Same SAME but different Reenactment im Figurentheater
INHALTSVERZEICHNIS
E D I T O R I A L
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THEMA
Same, same but different – Reenactment im Figurentheater
Meike Wagner
Wiederholung, Wiedergänger und weitere Aussichten Reenactment als affektive Vergegenwärtigung des Historischen
Ulrike Wörner von Faßmann Eigentümlich, dass es um die Sache nicht stille werden kann Oskar Schlemmers Triadisches Ballet
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Florian Feisel
Der Atem des Raumes Erfahrungen mit einem re- & precycelten Begegnungsraum
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Johanna Zorn
Ohne Antwort Der Horror der Wiederholung und dessen Erwiderung in einem Theater der Dinge
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Komplizierte Schwangerschaften, Nacht-und-Nebel-Aktionen und andere Redaktionsfälle Ein Rückblick auf die Gründung des double-Magazins mit denen, die damals dabei waren
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Rückblick auf 49 double-Cover
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Jessica Hölzl
Wandel & Wechsel Das transformatorische Potenzial der FIDENA
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Franziska Reif
Resonanz mit Figur & Gesang Das zweite Festival „TWIST IT!“ im Westflügel Leipzig
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Gulliver für alle Das Puppentheater Halle feiert seinen 70. Geburtstag mit einem Spektakel
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Gerd Taube
Theorien der Puppe Wie sich theoretische Auseinandersetzung mit der Puppe und künstlerische Praxis wechselseitig beeinflussen
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Wir müssen jetzt in Aktion kommen Gespräch mit Andrea Gronemeyer über aktuelle Herausforderungen für das Kinder- und Jugendtheater
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Zwischen Experiment und Folklore Einblicke ins bulgarische Puppentheater
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Eine andere Art Familie Stefanie Oberhoff im Gespräch mit Katja Spiess über 20 Jahre Zusammenarbeit mit dem kongolesischen Espace Masolo
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Leah Wewoda
Den Blick für das eigene Schicksal schärfen „Nach Peer Gynt“ am Theater Koblenz
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Anke Meyer
Anderswo weit weg Die Brüsseler Cie. Gare Centrale zeigt „Letters from my Father“ in Bochum
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Robert Voss FESTIVAL
JUBILÄUM Tobias Prüwer DISKURS
STIPPVISITE Tim Sandweg INSZENIERUNG
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double 50
INHALTSVERZEICHNIS
SEITENBLICK Mareike Gaubitz AUSSTELLUNG
Ein Netzwerk mit großen Zielen Über den Start des Bündnisses KompleXX Figurentheater
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Christofer Schmidt
Ein Museum als Wellnessoase für Puppen Die Puppentheatersammlung der SKD zieht ins Kraftwerk Mitte
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Material, Objekt, Figur Das Hamburger Puppentheater erfindet sich neu
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Aufbruchstimmung in der Schweizer Figurentheaterszene
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PORTRÄT Falk Schreiber SCHWEIZER FENSTER Jacqueline Surer
E N G L I S H S U M M A R I E S
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NOTIZEN/FESTIVALKALENDER
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I M P R E S S U M
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Titel: Figurentheater Paradox, Mrs. Ikarus. Foto: Susanne Wegner (bearbeitet von Robert Voss)
Contents double 50: THEME: Same, same but different – Reenactment in Figure Theatre // Meike Wagner Here’s to something new! Reenactment as a strategy of displacement // Ulrike Wörner von Faßmann Oddly enough, there can be no silence on this subject Oskar Schlemmer’s Triadic Ballet // Florian Feisel An empty room full of things Field report with a re- & pre-cycled meeting space // Johanna Zorn Without an answer The horror of repetition and its response in a theatre of things // Complicated pregnancies, night-and-fog actions and other editorial cases A look back at the founding of double magazine with those who were there at the time // Robert Voss Overview of 49 double covers
FE ST IVALS Jessica Hölzl Change &
transformation The transformational potential of FIDENA // Franziska Reif Resonance with figure and song The second ‘TWIST IT!’ festival at Westflügel Leipzig
A N N I V ERS AR Y Tobias Prüwer Gulliver for all The Halle Puppet Theatre celebrates its 70th birthday with a spectacular show
DIS CUS -
SI O N Gerd Taube Theories of the puppet How theoretical analyses of the puppet and artistic practice influence each other // Children‘s theatre must be art Andrea Gronemeyer in conversation with Mascha Erbelding
FLYING VISIT Tim Sandweg Between experiment and folklore Insights into
Bulgarian puppet theatre // A different kind of family Stefanie Oberhoff talks to Katja Spiess about 20 years of collaboration with the Congolese Espace Masolom
PRODUCTION Leah Wewoda Sharpening the view of one’s own destiny “After Peer Gynt” at Koblenz Theatre // Anke Meyer Elsewhere
far away The Brussels Cie. Gare Centrale and its show “Letters from my Father” in Bochum
SID E W AYS G LANCE Mareike Gaubitz A network
w i t h bi g a m bi t io n s On the launch of the KompleXX puppet theatre alliance E XHIBIT ION Christofer Schmidt A museum as a wellness oasis for puppets The SKD puppet theatre collection moves into Kraftwerk Mitte PORT RAIT Falk Schreiber Material, object, figure The Hamburg Puppet Theatre reinvents itself S W I S S W I N D O W Jacqueline Surer A spirit of optimism in the Swiss puppet theatre scene
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double 50
EDITORIAL
SAME, Same but different Reenactment im Figurentheater Vor genau 20 Jahren wurde double gegründet und unsere Leser*innen halten gerade die 50. Ausgabe in der Hand. Dieses Doppeljubiläum war für uns Anlass, den Blick zurück nach vorne zu richten und das Heftthema ‚Reenactment‘ mit der Heftgründung in Verbindung zu bringen. Haben Sie es erkannt? Das Cover greift das Titelbild des allerersten Heftes auf, und auch einige mit ‚Reenact!‘ gekennzeichnete Beiträge spinnen Themen von double 1 weiter fort. Neben aktuellen Berichten nehmen wir uns die Zeit, um unsere Reise zu reflektieren. In ihrem Auftaktbeitrag diskutiert Meike Wagner die historischen Überlagerungen, die durch Identität und Differenz des Reenactments im politischen Protest entstehen. Ulrike Wörner von Faßmann bespricht die wohl am häufigsten wiederholte und überschriebene Theateraufführung, nämlich das Triadische Ballett von Oskar Schlemmer, dessen überlieferte Kostüme geradezu zum Reenactment einladen. Florian Feisel stellt die gemeinsam mit Antje Töpfer erarbeitete Theaterinstallation Zo-on (2023) vor, die aus bereits früher verwendeten Objekten und Materialien nachhaltig entwickelt wurde, um im materiellen Reenactment völlig neue Erfahrungsräume des ‚worlding‘ zu eröffnen. Die Entleerung und gewaltvolle Wirkung eines beständig wiederholten PerformanceAktes beschreibt Johanna Zorn und zeigt auf, wie die ‚Macht der Dinge‘ ein tragikomisches Beziehungsgeflecht von Wiederholungen erzeugt. Die Redakteur*innen der ersten Stunde – Silvia Brendenal, Christoph Lepschy, Anke Meyer, Katja Spiess, Gerd Taube und Meike Wagner – geben exklusive Einblicke in die Magazingründung vor 20 Jahren. Dabei sprechen sie über die erneute Lust am Magazin-Machen sowie über die Herausforderungen ehrenamtlicher redaktioneller Arbeit. Im Anschluss daran leitet Robert Voss mit einer Zusammenstellung aller bisher erschienenen double-Cover in den Heftteil über. Hier widmen sich unsere Autor*innen den Festivals FIDENA in Bochum und TWIST IT! Figur & Gesang in Leipzig. Zudem wird das groß angelegte 70-jährige Jubiläum des Puppentheaters Halle beleuchtet. Unter der Überschrift ‚Reenact!‘ nehmen Gerd Taube, Mascha Erbelding und Katja Spiess Bezug zur ersten double-Ausgabe und lassen Inhalte von damals in einem neuen Kontext wieder aufleben: Gerd Taube wirft mit 20 Jahren Abstand einen Blick auf die Weiterentwicklung theoretischer Diskurse rund um das Puppenspiel. Mascha Erbelding spricht mit Andrea Gronemeyer über die jüngsten Entwicklungen im Kinder- und Jugendtheater. Katja Spiess reflektiert gemeinsam mit Figurenspielerin Stefanie Oberhoff ihre mittlerweile 20-jährige Zusammenarbeit mit dem kongolesischen Espace Masolo. Tim Sandweg hat während einer zweiwöchigen Recherche in Bulgarien wertvolle Einblicke in die dortige Figurentheaterszene gewonnen. Leah Wewoda berichtet von der Inszenierung „Nach Peer Gynt“ am Theater Koblenz, die das Publikum mit der Unbarmherzigkeit des Schicksals konfrontiert. Auch Anke Meyer thematisiert in ihrem Bericht zu „Letters from my father“ ein Schicksal, nämlich das sehr persönliche Schicksal der Objekttheaterikone Agnès Limbos. Mareike Gaubitz informiert über das bedeutende Bündnisprojekt „KompleXX Figurentheater“, während Christofer Schmidt von der lang ersehnten Wiedereröffnung der Dresdner Puppentheatersammlung berichtet. Abschließend stellt Falk Schreiber in seinem Porträt die neue Leitung des Hamburger Puppentheaters vor, bevor Jacqueline Surer im Schweizer Fenster von der neuen Aufbruchstimmung in der Schweizer Figurentheaterszene berichtet. Eine anregende Lektüre wünschen Meike Wagner und Christofer Schmidt
Precisely 20 years ago double was founded. Our readers just hold the 50th issue in their hands. This double jubilee was a motivation to look back and also forward. We hence link the theme of ‚reenactment‘ with the founding of the journal in specific ways. Have you recognized it? The cover re-interpretes the cover image of the very first issue from 2004. Some of the contributions, marked with ‘Reenact!’ continue themes from double 1 and further develop them. Alongside new articles we take some time to reflect on our journey.
Rencontre des Superheroines Kinsuka. Foto: Espace Masolo
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double 50
THEMA
WIEDERHOLUNG, WIEDERGÄNGER UND WEITERE AusSICHTEN Reenactment als affektive Vergegenwärtigung des Historischen Die Autorin zieht eine Linie vom Reenactment des politischen Protests zum performativen Reenactment, das neben der Wiederholung des Historischen auch eine spielerische Ebene zum zukünftig Möglichen eröffnet. V o n M e i k e W a g n e r /// Als Erdem Gündüz am 17. Juni 2013 die Pose des ‚standing man‘ auf dem Taksim-Platz einnahm, war er sich als Künstler, Tänzer und Aktivist bewusst, dass seine politische Performance sehr bald eine Wirksamkeit entfalten würde. Nach kurzer Zeit wurden Passant*innen aufmerksam, einige gesellten sich zu ihm, andere fotografierten. Schon nach 5 Stunden war sein Bild durch Social Media, nationale und internationale Fernsehsender ikonisch geworden, seine Aktion wurde durch Medialisierung zum historischen Ereignis: Ein junger Mann mit einem weißen Hemd und dunkler Hose, die Hände in den Hosentaschen, der Rucksack vor ihm auf dem Boden, steht auf einem Platz. Immer mehr Menschen versammelten sich dort neben ihm. Nach acht Stunden begann die Polizei gewalttätig zu intervenieren, sodass Gündüz die Aktion abbrach, um sich und die Demonstrierenden zu schützen. In den nächsten Tagen jedoch kamen immer wieder Protestierende, um erkennbar Gündüz' Haltung einzunehmen, als Kopie und Reenactment seines ‚stand-in‘. Selbst eine Schaufensterpuppe in entsprechendem Kostüm und mit Rucksack wurde auf dem Taksim-Platz aufgestellt. Waren die Protestierenden nun zu Puppen geworden, mechanischen Gesetzen der politischen Aktion folgend? Oder verkörperte die Puppe eine Abwehrgeste gegen die Polizeigewalt (Tränengas, Prügel), die an ihr nur abprallen konnte? Der stille und passive Protest irritierte die Polizeikräfte erheblich, zumal er sowohl als Gruppenaktion – leicht als illegale Versammlung zu denunzieren – und als Einzelaktion – schlecht von harmlosem Bürgerverhalten zu unterscheiden – seinen vollen Effekt entwickelte.
D i e ‚ R e v o lt e g e g e n d i e Z e i t ‘ Diese ‚Revolte gegen die Zeit‘1 war schlecht zu sanktionieren, aber als ikonisches Moment extrem leicht zu kopieren. Entsprechend verbreiteten sich die Reenactments in der ganzen Türkei, doch auch in anderen Ländern stellten sich Menschen plötzlich in ebendieser Pose an bestimmte Orte, um an dort geschehenes Unrecht oder dort situierte Machtmonumente zu erinnern, und sie so durch die zeitliche Zäsur, durch die Störung im gewöhnlichen Ablauf sichtbar zu machen. Dabei ging es gar nicht um eine korrekte Rekonstruktion von Gündüz' Performance, vielmehr wurde die Pose als wiedererkennbarer Kern reenacted, um von da aus die je eigene Differenz zu entwickeln. Same, same but different. Die Pose selbst löst sich vom Performer ab, der, selbst historisch geworden, keine individuelle Prägung mehr auf das Reenactment hat. Wenige kennen heute noch seinen Namen, aber das Schlagwort ‚standing man‘ ruft doch Erinnerungen hervor. Im September 2013, also nur wenige Monate nach seiner Protestaktion, wurde Erdem Gündüz nach Deutschland eingeladen, um den M100 Media Award entgegenzunehmen, der Personen verliehen wird, die sich für Demokratie, Menschenrechte und Pressefreiheit einsetzen. Die Berliner Zeitung traf ihn zum Interview und fotografierte Gündüz in seiner ‚standing man‘-Haltung auf der Glienicker Brücke.2 Hier traf also die Brücken-Ikone des kalten Krieges, ins Bildgedächtnis eingebrannt durch viele Hollywoodfilme, auf die Ikone des Protests gegen eine autoritäre Regierung. Das Reenactment lässt hier verschiedene historische Ebenen aufeinanderprallen, die sinnstiftende, aber auch äußerst schräge Bezüge herstellen.
Die affektive Wirksamkeit des präsenten Historischen Das historische, künstlerische und aktivistische Reenactment haben gemeinsam, dass sie eine affektive Wirksamkeit entfalten. Man könnte dies in Zusammenhang mit Ritual-Aspekten stellen, wie etwa Matthias Warstatt das tut.3 In dieser Hinsicht ist eine einfache Abbildung, eine repräsentative Kopie von historisch Gewesenem oder historischen Personen noch kein Reenactment. Das ‚enactment‘, also der Handlungsakt, das Tun erhält hier Gewicht vor dem ‚re‘, dem wiederholten Tun. Das Reenactment bringt den effektiven historischen Akt wieder zum Leben und ermöglicht uns so, eine affektive Bindung zu ihm zu entwickeln.
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Ist es das, was Suse Wächters Universum der ‚Helden des 20. Jahrhunderts‘ so anrührend macht? Sie bringt die ‚abwesenden anwesenden‘ Gespenster („Brechts Gespenster“, 2022) mit ihren exakten Puppenporträts auf die Bühne und lässt sie mit ihren eigenen Biografien spielerisch umgehen. Wir erkennen die porträtierten historischen Personen (Brecht, Marx, Nietzsche etc.) und haben eine ungefähre Vorstellung von ihrem Denken, ihrem Handeln und ihrer Wirksamkeit in der Zeit. Auf der Bühne stellen sie sich nun ins Verhältnis mit ihrem historischen Selbst, wiederholen ihr Handeln, konterkarieren es aber auch und eröffnen so eine Reflexionsebene, aber auch eine Menge Raum für Witz und Ironie.
Zwischen Abbildung und Performanz Ist dieser spielerische Umgang mit identischer Abbildung und Varianz im Tun ein Reenactment? Die Gestaltungsmöglichkeiten der Puppe sind natürlich hervorragend dafür geeignet, historische Abbilder zu ‚reenacten‘. Wie ich bereits erläutert habe, liegt jedoch der Kern der Sache im Tun. Was also tun diese Puppen auf der Bühne? Wiederholen sie die historischen Akte? Sind im Zusammenhang mit den bezeichneten Figuren überhaupt identifizierbare historische Ereignisse und deren Akte erinnert (so wie etwa der Kniefall Brandts in Warschau 1970 als historischer Akt verstanden wurde)? Oder sind es diffuse Handlungen und Denkhorizonte, für die diese Figuren stehen? Im Falle von Wächters Brecht ist es offensichtlich, dass ihre Porträt-Puppe sich herausragend eignet, sein Denken und künstlerisches Handeln darzustellen und zu reflektieren. Für historisches ‚enactment‘, das es zu wiederholen gilt im ‚reenactment‘, ist er nicht im kollektiven Gedächtnis abgespeichert.4 Dennoch liegt in Wächters ‚Wiedergängern‘ ein Potential, die Handlungen ihrer gespenstischen Porträt-Puppen als Gegenentwurf zu den historischen Ereignissen, als doppelten Boden der Geschichte sozusagen, zu behaupten. Ist es so gewesen? Aber sicher doch! Vom Wiedererleben der historischen Affizierung bis zur Neuschreibung der historischen Ereignisse – in diesem Spannungsfeld liegt das performative Reenactment. Denn jeder Akt auf der Bühne wird potentiell historisch und stellt sich dem historischen Akt an sich gegenüber. So öffnet sich eine Tür in mögliche Zukünfte, die Kunst vereint die Ebenen zum P/R/Enactment.5
1 So beschreibt Erdem Gündüz seine Aktion in einem Interview mit dem Tagesspiegel, 5.9.2013, https://www.tagesspiegel.de/potsdam/landeshauptstadt/einerevolte-gegen-die-zeit-7327951.html. 2 „Neunzehn Tage lang war es Tag“, in Berliner Tageszeitung, 4.9.2013, https://www.berliner-zeitung.de/archiv/taksim-platz-neunzehn-tage-lang-war-estag-li.533372. 3 Vgl. Matthias Warstatt, „Reenactment und Ritualisierung. Formen der Wiederholung in politischen Bewegungen“, in Theater als Zeitmaschine. Zur performativen Praxis des Reenactments, hg. von Jens Roselt und Ulf Otto, Bielfeld: Transcript, 2012, 213-228. 4 Vielleicht noch am ehesten im Zusammenhang mit seiner kontroversen Aussage vor dem McCarthy-Komitee 1947, dessen Radioausstrahlung sie zu einem historischen Ereignis machte. 5 Vgl. Performance zwischen den Zeiten. Reenactment und Preenactments in Kunst und Wissenschaft, hg. von Adam Czirak et al., Bielefeld: Transcript, 2019.
Eine Schaufensterpuppe auf dem Taksim-Platz, 2013. © picture alliance, Reuters, Foto: Murat Sezer
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THEMA
EIGENTÜMLICH, DASS ES UM DIE SACHE NICHT STILLE WERDEN KANN Oskar Schlemmers Triadisches Ballett Die Kulturwissenschaftlerin, Tanzhistorikerin und Kuratorin Ulrike Wörner von Faßmann setzt sich für double mit Oskar Schlemmers Triadischem Ballett auseinander und reflektiert einerseits über dessen revolutionäre Verbindung von Tanz, Raum und Form in der modernen Bühnengestaltung und andererseits über die Neufassung von Gerhard Bohner. Wörner von Faßmann untersucht, wie Schlemmers Triadisches Ballett in verschiedenen Epochen und Kontexten immer wieder neu interpretiert wird, Stichwort Reenactment, wobei der Entstehungsprozess, die ursprüngliche Idee und aktuelle Diskurse kritisch reflektiert und integriert werden. V o n U l r i k e W ö r n e r v o n F a ß m a n n /// Mit kritischem Blick auf die Tanzlandschaft seiner Zeit schlägt der bildende Künstler und spätere Bauhaus-Meister Oskar Schlemmer 1922 mit dem Triadischen Ballett seine Vision einer neuen Tanzkunst vor, die durch Ganzkörpermasken die künstlichen Mittel1 des Tanzes in den Vordergrund rückt und die Körper geradezu hinter den Kostümen zurücktreten lässt. Dem Geist der Zeit entsprechend den „Neuen Menschen“ auch im Tanz suchend, erscheint Schlemmer die Maskierung als Vehikel für Inhalte der Erneuerung und der Betonung des Künstlichen. Statt die Bewegungen aus Impulsen des inneren Seelenlebens abzuleiten oder die Perfektion der klassischen Technik zu erfüllen, geben hier die als Figurinen benannten Kostüme den Möglichkeitsrahmen vor. Vor dem Hintergrund aktueller Überlegungen zur gegenseitigen Beeinflussung von Mensch und Ding im Bereich des Objekttheaters sowie den Ansätzen der Neuen Materialismen in Bezug auf die Verschmelzung von organischem und mechanischem Bewegungsapparat liest sich diese interdisziplinäre Arbeit relevanter denn je. Der Tanz ist für Oskar Schlemmer eine Möglichkeit, seine Bildwelten in den Raum zu tragen. Gemeinsam mit dem Tänzer*innenpaar Elsa Hötzel und Albert Burger entwickelt er das Bewegungsmaterial für die jeweiligen Figurinen. Inspiriert von seiner eigenen Kunst und durch die Lektüre relevanter Texte über den Mensch-Maschine-Diskurs informiert, muten diese wie mal technisierte, mal animierte geometrische Formen an. Die insgesamt 18 Kostüme bestimmen die Signaturbewegungen der einzelnen Figuren. So vermag es die sogenannte Spirale aufgrund ihres starren, ausladenden Rocks zum Beispiel nicht, die Hände nahe am Körper herunterhängen zu lassen und der „Abstrakte“ (siehe Abbildung) kann mit seinen ungleichen Beinen nur auf eine bestimmte Art laufen.
Kostüme als zentraler Ausgangspunkt Interessanterweise sind die Kostüme nicht nur bei der Uraufführung („Erst war das Kostüm, die Figurine. Dann ward die Musik gesucht, die jenen am ehesten entsprach. Aus Musik und Figurine entwickelte sich der Tanz.“2), sondern auch bei den Rekonstruktionen der zentrale Ausgangspunkt dieses bis heute gezeigten Stücks. Nach einer bewegten und kurzen Aufführungsgeschichte, die Rechtsstreite, Musikwechsel und Dekorationsanpassungen beinhaltet, macht sich 1970 zunächst Margarete Hastings an eine Fassung des
Der Abstrakte, Originalfigurine aus Oskar Schlemmers Das Triadische Ballett, 1922. Foto: Staatsgalerie Stuttgart
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THEMA
Triadischen Balletts für das Fernsehen. Diese Version ist deutlich weniger erforscht als Gerhard Bohners Fassung von 1977, welche wiederum als Grundlage für die Neueinstudierung durch das Bayerische Junior Ballett 2014 dient. Aufgrund der vielgestaltigen Versionen der Originalfassung und der schwierigen Quellenlage nähert sich Gerhard Bohner für seine Fassung über den Nachvollzug des Entstehungsprozesses an: „Wenn ich von Rekonstruktion spreche, so meine ich nicht nur, die vorhandenen Aufzeichnungen wieder lebendig auf eine Bühne zu bringen, sondern auch den Versuch, den Entstehungsprozess nachzuvollziehen.“3 Die Phase der Sichtung seiner Arbeit reflektiert er wie folgt: „In diesem Stadium könnte man noch einmal die als Ausgang dienende frühe Bauhausfassung gegen spätere abwägen, könnte überlegen, ob man bei der möglichst genauen Rekonstruktion bleibt, oder ob man versucht, die Idee Schlemmers für sein Triadisches Ballett zwar zu verwenden, sie aber weiterzuentwickeln.“4 Mit diesen Überlegungen trifft Gerhard Bohner, noch bevor die Theoriebildung um Reenactments in Gang gesetzt war, ins Zentrum der Frage nach dem Unterschied zwischen Reenactment und Rekonstruktion im Tanz. Rekonstruktionen bzw. Überlieferungen von Choreographien von einer Generation zur nächsten gehören im Tanz zur gängigen Praxis. Je nachdem, welcher Definition gefolgt wird, unterscheiden sich Reenactments davon mit einem mehr oder weniger hohen Grad an Umgestaltung durch die reflexive Auseinandersetzung mit der Vorlage sowie die Berücksichtigung aktueller Diskurse und Wahrnehmungsmodi. Das Triadische Ballett von Gerhard Bohner ist wohl einer der berühmtesten Fälle, bei dem die Sicherung eines kanonischen Werkes ebenso eingelöst wurde wie die Befragung des Entstehungskontextes sowie der Zeit der entsprechenden Neufassung.
