DOUBLE Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater
Ausgabe 1/2023 ::: Nr. 47 ::: 19. Jahrgang ::: PREIS: 6 €
PUPPETS OF COLOR Postkoloniale und antirassistische Ansätze im Figurentheater
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INHALTSVERZEICHNIS
E D I T O R I A L
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THEMA
Puppets of Color – Postkoloniale und antirassistische Ansätze im Figurentheater
William Condee
„Blackface“-Puppen aus der deutschen Vorstellungswelt Gedanken zu einer möglichen Ausstellungspraxis
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Jungmin Song
Puppetry’s Racial Reckoning Über Puppenspiel und Repräsentation
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Spiel der Komplexität Ein Gespräch mit Laia Ribera Cañénguez und Antonio Cerezo zu Materialtheater und kolonialen Kontinuitäten
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Ludomir Franczak
Nicht-Objekte Gedanken zu Museums- und Theaterobjekten ausgehend von der Perfomance „Gutta“
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Unter der Oberfläche Der Puppenbauer Atif Mohammed Nour Hussein im Gespräch über „fiktive Porträts“
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Paulette Richards
Den Erwartungshorizont erweitern Brücken zur Kommunikation zwischen den Kulturen und zwischen den Spezies in „Aanika’s Elephants“
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Defrosting Thai Culture Das interdisziplinäre Kollektiv un.thai.tled im Gespräch
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Tobi Poster-Su
Critical Puppetry Der persönliche Standpunkt von Puppenspieler*innen und die Konstruktion von „Race“ in „Chang and Eng and Me (and Me)“
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Demontieren wir das Puppenheim! Erfahrungen beim rassismuskritischen Werkstattwochenende in München
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Alexander Rudolfi
Rahmen für Rahmen Francesca Hummlers Fotoserie „Unsere Puppenstube“
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Herbert Heinzelmann
Tanz der Stereotype Im Nürnberger Spielzeugmuseum wird auf das Thema Rassismus aufmerksam gemacht
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Capitale de Corps, Objet, Image Die Ära von Renaud Herbin am TJP Centre Dramatique National in Straßburg
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Intensive Teilhabe für den professionellen Nachwuchs Erstmals Stipendienprogramm für Studierende beim Weitblick Festival
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Michael Helbing
These, Antithese, Synergura Erfurts internationales Puppentheaterfestival feiert die Formenvielfalt
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Leah Wewoda
Schatten zwischen Zartheit und Kraft Ein Besuch auf dem 12. Internationalen Schattentheater Festival Schwäbisch Gmünd
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Franziska Burger
20. marionNEttes in Neuchâtel Jubiläumsausgabe feiert die beständige Veränderung
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Katja Kollmann
Wenn Streichhölzer weinen Das Festival Theater der Dinge sucht nach „Spuren der Verunsicherung“
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Petra Mostbacher-Dix
Beziehungsweise: Der Körper als Bühne Einblicke in die Imaginale 2023
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DISKURS Meike Wagner AUSSTELLUNG
PORTRÄT Bodo Birk NEXT GENERATION Lucas Boelter, Colin Danderski, Jule Saßmannshausen FESTIVAL
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INHALTSVERZEICHNIS
JUBILÄUM Wie hält es Stuttgart mit der Animation? Lecture Performances zum Geburtstag vom FITZ und dem Studiengang Figurentheater
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Das Leben ein Spiel Zum Tod von Susanne Forster (1941–2023)
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Moritz Schönbrodt
Welten wandeln Frida León Beraud im Porträt
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In der Welt daheim, in der Schweiz zu Hause Janna Mohr wird erste Puppenspielerin am Theater Orchester Biel Solothurn
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Annika Gloystein NACHRUF Jörg Baesecke SCHWEIZER FENSTER
E N G L I S H S U M M A R I E S
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NOTIZEN / FESTIVALKALENDER
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I M P R E S S U M
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Titel: „Das Badezimmer“ aus der Fotoserie „Unsere Puppenstube“ von Francesca Hummler
Contents double 47: T H E M E : Puppets of Color – Post-colonial and antiracist approaches in figure theatre // William Condee “Blackface” Puppets from the German Imaginary Thoughts on a possible exhibition practice // Jungmin Song Puppetry’s Racial Reckoning Puppetry and representation // A game of complexity A chat with Laia Ribera Cañénguez and Antonio Cerezo on Material Theatre and colonial continuities // Ludomir Franczak Non-Objects Thoughts on museum and theatre objects inspired by the performance “Gutta” // Beneath the Surface The puppet maker Atif Mohammed Nour Hussein discusses “fictional portraits” // Paulette Richards Broadening erwartungshorizont Bridges to Intercultural and Interspecies Communication in “Aanika’s Elephants” // Defrosting Thai Culture A chat with the interdisciplinary collective un.thai.tled // Tobi Poster-Su Puppeteer Positionality and the Construction of “Race” in “Chang and Eng and Me (and Me)” The idea of a “critical puppetry” D ISCOU RSE Meike Wagner Let’s deconstruct the doll’s house! Experiences at the weekend workshop to investigate issues of racism in puppetry in Munich E XHIBIT ION Alexander Rudolfi Frame by frame Francesca Hummler‘s photo series “Our Doll’s House” // Herbert Heinzelmann A dance of stereotypes The Nuremberg toy museum draws attention to the theme of racism P O R T R AI T Bodo Birk Capital of Body, Object, Image The era of Renaud Herbin at the TJP Centre Dramatique National in Straßburg N E X T G E N E R AT I O N Lucas Boelter, Colin Danderski, Jule Saßmannshausen Intensive participation for young professionals The first ever scholarship programme for students at the Weitblick Festival
FE ST IVAL Michael Helbing Thesis, Antithesis, Synergura Erfurt’s inter-
national Puppet Theatre Festival celebrates formal diversity // Leah Wewoda Shadows between tenderness and power A visit to the 12. International Shadow Theatre Festival in Schwäbisch Gmünd // Katja Kollmann When matches weep The Theatre of Things Festival in search of “Unsettling Remains” // Franziska Burger The 20th marionNEttes in Neuchâtel The jubilee edition celebrates continuous change // Petra Mostbacher-Dix Or rather: The body as a stage Insights in the Imaginale 2023 AN N I V E R S ARY Annika Gloystein What does Stuttgart think of animation? Lecture performances for the birthday anniversary of FITZ and the figure theatre course OBIT U ARY Jörg Baesecke Life as a play On the death of Susanne Forster (1941–2023) SWI SS W I N DO W Moritz Schönbrodt Changing worlds A portrait of Frida León Beraud // At home in the world, at home in Switzerland Janna Mohr: the first female puppeteer at the Theater Orchester Biel Solothurn
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EDITORIAL
PUPPETS OF COLOR Postkoloniale und antirassistische Ansätze im Figurentheater In den 1940er-Jahren führte das US-amerikanische Psychologen-Ehepaar Dr. Mamie und Dr. Kenneth Clark für eine Studie über die Selbstwahrnehmung afroamerikanischer Kinder die später als „Doll-Tests“ bekannten Gespräche mit Kindergartenkindern. Sie hatten vier bis auf ihre Hautfarbe identische Puppen dabei und fragten die Kinder u. a., mit welcher Puppe sie gerne spielen würden, welche „nett“ aussähe und welche „böse“ und fragten zum Schluss, welche Puppe für die Kinder am meisten aussähe, wie sie selbst. Erschreckenderweise identifizierten die meisten Kinder die Schwarze Puppe als die böse, bevorzugten die weiße, erkannten sich selbst aber in der Schwarzen Puppe wieder. Bereits im frühen Kindesalter waren Rassismus und ein Minderwertigkeitsgefühl verinnerlicht worden. Die Tests der Studie, die später einen großen Anteil daran hatte, dass die Rassentrennung an US-amerikanischen Schulen aufgehoben wurde, haben leider heute noch, auch in Europa, ähnliche Ergebnisse. Natürlich sind Puppen nur ein Symptom, ein Teil eines von Rassismus geprägten, postkolonialen Systems. Dennoch zeigt dieses Experiment, dass auch das Figurentheater seinen Umgang mit Figuren und damit seinen Anteil an der Reproduktion rassistischer Stereotype reflektieren muss. Das fordern einige Künstler*innen und für die Gesamtgesellschaft viele Aktivist*innen schon seit Jahrzehnten – es ist, wie auch in der Restitutionsdebatte um kolonialen Kunstraub, irritierend zu sehen, wie lange daran gearbeitet wird und wie wenig sich verändert. Jenseits (oder wegen?) aller aufgeregten Debatten um vermeintliche „Cancel-Culture“ und übertriebene „political correctness“ bleibt das Grundproblem bestehen. In diesem Heft sind Positionen von Künstler*innen und Wissenschaftler*innen versammelt, die zum großen Teil am Werkstattwochenende „Demontage des Puppenheims“ teilgenommen haben, das im Februar 2023 als Kooperation von Münchner Stadtmuseum, Ballard Institute and Museum of Puppetry und dem Institut für Theaterwissenschaft der LMU München stattfand. William Condee tauchte bei Besuchen in deutschen Puppentheatersammlungen tief ein in die Abbilder des „imaginierten Anderen“, die er dort fand. Jungmin Song präsentiert Gedanken zu der von ihr kuratierten Ausstellung über rassistische Stereotype und Puppentheater. Die Künstlerkollektive un.thai.tled und KMZ-Kollektiv reflektieren jeweils im Gespräch postkoloniale Ansätze in ihrer Arbeit. Ludomir Franczak hinterfragt die Rolle von Museums- und Theaterobjekten, während Paulette Richards die Kommunikation zwischen den Kulturen beleuchtet. Der Puppenbauer Atif Mohammed Nour Hussein erzählt, wie er versucht rassistischen Stereotypen durch „fiktionale Porträts“ zu entkommen und Tobi Poster-Su stellt seinen Ansatz einer „Critical Puppetry“ vor. Direkt im Anschluss an den Thementeil wird das bereits erwähnte Werkstattwochenende näher beleuchtet. Zwei Ausstellungsbesuche berichten über Francesca Hummlers Fotoserie „Unsere Puppenstube“ – wovon ein Motiv unser Cover ziert – und über die Sensibilisierung für rassistisches Spielzeug am Spielzeugmuseum Nürnberg. Dem Puppenspieler Renaud Herbin, der die letzten zehn Jahre das TJP Centre Dramatique National de Strasbourg-Grand Est geleitet hat, wird ein Porträt gewidmet. Es folgen Berichte über die Festivals in Erfurt, Schwäbisch Gmünd, Berlin, Neuchâtel und Stuttgart. Dort feiern das FITZ und der Studiengang Figurentheater ihr 40-jähriges Jubiläum. Das Schweizer Fenster stellt Frida León Beraud, ausgezeichnet mit dem Schweizer Preis Darstellende Künste 2022, sowie Janna Mohr vor, die erste Puppenspielerin am Theater Orchester Biel Solothurn wird. Eine anregende Lektüre wünschen Mascha Erbelding und Annika Gloystein Für das Heft haben wir uns für eine Markierung der Begriffe Schwarz und weiß entschieden, die aus der kritischen Weißseinsforschung stammt. Als politischer Identitätsbegriff wird Schwarz bewusst großgeschrieben. Das fungiert als typografischer Stolperstein. Ausgedrückt wird damit die Eigenbezeichnung all derjenigen, die zu Objekten von Rassismus konstruiert werden. In diesem Kontext wird weiß klein und kursiv geschrieben – weil weiße Menschen eben nicht zu Objekten von Rassismus konstruiert werden und ihre Hautfarbe gewöhnlich als „normal“ vorausgesetzt und nicht hervorgehoben wird.
Editorial Puppets and puppet theatre are part of a post-colonial system shaped by racism and must therefore recognise their part in the reproduction of racist stereotypes. Some artists and many activists in society as a whole have been calling for this for decades: as in the restitution debate about colonial art theft, it is irritating to see how long this has been worked on and how little has changed. Despite (or because of?) all the excited debates about supposed “cancel culture" and exaggerated “political correctness", the basic problem remains. This issue brings together opinions from artists and academics, most of whom took part in the workshop weekend “Demontage des Puppenheims" (Dismantling the Puppet House), which took place in February 2023 as a cooperation between the Münchner Stadtmuseum, the Ballard Institute and Museum of Puppetry and the Institute for Theatre Studies at the LMU Munich. Impression aus der Ausstellung „Spielzeug und Rassismus“. Foto: Spielzeugmuseum Nürnberg / Rudi Ott
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THEMA
„BLACKFACE“-PUPPEN A US DER DEUTSCHEN VORSTELLUNGSWELT Gedanken zu einer möglichen Ausstellungspraxis Der US-amerikanische Kulturwissenschaftler William Condee stieß während eines Forschungsaufenthalts in Deutschland zufällig auf die vielen Darstellungen des „Anderen“, die sich in den Depots der deutschen Puppentheatersammlungen befinden. Danach begann er, zu den Figuren zu forschen und mit Sammlungsmitarbeiter*innen zu sprechen. Dieser Artikel ist ein erster Zwischenstand, tiefergehende Forschung gibt es in diesem Bereich für das Puppentheater noch nicht. Vo n W illiam Co nd ee /// Eine scheinbar sehr einfache Frage ist bei genauerem Hinsehen ganz schön komplex: Warum gibt es so viele „Blackface“-Puppen in Deutschland (wie auch in anderen europäischen Ländern)? Das erste Problem ist, wie man diese Figuren nennen soll. Viele tragen rassistische Verunglimpfungen auf ihren Inventarschildern, und obwohl alle darüber einig sind, dass diese Begriffe rassistisch sind, rechtfertigen manche den Gebrauch der Wörter, wenn sie präzise sind und kontextualisiert werden können. Andere, wie Uwe Framenau vom Puppentheater-Museum Berlin, glauben, dass die Begriffe komplett vermieden werden sollten: „Manche Dinge müssen einfach aussterben.“ Dieser Artikel benutzt den amerikanischen Terminus „Blackface“, basierend auf Eric Lotts Beschreibung von US-amerikanischem „Blackface Minstrelsy“1 als „weniger ein Zeichen von absoluter weißer Macht und Kontrolle, denn von Panik, Angst, Furcht und Genuss“. Diese Objekte wurden geschaffen, genutzt und gespielt von und für weiße Menschen, als Ausdruck von weißen Ängsten und Fantasien, die Menschen von afrikanischer Abstammung betreffen. Tatsächlich nutzten Puppenspieler*innen oft eine Puppe mit einer weißen oder rosafarbenen Bemalung und malten dann die sichtbare Haut schwarz an (beschreibt Lars Rebehn, Oberkonservator der Puppentheatersammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden), also „Blackfacing“ im Wortsinn. Obwohl die Puppen unterschiedlich sind, haben sie eine wichtige Eigenschaft gemeinsam: Die schwarze Bemalung ist durchweg eine Konkretion des „Anderen“. Die Erscheinungsform des „Anderen“ und wer als das „Andere“ dargestellt wird, ändert sich aber im Lauf der Zeit. Diese Puppen sind Teil von multiplen Diskursen über Differenz und Andersartigkeit. Dieser Artikel differenziert diese Puppen in vier Themenkomplexe: der „imaginierte Türke“, der „imaginierte Afrikaner“, der „imaginierte Afroamerikaner“ und der „imaginierte multikulturelle Deutsche“. Obwohl das offensichtlich erscheinen mag, muss es noch einmal betont werden: Diese Puppen, um das erste Beispiel zu nehmen, wurden nicht von Menschen aus der Türkei gemacht und bilden auch keine türkischen Menschen ab. 1 Bei sogenannten „Minstrel Shows“ stellten schwarz geschminkte weiße Darsteller*innen abwertende Stereotype von Schwarzen dar. Figuren aus dem Kasperltheater von Anton Störzer (Anfang 20. Jh.) im Depot der Sammlung Puppentheater / Schaustellerei des Münchner Stadtmuseums. Foto: William Condee
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Themenkomplex I: „Der imaginierte Türke“ Viele „Blackface“-Puppen aus dem 17. und 18. Jahrhundert sind Formen des „imaginierten Türken“. „Imaginierte Türken“ schließt eine große Anzahl von Menschen ein, die aus vielen Ländern rund ums Mittelmeer kommen könnten, und die in der deutschen Vorstellungswelt mit Schwarz als Manifestation des Anderen in einen Topf geworfen werden. Was diese Puppen gemeinsam haben, ist die Wahrnehmung einer fremden Bedrohung – seltsam und exotisch – die emblematisch für Edward Saids Konzept des Orientalismus ist. Angst vor dem „imaginierten Türken“ basiert auf Furcht vor und Faszination für das Osmanische Reich, wie Said beobachtet: „Die ,Ottomanische Gefahr‘ lauerte am Rand Europas, um für die gesamte christliche Zivilisation eine konstante Bedrohung darzustellen.“ Diese Puppen waren Teil eines Kampfes gegen einen Feind, und das Ziel ihrer Auftritte auf der Puppenbühne war, sie „zu kontrollieren, lächerlich zu machen und zu besiegen“ (Rebehn). Die Rolle des Humors, so wichtig für die Wirkung des Puppenspiels, ist hier Teil eines Prozesses der Entmenschlichung und Herabwürdigung. Die Menschen, an die diese Figuren in der Vorstellungswelt erinnern, werden vielleicht als gefährlich betrachtet, aber der Humor macht sie exotisch und lustig.
Themenkomplex II: „der imaginierte Afrikaner“ Puppen, die den „imaginierten Afrikaner“ darstellen, – die, um es zu wiederholen, keine authentische Porträts von Afrikanern sind – basieren auf Begegnungen von Deutschen mit dem afrikanischen Kontinent während der Kolonialzeit des 19. Jahrhunderts, angefüllt mit Faszination und Angst. Das berüchtigtste Beispiel ist „Casperl unter den Wilden“ von Franz Pocci. In diesem Stück gelangt Casperl auf eine Insel, die von „Blackface“-Charakteren in Baströcken bewohnt wird, welche eine Art deutsches Kauderwelsch sprechen und Casperl aufessen möchten. Casperls Rolle ist mehrdeutig und das Stück präsentiert verschieden Grade von Andersartigkeit: Casperl, der traditionell als Außenseiter wahrgenommen wird, repräsentiert in diesem Stück jedoch auch die Deutschen und ist deshalb aus der Logik des Kolonialismus heraus den „imaginierten Afrikanern“ überlegen, die das ultimativ Andere repräsentieren. Puppen, die von Max Jacob, dem Gründer der Hohnsteiner Handpuppenspiele, verwendet wurden, zeigen, wie sich die Abbildung von Rasse im Lauf des 20. Jahrhunderts änderte. Er verwendete eine Puppe mit einem rassistischen Namen von den 1920er- bis zu den 1960erJahren, die zu einem Quartett von Puppen gehörte, die ganz klar emblematisch für das Andere waren: Eine eindeutige Herkunft für die Figuren war nicht festgelegt, aber auf jeden Fall waren sie fremd. Sie sprachen schlecht Deutsch, trugen Baströcke und ihre Gesichter trugen stereotype rassistische Züge. Man sollte über sie lachen – die Zielscheibe von Humor. Jacob, der gute Beziehungen zu Nazi-Funktionären unterhielt, war auch während des 2. Weltkrieges erfolgreich. In dieser Zeit kam, auf Jacobs Bemühungen hin, der französische Puppenspieler Jean-Loup Temporal als Zwangsarbeiter zu den Hohnsteinern, um ihn vor Schlimmerem zu bewahren. Nach dem Krieg übernahm Temporal Züge der Puppe von Jacob für seinen französischen Charakter Samba. Samba hatte eine ähnliche Funktion wie Seppel in der Kasper-Tradition, ein Sympathieträger für Kinder – auf keinen Fall eine Zielscheibe des Spotts. Seine Züge sind nicht so grotesk überzeichnet, Rassismus nimmt hier die Form von Exotismus an.
Themenkomplex III: „der imaginierte Afroamerikaner“ Puppen, die den „imaginierten Afroamerikaner“ darstellen, waren ab Ende des 19. Jahrhunderts populär. Diese Puppen bilden oft Sänger*innen, Tänzer*innen und Sportler*innen ab. Die Afroamerikaner*innen, die Inspiration für diese Puppen waren, tourten oft durch Europa, oder ließen sich wegen ungezügelter Diskriminierung, Rassentrennung und Lynchmorden in den USA sogar in Deutschland nieder. Darüber hinaus gehören die Rollen der Figuren – Unterhaltung und Sport – zu dem rassistischen Stereotyp, dass
Handpuppe „Samba“ von Jean-Loup Temporal. © Museum für Puppentheaterkultur Bad Kreuznach
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THEMA
Menschen von afrikanischer Abstammung natürlicherweise Talent für Musik, Tanz und Sport haben. Diese Puppen heben auch den Schwarzen Körper hervor, was Lotts These vom Schwanken zwischen Liebe und Aneignung in der „Blackface Minstrelsy“ beweist. Es ist auch bemerkenswert, dass viele dieser Puppen lachen, und ein unterstellter Sinn für Humor gehört, wie man im Fortfolgenden sehen wird, auch zu den Tropen des „romantischen Rassismus“. Ein Paar aus der Dresdner Sammlung zeigt, wie „Blackface“ unterschiedlich interpretiert werden kann. Sie bewegen ihre Lippen und Augen, während sie musizieren und lachen, und die Erklärung des Spielers war, dass die schwarze Farbe notwendig war, damit das Publikum den Gesichtsbewegungen folgen konnte: der Kontrast zwischen schwarz und weiß hebt die Augen- und Lippenbewegungen hervor (Rebehn). Eine andere Deutungsart würde herausarbeiten, dass hier weiße Zuschauer*innen über Schwarze Körper lachen. Wir könnten uns fragen: Wer lacht? Warum lachen sie? Und wer lacht nicht? Albrecht Rosers „Bauchtänzerinnen“, eine weiß und eine Schwarz, zeigen die Überschneidung von diskriminierender Darstellung von Rasse und Geschlecht. Bei diesen halb-nackten Puppen aus den 1960er- und 1970er-Jahren sind Brüste und Hinterteile besonders betont. Roser, mit seinem Fokus auf technische Zauberei, hat diese Puppen sicher nicht als problematisch angesehen. Aber sie stellen dennoch ein Problem dar, nicht nur was Rasse, sondern auch was Geschlecht betrifft, und besonders wegen der Art, wie Roser sie spielte. Er stand da mit den Händen in den Hosentaschen und wiegte sich nach vorne und nach hinten, um so die an einem Gurt befestigte Puppe zu wellenartigen Bewegungen zu bringen. Das Publikum sah dann einen weißen Mann, der lässig einen fast nackten Schwarzen Körper anstarrte, während dieser für ihn tanzte.
Themenkomplex IV: „ d e r i m a g i n i e r t e m u lt i k u lt u r e l l e D e u t s c h e “ Puppen, die den „imaginierten multikulturellen Deutschen“ darstellen („multikulturell“ wird hier in vollem Bewusstsein der Problematik des Begriffs verwendet), verkörpern immer noch rassistische Stereotype, aber versuchen zu zeigen, was ihre Schöpfer wohl als „positive“ Bilder von Rassen sahen. Das sind Manifestationen der rassistischen Ausprägung, die man als „romantischen Rassismus“ kennt, der Schwarze mit „positiven“ Stereotypen besetzt, während die entsprechenden negativen Attribute immer noch im Hintergrund lauern (Fredrickson). Diese Puppen „warben implizit für die Ideale eines multirassischen, multiethnischen Deutschlands und eine internationale Verständigung zwischen verschiedenen Kulturen“ (Rebehn), was Framenau „freundlichen“ oder „AlltagsRassismus“ nennt. Walter Büttners Figur Jimmy zeigt, wie sich dieser „imaginierte multikulturelle Deutsche“ entwickelte. Büttner begann um 1924 aufzutreten, aber wegen seiner Verbindung zu den Kommunisten konnte er seine Karriere als künstlerischer Puppenspieler erst nach dem 2. Weltkrieg beginnen. Er wurde eingezogen, kam in US-amerikanische Kriegsgefangenschaft und wurde in einem Lager in Alabama interniert, wo er Afroamerikaner*innen getroffen haben könnte. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland entwickelte Büttner Jimmy, eine „Blackface“-Puppe, die dem Charakter Seppel ähnelt. Jimmy ist ungeschickt, spricht schlecht Deutsch und suggeriert das Bild eines Ausländers. Wenn man berücksichtigt, dass Jimmy freundlich, wohlgesinnt und sympathisch ist, ist es sehr wahrscheinlich, dass Büttner weder sich selbst noch die Puppe für rassistisch hielt. Die frühe Version von Jimmy aus den 1950erJahren basiert klar auf rassistischen Stereotypen von Menschen afrikanischer Abstammung, und wurde in den 1970er-Jahren auch als rassistisch wahrgenommen. Büttner ließ um 1980 dann eine neue Variante von Jimmy bauen, und die Gesichtszüge sind nun nicht mehr so übertrieben, was auf die Veränderungen in Deutschland, im Puppentheater und vielleicht auch in Büttner selbst verweist. Das berühmteste Beispiel für den „imaginierten Multikulturellen Deutschen“ ist aus „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ der Augsburger Puppenkiste. Jim kam per Post auf einer winzigen Insel an und ist mit Schwarzer Haut dargestellt, dennoch gibt es keine offenen Hinweise auf seine afrikanische Abstimmung. Sein Schwarzsein, das nicht
Marionetten zur Szene „Liebesidylle in Kairo“ des Marionettenspielers Roland Ritscher (1920er Jahre). © Puppentheatersammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden
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direkt thematisiert wird, wird zu einer Manifestation seines Andersseins. Die Fernsehserie wurde zwar in den 1960er- und 1970er-Jahren nicht als rassistisch angesehen, aber das Thema Rassismus wurde in diesem Zusammenhang seitdem oft diskutiert, u.a. auch 2013. Damals verkleideten sich für die beliebte Fernsehshow „Wetten, dass…?“ 200 Menschen, darunter der Augsburger Bürgermeister und seine Frau, als Jim Knopf – mit „Blackface“.
