKEL Grünschnabel-Preis beim FIGURA Theaterfestival 2022 Zu dem im Rahmen des Figura Theaterfestivals zum 10. Mal ausgeschriebenen „Grünschnabel“-Förderpreis für junges Figurentheater des Kantons Aargau waren fünf Produktionen junger Künstler*innen aus vier europäischen Ländern eingeladen. Und obwohl am Ende nur eine Inszenierung den Preis nach Hause nehmen konnte, überzeugten alle Inszenierungen durch künstlerische Qualität, Einfallsreichtum und Mut zur Innovation, wie die Jury in ihrer Laudatio zu Recht ausführte.
V e r s p i e lt e M at e r i a l e r f o r s c h u n g Von H a nsu e l i T r üb /// Ein schlichter, weißer Rundhorizont. Zwei Spielerinnen (Sarah Chaudon, Clara Palau y Herrero vom Stuttgarter Tangram Kollektiv) sitzen am Boden und beobachten die Zuschauer*innen, die die Ränge füllen. Ein Kartonhorizont mit einer Häuserkulisse steht bereit. Kaum wird’s dunkel, als wir auch schon in die Schattenstadt eintreten und uns plötzlich in einem Zimmer befinden. Eine Lampe wird angezündet. In der Realität? Im Schatten? Die beiden Frauen trinken Tee, bewegen sich im Raum, heben eine Tasse an – der Schatten aber bleibt stehen. Die ersten Kinder kichern. Der Löffel, der zum Mund geführt wird, ist plötzlich ein Fisch, der davonschwimmt und Schwups! – zum Flugzeug wird. Die Kinder kugeln sich vor Lachen, wenn das kleine schwarze Männchen aus der Lampe lange Beine wie ein Schatten bekommt, wenn die Spielerin plötzlich zwei, drei Schatten hat, wenn sie ihren eigenen Schatten auf die Bühne zerrt und dieser leibhaftig vor ihr steht. Es ist eine Freude, den beiden Spielerinnen zuzusehen, wenn sie beobachten, plötzlich stutzen, wenn sie mit dem Schalk eines Kindes den Schatten kitzeln und ihn gleich selbst verwenden, um ihr eigenes Schattenbild zu überlisten. „Schattenwerfer“ ist Spielfreude pur – und gleichzeitig eine fröhliche Entdeckungsreise für Kleine und Große in das Reich von Licht und Schatten. Mit einer ungewöhnlichen Kombination von Materialien arbeitet auch die Inszenierung „O wie kleiner Otik“ des jungen Prager Künstlerkollektivs TMEL / Drama Label: Alte Leiterplatten, Kondensoren, Thyristoren treffen hier auf eine Klangwelt selbst erzeugter Töne und Rhythmen. Basis der Inszenierung ist die berühmte tschechische Erzählung „Kleiner Otik“, in der ein aus einem Holzstumpf geschnitztes Kind in einem Anfall von Heißhunger erst die Eltern und dann das ganze Dorf verschlingt. Das Spiel beginnt mit drei einfachen Objekten auf einem niedrigen Spieltisch, die sofort als Figuren lebendig werden, einen Rhythmus klopfen, eine Parade von Kondensor-Soldaten abnehmen. Dann plötzlich ein Drama: Ein Soldat fehlt, bringt die Ordnung durcheinander, Chaos bricht aus. Nun baut sich eine Großstadt aus Leiterplatinen auf, ein ebenso technischer Storch kreist darüber, lässt Kinder durch den Schornstein fallen. Im Innern der Häuser küssen sich Widerstände, beginnt elektronisches Leben. Die drei Performer agieren ohne Worte, erzeugen aber alle Geräusche selbst. Und das ergibt immer wieder interessante Effekte, etwa wenn die Klänge der Großstadt aus diesen Leiterplatinen ertönen, als ob es Radiosender in verschiedenen Sprachen wären. Doch leider bleibt die Story wenig verständlich; die Dramaturgie des Stücks wirkt verschwommen und etwas beliebig. Schade, denn die Grundidee der Inszenierung könnte zu einer explosiven Mischung als Metapher für unsere kollabierende Welt werden. Compagnie 1001, L’ivresse des profondeurs. Foto: Coraline Charnet
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Erfahrungsräume In „Heimat Neuhof: Panorama“ begibt sich der in den Niederlanden ausgebildete Performer Silas Neumann auf Spurensuche in seine Familiengeschichte. Einzeln und sehr persönlich führt er die Besucher*innen in den Raum, in dem ein zwölfeckiges Kaiserpanorama steht, ein aus Breslau stammendes optisches Medium aus den Anfängen des letzten Jahrhunderts, in dem mehrere Menschen gleichzeitig durch Gucklöcher wechselnde Bilder in stereoskopischer Qualität sehen konnten. Nun sitzen die Zuschauer*innen rund um dieses Holzgebäude, blicken durch die Löcher auf (filmisch nachproduzierte) Bilder. Wald, ein über den Boden robbender Plastiksoldat, alte Fotos, ein kleines Dorf, Textfragmente, Kriegssituationen, Gesichter aus dem Zweiten Weltkrieg. Basis sind die Erzählungen von Neumanns Großmutter, die aus Pommern fliehen musste, und Geschichten über den Großvater, der noch lange nach Kriegsende im Wald alte Kollegen mit hochgerecktem Arm begrüßte. Gemeinsam mit den Besucher*innen macht sich Neumann auf den Weg in die Vergangenheit, geht den Fluchtweg der Großmutter zurück bis in ihre alte Heimat Neuhof. Er spricht dort mit heutigen Bewohner*innen, mit alten Menschen, die sich gerade noch an die Zeit von damals erinnern mögen. An Ende wird Neumann selbst im Innern des Panoramas sichtbar, wird Eins mit den auf sein Gesicht projizierten Bildern seiner Vergangenheit. Eine eindrückliche, berührende, sehr persönliche Reise in eine fremde Heimat mit Mitteln, in denen sich historische mit aktuellen Techniken ganz selbstverständlich verbinden. „Kaffee mit Zucker?“ – auch die Inszenierung des Teams um die Berliner Künstlerin Laia RiCa reicht zurück in eine Vergangenheit, deren Spuren bis in die Gegenwart hineinführen. Zum Geräusch und Duft von blubberndem Kaffee empfängt die in El Salvador geborene Performerin Laia Ribera Cañénguez charmant das Publikum, erzählt von ihrer Herkunft, malt ihren Heimatkontinent mit Kaffeepulver auf ein Papier, projiziert ihn auf den Hintergrund, löst das Bild im Wasser auf. Ein ganzer Sack Kaffeebohnen wird auf eine horizontale, im Raum hängende Membran – oder Weltkarte? – geschüttet. Man riecht den Kaffee, hört ihn auf der MembTANGRAM Kollektiv, Schattenwerfer. Foto: Florian Feisel
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ran, sieht ihn aus allen Perspektiven, er knirscht unter den Sohlen oder zwischen den Zähnen, man kann ihn sogar während einer kurzen Pause trinken. Aus Zuckerwatte entsteht schwebend eine weiße Maske und Spielfigur. Nach und nach weben sich Texte und filmische Fragmente (aus „Die Zivilisationsbringer“ von Uli Stelzner und Thomas Walther) über koloniale Produktionsweisen des Kaffeeanbaus in Guatemala in die Performance ein. Das Bild der Performerin schiebt sich in dokumentarische Filmaufnahmen und wird eins mit den Portraits indigener Frauen. Die anhaltende Ausbeutung der indigenen Bevölkerung, das brutale Machtgefälle zwischen den Industriestaaten des globalen Nordens und den Ländern des globalen Südens wird in diesen Bildern schmerzhaft präsent. Zurück bleibt nach dieser rasanten „dekolonialen Materialperformance“ – von der Jury zu Recht mit dem „Grünschnabel“-Preis bedacht – ein ebenso begeistertes wie nachdenkliches Publikum. Die iranische Künstlerin Sayeh Sirvani, Absolventin der ESNAM in Charleville-Mézières, beschäftigt sich in „L’ivresse des profondeurs“, mit Scheherazade, jener Figur aus „Tausendundeine Nacht“, die aus Angst, getötet zu werden, jeden Abend ihre Geschichte weitererzählt. Sirvanis Scheherazade stammt aus den Tiefen des Meeres, ist eine Nixe, die vor dem mit Öl verpesteten Wasser ans Land fliehen will. Die geheimnisvolle Figur, die singend und ihre Mythen erzählend aus dem Dunkel erscheint und von innen heraus leuchtet, ist wandelbar. Sie trägt ein leuchtendes Kind wie einen Fötus unter ihrem Kleid, verwandelt sich von der Nixe in einen Menschen, spricht in verschiedenen Sprachen und erzählt ihre nie endenden Geschichten in unterschiedlichen Gestalten, bleibt aber dennoch immer dieses unfassbare Wesen. Vieles bleibt in dieser Inszenierung in der Schwebe, der Sinn im Verborgenen. Man ahnt, dass die Geschichte noch nicht zu Ende erzählt ist, dass sie immer weiter geht, dass wir im Erzählen das Ende – auch unserer Zivilisation – hinauszuzögern versuchen. Ob das gelingen wird? – www.figura-festival.ch Laia RiCa, Kaffee mit Zucker? Foto: Pablo Hassmann
