double 38 – Das Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater Face-off. Gesicht und Maske

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DOUBLE Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater

Ausgabe 2/2018 ::: Nr. 38 ::: 15. Jahrgang ::: PREIS: 6 €

Fac e - O f f Politiken von Gesicht und Maske

Theater der Zeit




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INHALTSVERZEICHNIS

e d i t o r i a l

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Thema

Face-off. Politiken von Gesicht und Maske

Beate Absalon & Sebastian Köthe

„Ask me why I’m wearing a mask“ Zu Ästhetik und Politik der Gesichtsflucht

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Claudia Schmölders & Beate Absalon

Von Angesicht zu Puppengesicht Gedanken zu „Solace“

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Die Aufregung des Repräsentativen Ein Gespräch zwischen Beate Absalon, Sebastian Köthe und Arne Vogelgesang über gegenwärtige Gesichterpolitiken

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René Reith

Schwarzes Gesicht auf schwarzem Grund Fragen und Gegenfragen zu Stefanie Oberhoffs „Die Gräfin“

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Petra Löffler

Trophäen der Macht Zu Sergio Zervallos' „A War Machine“

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Eine andere Perspektive Tim Sandweg im Gespräch mit Mathias Becker

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Marie Simons

„Without the mask, he is not a man“ Die Macht der Maske im Professional Wrestling

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Exploding biometrics Zach Blas and the art of defacement

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Politik mit Punch Agathe 60 Jahre Figurentheaterfestival FIDENA

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E s s ay i n e n g l i s h Nace Zavrl FESTIVALS Sarah Heppekausen Katja Spiess

Echoraum der Widersprüche 6. double-Diskurs auf der FIDENA 2018 31

Sabine Leucht

Große Experimente für die Kleinsten Das Münchner Theaterfestival „Kuckuck“

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Steffen Georgi

Anachronismus als Potential 12. Blickwechsel-Festival in Magdeburg

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Mascha Erbelding

(M)ein neuer Platz Bewegende Theatererlebnisse auf dem Badener Figura Theaterfestival

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Katja Spiess Anke Meyer

Von Maschinen und ihren Menschen Eindrücke vom Festival „Les Giboulées“ 2018 in Strasbourg

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Festival im Zwischen Ruhrtriennale 2018 zwischen Zeiten und Genres

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INHALTSVERZEICHNIS

JUBELN Patrick Wildermann

Grenzbefreite Schöpfungen „Jubiläumskonzert der Dinge“ in der Schaubude

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Unsinnsuche mit Sinn Beobachtungen beim studentischen Festival „die-wo-spielen“

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Neuvermessung „The Critical Dictionary of Southeast Asia” von Ho Tzu Nyen

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Bestandsaufnahme Über das Arbeitsbuch „Der Dinge Stand“

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NEXT GENERATION Marcus Kohlbach SEITENBLICK Tim Sandweg PUBLIKATION Tobias Prüwer

E N G L I S H S U M M A R I E S

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Notizen/Festivalkalender

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i m p r e s s u m

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Titelmotiv: Protestaktion des Bündnisses „Endstation“ gegen das Biometrie-Projekt am Bahnhof Südkreuz in Berlin am 27. November 2017. Foto: Stefanie Loos

CONTENTS double 38: E D I T O R I A L T H E M E : Face-Off! Politics of face and mask // Beate Absalon/Sebastian Köthe “Ask Me Why I’m Wearing A Mask.“ On the aesthetics and politics of the flight from the face // Claudia Schmölders/Beate Absalon From countenance to puppet face. Thoughts on “Solace” // The thrill of the representative. A conversation about current face politics with Arne Vogelgesang // René Reith Black face on a black background Questions and Counterquestions about “Die Gräfin” by Stefanie Oberhoff // Petra Löffler Trophies of power. On Sergio Zevallo’s “A War Machine” // Another perspective. A conversation with director Mathias Becker // Marie Simons “Without the mask, he is not a man.” The power of masks in professional wrestling

E S S A Y I N E N G L I S H Nace Zavrl Exploding biometrics.

Zach Blas and the art of defacement F E S T I V A L Sarah Heppekausen Politics with Punch Agathe. 60 Years of the FIDENA Puppet Theatre Festival // Katja Spiess Echo space of contradictions. 6th double discourse at FIDENA 2018 // Sabine Leucht Big experiments for the little ones. The Munich theatre festival “Kuckuck” // Steffen Georgi Anachronism as potential. 12th “Blickwechsel” Festival in Magdeburg // Mascha Erbelding My/a new place. Moving theatre experiences at the Figura Festival in Baden // Katja Spiess Of machines and their people. Impressions from the festival “Les Giboulées” 2018 in Strasbourg // Anke Meyer Festival in between. Ruhrtriennale 2018 between times and genres C E L E B R A T I N G Patrick Wildermann Borderless creations. “Anniversary Concert of Things” at the Schaubude N E X T G E N E R A T I O N Marcus Kohlbach A search for nonsense that makes sense. Observations at the “die-wo-spielen” student festival