Wie kann eine zukünftige Ausstellungspraxis aussehen? Was auch immer man im Museum mit diesen Figuren macht, muss man doch bedenken, was auf dem Spiel steht. Diese Puppen fungieren weiter als Motoren für Rassismus und sie können Besucher*innen befremden oder verletzen. Hier folgen einige Gedanken zu einer reflektierten und kritischen Ausstellungspraxis. Zunächst sollte die Idee hinter der geplanten Präsentation formuliert und artikuliert werden. Was ist das Ziel? Warum müssen genau diese Puppen ausgestellt werden? Die Kurator*innen sollten sicherstellen, dass das Konzept und die Ziele im Zentrum stehen, wenn sie den Kontext für eine Ausstellung erstellen. Was die Benennung betrifft, sollte man sich fragen: Was steht auf dem Spiel, wenn man bestimmte Begriffe benutzt – oder nicht verwendet? Die Geschichte des Rassismus sollte nicht vor den Besucher*innen versteckt oder durch „Whitewashing“ verschleiert werden. Man könnte z. B. auf einen Originaltitel verweisen, ohne ihn zu verwenden und so klarstellen, dass der Name ausgeschlossen wurde und warum. Die Kurator*innen sollten die Wirkung der Ausstellung berücksichtigen. Wer ist das implizierte Publikum? Wer kommt? Und wer kommt nicht? Wie werden Menschen mit afrikanischer Abstammung betroffen sein? Museen sollten darüber nachdenken, wie sie das Risiko der Retraumatisierung durch die rassistische Geschichte, die sie zeigen, eindämmen können. Kurator*innen sollten deshalb darüber nachdenken, bestimmtes verletzendes Material nicht zu zeigen und Schlagworte zu vermeiden, die traumatisierend wirken können, während sie gleichzeitig kontroverse Themen direkt adressieren. Um Diversität, Ausgewogenheit und Inklusion zu unterstützen, sollten Schwarze deutsche Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und Gemeindeleiter*innen – angemessen bezahlt – Teil des Prozesses sein. Allzu oft wurden Mitglieder der Schwarzen Communities ausgenutzt und aufgefordert, ihre Zeit und ihre Erfahrungen ehrenamtlich zur Verfügung zu stellen, um ihre mangelnde Repräsentation in den Institutionen auszugleichen. Puppen sind nie neutral. Sie werden immer Themen aufwerfen und Geschichten erzählen, und Besucher*innen werden immer mit einer Botschaft weggehen. Es geht hier nicht um Unterdrückung und Zensur. Die Puppen werden für Forscher*innen und zukünftige Ausstellungen immer zur Verfügung stehen. Diese Puppen können ausgestellt werden, wann und wo es angemessen erscheint – im richtigen Kontext, auf die richtige Art und Weise und zum richtigen Zeitpunkt. Museen können versuchen zu steuern, was die Besucher*innen aus der Ausstellung mitnehmen. Stets sollten Sensibilität, Aufrichtigkeit und Transparenz die Prozesse begleiten. – Aus dem Amerikanischen von Mascha Erbelding Referenzen: Framenau, Uwe. 2021. Interview mit dem Autor. 16. Dezember 2021 Fredrickson, George M. 1971. The Black Image in the White Mind: The Debate on Afro-American Character and Destiny, 1817– 1914. New York: Harper & Row. Lott, Eric. 1993. Love & Theft: Blackface Minstrelsy and the American Working Class. New York: Oxford UP. Rebehn, Lars. 2019. Interview mit dem Autor. 13. November 2019. Said, Edward. 1978. Orientalism. New York: Pantheon Books. Teile dieses Artikels wurden 2021 beim Symposium „Representing Alterity through Puppetry and Performing Objects“ des Ballard Institute and Museum of Puppetry at the University of Connecticut präsentiert und werden in der Online-Publikation zu diesem Symposium erscheinen.
Marionette „Jim Knopf“ der Augsburger Puppenkiste im Museum für Puppentheaterkultur Bad Kreuznach. Foto: Bill Condee
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PUPPETRY´S RACIAL RECKONING Über Puppenspiel und Repräsentation Die Theaterwissenschaftlerin Dr. Jungmin Song kuratierte 2021 die Ausstellung „Puppetry’s Racial Reckoning“ am Ballard Institute and Museum of Puppetry an der University of Connecticut (UConn). Für double reflektierte sie ihre Arbeit.
Repräsentation des „Anderen“ Von Ju ng m i n S ong /// Repräsentation ist der Kern des Puppenspiels. Puppen können am Effektivsten das darstellen, was nicht das „Ich“, sondern „das Andere“ ist. Als ich begann fest am Ballard Institute and Museum of Puppetry zu arbeiten, schlug ich deshalb vor, eine Ausstellung zu machen, die untersucht, wie das kulturelle, rassische oder ethnische „Andere“ im Puppentheater dargestellt wird. Ich hatte nicht erwartet, dass so viele Puppen aus der Sammlung in den aktuellen Rassismus-Diskurs verwickelt sind. „Afroamerikanische” Figuren und Darstellungen des Orients im USamerikanischen Puppentheater spiegeln rassistische und ethnische Vorurteile wider, die in der amerikanischen Unterhaltungskultur zirkulier(t)en – in der Vergangenheit und in der Gegenwart. Puppen zeigen den Missbrauch oder Fantasien „vom Anderen“, aber sogar das Wort „das Andere“ sorgte in der Diskussion um einen ersten Titelvorschlag für Kontroversen. Am Ende dauerte es zwei Monate bis der Ausstellungstitel „Puppetry’s Racial Reckoning” (etwa: „Eine Abrechnung mit „Rassen“ im Puppentheater“) feststand. Die Ausstellung lief von Mai bis Oktober 2021. Zentral in dem Bereich der Ausstellung, der sich mit der „Aufführung des Orients“ beschäftigte, waren Figuren aus „The Mikado“ (1968), die Frank Ballard (1929–2010), der Gründer des Puppenspielkunstprogramms der UConn und der Sammlung, geschaffen hat. Ballards Interpretation von Gilbert und Sullivans populärer Oper, die in Japan spielt, spiegelt anti-japanische Propaganda und Christopher Lees „gelbgesichtigen“ Fu Manchu wider. In der Ausstellung kamen viele andere beliebte und respektierte amerikanische Puppenspieler*innen vor wie Tony Sarg, Rufus und Margo Rose, Frank und Elizabeth Haines, und Bill Baird, die alle, wissentlich oder unwissentlich, orientalistische Stereotype übernommen hatten. Die Absicht war nicht, sie als rassistisch zu beschuldigen, sondern ein Verständnis für die komplexen Wege zu vermitteln, auf denen rassistische Stereotype konstruiert, verstärkt und aufrechterhalten werden. Die Ausstellung stand damit im Einklang mit einer erwachenden Aufmerksamkeit für Rassismus in der Populärkultur. Anfang des Jahres 2021 ergänzte Disney+ bei Folgen der Muppet Show Warnhinweise wegen „negativer Darstellung oder Misshandlung von Menschen oder Kulturen“ und die Veröffentlichung von sechs Dr. Seuss-Büchern wurde wegen der rassistischen Bilder gestoppt. Es ist
Handpuppen „Joey the Clown“, „Mickey Mouse“, „Minnie Mouse“, „Pig from Three Little Pigs“ (1930er Jahre), Hersteller unbekannt. Foto: Jungmin Song
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wichtig anzumerken, dass diese Maßnahmen nicht dazu führten, dass alle Arbeiten der betroffenen Künstler*innen „gecancelt“ wurden, sondern es entstanden Möglichkeiten für eine Diskussion über Rassismus. Neben Ballards „Mikado“ platzierten wir in der Ausstellung ausgewählte Bilder aus der Sand-Performance „Bend“ (2014) der japanisch-amerikanischen Künstlerin Kimi Maeda, die auf den Erfahrungen ihres Vaters in einem Internierungslager für Japaner*innen während des 2. Weltkrieges basiert. Zu diesem schlimmen Kapitel der Geschichte gehört, dass 120.000 Menschen mit japanischen Vorfahren aus ihren Häusern getrieben und in geografisch isoliert gelegenen Lagern interniert wurden. Maeda zeichnet ihren Vater mit Sand als einen Jungen und verwandelt ihn in das dämonische Stereotyp eines Asiaten, wie sie in den USA in den 1940er-Jahren zirkulierten – mit schräg liegenden Augen, einer runden Brille und einem langen, dünnen Schnurrbart. Diese Darstellung visualisiert und kritisiert die Entmenschlichung durch rassistische Stereotype.
R a s s i s m u s – V e r g a n g e n h e i t, G e g e n w a r t – u n d Z u k u n f t ? Der zweite Teil der Ausstellung, „Minstrelsy und ihr Erbe“, bestand aus Figuren, die aus „Blackface“- Aufführungen stammten, die die amerikanische Unterhaltungskultur vom 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert dominierten, darunter Tanz-Gliederpuppen, eine Bauchredner-Puppe, Kasperle-Sets mit „Schwarzen“ Figuren, Mickey Maus und Papiertheater-Sets für „Onkel Toms Hütte“. Es gab die große Sorge, die Besucher*innen durch das Zeigen der Bilder aus der „Minstrel“-Tradition zu verletzen. Aber ich habe beobachtet, dass viele Besucher*innen die rassistischen Züge der Typen gar nicht erkannten. Diese Bilder kursieren nach wie vor, auch wenn heute nur wenige wissen, dass Mickey Maus’ weiße Handschuhe, großes Grinsen und Gaunercharakter aus der „Minstrel“-Tradition abgeleitet sind. Ich wünschte, auch der Bauchredner und Stand-up-Comedian Jeff Dunham wäre Teil der Ausstellung gewesen. Dunham ist wahrscheinlich der bekannteste lebende Puppenspieler in den USA, zumindest was den Kartenverkauf für seine Shows und NetflixSpecials angeht. Seine Charaktere „Achmed the Dead Terrorist“ und „José Jalapeño on a Stick“, und andere, sind absichtlich beleidigend. Dennoch habe ich die Idee, Dunham-Merchandise in der Ausstellung zu zeigen, nach einer Konsultation der Rechtsabteilung der Universität aus Angst vor einem Rechtsstreit aufgegeben. Ohne Dunham oder andere Puppenspieler*innen von heute, die rassistische Diskurse fortsetzen, schien die Ausstellung triumphal zu beweisen, dass Rassismus zur Vergangenheit gehörte und durch die anti-rassistische Arbeit der zeitgenössischen Puppenspieler*innen überwunden wurde. Keine der Puppen in der Ausstellung zeigte eine einfache Schwarz-Weiß-Geschichte. Denn bei Rassismus geht es nicht nur um eine Haltung gegenüber dem „Anderen“. Es geht genauso darum, sich selbst als Antithese zum imaginierten „Anderen“ zu definieren. Die Schwarzen-feindlichen und orientalistischen Puppen in der Ausstellung haben rassistische Haltungen und Praktiken nicht ausgelöst. Aber sie gehören zu den zirkulierenden negativen Bildern und Stereotypen. Während ich die Ausstellung vorbereitete, dachte ich immer wieder an meine fünfjährige Tochter und wie sie sich ihre Identität als Tochter einer koreanischen Mutter und eines jüdisch-amerikanischen Vaters, die in den USA aufwächst, aufbauen wird. Ob andere Kinder sie mit derselben orientalistischen Brille sehen würden, die an den Puppen der Ausstellung beobachtet werden kann? Welchen Einfluss hätte das auf ihre Entwicklung? Weiß sie von den abwertenden Stereotypen über Asiaten und Asian-Americans? Oder wird sie ihre eigene Identität ohne dieses Wissen erschaffen können? – www.bimp.uconn.edu – Aus dem Amerikanischen von Mascha Erbelding 1 Bei sogenannten „Minstrel Shows“ stellten schwarz geschminkte weiße Darsteller*innen abwertende Stereotype von Schwarzen dar. Impression aus der Ausstellung, links: Puppen zu „The Mikado“ (1968) von Frank Ballard / rechts: Bilder aus „Bend“ (2014) von Kimi Maeda / Puppenkopf eines japanischen Soldaten (1940er Jahre), Hersteller unbekannt. Foto: Jungmin Song
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SPIEL DER KOMPLEXITÄT Ein Gespräch mit Laia Ribera Cañénguez und Antonio Cerezo zu Materialtheater und kolonialen Kontinuitäten 2021 entwickelte das KMZ Kollektiv (vorher „Laia RiCa“) mit „Kaffee mit Zucker?“ einen ersten Abend, der mit Mitteln der Materialperformance und des biografischen Theaters koloniale Kontinuitäten verhandelte. Nach mehrfachen Auszeichnungen und internationalen Gastspielen kam im Februar 2023 nun die neue Produktion „Fünf Exponate“ in der Schaubude Berlin zur Premiere. Tim Sandweg sprach für double mit den Performer*innen Laia Ribera Cañénguez und Antonio Cerezo über koloniale und dekoloniale Spuren in Materialien, kollektive biografische Erzählungen und den performativen Umgang mit komplexen Themenfeldern. In „Kaffee mit Zucker?“, eurer ersten Produktion im Kontext des Objekttheaters, standen die beiden titelgebenden Materialien im Zentrum, in eurer neuen Produktion „Fünf Exponate“ werden es Gips und Kartoffeln sein. Welches Potenzial liegt in Dingen, um über koloniale Kontinuitäten zu sprechen? Laia Ribera Cañénguez: Wir versuchen, sehr komplexe Geschichten mit sehr wenig auf der Bühne zu erzählen. In unseren bisherigen Recherchen und Proben haben wir das als produktiv erlebt: Wir finden so unerwartet szenische Lösungen, die eigene Metaphern mitbringen. Bei „Kaffee mit Zucker?“ sind wir vom Kaffee und seiner Geschichte ausgegangen, haben im Prozess aber den Zucker als Antagonisten hinzugenommen, was dann zu einer Metapher für „weiß“ und „braun“ und die Identitätsfragen wurde. Bei unserem neuen Stück wollten wir im Sinne einer naturwissenschaftlichen Klassifizierung eine Dreiteilung von Mensch, Pflanze und Mineral auf der Bühne haben. Deshalb stehen neben uns Spieler*innen Kartoffelpflanzen und das Mineral Gips im Zentrum. Antonio Cerezo: Die Materialien bringen immer ihre Themen mit und fordern uns mit ihren Blickwinkeln heraus. Beim Gips haben wir zum Beispiel zwei Zugänge: Einerseits ist Gips das Material, aus denen die Nachbildungen in lateinamerikanischen Museen bestehen – die Originale der Objekte sind ja in Europa. Andererseits haben europäische Ethnolog*innen Gips genutzt, um Abdrücke von kolonisierten Menschen auf dem afrikanischen Kontinent zu nehmen. Hier sehen wir gleich die Verwicklung des Materials mit der Geschichte des Kolonialismus.
Subjekt oder Objekt? Als weiteres Spielmaterial kommt in euren Produktionen eure eigene Biografie hinzu. Laia Ribera Cañénguez: Wir arbeiten im Probenprozess vielstimmig, diskutieren im Kollektiv über die Themen und teilen unsere persönlichen Geschichten. Daraus entsteht unser Textmaterial: Das ist eine kollektive Stimme, eine kollektive Erfahrung, die wir dann in einer performativen Geste mit der Behauptung des „Ichs“ auf die Bühne bringen. Antonio Cerezo: Uns interessiert als dramaturgische Linie, wie unsere Biografien zusammenhängen, wie wir sie inhaltlich verbinden können, wo es Ähnlichkeiten gibt. Ich nehme etwas von einer anderen Geschichte in meine auf, bringe sie zusammen – so entsteht mehr Tiefe. Laia Ribera Cañénguez: Es geht uns nicht um eine genaue Nacherzählung unserer Biografie, es geht darum, was eine Reibung erzeugt. In „Fünf Exponate“ machen wir diese Polarisierung auf zwischen einerseits westlichen, weißen, männlichen Wissenschaftlern und andererseits indigenen Communities. Wer sind wir in diesem Spannungsfeld? Sind wir Subjekte oder Objekte? Sind wir die Exponate oder die, die beschreiben? Und inwiefern ist unsere Geste auch eine weiße Geste? In „Fünf Exponate“ ist Alexander von Humboldt eine zentrale Figur. Antonio Cerezo: Unser Ausgangspunkt waren die Diskussionen um das Humboldt-Forum in Berlin. Alexander von Humboldt ist eine Figur, in der ganz viele Aspekte zusammenkommen, eine Figur, die wir nutzen konnten, um diesen ganzen Diskurs herzuleiten – den Eurozentrismus, die Beziehung von Deutschland zu Lateinamerika und die Wissenschaft, die er entwickelt hat. Laia Ribera Cañénguez: In den letzten Jahren gab es diese Auseinandersetzung mit Raubkunst und Restitution, die Infragestellung von ethnologischen Museen in Europa. Mir scheint aber, dass Alexander von Humboldt eher wenig hinterfragt wurde. In neueren Publikationen wird er als Vater der Ökologie, als Vater der Globalisierung dargestellt und auch in Lateinamerika ist Humboldt eine Person, die eher positiv gesehen wird. Uns hat daher interessiert, die Rezeption der Figur zu hinterfragen: Für was für ein Weltbild steht er, als was wird er gelesen?
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Zwischen „Gut“ und „Böse“ Wie hat sich eure Auseinandersetzung mit dem Ort Museum und den Praktiken ethnologischer Sammlungen auf die Bühnenperformance ausgewirkt? Laia Ribera Cañénguez: Einerseits reproduzieren wir die Geste der musealen Beschreibung von Exponaten, nutzen sie aber, um damit Gegengeschichtsschreibungen zu beleuchten. Andererseits haben wir mit wissenschaftlichen Praktiken gearbeitet, betrachten das Material durchs Mikroskop, fragen danach, was und wie wir klassifizieren können. In zeitgenössischen ethnologischen Museen wird die Behauptung aufgestellt, es handele sich um Orte des Zusammentreffens unterschiedlicher Kulturen auf Augenhöhe. Das versuchen wir zu beleuchten: Wie schwierig ist eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe, wenn es ein Gefälle zwischen dem Westen und dem Globalen Süden gibt, ein Gefälle zwischen „Wissen“ und „Glauben“. Wir setzen dafür das Humboldt-Forum gegen das Volk der Kogi in Kolumbien, die ihre rituellen Masken aus dem Ethnologischen Museum Berlin zurückfordern. Antonio Cerezo: Es gibt ein Interview mit David Cameron, dem ehemaligen Premierminister des Vereinigten Königreichs. Er sagt zum Thema Restitution: „If you say yes to one you suddenly find the British Museum would be empty.“ Und selbst wenn die Museumsleute ja sagen wollten: Sie können gar nicht die Entscheidungen treffen, es braucht Abkommen zwischen den Ländern. Die ganze bürokratische Situation, das Spiel zwischen den Museen, den Gesetzen und den Ländern macht es so schwierig. Laia Ribera Cañénguez: Wer setzt die Rahmenbedingungen? Das ist auch für die Länder des Globalen Südens eine Frage, wo die Regierungen ja meistens westliche Strukturen nutzen und wo indigene Communities, wie etwa die Kogi, gar nicht vorkommen. Dieses „Wir aus dem Globalen Süden“ ist ein sehr seltsames „Wir“.
KMZ Kollektiv, Fünf Exponate. INBAL/CITRU. Foto: Gabriel Morales
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Ihr habt in der Recherche mit Wissenschaftler*innen, die in ethnologischen Museen arbeiten, gesprochen. Wie haben sich diese Erfahrungen auf die Inszenierung ausgewirkt? Laia Ribera Cañénguez: Uns wurde in diesen Gesprächen, insbesondere mit Doris Kurella vom Stuttgarter LindenMuseum, die Komplexität klarer, dass es, so wie ja eigentlich immer, keine Bipolarität von Gut und Böse gibt. Das war eine der großen Herausforderungen in unserem Prozess: Wie können wir in einer spielerischen, in einer humorvollen Weise mit dieser Komplexität umgehen, ohne sie zu verallgemeinern? Wir wollten kein verkopftes Stück machen. Wir haben uns ständig damit auseinandergesetzt, für wen das Stück ist und wer Zugang zu diesen Themen haben soll.