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EIN FEST DER VERBUNDENHEIT Frank Bernhardts Abschiedsfestival „Beste Freunde“ am Puppentheater Magdeburg Vo n K at ja S p ies s /// Unlängst erzählte mir eine Kollegin von einer Festivalleiterin, die freundschaftliche Beziehungen zu den Künstler*innen zu einem zentralen Kuratierungsprinzip erklärte. Und über die Mentorin eines Förderprogramms erfuhr ich von Projekten, die durch mehrfaches Sehen oder Hören von Kunstwerken die Erlebnistiefe zu verstärken suchten. Beziehung und Vertiefung – keine selbstverständlichen Begriffe in einer Zeit, in der es immer ausschließlicher um Innovation und Output geht. Wenig später hielt ich das aktuelle Festivalprogramm des vom Puppentheater Magdeburg ausgerichteten Festivals „Blickwechsel“ in der Hand. Titel und Motto des Festivals: „Beste Freunde“. Versammelt hatte der scheidende künstlerische Leiter Frank Bernhardt in seinem Programm vor allem Inszenierungen von Künstler*innen und Ensembles, mit denen er durch langjährige Gastspielkontakte im Rahmen des Festivals oder gemeinsame Projekte am Haus verbunden war. Unter diesen waren auch Produktionen, die bereits bei einem der vorangegangenen Festivals zu sehen waren – üblicherweise ein No-Go für eine Veranstaltungsform, die von der Neuheit und Einmaligkeit des Gezeigten lebt. Kombiniert waren die Arbeiten der „besten Freunde“ mit solchen „neuer Freunde“: Produktionen von Nachwuchskünstler*innen und performativen Formaten, die auf intime Begegnungen von Theatermacher*innen und Publikum abzielten. Der Rückgriff auf bereits gezeigte Produktionen war in Teilen sicher der vorangegangenen Lockdown-Situation und der damit verbundenen Unmöglichkeit, neue Produktionen zu sichten, geschuldet. Es wäre jedoch dem Festivalprogramm nicht angemessen, würde man es ausschließlich als Produkt einer Krise begreifen. In seiner Programmatik dokumentiert sich vielmehr ein kuratorischer Zugriff, der ein Festival nicht oder zumindest nicht nur als einmaliges „Event“ begreift, sondern auch als Struktur der Verbindlichkeit und Verbundenheit. Der darauf vertraut, dass Kontinuität von Beziehungen Impulse und Begegnungen schafft – zwischen den gastierenden Künstler*innen, aber auch zwischen den Gästen und den Akteur*innen des gastgebenden Hauses. Man könnte auch sagen: Indem das Festival Möglichkeiten für nachhaltige Beziehungen schafft, gibt es perspektivisch Raum für Veränderung. Es ist daher sicher kein Zufall, dass Frank Bernhardts zweites wichtiges Abschiedsprojekt eines ist, dass die Festivalidee programmatisch weitertreibt. In dem Projekt „RE-MEMBER“ (beschrieben in unserem Thementeil), werden ehemalige Gäste zu Partner*innen, unterschiedliche künstlerische Positionen nicht nur besichtigt, sondern gemeinsam erforscht und hinterfragt. Im besten Fall beweist sich auch hier die Struktur als „Vertrauensraum“ für neue kollaborative Strategien und Handschriften. Mit beiden Projekten hat Frank Bernhardt seinem Haus und den befreundeten Künstler*innen zwei beeindruckende Abschiedsgeschenke gemacht. Und zwei Lichter auf der Abschiedstorte platziert, die klar in die Zukunft leuchten. – www.puppentheatermagdeburg.de Frank Bernhardt. Foto: Anjelika Conrad
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SPURENSUCHE Eine Datenerhebung zum Figurentheater in der Schweiz Der Verein Neuere Geschichte des Figurentheaters der Schweiz NGFS realisiert eine Erhebung zum Figurentheater in der Schweiz. In Zusammenarbeit mit SAPA (Swiss Archive of the Performing Arts) wurden anhand von Leitfadeninterviews Schweizer Figurentheatermacher*innen zu ihrem Schaffen befragt. Ziel ist, das Wissen der Protagonist*innen der Szene seit den 1950er Jahren festzuhalten. Von N a dj a Rot he n b ur g e r /// Wie so vieles, beginnt das im Jahr 2018 angestoßene Projekt aufgrund einer Verkettung von Umständen und Zufällen: Der Figurenspieler und Theatermacher Kurt Fröhlich gelangt an ein Haus in Herisau, das er zum Figurentheatermuseum umbaut. Die pragmatische Feststellung, dass solch ein Museum ohnedies über ein zugehöriges Depot oder Archiv verfügen müsse, ebnet der Idee den Weg, das sich im Umbruch befindende gegenwärtige Schweizer Figurentheater mittels Interviews abzubilden: Dokumentation und Wissensweitergabe sollen gewährleistet werden. Angetrieben von der Frage, was mit Bühnenbildern, Requisiten, Fotos, Programmheften und anderen Materialien des Figurentheaters vergangener Jahrzehnte geschehen sein mag, wird kurzerhand ein Verein gegründet und um Gelder angesucht. Ziel ist es, eine Datenerhebung zum zeitgenössischen Figurentheater in der Schweiz ab den 1950er/1960er Jahren auf Grundlage von Interviews mit Protagonist*innen dieser Zeit zu veranlassen. Unter Beratung des SAPA (Swiss Archive of the Performing Arts) entsteht ein erster Handlungsleitfaden zur Erfassung dieses theaterpraktischen Wissens, zudem wird der künftige Datenaustausch zwischen dem Verein, dem SAPA und dessen Plattform der Darstellenden Künste der Schweiz angestrebt.1 Zusammen mit Urs Kaiser und Birk Weiberg vom SAPA wurden methodische Fragen hinsichtlich der Dokumentation von Aufführungen und Phänomenen des Figurentheaters diskutiert: Wie können Gruppen, Bühnen und Inszenierungen angemessen benannt und eingeordnet werden? Wie wird man den Besonderheiten der jeweiligen Inszenierungen gerecht und erfasst sie zugleich mit einem kohärenten, allgemeineren Vokabular? Resultat dieser Auseinandersetzung sind drei leitfadengestützte Interview-Fragebögen, die die Erhebung von Produktionen, Produzierenden und deren beruflicher Laufbahn ermöglichen. Auf Grundlage dieser Fragebögen führten Kurt und sein Sohn Andreas Fröhlich, die Marionettenspielerin und studierte Soziologin Anne Compagnon sowie die Theaterwissenschaftlerin Elke Krafka 105 Interviews mündlich bzw. schriftlich. Ausgehend von den Mitgliederlisten der 2019 aufgelösten UNIMA Suisse wurden Spieler*innen kontaktiert, um sie für das Vorhaben zu gewinnen und das übergeordnete Ziel der Umfrage zu realisieren, einen Überblick über die Akteure der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts zu erstellen. Zudem wurden die Spieler*innen gebeten, einen Archivkarton mit Materialien zu befüllen, sodass neben den Informationen aus den Fragebögen auch Skripte, Bühnenbildskizzen, Fotos etc. Eingang ins Archiv fanden. In diesem Sinne fungiert die Erhebung als Ort, an dem Spuren jahrzehntelanger Arbeit gesammelt und abrufbar sind. Nun steht das Projekt vor dem Abschluss und die Datenaufbereitung und Zugänglichmachung beginnt, auf dass interessierte Zuschauer*innen, zukünftige Spieler*innen und Forschende auch nach den Aufführungen genüsslich durch Figurentheatermaterial stöbern können. – www.figurentheatermuseum.ch 1 https://www.performing-arts.ch/resource/sapa:About
Logo des Figurentheater-Museums Herisau.