S I D E L O O K Tim Sandweg Re-Mapping. “The

Critical Dictionary of Southeast Asia” by Ho Tzu Nyen P U B L I C A T I O N Tobias Prüwer Inventory. About the workbook “The State of Things” N O T E S & F E S T I VAL CALENDAR, IMPRINT

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EDITORIAL

face-off Politiken von Gesicht und Maske „Face-off“ – das ist die direkte Konfrontation, das Duell von Angesicht zu Angesicht auf einer gemeinsamen Bühne. Mit der Perspektivierung auf gegenwärtige Politiken von Gesicht und Maske wird dieser Begriff, vielleicht das Ur-Modell archaischer Politiken eines Rechts des Stärkeren, neu befragbar gemacht: Was geschieht, wenn wir die Politiken vom off her denken, also von dem, was sich nicht (so leicht) repräsentieren lässt oder was die belichtete Bühne als Sphäre der Überwachung und Kontrolle lieber meiden möchte? Was, wenn wir uns eher ein „mask-off“ vorstellen, wie es Demonstrant*innen weltweit nicht nur aus Sicherheitsgründen aufführen, sondern auch soziale Aktivist*innen, die so ihre Individualität hinter sich lassen und zu Stellverteter*innen von Bewegungen werden? Und was schließlich, wenn wir das Gesicht selbst nicht als naturgegebenes Faktum betrachten – sondern als erstes Ding, mit dem wir anfangen Theater zu spielen? Nicht unähnlich dem Duo Nicolas Cage und John Travolta, die im Film Face/Off ihre Gesichter chirurgisch tauschen und das Gesicht des Anderen erst einmal zu spielen lernen müssen. Das Tragen von Gesichtern und Masken ist Grund verflochtener Praktiken des ästhetischen Spiels und der kämpferischen Politik, die nicht mehr trennscharf auseinanderzuhalten sind. Zeit, sie näher zu ergründen.    Als in mehrfacher Hinsicht vielgesichtig erweist sich auch die aktuelle Figurentheaterlandschaft, die wir im zweiten Teil dieser Ausgabe vorstellen. Unsere Autor*innen waren zu Gast auf Festivals in Baden, Berlin und Bochum, in Hamburg, München, Strasbourg und Stuttgart und trafen dort auf künstlerische Strategien des Widerstandes, theatrale Dialoge zwischen Mensch und Maschine, ästhetische Experimente für die Allerkleinsten, neue Formen der Partizipation, sinnhafte Un-Sinnsuche und intensive Momente poetischer Zwiesprache. Künstlerische Entdeckungen machten sie nicht nur auf den klassischen Genrefestivals, sondern vermehrt auch in interdisziplinären Kontexten. Eine Tendenz, die unser Rezensent Tobias Prüwer im neuen Theater der Zeit-Arbeitsbuch „Der Dinge Stand“ gespiegelt sieht: „Gerade das Puppen- und Materialtheater hat sich vielfach als produktive Schnittstelle zu anderen Künsten, als Übersetzer, Überbrücker und Verbinder erwiesen.“    Solchen Verbindungen nicht nur in der Theaterpraxis, sondern auch in der Reflexion über ästhetische Strategien auf der Bühne und im politischen Raum nachzugehen, darum bemüht sich die aktuelle double-Ausgabe. Viel Freude bei der Lektüre wünschen Beate Absalon, Sebastian Köthe, Tim Sandweg und Katja Spiess

face-off Politics of face and mask A “face-off” is a direct confrontation, a duel fought face to face on a shared stage. From the perspective of current politics of the face and the mask, this term, possibly the primal model of an archaic politics of ‘might is right’, must be interrogated anew. What happens when we think of these politics in terms of the off, of that which cannot be (so easily) represented or would rather evade the lit stage, as a sphere of surveillance and control? What if we instead imagine a “mask-off”, like demonstrators all over the world use, and not just for safety reasons, and like social activists, who forsake their individuality to become representatives of movements? And what if we treat the face itself not as a natural and inevitable fact, but as the first thing with which we start to act in theatre? The wearing of faces and masks is a basis for interwoven practices of aesthetic play and of combative politics that can no longer be sharply distinguished from each other. It’s time to investigate them in more detail.