Figurentheater als Prozess In der Begründung der Juryauswahl für das Festival Politik im freien Theater, zu dem „Kaffee mit Zucker?“ letztes Jahr eingeladen war, wird betont, dass eure Produktionen fürs Publikum „überraschend niedrigschwellig“ sind. Inwiefern strebt ihr dies auch bei „Fünf Exponate“ wieder an? Antonio Cerezo: Wir haben in unserem Team viel diskutiert, wo unsere Reflexion an ein Alltagsleben anknüpft, gerade wenn ich keine Beziehung zum Museum habe. Hier sind unsere Biografien sehr wichtig. So kann das Publikum die Komplexität auf das eigene Leben beziehen. Laia Ribera Cañénguez: Einerseits ist es das Arbeiten mit Biografien, andererseits ist es das Arbeiten mit Material, wodurch wir eine starke visuelle Ebene schaffen. So entstehen Momente, in denen das Bild Freiraum lässt, um unterschiedliche Diskursebenen hineinzuprojizieren. Ich hoffe, dass mit unserem neuen Stück etwas Ähnliches passiert wie bei „Kaffee mit Zucker?“: Dass unterschiedliche Zuschauer*innen unterschiedliche Anknüpfungspunkte finden. Manche bleiben eher auf der persönlichen Ebene, manche schauen eher auf die Diskursebene. Dabei geht es uns auch um die Herkunft der Zuschauer*innen – ich wünsche mir, dass das Stück nicht nur für ein weißes deutsches Publikum ist, sondern dass auch migrantische und postmigrantische Zuschauer*innen unterschiedliche Perspektiven in ihm sehen können. Nach ersten Tryouts in Mexiko zeigt ihr die Produktion nun dem Publikum in Berlin. Antonio Cerezo: Wir hatten einen sehr intensiven Prozess. Es war für mich ein emotional schwieriger Weg, lange hatte ich keinen Kontakt zu dem Stück. Dass ich jetzt sagen kann, ja, das ist „mein“ Stück, das ist das Stück unseres Kollektivs, dafür haben wir einen langen Weg zurückgelegt. Laia Ribera Cañénguez: Wir waren oft an Punkten, an denen wir nicht weiterkamen. Ich glaube, wir wollten es immer richtig machen – und weil wir natürlich nicht wissen, wie das geht, ist es ja auch so schwer, sich an diese Themen heranzuwagen. Die Fallhöhe ist sehr hoch. Für mich ist der Prozess nicht abgeschlossen. Ich finde es gut, dass wir die Öffentlichkeit jetzt in diese Auseinandersetzung einladen. Das ist gleichzeitig ein Versuch, Figurentheater als Prozess zu verstehen – auch weil wir es bei diesen hochkomplexen Themen gar nicht schaffen können, etwas Abschließendes zu sagen. – www.laiarica.com – www.antonio-cerezo.com Rezension von „Fünf Exponate“ unter „Aktuelle Kritik“ auf www.fidena.de
KMZ Kollektiv, Fünf Exponate. INBAL/CITRU. Foto: Gabriel Morales
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NICHT-OBJEKTE Gedanken zu Museums- und Theaterobjekten ausgehend von der Perfomance „Gutta“ Der polnische Künstler Ludomir Franczak beschäftigt sich in seinen multidisziplinären Arbeiten mit Gedächtnis und Identität. In „Gutta“ folgt er den menschlichen Überresten von Gutta, die in einer der Völkerschauen als „Amazone von Dahomey“ auftrat. Vo n L u domi r F r a n c z a k /// Dieser Artikel befasst sich mit einem Projekt, das ich 2021 begonnen habe. Es war der Hauptanlass, mich zur Tagung „Demontage des Puppenheims“ in München (siehe S. 28) einzuladen. Der erste Abend der Tagung wurde mit einer künstlerischen Intervention in der Puppentheatersammlung beschlossen. Zu Beginn erzählten die drei Künstler*innen Sarah Bergh, Claude Jansen und Fabrice Mazliah von ihren Erfahrungen bei der Projektentwicklung. An einem Punkt luden sie alle in den eingerichteten Raum ein, und eine*r von ihnen sagte im Hinblick auf die drinnen wartenden Puppen – gerade wie im Vorbeigehen – „wir nennen sie nicht mehr Objekte“… Was ist ein Objekt im Museum? Was ist ein Objekt im Theater? Wer entscheidet darüber? Das „Gutta“-Projekt, das ich am folgenden Abend präsentierte, betrifft ein ‚Objekt‘, das im „Museum des Menschen“ in Prag präsentiert wird. Es handelt sich um die körperlichen Überreste einer Frau, wahrscheinlich Mitglied einer Gruppe von Yoruba, die als „Amazonen von Dahomey“ in den 1890er Jahren in vielen europäischen Metropolen auftraten. Ihr Skelett ist in einer Glasvitrine in einem der Räume ausgestellt. Als ich in die Ausstellung kam, habe ich die Legitimation der Präsentation zunächst nicht in Frage gestellt. Ich denke, wir alle haben eine vorgeprägte Idee davon, dass das, was in einem Museum gezeigt wird, durch Erinnerung und Bildung gerechtfertigt ist. Aber an wen erinnert das Skelett einer Frau aus dem westlichen Afrika? Was ist der wissenschaftliche Wert dieses Ausstellungsstückes? Wird das Universitätsgebäude, welches das Museum beherbergt, zu einem Grab? Alles, was ich seither unternommen habe, kommt in erster Linie von meiner Ablehnung solch einer Art von Ausstellung. Ich habe mich entschlossen, meine privilegierte Position als weißer männlicher Künstler zu nutzen und zu intervenieren. Es ist ja für mich ziemlich leicht, zwischen europäischen Bildungs- und Kulturinstitutionen hin- und herzuwechseln. Niemand bestraft mich für meine Fragen, nicht einmal für die unangenehmsten. Mir wurde sogar erlaubt, meine interventionistische Arbeit mitten in das „Museum des Menschen“ zu platzieren. Dies ist ein Privileg, dessen Vorteile ich in Anspruch nehme, während ich mir gleichzeitig seiner Grenzen bewusst bin. Diese Limitierungen sind bestimmt durch die Tatsache, dass ich Teil eines Systems bin, das solche Ausstellungen erlaubt, und durch meine Kritik validiere ich es in gewisser Weise auch noch. Ich bestätige seine Existenz. Ich werde Teil eines Diskurses, der eine Verhandlung mit etwas erlaubt, das in erster Linie gar nicht existieren sollte. Zeichnung von Ludomir Franczak für das Projekt „Gutta“
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Während der ganzen Zeit habe ich mich gefragt, was eigentlich der Status dieses ‚Objekts‘ ist, genau wie der vieler anderer, denen ich während meiner Recherche begegnet bin. Die meisten „Dinge“, die in Museen, Privathäusern, Antikläden gesammelt werden und die einen kolonialen Kontext haben, erreichen den Status eines Objektes (religiös, museal, künstlerisch), wenn wir sie aus einer europäischen Perspektive betrachten. In ihrer Heimat sind sie etwas vollständig anderes. Baustelle an der Alten Akademie in München. Foto: Ludomir Franczak
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Was ist ein Objekt im Museum? Was ist ein Objekt im Theater? Wer entscheidet darüber? Es gibt eine zusätzliche Schicht in der unausgesprochenen Geschichte der Objekte – ihre innere Energie. Du kannst sie fühlen, wenn du eine Weile mit ihnen im Kontakt bist. Es erfordert außerordentliche Hingabe, Zeit und Aufmerksamkeit, aber ich glaube, dass es möglich ist. „Bestimmte Dinge kommen aus den Bildern hervor, wenn du sie lang genug anschaust.“ Dieser kurze Satz von W. G. Sebald kann eine gute Anweisung sein, um eine Verbindung zu einem Objekt herzustellen. Es kann genauso gut sein, sie zu dekonstruieren. Oder zu versuchen, zusätzliche, zunächst versteckte Bedeutungen zu finden. Am ersten Tag der Tagung war ich Teil eines Treffens mit der Gruppe „Decolonize München!“1, die an der Dekolonialisierung des öffentlichen Raums in München arbeitet. Ich kannte deren Arbeit schon, da ich durch ihre Recherche auf einen weiteren Todesfall in der „Dahomey-Gruppe“, zu der auch Gutta gehörte, erfuhr. Genau einen Monat nach Guttas Beerdigung starb Cula in München und ihre sterblichen Überreste wurden 1921 exhumiert und der Anthropologischen Staatsammlung übergeben. Eine Gruppe der Münchner Forscher*innen und Aktivist*innen hat die Orte, die mit ihrem Tod verbunden sind, herausgefunden. Ich habe sie besucht. Der erste Ort war die Alte Akademie. Es stellte sich heraus, dass das Gebäude gerade renoviert wird. Die Werbebanner auf dem Bauzaun kündigten seine neue Funktion für die Stadtbewohner*innen an. Als ich die Gebäudefassade fotografierte, war die Batterie meines Handys plötzlich leer, obgleich ich es zuvor geladen hatte. Dies ist das Foto, das ich zuvor noch machen konnte. Es zeigt die Fassade, die von einem Banner bedeckt ist, das die zukünftige Gestalt des Gebäudes präsentiert, versehen mit dem Slogan: „München – von Kopf bis Herz“ Die Notwendigkeit eines rationalen Zugangs zu den Dingen, die in diesem Satz ausgedrückt ist, erschien mir extrem signifikant im Kontext der Anthropologischen und Paläontologischen Sammlung, die in dem Gebäude seit 1889 untergebracht war, und zu der die sterblichen Überreste der ‚Amazone Cula‘ 1921 hinzugefügt wurden. Schließlich waren (und sind) solche Sammlungen das rationale Ergebnis europäischer wissenschaftlicher Tätigkeit. Das Haus, das ich besuchte, ist jedoch überwiegend eine Rekonstruktion des Gebäudes, das mit Culas sterblichen Überresten während des alliierten Bombenangriffs am 25.4.1944 vollständig zerstört worden war. Der damalige Kurator – Theodor Mollison – fand in der Ruine die Reste der Sammlung, die er zuhause aufbewahrte. Nach seiner Aussage befand sich darunter nicht eine Spur der gesammelten Knochen. Nach dem Krieg wurde die Alte Akademie wieder aufgebaut auf den Trümmern des Gebäudes, in dem Culas Überreste aufbewahrt worden waren. Das ganze Gebäude wurde auf symbolischer Ebene zu einer Grabstätte für Cula. Genauso wie, unwissentlich, die Naturwissenschaftliche Fakultät der Karls-Universität in Prag das Grab von Gutta und vielen anderen sterblichen Überresten des „Museum des Menschen“ geworden ist. Architektur ist nicht unschuldig und kann uns manchmal mehr sagen, als auf den ersten Blick erkennbar ist. Das Gleiche gilt für Museums- und Theaterobjekte. Was ist ein Objekt im Museum? Was ist ein Objekt im Theater? Wer entscheidet darüber? Was passiert, wenn wir beginnen, diese Objekte anders zu sehen – wie Sarah Bergh, Claude Jansen und Fabrice Mazliah es getan haben, wie ich und viele andere es in ihrer Arbeit zu tun versuchen? Verändern sich diese Objekte durch unsere Handlungen? Vielleicht nicht in ihrer physischen Erscheinung, aber irgendwie transformieren wir sie. Dadurch, dass man auf sie aufmerksam macht, sie bewahrt, sich vielleicht sogar um sie kümmert (in einem anderen Sinne als ein Museum), erhalten sie einen neuen Status. Durch all diese lautstark artikulierten Einsprüche, die unter anderem an eine breite Dekolonialisierungsbewegung anknüpfen, werden Museums- oder Theaterobjekte zu etwas, das ich „Nicht-Objekte“ nennen würde. Sie werden zu einer eigenen Einheit, die ihre ‚Befreiung‘ erwartet. Sie gewinnen noch nicht ihren eigenen Status zurück, aber sie sind nicht länger Museums-, Theater- oder antiquarische Objekte. Oder eher gesagt, sie sollten nicht mehr als solche betrachtet werden. Mit dem Finger auf ein in einer Vitrine ausgestelltes menschliches Skelett zu deuten, auf ein Foto, das ohne Respekt für eine andere Kultur gemacht wurde, auf ein RaubObjekt, auf eine Puppe mit einem kolonialen Hintergrund, verändert ihren Status, veranlasst uns, unseren Blick zu verändern, Fragen zu stellen, genau hinzuschauen, oder wegzuschauen. – http://lfranczak.blogspot.com/ – Aus dem Englischen von Meike Wagner
1 Siehe decolonize-muenchen.de und mapping.postkolonial.net
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Unter der oberfläche Der Puppenbauer Atif Mohammed Nour Hussein im Gespräch über „fiktive Porträts“ Der Regisseur und Puppenbauer Atif Mohammed Nour Hussein, Absolvent des Puppenspielstudiengangs der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin ist u. a. für seine hyperrealistischen Puppen bekannt. Er ist auch Teil des losen Netzwerks „bühnenwatch“1. Für double sprach Mascha Erbelding mit ihm über seine Arbeit. Wann hast du angefangen darüber nachzudenken, dass auch Puppen Stereotype repräsentieren? Puppentheater ist wie jede Theaterform nicht frei von rassistischen Stereotypen. Diese Erkenntnis entwickelte sich spätestens seit meinem Studium vor dreißig Jahren: Als Zuschauer, als Puppenspieler und später am Dringlichsten als Puppenbauer. Denn sobald ich so eine Puppe kreiere, arbeite ich ja auch mit Verweisen auf Realität. Es handelt sich um einen Kunstkörper, aber es gibt immer diesen Verweis, egal ob es Material, Objekt oder Puppe ist. Und das ist es ja, was wir wollen im Puppentheater, Wiederkennbarkeit. Da kann es sehr schnell passieren, dass wir dieselben Stereotype wiederholen, weil wir uns mit Oberflächen beschäftigen, mit Sichtbarem. In die Falle bin ich nicht getappt, weil ich Begegnungen mit Puppen hatte, die mich verschreckt haben, bevor ich selbst an Puppenbau dachte. Da wusste ich: so auf jeden Fall nicht. Das hieß nicht, dass ich damals wusste, wie es anders gehen könnte. Und wie versuchst du künstlerisch dagegen anzukommen oder damit zu arbeiten? Beim Puppenbau gibt es verschiedene Wege. Ich habe mich entschieden „fiktive Porträts“ zu schaffen. Das kommt natürlich auch daher, dass ich oft Porträts von realen oder historischen Personen gebaut habe, zum Beispiel als „zweites Ich“ eines realen Menschen auf der Bühne. Für die fliegenden Jungs bei „Peter Pan“, die im Buch aus allen Weltteilen kommen, dachte ich mir, dass sie nicht nur weiß sein müssen. Wir haben schon lange kein nur-weißes Publikum mehr im Theater. Da gab es dann Reaktionen von Kindern, die sich in den Puppen wiedererkannt haben. Oder wenn es in der Figurenliste im Stück dazu keinerlei Angabe gibt – dann kann eine „schöne Frau“ eben auch Schwarz sein, ohne Begründung. Wie bei einer Besetzung beim Film – nicht nach Hautfarben. Eine Inszenierung, bei der ich mich sehr intensiv mit Stereotypen beschäftigt habe, war Bertolt Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ (Regie: Moritz Sostmann, 2013 am Schauspiel Köln, re-inszeniert 2019 am Schauspiel Leipzig). Ich habe mich entschieden, die Figuren von Brecht – die ja fiktive, metaphorische Figuren sind – wie reale Menschen zu behandeln und von ihnen Porträts anzufertigen. Ich habe das Stück sehr genau gelesen und viel recherchiert (dem Internet sei Dank). Brechts Sezuan ist natürlich fiktiv, aber es gibt ein reales Sezuan, über das ich gesammelt habe, was ich finden konnte: Kultur, Farben, Traditionen, Muster, Bilder, Videomaterial. Dann habe ich intensiv die Figuren Beide Seiten: Stadien des Puppenbaus für „Der gute Mensch von Sezuan“ (2013 am Schauspiel Köln): Moodboard, Studien zu Puppenköpfen, unbekleidete Puppe. Fotos: Atif Hussein
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analysiert. Zum Beispiel Wang, der Wasserverkäufer: Er ist arm, macht seit 25 Jahren diesen wahnsinnig anstrengenden Beruf. Er ist die offenste und philosophischste Figur im Stück, denn er ist ja der erste, der Kontakt zu den Erleuchteten hat. Wie ist jemand, der so offen ist, dass die Götter sich ihm offenbaren? Und wie kann so ein Mensch aussehen – plus, dass er aus Sezuan stammt? Also nicht das Äußere ist das Essentielle, sondern das Innere. So bin ich durch alle Figuren gegangen. Und dann habe ich weitersortiert, nach Alter und Jugend, und danach, ob es Menschen sind, die mit den Händen arbeiten. Es ist enorm, wie viel komplexer die Gesichter werden, sodass man nicht einfach sagt: Das ist jetzt ein südostasiatischer Mensch. Denn eine Oberfläche kann ganz schnell rassistisch missbraucht werden. Ein weiterer Aspekt war, den Körperbau nicht bewusst zu verkomplizieren, aber zumindest technisch so aufwändig zu machen, dass die, die damit spielen, mit viel Aufmerksamkeit und Aufwand spielen müssen. Das heißt, Puppenspieler*innen und Puppen müssen sich sehr miteinander verbinden. Puppen sind ja Dinge – ich sollte sie nicht noch zusätzlich verdinglichen, nicht einfach kurz nehmen und dann wieder zur Seite legen, wenn ich sie nicht brauche. Alles, was ich spielen will, kann ich nicht ohne diese Puppe. Ich setze sie nicht wie eine Statue auf einen Sockel, sondern das Spiel der Puppenspieler*innen ist der Sockel. Sie selbst geben den nötigen Raum und die Größe, die sie brauchen. John Bell hat während des Werkstattwochenendes „Demontage des Puppenheims“ in München die interessante Frage gestellt, wie man bei abstrakteren Figuren mit Stereotypen umgehen kann, ob Hyperrealismus der einzige Weg sein kann, rassistische Bildsprache zu vermeiden. Ich habe mich gefragt, ob auf einem gewissen Niveau der Abstraktion Hautfarbe vielleicht keine Rolle mehr spielt. Aber kann es neutrale Puppen überhaupt geben? Selbst Dummies weisen wir ein Geschlecht zu. Während des Studiums hatten wir diese hölzernen Übungsmarionetten. Die sind komplett unmarkiert. Je mehr man sich vertieft in die Führungstechnik, je mehr spielerische Fertigkeiten wir entwickelten, desto mehr Charakter wurde ablesbar. Wir sind hier also bei Spieltechnik und nicht bei Oberfläche. Nenne ich die eine Jago und die andere Othello, dann funktioniert das – weil wir den Stoff kennen – auch ohne Schwarze Übungsmarionette. Der Grad der Abstraktion ist extrem hoch. Das weiter zu untersuchen, lohnt sich sicher. Was wünschst du dir für die (Figuren-)Theaterszene in der Zukunft? Was wären nächste Schritte? In Deutschland gibt es ja die Besonderheit des institutionalisierten Puppentheaters, mit den Studiengängen, mit den Häusern, mit den Spielstätten und einer relativ großen, vitalen Freien Szene, die öffentlich gefördert wird. Mein Eindruck ist, dass die Wachheit und Selbstbefragung ziemlich groß ist, weil die in diesem Gesamtdiskurs mit drinstecken. Mit Privattheatern oder Familienunternehmen kenne ich mich nicht so gut aus. Da bin ich als Juror für bestimmte Projektförderungen teilweise im Bereich Puppentheater auf Dinge gestoßen, wie merkwürdige orientalische Exotisierungen, die ich überwunden glaubte. Wie man die Leute einlädt, das zu überdenken, ist die Frage. Zumal sie sich ja auch an einem Kanon abarbeiten, der mitteleuropäisch geprägt ist, zum Beispiel diese orientalisierenden Märchen von Wilhelm Hauff, oder Karl May. Das hält sich unglaublich zäh. Zu sagen, das ist bescheuert und ihr müsst das lassen, das geht natürlich nicht. Aber wie man die erreicht, das kleine Marionettentheater auf der Kirmes z. B., das ist problematisch. Das sind dann oft die ersten Begegnungen für viele Menschen mit Theater. In diesem Bereich des „Volkstheaters“ müssten wir präsenter sein, stolz sein auf diese „plebejische“ Herkunft des Puppentheaters. Das Wichtigste für mich ist die permanente Suche. – www.atifhussein.wordpress.com 1 Auf nachtkritik.de findet man mit dem Suchwort „Blackface“ viele Artikel, die sich mit der Initialzündung für „bühnenwatch“ im Jahr 2012 und dem folgenden Diskurs beschäftigen.
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DEN ERWARTUNGSHORIZONT ERWEITERN Brücken zur Kommunikation zwischen den Kulturen und zwischen den Spezies in „Aanika’s Elephants“ Die Kulturwissenschaftlerin Dr. Paulette Richards hat unter anderem die Ausstellung „Living Objects. African American Puppetry“ am Ballard Institute and Museum of Puppetry in Connecticut kuratiert, ihr Buch „Object Performance in the Black Atlantic“ erscheint dieses Jahr. In ihrer pädagogischen Arbeit liegt ihr Schwerpunkt auf Puppenspiel und Empowerment. Für double schreibt sie über eine Inszenierung von Annie Evans. Von Pa u l e t t e Ri c h a r d s /// In den letzten Jahren gab es in der Puppentheaterszene eine umfassende Diskussion über Fragen wie „Wer hat das Recht mit welchen Puppen zu spielen? Wer darf welche Geschichte erzählen?“1 „Aanika’s Elephant“, eine neue Produktion von Annie Evans aus dem Jahr 2022, ist ein Beispiel dafür, wie man sich der Frage ‚wer spricht‘ auf ethische Weise nähern kann. Im Oktober 2000, während einer Karrierepause als Fernseh-Autorin für das Kinderprogramm „Sesamstraße“, stieß Annie Evans zu einem Team des Earthwatch Institute, das die Wanderungsgewohnheiten von Elefanten zwischen den Tsavo East und Tsavo West Wildparks in Kenia untersuchte. Als eine von zehn freiwilligen Helfer*innen unter der Leitung der Wissenschaftlerin Dr. Barbara L. McKnight war sie dafür zuständig, in der Masse von Elefanten zehn Individuen zu identifizieren, die zum Trinken kamen, wenn die Rinderherden die Wasserstelle verlassen hatten. Evans erkannte die einzelnen Elefanten an Schäden an den Stoßzähnen, an Einkerbungen oder an Rissen an den Ohren, und beobachtete mit tiefer Bewunderung ihre matriarchale Gesellschaft, ihre Loyalität und ihre Sensibilität. Zurück in New York nahm Evans das Schreiben für das Kinderfernsehen wieder auf, während sie darüber nachdachte, wie man den richtigen Schreibzugang zu einer Geschichte über die wunderbaren Tiere, die sie kennengelernt hatte, finden könnte. Endlich, nach fünfzehn Jahren, traf sie während eines Yoga-Kurses ein Gedankenblitz und sie begann, die Geschichte um ein junges Mädchen, das in einem Elefanten-Waisenhaus aufwächst, zu skizzieren. Während des ersten Corona-Lockdowns ergab sich die perfekte Gelegenheit, um die Geschichte vollständig zu entwickeln. Da sie bei Projekten der „Sesamstraße“ für ein globales Publikum gearbeitet hatte, war sie besonders sensibilisiert für die Herausforderungen von interkultureller Kommunikation. Sie betont, dass Respekt dabei immer im Zentrum steht. Daher ist eines der Mittel, das sie in das Stück einbaute, ein Schwarzes amerikanisches Mädchen, das zunächst auf einige der Sitten unter Elefanten und in der kenianischen Gesellschaft mit dem Wort ‚eklig‘ reagiert. Je länger sie jedoch der Protagonistin Aanika zuhört, die von ihren Kindheitsabenteuern mit den Elefanten erzählt, desto mehr überwindet sie ihre reflexartige Abwertung und wird tief in die Geschichte hineingezogen. Diese Figur dient als eine Brücke zu den Zuschauer*innen, um ihnen zu ermöglichen, ihren eigenen Erwartungshorizont zu erweitern und sich mit den Sichtweisen sowohl der menschlichen als auch tierischen Charaktere zu identifizieren. Evans war sich sehr bewusst, dass ihre Position als weiße Frau möglicherweise unbewusst blinde ‚weiße Flecke‘ in den Stücktext hineinbringen könnte, daher engagierte sie einen multiethnischen Cast von Puppenspieler*innen, die, nachdem das Stück eine Produktions-Förderung der Henson-Stiftung erhalten hatte, in den Reihen der „Sesamstraße“ aufstiegen. Die Authentizität der Stimme war eines der obersten Anliegen. Evans erinnerte sich, dass sie mit den Forschungsassistent*innen, die alle aus Südkenia stammten, in einem Jeep herumgefahren war, und webte die Kadenzen ihrer Stimmen in ihren Text. Um die Worte zum Leben zu bringen, engagierte sie Phylemon Odhiambo Okoth, Gründer des Kenya Institute of Puppet Theatre, als Stimmtrainer für den kenianischen Dialekt. Beide Seiten: Annie Evans, Aanika’s Elephants. Foto: Martin P. Robinson
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Evans Puppenspieler*innen studierten Videoclips der Elefanten und ihrer Kommunikation, um deren Bewegungen und die Geräusche mit den Elefanten-Puppen akkurat wiedergeben zu können. Evans erklärt: „Ich denke, das Besondere an dieser Show ist, dass das Publikum aufgefordert wird, die Lücken mit den Puppen zu füllen.“ Martin P. Robinson, Ehemann von Annie Evans und bekannt als Spieler von Muppet-Figuren wie etwa Mr. Snuffleupagus in der „Sesamstraße“, baute die Puppen für dieses Stück in einem wesentlich minimalistischeren Stil. Rahmen aus Weidengeflecht erinnern an die großen, stattlichen Elefanten, während Torsos, Handschuhe und Hüte, die in Kopfhöhe schweben, für die menschlichen Figuren stehen. „Es ist sehr wichtig für mich, dass die Zuschauer*innen mit dem Gedanken aus dem Stück gehen, dass Elefanten Lebewesen mit einer eigenen Kultur, Vorlieben und Verlusten sind, genauso wie Menschen“, sagt Evans. „Ich denke, dass der multiethnische Cast sowie die einfachen Puppen und Requisiten den Leuten helfen, sich in das Stück einzufühlen, da ihre Imaginationen so ein wichtiger Teil davon sind.“ Obgleich keine der Künstler*innen, die für „Aanikas Elephant“ schrieben, Regie führten, Puppen bauten oder spielten, aus Kenia stammten, erzeugte ihre respektvolle Zusammenarbeit und ihre Sensibilität in der Frage ‚wer spricht‘ einen ergreifenden Bildungsroman mit einem Schwarzen Mädchen als Hauptfigur – eine bis heute seltene Erscheinung im amerikanischen Theater. – www.annieevans.com – www.paulette-richards.com – Aus dem Amerikanischen von Meike Wagner 1 See Populoh, Valeska Maria, "Embracing Complexity in Performing the Other" (2019). Living Objects: African American Puppetry Essays. 6. https://opencommons.uconn.edu/ballinst_catalogues/6
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DEFROSTING THAI CULTURE Das interdisziplinäre Kollektiv un.thai.tled im Gespräch Vo n M ag ali To s at o /// Im August 2022 nahmen einige Mitglieder von un.thai.tled an einer Forschungsresidenz in der Schaubude Berlin teil. Fernab von einfachen Kategorisierungen und Stereotypen bietet das von Sarnt Utamachote in Berlin gegründete Kollektiv thailändischen Kunstschaffenden eine Plattform, um sich in der deutschen Kunstszene zu behaupten. Kantatach Kijtikhun ist Fotograf und Musiker, Theerawat Klangjareonchai Medienkünstler, Raksa Seelapan Performance-Künstlerin und Prapatsorn Sukkaset Bühnenbildner; alle haben eine Zeit lang in Europa studiert und teilen die Erfahrung, im Ausland zu leben, inklusive der Herausforderungen, die dies mit sich bringt. Als Mentorin für ihr Projekt „Defrosting Thai Culture“ durfte ich ihren Prozess des „Defrosting“, des „Auftauens“ begleiten, eine emotionale Erfahrung der Selbst-Befragung, die sie mit einem begeisterten Publikum bei ihrer Abschlusspräsentation teilten. Das Projekt legt einen besonderen Fokus auf das epische Gedicht „Phra Apai Mani“ von Sunthorn Phu, das während der Zeit der westlichen Kolonisierung von Südasien geschrieben wurde. Es erzählt die Geschichte des Prinzen Phra Apai Mani, der von seinem Vater vom Hof verbannt wird, weil er gegen dessen Willen das Spielen einer magischen Flöte erlernt hat. Eines Tages verliebt sich eine Meeresriesin in ihn und entführt ihn in ihre Unterwasserhöhle. Der Prinz lebt acht Jahre lang in der Höhle, bevor er seine magische Flöte nutzt, um die Riesin durch seine Musik zu verzaubern und zu fliehen. Warum ist der Prinz so lang in der Höhle geblieben? War er verzweifelt, hatte er Angst oder hat er sich womöglich dort allzu wohl gefühlt? Entlang dieser Fragestellung reflektieren die Mitglieder*innen von un.thai.tled auch ihr eigenes ambivalentes Verhältnis zu ihrer Heimat und ihrem kulturellen Erbe. Einerseits konfrontiert das Bühnenbild das Publikum mit einer sehr klar definierten, abgeschlossenen Welt; das Publikum sitzt vor einem Achteck aus weißen Wänden in einer leeren Black Box, und die zwei Performer*innen im Achteck spielen mit starken Symbolen wie einer Krone, einem Musikinstrument oder einer Schnur, die sie verbindet. AndererBeide Seiten: un.thai.tled, Defrosting Thai Culture. Präsentation am Ende der Forschungsresidenz. Foto: Chonchanok Sattayatham
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seits dekonstruieren sie mit einem Spiel aus digital und analog erzeugten Schatten immer wieder dieses klare Setup. Beispielsweise beginnt die Aufführung mit einer abstrakten Schattenform, die sich später in zwei figürliche Schatten teilt. Schnelle Lichteffekte lassen die große Riesin klein werden, analog erzeugte Schatten werden durch digitale ersetzt, die plötzlich Gesicht und Gefühle der Riesin offenbaren. In der Arbeit von un.thai.tled entspricht der Prozess des „Auftauens“ der Fähigkeit, zwischen verschiedenen Welten zu wechseln und somit multiple Perspektiven einzunehmen. Ihre Inszenierung macht diesen besonderen Ansatz greifbar. Zur Zeit des Interviews war nur einer der vier Künstler*innen, Kantatach Kijtikhun, noch in Berlin. Raksa Seelapan lebt in Hamburg, Theerawat Klangjareonchai in Bangkok und Prapatsorn Sukkaset ist gerade aus Berlin nach Thailand zurückgekehrt. Das Interview fand über Zoom statt.
Zwischen Thailand und Deutschland Magali Tosato: „Defrosting thai culture“ ist eure erste Zusammenarbeit in dieser vierköpfigen Konstellation. Hierfür habt ihr sehr unterschiedliche visuelle Techniken genutzt, dazu Schauspiel und Musik, und das sehr virtuos, wie ich finde. Was ist das Geheimnis eures kreativen „Flows“? Prapatsorn Sukkaset: Wir haben alle unterschiedliche Spezialisierungen, Berufswege und Ausbildungshintergründe. Dadurch kommen viele verschiedene Zutaten auf den Tisch. Wir gehen alle anders an unsere Arbeit heran. Aber uns allen macht es Spaß, unsere Ideen miteinander zu teilen, was unserem Projekt sehr zugute kommt. Kantatach Kijtikhun: Wir haben das Projekt gemeinsam entwickelt und dabei nie über die theoretischen Grundlagen unseres künstlerischen Schaffens diskutiert. Zwischen uns gibt es so etwas wie ein natürliches Einverständnis. Wenn es allerdings um wichtige politische Themen wie Kolonialismus, Rassismus oder Migration geht, dann haben wir meist ähnliche Anschauungen, anders würde es auch nicht gehen. Zum Beispiel hat die Thai-Sprache viele hierarchische Begriffe, aber wir haben uns dafür entschieden, untereinander sehr neutrale Ausdrücke zu verwenden, und sind insgesamt äußerst respektvoll miteinander umgegangen. Hat die Tatsache, dass euer Projekt in Berlin entstanden ist, einen großen Einfluss auf eure Arbeit? K. K.: Ich würde sagen, ja. Ein großer Teil meiner Arbeit besteht darin, über die Traumata meiner Kindheit, über meine Hass-Liebe zu meiner Herkunft nachzudenken. Es ist einfacher, das im Ausland zu machen. Vor kurzem bin ich nach Thailand zurückgekehrt, nachdem ich vier Jahre weg war, um wieder in das Leben dort eintauchen und die Realität meiner Kindheit von der Realität der Gegenwart trennen zu können. Als das Flugzeug landete, dachte ich an unser Stück und fragte mich: „Gehe ich jetzt zurück ins Achteck?“ Und als ich dann wiederum nach Berlin zurückkam, fühlte ich mich wie in einem Paralleluniversum, ich musste mich erst wieder anpassen, musste meine Freund*innen treffen, um auch wieder in dieser Realität anzukommen. Ich glaube, es ist ein Vorteil für das Stück, in Berlin gezeigt zu werden, weil Berlin eine Stadt der Migrant*innen ist, der freiwilligen und unfreiwilligen. Viele Menschen hier teilen diesen Moment der Reflexion über ihre Herkunft. Menschen, die aus dem Ausland kommen und versuchen, ein Leben in Berlin aufzubauen, verstehen das Stück wirklich und lassen sich emotional darauf ein. Warum habt ihr Sunthorn Phus Gedicht „Phra Apai Mani“ als Ausgangspunkt genommen? K. K.: In Thailand kommt niemand an „Phra Apai Mani“ vorbei, weil es eines von Sunthorn Phus bekanntesten Werken ist. Weil wir über die Realität und unser kulturelles Erbe sprechen wollten, haben wir Material gesucht, das möglichst viele kennen. Raksa Seelapan: Während der ersten Woche der Residenz haben wir uns viel mit der Motivation und den Hintergrundgeschichten der Figuren beschäftigt. In der Schule haben wir das Gedicht zwar behandelt, aber ohne es kritisch zu hinterfragen. Jetzt haben wir zum ersten Mal versucht, uns dem Text auf andere Weise zu nähern. Dabei war dieser Prozess für uns, als Thais, ein bisschen wie ein „Defrosting“ unserer Art zu kritisieren.