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„DER AUFTRAG, DEN WIR UNS SELBST GEBEN MÖCHTEN“ Ein Gespräch mit Line Eberhard und Marcel Grissmer vom Theater Stadelhofen Nach mehreren Leitungswechseln gilt es nun für das Theater Stadelhofen, das Profil neu zu schärfen. Franziska Burger führte mit Line Eberhard und Marcel Grissmer ein Gespräch über die Alleinstellungsmerkmale des Theater Stadelhofen, das Theaterverständnis der neuen Co-Leitung und was die Zukunft bringen wird. Das Zürcher Theater Stadelhofen ist eines der grössten Gastspiel- und Koproduktionshäuser der Schweizer Figurentheaterszene. In den letzten Jahren kommt es auf der Leitungsebene nicht zur Ruhe: Nachdem Helmut Pogerth während zehn Jahren bis zum Ende der Spielzeit 2016/2017 das Theater Stadelhofen geleitet hat, traten Françoise Blancpain und Benno Muheim als Co-Leitung die Nachfolge an. Muheim verliess bereits 2019 wieder das Haus, um sich auf die Arbeit mit den Gruppen Theater Hand im Glück und Silberbüx zu fokussieren. Seine Nachfolgerin wurde die Theaterproduzentin Line Eberhard. Nun, kurz vor der entscheidenden Eingabe beim Kanton Zürich für eine Konzeptförderung, gibt es wieder einen Wechsel: Françoise Blancpain geht und Marcel Grissmer, Theaterpädagoge und -produzent, tritt an ihre Stelle. Zeit, um mit der neuen Co-Leitung einen Blick nach vorne zu werfen. Mit der neuen Co-Leitung und der Eingabe für eine Konzeptförderung sind gerade zwei grosse Meilensteine zu bewältigen. Marcel Grissmer: Auf den ersten Blick erscheint es, als ob jetzt alles zusammenkommt und grosser Umbruch herrscht: Françoise geht und ich komme dazu. Aber wenn man einen Schritt zurück macht, merkt man, dass gar nicht alles so zusammenkommt, eigentlich ist es ein Prozess von drei Jahren: Von Françoises Entscheidung zu gehen, über unsere Arbeit am spezifischen Konzeptantrag, bis zur eventuellen Genehmigung des Antrags. Erst mit der Spielzeit 2024/25 kann man dann sagen, dass die Gedanken, die wir (zeigt auf sich und Line Eberhard) jetzt im Zusammenhang dieses Antrags hatten, realisiert werden. Line Eberhard: Dieses Haus war schon lange ein Haus für Figurentheater. Es wurde von Menschen aus der Szene gegründet – das macht absolut Sinn für diese Stadt und das führen wir sicherlich fort. Was wird sich ändern? LE: In Zukunft wollen wir mehr über Dinge kommunizieren und den Kontakt über Dingbeziehungen herstellen. Das ist auch die Kernkompetenz dieses Hauses. Das Stück „Kaffee mit Zucker?“ von Laia RiCa ist ein gutes Beispiel dafür: Fast alle trinken Kaffee und so stellt sich eine unmittelbare Beziehung zum Material und dem, was auf der Bühne verhandelt wird, her. MG: Wir kommen immer wieder zurück auf die Möglichkeit, jede Frage und jede Auseinandersetzung greifbar zu machen mit einem Ding. Es macht Spass, der Frage nachzugehen, welche Möglichkeiten wir haben, um Beziehungen über Dinge oder Materialität herzustellen: Wie können Sachen verhandelt und sichtbar gemacht werden, die sonst nur im diskursiven Raum existieren und sehr versprachlicht sind? Ist dies auch der Anknüpfungspunkt, wie ihr Theater machen, fördern, produzieren möchtet? LE: Dies ist auch der Auftrag, den wir uns gerne selbst geben möchten. Damit hat es nicht nur Platz für das ganze Spektrum des Theaters der Dinge, sondern lässt auch Raum, um über das Ding zu verhandeln. Da sind wir auch wieder bei der Querwuchs-Thematik: Wenn sich Künstler*innen für ein Thema, eine Materialität oder einen Gegenstand entscheiden, können wir als Haus einerseits eine Ansprechperson sein, aber auch eine Plattform bieten, damit bspw. Puppenspieler*innen mit anderen Künstler*innen einen Wissensaustausch haben können, der so kaum stattfindet. So kann sich sehr viel öffnen. So ist Theater nicht nur Ort der Verhandlung, sondern auch der Vernetzung und Förderung? MG: Ja, im besten Fall! Und das ist eine pragmatische Herausforderung: Wie kriegt man verschiedene Menschen zur selben Zeit in denselben Raum? Oder wenn das nicht möglich ist, wie kann man diesen Austausch anders stattfinden lassen?