Seite 4: Die feministische, regierungs- und kirchenkritische Punkrock-Band „Pussy Riot“. Foto: Igor Mukhin/Wikimedia Commons/CC BY-SA 3.0

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THEMA

„Ask Me Why I’m Wearing A Mask.“ Zu Ästhetik und Politik der Gesichtsflucht

Gesichter lächeln von Wahlplakaten, werden biometrisch erfasst oder sollen uns auf „facebook“ vertreten. Andere Visionen von Politik und Zusammensein zu erproben, könnte also bedeuten, nicht noch mehr Gesicht, sondern Maske zu zeigen. Das Objekt- und Figurentheater macht genau das schon lange. Die Kulturwissenschaftler*innen Beate Absalon und Sebastian Köthe, Gastredakteur*innen des Thementeils dieser double-Ausgabe, führen in den Schwerpunkt ein. V o n B e a t e A b s a l o n u n d S e b a s t i a n K ö t h e – Angesichts des Starts eines Pilotprojektes zur automatisierten Gesichtserkennung, am Berliner Bahnhof Südkreuz Anfang August 2017, hält der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière sein Gesicht stolz in die Kamera („ein unglaublicher Sicherheitsgewinn“), während Aktivist*innen, angeleitet von Digitalcourage e.V., sich demonstrativ hinter Maskierungen zurückziehen: Ein Mensch trägt eine Brille samt falscher Nase und falschem Schnurrbart, andere plüschige Tigermasken, die ikonische Guy-Fawkes-Maske oder einfach eine Papiertüte über dem Kopf. Die Maskierungen entziehen das Gesicht der Erkennung und lenken durch ihr artifizielles Spektakel gleichsam den Blick auf sich. Für gewöhnlich würde man sie auf der Bühne oder an Karneval erwarten, nicht aber dienstagmorgens an der S-Bahn-Station. Hier sind sie Teil einer ästhetischpolitischen Aktion, die sich gezielt gegen den „gaze of bureaucracy“ (Jenny Edkins) richtet, dem Gesichter als unpersönliche, aber identifizierbare, biometrische Zugriffspunkte dienen sollen.    Das Gesicht ist ein Knotenpunkt in der Geschichte und Gegenwart so zahlreicher Kultur- und Machttechniken, dass man sich ausgerechnet dieses sichtbarste Ding von allen immer wieder in seiner Unselbstverständlichkeit vor Augen führen muss. Das Gesicht und sein Schattenriss sind konstitutiv für die Physiognomik, assoziiert vor allem mit Johann Caspar Lavater, der an der Gestalt des Gesichts Charaktereigenschaften wie Intelligenz oder Sensibilität ausmachen wollte und Rassismen damit eine vermeintlich wissenschaftliche Deckung verschaffte. Das Gesicht und seine chirurgische Transformierbarkeit ist eng verknüpft mit angeblich ahistorischen Schönheitsidealen der Symmetrie und „Makellosigkeit“. Das Gesicht und seine normierten Fotografien, von der Bertillonage bis zum biometrischen Passbild, sind Ansatzpunkt für die Vermessung und Identifizierbarmachung von kriminalisierten Menschen. Das Gesicht und sein diensteifriges Lächeln ist Chiffre der affektiven Arbeit im neoliberalen Kapitalismus des tertiären Sektors. Das Gesicht und seine Sichtbarkeit ist dogmatischer Punkt des Widerstreits zwischen Religiosität und Säkularität. Diese kurze Aufzählung genügt, um dem Aufruf der französischen Philosophen Gilles Deleuze und Félix Guattari, dem Gesicht zu entfliehen, mit auch politischer Sympathie zu begegnen. Denn die komplizierten Verfahren der Überwachung, Lesbarmachung und Normierung von Gesichtern schaffen zwangsläufig Grade der Abweichung, die Menschen und Menschengruppen etwa nach ethnischen, sexistischen oder klassistischen Kriterien identifizierbar machen sollen und so der Diskriminierung aussetzen.    Indem die Demonstrant*innen mit verborgenen Gesichtern in der Öffentlichkeit auftreten, lassen sie ihre Körper „Nein“ sagen und entziehen sich gleichsam den Ansatzpunkten kultureller Mächte der Vergesichtlichung. Dabei helfen den Intervenierenden am Südkreuz und anderswo Strategien, die das Objekt- und Figurentheater auf Bühnen und Straßen schon lange ausbildet und befragt. Ob es um das Verschwindenlassen und Transformieren von Gesichtern geht, die Veränderung körperlicher Intuitionen und mentaler Selbstbilder durch das Tragen von Masken, die Stellvertretung von Personen durch Effigien und Maskierte, die Infiltration von Öffentlichkeiten durch Figuren und Performances – die Mittel des Figurentheaters scheinen besonders geeignet zu sein, die Grenzen zwischen politischer Ästhetik und ästhetisierter Politik fließen zu lassen. In dieser Ausgabe wird es also darum gehen, wie sich historische und gegenwärtige gesichterpolitische Aktionen neu verstehen lassen, wenn sie auf ihre (objekt-)theatralen, ästhetischen Bedingungen hin gelesen werden. Inwiefern ist das Figurentheater eine Probebühne für Gesichterpolitiken? Und was geschieht mit unserem Verständnis von Figurentheater, wenn wir es nicht nur auf der Bühne verorten, sondern auch in der Ausstellung, im Sport oder beim Demonstrieren?    Den Anfang macht Claudia Schmölders, die die Inszenierung „Solace“ der Numen Company im Hinblick auf die Geschichte physiognomischer Gesichtskonzepte kontextualisiert. Ausgehend von der postapokalyptischen Welt des Stücks, für Schmölders