Rekonstruktion? Reenactment? Ist die heute in der Neueinstudierung des Bayerischen Jugendballetts gezeigte Version von Gerhard Bohner also eine Rekonstruktion? Ein Reenactment? Oder ein Cover5? Wie könnte ein heutiger, durch somatische Praktiken und Materialrecherche informierter Zugang aussehen, um mehr Eigenständigkeit gegenüber dem Original einzulösen? Einige Vorschläge liefert Schlemmer selbst – so plante er, einzelne Tänze so auszuarbeiten, dass sie für sich stehen können. Auch thematisiert er eine Bewegungsfindung, die vornehmlich auf den individuellen Körper – in diesem Fall seinen eigenen – zurückgeht.6 Wie würde also eine Version aussehen, bei der zeitgenössische Tänzer*innen in die Kostüme schlüpfen und ausprobieren, was diese sie einladen zu tun? Wie würde eine Version aussehen, die von einem Figurentheater-Team umgesetzt wird? Wie eine Version, die die Bewegungsmöglichkeiten und -unmöglichkeiten der jeweiligen Kostüme als Allegorie eines Mixed abled Casts liest? Die Hoffnung ist, dass die Auseinandersetzung mit diesem Stoff noch eine lange Geschichte vor sich hat und es weiterhin um diese Sache eigentümlicherweise nicht stille werden kann7, obwohl Schlemmer mehrmals versucht hatte, diese Arbeit loszulassen – um Neues zu schaffen. 1 „Die Mittel jeder Kunst sind künstliche, und jede Kunst gewinnt durch das Erkennen und Bekennen ihrer Mittel.“ (Tagebucheintrag von Oskar Schlemmer im September 1922, zitiert nach: Schlemmer, Tut (Hg.): Oskar Schlemmer – Briefe und Tagebücher, Georg Müller Verlag München, 1958, S. 134). 2 ebd., S. 136. 3 Gerhard Bohner zitiert in: Stück, Norbert: Die Abstrakten. Oskar Schlemmer und Gerhard Bohner. Das Triadische Ballett, Akademie der Künste Berlin, 2019, S. 27. 4 ebd. 5 vgl. hierzu Bleeker, Maaike A.: (Un)Covering Artistic Thought Unfolding, in: Dance Research Journal, Volume 44, Issue 2, Winter 2012, S. 13–25. 6 „Unsere gegenwärtige Tätigkeit, die Einstudierung der Tänze des Balletts, macht mir vollends die Tatsache klar, daß sie mit mir stehen und fallen. Was meinem Körper entsprechend ist und in meinem Körpergefühl bedingt ist, kann in der Kopie durch andere Körper nicht erreicht werden.” (Tagebucheintrag von Oskar Schlemmer am 28. Dezember 1919, zitiert nach: Schlemmer, Tut (Hg.): Oskar Schlemmer – Briefe und Tagebücher, Georg Müller Verlag München, 1958, S. 85). 7 „Die Bühnensache scheint für mich überhaupt wieder einmal akut zu werden. Im Museum of Modern Art soll im März eine Ausstellung „Industrial Art“ (…) stattfinden, wobei zur Eröffnung mein Triadisches Ballett vorgesehen ist. Es ist eigentümlich, daß es um diese Sache nicht stille werden kann!“ (Tagebucheintrag von Oskar Schlemmer am 25. Oktober 1937, zitiert nach: Schlemmer, Tut (Hg.): Oskar Schlemmer – Briefe und Tagebücher, Georg Müller Verlag München, 1958, S. 363).
Bayerisches Junior Ballett München, Das Triadische Ballett, Rekonstruktion Gerhard Bohner (UA 1977), Drahtrock und Goldkugeln, 2014. Foto: Wilfried Hösl
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THEMA
DER ATEM DES RAUMES Erfahrungen mit einem re- & precycelten Begegnungsraum Antje Töpfer und Florian Feisel hatten beide schon vor rund 10 Jahren zwei Solostücke entwickelt, die aus recycelten Bühnenmaterialien entstanden sind. Während bei „3 Akte“ oder der Lecture Performance „Puppen sterben besser“ verschiedene Objekte und szenische Materialien wiederverwendet wurden, stand bei dem Projekt „ZO-ON“ nur ein einziges Material im Vordergrund. V o n F l o r i a n F e i s e l /// Am Anfang war ein gewaltiges Ding, sechs Meter groß und rund und aufgeblasen. Glücklicherweise nahm es ohne Luft im Lagerraum nicht allzu viel Platz ein, doch angesichts von zehn Jahren Staubschicht auch dort die Frage: weg damit oder noch einmal verwenden? Ursprünglich als Werbeträger angefertigt wurde der gigantische Ball in zwei Stücken als Projektionsfläche verwendet. Auf der Suche nach einer Weiterverwendungsmöglichkeit entstand die Möglichkeit ein*e Zuschauer*in in das Innere der Kugel blicken zu lassen. Daraus entwickelte sich die Idee, im Rahmen einer szenischen Installation acht Besucher*innen gleichzeitig die Möglichkeit zu geben, den Kopf in das Innere der Kugel zu stecken.
Alles steckt im Material Vermutlich lebt jede künstlerische Arbeit von dem Verhältnis zwischen den Determinanten und den Variablen, also in der Spannung zwischen den vorab getroffenen Entscheidungen (z. B. in einer Konzeption formuliert) und den noch offenen Fragen (die es noch zu erproben gilt). Im Falle eines Recycling-Projektes fällt die Entscheidung für ein mögliches Material weniger aus einer Zielvorgabe und inhaltlichen Idee heraus in einer deduktiven Weise, sondern vielmehr entwickelt sich die Inszenierung induktiv aus dem Material heraus. Erst im Durcharbeiten des Materials offenbart sich, was dramaturgisch trägt und wohin die Reise inhaltlich geht. Bei der großen Kugel bestand eine unerwartet große Herausforderung darin, sie mit zahlreichen genügend dichten Zugängen zu versehen und mit der dafür erforderlichen Menge an Luft zu versorgen. Der Hersteller der Kugel bezweifelte, dass sich dieses Problem überhaupt technisch lösen ließe. So waren viele Versuche auf eigene Faust notwendig, um die passenden Typen und Mengen an leisen Industriegebläsen zu finden, die acht Köpfen den Aufenthalt in der Kugel ermöglichen konnten. Während alle sichtbaren Elemente (die große Kugel, acht kleinere Plastikkugeln auf Holzpodesten, das Bodentuch und eine Drehscheibe) allesamt aus vorangegangenen Inszenierungen recycelt waren, wurden unsichtbar sechs brandneue Lüftungsgebläse und acht sensorgesteuerte Soundmodule eingebaut. Diese Neuanschaffungen wurden gewissermaßen pre-cycelt, sie wurden in ihrem genormten Originalzustand belassen, so dass sie jederzeit wieder woanders ihrem Nutzen entsprechend eingesetzt werden könnten (so ist ein Gebläse bereits in die Lüftung eines Nachbarn gewandert). Am Ende all dieser Tüfteleien wurde es dann möglich, dass acht Menschen ihre Köpfe im Inneren zusammensteckten und sich drei Fragen stellten: Was gibt es zu tun? Worum dreht es sich hier drinnen? Womit wollen wir anfangen?
Vom Globalen zum Planetaren Ein entscheidender Impuls kam durch die dramaturgische Mitarbeit der Philosophin Judith Siegmund in der Hinwendung zum Begriff des Planetaren. In Abgrenzung zum Globalen, das in dem Begriff der Globalisierung gemeinhin in Verbindung mit Geld-
Antje Töpfer und Florian Feisel, ZO-ON. Foto: Oliver Götting
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und Handelsströmen oder Reiseverhalten zuallererst menschengemachte Strukturen beschreibt, erfasst eine planetare Sichtweise explizit viel größere Zusammenhänge. Sie ist geeignet, die Summe aller Verhältnisse, Beziehungen und Verbindungen auf dem Planeten Erde zu beschreiben und kann damit eine anthropozentrische Sichtweise relativieren, indem sie einerseits zeigt, welchen geringen Anteil die Menschheit an den Prozessen auf diesem Planeten hat und andererseits, wie tiefgreifend sich doch die menschengemachten Veränderungen im Anthropozän auswirken. Sie eröffnet dabei nicht nur den Blick auf die unbeschreibliche Komplexität des Lebens, sondern veranschaulicht auch dessen Fragilität, spielt sich doch alles was wir Leben nennen nur auf einem haudünnen Biofilm ab, einer lediglich 20 km breiten Schicht, die unsere Erde umgibt.
Bunte Kugel o d e r b l a u e M u r m e l – W e lt e n b i l d e r Ein Tischglobus gibt ein Beispiel für eine globalisierende Simplifikation unserer Welt. Bei einer politischen Darstellung zeigen die buntgefärbten Nationalstaaten die offensichtliche Banalität eines sehr naiven Weltschemas. Doch auch ein physischer Globus in „naturgemäßerer“ topografischer Darstellung vermittelt in dem Nebeneinander von Land- und Seegebieten ein sehr statisches Bild, das die Welt durch die Abgrenzung unterschiedlicher Bereiche nach dem Prinzip des Auseinanderhaltens beschreibt. Die Blue Marple, das ikonisch gewordene Foto unserer Erde aus dem Weltall (1972 von Raummission Apollo 17 aufgenommen) offenbart dagegen eine planetare Perspektive: ein in weiße Wolken gehüllter blauer Planet, die See- und Landflächen verschwinden gleichermaßen unter den weißen Wirbeln der permanenten Wasserbewegungen, die sich in der Atmosphäre entwickeln. Hier ist kein statisches Objekt zu sehen, vielmehr ein Bild von hochdynamischer Beziehungshaftigkeit, ein sich in ständigem Austausch befindlicher Organismus.
EinE Lehre aus der Leere Um diese Lebendigkeit auf die Geschehnisse in der aufblasbaren Kugel zu übertragen, wurde vieles versucht, probiert und gebastelt, eine kosmische Maschinerie gebaut und am Ende fast alles wieder verworfen – denn nichts war so stark wie die drei Fragen zu Beginn in der Leere der Kugel. Der Regisseur und Lichtkünstler Joachim Fleischer half als ‚Auge von Außen‘, eine radikale Entscheidung zu treffen: Alles muss raus, was den Raum dominiert! Alles, was die Präsenz dieses surrealen Ortes als solchen schwächt, muss gehen! Nichts darf von dem zentralen Bild ablenken, dass sich acht Köpfe in einem unbekannten Raum begegnen, einem Möglichkeitsraum ohne Ecken und Kanten und voller Irritationen. Praktisch bedeutete dies, dass alles, was kam, auch wieder gehen musste, damit der Raum immer wieder frei wurde für neue Bezüge. In akustischer Hinsicht war es einfach, ein Soundscape konnte das andere ablösen und die Lesbarkeit dieses Kosmos' völlig verändern. In materieller Hinsicht mussten viele Objekte herausfliegen – einzig ein elektronischer Vogel durfte sich dauerhaft an der Decke
Antje Töpfer und Florian Feisel, ZO-ON. Fotos: Florian Feisel
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„einnisten“. Alle anderen Objekten mussten nach ihrem Auftreten wieder verschwinden. Es entstand beständiges Kommen und Gehen in einem leeren Raum.
Viel Raum im Raum Aus dem Nacheinander entstand dadurch kein Aufeinander, die ephemeren Erscheinungen in der Kugel bleiben fast folgenlos, dadurch wurde sich von einer klaren, eindeutigen Narration verabschiedet. Wurde dadurch nichts mehr erzählt? Ganz im Gegenteil, statt nur einer Geschichte konnten sich so viele Geschichten nebeneinander entfalten. Statt eines erkennbaren Protagonisten, konnten verschiedenste Akteur*innen ausgemacht werden, zwischen denen sich mehrere Erzählungen gleichzeitig entspinnen können. Ohne eine bestimmende Fiktion rückte die gegenwärtige Situation selbst in den Vordergrund: die reale Situation von acht Köpfen in einem surrealen Raum. Das Netzwerk von allen möglichen Beziehungen zwischen den Menschen und Dingen darin. Die Offenheit des Raumes in Bezug auf Narration, Lesbarkeit und individuelle Erfahrungsmöglichkeiten war dabei zentral. Denn einem planetaren Verständnis folgend, können verschiedene Menschen gleichzeitig höchst unterschiedliche Dinge erleben und dabei doch trotzdem gemeinsam um das gleiche Thema kreisen.
Drei luftige Zugänge Die Frage, was denn im Mittelpunkt des Ganzen steht, hatte sich im Grunde schon mit der anfänglichen Idee des Projektes beantwortet, einen aufblasbaren Werbeträger zu einem inneren Versammlungsort zu transformieren: natürlich die Luft! Es geht um die Luft, die den Raum aufrecht erhält, um die Arbeit der Gebläse und den daraus entstehenden Atem des Objektes. Dabei kann sich das beständige Ein- und Ausströmen der Luft zu einem kollektiven Atmen entwickeln, bei dem alle Anwesenden Teil eines einzigen Organismus werden. Eine ganz andere Energie, den Reiz des Unvorhersehbaren, bringt der Raum als ein Ort der Begegnung von acht fremden Köpfen mit. In der Interaktion mit und zwischen den Anwesenden, durch spontane Äußerungen und unerwartete Lachanfälle kann sich eine ganz eigene Dynamik entwickeln. Zum Dritten kann jedoch auch jede*r Einzelne*r ganz individuelle Erlebnisse und eigene Geschichten verfolgen. So bietet die große Projektionsfläche der Kugel sich auch für persönliche Projektionen an. So erstaunlich es war, wie ergebnisoffen das Projekt werden konnte (oder musste), so überraschend war es auch zu merken, dass sich die Installation selbst von Mal zu Mal verändert, als wäre sie ein Gefäß, das sich immer wieder anders füllt. An den bisherigen vier Wochenenden, an denen „ZO-ON“ bespielt wurde, zeichnete sich keine gültige Fassung ab, immer wieder zeigte sich ein anderes Wesen der Installation – oszillierend von den Bewegungen im Inneren zu dem Klang hin, von dem Atem der Kugel zu den Schatten der Anwesenden – fast als wäre „ZO-ON“ ein Wesen, das sich selbst beständig wandelt. – www.florianfeisel.de
Antje Töpfer und Florian Feisel, ZO-ON. Fotos: Florian Feisel
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OHNE ANTWORT Der Horror der Wiederholung und dessen Erwiderung in einem Theater der Dinge Inspiriert von der performativen Kraft der Wiederholung widmet sich die Theaterwissenschaftlerin Johanna Zorn in ihrem Text Produktionen von Jürgen Gerz und Tim Etchells. Die Stimme wird dort als zentrales Medium eingesetzt. Das Rufen wird bis an die Grenze der Erschöpfung geführt und die Wahrnehmung des Publikums herausgefordert. Im Diskurs um das Reenactment analysiert Zorn für double, wie die Wiederholung als künstlerisches Mittel neue Bedeutungen schafft und dazu genutzt wird, Vergangenes neu zu interpretieren und zugleich die Grenzen von Körper, Stimme und Erzählung auslotet. V o n J o h a n n a Z o r n /// „Hallo!“ – nur dieses eine Wort ruft der Konzeptkünstler Jürgen Gerz in seiner Videoperformance Rufen bis zur Erschöpfung (1972) wieder und wieder. In einer einzigen Einstellung hält die Kamera über die Dauer von knapp zwanzig Minuten eine Szene von existentieller Dringlichkeit in Schwarzweiß fest: Auf einem kargen Schotterfeld vor dicht bewölktem Himmel fleht der Künstler rufend um Resonanz, indem er dasselbe Wörtchen unablässig wiederholt. Sein Rufen lässt er in dieser stilisierten Wüste der Abwesenheit in kurzen Pausen manchmal für einen Moment nachklingen, moduliert seine Stimme, probiert unterschiedliche Betonungen. Der anfangs noch volle Klang geht allerdings zunehmend in ein Kreischen über, das sich dem Kraft-
Jochen Gerz, Rufen bis zur Erschöpfung, 1972, Screen shot: VG Bild-Kunst
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verlust nur noch mit der Beharrlichkeit seines unablässigen Herausschreiens entgegenstemmt. Die schwindende Energie versucht Gerz dabei offensichtlich auch aus dem Körper zu holen. Er wirft die Arme in die Luft, winkt, geht in die Knie oder fügt seine Hände zu einem Trichter vor den Mund, um seinem Appell Nachdruck zu verleihen. Der Protagonist kämpft stimmlich nicht nur gegen die Abwesenheit eines hörenden Gegenübers an, sondern riskiert, von diffusem Motorenlärm und dem Geräusch des Windes akustisch dezentriert zu werden. Sein Bitten findet in dieser Umwelt kein Gehör, das Rufen treibt der titelgebenden Erschöpfung entgegen, die Wiederholung löscht sich selbst aus.1 Die bestürzende Wirkung von unbehauster ‚Weltlosigkeit‘ auf mich als Betrachterin und mehr noch als Hörerin dieser Videoperformance basiert auf der Verstrickung von Entschlossenheit und Verzweiflung, Auflehnung und Entmutigung, Verausgabung und Wut, die ihrerseits von der Beschränkung auf die Wiederholung dieses so trivialen wie prekären Wortes „Hallo“ ausgeht. Was wäre wohl haltloser als die Erfahrung, dass da nichts und niemand ist, der antwortet?
Das Rätsel der Wiederholung Gerz führt mit seiner performativ verdichteten Repetition, die unterschiedliche Stimmungen zwischen Tragik, Absurdität und Komik hervorbringt, einmal mehr vor, dass das Rätsel der Wiederholung in ihrem trügerischen Re liegt, das nicht einfach „wieder“ oder „zurück“ bedeutet, weil es eben niemals das Gleiche mechanisch artikulieren kann. Der Umstand, dass Zeiterfahrung insgesamt Erfahrung von Differenz ist, ist wesentlich an diese komplizierte Zeitfigur der Wiederholung gekoppelt, die sich „nicht vom ‚Vergangenen‘ überreden [lässt], um es als das vormals Wirkliche nur wiederkehren zu lassen“, sondern das, was einmal war in all seiner Ambivalenz als vormals Mögliches „erwidert“2. Diese Fähigkeit zur Erwiderung macht aus der Wiederholung eine Beziehungstätigkeit. Ihre grundlegende formbildende Funktion ermöglicht es uns, zu sprechen, zu handeln, zu fühlen, zu schaffen, zu erkennen, Bezüge zwischen uns und unserer Umwelt herzustellen. Sie ist dafür verantwortlich, dass etwas als spezifisches Etwas überhaupt zur Erscheinung gelangen, zugleich aber nicht
Tim Etchells, How Goes The World, 2023. Foto: Hugo Glendinning
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dingfest gemacht werden kann. Trifft die Wiederholung allerdings nicht auf Resonanz, so verwandelt sie sich in Redundanz, da die Informationen, die sie produziert, nicht verarbeitet werden können. In Gerz’ minimalistischem Konzept, das die kontaktknüpfende Interjektion „Hallo“ im metaphorisch leeren Raum der vollkommenen Abwesenheit repetitiv isoliert, fällt die Wiederholung ins Bodenlose. Sie wird zur resonanzlosen Konserve, zum leblosen Ding, da das Bitten – die Vokabel der „Repetition“ (lat. petere, petitio, bitten, Bitte; lat. re, zurück, zurückkommen) verleiht diesem anrufenden Gehalt der Wiederholung Gewicht – keinen Widerhall findet.
Der Horror der Wiederholung: Automatisierung der Dinge Der sprichwörtliche Tritt auf der Stelle, die ernüchternde Aussicht auf die Wiederkehr des Immergleichen ohne Ziel, das Gefühl des Gefangenseins in der Dauerschleife verkörpern idealtypisch den Horror der verstetigten Wiederholung ohne Resonanz. Im Erleben von automatisierter Gleichförmigkeit verliert die Wiederholung ihre vitale Funktion, verkommt Struktur zu leerer Stereotypie. „Die Automatisierung“, so hat es der russische Formalist Viktor Šklovskij in anderem Zusammenhang formuliert, „frißt die Dinge“, denn durch sie „kommt das Leben abhanden und verwandelt sich in nichts“3. Eine prädestinierte künstlerische Möglichkeit, den alltäglichen Eindruck von Automatisierung der ästhetischen Erfahrung zugänglich zu machen, besteht folglich darin, verschwenderisch mit der Wiederholung umzugehen. In künstlerischen Thematisierungen und Formalisierungen des oftmals als sinnlos empfundenen Abgrunds der Wiederholung erscheint das Wiederholen entsprechend häufig als konzeptuelles Strukturgesetz. Gerade das Theater, diese Wiederholungskunst par excellence, wo Effekte von szenischer Augenblicklichkeit aus dem fortwährenden Einüben und Proben entstehen, reflektiert seine vielfach verschwiegenen Möglichkeitsbedingungen mit Vorliebe durch das Stilmittel der Wiederholung. Dabei zeigt der Blick auf Tim Etchells’ How Goes The World, wie ein Theater der Dinge ganz eigener Art Objekte zu Akteur*innen macht, die deshalb einen Prozess der Entautomatisierung ermöglichen, weil sie handelnd erwidert werden müssen.
Die Macht der Dinge erwidern Für die Serie Histoire(s) du Théâtre hat der britische Theatermacher 2023 am NT Gent eine szenische Etüde der Entautomatisierung vorgelegt. Seine Geschichte(n) des Theaters erzählt er als Metatheater der Verwandlungen aus dem Geist der Wiederholung. In einem wie aus Überresten vergangener Bühnenbilder zusammengeschusterten Wohnzimmer sind vier Akteur*innen gefangen im Exzess der Wiederholung theatraler Patterns, die von einer magischen ‚Macht der Dinge‘ angetrieben wird. Die Spieler*innen treten auf und ab, öffnen und schließen Türen, wechseln ihre Kostüme oder tragen denselben Satz permanent wieder vor. Dabei laufen die szenisch klischierten Versatzstücke handlungsdramaturgisch allesamt ins Leere. Das Telefon klingelt unentwegt, doch niemand ist am Apparat. Es klopft an der Tür, aber niemand steht davor. Die Akteur*innen erschießen sich gegenseitig mit Pistolen, nur um, von der Kugel getroffen, wieder aufzustehen und den Vorgang noch einmal zu wiederholen. In der zunehmend konfuseren Überlagerung der unterschiedlichen Bühnenvorgänge geht Boulevardkomödie in bürgerliches Trauerspiel über, wird biedermeierliches Rührstück zu absurdem Theater, erwächst aus Slapstick großes Pathos. Die Affektmaschine Theater nährt sich hier aus der Übersteigerung von Wiederholungen, zu denen die Figuren auf der Bühne sich nicht aus einer konkreten Handlungsstruktur heraus entschließen, sondern die ihnen die Objekte und ihre akustischen Signale aufzwingen: Das Telefon läutet, also muss jemand den Hörer abnehmen. Vom Band erklingt Klaviermusik, also muss jemand zum Klavier gehen, um so zu tun, als ob er oder sie es spielte. Man hört, wie Getränke eingeschenkt und getrunken werden, also mimt das Ensemble eine Trinkszene. Den einzelnen Aktionen, zu denen die Dinge die Schauspieler*innen unentwegt treiben, kommen diese dabei mit zunehmender Komplexität immer weniger nach. Aus der plakativ misslingenden Synchronisation von technischem Effekt und menschlicher Handlung, die Komik und Traurigkeit erzeugt, lassen Etchells und das Ensemble auf diese Weise ein Objekttheater entstehen, das Wiederholung als tragikomisches Beziehungsgeschehen inszeniert. Weil How Goes The World die Bühnenrequisiten in Akteure mit Handlungsmacht4 verwandelt, müssen die menschlichen Akteur*innen Antworten suchen. Weil diese Antworten je unzureichend sind, stellen sich die nicht-menschlichen den menschlichen Akteur*innen permanent aufs Neue entgegen. Gerade weil aber die Dinge die Menschen nicht in Ruhe lassen, erhalten diese erst die Möglichkeit zu erwidern. Aus dieser Erwiderung entsteht das, was wir Spiel nennen – ein Spiel, das im Fall von How Goes The World die Mechanismen des Theaters veranschaulicht, in Kontakt tritt zu unterschiedlichen (historischen) Sprachen des Theaters und zeigt, dass Wiederholen niemals eine versöhnliche Tätigkeit ist, weil es erwidert, ohne eine Antwort zu haben. 1 Für eine eingehendere Beschäftigung mit der Arbeit vgl. Benthien, Claudia: Unmöglicher Dialog: Anrufung und Iteration in Performance-Arbeiten von Jochen Gerz, Marina Abramovic, Jürgen Klauke und Holger Mader. In: Piszczatowski, Pawel (Hg.): Diálogos. Das Wort im Gespräch. Göttingen 2018, S. 85–99. 2 Heidegger, Martin: Sein und Zeit [1927], Frankfurt a. M. 1977, § 74, S. 510. 3 Šklovskij, Viktor: Die Kunst als Verfahren. In: Striedter, Jurij (Hg.): Texte der russischen Formalisten. Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. München 1969, S. 3–35, hier S. 15. 4 Vgl. hierzu das neumaterialistische Konzept von Jane Bennett, das Dingen nicht nur eine reaktive Potenz, sondern die Fähigkeit zu handeln, eine „thingpower“ zuschreibt: Bennett, Jane: Vibrant Matter. A Political Ecology of Things. Durham 2010.