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Perspektivwechsel im Schattenspiel Wie kam es zu der Entscheidung, zum ersten Mal mit Puppentheater und speziell mit analogen und digitalen Schatten zu arbeiten? P. P.: Ich denke, wenn man etwas über Schatten erzählt, wird es internationaler. Es geht nicht darum, dem Publikum direkt etwas über unsere Kultur zu vermitteln. Schatten lassen eine offene, freiere Deutung zu. K. K.: Das hängt aber auch mit einigen traditionellen Formen des thailändischen Theaters zusammen, in denen Schatten und Puppen eingesetzt werden. Wir haben diese Ideen aufgegriffen und sowohl Schatten als auch eine „menschliche Puppe“ verwendet. Theerawat Klangjareonchai: Wir wollten auch auf Platons Höhlengleichnis anspielen. Das Setting ist ähnlich, Phra Apai Mani ist auch in einer Höhle eingeschlossen. In unserem Bühnenbild ist die Höhle ein Achteck. Diese Idee entstammt auch dem Gedicht, das in einer sehr spezifischen Struktur von 8 mal 8 Wörtern verfasst ist. K. K.: Das Achteck entwickelte sich in unserer Arbeit zu einem zentralen Symbol. Es steht für soziale Konstrukte, religiöse Vorstellungen, Elternschaft – alles, was ein Individuum ausmacht. Draußen ist nur das Nichts. Aber das Nichts bedeutet auch, dass das Individuum frei ist zu erforschen und etwas aufzubauen, abseits der sicheren Grenzen von Tradition oder sozialen Konstrukten. T. K.: Uns hat Platons Idee, dass Realität eine Frage der Perspektive ist, angesprochen. Die Menschen, die in der Höhle bleiben, sehen nur Schatten. Ein Mensch, der herauskommt, sieht die Sonne und alles in 3D. Aber wenn er zurückgeht, um den anderen von der Realität, die er erlebt hat, zu erzählen, halten ihn alle in der Höhle für verrückt. Genau so geht es uns, wenn wir zurück nach Thailand gehen und dort den Leuten erzählen, was uns in Berlin passiert ist. Wir sehen die Realität nicht aus derselben Perspektive. Deshalb wollten wir mit multiplen Perspektiven, mit Größenänderungen, mit verschwommenen Grenzen arbeiten. K. K.: Ich glaube, es ist für alle wichtig, nicht nur für Künstler*innen, die Realität immer wieder zu hinterfragen. Das ist eine existenzielle Pflicht, denn wenn wir mehr sehen, verstehen wir auch mehr und kommen besser mit uns selbst zurecht. Wenn eure früheren Lehrer*innen zu eurer Aufführung gekommen wären, wie hätten sie reagiert? Alle lachen. R.S.: Ich glaube, wir würden alle gerne ihre Reaktionen sehen, denn für sie wäre unser Stück wahrscheinlich ziemlich verstörend. Wie wir die Meeresriesin darstellen, ist definitiv wenig traditionell. Und stellt damit auch das Bildungssystem infrage. P. P.: Sie würden sich z. B. sicher fragen, warum wir die Krone so eingesetzt haben, weil sie einen hohen Rang symbolisiert. Natürlich haben wir sie genau deswegen ausgewählt, wir wollen so die starken Hierarchien hinterfragen, die unser Bildungssystem bestimmen.
Deutung offen Welches Feedback habt ihr bisher bekommen? K. K.: Viele Leute haben uns verstanden, was mich wirklich überrascht. Ich hätte nicht gedacht, dass die Zuschauer*innen die Symbole so gut deuten können, mit denen wir gearbeitet haben. Aber den meisten erschließt sich unsere Auseinandersetzung mit Macht und Tradition, und sie verstehen das emotionale Dilemma, mit dem wir uns beschäftigen. Das macht mich glücklich. Ich würde auch gerne mit denjenigen sprechen, denen unser Stück Rätsel aufgibt, um ihre Perspektive besser nachvollziehen zu können. P. P.: Auf jeden Fall respektieren wir jede Deutung unserer Aufführung. Ich erwarte nicht, dass jeder eins zu eins versteht, was wir kommunizieren wollen. Es ist am besten, Raum für Interpretation zu lassen. Prinz und Meeresriesin könnten auch ein- und dieselbe Person sein. Es müssen nicht Mutter und Kind oder Lehrer und Schüler sein. Es könnte auch eine Figur sein, die mit ihrer Identität und ihrer eigenen Wahrnehmung der Realität hadert. Sogar in unserem Team haben wir unterschiedliche Interpretationen. – unthaitled.org – Aus dem Englischen von Mascha Erbelding un.thai.tled, Defrosting Thai Culture. Präsentation am Ende der Forschungsresidenz. Foto: Chonchanok Sattayatham
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CR I TICA L PUPPE T RY Der persönliche Standpunkt von Puppenspieler*innen und die Konstruktion von „Race“ in „Chang and Eng and Me (and Me)“ Der britische Wissenschaftler, Theatermacher und Puppenspieler Tobi Poster-Su arbeitet gerade an seiner Dissertation über „Rassifizierung und Material-Performances im 21. Jahrhundert“. Für double erarbeitete er eine Kurzform eines bereits bestehenden Artikels1. Von Tobi Po st e r - Su /// Als ein britisch-chinesisches Kind, das in den 1980er- und 1990er-Jahren in Großbritannien aufwuchs, sah ich auf der Bühne nie ost-asiatische Charaktere, die von Menschen gespielt wurden, die wie ich aussahen. Oft wurden sie von Puppen dargestellt, die von weißen Puppenspieler*innen animiert wurden, oder seltener durch weiße geschminkte Schauspieler*innen. Solange ich mich erinnern kann, war ich von den verzerrten Konstruktionen meiner Identität umgeben, denen rassifizierte Menschen so häufig von den Produktionen der Mainstream-Kultur ausgesetzt sind. Dorinne Kondo (2018)2 stellt die These auf, dass Theater ein zentraler Ort für die Konstruktion, Reproduktion und Entschlüsselung von rassistischen Ideologien ist, weil es die Möglichkeit bietet, „Rasse“ sowohl zu erschaffen als auch aufzuheben. Ich behaupte, dass insbesondere das Puppenspiel dank seiner notwendigen Prozesse der Konstruktion und der Manipulation von Material, besondere, einzigartige Möglichkeiten bietet, soziale Konstruktionen von Identität infrage zu stellen und zu durchbrechen. Gerade weil sein ästhetisches Vokabular auf Übertreibungen fußt und weil es Objekte verwendet um Menschen darzustellen, argumentiere ich, dass Puppenspiel gleichzeitig spezielle Möglichkeiten für die Reproduktion und Wiedereinschreibung von Rassen-Stereotypen und hegemonialen Rasse-Ideologien bietet. Wenn das der Fall ist, dann gibt es eine klare Notwendigkeit sich intensiver mit der „Rassenpolitik“ des Puppenspiels auseinanderzusetzen, etwas, das bis vor kurzem nur wenig wissenschaftliche Aufmerksamkeit fand. Mit dieser Forderung verbinde ich das Bedürfnis nach dem, was ich „Critical puppetry“ nenne. „Critical puppetry“ ist ein theoretischer Rahmen und verkörperte Praxis, in der Puppenspiel genutzt wird, um politisch konstruierte Identitäten zu kritisieren und ihnen zu widerstehen. In diesem Artikel werde ich die Idee der „Critical puppetry“ erklären, indem ich meine kurze Online-Performance „Chang and Eng and Me (and Me)“3 diskutiere, die sich mit den Leben der Chinesisch-Siamesischen Zwillinge Chang and Eng Bunker beschäftigt, die den Begriff der „Siamesischen Zwillinge“ prägten, und die auf Tournee in die USA verschickt wurden und sich dort niederließen. Yunte Huang (2018)4 weist darauf hin, dass Chang und Eng, die kurz vor größeren Einwanderungsbewegungen aus China in die USA kamen, bei der Ausformung einer Asiatisch-Amerikanischen Identität sehr präsent waren. An dieser Stelle werde ich einen Zugang zum Puppenspiel vorstellen, der die Machtdynamik zwischen Puppenspieler*innen und den Charakteren, die sie darstellen, anerkennt und erforscht.
Sichtbarer Standpunkt der Puppenspieler*innen Weil es die Machtdynamiken, die im Akt der theatralen Darstellung stecken, verkörpert, kann Puppenspiel das Potenzial bieten, den kreativen Akt produktiv zu problematisieren. Ich denke, dass Puppenspieler*innen sich dafür selbst in diesem Rahmen offenbaren müssen, nicht nur körperlich, sondern auch, was ihren eigenen Standpunkt betrifft – das bedeutet, ihre eigene spezifische Beziehung zu den Menschen und dem Material, mit dem sie arbeiten, zu reflektieren, indem sie die bestehenden Strukturen von Macht und Privilegien miteinbeziehen. Um diese Idee des sichtbaren Standpunktes der Puppenspieler*innen zu erforschen, präsentiere ich zwei alternative Deutungen des ersten Auftritts der Puppen, die Chang und Eng darstellen. Diese zweifache Deutung ist eine Schlüsselkomponente von „Critical puppetry“. Wenn die Aufmerksamkeit auf die Mechanismen der Repräsentation gelenkt wird, erlaubt uns das zu sehen, wie Puppenspiel Machtbeziehungen innerhalb dieser Darstellungen lesbar machen kann. Auf dem Tisch ist ein großer Lehmblock. Hinter dem Tisch sind meine Arme, von den Schultern bis zu den Händen sichtbar. Ich ziehe Lehmbrocken heraus und fange an, daraus eine kleine liegende menschliche Gestalt zu formen. Ich stelle die Glieder fertig und
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hebe die Figur sanft auf, bevor ich sie am weiter entfernten Tischende ablege. Ich wiederhole den Vorgang mit einer zweiten Figur, ziehe sie in eine sitzende Position hoch und positioniere sanft den Kopf neu, bevor ich die Figur wieder hinlege. Ich positioniere die beiden Gestalten nebeneinander, lege einen Arm von jeder um die andere. Es ist ein intimes Arrangement von Körpern. Diese Lesart lässt jede Überlegung zu den Charakteren und Handlungen, die die Puppen selbst andeuten, weg. Eine Deutung, die sich den dramatischen und narrative Rollen der Figuren zuwendet, läse sich vielleicht so: Chang und Eng beginnen ihre Existenz und treten aus einem Lehmblock hervor. Eng nimmt zuerst Form an, zunächst der Kopf und die Schultern, am Ende seine Füße. Noch leblos wird er sanft auf die andere Seite der Bühne gelegt, um der Erschaffung seines Bruders Chang Platz zu machen, der ebenfalls von oben nach unten geformt wird. Als er fertiggestellt ist, setzt sich Chang auf und schaut um sich herum, probiert die Bewegung seines Arms aus. Chang legt sich wieder hin und Eng setzt sich nun auf und probiert die Bewegungen seiner Glieder aus, bevor er sich hinlegt. Die Zwillinge werden zueinander bewegt; Eng schlingt den Arm um Changs Taille und Chang legt seinen Arm um Engs Schultern. Die Geste sieht zärtlich und vertraut aus. Ich habe mit einer Deutung begonnen, die sich auf die ästhetischen Mechanismen der Szene und die Rolle des Puppenspielers fokussiert und danach eine Lesart gezeigt, die Charaktere und Narrative hervorhebt. Normalerweise herrscht im Puppentheater die Charakter-orientierte Deutung vor, aber eine Annäherung im Sinne der „Critical puppetry“ erfordert mehr Aufmerksamkeit für die Bedeutungsschichten, die durch die Form und Mechanik des Puppenspiels erzeugt werden. Wenn die Szene mit einem Lehmblock eröffnet wird, stellt das die Materialität und die Konstruiertheit der Puppen in den Vordergrund, und wir werden mehr Zeugen einer Konstruktion als einer Animation. Es spricht also wenig dafür, die Puppen ausschließlich als die Figuren von Chang und Eng zu sehen. Im Umkehrschluss kann die Sequenz aber auch nicht ausschließlich als Akt der Konstruktion gesehen werden. Die anthropomorphen Formen, die Verletzlichkeit des Materials und die Sorgfalt des Puppenspielers machen die Vorstellung, dass es sich hier nur Beide Seiten: Tobi Poster-Su, Chang and Eng and Me (and Me), 16. Februar 2021. Wattle and Daub, commissioned by Chinese Arts Now and New Earth Theatre. Foto: Tobi Poster-Su
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um die Erschaffung einer Skulptur handelt, schwierig. In der Tat ist es möglich, ein doppeltes Potenzial in den Figuren von Chang und Eng zu lesen: Sie sind offensichtlich konstruiert und gleichzeitig mit einer Art von Subjektivität ausgestattet.
Strategien für den Widerstand Wenn man diese Szene durch die Linse der „Critical puppetry“ betrachtet, versteht man, dass die Form des Puppenspiels benutzt wird, um die Autorenschaft sichtbar zu machen. Anstatt dem Publikum Chang und Eng als authentische historische Figuren zu zeigen, macht der Einsatz von Puppenspiel deutlich, dass das Publikum konstruierte Bilder von Chang und Eng sieht, die mit spezifischen künstlerischen und thematischen Zielen eingesetzt werden. In Kombination mit den Überlegungen des Textes über die Beschaffenheit und Erfahrung von diasporischer Identität kann das auf die Vorstellung hinweisen, dass Identitäten konstruiert und permanent neugestaltet werden und nicht fest und angeboren sind. Die Art, in der die Puppen gebaut und umgestaltet werden, könnte darauf verweisen, dass diejenigen, die als Teil der rassifizierten Diaspora existieren, Identitäten unterworfen sind, die mit Gewalt und mit dem Ziel des Zwangs und der Kontrolle konstruiert werden. Es ist meine Hoffnung, dass Puppenspiel, indem es das Potenzial von kultureller Produktion zu zwangsweise konstruierten Identitäten sichtbar macht, auch Strategien für einen Widerstand dagegen bieten kann. – tobipostersu.com – Aus dem Englischen von Mascha Erbelding 1 Reprinted with permission from the author. Some text originally published in Critical Stages/ Scènes critiques (www.critical-stages.org) Poster-Su, T. “Sculpting China: Critical Puppetry and the Formation of Diasporic Identity in Chang and Eng and Me (and Me)”, no. 24. 2021. 2 Kondo, Dorinne K. Worldmaking: Race, Performance, and the Work of Creativity. Duke University Press, 2018. 3 Poster-Su, Tobi. Chang and Eng and Me (and Me). 2021. Online abrufbar auf Vimeo: http://vimeo.com/wattleanddaub/cemm. 4 Huang, Yunte. Inseparable: The Original Siamese Twins and Their Rendezvous with American History. Liveright, 2018.
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DEMONTIEREN WIR DAS PUPPENHEIM! Erfahrungen beim rassismuskritischen Werkstattwochenende in München Rassismus ist überall. In unserem Denken, unseren Erinnerungen, in unseren Repräsentationen, in den Objekten der Kunst, des Alltags. Vorbereitend auf die Ausstellung „(K)ein Puppenheim. Alte Rollenspiele und neue Menschenbilder“ (ab 22. April 2023) luden Mascha Erbelding (Leiterin der Sammlung Puppentheater/Schaustellerei des Münchner Stadtmuseums) und Prof. Dr. Meike Wagner (Lehrstuhl Theaterwissenschaft, LMU München) zu einem rassismuskritischen Werkstattwochenende (3. bis 5. Februar 2023) mit dem Titel „Demontage des Puppenheims“ ein. Internationale Künstler*innen, Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen diskutierten diskriminierende Repräsentationen von Puppets of Color im theatralen und musealen Kontext. Vo n M eike Wag ner /// Die Tagung „Demontage des Puppenheims“, die von Mascha Erbelding und mir mit Unterstützung der Autorin und Soziologin Tunay Önder kuratiert und organisiert wurde, war der Versuch, internationale Kolleg*innen, die mit diesen rassistischen Repräsentationen und Objekten in ihrer Arbeit in Museen, auf Theaterbühnen und bei Kunstorganisationen konfrontiert sind, zu versammeln und zu einem kritischen Austausch über Bestände, Praktiken und einer angemessenen Kommunikation zu kommen. Mit dem Auftakt von Dr. Lisa Skwirblies und Dr. Azadeh Sharifi wurden am Eröffnungsabend einige kritische Ebenen der TheaterwissenBeide Seiten: Sarah Bergh / Claude Jansen / Fabrice Mazliah, The puppet is present. Foto: Ernst Jank, Münchner Stadtmuseum
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DISKURS
schaft offengelegt. So sitzt der institutionelle Rassismus immer noch tief in den Denkweisen, methodischen Zugängen, aber auch in den Rekrutierungsprozessen von wissenschaftlichem Personal der Theaterwissenschaft. Die Bedingungen des Denkens müssen verschoben werden, die Perspektiven korrigiert und aufgeweitet werden, damit Stereotype als solche genau benannt und ausgehebelt werden können.
Künstler*innen als Dekolonisator*innen Genau dies erreicht das Kurator*innen/Aktivist*innen-Team (Dr. Eva Bahl, Modupe Laja, Dr. Martin W. Rühlemann) von „Decolonize München“, das in Form einer Podiumsdiskussion seine Erinnerungs- und Visualisierungsstrategien vorstellte. Sie zeigten, wie man das in der Stadt durch Straßennamen, Monumente und Ausstellungsstücke immer noch präsente Erbe des Kolonialismus klar benennen kann und wie es durch künstlerische und aktivistische Strategien umkodiert und korrigiert werden muss. Nur so können dekolonialisierende Heilungsprozesse in Gang gesetzt werden. Ein hoffnungsvolles, aber auch mühsames Unterfangen. Die künstlerischen Praxen von Traummaschine Inc. (Judith Huber, Gladys Mwachiti, Christoph Theussl), von Atif Mohammed Nour Hussein, von Laia Ribera Cañénguez und Antonio Cerezo, von Ludomir Franczak, Florian Feisel und Tobi Poster-Su, die an den weiteren Tagen präsentiert und diskutiert wurden, gehen genau diesen Weg und sind ein kostbarer Beitrag zur kritischen künstlerischen Dekolonialisierung.
Aktive Umkodierung von Stereotypen Selbst erfahren konnten wir diese Umschreibungen, performativen Dekonstruktionen bei der partizipativen Performance/Installation „The Puppet is present“ von Sarah Bergh, Claude Jansen und Fabrice Mazliah, die Puppen aus der Sammlung des Münchner Stadtmuseums in einem leeren Raum auf Stühlen platzierten und mit einem Briefumschlag versahen. Die Teilnehmer*innen konnten sich frei im Raum verteilen, sich zu einer Puppe gesellen und über die Grußkarten in Kontakt kommen. Da stand etwa: „Hallo, wie geht es Dir? Ich bin sehr einsam. Kannst Du bitte möglichst lange bei mir bleiben?“ Diese Ansprache von Seiten des Puppenobjekts forderte mich. Ich schaute mir das kleine Körperchen lange an, war innerlich sehr nicht einverstanden mit den – wiederum stereotypen – Körperzeichen und versuchte doch, eine Energie zwischen mir und der Puppen entstehen zu lassen. Eine Art Tröstung sollte da aufsteigen. Ein Trost, dagegen dass der/die Puppenbauer*in das Püppchen so erbärmlich klischiert dargestellt hatte, eine Geste gegen die Einsamkeit, die Unmöglichkeit einer Verständigung durch die von einer beherzten Restauratorin übergestülpte Plastiktüte hindurch. Wir konfrontierten uns mit den Puppen, mit ihren und unseren Stereotypen, aber auch mit ihren performativen Potentialen. Und mit einer möglichen Umschreibung dessen, was diese Objekte zunächst einmal darstellten.