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LE: Das ist eine Entwicklung, die wir verstärkt weiterführen möchten in den kommenden Jahren. Wir sind eines von zwei Häusern in Zürich, das eine Leistungsvereinbarung hat, Theater für ein junges Publikum zu programmieren und zu schaffen. Es ist total wichtig, Gruppen vermehrt auf ihrem Weg zu unterstützen, gerade wenn sie noch nie für ein junges Publikum produziert haben. Denn es gibt immer mehr Schulklassen, die gutes Theater sehen müssen und sollen. Zudem soll in zehn Jahren in Zürich das geplante grosse Haus für junges Publikum aufgehen und bis dahin braucht es auch Gruppen, die das füllen können! Hängt mit diesem Leistungsauftrag auch der Schwerpunkt auf Kulturvermittlung zusammen, der auch in der Ausschreibung für die Position der Co-Leitung sehr stark gemacht wurde? LE: Vermittlung hat immer schon stattgefunden, nicht zuletzt durch Gabi Mojzes oder Benno Muheim und Françoise Blancpain. Ich selbst habe keine pädagogische Ausbildung und wollte deshalb eine Person, die spezifisch eine theaterpädagogische Ausbildung hat, um diesen Bereich weiterzuentwickeln. Auch, weil wir daran glauben, dass Theater mehr ist als nur irgendwohin zu gehen, etwas zu gucken und dann wieder zu gehen. MG: Künstlerische Prozesse sind nicht mehr ohne die Teilhabe zu denken. Und da ist die Szene den Förderkriterien Jahre voraus: Die Vermittlungsarbeit um die Produktionen herum ist nichts Sekundäres. Wir haben ein grosses Interesse, die künstlerischen Prozesse zu öffnen und das Publikum und das Noch-nicht-Publikum an dem Wissen der Produktionen teilhaben zu lassen. LE: Und in dem Sinne möchten wir auch expandieren. Es ist seit Jahren ein Thema, dass dieses Haus keinen Proberaum hat. Wir haben verschiedene Anläufe unternommen Proberäume zu teilen, aber so, wie wir gerne arbeiten möchten, müsste es ein Raum sein, der in der Nähe und ebenerdig zugänglich ist, der an der Oberfläche, „bei den Dingen“ ist. In dem Masse zu koproduzieren sind wir schon lange an unseren Grenzen. Und die Erfahrung zeigt, dass es nicht nur wünschenswert ist, sondern auch nötig, dass wir in der Nähe der Künstler*innen sind, damit wir als Ansprechpartner*innen fungieren können und dass es hier auch lebt! Wir wünschen uns einen lebendigen Innenhof und ein lebendiges Foyer, das nicht nur eine halbe Stunde vor und nach der Aufführung Leute beherbergt. Da gäbe es noch viel Potential, das im Moment mit den aktuellen Voraussetzungen – Subventionen etc. – nicht umsetzbar ist. - www.theater-stadelhofen.ch
Line Eberhard und Marcel Grissmer. Foto: Sepp de Vries
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ENGLISH SUMMARIES
O n th e way to (post )h um a n n e t works?
created in a process-like way, so that the project goes far beyond the usual staging methods in a municipal theatre. In an interview with Diane Sinizergues, the two directors describe the process of creation, which began with a five-day workshop of improvisations, exchanges and research with the entire ensemble. A dialogue-based, mutually inspiring way of working emerged, which Élise Vigneron describes as follows: “We all work together on something in common, as a heart, as a part or fragment of humanity, and at the same time we are very different and have different visions. That’s what interests us about the project: How are we together?” The institution wanted to “try something new for the ensemble”, says the third interviewee Petra Szemacha, head dramaturge at the Magdeburg Puppet Theatre. The actors in the ensemble are all individual artists who should be able to play a part in the development and artistic growth of the project. At the same time, she refers to the structural and financial hurdles of implementing a long process in a municipal theatre – in the final analysis, the whole house has to play along. Julika Mayer also sees a problem of rhythms between independent and institutional ways of working. In municipal theatre there is very little room for chance, but for her way of working it is a constituent element. At the same time, she points out the advantages of working with an ensemble; things like the high standard of performance, the ample resources and the various specialised departments. From her position as a professor on the puppet theater course in Stuttgart, she asks: “How can we ensure that these structures do not die out? Instead of saying that these institutions are outdated and no longer exciting, our challenge is to reshape them collectively, to ’repopulate’ them with our zeitgeist.”
The potentials and limitations of new connections (pp. 6–9) In his introductory article the theatre scholar Wolf-Dieter Ernst outlines network theories in sociology and philosophy – for example, Bruno Latour’s “Parliament of Things” – and seeks to make them applicable to discourses within contemporary figure theatre. According to the introductory thesis, figure and object theatre would be perfectly suitable for establishing a new artistic dialogue in which human beings and nature would relate to each other in a sustainable and fair manner. But as long as human activities and interests dominate the field, an anthropocentric rather than a post-human view of the world will continue to prevail in theatre. Using the example of the double discussion at FIDENA 2022, the author presents critical reflections on currently propagated network strategies. What cultural technique are we dealing with here? What does the metaphor “network” actually mean and how does it differ from a group, institution or party? The article addresses a current discourse: networking seems as indispensable today as the smartphone. The post-human networking of human and non-human actors on an equal footing is postulated. At the same time, networking, as it is practised today, is still predominantly man-made and thus also capable of triggering stress and evoking exclusion. In the field of culture, networking is often discussed as a strategy used by human beings to organise themselves in new alliances and working contexts and in doing so to question existing structures. The question is whether and how this networking can be opened up to non-humans.
Th e E n s em b le a s a n et work
Composti ng not netw orki ng
Models of collaboration in the Stuttgart figure-theatre scene (pp. 10–13) What kinds of perception of networking determine the practice of independent puppet theatre ensembles and what kinds of self-conception underlie it? What strategies of work organisation result from this? And what developments, hopes and wishes are associated with it? Based on conversations with actors from the “Figurenkombinat – Ensemble für zeitgenössisches Figurentheater” and the “Ensemble Materialtheater”, Julia Pogerth outlines models of cooperation in the Stuttgart figure theatre scene. “Our ideal is for everyone to be able to do everything,” is how Esther Falk from the Figurenkombinat, founded in 2010, sums up the self-image of her ensemble. They work with changing casts. The members – who live and work in different towns – take it in turns to build the puppets, direct and manage the production, or stand on stage. Each individual is free to work as a soloist or in other groupings. Collaboration with other groups is seen as adding value to their own work. The Materialtheater ensemble was founded in 1985 by two graduates of the figure theatre course and expanded in 2004 to a five-member ensemble of artists from the fields of figure theatre, directing, stage technology and music. It is also based in Stuttgart, where almost all the members have their main focus in life and work. The ensemble works together continuously in this constellation. In addition, the actors regularly create large, cross-genre ensemble productions, in which they are joined by colleagues from the German or international theatre scene. They describe the basis for their collaboration as flat hierarchies, years of shared work experience and mutual respect.
A plea for mushrooms as cues (pp. 18–19) Stefanie Wenner is a professor of applied theatre studies and an artist. For several years she has been researching into the largest network in the world: mycorrhiza, a network of fungi and plants that seems to pursue common interests. Right at the beginning of her article, she problematises the term “network” and later continues: “When we talk about mycorrhiza as a network, we are using an image of something man-made to talk about what we call nature.” But the separation of nature and culture is precarious: “Just as my human body is not separate from fungi, which are part of my metabolism and which I need as much as bacteria to exist, nature cannot be imagined as being separate from culture.” Yet this opposition has been established in the West since industrialisation at the very latest. It was this epistemological divide that made it possible to exploit nature as a sphere separate from humans and to deny it any intelligence. The term “network” is associated with an orientation towards growth that regards decay as failure. Mycorrhiza and fungi, the forest’s waste disposal system, on the other hand, cared for ”the common process of life and decay” as one collective body. She then applies this idea to theatre and proposes it as a contrast to the institutional self-preservation and the competition between artists. “Learning from mushrooms could therefore mean not maintaining existing institutions and systems at all costs, but composting and accelerating the process of decay. [...] We must learn to perceive decay and destruction as part of the process of becoming in order to change this world.”