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„Ausweis des Anthropozäns“, lotet sie aus, welche Kräfte der Belebung im Blickaustausch zwischen Figur und Spielerin liegen.    In der Mitte des Thementeils fragen gleich mehrere Autor*innen nach dem Verhältnis von Normalisierung und Verfremdung in Hinblick auf die Rassifizierung von Gesichtern. Beate Absalon und Sebastian Köthe sprechen mit Regisseur Arne Vogelgesang in diesem Zusammenhang über die Gesichter- und Maskenpolitiken der Neuen Rechten, die einerseits auf die sichere Anonymität hinter der mystifizierten Maske, und andererseits auf die widerständige Authentizität des eigenen – „deutschen“ – Gesichts setzen. Vor dem Hintergrund aktueller Debatten um das „Blackfacing“ auf deutschen Theaterbühnen diskutiert René Reith anhand von Stefanie Oberhoffs Improvisationen mit ihrer „Gräfin“ den Einsatz der Farbe Schwarz und problematisiert deren konventionellen Einsatz als Markierung von Bedeutungslosigkeit – etwa im Hintergrund, aber auch als Verunsichtbarung des Spieler*innengesichts.

Anonymous-Aktivisten*innen bei einem Protest gegen Scientology. Foto: David Shankbone/Wikimedia Commons/CC-BY-SA-3.0

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Petra Löffler wiederum analysiert die irritierenden, auf der letzten Documenta von Sergio Zevallos unter dem Titel „A War Machine“ ausgestellten Schrumpfköpfe nach Personen aus Politik, Wirtschaft oder Terrorismus als eine Umkehr kolonialer Aneignungen und Fetischisierungen. Das Gespräch von Tim Sandweg mit Regisseur Mathias Becker fragt ausgehend von dessen Inszenierung „Der Affe von Hartlepool“, wie das Figurentheater durch die Verwendung von Affenmasken und komplexen Zeitdramaturgien gleichzeitig Verdinglichung, Rassismus und Speziesismus problematisieren kann – und zeigt, wie schwer es bleibt, in einem strukturell unzureichend diversifizierten Theaterumfeld diese Komplexe überhaupt thematisieren zu können.    Marie Simons beleuchtet darüber hinaus die Möglichkeiten der lustvollen Identifikation mit und politischen Stellvertretung durch Maskierte und führt die Leser*innen zum mexikanischen Ringkampf, dem Lucha Libre. Die Maske als essentieller Teil der Inszenierung erlaubt es den Luchadores zu kollektiven Imaginationsflächen zu werden und so auch als eine repräsentative, moralische Instanz in den Ring zu treten.    Nace Zavrl schließt den Thementeil mit seinem Beitrag „Exploding Biometrics“ über die „Facial Weaponization Suite“ des US-amerikanischen Künstlers Zach Blas: eine amorphe, grellpinke Maske, amalgamiert aus den Gesichtern 30 queerer Männer, die es den Träger*innen ermöglichen soll, für technologische Überwachung unlesbar zu werden. Eine weitere mögliche Antwort auf den Testlauf zur Videoüberwachung am Südkreuz, die noch ungeahnte Modi des Ausdrucks für postfaziale Menschen bereithält.    Das Spannungsfeld zwischen den Praktiken des Objekt- und Figurentheaters und den Politiken der Vergesichtlichung und Entgesichtlichung deutet auf die Dringlichkeit hin, mit der politische Artikulationen ästhetischer Verfahren bedürfen. Die Artikel dieser Ausgabe zeigen dabei, dass dies sowohl für die überwachenden, normalisierenden und verwerfenden Kontrollregime gilt, als auch für die spektakulären oder zarten Versuche einer Gesichter- und Maskenpolitik der gelungenen Stellvertretung, der wechselseitigen Belebung oder der Ereignishaftigkeit des Anderen. oben: Johann Caspar Lavater, Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntnisze und Menschenlieb, Leipzig und Winterthur, Weidmanns Erben, 1775–1778. Foto: RIBEIRO JR., W.A. Os quatro humores. Portal Graecia Antiqua, São Carlos/CC BY-NC-ND 4.0 unten: Gesichtstracking über die Software Visage SDK. Foto: Abyssus/Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International