Kritisches Kuratieren Mascha Erbelding und ich, wir sind in unserer jeweiligen Arbeit im Museum und an der Universität immer wieder mit RassismusThemen und rassismuskritischen Diskursen in Berührung gekommen, ohne jedoch die Möglichkeit zu haben, uns eine vertiefte Expertise anzueignen. Daher waren wir beide sehr froh, dass nicht nur die Figurentheater- und Performance-Künstler*innen gerne ihre Projekte vorstellten und uns kritische Fragen mitgaben, sondern auch, dass die eingeladenen Museumskurator*innen und Theaterwissenschaftler*innen bereitwillig ihre Gedanken, kuratorischen Praxen und kritischen Perspektiven mit uns teilten. Die präsentierten kuratorischen Konzepte von Dr. Antonia Napp und Mascha Eckert zeigten anschaulich, dass es wiederum künstlerische Interventionen sind, die einen Schlüssel für die kritische Annäherung an kontroverse Darstellungen bieten. Auch die geplante Münchner Ausstellung geht diesen Weg: sowohl die Zusammenarbeit mit der Sammlung Goetz als auch das Kunstprojekt von Florian Freier, das mit Bilderkennungssoftware arbeitet und sich kritisch mit deren rassistischen Algorithmen auseinandersetzt. Das Werkstattwochenende hat viele wichtige Fragen aufgeworfen, viele Möglichkeiten zum Umdenken und Handeln aufgezeigt – demontieren wir das Puppenheim! – www.muenchner-stadtmuseum.de
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AUSSTELLUNG
RAHMEN FÜR RAHMEN Francesca Hummlers Fotoserie „Unsere Puppenstube“ Vo n A lexand er R u d o lfi /// Ein Auge im Rahmen des Fensters, ein Gesicht im Rahmen eines Bildes und eine übergroße Hand, die das Bild in den Rahmen einer Bilderwand hängt, an der Familienporträts angebracht sind. Francesca Hummlers Fotografien sind besonders, weil sie als Fotografien mit den Mitteln der Bühneninszenierung arbeiten. In der Fotoserie „Unsere Puppenstube“ bespielt die US-Amerikanerin einen Miniaturraum, der als Bühne für die Migrationsthematik ihrer Adoptivschwester dient: das Familienerbstück Puppenstube als Rahmen für Gefühle von Zugehörigkeit, die immer wieder in Fragen nach Innen und Außen münden. Erfunden wurde die Puppenstube im 16. Jahrhundert. Sie war zunächst ein Zeichen des Wohlstands und wandelte sich im Biedermeier zu einer spielerischen Erziehungsmethode für Mädchen. Und auch Hummlers Puppenstube ist diese Biederkeit noch anzumerken, in die nun, als Aufbruch, die Schwester tritt. Aber es scheint nicht zu passen: Ein zu großes Auge im Rahmen des Fensters weint, ein Ohr blutet, ein gigantischer Fuß droht schmerzvoll auf ein Kinderbett zu treten. Alle diese Bewegungen finden in einer mise-en-scène statt, deren unterschiedliche Ebenen auf Goffmans Analysen über die Bedeutung des framings – der Rahmung – hindeuten. Im Rahmen des Puppenhauses und der darin platzierten Objekte wirkt das Gegenüber monströs und verletzlich zugleich. Als „Beste Nachwuchsarbeit“ mit dem Vonovia Award für Fotografie ausgezeichnet, waren die Bilder vom 9.11.2022 bis 8.1.2023 im Sprengel Museum Hannover unter dem Titel „Zuhause No. 6“ ausgestellt. Ihre Stärke liegt in der Fähigkeit, uns ein Sprechen über sie zu ermöglichen, gerade weil sie sich ihres Rahmens und damit auch ihrer Bühne bewusst sind, ohne eine abschließende Deutung zu erzwingen. Ob Alice im Wunderland, die grotesken Körperbilder Bachtins oder das Überwinden von Grenzen: am Puppenhaus und seinen geschlossenen Tapeten schärft sich der Blick für Perspektive, für Etablierte und Außenseiter, für Inszenierende und Inszenierte. Was denken wir über den Möbelhaufen, aus dem eine Hand mit der amerikanischen Flagge ragt, und welches Ziel hat die gehende Hand? Der Rahmen des Museums und im Museum der Rahmen der Longlist-Nominierungen, hob zusätzlich die Eigenheit der Bilder hervor, die auf mich wie Ausschnitte aus einem Figurenstück wirken, das die Geschichte – des Puppenhauses ebenso, wie der Familie, die es besitzt – in den Blick nimmt. So fallen Hummlers Fotografien nicht nur durch die Dopplung und Wiederholung des RahmenThemas auf, sondern auch durch die Handlungen darin, die auf ein Gegenüber und ein Jenseits verweisen: auf uns, und an welcher Stelle wir uns befinden. Sitzen wir (schon) im Puppenhaus? Welche Bedeutung haben (für uns) die Objekte? Wann hören wir auf, Teil der Familiengalerie zu sein? „Unsere Puppenstube“ fordert beinahe einen Austausch von Eindrücken, Fragen und Anekdoten, indem sie darauf hinweist, was wir sind oder nicht sind. Und gleichzeitig überwindet Hummler die Trennwände, bricht den Rahmen wie das Bühnenbild und die Genres zwischen Figurenspiel und Fotografie, zwischen Biedermeier und Postmoderne auf und schickt uns darüber hinaus, ins Offene. – www.francescahummler.com/unsere-puppenstube-our-dollhouse „Unsere Puppenstube“ wird vom 12. bis 21. Mai im Rahmen des internationalen figuren.theater.festivals in Erlangen ausgestellt. „Entrance“ aus der Fotoserie „Unsere Puppenstube“ von Francesca Hummler
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AUSSTELLUNG
tanz der stereotype Im Nürnberger Spielzeugmuseum wird auf das Thema Rassismus aufmerksam gemacht Vo n H erb ert H einzelmann /// Zu dem Ensemble der Kasperlfiguren, mit denen ich als Kind spielte, gehörte ein „N****“. Es war eine Puppe mit Schwarzem Gummikopf, und ich weiß nicht mehr, wer sie engagiert hatte, noch welche Rolle ich ihr in meinen Stücken gab. Sie war halt genau so selbstverständlich wie die „N****babypuppe“ meiner Freundin aus der Nachbarschaft. Keiner erzählte uns etwas über Kolonialismus, über Rassismus. So sind wir in den 1950er Jahren erzogen worden – mit „rassistischem Spielzeug“. Jetzt ist eine Zeit gekommen – und wer weiß, wie lange sie währt –, in der solche Phänomene endlich diskutiert werden. In Nürnberg zum Beispiel, einer Stadt, die sich die Menschenrechte in ihr Logo geschrieben hat, die einen Menschenrechtspreis verleiht und ein Menschenrechtsfilmfestival veranstaltet. Bekannt ist Nürnberg auch als Spielzeugstadt. Und ein Spielzeugmuseum demonstriert als Exponate die Gegenstände, mit denen sich Kinder als Menschen ausprobieren. Zu den Exponaten gehört – historisch unvermeidlich – „rassistisches Spielzeug“. Das ist freilich erst in den letzten Jahren kritischen Diskurses über den Kolonialismus aufgefallen. Auch weil BesucherInnen aus anderen Kulturen oder People of Color Anstoß genommen haben. Damit haben sie Anstoß gegeben. Anstoß zu einer Ausstellung (innerhalb der Dauerpräsentation), die noch bis 30. April 2024 das Unbehagen am Umgang mit der Selbstverständlichkeit des kolonialen Blicks ins Kinderzimmer thematisiert. Der Titel: „Spielzeug und Rassismus – Perspektiven, die unter die Haut gehen“. Eigentlich ist es keine richtige Ausstellung, obwohl mediale Aufmerksamkeit bis in die Schweiz erzeugt wurde. Es ist eine Art Propädeutik für den möglichen musealen Umgang mit heiklen Inventarien, ein knapper Problem-Aufriss in einer Nische. Außerdem hat man sich auf die Darstellung Schwarzer Menschen im Spielzeug konzentriert, „weil diese in der Sammlung des Spielzeugmuseums überproportional häufig vertreten sind“. Deswegen gab es unweit der Nische eine ganze Vitrine voll von Darstellungen „Gelber“ Menschen im Blechspielzeug ohne jeden Kommentar. Chinesen mit langen Zöpfen, die Sänften schleppen oder Rikschas ziehen, wie man das als exotische Stereotype kennt. In der Rassismus-Nische machte allerdings eine Schrifttafel gleichzeitig auf den Gebrauch von Stereotypen aufmerksam. Den Impuls zu dem kritischen Unterfangen hatte eine andere Blechfigur aus den 1920er-Jahren gegeben, ein sogenannter „Alabama Coon Jigger“, ein bunt gekleideter Schwarzer, der von einem Uhrwerk zum Tanzen gebracht wird. Er hatte das Ärgernis einer Museumsbesucherin erregt. Nun wurde er mit einer Art Gegeninszenierung gezeigt. Auf drei comic-artigen Panels befreit er seine Mechanik vom Aufziehschlüssel. Das war gut gemeint, genauso wie einige Exemplare von „antirassistischem Spielzeug“ aus der Gegenwart. Spielzeug, das Stereotype vermeidet und das „Andere“ als Teil des „Eigenen“ zeigt. Dennoch war „Spielzeug und Rassismus“ nur das erste Zeichen, dass die Nürnberger Museumsleute auf eine komplexe Problematik aufmerksam geworden sind. Die entscheidenden Sätze dazu sind ohnehin bereits in der Eingangshalle zu lesen: „Spielzeug ist von Menschen gemacht. In Spielzeug stecken Ideale, Haltungen und erzieherische Funktionen. Spielzeug ist nicht immer unschuldig.“ – museen.nuernberg.de/spielzeugmuseum Ausstellung „Spielzeug und Rassismus“. Foto: Spielzeugmuseum Nürnberg / Rudi Ott
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PORTRÄT
CAPITALe de CORPS, OBJET, IMAGE Die Ära von Renaud Herbin am TJP Centre Dramatique National in Straßburg Der französische Puppenspieler Renaud Herbin hat von 2012 bis 2022 das TJP Centre Dramatique National de Strasbourg-Grand Est geleitet und so maßgeblich die internationale Figurentheaterszene geprägt. Bodo Birk, Leiter des internationalen figuren.theater. festivals Erlangen, blickt auf diese Ära mit einer persönlichen Würdigung. Von B o d o Bi rk /// Straßburg ist meine Theater-Lieblingsstadt. Zehn Jahre lang bin ich regelmäßig in die Hauptstadt des Elsass gefahren, wenn es ging mehrmals jährlich, um mir Inszenierungen am TJP anzusehen. Jedes Mal hat mich die warme Atmosphäre und das wache, zugewandte Publikum an diesem Theater erneut fasziniert. Immer bin ich inspiriert und mit frischer Energie nach Hause gefahren. Faszinierend: mehrere hundert, überwiegend junge Besucher*innen, die für ein Tryout Eintrittskarten kaufen, um anschließend mit den Künstler*innen zu diskutieren oder im spartanisch eingerichteten Café der Grande Scène den Abend ausklingen zu lassen. Natürlich ahnte ich, dass es auch in Straßburg harte Arbeit war und ist, zeitgenössisches, experimentelles Theater zu vermitteln. Dennoch kamen mir die Zustände immer paradiesisch vor. Es ist eine große Kunst, eine solche Atmosphäre zu schaffen! Das TJP wurde 1974 als Kinder- und Jugendtheater gegründet, hat seit 1984 zwei Spielstätten und erhielt 1990 den Status eines Centre Dramatique National (CDN). Im Jahr 2012 übernahm Renaud Herbin die Leitung des TJP. Er war der erste Puppenspieler, der mit der Leitung eines CDN beauftragt wurde. Mit einem mutigen „projet“ – wie die Konzeption genannt wird, mit der man sich in Frankreich für eine dreijährige Amtszeit an einem Centre Dramatique National bewirbt – hatte sich Renaud in einem anspruchsvollen Verfahren durchgesetzt. Seine Konzeption sah die Öffnung des TJP für ein allgemeines und altersunabhängiges Publikum vor sowie eine Fokussierung auf das zeitgenössische Figurentheater wie wir es heute auch in Stuttgart, Berlin, Bochum und Erlangen interpretieren. Beim internationalen figuren.theater.festival in Erlangen, Nürnberg, Fürth und Schwabach versuchen wir dieses Theater mit dem Untertitel „figuren. objekte. bilder“ zu umschreiben; die drei Begriffe „Corps, Objet, Image“ (Körper, Objekt, Bild) sind der rote Faden, der die zehnjährige Direktion von Renaud Herbin am TJP durchzieht. Die Verbindung zwischen Erlangen und Renaud Herbin begann vor über 20 Jahren. Renaud Herbin, hatte nach seinem Studium in Charleville-Mézières gemeinsam mit der aus Erlangen stammenden Kommilitonin Julika Mayer und Paolo Duarte die Compagnie „Là Où – Marionette Contemporaine“ gegründet. Sie entwickelte sich sehr schnell zu einer der innovativsten Gruppen für zeitgenössisches Figurentheater in Frankreich. Mit nicht weniger als sieben Produktionen war Là Où bis 2011 in Erlangen zu Gast. Renaud hatte zu diesem Zeitpunkt bereits einige Jahre beim Aufbau des künstlerischen Forschungszentrums „Au bout du plongeoir“ in Rennes mitgearbeitet und sein Interesse entdeckt, die Arbeit anderer Künstler*innen zu begleiten und dabei zu hinterfragen, wie sich künstlerische Prozesse im verbindlichen Rahmen von Institutionen entfalten können. Diese Erfahrungen motivierten ihn dazu, sich für die Direktion eines Centre Dramatique National zu bewerben.
Pour Tout Public Der Name TJP stand ursprünglich für „Théâtre Jeune Public“ (Theater für ein junges Publikum). Renaud änderte das Kürzel nicht, die Buchstaben können schließlich auch für ganz andere Begriffe stehen, für „Terrain de Jeu Protéiforme“ (Vielgestaltiges Spielfeld), „Toujours Jamais Peut-être“ (Immer Nie Vielleicht) oder „Tous les Jeux sont Possibles“ (Alle Spiele sind Möglich) … Die Beschränkung auf Kinder- und Jugendtheater empfand Renaud als zu eingrenzend: „Alle unsere Aufführungen sind für Erwachsene, viele aber auch für Kinder und Jugendliche geeignet. Wir geben lediglich ein Mindestalter an. Alle Inszenierungen sind vollwertige Kunstwerke, wir lassen nichts weg oder schränken uns ein, unter dem Vorwand, Kinder anzusprechen.“ Das TJP wurde unter Renauds zehnjähriger Leitung eine der wichtigsten Spielstätten und eines der aufregendsten Produktionsund Forschungszentren für internationales Figurentheater und seine Grenzbereiche zu zeitgenössischem Tanz, Nouveau Cirque, Performance, Bildender Kunst und neuen Medien. Zunächst durchaus skeptisch von der Straßburger Politik beobachtet, etablierte er mit großer Überzeugung ein Forum, in dem sich auf einzigartige Weise Theorie und Praxis, Wissenschaft und künstlerische Produktion begegneten. Der Spielplan wurde begleitet durch Symposien, Radio-Debatten, Arbeitstreffen, die Zeitschrift „corps objet image“ und die Plattform corps-objet-image.com. Die ständige Reflexion der eigenen Theaterarbeit im Austausch mit Wissenschaft und
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PORTRÄT
anderen Künsten und Künstler*innen, der Forscherdrang und der konsequent interdisziplinäre Ansatz brachten Renaud in Straßburg auch Kritik ein. Sein „Projekt“ wurde von der Politik zeitweise als zu intellektuell und zu wenig niederschwellig empfunden. Dabei war das Theater, das am TJP in seiner Ära zu sehen war, keineswegs verkopft. Ich habe sehr sinnliche, sehr ästhetische und überaus poetische Arbeiten sehen können und ein begeistertes Publikum erlebt. Julika Mayer, inzwischen Professorin für Figurentheater an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart und künstlerische Begleiterin von Renaud Herbin, beschreibt seine Arbeit in Straßburg so: „Diese Intensität der Begegnung und die Strahlkraft, sowohl in den Werken als auch in den Forschungsräumen, die er geöffnet hat, ich glaube, die ist einzigartig – und für unser Genre extrem wichtig, gerade in Straßburg, an dieser Schnittstelle zwischen Deutschland und Frankreich. Renaud hat ein Forum geschaffen, in dem es unermüdlich darum ging, wie man Figurentheater heute denkt – und darüber schreibt – und wie dieses Denken und Schreiben in die Praxis zurückfließt und das Tun beeinflusst.“ Neben der Leitung des TJP ist es Renaud Herbin gelungen, weiter als Künstler, als Puppenspieler und Regisseur produktiv zu bleiben. „Actéon“, „Profils“, „Open the Owl“, „At the still point of the turning world”, „La Vie des Formes”, „WAX”, „Milieu” – nur einige Arbeiten, mit denen das TJP in den letzten Jahren das Publikum in Erlangen begeisterte. Vielfach zarte, geradezu intime Begegnungen zwischen Mensch und Puppe, behutsame Annäherungen an das Material, das auch Licht, Ton oder Text sein kann. Seine letzten Arbeiten am TJP, „Par les bords“ und „À qui mieux mieux“, werden in diesem Jahr in Erlangen zu sehen sein. Daneben war das TJP unter Renaud Herbin Aufführungsort, Koproduktionspartner oder Produktionsstätte für zahlreiche Künstler*innen mit unterschiedlichen Hintergründen – aus der Welt der bildenden Kunst wie Tim Spooner oder Miet Warlop, des Tanzes wie Julie Nioche oder Aurélien Bory, des Schauspiels wie Pierre Meunier oder Bérangère Vantusso, der Musik wie Heiner Goebbels, des Figurentheaters wie Tibo Gebert oder Rafi Martin. Künstler*innen, die oft nichts voneinander wussten, die aber in ähnlicher Weise Körper, Material und Bild erforschen. Renaud Herbin, La Vie des Formes. © Erlanger Poetenfest – Foto: Erich Malter, 2017
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Das Theater als Labor Forschung ist für Renaud das zentrale Thema. Er verglich sein Theater daher auch mit einem Labor – einem Ort, an dem es keine Gewissheiten gibt, an dem alle Erkenntnisse immer wieder überprüft, infrage gestellt werden müssen. Kein Wunder, dass das die Verantwortlichen in Straßburg zunächst beunruhigte. In einem Vortrag für das Symposium „Aufbruch“ 2016 in Magdeburg beschrieb Renaud sein Selbstverständnis als Theaterleiter: „Die Verantwortung für einen Ort besteht darin, die Störfaktoren zu pflegen. Diese Störelemente sind die Künstler und Forscher. Das ist die Herausforderung des Projekts, das ich für das TJP entwickelt habe: Künstler und Forscher ins Zentrum zu stellen, ihnen die Mittel zu geben, über den etablierten Rahmen hinauszugehen. Eine Institution zu leiten bedeutet, Veränderungen herbeizuführen und zu begleiten.“ Für diesen Artikel hat mich interessiert, wie Renaud die Doppelrolle als verantwortlicher Leiter einer Institution und Künstler empfunden hat und in welchem Verhältnis Gastspiele, Koproduktionen und eigene künstlerische Arbeiten zu sehen sind: „Die Leitung eines Hauses erfordert ständige Verfügbarkeit, der Tag ist durchstrukturiert, während das kreative Schaffen eigentlich dilettantische Zeitabläufe verlangt. Ich habe jedoch gelernt, mit diesen Zwängen künstlerisch zu arbeiten, was mich dazu gebracht hat, meine eigenen kreativen Prozesse besser zu kennen und zu beherrschen. Die Begleitung anderer Künstlerinnen und Künstler bedeutet, Zugang zu der individuellen Art und Weise zu erhalten, wie sie arbeiten, und besser verstehen zu lernen, wie Kunst entsteht. Und es ist spannend, die bestmöglichen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Ich glaube, ich bin durch den Kontakt mit all diesen Menschen sehr gewachsen.“ Die Ära von Renaud Herbin am TJP war ein großer Erfolg. Sein Vertrag wurde dreimal verlängert, bis die maximal mögliche Amtszeit an einem Centre Dramatique National erreicht war. Am 1. Januar wurde der Tänzerin und Choreografin Kaori Ito die Leitung des TJP übertragen. Renaud Herbin kehrt zurück in die freie Szene und hat in Straßburg seine neue Compagnie „L’étendue“ (Die Weite) gegründet, mit der er seine Forschungsarbeit fortsetzen wird. Straßburg wirbt mit dem Slogan „Capitale de Noël“ (Weihnachtshauptstadt). Zehn Jahre lang war sie die Hauptstadt für Körper, Objekt und Bild, weil es Renaud Herbin als Leiter eines nationalen Theaterzentrums gelungen ist, das zeitgenössische Figurentheater aus seiner Schublade herauszuholen und in den Kontext der anderen performativen Künste zu stellen. Die Voraussetzungen dafür mögen in Frankreich etwas besser sein als in Deutschland. Mit dem sehr viel begrenzteren Einfluss eines nur alle zwei Jahre stattfindenden Festivals teilen wir in Erlangen aber dieses Anliegen. – www.renaudherbin.com – www.tjp-strasbourg.com Renaud Herbin, Milieu. Foto: Benoît Schupp
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NEXT GENERATION
INTENSIVE TEILHABE FÜR DEN PROFESSIONELLEN NACHWUCHS Erstmals Stipendienprogramm für Studierende beim Weitblick Festival Von L u c a s Bo e lt e r, Co lin D a n d e r s k i, J ule Saß manns h au s en /// Müsste man ein Motto für die diesjährige Festivalausgabe finden, dann wäre es wohl dieses: Ist das denn überhaupt noch Figurentheater? Und die Antwort lautete ein ums andere Mal: Ja! In 15 internationalen Stücken, mal wild, opulent – mal sanft, phantasmagorisch, präsentierte die Festivalleitung Miriam Paul und Alba Marina Scharnhorst vom 7. bis 15. Oktober 2022 beim 7. Internationalen Festival mit Figuren – WEITBLICK in Braunschweig ein facettenreiches Spektrum, das sich an keine Genre- oder Altersgrenzen zu halten schien: Zwischen dystopischer Zirkushow, filigranen Mechanoiden, dröhnendem Klangkosmos, Mülltütenanimation und morbidem Maskenspiel ließ sich dabei viel „Puppiges“ entdecken … Ähnlich mutig wie mehrperspektivisch aufgestellt war auch das interdisziplinäre Stipendienprogramm, welches erstmalig drei Studierenden ermöglichte, einen Blick hinter die Kulissen des Festivals zu werfen. Unter der Anleitung des Regisseurs und Künstlers Christian Weiß wurde uns so die Chance geboten, nicht nur alle Vorstellungen zu besuchen, sondern auch in eigens für uns organisierten Nachgesprächen und Workshops die Erfahrungen gemeinsam zu reflektieren. Wir – das sind Jule Saßmannshausen (Freie Kunst, Philosophie und Germanistik an der HBK/TU Braunschweig), Colin Danderski (Zeitgenössische Puppenspielkunst, HfS Ernst Busch Berlin) und Lucas Boelter (Kommunikationsdesign und Szenografie, FH Dortmund). Drei einander fremde Menschen begeben sich gemeinsam auf eine mehrtägige Suche. Schon beim ersten Zusammentreffen ist klar: Das wird eine gute Woche. Eine Woche voller Eindrücke, Erlebnisse und vor allem voller Gespräche – über Inszenierungen, Mittelwahl und das eigene künstlerische Arbeiten. Denn tatsächlich zeigten sich recht schnell unsere unterschiedlichen Ansätze. So waren für Jule als bildende Künstlerin und Bildhauerin besonders die Wahl der skulpturalen sowie performativen Mittel und die psychosoziale Dimension der Stücke entscheidend. Der angehende Puppenspieler Colin wiederum legte den Fokus auf die Spielbarkeit und sensibilisierte die anderen beiden im wahrsten Sinne des Wortes „spielerisch“ für Puppenformen, Charakterentwicklung und den Bau unterschiedlicher Figuren – immer auch mit einem besonderen Interesse für die Beziehung zwischen Figur und Vergänglichkeit. Mit dem Wissen der Szenografie und praktischen Malerei ergänzte Lucas als freischaffender Künstler und Grafikdesigner unser Trio wiederum um Reflexionen über Lichtsetzung, Bühnenbild und Materialität. Diese außergewöhnliche Begegnung sollte am Ende des Festivals auch unser gemeinsamer Kurzfilm „Durch den Schacht mit“ widerspiegeln: Eingezwängt im Fahrstuhl der Ungewissheit begegnen sich dort drei grundverschiedene Wesen und müssen unter den gegebenen Umständen miteinander zurechtkommen. Inmitten des spezifisch ausgewählten künstlerischen Mikrokosmos‘ wurde uns als Stipendiat*innen der Raum gegeben, im gegenseitigen Austausch sowohl dem Spannungsverhältnis unterschiedlicher künstlerischer Perspektiven nachzuspüren, als auch Gemeinsamkeiten auszuloten. Für angehende Künstler*innen wie uns, egal welcher Disziplin, ist es ein inhärenter Teil der eigenen Positionierung, Fragen an die Zukunft, die Gegenwart und die Vergangenheit künstlerischer Medien zu stellen und unsere eigene künstlerische Position zu hinterfragen. Insbesondere in Zeiten, in denen Kunst und Kultur maximaler Vulnerabilität durch Pandemie, Krisen und politisches Kalkül ausgesetzt sind, sind Verständigung und das gemeinsame Erleben wichtiger und wertvoller denn je. Wer würde da also nicht den eigenen Blick weiten wollen? – www.weitblick.fadenschein.de
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THESE, ANTITHESE, SYNERGURA Erfurts internationales Puppentheaterfestival feiert die Formenvielfalt Von M i c h a e l H e l bi n g /// „Was die Puppe zum Leben erweckt“, sagt Shoshana Bass in ihrem Solo, „ist nicht der Spieler, sondern der Atem der Erinnerung, mit dem wir sie füllen“. Die junge Frau atmet den Geist ihres Vaters Eric Bass und eignet sich im biografischen Spiel die hohe Schule an, Puppen zu animieren – so, wie es das Sandglass Theater (USA) seit vierzig Jahren kultiviert. Sie übernimmt mit vier Puppen aus dessen Repertoire gleichsam den Staffelstab, schlüpft in die Handschuhe des Spielers, tritt in Vaters Fußstapfen, hinterlässt eigene Spuren. „When I put on your glove“ war, auch noch nicht so ganz postpandemischer Umstände wegen, das einzige Gastspiel aus Übersee auf der 13. Synergura vom 21. bis 25. September 2022: dem beim Erfurter Theater Waidspeicher üblicherweise als Biennale angesiedelten internationalen Puppentheaterfestival. Gegen das Prinzip der Animation stellte dieses zum Finale jenes der Manipulation: nicht der Puppen, aber der Objekte. Im letzten der zwölf Gastspiele aus acht Ländern mutierte die Belgierin Agnès Limbos (Compagnie Gare Centrale) zur skurrilen Miss Marple in eigenen Mordangelegenheiten: am Tisch und am Boden zugleich Opfer, Täterin, Ermittlerin. „There is nothing in my life that shows I am ugly on the inside“, heißt der Abend mit einer Frau von mitunter ausdrucksstarker Ausdruckslosigkeit. Und so lässt sich allein an diesen beiden Aufführungen der unbedingte Wille zur Formenvielfalt, aber auch zu These und Antithese ablesen, dem dieses Festival zuverlässig gerecht wird: gewidmet in jedem Fall einer „synergetischen Theaterform“, so Intendantin Sibylle Tröster. Das Risiko möglicher Enttäuschung ist freilich einkalkuliert: etwa in einer überraschend überraschungsarmen „Ubu“-Version Neville Tranters (Niederlande), der, mit eigenen heimlichen Machtgelüsten versehen, den Domestiken seiner lebensgroßen Klappmaulpuppen aus dem Alfred-Jarry-Universum gibt, aber über ein szenisch unergiebiges Sprechpuppentheater kaum hinausgelangt. Antithese dazu: „Solace“ von Tibo Gebert (Numen Company, Berlin), worin kein einziges Wort fällt. Gebert schickt eine kniehohe Ganzkörperpuppe – ein Knabe, allein auf einer Insel – in eine stumme Studie zur Einsamkeit: woraus weniger ein Stück, mehr ein (etwas länglicher) Initiationsritus wird. Familie Flöz (Berlin) eröffnete zum dritten Mal eine Synergura-Ausgabe mit ihrem Maskentheater, ließ aber erstmals Masken auch fallen: was hier den Tod einer Figur, dort deren Abnabelung vom himmlischen (Theater-)Vater bedeuten konnte. Dieser „Hokuspokus“ erzählt die alte Schöpfungs- als moderne Familiengeschichte. Adam und Eva mit Kind und Kegel in den eigenen vier Wänden. Daneben und dahinter: Musiker, Geräuschemacher, Kameraleute – sehr und zu viele erzählerische Mittel. Allerdings standen Flözens auf der Synergura als einzige neben den Gastgebern selbst fürs Ensemblespiel. Der Waidspeicher breitete unter anderem auf dem Spieltisch seinen spielwitzig-poetischen „Atlas der abgelegenen Inseln“ nach Judith Schalansky aus. Unter den eingeladenen Soli erschien das kleinste und intimste als das zugleich großartigste: Xavier Bobés‘ (Spanien) Objekttheater-Séance „Cosas que se olvidan fácilmente“ für jeweils fünf Zuschauer, die, beginnend 1942, ein Barcelona der Franco-Diktatur heraufbeschwört. Von einer Tischlampe beschienen, schichten sich bald zerfledderte Zeitschriften, Kalender, Fotos, Münzen, Marken zum Berg einer privat-politischen Familiengeschichte auf. Und den umweht, da ist er wieder, der Atem der Erinnerung. – www.waidspeicher.de/synergura.html Sandglass Theater, When I put on your glove. Foto: Richard Termine
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SCHATTEN ZWISCHEN ZARTHEIT UND KRAFT Ein Besuch auf dem 12. Internationalen Schattentheater Festival Schwäbisch Gmünd Von L e a h We w o d a /// So schön das goldene Herbstlicht ist, das an der Sandsteinfassade im Innenhof der Theaterwerkstatt im Spital in Schwäbisch Gmünd reflektiert – für die Protagonisten, die Schatten, muss es im Saal lichtarm sein. Je dunkler, desto besser. Die letzten Sonnenstrahlen des Jahres müssen also draußen bleiben. Vielleicht tun sie das gerne, in diesem Oktober 2022, in dem das triennal veranstaltete Internationale Schattentheater Festival nach pandemiebedingter Absage 2021 wieder stattfinden kann. Im Rahmen eines Praktikums bin ich vor Ort und habe Gelegenheit, Einblicke in den Festivalbetrieb zu erhalten. Es ist auch ein Zurück in die Kindheit und weckt Erinnerungen an Versuche, den eigenen Schatten einzufangen. Vergebens, denn da ist diese Differenz zwischen dem Schattenwerfer und dem geworfenen Schatten. Unüberwindbar scheint dieser Weg, zumindest im Alltag. Die Bühne liefert den Beweis: Doch, es geht. Wenn der Schatten einer Tasse zu schweben beginnt, dem Objekt vorauseilt, wie in der Produktion „Schattenwerfer“ vom Tangram Kollektiv, scheint plötzlich alles möglich zu sein. Das macht den Zauber des Schattentheaters aus. Es lädt dazu ein, „diese schwarzen, seltsamen Etwasse“, so sind sie im Programmheft beschrieben, förmlich spielerisch zu durchleuchten. Inszenierungen aus dem deutschsprachigen Raum sind ebenso geladen, wie solche aus dem europäischen Ausland, aus Italien, Belgien, Spanien und den Niederlanden. Ob in Form von Scherenschnitten, als lebensgroße Silhouetten auf einer bühnenfüllenden Schattenwand, in Begleitung von Tanz, gesprochenem Wort oder lautlos. Mit dem Schnellschluss, Schatten seien automatisch schwarz, räumt die niederländische Kompanie „Lichtbende“ auf – farbige Schatten aus PET-Flaschenresten spielen hier die Hauptrolle. Beim Blick hinter die Kulissen ist die bemerkenswerte Arbeit aus überwiegend recycelten Materialien zu erkennen, hier ein Teesieb, dort ein ausrangiertes Rad. Rege ist der Austausch zwischen Publikum und Spielenden nach den Aufführungen, Fragen zur Ausrichtung der Lichtquelle oder zum Bau der Schattenfiguren finden Antwort. Das schafft ein Miteinander, über den Schlussapplaus hinaus. Es macht Laune, sich auf Entdeckungsreise zu begeben, von Produktion zu Produktion, von Spielort zu Spielort. Schwäbisch Gmünds Fachwerkfassaden stehen beim Schattenspaziergang „Upcycling Shadows“ von der ortsansässigen Kompanie Kaleidolux im Fokus. Sie wählt die Stadtkulisse als Projektionsfläche und rückt Ecken ins Licht, die sonst Nebenschauplätze sind. Mit ihrer Zartheit im Umgang mit dem Schatten als Tanzpartner überrascht die Vorstellung von „Melting Paper“ vom FAB-Theater Stuttgart. Ein improvisierter Abend, eine „Echtzeitkomposition“, ein Wechsel aus Irritation und wiederkehrenden Knotenpunkten. Fragmentarische Bewegungsabläufe, die einen im Zuschauerraum dazu auffordern, selbst die Verbindungslinien zu ziehen. Die Formate während dieses einwöchigen Festivals sind vielseitig und mitunter gegensätzlich in ihrer künstlerischen Sprache. Das ist es, was es im Gesamten erlaubt, die Sehgewohnheiten zu durchbrechen und den Blick für den Schatten zu schärfen. Turnusmäßig findet das nächste Festival im Oktober 2024 statt. – www.schattentheater.de/festival Lichtbende, Ring Ring. Foto: Lichtbende
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20 . MARIONETTES IN NEUCHÂTEL Jubiläumsausgabe feiert die beständige Veränderung Das Schweizer Festival marionNEttes in Neuchâtel führte vom 28. Oktober bis 6. November 2022 die zwanzigste Ausgabe durch und lud dafür ebenso viele Produktionen ein. Neben vielen bekannten Künstler*innen fand sich sehr viel Nachwuchs im Programm. Von F ra nz i sk a Bu rg e r /// Das Festival marionNEttes in Neuchâtel wurde 1985 von Corinne Grandjean und Yves-Vano Baudin gegründet, die zusammen lange das Leitungsteam des dort ebenfalls ansässigen Théâtre de la Poudrière bildeten. Nach dem viel zu frühen Tod von Baudin im Jahr 2013 leitet Grandjean das Festival zusammen mit Noëlle Bron. Nun konnte im Herbst 2022 bereits die zwanzigste Ausgabe durchgeführt werden – wenn das kein Grund ist, sich selbst, die Szene und nicht zuletzt das Publikum zu feiern! So wird die aktuelle Ausgabe anlässlich des Jubiläums laut Programmheft als hommage verstanden: eine Hommage an die unzähligen grossartigen Künstler*innen, die ihre Kunst teilen, wie auch an uns Zuschauer*innen, die während der Aufführungen ihr Herz öffnen. Mit dieser Ausgabe ändert das biennal durchgeführte Festival seinen Rhythmus: Nach einer (coronabedingt) verkürzten Ausgabe im November 2021 fand es im Folgejahr erneut vor Ort in den diversen Kulturlokalen der Stadt am Neuenburgersee und in La Chaux-de-Fonds statt. Vieles ist gleich und doch einiges anders: Oft gesehene Künstler*innen wie Philippe „Flop“ Lefebvre (mit der Groupe ZUR, FR), Neville Tranter oder das Theater Meschugge sind in Neuchâtel präsent – Pierre Meunier ist gleich mit einer Produktion, einem Konzert und einer Filmreihe vertreten. Doch stechen beim Blick ins Programmheft zwei weitere Dinge ins Auge: Zum einen der starke Fokus auf junge Figurentheatermacher*innen, zum anderen ein Hang zu dunklen Themen wie dem Tod und dem Morbiden.