B e tti n g o n M agica l M om en t s
A festi val as a space for reflecti on
A conversation with Élise Vigneron, Julika Mayer and Petra Szemacha on the international project “RE-MEMBER” (pp. 14–17) At the Magdeburg Puppet Theatre, an international collaboration between the ensemble and the artists Élise Vigneron and Julika Mayer is currently questioning the production methods in classical repertory. The production “RE-MEMBER” is
Talking about “Figure it out” at the Westflügel in Leipzig (pp. 20–22) The “Figure it out” festival at Leipzig Westflügel in June 2022 not only aimed to offer a series of events, but also to engage in a deeper exchange between artists and with the audience. Tom Mustroph spoke to Jessica Hölzl and Dana Ersing about the three components of the programme. The discussion program-
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me was aimed at an international audience of experts and looked at different focal points in three morning sessions. The first day dealt with concepts and challenges of curating, and two of the morning sessions dealt with networks and alliances. The third session on “New Barriers in Europe” proved to be particularly productive, focusing on the situation in Scotland, Poland and Hungary. One particular barrier was the fundamental question of funding. As Dana Ersing explains: “If we don’t receive funding do we still do the project and show that we can do it that way too!? Or do we say: No, we won’t do it, to show people that we need financial support.” The main focus of the showcase (twelve productions and the “Late Night for Young Puppet Theatre”) was not on new works, but rather older productions. Dana Ersing points out that this is one of the basic principles behind the work at Westflügel: “The last thing we want is to push our artists to keep producing new shows. We also want to do revivals, to revise a show to see what’s still topical about it, and think in a way that enables us to simply play shows back in over the years.” In conclusion, we will present Jessica Hölzl’s experimental feedback formats; things like post-performance phone calls with strangers from the audience, table talks at festive tables and reflections from special guests in the form of texts, images and audio files.
networking were tested. Five powerful contributions to this year’s Grünschnabel competition as part of the FIGURA theatre festival are described by Swiss author Hansueli Trüb. Katja Spiess, in turn, was impressed by Frank Bernhardt’s farewell festival “Beste Freunde” in Magdeburg and new forms of sustainable curating. Finally, in the Swiss Window, Nadja Rothenburger and Franziska Burger report on the development of an archive on Swiss puppet theatre and interview the new management team at Zurich’s Theater Stadelhofen about their conceptual ideas and forms of mediation.
S U MM A RY OF T H E SECT ION S In the Next Generation section, Leah Wewoda, a student from Berlin, describes her experiences during a semester abroad at ESNAM in Charleville-Mézières. She outlines how the different educational structures in the two countries affect artistic practice. In her account of the major theatre festival celebrating the 50th anniversary of the Contemporary Puppetry programme at the “Ernst Busch” School of Dramatic Art in Berlin, Katja Kollmann presents the programme in which students, teachers and alumni dealt with the past, present and future of the training programme in artistic contributions and discussions. This issue’s Flying Visit section takes us to the puppet theatre scene in the Baltic States. Anke Meyer was a guest at the Baltic Visual Theatre Showcase in Tallinn, Estonia, and reviewed a multifaceted festival in the shadow of the neighbouring war in Ukraine. The Estonian director Leino Rei sums up the results of a symposium on the prospects of puppet theatre education in the Baltic states and describes how contemporary puppetry could be integrated into the curricula of drama schools and further developed in cross-national workshops. In her new essay – summarised for double in an abridged English version in the Essay section – the Ukrainian theatre scholar Daria Ivonava-Hololobova compares two productions, based on the traditional Ukrainian puppet theatre form Vertep, dealing with the lives of humanist resistance activists during the Nazi era. The Dramaturgische Gesellschaft discussed “Taboos and ways of overcoming them in puppet theatre” at its annual conference in Dresden in June 2022. In the Discussions section Kathi Loch summarises the results of the panel discussion she chaired. In the Productions section, Sabine Leucht and Christina Röfer write about a South African-German cooperation project in Augsburg and 360° Virtual Puppetry from Zwickau. After a long break due to corona, this issue of double reports on six festivals. Mascha Erbelding was a guest at two festivals, Skupova in Plzenˇ and Scènes ouvertes à l’insolite in Paris. She notes that the liveliness of the Czech puppet theatre scene is documented mainly in large ensemble productions, while that of the current French scene is documented in solo works by young female artists. At the FRATZ International festival for the very young in Berlin, Gislinde Nauy experienced shows that were able to inspire the young audience with experiments in material, sound and movement. This year’s FIDENA in Bochum was about nothing less than “questioning the world”. Here, reviewers Jessica Hölzl and Mathilde Chagot-Mansuy discovered a multitude of productions in which normative world views were questioned and new forms of collaboration and
Divadlo Minor, Brothers of Hope. Foto: Theater
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NOTIZEN
FESTIVALS
JUBILÄUM
Das diesjährige Schwerpunktthema von Theater der Dinge 2022 – Internationales Festival des zeitgenössischen Figuren- und Objekttheaters lautet „Spuren der Verunsicherung“. Vom 1. bis zum 7. November werden 14 Inszenierungen, Showings und Projekte gezeigt, die das Spannungsfeld von Sicherheit und Unsicherheit durch unterschiedliche ästhetische Zugriffe ausloten: Arbeiten mit Puppen, Objekten und Alltagsmaterialien, aber auch Augmented Reality, historische Zeugnisse und installative Formen sind Teil des Festivalprogramms. Ergänzt wird es durch das Netzwerktreffen „BREAKDOWN – (Post) Digitale Communities der Freien Szene“ und ein Diskursprogramm mit Workshops, Vorträgen und Gesprächsformaten. – www.schaubude.berlin
Das 1952 gegründete Puppentheater Zwickau feierte im Oktober 2022 sein 70-jähriges Bestehen. Anlässlich des Jubiläums wurde ein dreitägiges Festival mit Walkacts, Paraden, internationalen Kompanien und eigenen Produktionen in Zwickau veranstaltet. – www.puppentheater-zwickau.de