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von angesicht zu puppengesicht Gedanken zu „Solace" Mit „Solace" erschafft die Numen Company von Uta Gebert eine trostlose, mysteriös verwüstete Landschaft, durch welche die Figur eines Kindes suchend streift, das statt mit Worten über Gesten und Blicke in Dialog mit rätselhaften Partnern tritt.    Zu dieser Inszenierung unternimmt die Kulturwissenschaftlerin Claudia Schmölders, die zur Geschichte der Märchen wie auch der Physiognomik geforscht hat, einen Streifzug durch Theorien und schildert die Befragung des Gesichts durch das filmische Close-up: Was passiert da eigentlich, wenn menschliches Gesicht und Puppengesicht sich anblicken? Vo n C l a u d i a S c h m ö l d e r s u n d B e a t e A b s a l o n – Minutenlang sitzt man im Dunkeln. Etwas bewegt sich auf der Bühne, Geräusche und Töne huschen vorbei. Es wird heller, Umrisse zeichnen sich ab, schließlich ahnt man eine Art Lichtung mit Baumresten, erblickt einen Stumpf, rechts davor einen abgebrochenen, dicken, verzweigten Ast, von dem eine Haarsträhne herab weht. Es wird nochmals heller, und man erkennt auf dem Baumstumpf eine kleine Menschengestalt in Sweatshirt und Hose. Das Gesicht von einer Kapuze versteckt, in der rechten Hand einen Stecken, tastet das Geschöpf durch die Dämmerung, berührt nachdenklich, suchend, vielleicht ratlos mal den Boden, mal die Haarsträhne. Einmal findet es beim Stochern auf dem Boden ein kleines Radio, das sogar noch Töne abgeben kann, dann versinkt es wieder im Nichtstun. Und die Erde war wüst und leer, muss man denken; so könnte es nach dem Atomschlag auf Hiroshima ausgesehen haben. Eine Dystopie am Anfang, nicht am Ende einer Geschichte. In den wenigen Momenten, in denen die Figur des Kindes im Licht erscheint, sieht man seinen Ausdruck: Ein blasses Gesicht, die großen glänzenden Augen gelblich, kränklich umrandet. Ein ewig offenstehender Mund, der die kleinen Zähne erblicken

Recherche zu Solace. Foto: Uta Gebert

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lässt, wie in einem Staunen oder Wundern eingefroren. Etwas „Zwitterhaftes“ ist in dieser Menschengestalt, die weder eindeutig männlich noch weiblich, weder lebendig noch tot zu sein scheint und zwischen kindlichem und erwachsenem Ausdruck oszilliert – ein Wesen an der Schwelle. Und auch die Welt, durch die es sich bewegt, ist solch ein Schwellenort zwischen Traum und Wachen. Oft und langsam und ratlos blickt das Kindergeschöpf in und durch diesen Raum, wir wissen nicht wohin und was genau es sieht, werden in der Langsamkeit aber auf unsere eigenen Sehprozesse zurückgeworfen.    Irgendwann hebt sich das Geschöpf plötzlich schwerelos in die Luft, bewegt dort, einsam angestrahlt, die Beine wie zum Fahrradfahren, verschwindet danach im Dunkel. So die erste Szene. Die zweite beginnt mit mehr Licht und einer längeren filmischen Einblendung: Ein Wald aus geraden, unversehrten Säulen oder Baumstämmen steht oder fließt vor dem Blick entlang, Sonnenstrahlen fallen schräg ein, plötzlich weht eine mächtig glänzende menschliche Haarmähne durch das Bild, manchmal mit Kopf, dann wieder nur Haar – aber immer gesichtslos.    Dritte Szene: Das Geschöpf ist erst einmal kaum zu erkennen. In einen Fellmantel gekleidet steht es mit einem Tierschädel in der Hand vor einem neuen großen, stark verzweigten Ast auf der linken Seite der Bühne. Es dreht und wendet den Schädel in seinen Händen. Das kleine Geschöpf steckt den Schädel schließlich auf den Ast. Es zieht den Fellmantel aus und erschafft so dem Schädel einen Körper – und sich selbst ein Gegenüber. Man kann (vielleicht soll man auch) denken an Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“, an die Entstehung der Menschheit aus Affenhorden, an das Hantieren mit Zweigen und Stöcken und Knochen, die in einer berühmten Szene hoch in den Himmel fliegen und dort zur Kaaba der Moderne mutieren.    Vierte Szene: Eine neue Geräuschkulisse, man hört jetzt das Meer an- und abbrausen. Man denkt sich an den Strand, man ahnt einen Schiffbruch, ein ausgesetztes zurückgelassenes Menschenkind. Es fängt an zu laufen, aber allmählich taucht hinter ihm ein riesiger Schatten auf, ein Menschenschatten, der dem Kind buchstäblich Beine macht, der es bewegt und zum Laufen bringt – eine

Recherche zu Solace. Foto: Uta Gebert

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Helferfigur oder eine Todesbotin? Schließlich erkennt man hinter dem Geschöpf eine schwarze Gestalt mit maskiertem Gesicht – die Puppenspielerin oder der Puppenspieler. Sich in heftige Bewegtheit steigernd hebt die spielende Person das Geschöpf vor ihre Augen und demaskiert sich. Analogien in der Erscheinung zwischen den beiden Figuren fallen auf. Der erwachsene Mensch – eine Mutter? – blickt nun auf das Kind, face-to-face, von Angesicht zu Angesicht und schließlich mit hell erleuchtetem Blick auch ins Publikum und verharrt. – Ende.