Studienarbeiten offenbaren künstlerisches Potenzial Es sind zwei Produktionen junger Abgänger*innen der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart zu sehen: Die Inszenierung „Santa Pulcinella“ vom Théâtre Gudule (FR) lässt das Publikum sich vor Lachen die Bäuche halten und mit dem eigensinnigen Anarchisten mitfiebern. Höhepunkt sind die unzähligen Versuche Pulcinellas ohne weitere Hilfe eine störrische Leiche in einen Sarg zu bugsieren, gefolgt von einem tollen High Noon-Moment beim Kampf des Protagonisten gegen den Tod. Es wird gezeigt, dass diese jahrhundertealte Figur kein Stück an Biss verloren hat und demonstriert, wie lustvoll und kreativ die Inszenierung sinnloser Gewalt im Figurentheater sein kann. Annina Mosimann (CH) reflektiert in dem fünfzehnminütigen Stück „Masa Mater“ mit rohem Teig und den Mitteln des eigenen Körpers über Fragen zum Kreislauf des Lebens, bestehend aus gebären und sterben sowie sich gegenseitig nähren und essen. Gerahmt wird das Spiel von Donna Haraways Überlegungen zum weiblichen Körper, zur Plazenta und Hefebakterien – den Stoffen des Lebens. Sowohl Annina Mosimann wie auch das Théâtre Gudule präsentieren Frühwerke, die im Zusammenhang mit ihrem Studium entstanden sind, doch sie zeigen beide, dass sie auf die grösseren Bühnen gehören. La main d’oeuvres, Ici et là. Foto: Olivier Guillemain
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Die Gruppe Raum 305 (DE) offeriert mit „Oder doch?“ (Regie: Philipp Boë) ihre zweite gemeinsame Arbeit. Bei dieser Auseinandersetzung mit dem unerklärlichen Verschwinden einer Person verwandelt sich die Bühne zu einem Labyrinth: Jede Tür öffnet einen neuen Zugang zum Unbekannten. Das enigmatische Stück mit einer Ästhetik, die an Stummfilm, Cabaret und Expressionismus erinnert, lässt die Zuschauenden perplex über das Gesehene zurück: Die beiden Bühnenkünstler*innen JARNOTH und Moritz Haase lassen Akrobatik und Figurenspiel beim Versuch, die inneren Abgründe sichtbar zu machen, verschmelzen, und loten dabei Potenziale des Cirque Nouveau aus.
Grosse Erzählungen für junges Publikum Die Produktion „Ici et là“ der Gruppe La main d’oeuvres (FR), für Kinder ab drei, ist durch die Untersuchung der Veränderungen, die ein Haus im Laufe des Jahres erfährt, eine Meditation über den Wechsel der Jahreszeiten. Auch wenn viele inspirierende und atmosphärische Bilder entstehen, ist die Aufführung etwas langgezogen und der weitere Verlauf aufgrund vieler Wiederholungen bald vorausschaubar, wodurch auf die Dauer die Geduld der Zuschauenden – gerade auch der Kinder – etwas auf die Probe gestellt wird. In „The Game of Nibelungen“ (Compagnie du Botte-Cul, CH) versucht sich die Performerin Manu Moser mithilfe einfachster Mittel mit einem grossen germanischen Heldenepos auseinanderzusetzen: So wird die Nibelungensage von der engagierten Lehrerin in einem Schulzimmer mit den dort vorhandenen Gegenständen, wie einem nassen Lappen (sehr toll: Gunther), einem Schwamm, der Wandtafel und einem Zirkel, nachgespielt. Als Rahmenhandlung wird eine Deutschstunde inszeniert, wobei die Zuschauenden direkt als Schüler*innen angesprochen und zum Mitmachen aufgefordert werden: zwischen den Szenen werden Vokabeln abgefragt und für richtige Antworten Sticker und lobende Worte verteilt. Die jüngeren Zuschauer*innen bleiben etwas überfordert zurück – reichen möglicherweise die Kenntnisse der deutschen Sprache wie auch des entsprechenden Kulturgutes noch nicht aus, um die Handlung und vor allem die Spässe rund um Liebe, Tod und Hybris zu verstehen. Das Düstere rund um diese äusserst menschlichen und existentiellen Themen passt auch gut zu der Jahreszeit um Allerheiligen: Tritt man aus dem Theatersaal, wird man von Dunkelheit empfangen, die bereits am späten Nachmittag hereinbricht, über dem See liegt Nebel. Das Morbide hat schon etwas Schönes. – www.festival-marionnettes.ch oben: Annina Mosimann, Masa Mater. Foto: Liesbeth Nenoff unten: Théâtre Gudule, Santa Pulcinella. Foto: Marta Pelamatti
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WENN STREICHHÖLZER WEINEN Das Festival Theater der Dinge sucht nach „Spuren der Verunsicherung“ Krisen, wohin man schaut. Schlägt sich dies auch in aktuellen Theaterproduktionen nieder? Unter dem Motto „Spuren der Verunsicherung“ fand vom 1. bis 7. November 2022 das internationale Festival Theater der Dinge rund um die Schaubude Berlin statt. Katja Kollmann berichtet, welche Eindrücke die eingeladenen Produktionen bei ihr hinterlassen haben. Von K a t j a K o l l m a nn /// „Er könnte jetzt anfangen. Der Aufbau ist vorbei“, steht auf dem Bildschirm. Shahab Anousha saugt immer noch und hat sich erst mal hinter den Monitor zurückgezogen. Nach einigen Minuten zerlegt er gefühlvoll den ganzen Staubsauger, vollführt eine gelenkige Pirouette mit dem Schlauch und trägt dann den Staubbeutel wie eine Trophäe vor sich her. Etwas später liest und hört man die Karaokefassung der Pop-Schnulze „I will always love you“ vom Band. Anousha singt nicht. Der Performer richtet seinen Blick sehnsüchtig auf das viel zu hoch eingestellte Mikrofon, während neben ihm die deutsche Liedübersetzung über den Monitor flirrt. In einer entschleunigten und gleichzeitig kurzweiligen halben Stunde legt es Anousha darauf an, mögliche Erwartungshaltungen des Publikums gezielt nicht zu bedienen. Stattdessen setzt er auf kreative Verweigerung, verbunden mit subtilem Humor, und regt so dazu an, Abwesenheit als positiven Möglichkeitsraum wahrzunehmen. Das grande finale von „Whirlpool“, seiner Masterarbeit in Performance Studies an der Universität Hamburg, ist unterlegt mit Klängen von Mozarts „Requiem“: Zu sehen ist das Video einer Waschmaschine, die sich im Schleudergang schrittweise selbst zerlegt, bis die übrig gebliebene Trommel befreit über den Rasen hoppelt.
Die Poetik des Visuellen „Whirlpool“ war im November 2022 bei Theater der Dinge in der Berliner Schaubude zu Gast. Das internationale Puppen- und Objekttheaterfestival folgte den „Spuren der Verunsicherung“ unserer Gegenwart und hatte dazu vierzehn Produktionen aus Tschechien, Spanien, Polen, Frankreich, der Slowakei und Deutschland eingeladen. Die Schaubude war Festivalzentrum. Unter den über ganz Berlin verteilten Spielstätten war auch eine Garage. Jakub Šulik und Matej ˇ Šumbera vom Prager Theater FRAS hatten dort eine kleine Installation mit einer Rahmentrommel, einer Lupe und einer Lampe aufgebaut. Hier erzählen sie vom „Kleinsten der Samen“, der auf der Suche nach Futter für seine Rentiere auf Wolf und Eisbär trifft. Mit viel Mut und etwas Schamanenzauber bezwingt er beide und kehrt mit einem Riesensack Heu nach Hause zurück. Wurzelteile eines Baumes liegen auf der Trommel: das Gebirge; der ein Zentimeter große Sami wird an einem Stab darüber geführt. Wir sehen ihn durch die Lupe. Die Weite einer nordischen Schneelandschaft wird spürbar. Als Sami auf den Wolf trifft, ist der ein pelzbezogener Puppenspieler-Arm und Sami eine wuschelige Handpuppe. Nach der soeben erfahrenen Weite des Raums wirkt diese Szene nun wie das Ranzoomen an einen Nahkampf. In der Schaubude fliegen Tüten durch die Luft. In „Aero“ überlassen die slowakischen Performer*innen Mária Danadová, Flip ˇ Hajduk und Monika Kovácová einen Teil der Regie den Ventilatoren. Die schleudern Tüten, die an Figuren erinnern, in die Luft und halten sie dort. Wenn sie plötzlich in ein Luftloch fallen, genügt der Stoß einer Hand für einen Richtungswechsel. Auf den ersten Blick ist die Performance von der Gruppe Odivo aus Banská Bystrica wunderbar schwerelos, dahinter aber öffnet sich der Blick auf existenzielles Ausgeliefertsein. Der Puppenspieler und Leiter des TJP Strasbourg, Renaud Herbin, nähert sich diesem Thema über die Optik. Ihm genügen bei „Etwas Durchlässiges“ ein paar hintereinander montierte Linsen, etwas Licht und eine Marionette, um in den B.L.O.-Ateliers verschiedene Wahrnehmungsräume entstehen zu lassen. Die Puppe nimmt als gespiegelter Schattenriss Körperhaltungen ein, die in der Realität undenkbar wären. Bleibt man als Zuschauer*in in Bewegung, so wie der Puppenspieler Bruno Amnar in Herbins subtiler Regie, eröffnen sich immer neue Perspektiven auf den Linsenapparat, in dem die Marionette gefangen ist.
Suche nach den Erinnerungen in den Dingen Im TATWERK erzählt Ludomir Franczak von einem Besuch im Prager Hrdlicka-Museum of Man, in dem er die Gebeine der „DahomeyAmazone Gutta“ entdeckte, die 1892 bei einer „Völkerschau“ in Prag „ausgestellt“ wurde. „Gutta“ ist das Ergebnis einer intensiven Recherche nach den Lebensumständen dieser Frau. Mit einer klug durchkomponierten Postkarten-/Objekt-Show, für die ihm eine Dokumentenkamera genügt, gelingt dem Breslauer Künstler eine empathische Annäherung an Gutta, die ganz konkret die Frage stellt, wie wir heute mit dem Erbe des Kolonialismus umgehen.
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Mit der Degradierung des Menschen zum Objekt setzt sich auch „Die Melancholie des Touristen“ von Oligor y Microscopía aus Spanien auseinander. Shaday Larios und Jomi Oligor haben im Kulturhaus Schöneberg einen alten Diaprojektor aufgebaut und zeigen dem Publikum Fotos und Postkarten aus Kuba und Mexiko. Während sie die Aufnahmen aus den 50er- und 60er-Jahren analysieren, sezieren sie immer mehr die Wahrnehmung der lokalen Bevölkerung durch die Tourist*innen, die mit ihrer Kamera Menschen zu Objekten machen.
Der Krieg kommt als Rollschuh „War Maker“ von Husam Abed (Dafa Puppet Theatre aus Prag) erzählt die konkrete Fluchtgeschichte des palästinensischen Künstlers Karim Shaheen. Dieser wird an seinen Zufluchtsorten – Kuwait, Irak, Jugoslawien, Syrien – immer wieder vom Krieg eingeholt, so dass er sich am Ende fragt: „Bin ich ein War Maker?“ Abed genügen ein paar alte Koffer, Militärkisten, alte Dosen, eine Handvoll Reis und Zündhölzer, um völliges Ausgeliefertsein an extreme äußere Umstände erfahrbar zu machen. Nacheinander öffnet er Koffer und Kisten. In jeder ist ein Fluchtort. So ist eine Zündholzschachtel das Haus der Familie Shaheen in Bagdad. Abed hält sie dicht vor die Kamera, das Bild wird auf die Bühnenrückwand der Schaubude projiziert. Es ist berührend, wenn Streichholz-Karim seine erste Liebe, ein Streichholz mit Schleife, küssen will. Es tut weh, wenn Zündhölzer angezündet werden und verbrennen. Der Krieg kommt immer in Form eines Rollschuhs, auf dem ein Holzbrett mit alten spitzen Nägeln und einem Feuerzeug montiert ist. Dann schüttet Abed aus einer Schüssel Plastiksoldaten in die Kiste. „Es ist, als ob Karims Leben verwünscht wäre“, fasst er zusammen. „Es hätte genauso gut euer Leben sein können.“ Die Schaufenster der Schaubude hatten Grit Wendicke und Kristina Feix mit einer Riesenhand, einem Miniaturtheater und einem Rettungsring bestückt. Darüber hingen Buchstaben, die einen Halbsatz ergaben, so zeitlos wie das Firmament: „Der Mensch braucht ...“ In einer prall gefüllten Festivalwoche hat Theater der Dinge in alle möglichen Richtungen geschaut, umsichtig gelenkt durch den „Spuren der Verunsicherung“-Kompass. – www.schaubude.berlin/de/projects/theater-der-dinge-2022 Husam Abed / Dafa Puppet Theatre, War Maker. Foto: Martin Spelda at Alfred Ve Dvore, Prague, Czech Republic
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beziehungsweise: der körper als bühne Einblicke in die Imaginale 2023 In der diesjährigen Imaginale, dem Internationalen Theaterfestival animierter Formen, das vom 2. bis 12. Februar in Stuttgart, Mannheim, Heilbronn, Eppingen, Schorndorf und Ludwigsburg stattfand, wurden Gattungs- und Genregrenzen breit ausgelotet und mit Witz, Charme, Lust sowie viel Tiefe die Zeichen der Zeit verhandelt. Vo n Pet ra M o s t b ach er-Di x /// Näher geht es nicht. Oberkörper an Oberkörper sitzen die Frauen an- und übereinander. Sie kennen sich – und scheinen sich doch erstmals richtig wahrzunehmen. Die Entdeckungsreise beginnt mit den Herzschlägen, die sie gegenseitig wahrnehmen. Neugierig, überrascht, mal zart, mal zerstörerisch geht es da zu, werden Hände untersucht, Gesichter ertastet, Finger zwischen Lippen gesteckt, Kopf und Körper massiert, in Kreisen gewirbelt, auf Schultern getragen, zu sphärisch-poppigen Klängen und eigenem Gesang. Immer wieder sinnieren sie im Gespräch über Sehnsüchte, Zusammensein, Leben an sich. Wie und wo soll das stattfinden? Was meint frei sein? „Romanze“ nennt Natalia Sakowicz ihr intensives Duo für Mensch und lebensgroße Puppe, das da auf der Bühne des FITZ, Theater animierter Formen, Besonderes erforscht: die Beziehung zum Selbst, die auch jene zum Anderen definiert. Wer führt da wen? Klar wird, wer den Anderen kaputt macht, macht auch sich selbst kaputt. Das gründet tief. Sakowicz’ unter die Haut gehende Liebesgeschichte hat die Imaginale 2023, Internationales Theaterfestival animierter Formen, eröffnet. Ungeplant, das ursprüngliche Premierenstück musste krankheitsbedingt ausfallen. Aber keine Notlösung, sondern grandioser Auftakt für die elf Festivaltage! In Stuttgart, Mannheim, Heilbronn, Eppingen, Schorndorf und Ludwigsburg zelebrierten Ensembles und Solist*innen aus Deutschland, Frankreich, Norwegen, Spanien, Israel, Dänemark, Belgien, El Salvador, Großbritannien, der Schweiz, Slowenien, Österreich und den Niederlanden den Körper als Bühne, Geschichten und Mythen gegenwärtig verhandelnd, Zeichen der Zeit aufgreifend. Jan Jedenak etwa setzte sich in „Mandragora“ – eine Bezeichnung für das Nachtschattengewächs „Gemeine Alraune“ – mit Diskriminierung, Gewalterfahrung und Othering von Homosexuellen auseinander, schlängelte aus der Erde, um akrobatisch an Stangen zu balancieren im dystopisch anmutenden Kraftakt der Befreiung. Grenzen zu Tanz, Musiktheater, Performance und Digitalkunst? Die lotete das Figurentheater bei der – nach Corona vom Publikum sehnsüchtig in ausverkauften Häusern erwarteten – Imaginale wieder lustvoll, faszinierend breit neu aus, ohne seine Essenz des Spiels mit dem Objekt aufzugeben. Unterstrichen von Workshops, Vorträgen und der Ausstellung „Travel-lllling“ im Kunstbezirk, einer assoziationsstarken Licht- und Bewegungs-Installation von Flop alias Philippe Lefebvre zu Raum und Zeit. Die sind kein Hindernis für Gevatter Tod, den mittelalterlichen „Danse Macabre“-Protagonisten, der Menschlein angesichts des sicher kommenden Jenseits verängstigt. Unzählige Legenden vieler Länder handeln davon, dem Sensenmann von der Schippe zu Zero en conducta, Eh man hé. © Zero en conducta
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springen. Das Lied zum Ableben intonierte die Produktion „Reigen“ eindrücklich. Köstlich wie die Puppenspieler Christoph Bochdansky und Michael Vogel den Knochenkarle menscheln ließen, mal zierlich klein Augen klimpernd, mal körperlich groß mit Horrormaske. Poetisch und ironisch rockig kommentiert auf Geige, Gitarre, Keyboard und Schlagwerk von Protect Laika aka Stefan Wenzel und Charlotte Wilde. Kriegsaktualität brachten Tänzer*innen Damian Cortes Alberti, Marcela Lopez Morales und Maria Shurkhal in die Szenen. Nicht nur weil sie gegen den Tod zeitgenössisch antanzten – Shurkhal ist Ukrainerin. Einen grausamen Krieg führt zudem König Ubu in Alfred Jarrys Theaterstück. Der unvergleichliche Neville Tranter hat daraus „Ubu – Verrückt, einfach so Macht zu haben“ gemacht, auf seine tiefsinnig ironische Art mit seinen klassischen einzigartigen Großpuppen vor typisch schlichter Stellwand. Wie lässt er noch Herrn und Frau Ubu, als sie entmachtet fliehen, kundtun? „Und was ist die Moral der Geschicht’?“ – „Es gibt keine!“ Leider wahr. Morde ans Licht brachte Agnès Limbos mit ihrer Cie. Gare Centrale. In „Nichts in meinem Leben zeigt, dass ich innerlich hässlich bin“ zunächst als Pelzmantelleiche auf dem Boden liegend, ging sie nonchalant mit Puppenstubenutensilien auf Tisch und Boden die zig Spielarten des Tötens durch – unterstützt von Mädchen in Klosterschulkleidung. Da wird erwürgt, erstochen, vergiftet, mit Eisbein erschlagen, der Tatort mit roter Farbe besprenkelt, wieder gereinigt: Blutrote Taschentücher kommen in die Minimaschine. Limbos bewegte fast stoisch die Objekte mit 60er/70er-Jahre-Ästhetik, Musik und Polizeiberichten aus dem Kassettenrekorder, lernt dazu Englisch – grandios. Lachen? Ja, das bleibt im Halse stecken. Die Opfer? Stets Frauen. Gut, dass der Prinz, als er sich an Schneewittchen vergeht, am Infarkt verendet. Femizide und #MeToo kommen da in den Sinn. Aber in Limbos‘ Stück geht es vor allem auch um die Macht der Fantasie. In „Envahisseurs / Eindringlinge“ für Kinder und Erwachsene zog Olivier Rannou wortlos mit Totengräbermine alle Register aus einem Koffer, um auf einem Tischschlachtfeld Außerirdische abzuwehren, die als Wackelpuddinge zur Erde kommen. Eine Invasion? Die Welt fährt Panzer und mehr auf, in den Nachrichten – Reportagen im 50er-Jahre-Stil flimmern schwarz-weiß auf dem Minifernseher – wird beschwichtigt, dann gewarnt. Die Lage eskaliert ... Diese unglaubliche Begegnung machte extrem Spaß und gab zu denken. Mitreißend auch „Eh Man Hé“ der spanischen Formation Zero en Conducta! So nennen die nordamerikanischen Cheyenne einen Menschen mit vielen Geistern. Fünf davon hat die menschhohe Puppe Nolan: in schwarzen Sweatshirts, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, haben sie seinen Kopf, Arm und Beine im Griff, lassen ihn keuchend rennen, formen mit Händen ein Gesicht für die Stimme aus dem Off: „What’s the big difference between the puppet and a human being?“ Um dann festzustellen, dass der Unterschied zwischen Mensch und Puppe das Atmen sei. Genau das will Nolan, gefangen in einem leblosen Körper und doch fühlend. Was bewegt ihn? Wie Zero en Conducta mit Nolan auf eine Selbstfindungstour des Lebens, Liebens und Leidens zur lyrischrhythmischen Komposition von Bob González ging, das war poetisch, witzig, mitreißend, tänzerisch wie figurenspielerisch meisterhaft. Flugrollen, Balanceakte, Pas de Trois, Beziehungsarbeit, Schattenspiel bis Grenzen verschwimmen, Fantasie freie Bahn hat. Führt Nolan seine Geister oder umgekehrt? Diese philosophische Reise zum „Mechanismus der Seele“ hallt nach – wie die gesamte Imaginale! – www.imaginale.net oben: Cie. Bakélite, Envahisseurs / Eindringlinge. © Théâtre du Cercle, Rennes unten: Flop (Philippe Lefebvre), Travel-lllling. Foto: Jef Rabillon
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JUBILÄUM
wie hält es stuttgart mit der animation? Lecture Performances zum Geburtstag vom FITZ und dem Studiengang Figurentheater Von A nni k a G l oyst ein /// Es gibt Grund zu feiern: Seit mittlerweile 40 Jahren kann man an der HMDK Stuttgart Figurentheater studieren. Vor elf Jahren wurde das Hauptfach des Studiengangs von „Materialtraining“ in „Animation“ umbenannt. Das Zentrum für Figurentheater FITZ, das den gleichen runden Geburtstag feiert, nennt sich seit zwei Jahren „Das Theater animierter Formen“. Aber, was ist denn nun eigentlich „Animation“? Dieser Frage ging das Diskursformat „Die Kunst lebendig zu machen – 40 Jahre Animationskunst im Kessel“ am 5. Februar 2023 im vollen Orchesterprobenraum der HMDK Stuttgart nach. Als „offen für alle Interessierten“ angekündigt, zog die fünfstündige Veranstaltung nicht nur Menschen aus dem Figurentheater-Kontext, aktuelle und ehemalige Studierende, sondern auch Besucher*innen des IMAGINALE-Festivals an. Dr. Laurette Burgholzer und Jonas Klinkenberg – beide Dozierende des Studiengangs – führten durch den Tag. Auf die Expertise von Prof. Florian Feisel, der das Format mitgeplant hatte, musste wegen Erkrankung leider verzichtet werden. Das Einstiegsspiel von Jonas Klinkenberg, bei denen die Anwesenden per Handzeichen abstimmen sollten, ob es sich ihrer Meinung nach um Animation handele, zeigte schnell, dass eine klare Definition von „Animation“ schwierig ist. Eine Puppe, die nicht berührt, aber mit Blicken von dem*der Spieler*in „kommentiert“ wird – schon Animation? Manchmal war sich das Publikum schnell einig, manchmal ging es sofort ans Diskutieren. Braucht Animation immer eine unbelebte Komponente? Ein Subjekt, das ein Objekt bewegt? Braucht es eine Zeugenschaft des Vorgangs? Nach dieser Aufwärmübung für den Kopf stellte Dr. Laurette Burgholzer mit vielen praktischen Beispielen vor, was Animation in der Figurentheaterausbildung in Frankreich bedeutet. Ein Beispiel: Pierre Blaise, Leiter des Theaters und der Schule Théâtre aux Mains Nues in Paris, hat die von Peter Waschinsky entworfene TassenÜbung für die Puppenspieler*innen-Ausbildung adaptiert. Zwei Tassen, mit der Öffnung nach unten, werden alternierend von zwei Personen bewegt. Dabei darf die Tasse in einem frei gewählten Winkel auf der Stelle gedreht oder auf einer Linie zwischen den beiden Tassen nach vorne oder nach hinten bewegt werden, immer nur eine einzige Geste auf einmal. Pareidolie – das Phänomen in Dingen und Mustern Gesichter zu sehen – ermöglicht den Zuschauenden den Henkel als Nase wahrzunehmen und die kleinen Bewegungen können schnell eine Beziehung zwischen den Tassen entstehen lassen, ein Eindruck von Leben. Nach der Pause – in der man hervorragend vom Studiengang verpflegt wurde und viele angeregte Gespräche über eben Gehörtes führte – leitete Burgholzer für Freiwillige einige Übungen an, um einen praktischen Zugriff auf das zuvor Referierte zu ermöglichen. Schließlich übernahm Jonas Klinkenberg. Er zog die Schauspieltheorie Gerda Baumbachs heran und baute darauf seine Überlegungen zu Animation als Kreation einer eigenständigen Fiktion und zur Fiktionsschranke auf. Letztere trennt die Realitätsebene (Material / Objekt / Puppe) von der Fiktionsebene (Figur / Rolle / Fantasie). Animation sei demnach: „Der Moment, in dem durch den Umgang mit etwas Unbelebtem die Fiktionsschranke verschoben wird und eine neue eigenständige Fiktion / Fiktionsebene entsteht.“ Klinkenberg selbst bezeichnete seine Definition als „gewagte These“ und es entstanden lebhafte Diskussionen, z. B. zur Unterscheidung von Animation und Manipulation. Ein gelungener Auftakt ins Jubiläumsjahr! Vom Nachdenken geht es im Sommer ans Zeigen: Vom 1. bis 23. Juli bringen beide Institutionen das Theater animierter Formen auf die Stuttgarter Straßen. – www.hmdk-stuttgart.de – www.fitz-stuttgart.de Tassen-Übung. Zeichnung: Laurette Burgholzer
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NACHRUF