An ein besonders junges Publikum (0 bis 5 Jahre) wendet sich vom 12. bis 27. November 2022 das Festival elPetit in Barcelona und anderen katalanischen Städten. Nach einer hybriden Ausgabe im Jahr 2020 finden die spartenübergreifenden Veranstaltungen für Groß und Klein wieder analog statt. Immersive Arbeiten und kleine Veranstaltungsorte, ebenso wie lokale als auch internationale Künstler*innen kennzeichnen das diesjährige Festivalprogramm. Parallel zum Festival findet vom 17. bis 20. November 2022 die Konferenz „International Encounter of Arts for (early) childhood“ statt, bei der Künstler*innen und Fachleute zusammenkommen und einen Einblick in die aktuelle Situation und die Zukunft der Künste für die (frühe) Kindheit geben. – www.elpetit.cat Das London Mime Festival findet 2023 zum letzten Mal in seiner bisherigen Form statt. Vom 16. Januar bis 5. Februar 2023 bietet es Premieren von zeitgenössischem Zirkustheater, Puppenspiel, Live-Kunst, Tanz und nicht textbasiertem Drama. Ergänzt wird das Angebot des Festivals durch Workshops und Meisterkurse. Nach der 47. Ausgabe will das Festival eine neue Richtung einschlagen, dabei aber weiterhin physisches und visuelles Theater in Co-Präsentationen an verschiedenen Orten fördern, seine beratende Funktion beibehalten und die Entwicklung von Künstler*innen und innovativen Arbeiten unterstützen. Weitere Informationen folgen. – www.mimelondon.com Ursprünglich für Februar 2022 geplant, findet die achte Edition der IMAGINALE nun vom 2. bis 12. Februar 2023 in Stuttgart, Mannheim, Heilbronn, Eppingen, Schorndorf und Ludwigsburg statt. Sie präsentiert Figurentheater im Grenzbereich von Tanz, Musiktheater, Performance und Digitalkunst und zeigt Ensembles und Solist*innen aus Deutschland, Frankreich, Norwegen, Spanien, Israel, Dänemark, Belgien, El Salvador, Großbritannien, der Schweiz, Österreich und den Niederlanden. Die städteübergreifende Großveranstaltung gehört zu den größten deutschen Figurentheaterfestivals und stärkt BadenWürttemberg als Schauplatz für internationales Figurentheater. – www.imaginale.net
TAGUNGEN Vom 26. August bis 4. September 2022 fand die 6. Deutsche Figurentheaterkonferenz von UNIMA und VDP in Northeim statt. Zum Thema der Konferenz „Figurentheater im öffentlichen Raum“ wurde ein einwöchiges Programm mit Symposium, Impulsvorträgen, Workshops und Festival geboten. Die online gestreamte Veranstaltungsreihe „Meet the Master“ (u. a. mit Björn Leese von Familie Flöz, Christoph Buchfink sowie Momo Ekissi & Company) kann nachträglich auf dem YouTube-Kanal vom Theater der Nacht angeschaut werden. – www.youtube.com/c/TheaterderNacht1
Im Oktober zelebrierte das Theater des Lachens seinen 30. Geburtstag. Das einst aus dem staatlichen Puppentheater der Stadt Frankfurt (Oder) hervorgegangene und 1992 unter dem Vereinsnamen „Kleines Theater – Puppen und Schauspiel e.V.“ gegründete Theater feierte sein Jubiläum mit Livemusik und einem Auftritt des Trios Gottschalk, Mürle und Soehnle, welches die Produktion „Wunderkammer – Betrachtungen über das Staunen“ zeigte. – www.theaterdeslachens.de Anlässlich seines 35-jährigen Bestehens feierte das 1987 von den Figurenspieler*innen Hendrikje Winter und Max Schaetzke gegründete Krokodiltheater vom 30.09. bis 3.10.2022 ein Jubiläumsfest, das von Weggefährt*innen wie dem Ensemble Materialtheater Stuttgart und dem babelart Theater Gmunden gestaltet wurde. – www.krokodiltheater.de
PREISE Figurentheaterregisseur Nis Søgaard und das Theater Junge Generation Dresden sind mit ihrer Produktion „Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute“ für den Deutschen Theaterpreis „Der Faust“ in der Kategorie „Inszenierung Theater für junges Publikum“ nominiert. Es ist bereits die zweite FaustNominierung für eine Zusammenarbeit von Nis Søgaard mit dem tjg Dresden. Beide waren schon 2019 mit dem Stück „Ich bin Kain“ für den renommierten Preis vorgeschlagen. Die diesjährige Verleihung findet am 26. November 2022 im Düsseldorfer Schauspielhaus statt. Die Preisträger*innen kürt eine siebenköpfige Jury, die von der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste benannt wurde. – www.buehnenverein.de Beim 15. Figura Theaterfestival in Baden gewann die transnationale Gruppe rund um Laia RiCa den mit 10.000 CHF dotierten Grünschnabel-Preis für junges Figurentheater mit ihrer Produktion „Kaffee mit Zucker?“. Die Jury zeigte sich begeistert von der „spielerischen Energie, figurentheatralen Phantasie, persönlichen Dringlichkeit und thematischen Intention“ des Stücks. Neben dem Grünschnabel-Preis gewann das Stück bereits 2021 den Fritz-Wortelmann-Preis der Stadt Bochum in der Kategorie „Professioneller Nachwuchs“. Weitere Spieltermine des mehrfach ausgezeichneten Stücks finden sich auf der Website von Laia RiCa. – www.laiarica.com Der mit 5000 € dotierte „Internationale MichaelMeschke-Preis für die Erhaltung und Erneuerung der Puppentheaterkunst“ wurde dieses Jahr als Zeichen der Ermutigung und Solidarität an Iryna und Roman Rudenko sowie an das Ensemble des vom Krieg zerstörten Puppentheaters in Mariupol verliehen. Das Theater wurde 1995 von der Regisseurin Iryna Rudenko gegründet und umfasste ein Ensemble von über zwanzig Künstler*innen. – www.michaelmeschke.com
Erschienen im Deutscher Kunstverlag umfasst die englischsprachige Publikation 192 Seiten, 140 Zeichnungen und ein Kapitel über ihre neueste Theaterarbeit. – www.halfpastselberschuld.de Die Deutsche Theatertechnische Gesellschaft (DTHG) hat es sich zur Aufgabe gemacht, die 2021 publizierten Theatre Green Books für nachhaltiges Arbeiten am Theater ins Deutsche zu übersetzen. Die ersten beiden Bände zu den Themen „Nachhaltige Produktion“ und „Nachhaltige Gebäude“ liegen bereits in übersetzter Form vor und können auf der Website der DTHG kostenlos heruntergeladen werden. Der dritte Band zum Thema „Nachhaltige Organisation“ ist aktuell lediglich auf Englisch verfügbar. – www.dthgev.de
FÖRDERUNG Aktuelle Fördermöglichkeiten und kostenfreie Beratung zu Förderungen für die Darstellenden Künste bietet der FörderFinder des Deutschen Forums für Figurentheater. Er ermöglicht Orientierung über die verschiedenen Förderprogramme der einzelnen Bundesländer. Auch wenn die Sparte Figuren-, Puppen- und Objekttheater oftmals nicht dezidiert genannt wird, richten sich jedoch alle aufgeführten Förderungen an die professionellen Darstellenden Künste. Die Beratung kann für allgemeine Anfragen rund um die Suche nach passenden Förderungen genutzt werden, aber auch für spezifische Fragen zu Fördermöglichkeiten einer Projektidee. Anfragen und Terminwünsche können laufend geschickt werden an: produktion@ fidena.de. – www.fidena.de
AUSSTELLUNGEN Vom 18. September 2022 bis 15. Januar 2023 sind Marionetten aus der Inszenierung „Krabat“ vom Düsseldorfer Marionettentheater in der Ludwigsgalerie Schloss Oberhausen zu sehen. Sie sind Teil der Ausstellung „Räuber Hotzenplotz, Krabat und Die kleine Hexe. Otfried Preußler – Figurenschöpfer und Geschichtenerzähler“, die einen umfangreichen Überblick über das Wirken des Autors Otfried Preußlers gibt. Die Krabat-Marionetten von Anton Bachleitner sind im Kontext der berühmten holzschnitthaften Sepia-Zeichnungen ausgestellt, die Herbert Holzing für Preußlers atmosphärischen Jugendroman nach der alten sorbischen Krabat-Sage geschaffen hat. – www.ludwiggalerie.de Das Museum für PuppentheaterKultur (PuK) in Bad Kreuznach zeigt bis Mitte 2023 die Ausstellung „Pippi Langstrumpf, Pettersson und Mama Muh – Schwedische Kinderliteratur im Figurentheater“. Auf einer Sonderfläche von 150 m² versammelt das Museum die Kultfiguren der schwedischen Kinderliteratur in einer fantasievollen Schau für die ganze Familie. – www.bad-kreuznach.de
PERSONELLES
PUBLIKATIONEN
Anke Meyer, Gründungsmitglied des double-Magazins und langjährige wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, verabschiedet sich nach 18 Jahren aus der double-Redaktion, bleibt dem Magazin aber als Autorin und Beirätin erhalten. Ihre Aufgaben im Redaktionsbüro übernimmt der Theaterwissenschaftler und Dramaturg Christofer Schmidt.