D i e p h ys i o g n o m i s c h e Dya d e Ein Schwarm von Assoziationen lässt sich hier sofort nieder, bildlich wie literarisch. Der in der Inszenierungsdramaturgie angelegte Gang von der Dystopie zur Utopie, zum Happy End, ist bekannt aus den Märchen. Auch der Helfer gehört zum Märchen und natürlich das Kind, die kleine Gestalt. Eher zum Mythos gehört wohl die Szene der gnadenlosen Aussetzung: Man denkt an Ödipus oder auch an Paris, den Entführer der Helena. Beide werden von ihren Vätern ausgesetzt, weil sie die Herrschaft bedrohen, aber sie werden in der Legende von freundlichen Hirten oder Helfern aufgenommen und nicht getötet.    Weder zum Märchen noch zum Mythos gehören aber das Paar Puppe und Spieler*in und der Schluss dieser Performance: Das gegenseitige Erblicken vis-à-vis kommt der Herstellung einer physiognomischen Dyade gleich, die der Philosoph Peter Sloterdijk in seinem Hauptwerk „Sphären“ so hingebungsvoll beschrieben hat. Dort entwarf er eine dialogische Anthropologie aus dem Blickverkehr zwischen Mutter und Kind. Das „zärtlich aufgeheiterte Sichanleuchten von Mütter- und Kindergesichtern" legt eine Art Grundbaustein für „Zwischengesichtsräume" oder „interfaziale Sphären", in denen sich „auf magisch symbiotische Weise ineinander versenkt" werden kann. Blicken zwei Menschen sich in liebevoll-sorgender Zuwendung an, entsteht nach Sloterdijk ein intimer Raum, der die Gesichter gleichsam öffnet und der alles andere als trivial ist, da die Blickenden hier in einen „intersubjektiven Ausnahmezustand" eintauchen, in dem eine ursprüngliche, „immer schon verlorene und doch nie spurlos getilgte Zweieinigkeit" erlebbar wird.    Sloterdijks sinnbildlich beschriebenem „Zwei-Personen-Blutkreislauf" wohnt etwas Erhabenes inne, dem die ästhetische Gestaltung des Kindergesichts sich in diesem Spiel hier entzieht. Der offen stehende Mund, die gefärbten Augenringe und die blasse Gesichtsfarbe jedenfalls erzählen nicht das Märchen vom kulturellen Vorurteil des Schönen, das in der physiognomischen Wahrnehmungslehre mit Wahrheit und dem zugleich moralisch Guten identifiziert wird. Das schöne Gesicht kennt bis ins 16. Jahrhundert überhaupt keinen offenen Mund – weil die Menschen in der Regel schlechte Zähne besaßen. Das Motiv des offenen Mundes war grotesk und animalisch besetzt, gehörte also zum Clown, zum betrunkenen Bauern oder zu den Tieren – oder Geschöpfen der Unterwelt wie bei Hieronymus Bosch oder Dantes Höllenfiguren. Viel später dann, etwa um 1800 malte der französische Maler Delacroix, Anhänger der Revolution, Menschen mit offenen Mündern. Sein Gemälde des „Jungen Waisenmädchens am Friedhof" ist der Figur in „Solace“ nicht unähnlich, auch ihm scheint eine Trauer ins Gesicht geschrieben.    Im Beschreibungstext der NUMEN Company zu „Solace" wird darauf hingewiesen, dass im „wortlosen, gestischen Dialog zwischen dem Lebendigen und dem Objekt [...] auch immer die Frage [mitschwingt] nach dem Verhältnis eines jeden von uns zu seiner eigenen Einsamkeit, seinem Alleinsein". Agiert das Kind hier wie ein Spiegel, in den geblickt wird?

