double 44 – Regie? Zwischen Autor*innenschaft und Außenblick

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NACHRUF

PUPPENSPIELER, ERFINDER. AUSSTATTER Zum Tod von Günther Lindner (1948-2021) Von S i l v i a Bre nd e n a l /// Am 9. März 2021 starb Günther Lindner. Ich weiß nicht mehr genau, wann ich ihn das erste Mal auf der Bühne sah. War es 1982, in der beim III. Nationalen Puppentheaterfestival der DDR ausgezeichneten Inszenierung „Einzweidreivierfünfsechssieben“ der Gruppe Zinnober, war es in der ebenfalls preisgekrönten Zinnober-Produktion „Bremer Stadtmusikanten“? Aber ich weiß noch, dass mir schon damals seine ebenso vielfältige wie unauffällige, beinahe diskrete Spielweise gefiel. Mit leiser Intensität gestaltete er seine Figuren, um diese dann in bestimmten szenischen Momenten brillieren zu lassen.    Das letzte Mal sah ich ihn in einer Video-Aufzeichnung des „Verliebten kleinen Stiers“, einer Produktion des Theaters o.N., in der mich dieser dezente, präzise Künstler wieder in seinen Bann zog. Mit einem Hauch von komisch-ironischer Distanz gestaltete er die darstellerischen Randfiguren dieser Geschichte, dem kleinen Stier jedoch gab er genau jene arglose Liebenswürdigkeit, die ihm die Empathie der kleinen und großen Zuschauer sicherte. Günther Lindner kannte eines der Geheimnisse der Schauspielkunst: Er vermochte mit seinem Spiel tief zu berühren.    Und er schuf zudem oft die Puppen, die Szenografien der Inszenierungen, in denen er mitwirkte. Im „Verliebten Stier“ sind das zarte, aufklappbare Bühnenbild, die silhouettenhaften Puppen und die ausdrucksvollen Masken Teile eines anmutigen, bildnerischen Ganzen.    Als Puppenspieler, Erfinder und Ausstatter umschrieb er sich selbst und erzählte damit viel von der Fülle seines originären Künstlertums. Fast jede Inszenierung, in der er spielte, prägte er auf seine eigene, unverwechselbare Weise mit. Sei es durch die ihn charakterisierende Spielweise, sei es durch seine ausstatterischen Ideen oder szenografischen Erfindungen, oft getragen von seiner fantasievollen Suche nach den theatralischen Ausdrucksmöglichkeiten des gerade zu erforschenden Materials.    Seine gesamte berufliche Biografie ist die eines gleichermaßen Suchenden wie Wissenden. Sie reicht vom ausgebildeten Konditor über das Studium der Theologie bis zum Eleven am neugegründeten Puppentheater Neubrandenburg. Nach der Bühnenreifeprüfung an der Staatlichen Schauspielschule Berlin ging er nach Berlin, um dort Mitglied von „Zinnober“, der ersten freien Theatergruppe der DDR, zu werden. In diesem Theater-Verbund großartiger, kreativer Persönlichkeiten hat er sein künstlerisches und geistiges Zuhause gefunden. Das von „Zinnober“ präferierte biografische Theater, die auf Improvisation basierende Spielweise, die immer wieder neuen Anforderungen an das darstellende Material – Schatten, Puppen, Dinge, Objekte – , das permanente Hinterfragen gesellschaftlicher Verhältnisse, wurden auch Grundlage seines schöpferischen Seins. 2010 nahm er all das mit in das „Zinnober“ nachfolgende „Theater o.N.“ und erweiterte es um viele Facetten, u.a. Musik und Theater für kleine Kinder ab 2 Jahren, szenische Projekte mit Schulkindern ...    Die letzte Arbeit, die er plante, war die musikalische Inszenierung „Nachtgewächse“ – Barockmusik für Kinder. Er konnte sie nicht mehr realisieren, denn Gevatter Tod stellte sich an das Fußende seines Bettes.    Uta-Griseldis Lindner und Iduna Hegen werden das Projekt in seinem Sinne auf die Bühne bringen. Die Premiere soll an Günthers 1. Todestag stattfinden. Günther Lindner. Inszenierungsfoto: David Beecroft

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