Das für seine musikalischen Bühnencomics bekannte Duo half past selber schuld hat mit „See the World like a Human Being“ eine Sammlung von Zeichnungen, Kurzgeschichten und Werbeanzeigen zum Thema Transhumanismus und die Zukunft der Menschheit veröffentlicht.
Michael Kempchen, der mit dem Landesverdienstorden Sachsen-Anhalts ausgezeichnete Intendant des Puppentheaters Magdeburg, verabschiedet sich nach 33 Jahren in den Ruhestand. Die Spielzeit 2022/23 wird seine letzte an dem vielfach preisgekrönten Haus sein. Auf ihn folgt
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NOTIZEN
zur Spielzeit 2023/24 Sabine Schramm, die bisherige Leiterin der Puppentheatersparte am Theater Altenburg Gera. – www.puppentheater-magdeburg.de Auf eigenen Wunsch hin endet nach zehn Jahren der Vertrag von Frauke Kemmerling, der bisherigen Intendantin des Hänneschen Theaters in Köln. Auf sie folgt voraussichtlich zum 1. November die gebürtige Kölnerin Mareike Marx, die vormalige Leiterin des metropol Theaters sowie der Sommerspiele auf Burg Satzvey. – www.haenneschen.de Nach 45 Jahren geht die Puppenspielerin Marcella von Jan in den Ruhestand. Die dienstälteste Künstlerin des Theaters Altenburg Gera steht seit 1977 auf der Bühne und spielte seither in insgesamt 85 Inszenierungen. Gänzlich von der Bühne verabschieden möchte sie sich allerdings noch nicht. In Absprache mit der Theaterleitung wird sie weiterhin einige Vorstellungen im Jahr am Puppentheater Gera spielen. Neu im Puppen-Ensemble ist die an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch ausgebildete Figurenspielerin Steffi König, die in der Vergangenheit bereits am Theater Halle und am Theater Waidspeicher Erfurt engagiert war. – www.tpthueringen.de Ulrike Andersen hat sich nach 24 Jahren aus ihrer Funktion als Leiterin des Figurentheaters Bremerhaven verabschiedet. Seit dem 1. Oktober betreibt der gemeinnützige Verein „Figurentheater Bremerhaven e.V.“ kollektiv das Theater im Fischereihafen von Bremerhaven. – www.figurentheater-bremerhaven.de
GESTORBEN Hans-Thies Lehmann, einer der bedeutendsten Theaterwissenschaftler und Autor des internationalen Bestsellers „Postdramatisches Theater“, ist am 16. Juli nach langer Krankheit in Athen verstorben. Lehmann war Mitbegründer der Studiengänge Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen sowie Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Mit seinem Denken und seiner Praxis prägte er die zeitgenössische Theaterlandschaft maßgeblich.
SONSTIGES Am 16. Dezember erscheint mit „Die Goldgräber“ bereits der zweite Teil der immersiven „360° Virtual Puppetry“-Reihe am Puppentheater Zwickau. Wie bereits die Vorgängerballade „Der Erlkönig“, kann die Reise mit VR-Brille in den eigenen vier Wänden, im Klassenzimmer oder im Theater erlebt werden. Der dritte Teil ist für 2023 geplant. – www.virtual-puppetry.de Um seiner Verantwortung als Kultureinrichtung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung gerecht zu werden, hat das Deutsche Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst seine Erklärung für den DNK (Deutscher Nachhaltigkeitskodex) abgegeben und ist Erstunterzeichner der Nachhaltigkeitsdeklaration für den Kulturbereich der Initiative Culture4Climate. – www.fidena.de Das in Krefeld ansässige Theater Blaues Haus wird seit Mai CO2-neutral betrieben. Durch eine große Photovoltaikanlage mit Stromspeicher können die Figurentheateraufführungen im eigenen Haus nun mit selbst erzeugtem Strom durchgeführt werden. Das Heizungsund Brauchwasser wird zudem von Solarkollektoren und einer Pelletheizung erwärmt, die mit regional erzeugten Holz-Pellets aus Restholz befeuert wird. Ermöglicht wurde der Umbau durch eine BAFA-Förderung und eine zusätzliche Förderung des Landes NRW zur Stärkung der kulturellen Infrastruktur. – www.theaterblaueshaus.de
Das Hamburger FUNDUS THEATER | Forschungstheater ist umgezogen und befindet sich nun am Platz der Kinderrechte. Zur Einweihung der neuen Räumlichkeiten fand am 9. September 2022 ein großer Festakt mit Gala, einer interaktiven Ausstellung sowie einer Installation vor dem Theaterplatz statt. Ergänzt wurden die Feierlichkeiten am 17. September durch die Eröffnungsparty „Playing Up Gender Ball“ und durch eine neue Website. – www.fundus-theater.de Das Puppentheater Firlefanz hat seinen Spielbetrieb nach 40 Jahren eingestellt. Harald Preuß, Erzähler, Puppenspieler und Gründer des in Berlin verorteten Theaters, ist in den Ruhestand gegangen. Beliebte Inszenierungen wurden als Hörspiele aufgezeichnet und können nach wie vor über die Website des Theaters erworben werden. – www.puppentheater-firlefanz.de Als Teil eines weiterführenden Begleitprogramms der Inszenierung „So glücklich, dass du Angst bekommst“ – einer Kooperation zwischen dem Figurentheater Chemnitz und dem ASA-FF, in der vietnamesische Frauen Szenen aus ihrem Leben als Vertragsarbeiterinnen in der DDR spielen und erzählen – steht eine interaktive Comic-App mit dem Namen „Glasfäden“ zum Download zur Verfügung. Die App lässt Nutzer*innen die Geschichte der Vertragsarbeit in der DDR aus der Sicht einer jungen Vietnamesin betrachten. – www.glasfaeden.de
FESTIVALKALENDER 14.10.–08.11.2022 München (Deutschland) wunder. Internationales Figurentheaterfestival www.figurentheater-gfp.de 28.10.–06.11.2022 Neuchâtel (Schweiz) marionNEttes. festival international www.festival-marionnettes.ch
12.11.–27.11.2022 Barcelona & andere katalanische Städte (Spanien) elPetit. Festival Internacional D’Arts Per A La Primera Infància www.elpetit.cat 22.11.–27.11.2022 Tournefeuille (Frankreich) Marionnettissimo. Festival international de marionnette et de formes animées www.marionnettissimo.com 26.01.–05.02.2023 London (Großbritannien) London international mime festival www.mimelondon.com 02.02.–12.02.2023 Stuttgart, Mannheim & andere Städte in Baden-Württemberg (Deutschland) IMAGINALE. Internationales Theaterfestival animierter Formen www.imaginale.net 11.02.–26.02.2023 Göttingen (Deutschland) Göttinger Figurentheatertage www.figurentheatertage.goettingen.de 24.02–06.3.2023 München (Deutschland) KUCKUCK. Theaterfestival für Anfänge(r) www.kuckuckfestival.com 16.04.–21.04.2023 Berlin (Deutchland) AUGENBLICK MAL! www.augenblickmal.de 03.05.–08.05.2023 Stuttgart (Deutschland) Internationales Trickfilm-Festival Stuttgart www.itfs.de