Geschichte und Zukunft des Gesichts Doch wie steht es überhaupt um die Geschichte der Gesichter von Figuren und Dingen?    Vor rund hundert Jahren, 1924, erschien der Klassiker der physiognomischen Filmtheorie, „Der sichtbare Mensch“ vom ungarischen Kritiker Béla Balász. Alle Dinge haben nach Balász ein Gesicht. Inspiriert von der Welt der Märchen entwarf Balász damals eine These zur Physiognomie der Dinge; zur Anthropomorphisierung alles Sichtbaren in der filmischen Inszenierung, welche die Zuschauer*innen in einen kindlichen Erlebnismodus versetzt, eben weil die Dinge ihr „geheimnisvoll-geheimes Mienenspiel zeigen". Vor allem durch das Stilmittel der Großaufnahme werden nach Balász Menschen, Dinge und Landschaften gleichberechtigte Bedeutungsträger. Je größer die Nähe des Betrachters zum Objekt, desto größer die psychische Besetzung und desto dialogischer die Beziehung. In „Solace" verdoppelt sich dieses Verhältnis, insofern das Kind, selber animierte Figur, die Dinge seiner Umgebung zum Leben erweckt und ihnen ein Gesicht schenkt.    Das Ineinanderfließen von Ding und Gesicht wurde für die Ästhetik der Weimarer Republik geradezu rassistisch konstitutiv: vor allem mit Blick auf die Verwandtschaft von Erde und Mensch, von Boden und Gesicht, von Landschaft und Antlitz. War es ein Weg zur Verlebendigung – oder im Gegenteil zur terrestrischen Einfügung? Wer das „terrestrische Manifest“ von Bruno Latour aus dem Jahr 2018 kennt, muss der märchenhaften Wendung der szenischen Performance von „Solace“ von heute höchste Aktualität zugestehen. Die Erde, die Latour in höchster Gefahr durch menschliches Handeln sieht, zeigt sich hier auf der Bühne gleich eingangs als trostlos versehrtes, lichtloses Gelände, als Resultat eines menschlichen Tuns, als unverkennbarer Ausweis des „Anthropozäns“: Während die Puppe noch wirkt wie ein selbständiger kleiner Akteur. Aber hinter ihr steht, was Latour „Gaia" nennt, die wirklich leitende, lebende Mit-Spielerin. Sie nimmt das Geschöpf auf, sie führt es, sie übt mit ihm ein bewegliches Dasein -– und hofft auf Ansteckung mit Leben. Niemand weiß am Ende, ob es gelingt. – www.numen-company.com

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die aufregung des repräsentativen Ein Gespräch über gegenwärtige Gesichterpolitiken mit Arne Vogelgesang Regisseur und Schauspieler Arne Vogelgesang hat 2018 seine Video-Lecture-Performance „Flammende Köpfe“ im Schauspiel Dortmund auf die Bühne gebracht, in der er digitale Gesichter- und Maskenpolitiken als Propagandaformen der Gegenwart analysiert. Beate Absalon und Sebastian Köthe sprachen mit ihm über die Neue Rechte, das Gesicht als Verpackung und die Zukunft des Theaters. Was passiert eigentlich, wenn man sich maskiert – sowohl in politischen Kontexten als auch auf der Bühne? Ob per Balaclava oder Theatermaske – in dem Moment, wo ich mein Gesicht verhülle, bin ich erstmal geschützt. Deswegen kann eine Maske auch potenzielle Gefahr kennzeichnen. Maske auf – und erstmal haben alle ein bisschen Angst vor mir oder es ist unangenehm mit mir zu reden. Darauf stellen auch viele der Burka-Diskussionen ab.    Im Theater hat die Maske als zweites Gesicht natürlich eine lange Tradition. Welche Typen kann sie darstellen? Wann fängt sie an, sich in der Puppe zu individualisieren? Ästhetisch formulierte Fragen nach Identität oder Unverwechselbarkeit spiegeln auch das Selbstverständnis einer Gesellschaft wider. Deswegen können Masken in einer Gruppe, ob bei einer Demo oder auf der Bühne, Zugehörigkeiten definieren. Das reicht von der ikonischen Guy-Fawkes-Maske bis zum stereotypen Mimikvokabular. Welchen Einsatz von Gesichtern beobachtest Du auf digitalen Bühnen wie YouTube? Fazialität ist komplizierter geworden. Die Nahaufnahme des Gesichts als Werbeoberfläche für Emotionen und Botschaften hat sich auf YouTube verbunden mit Politik, wenn einem „ganz normale Menschen ganz authentisch“ erzählen, dass „die Ausländer“ oder „die Regierung“ ganz schlimm wären. Videobotschaften sind unter Linken kaum, bei neuerwachten Patrioten aber sehr populär. Das Gesicht ist hier ein Kapital: individuelle Verpackung für überindividuelle Inhalte. Das ist in der Propaganda der sogenannten Neuen Rechten viel gemacht worden: Close-up aufs Gesicht, Blick in die Kamera, also direkt in deine Augen, und sagen: „Ich habe Angst" oder sowas. Das Gesicht bedeutet dann nicht viel mehr als: „Ich bin ein Mensch. Hallo! Ich bin ein Mensch." Und wenn Du zehn davon zeigst, heißt das: Wir sind eine Masse. Wir sind repräsentativ. Genau wie im „klassischen“ Theater. Du thematisierst in Deinen Arbeiten die rechte Initiative der „Unsterblichen“, bei der kleine Gruppen weißmaskierter Rechtsextremer nachts mit Fackeln aufmarschierten, um propagandafähiges Videomaterial zu erzeugen. Warum gehen sie mit weißen Theatermasken auf die Straße? Die Unsterblichkeitskampagne war eine Kopie der linken „Überflüssigen“-Kampagne gegen Hartz IV. Wurde Peter Hartz ein Preis mit anwesender Presse überreicht, erzielten die Aktivist*innen ein eindrucksvolles Bild, wenn sie gleichmaskiert die Veranstaltung störten – und waren gleichzeitig auf den Pressebildern anonymisiert, geschützt. Das war auch der Unterschied zur Nazikampagne. Die haben nachts Flashmobs mit Fackeln gemacht, da war sonst niemand, ihre Bilder haben sie selbst produziert. Ein Vorteil der Masken war für sie, dass sie über den Filmschnitt suggerieren konnten, es wären total viele vor Ort gewesen. Wieder dieser Repräsentationsanspruch: Wir stehen für alle.    Das Morbide an der „Unsterblichen“-Kampagne, die ihre Blütezeit 2011/12 hatte, war ihr Slogan: „Damit die Nachwelt nicht vergisst, dass Du Deutscher gewesen bist." Werde unsterblich - dieses Heldenpathos. Der herkömmliche Held ist aber ein einzelner, mit einzigartiger Maske. Den erkennst Du, der sieht genau so und nicht anders aus. Mit der Maske als Massenanfertigung wirst du vergessen. Was bleibt, ist der angeblich deutsche Körper. Wie würdest du den ästhetischen Effekt der weißen Masken beschreiben? Der Witz liegt auf der Hand: weiße Maske, weiße Rasse. Vor allem ist die klassische neutrale Plastikmaske funktional: billig, leicht zu tragen, leicht zu erkennen – Du kannst sehr viele davon bestellen und musst sie nur aufsetzen. Sie versucht möglichst wenig zu