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KOMPLIZIERTE SCHWANGERSCHAFTEN, NACHT- UND-NEBEL-AKTIONEN UND ANDERE REDAKTIONSFÄLLE Ein Rückblick auf die Gründung des double-Magazins mit denen, die damals dabei waren Double ist jetzt 20 Jahre und somit den Kinderschuhen längst entwachsen, volljährig sozusagen. Dies ist der Anlass, einmal mit den Mitgliedern der Gründungsredaktion, bestehend aus Silvia Brendenal, Christoph Lepschy, Anke Meyer, Katja Spiess, Gerd Taube und Meike Wagner (letzte noch aktive Redakteurin dieser Gruppe), über die Entstehung des Magazins, die Freuden des Magazin-Machens und den alltäglichen Redaktionswahnsinn der letzten zwanzig Jahre zu sprechen. Der siebte Redakteur der ersten Stunde war der 2021 verstorbene Manfred Wegner. M eike Wa gne r : Was war der Anlass, 2004 ein Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater zu gründen? Silvia Br e nde na l: Dieser Geburt ging ja gewissermaßen eine Schwangerschaft voraus. Eine nicht gerade unkomplizierte. Als damalige Leiterin des Deutschen Forums für Figurentheater und Puppenspielkunst nahm ich regelmäßig an UNIMA-Mitgliederversammlungen teil und ich spürte schon seit längerem eine deutliche Unzufriedenheit mit der von uns redaktionell verantworteten UNIMA-Vereinszeitschrift Das anderen Theater. Diese Unzufriedenheit kochte dann während der 2003 in Schwäbisch Gmünd durchgeführten UNIMA-Mitgliederversammlung über; befeuert dadurch, dass damals auch ein neuer Vorstand gewählt wurde, der großen Wert darauf legte, den Vereinscharakter der Zeitschrift zu bewahren und mitzubestimmen. A n ke M eye r : Das kollidierte mit dem Angebot, das wir von Theater der Zeit unterbreitet bekamen, nämlich, dass Das Andere Theater ein Teil von Theater der Zeit werden könnte. Darüber wurde in der Mitgliederversammlung abgestimmt und die Anwesenden haben sich mehrheitlich dagegen entschieden. Gleichzeitig wollten sie aber, dass aus dem Vorstand der UNIMA jemand mit in die Redaktion geht, als Aufpasser sozusagen. Und da haben wir uns nur angeguckt – Christoph, Silvia, Katja und ich. Silvia ist dann aufgestanden und hat mitgeteilt, dass wir die Redaktionstätigkeit mit sofortiger Wirkung niederlegen. Katja Spie ss: Wir sind dann in Schwäbisch Gmünd in eine Kneipe gegangen, haben einige Getränke zu uns genommen und uns intensiv ausgetauscht. Und an dem Abend ist die Idee entstanden, dass wir eine neue Figurentheaterzeitschrift machen. A M : Und Annette Dabs, die damals neue Leiterin des DFP, hat sofort gesagt, das finanzieren wir. Gerd Taube : Das Andere Theater ist immer von der UNIMA herausgegeben und mitfinanziert worden, aus Mitgliedsbeiträgen. Und das war der Hebel, um zu sagen, wenn wir das bezahlen, dann wollen wir auch, dass ihr das macht, was wir wollen. C h rist o ph L e pschy: Das hatte mit der Geschichte von Das Andere Theater zu tun, das ja seinerseits aus dem UNIMA-Rundbrief entstanden ist, bereits damals mit dem Ziel, diesen zu einer Fachzeitschrift zu entwickeln. Die Gründung von Das Andere Theater ging einher mit der Zusammenlegung von UNIMA West und Ost 1990, die gleichsam auch die Chance bot, ein neues und anderes Kommunikationsmedium zu etablieren. Dieter Brunner, Johannes Lenz und ich haben das zunächst gemacht, dann kamen Gina Weinkauff, und 1993 Gerd Taube und Silvia Brendenal mit dazu. MW: Was hat sich denn 2004 für das neue Heft double verändert? G T: Die Haltung ist gleich geblieben. Verändert hat sich die Unabhängigkeit, dass von uns nicht mehr gefordert wurde, eine bestimmte Vereinspolitik zu verfolgen. Aber der Anspruch, etwas zu machen, was die ganze Breite dieser Kunstform auch erfasst und eben nicht nur auf Puppentheater fokussiert, war neu. A M : Wir haben auch gesagt, die Chance, dass eine Figurentheaterzeitschrift mit dem ‚Mutterheft‘ Theater der Zeit erscheint, kann man sich für das Genre nicht entgehen lassen. Somit konnte man auch Leute erreichen, die von sich aus keine Zeitschrift über Figurentheater kaufen würden.
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KS : Das Problem mit Das Andere Theater war, dass man auf der einen Seite natürlich über eine professionelle internationale Szene berichten und wissenschaftliche Diskurse abbilden wollte und gleichzeitig aber auch noch eine Vereinszeitschrift war, in der die Mitglieder sich mit ihren unterschiedlichen Interessen wiederfinden wollten. Diese gegensätzlichen Ansprüche haben sich dann auch total gerieben. S B: Für mich war es ein sehr wichtiger Aspekt, dass wir ganz bewusst auch die Verantwortung für die Inhalte übernehmen konnten und den Kreis der Schreiber*innen erweitert haben. Ich habe das double 1 gestern Abend noch mal gelesen, das ist ja fast programmatisch. Künstler*innen zu Wort kommen lassen, neue Künstler*innen entdecken, neugierig sein, neue Wege der Kunst öffnen, unsere Theaterkunst aufzeigen, das ist alles in diesem Heft. M W: Was waren denn im Rückblick entscheidende Veränderungen über die Jahre? G T: Es gibt immer eine große Durchlässigkeit und Offenheit für Menschen, die sich dafür interessieren und mitmachen wollen. Und das ist im Grunde immer ein gegenseitiges Interesse, da auch die Redaktion natürlich Menschen braucht, die mitmachen wollen. M W: Also von innen schaut es tatsächlich so aus, dass wir in den letzten Jahren massive Schwierigkeiten hatten, neue Redakteur*innen zu gewinnen. Es scheint im Moment wahnsinnig schwierig, Leute fürs Ehrenamt zu begeistern. KS : Die Schwierigkeit ist so ein langjähriges Commitment, wie wir das ja alle hatten. Von uns haben ja einige, wenn man Das Andere Theater noch mitrechnet, über 20 Jahre lang redaktionell mitgearbeitet. Das ist natürlich eine verdammt lange Zeit. Vielleicht macht das auch den Unterschied, sich so mit Haut und Haar zu verschreiben.
M W: Aber was auch eine Rolle gespielt hat oder auch heute noch spielt, das ist natürlich die persönliche Arbeitssituation. Ihr wart alle an sehr zentralen Stellen, wo man die redaktionelle Arbeit sehr gut mit der Hauptarbeit verbinden konnte. Es gab ja ganz viele Synergien, die dem Heft nutzten. Viele Baustellen, an denen ihr eh zu tun hattet, konnten dann wiederum fürs Heft verwertet werden. Ich habe das ja bei mir gemerkt. Das hat gut funktioniert, solange ich an der Uni in München war. In dem Moment, als ich nach Stockholm gegangen bin, war ich einigermaßen abgenabelt von allem. Da war es für mich wirklich harte Arbeit, immer wieder dranzubleiben an dem, was gerade wichtig ist und welche Künstler*innen im Gespräch sind. Das ist natürlich auch eine ganz spezielle Situation, wenn man so ein Blatt ehrenamtlich und eben nicht als Profis betreibt. Wir haben das ja alle nebenbei gemacht. Nochmal zu den Veränderungen. Für mich war das ein Einschnitt, als wir die Ausgaben auf zwei pro Jahr reduziert haben. Dadurch sind wir einfach nicht mehr aktuell mit double. G T: Aber die andere Seite ist eigentlich für mich, dass die Themen-Teile so tiefgründig und sehr breit aufgestellt sind. So kann man das Heft auch erst mal sechs Wochen liegen lassen und es dann lesen. Zeitschrift heißt an der Stelle nicht, dass sie ständig über die aktuelle Zeit berichtet, sondern dass sie sozusagen über die Zeit interessant bleibt. M W: Es hat sich so entwickelt, dass wir Inszenierungen oft dann besprechen, wenn sie in irgendeiner Weise mit dem Thema verknüpfbar sind. A M: Ich kann das statistisch nicht belegen, aber ich glaube nicht, dass so viel weniger Inszenierungen besprochen werden als vorher. Und seit der Umstellung auf zwei Hefte wurden ja zunächst weiter aktuelle Inszenierungen online unter „double-Kurzkritik“ be-
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sprochen. Das DFP hat das inzwischen dankbar aufgegriffen und die Portalseite mit den aktuellen Inszenierungskritiken ausgebaut. GT: Wenn wir uns schon die Geschichte anschauen, ich habe nämlich so eine Datei gefunden aus dem Januar 2004, wo ich Begriffe aufgeschrieben habe, die wir für die Titelfindungen zusammengetragen haben. Da ist double überhaupt nicht dabei. Da sind so Begriffe drin wie Corpo Ludens, was ich heute noch sehr schön finde, oder Zur Sache: Theater, Theater zur Sache, Theater aus Sachen, Dingspiel, oder auch Dingsbums, Spiel ohne Grenzen, Theater ohne Grenzen. Das ist wirklich lustig, was uns da alles eingefallen ist. Differenz und Ding, Ding und Form, also die Zeitschrift Sinn und Form als Referenz. Das drückt so ein bisschen aus, was wir allein mit dem Titel zeigen und sagen wollten. M W: Was war denn euer liebstes Heft? A M: Dieses Orientierungsheft („Wo bin ich hingeraten? Räumliche und andere Des-Orientierungen“, 25/2012). Das war die Ausgabe, mit der wir auf halbjährliches Erscheinen umgestellt haben. Auch die erste mit einem großen, ganzseitigen Foto auf der vierten Seite, wenn ich mich recht erinnere. Und sie hatte so ein tolles Titelbild. Silvia und ich waren zufällig im Wedding in eine Ausstellung geraten, und da hing dieses Bild. Da haben wir sofort gesagt: Das ist unser Titelbild! M W: Meine Lieblingshefte waren die, bei denen es Momente gab, wo man Themen in die Welt rausgeschickt hat und sofort Rückmeldungen bekommen hat. Da hatte man irgendwie einen Punkt erwischt, kreative Energien freigesetzt, und alle sind sofort drauf angesprungen und haben eigene Ideen entwickelt. Bei mir war das etwa beim Amateure-Heft („Respekt wer’s selber macht“, 34/2016) so, wo ich mit Florian Feisel eine sehr lange Diskussion über den ‚Amateur in mir‘ hatte. Das war ein sehr beglückender Austausch. C L: Es waren aber auch oft unglaublich hektische, chaotische Nacht- und Nebel-Aktionen, mit denen man irgendwie dann doch noch irgendwo einen Artikel und eine Autor*in gefunden hat. Da fällt mir natürlich das nomadische Heft ein („Das Nomadische im Theater“, 08/2006). Wenn man es heute anguckt, denkt man sich, wow, das ist ja konzeptionell relativ stringent. Aber wie es zustande gekommen ist, ist natürlich schon weit weniger konzeptionell durchdacht. Wir hatten große Linien und eine Idee, aber dann im Einzelnen war das doch sehr von schnellen Gesprächen, die man mal eben hatte, geprägt. Wen könnte man denn jetzt noch dazu holen? Wir haben natürlich immer von unseren Netzwerken profitiert, wir kennen ja einen Haufen Leute.
double-Diskurs bei der FIDENA 2024, mit den aktuellen und ehemaligen Redakteur*innen Mascha Erbelding, Christofer Schmidt, Anke Meyer, Christina Röfer. Foto: FIDENA.
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M W: Wo soll es denn nach eurer Meinung hingehen, das Heft? KS : Ich denke, die Schwarmintelligenz wird weiterhin ein wichtiges Instrument sein. C L : Die Vision ist, darauf zu insistieren, dass es weiterhin ein gedrucktes Heft gibt, das analog hergestellt wird. AM: Ich erinnere, dass es beim Jubiläumsdiskurs von double bei der FIDENA im Mai diesen Jahres ein Gespräch gab. Da war ein Student dabei, der bestand geradezu penetrant darauf, dass man doch so ein Heft gar nicht mehr als Print machen müsse. Man könne doch auch ins Netz gehen. Und warum wir nicht die KI schreiben lassen, wenn wir Nachwuchssorgen haben. Da bin ich bald vom Stuhl gefallen. M W: Interessant, dass er bei der Redaktionsarbeit das Problem sozusagen im Schreiben sah. Da hätten wir ihn doch einladen sollen, ein Praktikum zu machen, um mitzubekommen, worin die Arbeit tatsächlich besteht. Wo soll man da die KI einsetzen? Bei solchen Gesprächen ist es meine Strategie, immer auf der Materialität zu beharren. double ist einfach ein schönes Heft. Es liegt gut in der Hand, hat ein tolles Layout und tolle Bilder und so weiter. Die digitale Verwertung macht aus allem nur Nutztexte. CL: Dazu kommt, dass ja auch der Gegenstand etwas mit Materialität zu tun hat. Das ist doch ein ganz zentraler Punkt. Darüber schreiben wir doch. Was hat es eigentlich mit der Materialität dieser Theaterform auf sich und was sind die unterschiedlichen Qualitäten dieser Materialitäten, die da auf der Bühne zu sehen sind? Welche Gemengelagen werden da zueinander in Konflikt oder in Dialog gesetzt? Und das dann so ganz ins Medium des Immateriellen hinüberzuspielen, das ist schwierig. S B: Zumal deutlich zu beobachten ist, dass über die Frage nach Rolle und Bedeutung von Dingen (und ihr Verhältnis zum Menschen) für gesellschaftliche Entwicklungen immer lauter nachgedacht wird. C L : Ja, das ist sehr interessant, dass in vielen zeitgenössischen und philosophischen Debatten der letzten 20 Jahre im Kontext der Klimakrise der Blick auf Materialitäten und Dinge tatsächlich einen ganz anderen Kontext bekommen hat. Ich denke etwa an ‚Das Parlament der Dinge‘ von Bruno Latour oder die ganze Anthropozän-Debatte, in der versucht wird, den Menschen an eine andere Position zu rücken im Verhältnis zu den Gegenständen, der Materialität und der Umwelt. M W: Vielleicht sollte ich mein nächstes Heft als Bastelbogen gestalten. Ausschneiden, zusammenkleben und so. Dann müssten die Leser*innen mal so richtig rein in die Materialität …
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WANDEL & WECHSEL Das transformatorische Potenzial der FIDENA Im Mai 2024 fand das internationale Theaterfestival FIDENA zum letzten Mal unter der künstlerischen Leitung von Annette Dabs statt. Neben einem prallgefüllten Theaterprogramm gab es ein internationales Symposium für Festivalmacher*innen, gut besuchte Late-Night-Veranstaltungen und ein eigenes Yoga-Zelt zur Kontemplation. Für double resümiert Jessica Hölzl ihre Erlebnisse und setzt das Programm, das diesmal in Bochum, Herne, Recklinghausen und Dortmund stattfand, in Beziehung zum Festivalmotto „Change“.
TRansformation V o n J e s s i c a H ö l z l /// Mit der traditionellen Parade durch das Bochumer Bermudadreieck eröffnete die FIDENA 2024 ihr Programm1. Zwei gigantische Papageien auf Stelzen und mit beweglichem Gefieder führten Menschen, Tiere und andere Wesen an, musikalisch begleitet von der Band Brass2Go. Unter dem Motto Artenvielfalt verband sich der farbenprächtige Festakt mit einer dezidiert politischen Haltung, die in Bannern und auch in der Kooperation mit bioland, NABU und der städtischen Saatgutverteilaktion „Bochum blüht und summt“ sichtbar wurden. Darauf folgte mit Kid Koalas „The Storyville Mosquito“ im Schauspielhaus Bochum ein bis auf den letzten Platz ausverkaufter Auftakt, der in Standing Ovations mündete. Die Grußworte, u. a. von Bundeskulturministerin Claudia Roth und dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW, würdigten das regional und international bedeutsame Festival. In ihrer Rede verwies Festivalleiterin Annette Dabs mit Blick auf die große internationale Reichweite und Bedeutung der FIDENA auf dessen prekäre finanzielle Lage und die aktuell angespannte politische Situation in Europa. Sie eröffnete das Festival
1 Das Festivalprogramm sowie einen Blog mit vielen Berichten über die FIDENA von Studierenden der Theaterwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum gibt es online auf www.fidena.de.
Eröffnungsparade der FIDENA 2024. Foto: Simon Baucks
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mit einem Aufruf zu gesellschaftlicher Transformation für ein solidarisches Miteinander und eine gemeinsame Zukunft.
Change Das Motto des Figurentheaters der Nationen 2024 prägte das Festivalprogramm in mehrfacher Hinsicht: Viele der eingeladenen Inszenierungen verhandeln zum Teil explizit inhaltlich, zum Teil auf struktureller und produktionsästhetischer Ebene aktuelle Themen wie Nachhaltigkeit, Inklusion und Diversität. Ein Symposium für Festivalleiter:innen vertiefte die inhaltliche Auseinandersetzung und Programmierung der FIDENA 2024 und bot eine Plattform für Diskussion und Austausch. Zugleich verwies „Change“ auf den für Figurentheater und assoziierte Genres konstitutiven Moment des Wandels, der sich in immer neuen Veränderungen von Formen und Schwerpunkten, Ästhetiken und Ausdrucksweisen niederschlägt. Und schließlich deutete sich mit „Change“ auch ein ganz konkreter Wechsel an: Annette Dabs verkündete ihren Ruhestand ab Sommer 2025.
Zukünfte & Wandlungen Mit großer Liebe fürs Detail skizzierte Frau Trapps „FIVE LINES“ hoffnungsvolle Utopien angesichts krisenhafter Transformationen. Im Wechsel zwischen Abgefilmtem, Vorproduziertem und von den Spieler:innen performten szenischen Vorgängen entstand ein an die Rückwand projizierter Film. Die Praxis des Cinematic Theatre wurde durch die sichtbare Manipulation der naturalistischen Miniaturlandschaften und Figuren besonders spannend. Ein moderiertes Nachgespräch ermöglichte im Anschluss an die Vorstellung den direkten Austausch zwischen Künstler:innen und Publikum. Das utopische Potenzial von Transformation physisch, materiell und rezeptionsästhetisch auslotend verwandelte die Cie. Maraña mit „Organismo“ die gesamte Bühnenfläche des Dampfgebläsehauses zu einer mit Strick- und Häkelwerken überwucherten Landschaft. „I hope you have a nice trip!“, wünschte die Regisseurin und überließ das Publikum einer exzessiven Verstrickung menschlicher und textiler Körper, die gewohnte Bewegungs- und Wahrnehmungsmuster verschwimmen ließ.
Transformation des Blicks Vielfältige Perspektivwechsel bot „Kakao mit Zucker“ vom KMZ Kollektiv in Koproduktion mit der FIDENA. Die multimediale Reise durch die Produktionsgeschichte von Schokolade richtet sich an Zuschauer:innen ab acht Jahren und faszinierte besonders im sinnlichen Spiel mit den verschiedenen Aggregatszuständen von Kakao. Allerdings trat das Spiel mit dem Material zugunsten didaktischer Einlagen streckenweise etwas in den Hintergrund. In ähnlicher Herangehensweise zeigte die Gruppe in „FÜNF Exponate“ eine Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Museumspraxis, die Fragen nach Restitution sehr eindrücklich greifbar werden ließ. Besonders eindrücklich war die musikalische Einbindung von Originaltönen aus der (Kultur-)Politik, die das Fortwirken oben: Kid Koala, The Storyville Mosquito. Foto: AJ Korkidakis unten: KMZ Kollektiv, Kakao mit Zucker. Foto: Jörg Gröger
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postkolonialer Traumata durch zeitgenössische Ausstellungspraxis mit Lösungsvorschlägen in absurd wirkendem Amtssprech zynisch erscheinen ließ. Wie wären wir uns ohne Kolonialismus begegnet? Als Wendepunkt präsentierte sich diese Frage nachhaltig und unnachgiebig im Nachdenken über gesellschaftliche Transformation. Neue Wege der Zugänglichkeit erschlossen sich dabei durch das Angebot einer Audiodeskription und Touchtour, die Zuschauer:innen ermöglichte, vor Stückbeginn in Form einer Tasteinführung den Bühnenraum kennenzulernen. Andere Perspektiven ermöglichten auch Agnès Limbos „Letters from my Father“ und Lukas Schneiders Neuvermessung des Körpers in „Scaena Corpus“.
Figurentheater & Formenwandel Gleich zweifach war das Theater Zitadelle auf dem Festival vertreten und begeisterte großes und kleines Publikum. Das Berliner Puppenensemble kombiniert Märchenstoffe und Liedmaterial charmant und mit großem Wortwitz. Dabei macht es weder vor Tod, Teufel noch dem Puppenspieler halt. In „DING.“ entwickelte Karoline Hoffmann die unendliche Formenvielfalt von Goldfolie und nahm Menschen ab vier mit auf eine zauberhafte Erkundungsreise. Die Produktivität figurentheatraler Spielweisen bezeugte Loco der Cie. Belova-Iacobelli, eine Inszenierung nach Nikolai Gogols „Tagebuch eines Wahnsinnigen“, die in ihrer materiellen Reduktion und handwerklichen Präzision den bekannten Stoff atemberaubend beklemmend umsetzt. Figurentheatrale Setzungen befragend zeigte Gertrudes ielas teatris´ Inszenierung „Wood Paths“ sehr eigene Auffassungen von Transformation und Genresetzungen. Manche Besucher:innen verließen empört den Raum, andere waren begeistert von diesem experimentellen Abend, der die spezifisch eigensinnige und mutige Handschrift der Programmierung von Annette Dabs trug. Auf der Schnittstelle zwischen figuralen Formen und Malerei ließ Michal Svironis „Carte Blanche“ die eigene Biografie und den eigenen Körper zum Gegenstand und Medium des Erzählens zugleich werden. Ausgehend von persönlicher Geschichte und aktuellen Lebensumständen nahm die Inszenierung Bezug zur gegenwärtigen politischen Lage, wobei sich die FIDENA einmal mehr als Ort für internationale Vernetzung und Solidarität auch angesichts politisch uneindeutiger Konstellationen erwies.