DAS LEBEN EIN SPIEL Zum Tod von Susanne Forster (1941–2023) Vo n Jö rg B aes ecke /// Es ist kalt in der Aussegnungshalle. Vorn der Sarg, daneben ein großes Portraitfoto von Susanne, und zwei Marionetten vor einem rotsamtenen Hintergrund: Kaiser und Kaiserin aus einem Stück der ‚Puppet Players‘. Der Raum füllt sich mit Trauergästen, mit Familie und Freunden, die Grenzen scheinen da fließend, und bald schon reichen die Stühle nicht mehr aus. Bei aller Kälte gerät der Abschied von Susanne Forster warm und herzlich, in einem Reigen von Reden: Kummer und Rührung, Bewunderung und Verbundenheit kommen da zum Ausdruck. Susanne war nicht nur Puppenspielerin und Mitgründerin der ‚Puppet Players‘. Sie hat auf vielfältige Weise in ihre Heimatgemeinde Gauting bei München hineingewirkt – als Kulturbürgerin, wie es heißt, und schnell wird die Wertschätzung deutlich, die sie sich damit in ihrem lokalen Umfeld erworben hat. Und weit darüber hinaus, etwa durch die groß angelegten Figurentheaterprojekte im Rahmen der Münchner Biennale für Neues Musiktheater. Ebenso bestanden (so muss es jetzt wohl heißen) die ‚Puppet Players‘ nicht nur aus einer kleinen Kerngruppe, was wohl ökonomischer gewesen wäre. Nein, sehr viel mehr Menschen gehörten dazu, die in wechselnden Besetzungen an einer großen Zahl von Inszenierungen mitgewirkt haben. Ein Ensemble zu schaffen, zu erhalten und zu pflegen gehörte sicher zu Susannes Fähigkeiten, und auch das ist Kunst. „Ich kenne kein anderes Ensemble, bei dem eine solche Verbindung von künstlerischer Professionalität mit unkomplizierter Herzlichkeit, familiärer Wärme und kreativem Geist vorstellbar wäre.“ – so die Puppenspielerin Stefanie Hattenkofer. Bemerkenswert ist die Reihe großer Namen, mit denen die ‚Puppet Players‘ auf ihrem langen Weg ein Stück weit zusammen gegangen sind, die Zahl der exponierten Aufführungsorte, nachzulesen in ihrem Buch ‚Das Spiel ein Leben‘, auch das konsequente An-Arbeiten gegen verbreitete Puppentheater-Klischees.1 All das erfordert Kraft, Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit. In meiner Erinnerung wie auch in den Reden entsteht das Bild einer tatkräftigen und durchsetzungsfähigen Frau, und ich weiß, dass manche/r mit Susannes Entschiedenheit und Bestimmtheit Probleme hatte. Ich weiß aber auch: So sicher sie sich ihrer Sache schien – sie war doch stets bereit, andere Ansichten und Ansätze gelten zu lassen und die Erfolge anderer neidlos anzuerkennen. 2018 erlitt sie einen Schlaganfall, und ich höre, dass sie seither ‚milder‘ geworden war. „Was blieb, war ein Kern, der nur noch aus Freundlichkeit, unmittelbarer Zugewandtheit und Liebe zu bestehen schien.“ So beschreibt es der Mann ihrer Tochter Anna. Und vielleicht war das überhaupt ihr Kern, der immer mehr zum Vorschein kam, je näher sich ihr Leben dem Ende zuneigte? ‚She went with a bang‘ – auch das klingt an, ganz unsentimental, und erleichtert vielleicht den Abschied: Sie starb am 11. Januar nach einem Sturz – das ersparte ihr womöglich ein langes schweres Leiden. Am Ende wird der Sarg hinausgetragen und ins Grab gesenkt. Es ist noch ein Stück kälter geworden. Zurück bleiben die beiden Marionetten, Susannes Lieblingspuppen. Zurück bleibt die Frage, was von uns und unserer Kunst bleibt, wenn wir selbst gegangen sind. Kaiserin und Kaiser jedenfalls tanzten damals am Ende des Stücks miteinander und flogen, verstrickt in einem goldenen Band, davon. 1 Susanne Forster / Stefan Fichert: „Das Spiel ein Leben“ (Frankfurt/M. 2010)
Susanne Forster. Foto: Stefan Fichert
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SCHWEIZER FENSTER
WELTE N WANDELN Frida León Beraud im Porträt Als sie mit 13 Jahren das erste Mal auf der Bühne stand, war das ein politischer Akt. Am Ende der Diktatur, als Argentinien sich veränderte, waren die Theatergruppen Teil des gesellschaftlichen Wandels – eine Erfahrung, die Frida León Beraud in ihrer Arbeit bis heute prägt. Für ihr „Sozial engagiertes Puppenspiel“ erhielt sie 2022 den Schweizer Preis Darstellende Künste. Von M o ri t z S c h önbr o d t /// Im Alter von nicht einmal einem Jahr zieht Frida León Beraud mit ihren Eltern von Chile, wo sie 1970 geboren wurde, nach Neuquén in Argentinien. Mit knapp 600 Kilometern ist es eher einer der kürzeren Umzüge in ihrem Leben, denn es wird nicht die letzte Grenze sein, die sie überquert. Migration wird ein Thema bleiben, mit dem sie sich auch in ihrer Arbeit immer wieder beschäftigt. Als sie in Argentinien aufwächst, erlebt sie zunächst die Militärdiktatur der 70er/80er-Jahre. 1983 beginnt die Demokratisierung des Landes, ein landesweites Straßentheaterfestival wird organisiert und Léon Beraud steht das erste Mal auf der Bühne. Trotz eines Anschlags auf das Teatro Picadero, die Wiege jener Theaterbewegung, macht man weiter und Léon Beraud, die sich einer Jugendtheatergruppe angeschlossen hat, macht Straßentheater. Das ist nichts Ungewöhnliches. Laut Léon Beraud ist Teil einer Theatergruppe zu sein in Argentinien so üblich, wie im deutschsprachigen Raum ein Instrument zu lernen. Viele Menschen sind Teil von Laientheatergruppen, unabhängig von allen sozialen Klassen trifft man sich dort – das Theater ist ein gemeinsamer Raum. Nach der Schule beginnt Frida Léon Beraud eine Ausbildung zur Chemielaborantin und absolviert nebenbei eine Schauspielausbildung. Es sind volle Tage für sie: von 7 Uhr bis 16 Uhr arbeitet sie im Krankenhaus und studiert von 18 bis 23 Uhr an der Schauspielschule. Als sie beide Ausbildungen abgeschlossen hat und in Buenos Aires in den Ferien ist, sieht sie ein Gastspiel des Berliner Ensembles. Auch wenn sie kein Wort von dem versteht, was auf der Bühne gesprochen wird, ist sie begeistert. Dann zeigen El Periférico de Objetos, die erstmals in Argentinien Puppenspiel, Schauspiel und bildende Kunst verbinden, „Máquina Hamlet“ – und León Beraud weiß, sie will nach Deutschland und Puppenspiel studieren, um nicht nur als Spielerin, sondern im gesamten Spannungsfeld dieser Kunstform zu arbeiten.
Buenos Aires – Berlin – Zürich Zu diesem Zeitpunkt gibt es in Argentinien zwar eine Puppenspielausbildung, doch die Verbindung von Bildender Kunst, Puppenspiel und Schauspieltechnik im Rahmen ein und desselben Studiums findet sie vor Ort nicht. So geht sie zunächst an die Katholische Universität Eichstätt, um Deutsch zu lernen, und ein Jahr, Kulturschock, Bewerbungsstress und zwei Aufnahmeprüfungsrunden später beginnt sie ihr Puppenspielstudium an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin. Sie bereut es nicht, im Gegenteil. Es sei eine fantastische Ausbildung gewesen, sagt sie, von der sie noch heute zehre. Hier lernt sie Menschen kennen, mit denen sie arbeitet, mit denen sie sich austauscht und gemeinsam auf Festivals, wie in Avignon oder der Synergura in Erfurt, spielt. Als sie 1997 ihr Studium abschließt, überlegt sie, anderen Studierenden nach Jena zu folgen, doch nach Erfahrungen mit Rechtsradikalen in Berlin kann sie sich nicht vorstellen, in Ostdeutschland zu bleiben. Stattdessen zieht sie in die Vereinigten Staaten. Nach zwei Jahren in San Francisco denkt sie darüber nach, wieder nach Argentinien zu gehen, allerdings ist das Land 2001 in einer so schweren Finanzkrise, dass sie nicht weiß, wie sie dort über die Runden kommen soll. Da sie bereits in Bern und Zürich gespielt hatte und ihr damaliger Mann Schweizer ist, nimmt sie Kontakt mit ihren Bekannten vor Ort auf und zieht wieder nach Europa. 2004 gründet Frida León Beraud gemeinsam mit Frauke Jacobi die DALANG Puppencompany. In der folgenden Zeit entstehen vor allem Stücke für Kinder. Als sie ihr Studium der Szenographie im urbanen Raum an der Zürcher Hochschule der Künste abgeschlossen hat, wächst der Wunsch, an unkonventionelleren Orten zu arbeiten, interdisziplinär, mit Menschen aus den Fachbereichen Architektur, Theaterpädagogik und Musik. Deshalb produzieren DALANG „Farbträume“, ein immersives Stück, das auf einer Dramaturgie der Sinne aufbaut und so diese Disziplinen zusammenbringt.
Das Material als Vermittler Nach einem autobiographischen Werk über ihre Großeltern sucht León Beraud wieder Kontakt zu ihrer Kultur. Es ist ihr wichtig, dass es nicht um das Land geht, sondern um die Menschen, deren Sprache und Kultur, der sie sich zugehörig fühlt. Sie beginnt ein Projekt, dessen Entwurf zuvor zehn Jahre in der Schublade vor sich hingeschlummert hatte: In Buenos Aires will sie gemeinsam mit
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SCHWEIZER FENSTER
Cartoneros (Menschen, die Karton und anderes Recyclingmaterial sammeln) Ad de Bonts „Mozart in Moskau“ inszenieren. Über zwei Jahre fliegt sie immer wieder nach Argentinien und gibt kartonsammelnden Jugendlichen ehrenamtlich Workshops in Puppenbau, Schneiderei und Bühnenbild. Von der Kunsthochschule in Buenos Aires kommen Gesangsstudierende hinzu, auch Design-Studierende nehmen teil und ein Dokumentarfilm wird gedreht. Operngesang inmitten der Müllberge – ein surreales Bild. Aber es funktioniert, die Teilnehmenden unterschiedlicher sozialer Klassen lernen sich kennen, schließen Freundschaften und beeinflussen einander auch außerhalb des Projekts. Hier kommt ein entscheidender Aspekt Frida León Berauds Arbeit hinzu: auch wenn die Projekte eine soziokulturelle Komponente haben, ist ihr die künstlerische Qualität der Arbeit wichtig und dies nicht aus einem künstlerischen Selbstzweck heraus, sondern weil sie die Menschen, die sich daran beteiligen, ernst nimmt und sie und ihr Publikum zusammenzubringen will. Die eigentliche Vermittlungsarbeit übernehmen dabei die Puppen und das Material, mit dem sie arbeitet. Seien es die gemeinsam erschaffenen Figuren mit den Kartonsammelnden, die PET-Flaschen, aus denen sie im Lockdown mit den Kindern der Nachbarschaft Puppen baute oder ihr Alter Ego „Maria“, die ihr dabei half, mit Sexarbeitenden ins Gespräch zu kommen und mit ihnen gemeinsam das Stück „sweet & sour“ und dessen Bühnenbild zu entwickeln. Die subversive Kraft des Puppentheaters geht für sie durch das Material. Vierzig Jahre nachdem Frida León Beraud das erste Mal auf der Bühne stand, ist Theater für sie noch immer ein politischer Akt. Dafür erhielt sie 2022 auch den Schweizer Preis Darstellende Künste. Sie, der es nie um ihre Karriere ging, freut sich über die Wertschätzung ihrer Arbeit. Ihre Wirkungsstätte, das ist das Theater als sozialer Ort, das sich nicht nur auf der Bühne abspielt, sondern überall. Frida León Berauds Puppenspiel bringt in seiner subversiven Kreativität Menschen zusammen und schafft Räume gemeinsamer Reflexion. – dalang.allyou.net – www.schweizerkulturpreise.ch Schweizer Preis Darstellende Künste 2022, Frida León Beraud bei der Preisverleihung. Foto: Adrian Moser
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IN DER WELT DAHEIM, IN DER SCHWEIZ ZU HAUSE Janna Mohr wird erste Puppenspielerin am Theater Orchester Biel Solothurn Noch während ihres Studiums an der Hochschule für Schauspielkunst (HfS) Ernst Busch in Berlin hat die aus Zürich stammende Janna Mohr zur Spielzeit 2022/23 am Theater Orchester Biel Solothurn (TOBS) eine Stelle als Puppenspielerin und Co-Leiterin des Jungen Theaters angetreten. Für double sprach Jacqueline Surer mit ihr über diese Doppelfunktion am Theater und was sie dazu bewegt hat, in die Schweiz zurückzukehren. Jacqueline Surer: Janna, seit letztem Sommer arbeitest du am Theater Orchester Biel Solothurn (TOBS) als Puppenspielerin und CoLeiterin des Jungen Theaters. Eine solche Doppelrolle an einem Theaterhaus zu haben ist ungewöhnlich. Was hat dich daran gereizt? Janna Mohr: Die Kombination finde ich interessant. Sie entspricht mir und meinem Background bestens und die Arbeit befruchtet sich gegenseitig auch. In den ersten Monaten am TOBS war es aber schon anstrengend, zwei- bzw. sogar dreigleisig zu fahren. Ich spielte in der Produktion „Kafka in Farbe“ mit und musste mich gleichzeitig mit der Arbeit als Theaterpädagogin und Co-Leiterin des Jungen Theaters Solothurn vertraut machen. Das neue Haus mit seinen internen Abläufen kennenzulernen braucht Zeit. Ein Vorteil meiner Mehrfachrolle ist, dass ich Einblicke in alle Bereiche erhalte und viele Kontakte zu verschiedenen Abteilungen und Menschen habe. Das geniesse ich sehr. Unterdessen habe ich auch langsam das Gefühl, angekommen zu sein. Das TOBS hat diese Stelle extra für dich geschaffen. Es ist das erste Mal, dass das Theater eine Puppenspielerin im Ensemble hat. Wie ist es dazu gekommen? Ich merkte, dass es mich in die Schweiz zurückzieht. Obwohl ich mich langfristig eher in der freien Szene sehe, wollte ich eine feste Stelle suchen, um mir ein Netzwerk aufzubauen. Ich habe mich bei vier Stadttheatern beworben, die eine Affinität zu Figurentheater haben. Das TOBS war mein Favorit, weil ich mir gut vorstellen konnte, in Biel zu wohnen. Dann ging es schnell: Das Theater rief mich einen Tag nach meiner Bewerbung an. Die Stelle als Co-Leiterin des Jungen Theaters war gerade frei geworden und gleichzeitig suchte das TOBS eine Puppenspielerin für das Projekt „Kafka in Farbe“. Diese Kombination hat für mich gepasst, deshalb habe ich zugesagt. Du studierst momentan noch Zeitgenössische Puppenspielkunst an der HfS Ernst Busch in Berlin, weil sich dein Abschluss aufgrund der Corona-Pandemie verzögert hat. Überhaupt hat die Pandemie in der Kulturszene Spuren hinterlassen. Wie hast du das in Berlin erlebt? Wegen Corona war während des Studiums einiges leider nicht ganz so, wie es hätte sein können. Trotzdem war es für mich der absolute Luxus. Weil ich vorher schon viele andere Sachen gemacht hatte, wusste ich genau, was ich von der Ausbildung wollTheater Stadelhofen, Mortina / Untot – na, und? © Sepp De Vries
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te. Deshalb habe ich die Studienzeit trotz allem genossen und geschätzt. Als Abschlussarbeit habe ich vor einem Jahr in Berlin mit der Erarbeitung des Solostücks „Miseria“ begonnen. In Solothurn konnte ich die Inszenierung, die für mich eine Herzensangelegenheit ist, als mobiles Stück vollenden. Nun spiele ich es über zwei Spielzeiten schweizweit in den unterschiedlichsten Institutionen, worauf ich mich sehr freue! Ab der Spielzeit 2024/25 übernehmen Patric Bachmann und Olivier Keller die Schauspieldirektion des TOBS. Weisst du schon, was sich dadurch verändern wird? Ich hoffe, dass wir das Junge Theater unter ihrer Leitung weiterentwickeln und den Fokus auf Puppenspiel ausbauen können. Derzeit besteht unsere Arbeit hauptsächlich darin, dass wir Theatervermittlung und Spielclubs anbieten. Wir möchten mehr eigene künstlerische Projekte realisieren und professionelle Inszenierungen für Kinder und Jugendliche entwickeln. Momentan haben wir kaum Angebote für den Kindergarten und die Primarstufe, was ich schade finde. Wir haben mit Patric und Olivier schon Gespräche geführt und die beiden haben ein grosses Interesse daran gezeigt, das Angebot für ein junges Publikum zu erweitern und Puppenspiel in ihre Inszenierungen einzubauen. Du hast verschiedene Dinge ausprobiert, bevor du Puppenspielerin geworden bist. Wie hast du diese Kunstsparte entdeckt? Ein Stück, das mich enorm beeindruckt hat, war „The Table“ des Blind Summit Theatre. Mark Down, den Begründer der Compagnie, habe ich erst kürzlich in Biel am Theater kennengelernt, das war toll. Als ich das Stück sah, war ich in der BewegungstheaterAusbildung an der École Lassaad in Brüssel. Maskentheater war dort ein wichtiges Thema, damit habe ich mich immer wohlgefühlt. Mir war lange nicht bewusst, was alles zur Sparte „Zeitgenössisches Puppenspiel“ gehört. Erst als ich in Freiburg am Kinder- und Jugendtheater arbeitete, ging mir diese Welt so richtig auf. Dort lernte ich die Puppenspielerin Vanessa Valk kennen. Mit ihr begann ich mit Puppen zu arbeiten. Danach bin ich nach Berlin gegangen, wo ich im zweiten Anlauf an der Ernst Busch Schule aufgenommen wurde. Ich fühle mich in diesem subversiv-skurrilen Universum animierter Dinge nach wie vor sehr wohl. Wenn man sich deine Biografie anschaut, fällt auf, dass du beruflich international viel unterwegs warst. Warum hast du dich entschlossen, in die Schweiz zurückzukommen? Ich sehe hier beruflich viel Potenzial, weil die Puppentheater-Szene noch recht überschaubar zu sein scheint. Zudem sind fast alle wichtigen Personen meines Lebens hier: meine Familie und Freund*innen aus der Schulzeit. Das sind vor allem Kontakte, die nichts mit der Theaterwelt zu tun haben. An allen Orten, an denen ich sonst war, befand ich mich immer in einer Theaterblase. Dort habe ich viele tolle und interessante Menschen getroffen, der Austausch mit Freund*innen, die in ganz anderen Berufswelten tätig sind, hat mir jedoch gefehlt. Mit Sebastian Ryser und Moritz Schönbrodt sind vor kurzem zwei weitere Absolventen der Ernst Busch in die Schweiz gekommen. Plant ihr zu dritt eine Produktion zu machen? Ja, und zwar noch in diesem Jahr! Das Franz Ensemble in Bremen hat mich für eine Zusammenarbeit für das Stück „Der arme Spielmann“ angefragt. Die Uraufführung wird im März in Bremen stattfinden. Helena Winkelman, eine Schweizer Komponistin, schreibt die Musik dazu, Moritz Schönbrodt ist für die Puppen und die Ausstattung zuständig, Sebastian Ryser führt Regie und ich werde spielen. Wir drei sind übrigens nicht die einzigen, die es in die Schweiz zurückgezogen hat: Annina Mosimann, die in Stuttgart studiert hat, lebt und arbeitet nun auch wieder in Zürich. Mina Trapp hat die letzten 20 Jahre hauptsächlich in Barcelona als Puppenbauerin und -spielerin gearbeitet und will jetzt wieder in der Schweiz Fuss fassen. Es tut sich also gerade einiges. – www.tobs.ch TOBS / Janna Mohr, Miseria. © Joel Schweizer
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ENGLISH SUMMARIES
S U MM A R I E S T H EM E OF D OUB LE 47: P U P P E TS O F CO LOR – POST-COLON IA L A N D A N TI R A CI S T A P P ROA CH E S IN FIGURE T H E A T RE
BEHI ND THE SURFACE / I N SEARCH OF COMPL EX I TY The puppet maker Atif Mohammed Nour Hussein discusses “fictional portraits” (p. 18–19) Among other things the director and puppet maker Atif Mohammed Nour Hussein, a graduate of the puppetry course at the Ernst Busch Academy of Dramatic Arts in Berlin, is known for his hyper-realistic puppets. He is also active in the “bühnenwatch” informal network which has sparked an open discourse about racist structures in the theatre. Here he discusses the production “The Good Man of Sezuan”, which sparked the debate for him. To avoid stereotypes, he tries to depict complex human images in his puppets by making “fictional portraits”. The complicated construction of the figures challenges puppeteers to be as meticulous as possible when performing.
“ B L A CK FA CE ” PUPPE T S F R O M TH E GERM A N IM A GIN A RY Thoughts on a possible exhibition practice (p. 6–9) During a research stay in Germany, the cultural scientist William Condee happened to come across the many representations of the “Other” in the storerooms of German puppet theatre collections. So he began researching the figures and talking to the staff of the collections. In his article he uses examples from German puppet theatre collections to address four sets of themes, which he calls the “imagined Turk”, the “imagined African”, the “imagined African-American” and the “imagined multicultural German”. He concludes by posing some questions about a future exhibition practice for these figures.
BROADENI NG ERWARTUNGSHORI ZONT Bridges to Intercultural and Interspecies Communication in “Aanika’s Elephants” (p. 20–21) Among other things, cultural scholar Dr. Paulette Richards has curated the exhibition “Living Objects. African American Puppetry” at the Ballard Institute and Museum of Puppetry in Connecticut. Her book “Object Performance in the Black Atlantic” will be published this year. Her educational work focuses on puppetry and empowerment. For double, she writes about a production by Annie Evans, an author of “Sesame Street”. Evans links her experience as a volunteer with an elephant research project to a story that names intercultural differences for children and appeals for cultural understanding, including between humans and animals. An African-American girl is at the centre of the play, which was created by a multi-ethnic cast.
P U P P E TRY ’S RA CIA L RE CKON IN G Puppetry and representation (p. 10–11) The theatre scholar Dr. Jungmin Song curated the exhibition “Puppetry's Racial Reckoning” at the Ballard Institute and Museum of Puppetry at the University of Connecticut (UConn) in 2021. For double, she reflects on her work and introduces the exhibition concept. She reveals how deeply racial prejudices are interwoven in puppet theatre and uses examples of “yellowfacing” and “blackfacing” to show how puppet theatre embraced and disseminated these stereotypes. She explains how the exhibition tried to break them open.
A GA ME OF COM PLEX IT Y
DEFROSTI NG THAI CULTURE
A chat with Laia Ribera Cañénguez and Antonio Cerezo on Material theatre and colonial continuities (p. 12–14) In 2021 the KMZ collective (previously “Laia RiCa”) initially devised “Kaffee mit Zucker?” (“Coffee with Sugar?”), an evening that used material performance and biographical theatre to explore colonial continuities. After multiple awards and international guest performances, the new production “Five Exhibits” premiered at the Schaubude in Berlin in February 2023. Tim Sandweg spoke for double with the performers Laia Ribera Cañénguez and Antonio Cerezo about colonial and decolonial traces in materials, collective biographical narratives and the performative approach to complex topics. Through materials like potatoes and plaster in this case, and by incorporating their personal stories, they try to achieve an authentic sensuality that opens up many possible points of access. The in-process nature of puppet theatre is crucial for their work in this complex field.
A chat with the interdisciplinary collective un.thai.tled (p. 22–24) In August 2022 some members of un.thai.tled took part in a research residency at the Schaubude in Berlin. Far removed from simple categorisations and stereotypes, the collective founded by Sarnt Utamachote in Berlin offers Thai artists a platform to assert themselves in the German art scene. Kantatach Kijtikhun is a photographer and musician, Theerawat Klangjareonchai a media artist, Raksa Seelapan a performance artist and Prapatsorn Sukkaset a set designer; all of them have studied in Europe for a time and all share the experience of living abroad with its concomitant challenges. Director and writer Magali Tosato, who mentored the residency, talks to the artists about the project’s source material, the epic poem “Phra Apai Mani” by Sunthorn Phu. She discusses with them the impact of shadows and various possible interpretations of the show by audiences between Berlin and Thailand.
N ON -OBJECT S
PUPPETEER POSI TI ONALI TY AND THE CONSTRUCTI ON OF “ RACE” I N “CHANG AND ENG AND ME (AND ME)”
Thoughts on museum and theatre objects inspired by the performance “Gutta” (p. 15–17) The multidisciplinary work of Polish artist and activist Ludomir Franczak deals with memory and identity. The “Gutta” project concerns an ‘object’ presented in the “Museum of Mankind” in Prague. It is the physical remains of a woman, probably a member of a group of Yoruba who appeared as the “Amazons of Dahomey” in “Human zoos” in many European cities in the 1890s. Her skeleton is displayed in a glass case in one of the rooms. Franczak questions the status of “objects” in museums and theatres and calls for a change in their status by looking at them differently. For the work of artists and activists within a broad decolonisation movement has resulted in museum and theatre objects becoming what he calls “non-objects” – between object status and “liberation”.