01.11.–07.11.2022 Berlin (Deutschland) Theater der Dinge 2022 www.schaubude.berlin 03.11.–05.11.2022 Dülmen (Deutschland) Figurentheatertage Dülmen www.profi-ev.de
11.05.–19.05.2023 Hohenems (Österreich) Homunculus www.homunculus.info 12.05.–21.05.2023 Erlangen, Nürnberg, Fürth, Schwabach (Deutschland) internationales figuren.theater.festival www.figurentheaterfestival.de
07.11.–12.11.2022 Montréal (Kanada) Biennale CINARS www.cinars.org 07.11.–13.11.2022 Saarbrücken (Deutschland) Loostik. Deutsch-französisches Festival für junges Publikum www.loostik.eu
20.05.–28.05.2023 Hamm, Ahlen & andere Städte der Region Hellweg (Deutschland) Hellwach. Internationales Theaterfestival für junges Publikum www.helios-theater.de 14.06.–18.06.2023 Aarhus (Dänemark) ILT Festival www.iltfestival.dk
08.11.–13.11.2022 Leipzig (Deutschland) euro-scene Leipzig www.euro-scene.de 10.11.–13.11.2022 Silkeborg (Dänemark) Festival of Wonder www.festivalofwonder2022.dk
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15.06.–24.06.2023 Wels (Österreich) Internationales Welser Figurentheaterfestival www.figurentheater-wels.at
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IMPRESSUM
AUTOR*INNEN Franziska Burger, Theaterwissenschaftlerin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule der Künste, Bern / Mathilde Chagot-Mansuy, Doktorandin im Fachbereich Germanistik an der Universität Sorbonne, Paris / Line Eberhard, Co-Leitung Theater Stadelhofen Zürich/ Mascha Erbelding, Leiterin der Sammlung Puppentheater – Schaustellerei des Münchner Stadtmuseums / Dr. Wolf-Dieter Ernst, Professor für Theaterwissenschaft an der Universität Bayreuth / Dana Ersing, Mitglied des Leitungsteams des Westflügel Leipzig / Jessica Hölzl, Theaterwissenschaftlerin, Leipzig / Dr. Daria Ivanova-Hololobova, außerordentliche Professorin an der Abteilung Puppentheaterkunst der Nationalen Karpenko-Karyi Universität für Theater, Film und Fernsehen in Kiew, Düsseldorf / Katja Kollmann, Kulturjournalistin, Berlin / Dr. Kathi Loch, Direktorin des Museums für Sächsische Volkskunst und der Puppentheatersammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden / Sabine Leucht, Journalistin und Theaterkritikerin, München / Julika Mayer, Puppenspielerin, Regisseurin und Professorin für Figurentheater an der HMDK Stuttgart / Anke Meyer, Kuratorin, Dozentin und Autorin, Braunschweig / Tom Mustroph, freier Autor und Dramaturg, Berlin / Gislinde Nauy, Theaterwissenschaftlerin und Mitarbeiterin der Gesellschaft zur Förderung des Puppenspiels e.V., München / Julia Pogerth, freie Fotografin und Autorin, Stuttgart / Leino Rei, Leiter des Baltic Visual Theater Showcase und des internationalen Tallinn Treff Festivals, Tallinn / Christina Röfer, Theaterwissenschaftlerin und Mitarbeiterin beim Fonds Darstellende Künste Berlin / Nadja Rothenburger, Tanz- und Theaterwissenschaftlerin, Institut für Theaterwissenschaft der Universität Bern / Tim Sandweg, Künstlerischer Leiter der Schaubude Berlin / Diane Sinizergues, freie Produktionsleiterin, Berlin / Katja Spiess, Leiterin des FITZ – Theater animierter Formen, Stuttgart / Dr. Petra Szemacha, Chefdramaturgin Puppentheater Magdeburg / Hansueli Trüb, Figurenspieler, Regisseur und Dozent, Aarau / Élise Vigneron, Puppenspielerin und Regisseurin, Théâtre de l’entrouvert, Apt / Dr. Stefanie Wenner, Künstlerin und Professorin für angewandte Theaterwissenschaft an der HfBK Dresden / Leah Wewoda, Studierende der Abteilung Zeitgenössische Puppenspielkunst an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“, Berlin / Übersetzungen Summaries: Roy Kift / Korrektorat: Annika Gloystein, Christofer Schmidt / Endkorrektur: Martina Schnabel
Impressum double. Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater Herausgegeben vom Deutschen Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, Bochum – www.fidena.de Das Magazin erscheint in redaktioneller Verantwortung des Vereins zur Förderung der Kunst und Kultur des Puppen-, Figuren- und Objekttheaters (V.i.S.d.P.) und in Zusammenarbeit mit dem Verlag „Theater der Zeit“. Redaktion: Mascha Erbelding, Annika Gloystein, Christina Röfer, Tim Sandweg (verantw., Thema), Katja Spiess (verantw., Thema), Dr. Meike Wagner / Redaktionsbüro: Christofer Schmidt Redaktion Schweizer Fenster: Franziska Burger, Jacqueline Surer Beirat: Silvia Brendenal, Christoph Lepschy, Anke Meyer, Dr. Gerd Taube Redaktionsanschrift: Redaktionsanschrift: Redaktion double, Deutsches Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, Hattinger Str. 467, 44795 Bochum / Telefon: 0234.477 20 / redaktionsbuero@double-theatermagazin.de Gestaltung: Robert Voss, Halle (Saale) Verlag: Theater der Zeit, Berlin – www.theaterderzeit.de Bezug: double ist erhältlich – als Beilage der Abonnenten-Auflage von „Theater der Zeit“ – als gesondertes double-Abonnement: zwei Ausgaben double und zwei Ausgaben Theater der Zeit für 16 EUR pro Jahr (Ausland zzgl. 6 EUR Porto) – als Einzelausgabe, gedruckt oder als pdf-Datei Abo-Service: 030.4435 285-12 oder über www.theaterderzeit.de Anzeigen: Deutsches Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, Hattinger Straße 467, 44795 Bochum, Telefon: 0234.4 77 20 // info@fidena.de Druck: Druckhaus Sportflieger, Berlin Alle Rechte bei den Autor*innen und der Redaktion, Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Für unaufgefordert eingesandte Bücher, Fotos und Manuskripte übernimmt die Redaktion keine Haftung. Bei Nichtlieferung infolge höherer Gewalt oder infolge von Störungen des Arbeitsfriedens bestehen keine Ansprüche gegen den Herausgeber oder den Verlag. Die double-Redaktion bemüht sich um gendergerechte Sprache, belässt dabei aber den Autor*innen ihre individuelle Form der Umsetzung. Die Artikel der Rubrik „Schweizer Fenster“ folgen der Orthografie des Schweizer Hochdeutschs. Redaktionsschluss für das vorliegende Heft war der 28. August 2022. Double 47 erscheint im April 2023. Redaktionsschluss für diese Ausgabe ist der 28. Januar 2023. Das Thema des nächsten Hefts ist „Postkoloniale und antirassistische Ansätze im Figurentheater“. www.double-theatermagazin.de – www.fidena.de – www.theaterderzeit.de
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