Ortswechsel & Vernetzung Mit dem Format „Figurenspieler:innen im Exil“ bot das Figurentheater-Kolleg Langendreer internationalen Künstler:innen eine besondere Bühne. Mit unterschiedlichen Kinderstücken wurde der Innenhof des Kollegs zum Ort von Begegnung und Austausch. Das Festivalgelände an der Jahrhunderthalle wurde durch „Santa Pulcinella“ zum Open-Air-Spielort eines wunderbaren Handpuppenspiels verwandelt. Einen sehr spezifischen Raumwechsel ins Digitale bot die Ausstellung „Puppets 4.0“, die mittels VR-Brille als Tour durch die Puppensammlung des dfp erlebbar war. Das Festivalzentrum versammelte die Besucher:innen nicht nur zu Mittagessen und Kaffeepause. Mit einem besonderen Timeout lud das Meditationszelt täglich zu Kontemplation, Yoga und Gongbad ein. Allabendlich bescherte das abwechslungsreiche Late-Night-Programm freudige Gesichter. Neben einem Animationscrashkurs für mögliche „puppet emergencies“ erhielt das Publikum mit „Schnitzel of Love“ Einblicke in Stefanie Oberhoffs Transformationsprogramm aus der Selbstzerfleischung zum krossen Putenschnitzel. Mit „Summer of ´69“ lud das Tôf Théâtre auf einen hotten Ausflug durch Witz, Obzönität und Rührung ein. Ein besonderes Highlight war die Karaoke-Nacht der ganz großen Gefühle, empathisch begleitet von Christofer Schmidt und Moritz Buchmann und natürlich die Abschlussparty mit Ariel Doron, der das Festival zudem mit seiner großartigen Uraufführung des bitterbös theatralen Experimentalsettings „Mitzis Mensch“ bereicherte. Schließlich entfaltete sich die FIDENA 2024 als Szenetreff, Ort der Vernetzung und Weiterbildung. Am Sonntag verteilten flunkerproduktionen noch einmal ausgiebig Lob: „Ich fühl´ mich grad richtig gut. Belebt. Beseelt“, so die Spontanreaktion eine:r Besucher:in des Lobbüros. Geherzt, gewärmt und voller Impulse entließ diese so besondere FIDENA 2024 ihr Publikum in den Sommer und zugleich in eine neue Ära. – www.fidena.de Gertrudes ielas teatris, Wood Paths. Foto: Elmars Sedols
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RESONANZ MIT FIGUR UND GESANG Das zweite Festival „TWIST IT!“ im Westflügel Leipzig Eine breite Palette an Formaten und internationalen Produktionen erlebte Franziska Reif bei ihrem Besuch der zweiten Festivalausgabe von „TWIST IT!“, die diesmal unter dem Motto „Figur & Gesang“ stand. Vom 2. bis 9. Juni luden Workshops und Performances am Westflügel Leipzig zu experimentellen Klängen, melancholischen und humorvollen Arbeiten ein. V o n F r a n z i s k a R e i f /// „Mjooaooaooaooa!“ Knapp zwanzig Menschen haben sich im Saal des Westflügel Leipzig verteilt und singen konzentriert die Wand an. Mit geschlossenen Augen steuern sie kurz darauf durch den Raum, summen oder singen Vokale. Gleich öffnen sie die Augen wieder, schauen ein bisschen überrascht durch den Saal und verlassen ihn, um im Viertel Geräusche und Raumeindrücke einzusammeln, die anschließend weiterverarbeitet werden. An diesem Workshop mit dem Titel „She writes like a branch – singing the object“, den Frieda Gawenda – Musikerin, Theaterkomponistin, Performerin und Gesangslehrerin – leitet, nehmen Menschen mit verschiedenen Hintergründen teil. Manche sind Figurenspielerin, klassische Sängerin oder bildende Künstlerin, spielen Kontrabass oder schreiben Texte. Sie haben Objekte mitgebracht: einen Apfel, einen Stift, ein Tuch, einen Drumstick. Diese Objekte sollen später in die Resonanzräume integriert werden, die es im Workshop zu erkunden gilt – drinnen wie draußen, im eigenen Körper wie außerhalb. Zunächst aber heißt es: dem mitgebrachten Objekt eine vorläufige Stimme geben. Immerhin gehört der Workshop zum Festival TWIST IT!, das in diesem Jahr unter der Überschrift „Figur & Gesang“ steht. Das Festival erlebte diesen Juni seine zweite Auflage – im letzten Jahr bildete der Tanz im Figurentheater die thematische Klammer. Zum Programm von „Figur & Gesang“ gehörten auch in diesem Jahr in erster Linie Performances von internationalen Compagnien. Zur Eröffnung sind aus Israel Meirav Ben-David und das Ensemble Noyma angereist. Als fünfstimmiger Frauenchor präsentieren sie „Hymns from the red book“ – unterschiedliche Melodien aus dem christlichen Mittelalter, mit jüdischem Bezug sowie Traditionelles aus verschiedenen Regionen. Zunächst hängen lediglich dunkle Kutten in der schwachen Beleuchtung auf der Bühne über Notenständern, die langsam Leben erhalten. Die Sängerinnen schlüpfen in die Ärmel, Hände untermalen den Gesang mit Gesten der Frömmigkeit, Beine treten hinzu, Röcke werden gehoben. Irgendwann erscheinen die roten Bücher. Aus ihnen entstehen Masken, die die Szenerie parodieren, sie lassen sich zu Herzen formen, werden zu Kopfbedeckungen oder zu Blasinstrumenten. Die Kleider auf den Notenständern sind performende Figur, der Chor ist Objekt. Performance und Vortrag enthalten witzige Details, gute Einfälle und schnelle, unverhoffte Wechsel. Definitiv nicht arm an Witz und Rasanz ist „Songs for Alice“, ein Abend zwischen Konzert und Theater, zwischen Poesie und Feuerwerk, zwischen Figuren und Apparaturen. Bei Alice handelt es sich um die von Lewis Caroll. Vertont sind Kinderreime, Dialoge und Meirav Ben David & Ensemble Noyma, Hymns from the red book. Foto: Dana Ersing
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Sprachspielereien aus der Alice-Welt, die sich als Fragmente zu einem musikalischen Figurenreigen fügen. Die bekannten Charaktere aus dieser Welt treten nicht als niedliche Comicfiguren auf, sie haben einen starken Hang zur Skurrilität. Die Instrumente Gitarre und Geige (Charlotte Wilde), Kontrabass (Johannes Frisch), Trompete (Konrad Schreiter) und Schlagzeug (Philipp Scholz) bilden das Rund, in dem Michael Vogel und die Figuren aus seiner Werkstatt agieren – und dabei übrigens in großartiger Weise verschmelzen. Die Figuren können ebenfalls fragmentarisch wirken, es erscheinen goldene Krönchen und Flügel, ein rosa Cowboyhut, ein Klappmaul, Katzenjammer und Schnurren, das Grinsen ohne Katze, ein Flamingo wird zum Croquet-Schläger. Mal treibt die Musik die Figuren, mal gebieten die Figuren über die Musik. Leise Momente entwickeln sich zu Grusel, Wahn, Schreien und Krach – ein opulenter, geradezu irrsinniger Abend. Die Bezeichnung TischObjekttheater in der Ankündigung der Performance „Godzilla Tribute Band“ lässt eine kleine Spielform erwarten, wobei Godzilla eigentlich nicht für handliches Tischformat bekannt ist. Am Ende hat das kolektiv GTB/Moment aus Slowenien zusammen mit Playmobilfiguren, Pappkartons und Cornflakes stilecht die Bühne verwüstet. Zu Beginn startet die Punkband ordentlich durch, über den Abend spielen sie sich durch diverse musikalische Referenzen. Getränkekartons bilden Häuser, zur Apokalypse gehören ein gewisser Mister Flake, Schatten und Schrecken sowie ein Stromausfall. Und Geburtstagskuchen, ein angeschossener Godzilla und vergifteter Tee. Das ist wild und zackig. Bevor final musikalisch noch mal ordentlich ausgeteilt wird, steht die Frage im Raum, wie Godzilla wirklich starb. Mit der Laute holt das niederländische VOX Muziektheater ein gar nicht so häufig anzutreffendes Instrument auf die Bühne. Dort gibt ein großer Schrank preis, was vom Tage übrigbleibt, und erzählt, wie die Gegenstände, die nach einem Leben aus dem Schrank auf den Müll wandern, überhaupt dort hineingelangt sind. Linde Schinkel (Sopran, Spiel), Martine van Ditzhuyzen (Spiel) und David Mackor (Laute, Spiel) geben einen Vanitas-Kanon zum Besten, das Motiv winkt auch mit Stillleben-Reminiszenzen wie einem angebissenen Apfel. Die „musikalische Ode an die Melancholie“, wie sich „Poor Thing“ im Untertitel nennt, besteht im musikalischen Teil aus John Dowlands Lautenliedern aus dem 17. Jahrhundert. Der Schrank präsentiert allerlei bunten Plastikplunder als gestapelte Essenz eines Lebens und liefert stets neue Puppenstuben-Accessoires, die sich zu Stillleben um Stillleben formieren: Besteck, Flaschenbürsten, Sessel, Autos, Kommoden, Stifte. Das Ensemble findet gekonnt Wege des Erzählens, parallelisiert Geschehnisse treffend und beherrscht geschmeidige Szenenwechsel sowie unterschiedliche Formen der Darstellung. Der Schrank fungiert als Guckkasten und Bilderrahmen, dessen Inhalte in den Bühnenraum hinauswachsen. Während der tanzende nackte Schädel mit knochigem Händchen zur Todesumarmung ansetzt und damit die ultimative Erinnerung an die Vergänglichkeit ausspricht, hebt das Stück das Objekt aus der Rolle des Erzählanlasses heraus. Das Defilee der Gegenstände hat vorgeführt, dass jedes Objekt eine Geschichte aus der Vergangenheit zu erzählen hat. Beim diesjährigen TWIST IT! kamen ganz verschiedene Formate, Themen, Musikrichtungen und auch Stimmungen zusammen. Das Programm deutete das Motto bewusst in einem weiten Sinne, sodass nicht nur singende Objekte zu sehen oder zu hören waren. Das war spannend und hat auch den Besucherinnen und Besuchern großen Spaß gemacht. Apropos Spannung: Wir sind gespannt auf die nächste Festivalausgabe und neue überraschende Bezüge zur Figur. – www.westfluegel.de Figurentheater Wilde & Vogel, Sings for Alice. Foto: Dana Ersing
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JUBILÄUM
GULLIVER FÜR ALLE Das Puppentheater Halle feiert seinen 70. Geburtstag mit einem Spektakel Mitten ins Stadtleben hinein entwirft das Puppentheater Halle seine Jubiläumsfeier. Die kostenlose Eröffnungsshow der 70. Geburtstagsfeier überwältigt als gigantisches Figurentheater. In vier weiteren Gemeinschaftsproduktionen („Gulliver im Lande Liliput“, „Gulliver im Land der Riesen“, „Gulliver und die fliegenden Inseln“, „Gulliver und die Pferdemenschen“) mit den anderen Hallenser Bühnen – etwa dem Ballett und der Staatskapelle – führt das Puppentheater die Gulliver-Geschichte auf originelle künstlerische Weise an anderen öffentlichen Orten fort. V o n T o b i a s P r ü w e r /// „Und er zerquetsche, wenn wir ihn weckten, mit bloßer Hand uns, wie Insekten!“ Den Bewohnern von Liliput schwant nichts Gutes. Stück für Stück erwacht der Riese zum Leben, bis sich sein Haupt in 18 Meter Höhe erhebt – mittendrin in der Menschenmenge auf dem Hallenser Marktplatz. „O Fortuna“ aus der „Carmina Burana“ senden Orchester und Chor als dramatischen Gruß zu diesem Gulliver hinüber. Mittelalterlich geht es mit „Totus floreo“ weiter, zu dem die große Puppe mit den Armen wackelt, rhythmische Bewegungen versucht. Von Schauspielern begleitet und moderiert erreicht das Spiel seinen Höhepunkt, als die Figur zu laufen beginnt. Spektakel um des Spektakels Willen ist sonst nicht die Sache des Puppentheaters Halle. Normalerweise überzeugt es mit visueller Raffinesse, spielerischer Meisterschaft und fragt dabei immer wieder nach der Rolle von Puppe, Spieler und ihrem Verhältnis zueinander. Das Team hat ein Faible für Literaturtheater, das auch zum Geburtstag bedient wird. Doch statt kolossalen Durchstehern wie „Die Buddenbrooks“ und langsam zerrinnender „Liebe in den Zeiten der Cholera“ werden zur Sause „Gullivers Reisen“ nach Jonathan Swift gezeigt. Und indem die Bühne die Öffentlichkeit bespielt, rührt sie zudem an den Wurzeln der Puppe im Volkstheater: Sie spielte schließlich einst Theater für alle, nicht nur für ein Spezialpublikum. Dem Vorbild der Sowjetunion folgend, richtete die DDR staatliche Puppentheaterbühnen als pädagogische Institutionen in allen Bezirken ein – 1954 auch in Halle. Nach der Wende, konkret seit 1995, wird dieses Haus von einer Konstante geprägt: dem künstlerischen Leiter Christoph Werner. „Das Theater hat die Tradition der DDR aufgenommen und mit einer offenen Spielweise kombiniert“, erklärt Ralf Meyer, seit 2000 Chefdramaturg am Puppentheater, dessen Charakteristik. Mit dem Jubiläum geht das Theater ganz ins Offene, berührt und will berührt werden. Von Schauspielern begleitet, nimmt der bewegte Gigant – es ist eine aufblasbare Gummipuppe, die an vielen Seilen geführt wird – sogar eine Treppe und taucht geschickt durch die Oberleitungen der Straßenbahn. Mit einem anderen Wesen, das nur aus Füßen, Kopf und Händen besteht, liefert er sich ein Tänzchen oder Duell. Die älteste Straßentheatergruppe Frankreichs – Plasticiens Volants – versteht ihr Plasticiens Volants & Puppentheater Halle, Eröffnungsspektakel. Foto: Anna Kolata
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JUBILÄUM
Handwerk. Im Vergleich zu den beiden Riesen wirkt die Marktkirche wie ein Modell ihrer selbst, die Menschen wie Winzlinge. Das Publikum wird durch die Größe emotional angefasst, es kann die Puppen direkt berühren. Kinder robben unter ihren Füßen durch. Das ist unmittelbares Theatererleben. „Gullivers Reisen“ sind ein Abenteuer, doch Herausforderungen musste auch der Kritiker dieses Textes überwinden. Die Eröffnung musste er sich von einer theatergeschulten Freundin aus Halle berichten lassen und auf Videomaterial zurückgreifen, denn ein längerer Notarzteinsatz verunmöglichte die S-Bahn-Anfahrt für das Publikum aus Leipzig. Fast wäre auch die Reise ins „Lande Liliput“ ins Wasser gefallen, denn dafür fehlte die Schlechtwettervariante. Erst kurz vor Beginn reißt der Himmel auf, die drei schwarzen Podeste, die als Spielfläche dienten, müssen trocken gerubbelt werden. Gulliver wird in dieser Inszenierung von Ania Michaelis durch einen Menschen in Plateauschuhen gespielt. Die Diener vom Königshof werden durch Klappmaulköpfe dargestellt; hier wird auf umgekehrte Weise mit dem Größenunterschied gespielt. Da ist Tanz, Gesang und etwas Akrobatik zu sehen, Pyrotechnik wird eingesetzt und mit Wasser gespritzt. Das ist als hinreißendes Sommertheater gemacht, an dem das Publikum ringsherum nah dran sitzt. Es ist mehr Schauspiel als Puppe und eher untypisch für Halle. Das ändert sich im „Land der Riesen“ etwas. Dieses Abenteuer gestaltet das Puppentheater zusammen mit dem Neuen Theater Halle unter der Regie von Ronny Jakubaschk. Gulliver wird von einem kleinen Schauspieler gegeben, aber erscheint auch als Gliederpuppe. Das Spiel mit der Größendifferenz wird hier wieder deutlicher erkennbar, weil es materialisiert ist in der Puppen-Mensch-Differenz. Hier zeigt sich das Hallenser Handwerkszeug in Brillanz. Die eingesetzten, sehr realistischen Vierfüßlerpuppen werden oft von drei bis vier Spielenden geführt. Leise klingt dabei die japanische Bunraku-Tradition an. Kleinste Gesten und lebensnahe Bewegungen werden so möglich, auch minimale Regungen wie Blicke, ein Neigen des Kopfes, ein Fußwippen. Beim Riesenstück dominieren die großen Gesten. Nicht nur, weil es vor allem auf Unterhaltung setzt, sondern auch aufgrund des Abstands zur Freiluftbühne. Denn während man den Liliputs nah war, sitzt man hier für ein Puppentheater ungewöhnlich weit weg – auch das ist wieder eine Referenz ans offene Volkstheater. Die Bühne sieht in ihrem Aufbau aus drei aufeinander geschichteten Podesten wie eine Torte aus. Und die wird überall dynamisch bespielt. Es wird gelärmt und gesungen. Wenn die Puppen zum Einsatz kommen, dann werden sie mal unsanft von Riesen umhergeschleudert, mal zart geführt. Hier kommt ein weiterer Aspekt der Hallenser Bühne zum Tragen: Dass die Figuren auch die Spielerkörper bespielen, und man sich einmal fragt, ob Gulliver hier mit dem Spieler tanzt oder umgekehrt. Das Theater bringt den Spieler nicht zum Verschwinden, verheimlicht ihn nicht. So, wie es heute in vielen Figurentheatern üblich ist, war es lange schon an der Saale zu sehen. In Halle geht man transparent mit dem Verhältnis des Spielers zur Figur um, zeigt die Doublette, die beide bilden. Das passiert zum 70. Jubiläum auf eine derart leichte Weise, dass es jeden und jede einfach mitreißt. Das ist Volkstheater im besten Sinne des Wortes, es geht in die Vollen. Die Faszination des belebten toten Materials wird hinaus getragen in den öffentlichen Raum – und erreicht laut Angaben des Theaters insgesamt 30.000 Menschen. Auch das ist spektakulär. – www.puppe70.de Puppentheater Halle & Neues Theater Halle, Gulliver im Land der Riesen. Foto: Falk Wenzel
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DISKURS
THEORIEN DER PUPPE
RE! e n ac t
Wie sich theoretische Auseinandersetzung mit der Puppe und künstlerische Praxis wechselseitig beeinflussen Ausgehend von seiner Rezension zu Meike Wagners Buch Nähte am Puppenkörper im ersten Heft vor zwanzig Jahren (double 1/2004) reflektiert der Leiter des deutschen Kinder- und Jugendtheaterzentrums, Gerd Taube, die neueren Tendenzen in der Puppentheatertheorie. Die Entwicklung und Veränderung des Puppenspiels, von einer klar definierten Kunstform mit anthropomorphen Figuren hin zu einem vielfältigen Genre, das Objekte, Materialien und performative Elemente einbezieht, hat auch neue theoretische Ansätze aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, wie Gender Studies und New Materialism provoziert. Theorie und Praxis werden im Figuren- und Puppentheater eng aufeinander bezogen. V o n G e r d T a u b e /// Als um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Forscher*innen damit begannen, sich wissenschaftlich mit dem Puppenspiel zu beschäftigen, war ihr Gegenstand noch einigermaßen klar zu definieren. Es ging um das Theaterspiel mit anthropomorph – ob nun realistisch, abstrakt oder grotesk – gestalteten Theaterfiguren. Die Puppenspieler waren in der Regel nicht zu sehen oder dergestalt gekleidet bzw. platziert, dass sie als nicht sichtbar markiert waren. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts ist diese Gewissheit von der, die Illusion der Lebendigkeit schaffenden, künstlerischen Praxis der Puppenspieler mehr und mehr ins Wanken gebracht worden. So ist heute die offene Spielweise gang und gäbe und das Spielmaterial sind nicht mehr zwangsläufig Puppen oder Figuren, sondern Objekte, Gegenstände oder Materialien und Substanzen. Und auch die Bezeichnung für das Genre ist nicht mehr einfach Puppenspiel, weil sich viele Künstler*innen mit ihrer Kunst durch diesen Begriff nicht mehr repräsentiert fühlen. Als die Zeitschrift double vor 20 Jahren gegründet wurde, haben wir ihr den Untertitel Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater gegeben. Mit diesem sperrigen, auf Vollständigkeit der Beschreibung angelegten Bindestrichwörter haben wir versucht, die Vielfalt der künstlerischen Praxis und der darin gelebten Konzepte möglichst breit zu repräsentieren. Im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts nun scheint die Bezeichnung nicht mehr so bedeutsam. Im deutschsprachigen Raum stehen Puppentheater und Figurentheater weiterhin nebeneinander. Aber auch Objekttheater, Theater der Dinge oder Materialperformance werden verwendet. In den internationalen, englischsprachigen Diskursen ist beispielsweise von „Puppetry and Material Performance“1 die Rede. Damit wird auch der konzeptionell mit der Repräsentation von Wirklichkeit verbundene Theaterbegriff hinterfragt. Das Puppenspiel ist vielgestaltig geworden, geprägt von der offenen Spielweise bewegt es sich „an Schnittstellen zu Tanz, Musik, Zirkus und Performance“ und „bietet Raum für diverse Naheverhältnisse zwischen Organischem und Artefakt“2.
D a s V e r h ä lt n i s d e s Kö r p e r s z u r u n b e l e b t e n W e lt Ich weiß nicht, ob Meike Wagner, mit ihrer Dissertation von 2002 Nähte am Puppenkörper. Der mediale Blick und die Körperentwürfe des Theaters3 die erste war, die in einer wissenschaftlichen Arbeit über das Figurentheater den theoretischen Blick von der Animation und dem Verhältnis zwischen Manipulierendem und Manipuliertem auf die Körperlichkeit der Puppe richtete und fragte, wie das Puppenspiel von der Körperlichkeit des Puppenkörpers beeinflusst wird. Sie ist jedenfalls die erste, bei der ich davon gelesen habe und deren Perspektivwechsel mich damals irritierte und auch ein wenig skeptisch machte.4 Zwei Jahrzehnte später ist die theoretische Auseinandersetzung mit den polymorphen Spielarten des Puppenspiels geprägt vom kritischen Blick auf die neue Qualität des Verhältnisses des Menschen zur unbelebten Welt. Puppenspiel wird als Metapher und Ausdruck unseres sich ständig wandelnden Verständnisses davon, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, begriffen.5 Die Materialität der Umwelt von menschengemachten Dingen und Natur wird in der Reflexion der Beziehungen des Menschen zur unbelebten Welt bedeutsam und es scheint so, als ob das anthropozentrische Menschenbild, das auch das Puppenspiel lange geprägt hat, in Auflösung begriffen ist. Der Mensch wird nicht mehr als Beherrscher seiner Umwelt der Dinge und der Natur verstanden. Er macht sich die materielle Welt nicht untertan, sondern nimmt die Dinge und Materialien in ihrer Eigenart und Widerständigkeit wahr, aber auch in ihrer Transformierbarkeit. Die Körper der Spieler werden in den performativen Aushandlungsprozessen im Spiel mit den Dingen und dem Material selbst zum Material, Körper und Ding vermischen sich auf vielfältige Weise.
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DISKURS
Grenzüberschreitende Perspektiven In den theoretischen Diskursen über das historische und das zeitgenössische Puppenspiel spielen zunehmend Theorien und wissenschaftliche Perspektiven hinein, die sich ursächlich nicht mit dieser Kunst auseinandersetzen. Einflüsse der Postcolonial Theory, des New Materialism, der Gender Studies, Disability Studies oder Theorien der Enhanced Humanity weiten den theoretischen Blick auf das Puppen-, Figuren-, Objekt- und Materialtheater. Die Forscher*innen vollziehen damit ähnliche Grenzüberschreitungen, wie sie Silvia Brendenal als charakteristisch für das gegenwärtige Puppen- und Figurentheater beschreibt.6 Die Eigenarten zeitgenössischer Puppenspielkunst werden dabei nicht nur von Wissenschaftler*innen reflektiert. Zunehmend kommen in wissenschaftlichen Kontexten auch die Praktiker*innen zu Wort, um die konzeptionellen Ansätze ihrer Kunstpraxis zu reflektieren. Und auch in der Ausbildung von jungen Künstler*innen an den künstlerischen Hochschulen ist das gestiegene Interesse an theoretischer Reflexion der Puppenspielkunst seit etwa anderthalb Jahrzehnten zu beobachten.7 So gehen in der Kunstpraxis und in der Ausbildung theoretisches Nachdenken und praktisches Erproben konzeptioneller Ansätze Hand in Hand.