The idea of a ”critical puppetry” (p. 25–27) The British scholar, theatre-maker and puppeteer Tobi Poster-Su is currently working on his dissertation on “Racialisation and Material Performances in the 21st Century”. Based on his performance “Chang and Eng and Me (and Me)”, he explains how the alienation inherent in puppet theatre can be used by puppeteers to take a critical stand on what is represented and on their own role in the representation, with the intention of breaking down the mechanisms of representation. He expresses the hope that puppetry can also offer strategies for resistance by making visible the potential of cultural production to imposed constructed identities.
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ENGLISH SUMMARIES
S U MM A RY OF T H E SECT ION S Directly following the theme section, Meike Wagner looks at the symposium “Deconstructing the Puppet House – A Workshop Weekend on a Racism-Critical Approach to Puppets/Play in Museum and Theatre”, which took place in Munich at the beginning of February. Alexander Rudolfi looked at the photo series “Our Doll's House”, in which the US-American Francesca Hummler plays with her family heirloom, a doll's house as a miniature room that serves as a stage for the migration history of her adoptive sister. Exhibits from the house are currently being critically evaluated from the perspective of racism at the Nuremberg Toy Museum. For double, Herbert Heinzelmann visited the exhibition “Toys and Racism – Perspectives that Get Under the Skin”. Bodo Birk devotes a portrait to the French puppeteer Renaud Herbin, who has directed the TJP Centre Dramatique National de Strasbourg-Grand Est for the last ten years, and makes it clear how Herbin has shaped the puppet theatre scene. In the “Next Generation” section, Lucas Boelter, Colin Danderski and Jule Saßmannshausen report on their participation in the scholarship programme for students at the Weitblick Festival. This intensive participation for young professionals was held for the first time in 2022. Numerous festivals took place last autumn and winter: Michael Helbing attended Synergura in Erfurt in September, Leah Wewoda the International Shadow Theatre Festival Schwäbisch Gmünd in October. Franziska Burger gives an insight into the Swiss festival marionNEttes in Neuchâtel which presented its twentieth edition in October and November and invited a corresponding number of productions to take part. Katja Kollmann reports on the impressions she was left with by the Theatre of Things festival, which took place in Berlin in November under the motto “Unsettling Remains”. Finally, Petra Mostbacher-Dix writes about the Imaginale that ran in Stuttgart, Mannheim, Heilbronn, Eppingen, Ludwigsburg and Schorndorf at the beginning of February. During the Imaginale, there was an event called "Die Kunst lebendig zu machen – 40 Jahre Animationskunst im Kessel” (The Art of bringing things to life – 40 years of animation in the cauldron), to mark the anniversary of FITZ and the figure theatre course at the HMDK Stuttgart. Annika Gloystein was present at the event. Jörg Baesecke has written an obituary for Susanne Forster, who died in January at the age of 81. She had made a name for herself as a puppeteer and cofounder of the “Puppet Players”. In the “Swiss Window”, Moritz Schönbrodt introduces the prize-winner Frida León Beraud, who received the Swiss Performing Arts Prize 2022 for her “Socially Engaged Puppetry”; while Jacqueline Surer spoke to Janna Mohr, who is returning to Switzerland after studying in Berlin as the first puppeteer at the Theater Orchester Biel Solothurn (TOBS).
Schauspiel Köln, „Der gute Mensch von Sezuan“ (2013, Regie: Moritz Sostmann, Puppen: Atif Mohammed Nour Hussein). Foto: Klaus Lefebvre
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NOTIZEN
FESTIVALS Das internationale Figurentheaterfestival Titirimundi versammelt seit 1985 wichtige Positionen des zeitgenössischen Figurentheaters und findet in diesem Jahr vom 10. bis 15. Mai 2023 in der spanischen Stadt Segovia statt. Es fungiert als Ort der Begegnung und des Austauschs für Fachleute und Publikum und zeigt Aufführungen an mehreren historisch bedeutsamen Orten. – www.titirimundi.es Die 32. Ausgabe des Figurentheaterfestivals Homunculus im österreichischen Hohenems steht unter dem Motto „Reflections“ und findet vom 11. bis 19. Mai 2023 statt. Diesmal wird mit den Rheinauen ein neuer Spielort erschlossen, für den die Gruppe flunker produktionen, zusammen mit Lutz Grossmann und Susi Claus, ein auf den Ort zugeschnittenes Programm entwickelt: „Hier werden Dinge geschehen, die man in einem Schwimmbad normalerweise nicht erwartet“, so die künstlerische Leiterin Susi Claus. – www.homunculus.info Das 23. internationale figuren.theater.festival findet vom 12. bis 21. Mai 2023 in Erlangen, Nürnberg, Fürth und Schwabach statt. Mehr als 60 Compagnien aus aller Welt präsentieren in über 180 Vorstellungen zeitgenössisches Figuren-, Bilder- und Objekttheater. Die Biennale zählt zu den größten und bedeutendsten Festivals dieses Genres in Europa und zeichnet sich durch einen betont spartenübergreifenden Ansatz aus, der auch zeitgenössischen Tanz, Performance, Videokunst und neue Medien einschließt. Ausstellungen, Filme, Workshops, Gesprächsformate und das „Junge Forum“ für Studierende sind integrale Bestandteile der intensiven Auseinandersetzung mit dem Genre. Künstler*innen u. a. aus Afghanistan, Indien, dem Iran, Syrien, Kenia, der Demokratischen Republik Kongo, El Salvador, Mexiko und Kuba bringen in der diesjährigen Programmreihe „globale Perspektiven“ ins Programm. – www.figurentheaterfestival.de In der Region Hellweg wird bereits zum zehnten Mal das internationale Theaterfestival für junges Publikum hellwach veranstaltet. Vom 20. bis 28. Mai 2023 präsentieren innovative Theaterkünstler*innen aus Europa und anderen Kontinenten ihre neuesten Arbeiten. Zusätzlich gibt es verschiedene Begegnungsformate zwischen dem jungen Publikum und den eingeladenen Künstler*innen in den fünf teilnehmenden Städten Hamm, Ahlen, Bergkamen, Lippstadt und Lünen. Verantwortlich für die künstlerische und organisatorische Leitung ist das HELIOS Theater. – www.helios-theater.de
TAGUNGEN/WORKSHOPS Vom 5. Juni bis 21. Juli 2023 findet im FigurentheaterKolleg Bochum das siebenwöchige Format „Sommerakademie“ statt. Die Sommerakademie bietet den Einstieg in die Weiterbildung Figurentheater und vermittelt Kenntnisse in den Bereichen Kostümbild, Stimme, Figurenbau und -spiel sowie Inszenierung. Im Mittelpunkt stehen die Handfigur sowie abstrakte Figurentheaterformen. Sie richtet sich an Anfänger*innen aber auch an Fortgeschrittene, die das Figurentheaterspiel intensivieren wollen. Um teilnehmen zu können, wird die Anwesenheit bei allen Einheiten vorausgesetzt sowie die Bereitschaft, an einer gemeinsamen Inszenierung mitzuwirken. – www.figurentheater-kolleg.de An der Universität Paul-Valéry Montpellier 3 wird die zweite internationale Konferenz des PuppetPlays-Projekts mit dem Titel „Portrait of the Puppeteer as Author. Writing practices for puppets in Western Europe (17th – 21st century)“ ausgerichtet. Sie widmet sich Texten, die von Puppenspieler*innen geschrieben wurden
und untersucht überlieferte Stücke der verschiedenen westeuropäischen Traditionen bis hin zu zeitgenössischen Bühnenwerken. – www.puppetplays.eu – www.univ-montp3.fr Noch bis 1. Mai können Papers für die internationale Konferenz „Early European Puppetry Studies“ eingereicht werden. Sie widmet sich der Erforschung des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen europäischen Puppenspiels und findet vom 12. bis 15. Oktober 2023 an der Yale Universität in New Haven statt. Beitragsvorschläge sollten in 300 Wörtern das eigene Thema umreißen und per Mail an earlyeuropeanpuppetrystudies@ gmail.com gesendet werden. – www.earlyeuropeanpuppetrystudies.com
JUBILÄUM Das FITZ Theater animierter Formen und der Studiengang Figurentheater an der HMDK Stuttgart feiern ihr 40-jähriges Jubiläum. Den Startschuss bildete am 5. Februar das Symposium zum Thema „Die Kunst lebendig zu machen – 40 Jahre Animationskunst im Kessel“ im Rahmen der IMAGINALE 2023. Das eigentliche Fest findet vom 1. bis 23. Juli statt. Mit Walk-Acts, szenischen Interventionen, Figurentheater, Musikperformances, Tanz und Cirque Nouveau bringen beide Institutionen das Theater animierter Formen auf die Straße. – www.fitzstuttgart.de – www.hmdk-stuttgart.de Mit einem bunten Spielplan und liebevoll gestaltetem Jahrbuch feiert der Westflügel Leipzig dieses Jahr sein 20-jähriges Bestehen. Das denkmalgeschützte Gebäude bietet seit 2003 eine Bühne für Theater, Konzerte, Ausstellungen, Performances und vieles mehr. Der Fokus liegt dabei auf internationalem Figuren- und Objekttheater. – www.westfluegel.de Die Augsburger Puppenkiste feierte im März ihr 75-jähriges Bestehen u. a. mit einer Jubiläumsausstellung. Klaus Marschall leitet das 1948 von Walter Oehmichen gegründete Theater mit Museum seit 1992 in dritter Generation. – www.augsburger-puppenkiste.de
PREISE Am 25. November 2022 wurde Stefan Kügel, Träger des Kulturpreises der Stadt Erlangen 2020, mit einer großen Feier gewürdigt. Die Preisverleihung an den Figurenspieler, Gründer und kreativen Leiter des Theaters Kuckucksheim war coronabedingt verschoben worden. Sie wurde nun, gemeinsam mit der Verleihung an den Preisträger von 2022, den Comic-Künstler Michael Jordan, nachgeholt. Die Stadt Erlangen würdigt damit „die außergewöhnliche kulturelle Leistung eines begnadeten und engagierten Theatermachers der ganz besonderen Art“, wie es in der Laudatio auf Stefan Kügel hieß. – www.kuckucksheim.de Bewerbungen für den Fritz-Wortelmann-Preis der Stadt Bochum sind noch bis zum 16. April möglich. Er wird in drei Kategorien vergeben: „Professioneller Nachwuchs“, „Erwachsene Amateure“ und „Jugendclubs und Schultheater“. Teilnahmeberechtigt sind Theaterprojekte, die Puppen, Figuren, Objekte oder Masken in ihren Stücken einsetzen und/oder auf der Bühne Animationsformen neuer Medien verwenden. Auch digitale Arbeiten, die dem Bereich des Figuren- und Objekttheaters zuzuordnen sind, sind zugelassen. – www.fidena.de
PUBLIKATIONEN Im transcript Verlag haben Dr. Azadeh Sharifi und Dr. Lisa Skwirblies den Sammelband „Theaterwissen-
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schaft postkolonial/dekolonial. Eine kritische Bestandsaufnahme“ herausgegeben, der ausgehend von Erfahrungen in Lehre, Forschung und Theaterpraxis, danach fragt, wie eine post- oder dekoloniale Theaterwissenschaft aussehen könnte. Das Buch steht auf www.transcript-verlag.de als Open Access zur Verfügung. Der Heidelberger Universitätsverlag „WINTER“ plant die Veröffentlichung des Sammelbands „In the Beginning Were Puppets: Towards a Poetics of Puppetry“ für Mai 2023. Er geht aus der gleichnamigen Konferenz hervor, die 2020 in Salzburg stattgefunden hat und widmet sich der Puppe als neuem und aufschlussreichem Zugang zu zeitgenössischen kritischen Debatten über Aufführung, Genre, Affekt, Ästhetik, kulturelle Produktion, politischen Aktivismus und nichtmenschliche Studien. – www.winter-verlag.de Im Routledge Verlag erscheinen im Sommer 2023 mehrere wissenschaftliche Publikationen zum Figurentheater, u. a. „Object Performance in the Black Atlantic“ von Paulette Richards, „A Galaxy of Things. The Power of Puppets and Masks in Star Wars and Beyond“ von Colette Searls, und „Reading the Puppet Stage. Reflections on the Dramaturgy of Performing Objects“ von Claudia Orenstein. – www.routledge.com
FÖRDERUNG Die Bundesregierung unterstützt die Kulturszene durch den Kulturfonds Energie bei der Bewältigung der Energiekrise und stellt dafür bis zu eine Milliarde Euro zur Verfügung. Der Förderzeitraum des Fonds erstreckt sich rückwirkend vom 1. Januar 2023 bis zum 30. April 2024 und wird als Bund-Länder-Kooperation umgesetzt. Weitere Informationen zum Fonds und den Förderkriterien finden sich auf www.kulturfonds-energie.de
AUSSTELLUNGEN Im Museum für PuppentheaterKultur (PuK) der Stadt Bad Kreuznach wurde am 21. März 2023 der neu gestaltete Ostflügel der Dauerausstellungshalle eröffnet, der sich dem Lebenswerk von Prof. Albrecht Roser widmet. Der Puppenspieler und Regisseur war Mitbegründer des Stuttgarter Figurentheaterstudiengangs und wurde mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. – www.badkreuznach.de Vom 22. April 2023 bis zum 7. Januar 2024 präsentiert das Münchner Stadtmuseum die Ausstellung „(K) ein Puppenheim. Alte Rollenspiele und neue Menschenbilder“ in interdisziplinärer Kooperation mit der Sammlung Goetz und der Sammlung Fotografie des Museums. Sie versteht sich als kritische Revision der Dauerausstellung Puppentheater / Schaustellerei des Münchner Stadtmuseums, die von 1984 bis 2022 zu sehen war. In einem thematisch gegliederten Parcours sind rund 500 Werke von mehr als 50 Künstler*innen und Kunsthandwerker*innen zu sehen. Im Zentrum stehen historische und aktuelle Rollenzuschreibungen sowie Aspekte des menschlichen Miteinanders. – www.muenchner-stadtmuseum.de
PERSONELLES Ab Herbst übernimmt Susanne Koschig die Leitung des Geraer Puppentheaters. Die bisherige Dramaturgin und Pressedramaturgin des Theaters Waidspeicher folgt damit auf Sabine Schramm, die mit der neuen Spielzeit die Intendanz des Puppentheaters Magdeburg übernimmt. – www.tpthueringen.de
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NOTIZEN
GESTORBEN Die Leiterin des Schattentheater Festivals Schwäbisch Gmünd, Sybille Hirzel, ist im Februar im Alter von 63 Jahren verstorben. Über 20 Jahre lang prägte sie den Charakter des Festivals, für das sie im Jahr 2000 zunächst die Organisationsleitung und ab 2007 die künstlerische Leitung übernahm. Das Internationale Schattentheater Festival Schwäbisch Gmünd ist das älteste und einzige fortlaufende Festival für zeitgenössisches Schattentheater weltweit und fand zuletzt im Oktober 2022 statt. – www.schwaebisch-gmuend.de/schattentheater-festival
SONSTIGES Ende Mai startet eine neue Podcastreihe vom Deutschen Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, die auf Spotify, Apple Music und der Website www.fidena.de veröffentlicht wird. In der ersten Folge spricht Christofer Schmidt mit Anna-Maria Polke vom Musiktheater im Revier über Dramaturgie im Figurentheater und das erste Musiktheater mit eigener Puppensparte. Der Westflügel Leipzig startet mit „Twist it! Figur und Tanz“ eine neue Reihe, in der sich das Figurentheater mit anderen künstlerischen Genres auseinandersetzt. Vom 15.– 19. Juni 2023 werden internationale Produktionen zwischen Figur und Tanz gezeigt, die mit und an dieser Schnittstelle arbeiten. Kooperationspartner der Reihe sind LOFFT – DAS THEATER, das Deutsche Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst und 4fT Tanzplattform. – www.westfluegel.de
18.05.–04.06.2023 Lissabon (Portugal) FIMFA Lx23 International Festival of Puppetry and Animated Forms www.tarumba.pt
01.09.–06.09.2023 Plovdiv (Bulgarien) International Puppet Theatre Festival www.pptheatre.com
20.05.–28.05.2023 Hamm, Ahlen & andere Städte der Region Hellweg (Deutschland) hellwach. internationales Theaterfestival für junges Publikum www.helios-theater.de
08.09.–10.09.2023 Preetz (Deutschland) 36. Preetzer Papiertheatertreffen www.papiertheatertreffen-preetz.de
25.05.–28.05.2023 Talinn (Estland) Talinn Treff International Visual Theatre Festival www.eestinoorsooteater.ee 25.05.–03.06.2023 Saarbrücken/Moselle (Deutschland/Frankreich) Festival Perspectives www.festival-perspectives.de 02.06.–04.06.2023 Hohnstein (Deutschland) Hohnsteiner Puppenspielfest www.hohnsteiner-puppenspielfest.de
09.09.–22.09.2023 Bottrop (Deutschland) Bottroper Figurentheatertage www.bottrop.de 13.09.–17.09.2023 Basel (Schweiz) BAFF! Internationales Basler Figurentheater Festival www.figurentheaterfestival.ch 14.09.–17.09.2023 Bochum (Deutschland) 48. Fritz-Wortelmann-Preis www.fidena.de
08.06.–11.06.2023 Morschen (Deutschland) Blickfang Figurentheater-Festival www.kultursommer-nordhessen.de
14.09.–17.09.2023 Frankfurt/Oder (Deutschland) Osthafen X. Internationales Festival für Puppen- und Objekttheater www.theaterdeslachens.de
08.04.–16.04.2023 Newcastle upon Tyne (England) Moving Parts Arts www.movingpartsarts.com
09.06.–18.06.2023 Terschelling (Niederlande) Oerol #festivaleiland www.oerol.nl
15.09.–17.09.2023 Dordrecht (Niederlande) International Microfestival www.poppentheaterdamiet.nl/microfestival
21.04.–26.04.2023 Berlin (Deutschland) AUGENBLICK MAL! www.augenblickmal.de
14.06.–18.06.2023 Aarhus (Dänemark) ILT Festival www.iltfestival.dk
15.09.–24.09.2023 Steinau an der Straße (Deutschland) 29. Steinauer Puppenspieltage www.steinau.eu
02.05.–07.05.2023 . Klaipeda (Litauen) Materia Magica www.materiamagica.lt
15.06.–24.06.2023 Wels (Österreich) Internationales Welser Figurentheaterfestival www.figurentheater-wels.at
16.09.–24.09.2023 Charleville-Mézières (Frankreich) Festival Mondial des Théâtres de Marionnettes www.festival-marionnette.com
05.05.–07.05.2023 Lleida (Spanien) Fira de Teatre de Titelles de Lleida www.firatitelles.blogspot.com
16.06.–18.06.2023 Baden (Schweiz) figurati! Figurentheaterwochenende www.figura-festival.ch
10.05.–15.05.2023 Segovia (Spanien) Titirimundi www.titirimundi.es
05.07.–25.07.2023 Avignon (Frankreich) Festival d’Avignon www.festival-avignon.com
10.05.–04.06.2023 Paris (Frankreich) Biennale internationale des arts de la marionnette (BIAM) www.lemouffetard.com
28.07.–05.08.2023 Graz (Österreich) La Strada Graz www.lastrada.at
FESTIVALKALENDER
21.09.–01.10.2023 Husum (Deutschland) 39. Pole Poppenspäler Tage www.husum-tourismus.de 13.10.–22.10.2023 Augsburg (Deutschland) klapps PuppenSpielTage www.klapps.de 03.11.–05.11.2023 Dülmen (Deutschland) Figurentheatertage www.hille-puppille.de
11.05.–19.05.2023 Hohenems (Österreich) Homunculus Figurentheater Festival www.homunculus.info
18.08.–27.08.2023 Northeim (Deutschland) 7. Deutsche Figurentheaterkonferenz & Festival mit Hand und Fuß www.vdp-ev.de / www.unima.de
03.11.–09.11.2023 Berlin (Deutschland) Theater der Dinge www.theaterderdinge.com
12.05.–21.05.2023 Erlangen, Nürnberg, Fürth, Schwabach (Deutschland) internationales figuren.theater.festival www.figurentheaterfestival.de
23.08.–27.08.2023 Helsinki (Finnland) SAMPO Festival www.sampofestival.fi
07.11.–11.11.2023 Potsdam (Deutschland) Unidram www.unidram.de
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IMPRESSUM
AUTOR*INNEN Jörg Baesecke, Präsident der Gesellschaft zur Förderung des Puppenspiels, München und Geschichtenerzähler, Kleinste Bühne der Welt, Pullach / Bodo Birk, Abteilungsleiter Festivals und Programme im Kulturamt der Stadt Erlangen / Lucas Boelter, Student Kommunikationsdesign und Szenografie an der FH Dortmund / Franziska Burger, Theaterwissenschaftlerin, Bern / Antonio Cerezo, Künstler, KMZ Kollektiv, Mexiko – Berlin / William Condee, Theaterwissenschaftler, Baker and Hostetler Professor Emeritus of Humanities an der Ohio University / Colin Danderski, Student der Abteilung Zeitgenössische Puppenspielkunst an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin / Mascha Erbelding, Leiterin der Sammlung Puppentheater – Schaustellerei des Münchner Stadtmuseums / Ludomir Franczak, Künstler, Kurator und Aktivist, Lublin, Polen / Annika Gloystein, Theaterwissenschaftlerin und Kulturmanagerin, Erlangen / Herbert Heinzelmann, Medienwissenschaftler und freier Journalist, Nürnberg / Michael Helbing, Kulturjournalist und Kritiker, Weimar / Atif Mohammed Nour Hussein, Puppenbauer, Szenograph, Regisseur, Berlin / Kantatach Kijtikhun, Fotograf und Musiker, un.thai.tled, Berlin / Theerawat Klangjareonchai, Medienkünstler, un.thai.tled, Bangkok / Katja Kollmann, Kulturjournalistin, Berlin / Janna Mohr, Puppenspielerin und Co-Leiterin des Jungen Theaters am Theater Orchester Biel Solothurn / Petra Mostbacher-Dix, Journalistin, Stuttgart / Tobi Poster-Su, Puppenspieler, Autor und Theaterwissenschaftler, Queen Mary University of London/Bath Spa University (UK) / Laia RiCa, Künstlerin, KMZ Kollektiv, El Salvador – Berlin / Dr. Paulette Richards, Puppenkünstlerin und Forscherin, Atlanta, USA / Alexander Rudolfi, Schriftsteller, Hannover / Tim Sandweg, Künstlerischer Leiter der Schaubude Berlin / Jule Saßmannshausen, Studentin Freie Kunst an der HBK Braunschweig sowie Philosophie und Germanistik an der TU Braunschweig / Moritz Schönbrodt, Puppentheaterschaffender und Autor, Biel/Bienne / Raksa Seelapan, PerformanceKünstlerin, un.thai.tled, Hamburg / Dr. Jungmin Song, Assistenzprofessorin in Residenz an der University of Connecticut und Forschungsmitarbeiterin, Ballard Institute and Museum of Puppetry / Prapatsorn Sukkaset, Bühnenbildner, un.thai.tled, Bangkok / Jaqueline Surer, Figurenspielerin und Co-Leiterin der Figurentheatersparte am Luzerner Theater / Magali Tosato, Regisseurin und Autorin, mikro-kit Kollektiv, Berlin / Prof. Dr. Meike Wagner, Inhaberin des Lehrstuhls für Theaterwissenschaft, LMU München / Leah Wewoda, Studentin der Abteilung Zeitgenössische Puppenspielkunst an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin Übersetzungen Summaries: Roy Kift / Korrektorat: Christina Röfer, Christofer Schmidt
Impressum double. Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater – Herausgegeben vom Deutschen Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, Bochum – www.fidena.de Das Magazin erscheint in redaktioneller Verantwortung des Vereins zur Förderung der Kunst und Kultur des Puppen-, Figuren- und Objekttheaters (V.i.S.d.P.) und in Zusammenarbeit mit dem Verlag „Theater der Zeit“. Redaktion: Mascha Erbelding (Thema), Annika Gloystein (verantw.), Christina Röfer, Tim Sandweg, Katja Spiess, Dr. Meike Wagner / Redaktionsbüro: Christofer Schmidt Redaktion Schweizer Fenster: Franziska Burger, Jacqueline Surer Beirat: Silvia Brendenal, Christoph Lepschy, Anke Meyer, Dr. Gerd Taube Redaktionsanschrift: Redaktionsanschrift: Redaktion double, Deutsches Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, Hattinger Str. 467, 44795 Bochum / Telefon: 0234.477 20 / redaktionsbuero@double-theatermagazin.de Gestaltung: Robert Voss, Halle (Saale) Verlag: Theater der Zeit, Berlin – www.theaterderzeit.de Bezug: double ist erhältlich – als Beilage der Abonnenten-Auflage von „Theater der Zeit“ – als gesondertes double-Abonnement: zwei Ausgaben double und zwei Ausgaben Theater der Zeit für 16 EUR pro Jahr (Ausland zzgl. 6 EUR Porto) – als Einzelausgabe, gedruckt oder als pdf-Datei Abo-Service: 030.4435 285-12 oder über www.theaterderzeit.de Anzeigen: Deutsches Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, Hattinger Straße 467, 44795 Bochum, Telefon: 0234.4 77 20 // info@fidena.de Druck: Druckhaus Sportflieger, Berlin Alle Rechte bei den Autor*innen und der Redaktion, Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Für unaufgefordert eingesandte Bücher, Fotos und Manuskripte übernimmt die Redaktion keine Haftung. Bei Nichtlieferung infolge höherer Gewalt oder infolge von Störungen des Arbeitsfriedens bestehen keine Ansprüche gegen den Herausgeber oder den Verlag. Die double-Redaktion bemüht sich um gendergerechte Sprache, belässt dabei aber den Autor*innen ihre individuelle Form der Umsetzung. Die Artikel der Rubrik „Schweizer Fenster“ folgen der Orthografie des Schweizer Hochdeutschs. Redaktionsschluss Für das vorliegende Heft war der 28. Januar 2023. double 48 erscheint im November 2023. Redaktionsschluss für diese Ausgabe ist der 27. August 2023. Das Thema des nächsten Hefts ist „Performative Utopie“. www.double-theatermagazin.de – www.fidena.de – www.theaterderzeit.de
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TWIST
15.–19.06.2023
IT! Festival mit internationalen Positionen an der Schnittstelle von Tanz und Figurentheater im Westflügel Leipzig –––– www.westfluegel.de
FIGU R
& TANZ
In Kooperation mit LOFFT – DAS THEATER, Deutsches Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst e.V. und 4ft Tanzplattform
Gefördert durch die Stadt Leipzig und den Freistaat Sachsen. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.