Die Wissenschaft der Puppe ist so interdisziplinär wie ihre Praxis Und obwohl die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Puppenspiel längst nicht mehr nur historiografisch motiviert ist, wie meine Dissertation, die ich vor 30 Jahren als eine Art Geschichte der Geschichtsschreibung des Puppenspiels8 geschrieben habe, spielt beispielsweise die theoretische Reflexion der Praxis der künstlerischen Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts weiterhin eine wichtige Rolle, um sich des Herkommens der zeitgenössischen Kunst des Puppen- und Figurentheaters zu versichern. Ebenso historisch orientiert ist
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DISKURS
auch das großangelegte Forschungsprojekt Puppet Plays. Puppet and Marionette Theatre Repertoires in Western Europe from 1600 till now, unter der wissenschaftlichen Leitung von Didier Plassard an der Universität von Montpellier in Frankreich.9 Bemerkenswert an diesem Projekt ist der Fokus auf den überlieferten und gegenwärtigen Puppenspiel-Texten und das Interesse an der Autorschaft im Puppentheater. Wobei der Begriff des Autoren weit gefasst ist. Er reicht vom Schriftsteller, über den Puppenspieler als Autor seiner eigenen Texte bis hin zur kollektiven und individuellen Autorschaft in der gegenwärtigen künstlerischen Praxis, bei der kein geschriebener Text, sondern die Aufführung als szenischer Text entsteht. Die theoretische Auseinandersetzung mit der Puppe ist inzwischen so interdisziplinär, wie ihre künstlerische Praxis. Und offenkundig beeinflussen sie sich gegenseitig, reagieren aufeinander und stehen in einem steten Austausch. Es bleibt also spannend, wohin sich die Kunst und die Theorien der Puppe in Zukunft entwickeln werden.
1 Vgl. die Publikation: Possner Dassia N., Claudia Orenstein und John Bell (Hg.): The Routledge Companion to Puppetry and Material Performance, London and New York, 2015. 2 Burgholzer, Laurette und Beate Hochholdinger-Reiterer: Vorwort, in: dies. (Hg.): Uneins – Désuni – At odds Identitätsentwürfe im Figurentheater, Berlin: Alexander Verlag, 2020, S. 9 (itw: im dialog – Forschungen zum Gegenwartstheater; 5). 3 Wagner, Meike: Nähte am Puppenkörper. Der mediale Blick und die Körperentwürfe des Theaters, Bielefeld: transcript Verlag, 2003. 4 Vgl. Taube, Gerd: Buchbesprechung, in: double. Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater, Berlin: Verlag Theater der Zeit, 1/2004, S. 32. 5 „Puppets and related figures that combine anthropomorphic elements with craftsmanship and engineering serve both as important metaphors and tangible expressions of our continually changing understanding of what it means to be human.” (Possner, Dassia N., Claudia Ohrenstein und John Bell: Introduction, in: Possner Dassia N., Claudia Orenstein und John Bell (Hg.): The Routledge Companion to Puppetry and Material Performance, London and New York, 2015, S. 2). 6 Vgl. Brendenal, Silvia: DIE PUPPE, DIE FIGUR – DAS DING. Ein Blick in Vergangenheit und Gegenwart des Puppen- und Figurentheaters, in: Joss, Markus und Jörg Lehman (Hg.): Theater der Dinge. Puppen-, Figuren und Objekttheater, Berlin: Theater der Zeit, 2016, S. 13-18 (Lektionen 7). 7 Vgl. beispielsweise Joss, Markus und Jörg Lehmann (Hg.): Theater der Dinge. Puppen-,Figuren und Objekttheater, Berlin: Theater der Zeit, 2016 (Lektionen 7). 8 Taube, Gerd: Puppenspiel als kulturhistorsiches Phänomen. Vorstudien zu einer „Sozial- und Kulturgeschichte des Puppenspiels“, Tübingen: Niemeyer Verlag, 1995. 9 https://puppetplays.eu/en
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WIR MÜSSEN JETZT IN AKTION KOMMEN! Gespräch mit Andrea Gronemeyer über aktuelle Herausforderungen für das Kinder- und Jugendtheater
RE! enact
Im ersten double-Heft berichtete Anke Meyer über ein Symposium zu „Europäischen KinderTheaterHäusern“ in Lippstadt und Melanie Florschütz schilderte ihre Eindrücke vom ersten europäischen Treffen zum Theater für ganz kleine Kinder in Val d’Oise. Mascha Erbelding nahm diese Texte zum Anlass, um mit Andrea Gronemeyer, der Leiterin der Schauburg – Theater für junges Publikum in München, über die jüngsten Entwicklungen im Kinder- und Jugendtheater zu sprechen – und über das Theater für die Allerkleinsten. Masch a E r be lding: Ich möchte mit dem Spannungsfeld zwischen Theaterpädagogik als Kunst und Theaterkunst als Pädagogik beginnen, das Anke Meyer damals benannte. Aus dem Artikel geht hervor, dass es früher noch viele Häuser gab, die eher die „Kunst“ in den Vordergrund stellten und bei „Pädagogik“ zurückschreckten. Wie würdest du die Entwicklung seitdem sehen? A ndrea Gro ne meye r : Da muss ich kurz auf die Geschichte des Kindertheaters eingehen. Diese Emanzipation des Kindertheaters vom Weihnachtsmärchen und Schulspiel hin zur Kunstform war zunächst ein Reflex auf die kategorische Verbindung von Kindertheater und Pädagogik. Man kritisierte entschlossen überkommene Konzepte des bisher rein unterhaltsamen oder didaktischen Kindertheaters. Seit den 1980ern definierte man den eigenen Auftrag damit, Kunst für Kinder zu schaffen. Das heißt, man distanzierte sich von Belustigungs- oder Erziehungsaufträgen und traute Kindern auch inhaltliche Komplexität und ästhetische Wahrnehmungskom-
Schauburg-Labor in Ramersdorf, 2024. Foto: Nanni Schiffl-Deiler
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petenzen zu. Denn was meint man, wenn man Kunst von Pädagogik, Didaktik oder Erziehung abgrenzt? Kunst begegnet seinen Rezipienten auf Augenhöhe und mutet diesen Ambivalenzen und Uneindeutigkeit zu. Sie belehrt nicht, sondern ermuntert dazu, sich ein eigenes Bild zu machen. So nimmt sie auch Kinder nicht als defizitäre, sondern als ganze Menschen wahr, nicht als becoming beings, sondern als human beings. Und das heißt: als ernstzunehmende Personen, die sich auch mit Allem, was diese Welt ausmacht, beschäftigen wollen, dürfen und können. Es war daher ein wichtiger Schritt in der Emanzipation der Kindertheaterschaffenden, sich selbst als Kunstschaffende zu definieren und Kinder als kompetente, co-kreative Rezipienten von Kunst. Genau an diesem Punkt befand man sich zur Entstehung des Artikels.
Von der Kunst für Kinder zur Partizipation Und sieht man das heute nicht noch immer so? Kinder können Kunst – das sieht man auch heute noch so. Die radikale Weigerung, das Kunstschaffen für Kinder auch als einen pädagogischen Auftrag oder vielleicht besser: einen Vorgang der kulturellen und ästhetischen Bildung zu verstehen, hat man dann zu Beginn der 2000er aber zum Glück auch wieder überwunden. Gutes Kindertheater zu machen braucht doch noch etwas mehr, als einfach nur „wie für Erwachsene“ zu arbeiten. Das ist vor allem wichtig, wenn man wirklich Theater für ein sozial und kulturell heterogenes Publikum machen will, wie es sich in den Schulvorstellungen der Kinder- und Jugendtheater inzwischen ganz selbstverständlich mischt. Wenn es bis dahin hieß: gutes Kindertheater erkennt man vor allem daran, dass es auch gut genug ist für Erwachsene, dann hat das doch einen gewaltigen Haken. Denn gutes Theater definiert sich ja gerade nicht dadurch, dass es immer allen gefällt und alle gleichermaßen anspricht. Jedes Lebensalter hat seine eigenen Themen und Referenzsysteme, so wie im Übrigen auch die unterschiedlichen sozialen oder kulturellen Kontexte unterschiedliche Wahrnehmungs- und Rezeptionskompetenzen voraussetzen. So wurde also auch das theaterpädagogische Arbeiten selbst als künstlerische Arbeit verstanden und neu ausgerichtet: Partizipation als Ziel zur Förderung von Teilhabegerechtigkeit, als Mittel zur kulturellen Bildung und zugleich als neue künstlerische Methode. Dieser Ansatz wurde seitdem entschlossen weiterentwickelt und hat sich im Übrigen ja auch im Theater für Erwachsene erfolgreich etabliert. Im Kinder- und Jugendtheater geht man in der Partizipation inzwischen sogar noch weiter, beteiligt Kinder und Jugendliche als Beiräte bei der Gestaltung von Festivals und Spielplänen und unterstützt in den Theaterclubs auch selbstorganisiertes Kunstschaffen von Kindern und Jugendlichen. Die künstlerische Arbeit für das junge Publikum geht so fließend über in eine künstlerische Arbeit mit und von Kindern und Jugendlichen.
Theater für die Allerkleinsten Wie die Theaterpädagogik war ja auch das Theater für die Allerkleinsten in Deutschland anfangs sehr umstritten, in Italien, Frankreich und auch in den skandinavischen Ländern war das anders. Hatte das Theater für die Allerkleinsten eine Art von Vorreiterfunktion für ein neues Bild von den Zuschauenden, den Kindern? Ich würde sagen, es war auf jeden Fall ein Vorreiter und zwar insgesamt für neue performative Formate im Theater für junges Publikum. Zum Beispiel für das Aufbrechen der klassischen Sparten und den Abschied vom narrativen, dramatischen Theater. Kindertheater war bis dato vor allem Figurentheater oder Schauspiel. Im Theater für Kinder im vorsprachlichen Alter musste man sich nun mit anderen Zeichensystemen als der Wortsprache beschäftigen und da war dann der Weg auch offen für ein neues Musik- und Tanztheater für junges Publikum. Dazu kam der Abschied von klassischer Dramaturgie und die Beschäftigung mit neuen performativen Formaten. Die Darstellenden traten in einen sehr direkten Austausch mit den Kindern. Stücke entstanden mit dem Publikum auf den Proben und entwickelten sich in der Aufführungspraxis weiter. Das waren wichtige Schritte, die wir zunächst in der Entwicklung des Theaters für die Allerkleinsten gemacht haben. Und davon hat dann auch das Theater für größere Kinder und Jugendliche durchaus profitiert.
Inklusiver und integrativer als das Theater für Erwachsene Was hat sich deiner Ansicht nach noch verändert? Wir haben eine demografische Entwicklung, die dafür sorgt, dass unser Publikum viel heterogener ist als noch vor 20 Jahren und weil wir uns damit so sehr auseinandersetzen, sind wir vielleicht tatsächlich auch integrativer und inklusiver als das Theater für Erwachsene. In unseren Zuschauerräumen bildet sich die gesamte Stadtgesellschaft ab mit ihren unterschiedlichen Lebensaltern, mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Sprachen, unterschiedlichen Sitten und Gebräuchen und mit Werten aus unterschiedlichen Kulturen und Religionen. Das ist eine enorme Herausforderung. Denn Kultur ist ja eigentlich ein Kitt, der den Menschen hilft, ihr Zusammenleben trotz unterschiedlicher Bedürfnisse und Fähigkeiten zu organisieren. Was brauchen wir denn für verbindende Kulturereignisse, wenn wir in so heterogenen Gruppen zusammenleben wollen und nicht in lauter Parallelkulturen nebeneinander her oder noch schlimmer gegeneinander an? Und wer ist überhaupt „Wir“? Wir Kunstschaffenden können auf viele Weisen – verbindend und differenzierend – zum Ringen um ein neues „Wir“ beitragen.
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Eine große Herausforderung dieser Zeit ist doch auch die Digitalisierung und die damit einhergehenden neuen Kommunikationsformen. Wie geht das Kinder- und Jugendtheater damit um? Die Kinder, die ja schon ab 8 Jahren ganz selbstverständlich Smartphones benutzen und Zugang zu Dingen haben, die ihnen nicht unbedingt gut tun, müssen erst noch lernen, wie man mit diesen machtvollen Instrumenten kompetent umgeht, anstatt ihnen zu verfallen. Und deshalb brauchen sie auch Vorbilder für andere Möglichkeiten zwischenmenschlicher Interaktion. Das Internet bietet so spannende Möglichkeiten und ist dabei so partizipativ, dass sich damit auch die Anspruchshaltung an Partizipation in anderen medialen Kontexten verändert hat. Das kann man durchaus positiv sehen, denn die Demokratie braucht schließlich Menschen, die sich aktiv einbringen und mitgestalten wollen.
Dystopie und Utopie Meine Abschlussfrage: In 20 Jahren feiert hoffentlich die nächste double-Redaktion das 40-jährige Bestehen. Was wird bis dahin passiert sein? Ich sehe da zwei Varianten, eine Utopie und eine Dystopie. Die Dystopie wäre: Wir schaffen es als Gesamttheaterlandschaft nicht, auf den demografischen Wandel so zu antworten, dass wir uns als Common Ground für den gesellschaftlichen Diskurs anbieten und als Orte, in denen sich die Unterschiedlichen dieser Gesellschaft wirklich begegnen könnten. Das Theater schafft sich selbst ab, indem es sich weiter exklusiv auf fünf Prozent der Bevölkerung konzentriert. Und noch schlimmer, vielleicht kommen rechte Regierungen in Länder und Kommunen an die Macht und machen das schon bevor wir das selbst machen. Der bereits voranschreitende Rechtsruck sollte uns alarmieren, uns auf unsere Qualitäten zu besinnen und statt zu jammern, die Ärmel hochzukrempeln und dafür zu kämpfen, dass wir uns diese Diskursräume nicht nur erhalten, sondern sie auch für ein kulturelles Miteinander der heterogenen Gesellschaft aktiv zur Verfügung stellen. Wir müssen jetzt in Aktion kommen und nicht warten, dass die Menschen schon irgendwann begreifen, wie wichtig das Theater für die Gesellschaft sein kann! Auch deshalb war mir wichtig, dass wir uns für dieses Gespräch heute hier an unserer neuen Spielstätte im Bezirk Ramersdorf/Neuperlach treffen. Hier soll ein neuer, kultureller „Dritter Ort“ für die Menschen in einem sehr heterogenen Umfeld entstehen. Und damit wären wir beim utopischen Blick in die Zukunft. Die Utopie wäre, dass es uns gelingt, die genannten Herausforderungen zu meistern. Dass wir ein Ort sind, wo wir die gefährdete Demokratie, die Freiheit, die wir in diesem Land genießen, verteidigen mit den Mitteln der Kunst. Dazu gehört, dass wir Kinder und Jugendliche und überhaupt die Menschen, die wir erreichen wollen, mitgestalten und mitbestimmen lassen. Dass wir miteinander und voneinander lernen und die Zukunft gemeinsam entwerfen. Und in 20 Jahren gäbe es dann lauter solche Kulturhäuser, in denen die Menschen nicht nur zuschauen, sondern selbst zu Künstlern und Gestaltern ihres Lebens werden und gemeinsam Kultur schaffen. – www.schauburg.net Schauburg-Labor in Ramersdorf, 2024. Foto: Nanni Schiffl-Deiler
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ZWISCHEN EXPERIMENT UND FOLKLORE Einblicke ins bulgarische Puppentheater 17 staatliche und kommunale Puppentheater zählt Bulgarien, dazu diverse freie Gruppen und mehrere große Festivals1 – eine beeindruckende Zahl für eine Nation mit knapp 6,5 Millionen Einwohner*innen. Tim Sandweg besuchte auf seiner zweiwöchigen Recherchereise Theater und Kolleg*innen in Burgas, Sofia und Stara Zagora.
Erste Station: Die staatlichen Puppentheater V o n T i m S a n d w e g /// Ende April sitze ich im Saal des Staatlichen Puppentheaters Stara Zagora. Während sich die meisten der in der Sowjetzeit gegründeten Häuser des Landes weitestgehend an das junge Publikum richten, legt das hiesige Theater unter der Leitung von Darin Petkov einen Schwerpunkt auf Stücke für Erwachsene – auch mit seinem biennalen Festival „Pierrot“. An diesem Abend sehe ich die jüngste Produktion „Завод“ („Fabrik“), die auf Gedichten des bulgarischen Poeten und Kommunisten Nikola Vaptsaroy basiert, einer nicht unumstrittenen Figur, wie mir Dramaturgin Natalia Aleksieva erklärt. Die Inszenierung ist großformatiges Bewegungstheater: Das sechsköpfige Ensemble bevölkert als graugekleidete und verrußte Arbeiter*innen in stilisierten Abläufen die titelgebende Fabrik – individuell gezeichnete Charaktere in der gleichmachenden Maschinerie, die subversive Revolten planen und an der nahezu göttlichen Überwachung scheitern. Dazu läuft, wie in fast allen Produktionen, die ich auf meiner Reise sehe, ein bombastischer Soundtrack vom Band. Neue Ästhetiken, Formen und Inhalte durchzusetzen ist gar nicht so einfach bei einer Theaterfinanzierung, die sich an den Einnahmen orientiert: Jeder Lew aus dem Kartenverkauf wird mit etwas mehr als fünf Lewa bezuschusst. Doch während dies in anderen Häusern zu immer gefälligeren Inszenierungen führt (im Puppentheater Sofia läuft zur gleichen Zeit etwa „Spongebob – Das Musical“), setzt das hiesige Team auf seinen Sonderweg. Erfreulicherweise hat auch die Stadt diese Qualität erkannt: Auf dem Theaterhof soll in Kürze Baubeginn sein für das Experimental Puppetry Arts Center: Eine zweite Spielstätte für unkonventionellere Arbeiten, Austausch und gemeinsame künstlerische Forschung.
Zweite Station: Die Hochschule Die Nationale Akademie für Theater- und Filmkunst liegt im Herzen der bulgarischen Hauptstadt. 1962 wurde hier die Abteilung Puppenspiel gegründet, die bis heute Puppenspieler*innen und Regisseur*innen ausbildet. Der Studiengang Szenografie und Puppengestaltung wurde hingegen vor kurzem eingestellt – es heißt, dass keine Bemühungen unternommen wurden, eine Nachfolge für die langjährige Professorin zu finden. Konstantin Karakostov leitet den Studiengang Puppenspiel und betreut aktuell das erste Jahr mit 26 Studierenden – die Bewerbungszahlen liegen im dreistelligen Bereich. Ich sitze auf einer Probebühne, gerade wird das Semesterprojekt geprobt: Die Studierenden zeigen in verdeckter Spielweise kurze pointierte Szenen mit selbst gestalteten Puppen. Danach werden die Paravents abgebaut und eine große Ensemble-Nummer im Stile bulgarischer Folklore erfüllt den Raum – eine Form der Darbietung, die sich im Land großer Begeisterung erfreut. Rhythmus, Handwerk, Virtuosität sind beeindruckend, in ihrer perfekten Umsetzung und unglaublichen Schnelligkeit aber auch etwas überfordernd. Nach der Probe herrscht eine lockere Stimmung – dennoch beschleicht mich ein Gefühl, das mir an mehreren Stationen meiner Reise begegnet: Die Theaterszene Bulgariens wirkt sehr kompetitiv. Auch im Studiengang geht es um Bestenauslese – nicht alle Studierende, die vor mir sitzen, werden ihren Abschluss machen. Die, die es schaffen, hätten gute Job-Aussichten, meint Professor Karakostov, wenngleich auch hierzulande junge Künstler*innen mitunter das prekäre Leben in der Hauptstadt einem Festengagement in der Provinz vorzögen.
Dritte Station: Die freie Szene Prekär ist in Sofia insbesondere die freie Szene – nicht nur aufgrund der Fördersituation. Es fehlen auch geeignete Spielorte – das neue Gastspielhaus Toplocentrala ist von Produktionsanfragen überlaufen – und auch das Publikum für unkonventionelle Theaterformen ist begrenzt. Gleichzeitig gibt es eine Vielzahl kleinerer privat betriebener Theaterorte: Im winzigen I AM Studio in einem Hinterhof 1 Einen hervorragenden Überblick bietet die englisch- und französischsprachige Ausgabe Nr. 14 des Puppentheatermagazins „KuklArt“ aus dem Jahr 2020, herausgegeben von Association of Puppet Theater (AKT) – UNIMA Bulgarien.
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gegenüber der Hochschule sehe ich eine vielversprechende nonverbale Nachwuchsarbeit mit aus Papier geknüllten Puppen und im Atelier 313, einem Figurentheater in einem Plattenbauviertel außerhalb des Stadtkerns, erlebe ich mit „Пиано на луната“ („Klavier auf dem Mond“) einen Höhepunkt meiner Reise. Darin navigiert sich ein energiegeladenes Ensemble junger Puppenspieler*innen mit vier fahrbaren Gerüsten und von der Decke hängenden Trapezen virtuos durch eine Vielzahl von Charakteren. Desislava Mincheva und Petar Todorov treffe ich im Grand Hotel Sofia, wo gerade ein Festival für das allerjüngste Publikum stattfindet. Das Paar produziert seit zwanzig Jahren freischaffend mit dem von ihm gegründeten Pro Rodopi Art Centre. Die aktuelle Produktion „Нарисувай ми човек“ („Zeichne mir eine Person“) entwickelten sie zusammen mit einer Kinderpsychologin insbesondere auch für junges Publikum mit Behinderung. Neben Projektförderungen sind Gastspiele wie das in Sofia und internationale Touren zentral für ihre Finanzierung. Dies kombinieren sie mit Regieaufträgen sowie der Organisation von Festivals in den Rhodopen und der Hafenstadt Burgas. Dort sind sie seit kurzem auch am Staatlichen Puppentheater engagiert, wo sie versuchen, mit ihrer langjährigen Erfahrung die Formsprache und Zielpublika zu erweitern. Der Weg der Erneuerung des bulgarischen Theatersystems, so sagt es mir auch Natalia Aleksieva am Ende unseres Gesprächs in Stara Zagora, ginge nur über die staatlichen und kommunalen Theater. Sie hofft darauf, dass die Häuser von der jüngeren Generation, der sie selbst angehört, bald mit neuen künstlerischen Ideen übernommen und international vernetzt werden. Die vielversprechenden Ansätze sind in jedem Fall da. – www.en.pierrot-bg.com – www.natfiz.bg/en/about-us – www.prac.biz Förderhinweis und Disclaimer: Die Reise wurde mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union durchgeführt. Die hierin geäußerten Ansichten sind keinesfalls als offizielle Meinung der Europäischen Union zu verstehen. Staatliches Puppentheater Stara Zagora, Factory. Foto: Alexander Bogdan Thompson
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EINE ANDERE ART FAMILIE
RE ! e n ac t
Stefanie Oberhoff im Gespräch mit Katja Spiess über 20 Jahre Zusammenarbeit mit dem kongolesischen Espace Masolo
Das „Centre des Ressources de Solidarité Artistique et Artisanale“, kurz „Espace Masolo“, wurde 2003 in Kinshasa von drei kongolesischen Künstler*innen gegründet: der Schauspielerin Malvine Velo, dem Erzähler Hubert Mahela und dem Puppenspieler Lambert Mousseka. Das Zentrum betreut ehemalige Straßenkinder und junge Menschen, die als „Hexenkinder“ von ihren Familien verstoßen wurden. Es macht Unterrichtsangebote und gibt Starthilfen für ein selbständiges Leben. Dazu dienen – neben Schulfächern wie Schreiben, Lesen, Rechnen und Französisch – vielfältige künstlerische Aktivitäten, u. a. Puppen-, Masken- und Instrumentenbau, Theater und Musik. Die Stuttgarter Bühnenbildnerin und Figurenspielerin Stefanie Oberhoff reiste 2004 zum ersten Mal nach Kinshasa und berichtete in der ersten Ausgabe des double über ihre Erfahrungen. Aus dieser Begegnung ergab sich eine nunmehr 20-jährige künstlerische Partnerschaft mit viel beachteten internationalen Koproduktionen sowie ein regelmäßiger Austausch mit einer Gruppe junger Musiker*innen aus Wuppertal. 2008 gründeten Künstler*innen aus Stuttgart und Wuppertal den Verein Freundeskreis Espace Masolo e. V., um das Zentrum finanziell zu unterstützen. Im Gespräch mit Katja Spiess gibt Stefanie Oberhoff einen Einblick in die Entwicklungen der letzten 20 Jahre und die Arbeit des Espace Masolo heute. K a t ja S pie ss: Vor 20 Jahren warst du auf Einladung der deutschen Botschaft Kinshasa das erste Mal in der demokratischen Republik Kongo und hast seither mit deinem Label Gütesiegel Kultur* – heute Agentur Punch – viele Kooperationsprojekte mit Künstler*innen des Espace Masolo entwickelt. Wie würdest du diesen Ort heute beschreiben? S t e fa nie Obe r ho ff: Das erste Wort, das mir einfällt, ist: Familie. Als Familie für Menschen, die keine Familie haben, ist der Espace Masolo unglaublich stabil. Es ist toll, wie die Menschen, die dort arbeiten und dort ausgebildet wurden, zusammenhalten. Selbst Ehemalige, die sich entfernt haben, können immer wieder andocken.
Schlicht ein ganz großes Wunder Und dann gibt es etwas, das ich schlicht als ganz großes Wunder bezeichnen würde: nämlich dass das Espace Masolo heute organisatorisch zu 90 % in der Hand von ehemaligen Schüler*innen liegt. Ein Kulturzentrum, das von ehemaligen Straßenkindern geleitet wird – wenn das keine Erfolgsgeschichte ist. Zu der Erfolgsgeschichte gehört auch, dass es mit Hilfe des Freundeskreises Espace Masolo gelungen ist, ein neues Grundstück zu erwerben und einen Neubau zu errichten. Dieser Bau, der von Ehemaligen, die heute als Maurer und Schlosser arbeiten, eigenhändig aufgebaut wurde, ist im Besitz des kongolesischen Trägervereins, so dass man gegen Grundstücks- und Mietspekulation abgesichert ist. Leider bringt der Neubau auch ein paar Probleme mit sich, denn er liegt außerhalb der Innenstadt, und es ist sehr aufwändig und teuer, dorthin zu kommen. So verfügt man zwar über eine bessere und modernere Infrastruktur, aber die Zugänglichkeit für die Kinder ist schlechter geworden. Dazu kommt die in den letzten Jahren strenger gehandhabte Schulpflicht im Kongo, die das Profil Rencontre des Superheroines Kinsuka. Foto: Espace Masolo
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des Espace Masolo vermutlich stärker in Richtung Kulturarbeit verändern wird. Eine große Zukunftsaufgabe für die neue Leitung. Und trotz all der erfolgreichen Arbeit bleibt es schwer, als Künstler*in im Kongo den Lebensunterhalt zu bestreiten. Für die 2009 gegründete und anfangs sehr erfolgreiche Brass-Band Jeunes Talents beispielsweise, ist in der Corona-Zeit ein komplettes Arbeitsfeld weggebrochen. Es haben sich Beerdigungen im „europäischen Stil“ durchgesetzt, bei denen die Toten schnell – und damit auch ohne Musikbegleitung – unter die Erde gebracht werden. Dies hat dazu geführt, dass die Aufträge für die Band drastisch zurückgegangen und viele der Mitglieder arbeitslos sind.
Neue Visionen der nächsten Generation Und wie ist das mit den Puppenspieler*innen? Wird denn weiterhin im Bereich Puppenspiel ausgebildet? Und gibt es Jobs in diesem Bereich? Ja, Puppenbau und -spiel sind, ebenso wie Maskenbau und -spiel, nach wie vor wichtige Elemente der Ausbildung. Und es entstehen auch immer wieder kleine Produktionen vor Ort. Aber nur wenige am Espace Masolo ausgebildete Puppenspieler*innen schaffen es, mit ihren Arbeiten größere Strahlkraft zu entfalten. Einer, dem das gelungen ist, ist Didier Mfumu mit seinen Marionnettes du Congo. Bei dem Wettbewerbsformat „Jeux de la francophonie“, bei dem die Teilnehmer*innen in verschiedenen Disziplinen – unter anderem in der Disziplin „Marionnette géante“ – gegeneinander antreten, hat er mit seinem Ensemble dieses Jahr die Goldmedaille geholt. Das ist ein ziemlich prestigeträchtiger Preis. Häufig aber bleibt die Reichweite der Theaterarbeit regional begrenzt. Was hat sich verändert? Ich glaube, es gibt zwei Aspekte. Die Gründer*innen-Generation des Espace Masolo – und hier vor allem Hubert Mahela und Lambert Mousseka – hatten starke künstlerische Visionen. Beide arbeiten zwar nach wie vor in Kinshasa, haben aber ihren Lebens- und Arbeitsmittelpunkt in Europa. Es ist nun an der nächsten Generation, neue Visionen zu entwickeln. Und auch auf der deutschen Rencontre des Superheroines Kinsuka. Foto: Espace Masolo
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Seite braucht es einen Generationenwechsel. In der internationalen Kulturarbeit ist es einfach schwer, Nachhaltigkeit zu erzeugen; als Projektinitiatorin hat man das Gefühl, ständig bei null anzufangen. Das verschleißt die Kräfte. Dazu kommen nervenaufreibende Visa-Verfahren und Verantwortlichkeiten, die – auch für Gastgeber*innen und Veranstalter*innen – auf beängstigende Weise in den strafrechtlichen Bereich hineinreichen. Irgendwann geht da den meisten der Mut oder die Puste aus.
D i e A lt e r n at i v e , n i c h t s z u m a c h e n , i s t d i e d e u t l i c h s c h l e c h t e r e Sind denn europäisch initiierte Kooperationsprojekte im großen Stil überhaupt noch sinnvoll, zumal ja auch immer wieder die Frage im Raum steht, inwieweit der europäische Blick den Kulturaustausch dominiert? Natürlich ist es richtig, danach zu fragen, mit welcher Motivation und welcher Vorstellung von Kulturaustausch weiße Künstler*innen nach Afrika reisen und wie groß der Benefit vor Ort ist. Ich finde es aber auch wichtig zu bedenken, was es für die Menschen in Staaten wie dem Kongo bedeutet, wenn es diesen Austausch nicht mehr gibt. Meine Erfahrung ist, dass internationale Kooperationsprojekte dem Empowerment der Künstler*innen vor Ort einen ziemlichen Push geben können. Und ich denke, ich darf es mir auch auf meine Fahnen schreiben, wie gut einige meiner kongolesischen Kolleg*innen – z. B. die Rapperin Oracle Ngoy oder die Sängerin und Perkussionistin Huguette Tolinga – inzwischen darin sind, internationale Netzwerke aufzubauen und in Europa Gelder zu akquirieren. Und für mich gibt es auch noch einen ganz wichtigen menschlichen Aspekt: Wenn ich sehe, wie unser Freundeskreis lebensrettende Operationen für Mitglieder des Espace Masolo finanziert oder Kolleg*innen aus lebensgefährlichen Gefängnissituationen rettet, ist für mich ganz klar: die Alternative, nichts zu machen, ist die deutlich schlechtere.
Mit künstlerischer Arbeit ein Selbstbewusstsein aufbauen Gibt es etwas, wo du mit deiner künstlerischen Arbeit oder mit deinem Engagement im Freundeskreis auf Grenzen gestoßen bist? Ein ständiges Thema für mich und auch für den Freundeskreis ist das der Einmischung. Wir haben immer versucht, uns möglichst wenig in die Arbeitsprozesse vor Ort einzumischen und Entscheidungen, die vom Team des Espace Masolo getroffen wurden, zu respektieren – unabhängig davon, woher die Gelder kommen. In der Praxis war das nur leider nicht so einfach, da aus Deutschland finanzierte Projekte nun mal mit deutschen Behörden abgerechnet werden mussten. Was das ein oder andere Mal zu echt kafkaesken Situationen geführt hat. Inzwischen könnte Gabriel, der sich um die Finanzen des Espace Masolo kümmert, vermutlich in jeder deutschen Behörde anfangen. Und es gibt auch einen Punkt, wo ich mich bewusst eingemischt und Entscheidungen der kongolesischen Kollegen über den Haufen geworfen habe: nämlich dann, wenn es um die Teilhabe von Frauen ging. So habe ich beispielsweise Einfluss auf die Besetzungslisten genommen, weil es mir total wichtig war, dass auch Frauen auf ein Gastspiel nach Europa mitfahren können. Für mich ist nach wie vor der wichtigste Aspekt dieser Arbeit, mit künstlerischer Aktivität ein Selbstbewusstsein aufzubauen. Und das sollte für alle Geschlechter gelten. Ein Blick in die Zukunft: Welche Perspektiven siehst du für den Espace Masolo und welche für die internationale Kulturarbeit? Wenn ich mir die junge Generation am Espace Masolo anschaue, bin ich zuversichtlich. Ich glaube, sie werden die Arbeit in anderer Weise als die Gründer*innengeneration, aber erfolgreich fortführen. Deutlich pessimistischer bin ich beim Blick auf die Förderstrukturen in Deutschland. Im Zuge der Einsparungen beim aktuellen Bundeshaushalt sind viele Förderprogramme – u. a. vom Fonds Darstellende Künste – von massiven Einsparungen betroffen. Und das wiederum wird sich dramatisch auf die Finanzierung internationaler Kooperationen auswirken. Hier wünsche ich mir ein Umdenken in der Kulturpolitik: weg von der Eventkultur und hin zu einer Verantwortungskultur. Daher ist es wichtig, das der Espace Masolo weiter mit Spenden unterstützt wird: www.espacemasolo.org Rencontre des Superheroines Kinsuka. Foto: Espace Masolo
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DE N BLICK FÜR DAS EIGENE SCHICKSAL SCHÄRFEN „Nach Peer Gynt“ am Theater Koblenz V o n L e a h W e w o d a /// In ‚Nach Peer Gynt‘ schafft Autorin Deborah Kötting einen neuen Zugriff auf Ibsens Antihelden und dessen Umfeld, das an den zerstörerischen Taten und leeren Versprechungen dieses norwegischen Hochstaplers zerbricht. Streitbarer Stoff, und umso notwendiger ist eine Neuverortung für die Bühne – im Programmheft ist von Überschreibung die Rede. Diese geht so weit, dass Peer Gynt als Figur abwesend bleibt, im Vordergrund stehen in dieser Uraufführung am Theater Koblenz die Figuren, die unter seinen Taten gelitten haben. Regisseur Markus Dietze wählt dabei eine besondere Besetzungsformel: Zehn Schauspieler:innen mit zehn beinahe identisch aussehenden Großpuppendoubles (Bau: Ulrike Langenbein) und zehn dazugehörige Puppenspieler:innen. Da wären zum Beispiel Solveig (Esther Hilsemer) und ihre Puppe (Svea Schiedung), die am Tresen stranden, mit Brautkleid und Strauß, Accessoires, die von einer Hochzeit zeugen, die nie stattgefunden hat. Solveig verliert sich in Gedanken, ihre Puppe lässt Wut am Blumenstrauß aus – das ist ebenso pur wie rührend. Mads (Jona Mues, Tizian Steffen) hofft fortwährend auf Solveigs Hand, mit immer neuen Blumen. Er klammert sich an Teller im Einkaufswagen, als stünden sie sinnbildlich für das Leben vor Peer Gynt. Emma Farlig (Theresa Dittmar, Sophia Walther) kehrt als radikalisierte Lokalpolitikerin an den Ort zurück, wo sie sich einst in Wirtin Kari (Cynthia Thurat, Hendrika de Kramer) verliebt hatte. Eine Liebe, die nun nicht mehr mit ihrem Weltbild vereinbar ist – die Zärtlichkeit von damals findet über die Ebene der Puppe statt, ein Flashback der ersten Annäherungen, doch umso kälter wirkt daneben die schauspielerische Figur. Jedes Duo findet in seinen Sequenzen eine Verbildlichung, die zum Grund der Figur führt – filigran und unbeschönigt, in unterschiedlich gearbeiteten Spielweisen, mal synchron, mal gegenläufig. Es liest sich auch als Verarbeitungsversuch des kollektiven Traumas Gynt – fällt sein Name, geht ein vor Schmerzen verzerrter Stimmlaut durchs Ensemble. Die starken Momente des Abends sind vor allem die, in denen das dreißigköpfige Ensemble als Einheit gemeinsam auf der Bühne agiert. In einem Standbild mustern die Puppen ihre menschlichen Doubles, die in Posen eingefroren sind. Es ist ein Moment, in dem sich Puppe und Mensch nah sind, einander den Spiegel vorhalten – und das Bedürfnis aufkommt, dass Kooperationen zwischen beiden Sparten auf der großen Bühne häufiger zu sehen sein sollten. Im Geflecht aus Personen und Material wirken die Puppenspieler:innen wie Vermittler:innen zwischen den beiden Welten – sie treten anstelle jener mythischen Wesen, die fester Bestandteil von Ibsens Dramenvorlage sind. Die menschlichen Figuren sind den durch die Puppen visualisierten Erlebnissen emotional ausgesetzt, ohne darauf Einfluss nehmen zu können. Sie sehen dabei zu, wie sich das Abbild ihres Selbst erbarmungslos im Schicksal verrennt. Das bewirkt ein Gefühl des Ausgeliefertseins, man kann es beim Zuschauen nachempfinden. Entweder man verlässt den Theatersaal mit diesem Eindruck, oder man liest das Stück als Einladung, als Aufforderung dazu, genau mit jenen Abschnitten im eigenen Leben in Kontakt zu kommen, die man am liebsten streichen würde. – www.theater-koblenz.de Theater Koblenz, Nach Peer Gynt. Foto: Matthias Baus
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ANDERSWO WEIT WEG Die Brüsseler Cie. Gare Centrale zeigt „Letters from my Father“ in Bochum V o n A n k e M e y e r /// An der Bushaltestelle vor dem Spielort herrscht große Empörung: Wieder ein Stück aus einem Kolonialistenland, das dem Thema nicht im mindesten gerecht werde! Es mache aus den unfassbaren Verbrechen der Europäer auf dem afrikanischen Kontinent eine Geschichte, in der zwar die Sicht der belgischen, weißen Protagonistin verständlich werde, das Leid der Kolonisierten hingegen mit lächerlichen, stereotypen Objekten zugedeckt bleibe. Die Zuschauerin ist „really angry!“, wie sie mehrfach betont. So könnte man das vielleicht sehen, wenn es darin ausschließlich um belgische Kolonialgeschichte ginge. Doch „Letters from my Father“, die neue Kreation der Brüsseler Cie. Gare Centrale, nimmt das Publikum mit auf einen Erinnerungsprozess an eine nicht ganz unbeschwerte Kindheit und bleibt thematisch bewusst in der Schwebe. Darauf verweisen schon zwei gleich zu Beginn dezidiert benannte Daten und Ereignisse: 30. Juni 1960 – der Kongo wird unabhängig, und der 1. September 1960 – Schulstart in Belgien. In Leopoldville, dem heutigen Kinshasa, leben und arbeiten die Eltern, während ihre Kinder, die achtjährige Agnès und ihre vier Geschwister, bei einem Onkel in einem belgischen Dorf in Obhut gegeben sind. Die eingenommene Perspektive, der Blick des Kindes – repräsentiert durch ein junges Puppen-Double der Objekttheaterkünstlerin und Protagonistin Agnès Limbos – auf diese finstere Zeit belgischer (Nach)Kolonial-Greuel „anderswo, weit weg“ ist offensichtlich ungenau. Die Erinnerungen der erwachsenen Agnès sind alles andere als zuverlässig und auch das Kind stellt die eigene Wahrnehmung immer wieder in Frage: „War das wirklich oder war das nur ich?“ Dieser die Inszenierung prägende Grundzweifel speist sich zusätzlich aus der Unfassbarkeit der zutage tretenden Details. In nach und nach ausgestalteten MiniaturSzenarien stehen sich belgische Dorfidylle und fromm verbrämte Kasernierung behinderter Kinder ebenso schroff gegenüber wie aus schwarzer Erde gegrabene Schützenpanzer, Diamanten, abgehackte Hände, Tonbandsalat, die Rede des ersten kongolesischen, sehr bald ermordeten Ministerpräsidenten aus dem Off – und zierlich flatternde Schmetterlinge. Erinnerungwirrwar. Kinderblick. Die fragmentarisch zitierten Briefe des Vaters mildern diese Irritation nicht, im Gegenteil. Auf Bemerkungen darüber, wie man als Mitarbeiter einer belgischen Kolonial-Institution für das Wohl der „armen Kongolesen“ sein eigenes Familienleben opfert, auf knappe Berichte vom Alltag, in denen die Kongolesen stets ängstlich und unwissend erscheinen, folgen unausweichlich Ermahnungen an die Kinder betreffs Schulleistung, Frömmigkeit, Gehorsam. Ein geradezu zynischer Subtext entsteht, als der Ton der Briefe unversehens umschlägt. Auf die knappe Erwähnung von Demonstrationen, Soldaten und Panzern folgen detaillierte, immer blumiger werdende Naturbetrachtungen. Begleitet von zunehmendem Schusswechsel aus dem Off entfaltet sich hier ein intimes, erschütterndes Abbild des großen Verdrängens kolonialer und nachkolonialer Verbrechen, das in Europa bis heute die dominierende Haltung ist. In Letzterem liegt allerdings tatsächlich eine Crux dieser lebensklugen, sehr persönlichen theatralen Erinnerungsarbeit, die – weitab von jeglicher Anmaßung, Perspektiven von Kolonisierten einzunehmen – eigenen Wahrnehmungslücken leichtfüßig auf die Spur zu kommen sucht. Denn ob ohne Vorwissen1 aus dem Theatererlebnis sehr viel mehr entsteht als atmosphärisches Unbehagen und distanzierte Zustimmung, bleibt vielleicht doch fraglich. – www.garecentrale.be 1 Laut UN-Bericht wussten 2019 ca. 25 Prozent der belgischen Abiturient*innen nicht, dass der Kongo belgische Kolonie war.
Cie. Gare Centrale, Letters from my Father. Foto: Hervé Dapremont
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EIN NETZWERK MIT GROSSEN ZIELEN Über den Start des Bündnisses KompleXX Figurentheater Bereits seit 2012 gibt es Pläne zur besseren bundesweiten Zusammenarbeit der unterschiedlichen Figurentheaterinstitutionen in Deutschland. Diese Pläne werden mit dem Projekt KompleXX Figurentheater nun Realität. Mareike Gaubitz berichtet vom Auftakt dieses Bündnisses, dessen Entstehungsgeschichte und gibt einen Überblick über die inhaltliche Schwerpunktsetzung. V o n M a r e i k e G a u b i t z /// Fünf Jahre Vorlaufzeit, zwei Jahre Projektlaufzeit, 16 Bündnispartner*innen, 400.000 Euro Fördervolumen, mehrere Live-Treffen und unzählige Zoommeetings – KompleXX Figurentheater ist gestartet und blickt auf ein ereignisreiches erstes Jahr! Ermöglicht durch den Bundesverband Freie Darstellende Künste (BFDK) und die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien (BKM) setzt das Bündnis der Deutschen Figurentheaterszene mit Mitteln des Programms „Verbindungen fördern“ Modellprojekte und Vernetzungsformate um. Es engagiert sich zudem für eine bessere Sichtbarkeit des Genres in der (Kultur-)Politik und Gesellschaft. Im Mai feierte das Bündnis den Auftakt der angelaufenen Arbeit bei einem Brunch im Rahmen des Festivals FIDENA in Bochum. Neben Mitgliedern der Figurentheaterszene folgten auch Vertreter*innen aus Politik und Presse der Einladung. Caroline Waldeck, Vertreterin des Referats K 27 für Theater, Tanz und Performance der BKM, ergriff spontan das Mikrofon und begrüßte die euphorische Aufbruchsstimmung des Netzwerks, dessen Bedeutung sie für eine erfolgreiche kulturpolitische Strategie hervorhob. Zum politischen Vertreter des Figurentheaters erklärte sich kurzerhand Helge Lindh, Mitglied des Bundestags für die SPD. Für weiteren Rückenwind sorgte auch die Zusage der BKM Claudia Roth, die Schirmfrauschaft für das Bündnis zu übernehmen. Dieser Auftakt war für die Bündnispartner*innen eine besondere Möglichkeit, nach den jahrelangen Vorarbeiten im virtuellen Raum nun in Präsenz zusammenzukommen. Das persönliche Treffen, das gemeinsame Erleben von Figurentheater und der Austausch über die vielfältigen Perspektiven und Lebensgeschichten erlaubten eine starke Vernetzung. Indem die Beteiligten die Wünsche und Bedürfnisse der anderen erfahren konnten, legten sie die Basis für nachhaltige, vertrauensvolle und effektive Kooperationen.
Ein langer Weg Nach einer ersten Ideensammlung 2012, die sich am großen Erfolg des Tanzplans orientierte1, wurde der Prozess zu einem „Masterplan Figurentheater“ weiterentwickelt und 2019 vom Deutschen Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst e. V. (dfp) wieder aufgenommen. Schnell war klar, dass ein solches Projekt nur gemeinsam gelingen kann: Im August 2019 berieten die Vorstände der drei Verbände dfp, Verband deutscher Puppentheater (VDP) und des Deutschen Zentrums der Union internationale de la Marionnette (UNIMA) in Northeim darüber. Der Grundstein für das Bündnis war gelegt und in den folgenden Jahren wurden Informationen zusammengetragen, in Arbeitsgemeinschaften und Unterarbeitsgemeinschaften zu den Themen Aus-, Fort- und Weiterbildung, Produktions- und Aufführungspraxis sowie Wissenschaft getagt und das Netzwerk aufgebaut. Es ging zunächst darum, die Potenziale und Bedarfe der Szene in ihrer Gesamtheit zu erfassen und thematische Schnittmengen sowie strukturelle Zusammenhänge zu identifizieren. Gesagt, getan: Zahlreiche Ergebnisse wurden zusammengetragen und im November 2021 in der Online-Konferenz „Meet the Masterplan“ diskutiert. Danach sollten eine Auswertung dieser Ergebnisse und weitere Datenerhebungen folgen. Parallel wurde intensiv darüber nachgedacht, wie es mit dem Masterplan weitergehen soll, da noch viele Fragen offenblieben. Solche Prozesse erfordern Ausdauer. Eine gemeinsame Gesprächskultur und Arbeitsstruktur müssen erst entwickelt, erprobt und angepasst werden. Genau zum richtigen Zeitpunkt kam Ende 2022 die Ausschreibung für das Förderprogramm „Verbindungen fördern“– und es konnte gemeinsam ein Aktionsplan erarbeitet werden, der versucht, Kernthemen sowie Bedarfe der Szene aufzugreifen und mit Modellprojekten Lösungsansätze und Vernetzungsformate auszuprobieren. Ausgehend von den drei Arbeitsgemeinschaften des Masterplans umfasst der Plan vier Schwerpunkte: Vernetzung und Sichtbarkeit, Produktions- und Aufführungspraxis, Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie Wissenschaft.
Schwerpunkte Zum Aktionsplan gehört darum die Durchführung von Vernetzungstreffen für die Szene, teils online, teils live. Es wird eine umfassende Kartografie erarbeitet, die alle Akteur*innen des Figurentheaters in Deutschland erfassen soll. Ein weiterer Teil der Sichtbarkeitsstrategie ist die Unterstützung der zweiten Staffel des Podcasts „Hände hoch. Menschen hinter Puppen“, der an der Abteilung
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für Puppenspielkunst der HfS Ernst Busch in Berlin angesiedelt ist und Künstler*innen über ihren Zugang zur Puppe befragt. Der Schwerpunkt Produktions- und Aufführungspraxis findet sich in einem Modellprojekt zur Gastspielförderung im Thüringer Land wieder und in der Entwicklung eines Augmented Reality Projekts mit Puppen, um junges Publikum zu gewinnen. Die Thematiken der AG Aus-, Fort- und Weiterbildung werden in einem großen Symposium im September 2025 in Bochum zu Fragen der Figurentheaterpädagogik vertieft und finden sich auch in der Plattform für Digitalität wieder, die in Zusammenarbeit der HfS Ernst Busch mit dem Figurentheater-Kolleg als „Laborküche“ einen Austausch über digitale Experimente und Arbeitsweisen anregt. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Genre wird mit dem 4PS-Fellowship und der Summer School zu „Figure it out“ angeregt. In der Fellowship der vier Puppentheatersammlungen in München, Dresden, Lübeck und Bochum geht es darum, Methoden der Citizen Science2 für die Sammlungen zu erforschen. Dafür reist ein*e Fellow über sechs Monate in alle vier Sammlungen und bekommt einen umfassenden Überblick über die Strukturen, (Forschungs-)Themen und Sammlungsobjekte. Für die Summer School wird ein Seminar entstehen, das viele Forschende locken soll, sich intensiv und interdisziplinär mit Figurentheater auseinanderzusetzen. Durch die Verbindung der Summer School mit dem Festival und Showcase „Figure it out“ am Westflügel Leipzig kommen auf ideale Weise theoretischer Diskurs, Praxis und das Sammeln von Seherfahrungen zusammen. Nun steckt KompleXX Figurentheater mittendrin, es ist viel vorzubereiten, zu planen und umzusetzen. Und natürlich brauchte es auch Zeit, die Projektinfrastruktur aufzubauen, ein Team zu finden, das die Fäden in der Hand zusammenhält. Die Vernetzungsund Bündnisarbeit ist arbeitsintensiv – dass sie sich lohnt, merkt man immer wieder dann, wenn ein Projekt Fahrt aufnimmt, das gemeinsame Denken und Planen schlicht großen Spaß machen und die Vorfreude auf die Umsetzung stetig wächst. – www.komplexx-figurentheater.de 1 Der Tanzplan war eine große Förderinitiative für den Tanz und dessen Entwicklung und brachte zahlreiche Erfolge hervor. Mehr Informationen sind hier zu finden: http://www.tanzplan-deutschland.de/tanzplan-deutschland.de/index-2.html 2 Citizen Science bezieht Bürger*innen in Forschungsprozesse ein. Mit dieser Methode wird Teilhabe an wissenschaftlichen Prozessen geschaffen und somit Zugang zu Wissen ermöglicht, das sonst nicht in der Wissenschaft berücksichtigt würde.
KompleXX Figurentheater beim FIDENA Festival 2024. Foto: Simon Baucks
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EIN MUSEUM AL S WELLNESSOASE FÜR PUPPEN Die Puppentheatersammlung der SKD zieht ins Kraftwerk Mitte Am 31. August wurde nach langer Zeit des Wartens in Dresden eine der größten Puppentheatersammlungen weltweit an ihrem neuen Standort eingeweiht. Christofer Schmidt war bei der feierlichen Eröffnung der SKD im Kraftwerk Mitte dabei und erlebte ein spannendes Zusammentreffen von Puppe, Politik und Museums-Parcours. V o n C h r i s t o f e r S c h m i d t /// Ein Puppenkopf, der sich als „Tee Jay“ vorstellt, lugt neugierig zwischen den Vorhängen hervor. Geführt von drei Spieler*innen betritt der betagte Puppenmann die Bühne. Er trägt ein rot kariertes Hemd mit Jeans. Seine Lieblingsbeschäftigung: Dinge eröffnen. An diesem Tag hat er die ehrenvolle Aufgabe, die Puppentheatersammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) an ihrem neuen Standort einzuweihen. Nonchalant führt die Großpuppe dabei durch den Nachmittag. Sie teilt sich mit Vertreter*innen aus Politik und Kultur die Bühne, lernt in eingespielten Videointerviews Exponate der Sammlung kennen und verkündet schließlich ihr eigenes Anliegen: Tee Jay will ausziehen. Weg vom fensterlosen Theaterkeller des Theater Junge Generation (TJG), wo er „wie eine Wurst“ abhänge und hinein in die „Wellnessoase“, wie er die Puppensammlung an ihrem neuen Standort im Kulturareal Kraftwerk Mitte nennt. Hier würden die Mitarbeiter*innen ihm jeden Wunsch von den „Glasaugen“ ablesen. Ein Wunsch, dessen Erfüllung Sammlungsleiterin Dr. Kathi Loch ihm am Ende der Veranstaltung zusagt. Die Moderation von einer Puppe übernehmen zu lassen, war thematisch eine stimmige Entscheidung, auch wenn man manchmal angesichts der verbalen Grenzgänge zusammenzuckte, etwa als Tee Jay anwesende Gästinnen jovial als „Mäuschen“ bezeichnete. Für Verwunderung sorgte auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der – sichtlich nervös wegen der am nächsten Tag stattfindenden Landtagswahl – das „Jahrhundert der Frauen“ verkündete und damit auf das überwiegend weibliche Leitungsteam der SKD anspielte. Doch gerade der Mix aus konventionellen Grußworten, langen, kürzeren und originellen Redebeiträgen, kombiniert mit dem anarchischen Gestus der Puppe, machte diese Eröffnung zu etwas Besonderem.
Das Museum als Parcours Das neue Museum befindet sich nun in direkter Nachbarschaft zum Theater Junge Generation und vielen weiteren Kultureinrichtungen. Synergien sind hier vorprogrammiert – und das ist auch wichtig, denn das Museum dürfe nicht zum „Mausoleum“ werden. Puppen seien dafür geschaffen, ein Eigenleben zu führen, wie Kathi Loch erklärt. Daher ist die Basisausstellung auch als Parcours konzipiert, der die Vielfalt der Ästhetiken und Spielweisen des Puppentheaters aufzeigt. Die Raffinesse der Präsentation wird beim Besuch der Basisausstellung im zweiten Obergeschoss schnell ersichtlich. In der umgebauten Industrieanlage werden die Besucher*innen von stilvollen Mid-Century Möbeln empfangen, in denen sich verschiedene Utensilien für den Parcours befinden: Darunter ein Schreibtisch mit Erfassungsbögen, die in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden zum Ankreuzen bereitliegen. Aus einem Aktenschrank mit Hängeregister können Klemmbretter entnommen werden, während Requisiten wie festgeklebte Ordner den archivarischen Charakter des Settings unterstreichen. Auf einem großen Monitor proklamiert eine Mitarbeiterin: „Manchmal fühlt sich Wissenschaft wie Detektivarbeit an“ und um den Recherchecharme zu unterstreichen, hängen rechterhand weiße Kittel zum Ausleihen bereit. Ist das entsprechende Equipment zusammengesucht, kann die interaktive Sammlungserforschung durch die sechs Abteilungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten beginnen: Jedes Exponat ist geschickt in Szene gesetzt. Informationen über die Puppen werden meist per Knopfdruck auf Deutsch oder Englisch via Lautsprecher preisgegeben und können kurzerhand in die Erfassungsbögen eingetragen werden. Daneben bieten Handouts weitere Details zu den jeweiligen Exponaten. Schubladen lassen sich öffnen, Rätsel können mittels Tastsinn gelöst und verschiedene Puppenspielweisen eigenhändig erprobt werden – so sieht ein lebendiges Museum aus, von einem Mausoleum ist die Sammlung in Dresden tatsächlich weit entfernt. Selbst die Schädlinge, denen manche Puppen im Laufe ihrer Lagerung zum Opfer gefallen sind, bekommen hier auf humorvolle Weise ihren eigenen ruhmvollen Auftritt.
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AUSSTELLUNG
Neue Impulse durch wechselnde Ausstellungen Im ersten Obergeschoss des Museums befinden sich 600 Quadratmeter für die jährlich wechselnden Ausstellungen, die jeweils von renommierten Künstler*innen gestaltet werden. Den Anfang macht in diesem Jahr die Künstlergruppe Rimini Protokoll mit ihrer Multimedia-Installation „ALTER EGO Raubkopie“1. In mehreren Räumen setzen sie sich mit drängenden Fragen unserer Zeit auseinander: Überwachung, Automatisierung und der schleichende Kontrollverlust durch neue Technologien. Im Zentrum steht eine Marionette, die den umstrittenen Unternehmer Elon Musk verkörpert. Sie wird zum Sinnbild für den Balanceakt zwischen Selbstbestimmung und Manipulation in einer zunehmend digitalisierten Welt. Für Herbst 2025 kündigte Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, eine weitere herausragende Position an: Der Filmemacher, Theaterregisseur und bildende Künstler William Kentridge wird die nächste Jahresausstellung kuratieren. Eingeladen wurde auch sein 2016 gegründetes Centre for the Less Good Idea aus Johannesburg. Dank dieser
zusätzlichen Impulse von außen bleibt die Sammlung im ständigen Dialog mit aktuellen Entwicklungen, wodurch das Publikum immer wieder neue Entdeckungen machen kann. Mit Vorfreude darf erwartet werden, welche weiteren hochkarätigen Künstler*innen in den kommenden Jahren folgen werden. Sicher ist schon jetzt, dass die mehr als 12.000 Puppen und über 100.000 Objekte der Sammlung eine dauerhafte und würdige Heimat im Kraftwerk Mitte gefunden haben – ein endgültiges Ziel nach vielen Zwischenstationen. Im Anschluss an den erfolgreichen Neustart in Dresden wächst bereits die Neugier auf die Wiedereröffnung der Puppentheatersammlungen in Lübeck und München. Diese Entwicklungen versprechen den Beginn einer neuen Ära für die Puppentheaterkunst im Bereich Ausstellung und Museum. – www.puppentheatersammlung.skd.museum 1 Für eine detaillierte Besprechung, vgl. die Kritik zu „ALTER EGO Raubkopie“ von Andreas Herrmann auf www.fidena.de Einblick in die neue Basisausstellung der Puppentheatersammlung der SKD. Foto: David Pinzer
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PORTRÄT
MATERIAL, OBJEKT, FIGUR Das Hamburger Puppentheater erfindet sich neu V o n F a l k S c h r e i b e r /// Mehrere Generationen Jugendlicher kamen über das Hamburger Puppentheater erstmals mit Puppenspiel in Berührung. Nicht so Janne Weirup: Die neue Geschäftsführerin des Hauses ist zwar direkt hinter der Stadtgrenze aufgewachsen, doch da Norderstedt nicht zum Einzugsbereich des Hamburger Puppentheaters gehört, fand sie ihren Zugang erst später in Leipzig. Dort studierte Weirup Theaterwissenschaft und kam als Dramaturgin am Westflügel Leipzig mit dem Genre in Kontakt. „Mich haben vor allem Theaterformen interessiert, die aus einem nicht-akademischen Hintergrund kommen“, erzählt die Enddreißigerin. „Mich reizt dabei einerseits die Kunstform an sich – wie wird erzählt, welche Mittel werden verwendet, was bietet das für Räume, was gibt es für Erzählungen, die über beispielsweise ein psychologisches Theater hinausgehen?“ Andererseits faszinierte sie die Nachhaltigkeit der Kunstform: Es werden Stücke produziert, die teils über Jahre hinweg wachsen. „Außerdem fand ich immer schon wichtig, wie diese Kunst von den Spielenden als Produzierenden ausgeht.“ Als sie nach Hamburg zurückkam, vermisste Weirup das Figurentheater, das sie im Osten kennen- und schätzen gelernt hat: „Natürlich ist hier am Haus viel passiert, aber eine Szene wie in Leipzig gab es nicht.“ Die Bewerbung als Geschäftsführerin beim Hamburger Puppentheater hatte daher missionarischen Charakter: „Als ich die Ausschreibung gelesen habe, dachte ich, dass das eine Möglichkeit sein könnte, etwas mitzugestalten, sich in Hamburg für diese Kunstform einzusetzen, sie hier auch bekannter zu machen und sie in einer größeren Vielfalt bekannt zu machen.“ Vielfalt, das ist ein Stichwort für Weirups Mission. Bislang ist das Programm des Hamburger Puppentheaters zwar auf hohem Niveau, ästhetisch und mit Blick auf die Zielgruppen aber wenig abwechslungsreich: Es gibt Kinderstücke, und ein paarmal im Monat werden auch Inszenierungen für Erwachsene gezeigt, meist naturalistisch gestaltete Dramen- und Literaturadaptionen. Puppentheater, wie man es erwartet, ohne künstlerische Grenzgänge, ohne Experimente mit queeren, postdramatischen oder inklusiven Formen. Diese Erwartungen werden auch unter der neuen Leitung erfüllt werden müssen. Das Publikum dafür ist vorhanden und will bedient werden. Außerdem ist das Haus auch eine wichtige Spielstätte für die Szene, sodass eine radikale Veränderung des Programms existenzielle Verwerfungen nach sich ziehen würde. „Wir sind das einzige feststehende Haus für Figurentheater sowohl für Kinder und Erwachsene in Hamburg“, weiß Weirup um ihre Verantwortung. Aber sie wird dieses enge Verständnis von Puppentheater auch aufbrechen: „Wir sehen die Chance, hier ein Haus zu entwerfen, an dem verschiedene Formen von Figurentheater nebeneinander existieren können.“ Das heißt, dass zukünftig auch Ästhetiken präsentiert werden, bei denen Figurentheater nicht nur das Spiel mit Puppe oder Marionette meint, sondern auch den Umgang mit Material, Objekten und Figur. Gerade im Abendprogramm für Erwachsene wird der Fokus neu gesetzt. Begleiten will Weirup das mit einer Gesprächsreihe, die die ästhetischen Entwicklungen des Genres in den Blick nimmt. „Das ist ein Angebot, sich gemeinsam mit den Spielenden und uns als Team über den Status quo, die Themen, die Begrifflichkeiten auseinanderzusetzen.“ Und vielleicht, in ferner Zukunft, könnte sich das Hamburger Puppentheater zusätzlich zu seinem Gastspielprogramm auch als wichtiges Haus für Eigenproduktionen oder Koproduktionen innerhalb der Szene etablieren – das jedenfalls kann sich Janne Weirup gut vorstellen. – www.hamburgerpuppentheater.de links: Hamburger Puppentheater. Foto: Silke Kaufmann rechts: Janne Weirup. Foto: G2 Baraniak
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SCHWEIZER FENSTER
AUFBRUCHSTIMMUNG IN DER SCHWEIZER FIGURENTHEATERSZENE Beim diesjährigen Netzwerktreffen der Schweizer Figurenspieler*innen wehte frischer Wind: In Zukunft will sich die Szene vierteljährlich zum Austausch treffen und mehrere ambitionierte Ziele in die Tat umsetzen. V o n J a c q u e l i n e S u r e r /// Die Schweizer Figurentheaterszene hatte beim Badener Figura-Festival gleich mehrfach Grund zum Feiern. Für den Nachwuchspreis „Grünschnabel“ waren zwei Schweizer Künstler*innen nominiert worden: Annina Mosimann mit „Mycelium“ und Moritz Praxmarer mit „The story of Larry“. Dass Praxmarer den Preis gewann, sorgte in der Szene für Euphorie: Ganze 16 Jahre ist es her, seit letztmals eine einheimische Produktion mit dem Nachwuchspreis ausgezeichnet wurde. Aufbruchstimmung manifestierte sich nicht nur bei der Preisverleihung. Auch durch das Netzwerktreffen wehte frischer Wind. Grund dafür ist, dass in jüngerer Zeit mehrere Schweizer Puppenspieler*innen nach der Ausbildung im Ausland in die Heimat zurückgekehrt sind. Dazu gehören Sebastian Ryser, Janna Mohr, Annina Mosimann, Mina Trapp und Mirjam Ellenbroek. Beim Netzwerktreffen diskutierten die Teilnehmenden in Kleingruppen über Themen, die ihnen unter den Nägeln brennen. Drei Punkte kamen dabei mehrfach zur Sprache: der Wunsch nach mehr Austausch, einem Schweizer Zentrum für Ausund Weiterbildung sowie einer stärkeren FigurentheaterLobby. Für das erste Anliegen war im Handumdrehen eine Lösung gefunden. Im nächsten Jahr wird es vier NetzwerkTermine geben, an denen sich die Szene für Austausch und Try-outs trifft. Für die anderen beiden Punkte ist ein längerer Atem gefragt. Der Wunsch nach einer Figurentheater-Ausbildung in der Schweiz ist alt. Im Jahr 2000 gab es an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) ein einziges Mal einen Figurentheater-Studiengang. Dieser wurde nach der ersten Durchführung wieder eingestellt. Der Masterstudiengang „Teatro di Figura“ an der Dimitri-Schule in Verscio bleibt bis heute ebenfalls unter den Erwartungen. Mehrere Abgänger*innen sehen den Studiengang kritisch, da dem Figurentheater darin zu wenig Platz eingeräumt wird. In der Deutschschweiz ist das Interesse der Hochschulen am Figurentheater ohnehin tendenziell schwindend. Der Masterstudiengang „Expanded Theatre“, den die Hochschule der Künste in Bern (HKB) anbietet, war bislang eine der wenigen Nischen, in der das Figurentheater einen festen Platz hatte. Dieser Studiengang wird aber ab 2025 neu ausgerichtet und beschäftigt sich dann mit Film und digitalen Medien. Bessere Chancen rechnet sich die Szene deshalb mit einem Kooperationspartner in der französischsprachigen Schweiz aus.
Neugründung der UNIMA Suisse? Die Diskussion, wie die Schweizer Szene eine stärkere Figurentheater-Lobby bekommen könnte, führte bald zu einem Konsens: Um mehr internationalen Anschluss zu erhalten, wird nun über die Neugründung einer Schweizer UNIMA-Sektion nachgedacht. Die UNIMA Suisse hatte sich im Frühling 2019 nach 50-jährigem Bestehen aufgelöst. Interne Streitigkeiten, die Streichung der Subventionsgelder und die schwierige Suche nach neuen Vorstandsmitgliedern hatten dem Verein den Todesstoss versetzt. Mit dem Ende der UNIMA Suisse verschwand auch die Schweizer Fachzeitschrift Figura, die seit 1960 erschienen war. Als Ersatz wurde das Schweizer Fenster in der Zeitschrift double gegründet, das bis heute über die Geschehnisse in der Schweizer Szene berichtet. Über die Wiederbelebung der UNIMA Suisse wird beim nächsten Netzwerktreffen weiter diskutiert. – www.figura-festival.ch Moritz Praxmarer mit der Grünschnabel-Trophäe beim Figura Festival 2024. Foto: Alex Spichale
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ENGLISH SUMMARIES
S U M M A RIE S OF D OUB LE 50:
Summary of the secti ons
Th e m e Sect ion : S am e , S a me b u t D ifferen t – Re en act m e n t i n Figure T h e at re
Change & transformati on The transformational potential of FIDENA Following the theme section, Jessica Hölzl reports on the FIDENA Festival, which took place in May for the last time under the artistic direction of Annette Dabs. In her article, she relates the festival programme to the festival's central motto ‘Change’ and takes a detailed look at a number of different processes of change.
H e r e ' s t o som e t h in g n ew! R e e n act m e n t a s a st rat egy o f d isplace m en t Meike Wagner provides an overview of artistic strategies of reenactment that repeat the past and at the same time allow it to appear in a new light. This allows us to describe the effects of historical awareness, re-reflection, consolidation and shock, all of which provide us with important impulses for navigating possible futures.
Resonance w i th fi gure and song The second ‘TWIST IT!’ festival at Westflügel Leipzig Franziska Reif explains what connects a women’s choir, Lewis Caroll and Godzilla in her festival report on the second edition of ‘TWIST IT!’, which took place at Westflügel Leipzig under the motto ‘Figure & Song’. She writes about an interactive workshop programme and the varied approach of the international theatre productions to the festival theme.
O d d ly e n ough , th e r e ca n be n o silen ce o n t h is sub je ct
Gul l i ver for all
Oskar Schlemmer’s Triadic Ballet For double, cultural scientist, dance historian and curator Ulrike Wörner von Faßmann examines Oskar Schlemmer’s Triadic Ballet. On the one hand, she reflects on its revolutionary combination of dance, space and form in modern stage design and, on the other, on Gerhard Bohner’s new version. Wörner von Faßmann examines how Schlemmer’s Triadic Ballet has been repeatedly reinterpreted in different epochs and contexts.
The Halle Puppet Theatre celebrates its 70th birthday with a spectacular show. Based on the Gulliver story by Jonathan Swift, four productions and a grand opening spectacle were created in Halle’s city centre to celebrate the 70th anniversary of the Halle Puppet Theatre. In his article, Tobias Prüwer reflects on the connection between puppet theatre and public space.
Chi l dren's theatre must be art
A n e m p ty room full of t h in gs
W i th out a n a n swe r
Andrea Gronemeyer in conversation with Mascha Erbelding In the first double, children’s and young people’s theatre was the subject of two articles. Anke Meyer wrote about a symposium on ‘European Children’s Theatre Houses’ in Lippstadt and Melanie Florschütz described her impressions of the first European meeting on theatre for very young children in Val d’Oise. Mascha Erbelding took these texts as an opportunity to talk to Andrea Gronemeyer, director of the Schauburg – Theatre for Young Audiences in Munich, about developments in recent years – and about theatre for the very youngest. Erbelding and Gronemeyer jointly organise the KUCKUCK – Theatre Festival for the Very Young.
The horror of repetition and its response in a theatre of things Inspired by the performative power of repetition, theatre scholar Johanna Zorn devotes her text to productions by Jürgen Gerz, Milo Rau and Tim Etchells. Here the voice is used as a central medium. Shouting is taken to the limits of exhaus-
How theoretical analyses of the puppet and artistic practice influence each other Gerd Taube, director of the German Children's and Youth Theatre Centre, reflects
Field report with a re- & pre-cycled meeting space Around 10 years ago, Antje Töpfer and Florian Feisel both developed two solo pieces that were created from recycled stage materials. However, whereas various objects and scenic materials were reused in ‘3 Akte’ and the lecture performance ‘Puppen sterben besser’, the ZO-ON project focussed on just ONE material. Read about the pitfalls and opportunities in this process and the resulting questions...
Theori es of the puppet.
tion and the audience's perception is challenged. Zorn analyses how repetition as an artistic medium creates new meanings and is used to reinterpret the past while simultaneously exploring the boundaries of body, voice and narrative.
on recent trends in puppet theatre theory. The development and transformation of puppet theatre from a clearly defined art form with anthropomorphic figures to a diverse genre that incorporates objects, materials and performative elements has also provoked new theoretical approaches from various academic disciplines, like gender studies and new materialism. Theory and practice are closely related and puppet theatre.
Co m p l i cat e d pregn a n cie s, n i g h t-a n d -fog act ion s a n d o th e r ed it oria l ca ses
A di fferent ki nd of fami ly
A look back at the founding of the double magazine with those who were there at that time Double is now 20 years old and has long since outgrown its infancy, coming of age so to speak. This is the occasion to talk to the members of the founding editorial team, Silvia Brendenal, Christoph Lepschy, Anke Meyer, Katja Spiess, Gerd Taube and Meike Wagner (the last editor still active in this group), about the creation of the magazine, the joys of making the magazine and the day-today editorial mania of the last twenty years. Right at the start, the seventh editor was Manfred Wegner, who died in 2021.
Stefanie Oberhoff talks to Katja Spiess about 20 years of collaboration with the Congolese Espace Masolo The ‘Centre des Ressources de Solidarité Artistique et Artisanale’ (or ‘Espace Masolo’ for short), was founded in 2003 in Kinshasa by three Congolese artists: Malvine Velo, Hubert Mahela and Lambert Mousseka. The Centre looks after former homeless children and young people who have been rejected by their families as ‘witch children’. The Centre offers them lessons and helps them to start an inde-
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ENGLISH SUMMARIES
A spi ri t of opti mi sm i n the Swi ss puppet theatre sce ne
pendent life. The Stuttgart-based stage designer and puppeteer Stefanie Oberhoff travelled to Kinshasa for the first time in 2004 and described the artistic cooperation in the first issue of ‘double’. Today, she reflects on the now 20-year artistic partnership involving highly acclaimed international co-productions.
In the ‘Swiss Window’ section, Jaqueline Surer gives an account of the network meeting of the Swiss puppet theatre scene, at which burning issues were discussed. In future, Swiss puppeteers plan to meet more regularly to exchange ideas, endeavour to find a training and further education centre and possibly re-establish UNIMA Switzerland.
Be t ween ex perim e n t a n d folk lore Insights into Bulgarian puppet theatre In his report on a research trip to Bulgaria, Tim Sandweg describes the situation of municipal puppet theatres and the country's independent scene. In addition to the Stara Zagora Puppet Theatre, which focuses on its evening programme, and the work of the Pro Rodopi Art Centre, the article also looks at training at the National Academy for Theatre and Film Arts.
Sh a rpen in g t h e vie w of on e ' s own d e st in y ‘After Peer Gynt’ at Koblenz Theatre In the ‘Productions’ section, Leah Wewoda first reports on a world premiere at Koblenz Theatre, which has exciting references to the theme of re-enactment in this issue. She writes about the play ‘After Peer Gynt’, in which author Deborah Kötting continues the plot of Ibsen’s anti-hero. Director Markus Dietze brings this touching sequel to the stage with ten actors and their puppet doubles.
Else wh e re fa r away The Brussels Cie. Gare Centrale and its show ‘Letters from my Father’ in Bochum Anke Meyer devotes her review to the latest work by Agnès Limbos and the Cie. Gare Centrale. She examines the question of the means and perspective with which ‘Letters from My Father’ looks at colonial history and how it is narrated.
A n e t work wit h b ig a m bit ion s On the launch of the KompleXX puppet theatre alliance This issue of ‘Seitenblick’ focuses on the nationwide alliance ‘KompleXX Figurentheater’. Its aim is to conduct cultural policy lobbying for the puppet theatre scene. Mareike Gaubitz reports on the successful launch of the alliance as part of the FIDENA Festival programme, its initial networking activities and the projects planned for the future.
A m use um a s a we lln ess oa sis for puppet s The SKD puppet theatre collection moves into Kraftwerk Mitte The long-awaited move of the Dresden State Art Collections’ puppet theatre collection to Kraftwerk Mitte has been completed. Christofer Schmidt was present at the opening ceremony and in the ‘Exhibition’ section he reports on the successful ceremony, original speeches, an impressive presentation of the museum and a temporary exhibition.
Mat e ria l, ob je ct, figure The Hamburg Puppet Theatre reinvents itself There has been a change of management at the Hamburg Puppet Theatre. Dramaturge Janne Weirup has taken over as artistic director. She plans to continue the existing programme, but also to make it more diverse in order to appeal to new audiences. Falk Schreiber met her and in his portrait he outlines her visions and plans for the future of the theatre.
KMZ Kollektiv, Fünf Exponate. Foto: Gianmarco Bresadola
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NOTIZEN
FESTIVALS Das internationale Theaterfestival UNIDRAM feiert vom 5. bis 9. November 2024 sein 30-jähriges Bestehen mit elf Inszenierungen und drei Konzerten aus dreizehn Ländern, darunter sechs Deutschland-Premieren. Eröffnet wird das Festival mit „Nach uns die Zukunft“ der Schweizer Gruppe kraut_produktion, deren Motto „Vorausschauend zurückblicken – im Nachhinein ist man immer schlauer“ als eine Art augenzwinkerndes Leitmotiv des Jubiläums fungiert. Weitere Höhepunkte sind unter anderem die DeutschlandPremiere von „03:08:38 States of Emergency“ des norwegischen Transiteatret-Bergen und die choreografische Partitur „ZugZwang“ des Ensemble Lauro sowie die bildgewaltige Performance „Utopia“ des russischen Künstlerkollektivs AKHE. – www.unidram.de Vom 6. bis 10. November 2024 blickt das Internationale Festival des zeitgenössischen Figuren- und Objekttheaters Theater der Dinge mit der Figur der Geister auf verschiedene gesellschaftliche Felder und Problemstände. Highlights sind die performative Ausstellung „Geisterhaus“ in allen Räumen der Schaubude Berlin, die großformatige Installation „Dimonis/Dämonen“ des katalanischen Duos cabosanroque und die Festival-Koproduktion „Mitzis Mensch“ von Ariel Doron. Dazu gibt es Gastspiele von Künstler*innen aus Bulgarien, Katalonien, Norwegen, der Ukraine, Ungarn und Deutschland und verschiedene Vermittlungsprogramme. – www.schaubude.berlin Die 27. Ausgabe von Marionnettissimo. Festival internationale de la marionnette et des formes animées lädt vom 19. bis 24. November 2024 nach Tournefeuille und umgebende Orte ein und präsentiert ein spannendes Programm für Erwachsene, Kinder, Familien, interessierte Zuschauer*innen und Figurentheaterprofis. Ab Anfang Oktober ist das vollständige Programm inklusive Vernetzungstreffen auf der Website einsehbar. – www.marionnettissimo.com Das städteübergreifende Figurentheaterfestival IMAGINALE findet im Jahr 2025 vom 30. Januar bis 11. Februar in Stuttgart, Mannheim, Heilbronn, Eppingen, Schorndorf und Ludwigsburg statt. Vielfältige Kooperationspartner*innen präsentieren an unterschiedlichen Spielstätten internationale Figurentheaterinszenierungen, die häufig an Grenzbereichen zu Tanz, Musiktheater, Performance und Digitalkunst arbeiten. – https://imaginale.net Vom 14. bis 24. März 2024 kommen die allerkleinsten Theaterbesucher*innen zwischen null und fünf Jahren beim Figurentheaterfestival KUCKUCK auf ihre Kosten. Mit Künstler*innen aus dem In- und Ausland zeigt das Festival 10 Tage lang Produktionen, die sich an vier Spielstätten Münchens mit besonderem Fokus auf die sinnliche Erlebbarkeit der Erfahrungswelt der Allerkleinsten beziehen. Ein Fachtag für Erzieher*innen sowie Krippen- und Kindergartenleiter*innen begleitet das Festival. – www.kuckuckfestival.com
WORKSHOPS/AUSBILDUNG Vom 26. Oktober bis 3. November findet das Seminar Figurentheaterpädagogik am Figurentheater-Kolleg in Bochum Langendreer statt. Unterteilt in ein Workshop- und ein Anwendungsmodul richtet sich das Seminar besonders an Studierende der Theaterwissenschaft und der Szenischen Forschung, aber auch an interessierte Studierende anderer Hochschulen sowie Profis mit Bezug zu diesem Arbeitsfeld. Weitere Informationen auch zum Gesamtprogramm des FigurentheaterKollegs gibt es online. – www.figurentheater-kolleg.de.
An der Freien Bildungsstätte für Figurentheater Hof Lebherz findet von April bis September 2025 die Grundausbildung Stufe I Figurentheater statt. Einsteiger*innen und Interessierte erlernen in diesem Seminar thematisch breit angelegte Grundlagen des Figurentheaters, wobei der Fokus auf der praktischen Erarbeitung konkreten Wissens und konkreter Techniken liegt. Zum Abschluss werden die im Verlauf des Seminars erarbeiteten Szenencollagen im Figurentheater Osnabrück vorgetragen. Weiterführende Informationen auch zum gesamten Aus- und Weiterbildungsangebot finden sich auf der Homepage von Hof Lebherz. – www.hof-lebherz.de
KONFERENZEN Das Projekt 'Performing Citizenship' der Ludwig-Maximilians-Universität München und der University of Warwick, Vereinigtes Königreich, veranstaltet seine Abschlusskonferenz vom 8. bis 10. September 2025 im Palazzo Giustinian Lolin in Venedig. Unter dem Titel „Amateur Acts – Why Amateur Theatre Matters“ sucht der Call for Paper nach Beiträgen, die die Bedeutung von Amateurtheater in der Vergangenheit bis heute in ganz Europa untersuchen. Einreichfrist ist der 30. Oktober 2024. Weiterführende Informationen zum Projekt im Allgemeinen und zur Konferenz im Besonderen sind auf der Website zu finden. – www.p-citizens.gwi.uni-muenchen.de/activities Am 25. und 26. April 2025 findet im neueröffneten KOLK 17 Figurentheater & Museum in Lübeck die Konferenz „Intergenerational transfer of puppet heritage threatened by crisis situations: issues and methods“ der UNIMA Heritage Comission statt. Kriege, Krisen und andere Extremsituationen bedrohen Figurentheater-Formen auf der ganzen Welt. Deshalb befasst sich die Konferenz mit dem Schutz und der Rettung von Figurentheater-Traditionen. Zu den Sprecher*innen zählen u.a.: Lucile Bodson, Katy Foley, Raphaèle Fleury, Mamby Mawine, Pía Gutierrez, Alissa Mello, Liliana Pérez Recio, Dadi D. Pudumjee, Karim Dacroub und Clement Peretjatko. Dr. Antonia Napp, Museumsdirektorin von KOLK 17, wirft dabei ein Schlaglicht darauf, was Museen zur Erhaltung dieser Traditionen beitragen können. – www.kolk17.de Vom 26. bis 30. Mai 2025 findet in Chuncheon (Südkorea) der 24. UNIMA Kongress statt. Als oberstes Leitungsgremium der Union Internationale de la Marionnette versammelt der internationale Kongress alle vier Jahre Fachleute, Künstler*innen und Liebhaber*innen des Puppenspiels aus der ganzen Welt. Alle UNIMA-Mitglieder sind eingeladen, an der Veranstaltung teilzunehmen und sich an den Diskussionen zu beteiligen. Das Stimmrecht zur Wahl ist den gewählten Ratsmitgliedern und den Mitgliedern des Exekutivausschusses vorbehalten. Dabei gestaltet der UNIMA Kongress nicht nur die Zukunft der Puppenspielkunst, sondern fördert zugleich die internationale Zusammenarbeit und den kulturellen Austausch. – www.unima.org
JUBILÄUM Sein 25-jähriges Bestehen feiert das Puppentheater Plappermaul mit einem großen Jubiläumsfest am 12. und 13. Oktober 2024 in Heidelberg-Pfaffengrund. Kurzvorstellungen im Theatersaal, Zauberei und Bauchladenbühne sorgen für ein vielfältiges Programm für große und kleine Gäste. Hinzu kommen Bastelangebote, Gewinnspiel und eine Kinderolympiade. – www.puppentheater-plappermaul.de
PUBLIKATIONEN Entlang einer Fülle konkreter Beispiele skizziert Claudia Orenstein in „Reading the Puppet Stage. Reflections on the dramaturgy of performing objects“ die dramaturgischen Spezifika puppen- und figurentheatralen Spiels.
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Unter Einbezug zentraler historischer Entwicklungslinien bis hin zu experimentellen Formen untersucht der Band Dramaturgien und Spielweisen im Umgang mit performing objects und bezieht dabei für die Entwicklung dieser Perspektiven maßgebliche Netzwerke und Strukturen dezidiert mit ein. – www.routledge.com Ebenfalls bei Routledge erschienen ist Paulette Richards Band „Object performance in the black atlantic“. Die Studie untersucht die Zusammenhänge zwischen dem Verbot von Aufführungsobjekten im afrikanischen Stil zur Zeit der Sklaverei mit traditionellen Masken, Puppen und Aufführungsobjekten und dem zeitgenössischen afroamerikanischen Puppenspiel. Im Fokus stehen dabei zum einen die Untersuchung materieller Kultur der Objektaufführung vor dem Hintergrund des Rituals, zum anderen wird Object performance als vielfach kontextualisierbare widerständige Praxis der Rückaneignung vorgestellt. Besonderheiten in Entwicklung und Gegenwart afroamerikanischer Performance werden dadurch neu perspektiviert. – www.routledge.com Ein neues Buch über das Forschungstheater ist erschienen: „Experimente für ALLE“ von Maike Gunsilius und Heike Roms. Das Buch ist im Handel und im FUNDUS THEATER erhältlich. Darin enthalten sind Interviews, Texte und die schönsten Fotos aus 20 Jahren. Erschienen ist es im Alexander Verlag Berlin in der Reihe Postdramatisches Theater in Portraits, in der bereits Bücher über She She Pop, Rimini Protokoll oder Gob Squad veröffentlicht wurden. Herzliche Einladung zum Buch-Launch am Fr. 8. Nov. um 18 Uhr im FUNDUS THEATER, an dem Florian Malzacher (Herausgeber), Maike Gunsilius und Heike Roms das Buch vorstellen. Um Anmeldung wird gebeten. – www.alexander-verlag.com Ausgehend von über 30 Jahren Erfahrung mit der Theaterarbeit mit Objekten untersucht Matt Smith in seinem Band „Applied Puppetry“ Felder des angewandten Puppenspiels. Entlang einer Reihe persönlicher und praktischer Fallstudien werden in den insgesamt acht Kapiteln zunächst grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis von Puppenspiel und Ökologie entfaltet, die aktuelle Diskurse wie Anthropomorphismus und Materialität zentral einbeziehen. Unter Berücksichtigung gegenwärtiger Spielweisen und partizipativer Theaterformen wie beispielsweise Spielzeugtheater werden schließlich Grenzen und Möglichkeiten eines dezentrierten, materialbasierten Umgangs mit der Umwelt ausgelotet. Ein umfangreicher Appendix mit Übungen und Anmerkungen rundet den Band ab. – www.bloomsbury.com
AUSSTELLUNGEN Die Staatliche Puppentheatersammlung Dresden, die im August 2024 ihre Neueröffnung in Räumen auf dem Areal für Kultur und Kreativwirtschaft Kraftwerk Mitte feierte, lädt zu einer Reihe spannender Ausstellungen ein. Neben der Dauerausstellung läuft noch bis 29. Juni 2025 die vom international renommierten Label Rimini Protokoll konzipierte und realisierte immersive multimediale Installation ALTER EGO Raubkopie. Das multimediale Puppenspiel in drei Räumen schickt das Publikum auf einen Parcours in den Bann einer automatisierten Inszenierung, die das Puppentheater als Metapher für eine digitale Welt voller unsichtbarer Fäden präsentiert. – www.puppentheatersammlung.skd.museum Nach umfangreichen Umbauarbeiten eröffnet KOLK 17 Figurentheater & Museum in Lübeck am 21. März 2025. Die über 20.000 Objekte aus dem Bereich Figurentheater umfassende Sammlung ist als eine der fünf größten Sammlungen in Deutschland eine wichtige Institution für Figurentheater und wird ab Frühjahr in fünf Themen-
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schwerpunkten vor Ort präsentiert. Auch den dauerhaften ganzjährigen Gastspielbetrieb nimmt KOLK 17 zum März 2025 wieder auf. Bis zur Eröffnung laden fortlaufend die digitale Ausstellung „Who‘s talking?“ zur Auseinandersetzung in unterschiedlich gestalteten virtuellen Räumen sowie die letzte Gastspielzeit im Europäischen Hansemuseum ein. – www.kolk17.de
PERSONELLES Stephanie Wedekind, die von 2018 bis 2024 die Göttinger Figurentheatertage geleitet hat, ist seit der Spielzeit 2024/2025 Dramaturgin am Deutschen Theater Göttingen. Auf sie folgt die Regisseurin Marie Gottschalck, die 2025 die 40. Ausgabe der Figurentheatertage verantwortet. – www.figurentheatertage.goettingen.de
SONSTIGES Im Frühjahr 2025 startet das Projekt Plattform Digitalität in Berlin, das im Kontext von KompleXX Figurentheater, einem Projekt von 16 Bündnispartner'innen aus 10 Bundesländern durchgeführt wird. Kooperationspartner*innen sind das Figurentheater-Kolleg Langendreer und die Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin.
FESTIVALKALENDER 25.–27.10.2024 Eupen (Belgien) fiGUMA Festival www.alter-schlachthof.be 31.10.–2.11.2024 Dülmen (Deutschland) 25. Figurentheatertage www.profi-ev.de 1.–3.11.2024 Ithaka (USA) Puppet Homecoming 2024 www.puppeteers.org/puppet-homecoming 1.–10.11.2024 Neuchâtelois (Schweiz) 21. Internationales Marionettenfestival marionNEttes www.festival-marionnettes.ch 2.–3.11.2024 Melle (Deutschland) Meller Puppenspielfestival www.theatertage-dachau.de 3.–15.11.2024 Dachau (Deutschland) 25. TheaterTage Dachau www.melle.info 5.–9.11.2024 Potsdam (Deutschland) UNIDRAM. Internationales Theaterfestival www.unidram.de 5.–10.11.2024 Saarbrücken (Deutschland) Festival LOOSTIK. Deutsch-französisches Festival für junges Publikum www.loostik.eu 5.–10.11.2024 Leipzig (Deutschland) euro-scene. Internationales Tanz- und Theaterfestival www.euro-scene.de
6.–10.11.2024 Silkeborg (Dänemark) Festival of Wonder www.festivalofwonder2024.dk
4.–6.4.2025 Kaufbeuren (Deutschland) 4. FigurenTheaterFestival der Amateure www.amateurtheater-bayern.de
6.–10.11.2024 Berlin (Deutschland) Theater der Dinge 2024. Internationales Festival des zeitgenössischen Figurenund Objekttheaters „Geister“ www.schaubude.berlin
5.–12.4.2025 Gernsbach (Deutschland) Gernsbacher Puppentheaterwoche www.gernsbacher-puppentheaterwoche.de
9.–24.11.2024 Barcelona & andere katalanische Städte (Spanien) elPetit. Festival Internacional D’Arts Per A La Primera Infancia www.elpetit.cat 13.–24.11.2024 Brüssel (Belgien) Espèce(s) de Clownes Festival Sérieux des Art Idiots www.especesdeclownes.be 16.–24.11.2024 Hachenburg (Deutschland) Figurentheaterfestival Hachenburg www.hachenburger-kulturzeit.de 16.–25.11.2024 Rottenburg (Deutschland) UNIKATE Festival www.tat-rottenburg.de/festivals 19.–24.11.2024 Tournefeuille (Frankreich) Marionnettissimo. Festival international de marionnette et de formes animées www.marionnettissimo.com
6.–11.5.2025 Stuttgart (Deutschland) 32. Internationales Trickfilm-Festival www.itfs.de 6.–11.5.2025 Berlin (Deutschland) AUGENBLICK MAL! Das Festival des Theaters für junges Publikum www.augenblickmal.de 14.–18.5.2025 Ravenna (Italien) Festival Internazionale dei Burattini e delle Figure Arrivano Dal Mare! www.arrivanodalmare.it 22.–30.5.2025 Hohenems (Österreich) Homunculus 34 www.homunculus.info 23.5.–1.6. 2025 Erlangen, Nürnberg, Fürth, Schwabach (Deutschland) 24. internationales figuren.theater.festival www.figurentheaterfestival.de
20.11.2024 Neustadt/Sachsen (Deutschland) 24. PuppenSpielSpektakel in der Neustadthalle www.neustadthalle.de 15.–26.1.2025 Chicago (USA) Chicago International Puppet Theater Festival www.chicagopuppetfest.org 30.1.–11.2.2025 Stuttgart/Mannheim/Heilbronn/ Eppingen/Schorndorf/Ludwigsburg IMAGINALE. Internationales Theaterfestival animierter Formen www.imaginale.net 8.–23.2.2025 Göttingen (Deutschland) Figurentheatertage www.figurentheatertage.goettingen.de 14.–24.3.2025 München (Deutschland) KUCKUCK. Theaterfestival für Anfänge(r) www.kuckuckfestival.com 3.–7.4.2025 New Orleans (USA) Giant Puppet Festival www.neworleansgiantpuppetfest.com
Puppentheatersammlung, SKD & Rimini Protokoll, ALTER EGO Raubkopie. Foto: David Pinzer
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IMPRESSUM
AUTOR*INNEN Mascha Erbelding, Leiterin der Sammlung Puppentheater/Schaustellerei des Münchner Stadtmuseums Florian Feisel, Figurentheaterkünstler und Professor für Figurentheater an der HMDK Stuttgart Mareike Gaubitz, Leitung des Dokumentations- und Forschungszentrums am dfp, Bochum Jessica Hölzl, Theaterwissenschaftlerin, Leipzig Anke Meyer, Kuratorin und Autorin, Braunschweig Tobias Prüwer, freier Journalist, Leipzig Franziska Reif, freie Journalistin, Leipzig Tim Sandweg, Künstlerischer Leiter der Schaubude Berlin Christofer Schmidt, Dramaturg dfp, Bochum Falk Schreiber, freier Journalist, Hamburg Katja Spiess, Leiterin des FITZ – Theater animierter Formen, Stuttgart Jacqueline Surer, Figurenspielerin und Co-Leiterin der Figurentheatersparte am Luzerner Theater Dr. Gerd Taube, Leiter des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland Prof. Dr. Meike Wagner, Theaterwissenschaftlerin, München Leah Wewoda, Studiere nde der Abteilung Zeitgenössische Puppenspielkunst an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“, Berlin Dr. Ulrike Wörner von Faßmann, Theaterwissenschaftlerin, München Prof. Dr. Johanna Zorn, Theaterwissenschaftlerin, München Übersetzungen Summaries: Roy Kift Korrektorat: Jessica Hölzl, Dr. Petra Szemacha, Annika Gloystein
Impressum double. Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater – Herausgegeben vom Deutschen Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, Bochum – www.fidena.de Das Magazin erscheint in redaktioneller Verantwortung des Vereins zur Förderung der Kunst und Kultur des Puppen-, Figuren- und Objekttheaters (V.i.S.d.P.) und in Zusammenarbeit mit dem Verlag „Theater der Zeit“. Redaktion: Mascha Erbelding, Annika Gloystein, Anna-Maria Polke, Christofer Schmidt (verantw.), Moritz Schönbrodt, Dr. Petra Szemacha, Prof. Dr. Meike Wagner (Thema), Elena Erhart (Assistenz) Redaktionsbüro: Christofer Schmidt, Jessica Hölzl Redaktion Schweizer Fenster: Franziska Burger, Jaqueline Surer Beirat: Silvia Brendenal, Christoph Lepschy, Anke Meyer, Christina Röfer, Tim Sandweg, Katja Spiess, Dr. Gerd Taube Redaktionsanschrift: Redaktion double, Deutsches Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, Hattinger Str. 467, 44795 Bochum, Telefon: 0234.477 20, redaktionsbuero@double-theatermagazin.de Gestaltung: Robert Voss, Halle (Saale) Verlag: Theater der Zeit, Berlin – www.theaterderzeit.de Bezug: double ist erhältlich und hat ab dem 1. Januar 2025 neue Preise! – als Beilage der Abonnenten-Auflage von „Theater der Zeit“ – als gesondertes double-Abonnement: zwei Ausgaben double und zwei Ausgaben Theater der Zeit für 20 EUR pro Jahr (Ausland zzgl. 12 EUR Porto) – als Einzelausgabe für 8 EUR, gedruckt oder als pdf-Datei Abo-Service: 030.4435 285-12 oder über www.theaterderzeit.de Anzeigen: Deutsches Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, Hattinger Straße 467, 44795 Bochum, Telefon: 0234.477 20, anzeigen@fidena.de Druck: Druckhaus Sportflieger, Berlin Alle Rechte bei den Autor*innen und der Redaktion, Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Für unaufgefordert eingesandte Bücher, Fotos und Manuskripte übernimmt die Redaktion keine Haftung. Bei Nichtlieferung infolge höherer Gewalt oder infolge von Störungen des Arbeitsfriedens bestehen keine Ansprüche gegen den Herausgeber oder den Verlag. Die double-Redaktion bemüht sich um gendergerechte Sprache, belässt dabei aber den Autor*innen ihre individuelle Form der Umsetzung. Die Artikel der Rubrik „Schweizer Fenster“ folgen der Orthografie des Schweizer Hochdeutschs. Redaktionsschluss für das vorliegende Heft war der 28. Oktober 2024. double 51 erscheint im April 2025. Redaktionsschluss für diese Ausgabe ist der 31. Januar 2025. Das Thema des nächsten Hefts ist „Texturen der Dinge“. www.double-theatermagazin.de – www.fidena.de – www.theaterderzeit.de
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