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sagen, außer: menschliches Gesicht. Sie ruft auch die Totenmaske auf, die blutlose Gesichtsform. Das macht das Bedrohliche und Geisterhafte an den Umzügen der „Unsterblichen“ aus. Die weiße Maske ist aber ebenso beliebt bei Schultheatern. Du kannst damit ein beliebtes Spiel spielen: Das bedeutungsvolle Abnehmen der Maske. Die Verstellung ist zu Ende. Jetzt zeigt sich das wahre Ich: „Schau, das bin ich – ich bin auch ein Mensch. Und genauso unverwechselbar wie alle anderen.“ Im Theater, wenn Du nicht von vornherein Maskentheater machst, geht es, wenn Du Masken benutzt, immer um Verhüllung – und Du weißt, dahinter ist dann das „echte Gesicht". Gleichzeitig wird die Echtheit dadurch in Frage gestellt. Du nimmst noch eine ab und noch eine und noch eine ... Noch einmal zur Neuen Rechten. Gibt es dort auch dezidierte Gesichterpolitiken? Leute wie die Identitären setzen ihre ganze Politik aufs Gesicht. Die stimmen alles darauf ab, strategisch ihr Gesicht zu zeigen: „Wir sind mit uns selber identisch und wir sind die letzten, die das noch sind und wir müssen dafür kämpfen.“ Sie versuchen immer wieder diese Erzählung ihrer angeblichen Heldenhaftigkeit aufzurufen: „Wie der Luther vor dem Reichstag! Der stellt sich einfach hin mit offenem Visier – wir machen nichts anderes. Ich zeige mein Gesicht, ich bin einfach nur Deutscher, darf man das nicht mehr sein?“ Wie verstehst Du diese Gleichzeitigkeit von Maskierung und Insistenz auf dem Gesicht? Die Hemmschwelle, mit Neonazi-Inhalten auf die Straße zu gehen, sinkt natürlich, wenn Du maskiert bist. Auch 2011 fanden neben maskierten Nazi-Flashmobs zum Beispiel die guten alten Dresden-Gedenkdemos statt, wo alle ihr Gesicht zeigten. 2011 war aber auch das Jahr der sogenannten Selbstenttarnung des NSU. In dem Moment, wo die „Unsterblichen“ ihre Kampagne über den Volkstod starteten, gab es also gleichzeitig diese Untergrundterrorgeschichte, in der das Gesicht auf dem Verhandlungsplakat und in allen Zeitungen zur Maske des Terrors wurde. Natürlich musste in dem Moment eine rechtsradikale Haltung ganz anders maskiert werden.

Theater Dortmund/Arne Vogelgesang, Flammende Köpfe. Foto: Birgit Hupfeld

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Als klar wurde, dass der Staat nicht nur kein Interesse an einer systematischen Aufklärung rechten Terrors hatte, sondern in ihn verstrickt war, blieb das Maskentragen der Rechten bloß ein theatrales Zwischenspiel. Diese Episode hatte schon etwas vorher mit dem Kopieren linksautonomer Codes begonnen: der Übernahme von Black-Block-Ästhetik mit schwarzer Kleidung und Vermummung durch die „autonomen Nationalisten“. Das hatte mit polizeilichen Repressionen zu tun und dem Coolness-Faktor, den man durch diese Uniformität als Mobilisierungskapital einbringen kann. Und das hat vielleicht auch damit zu tun, dass spätestens seit den 80ern alle so furchtbar kreativ sein müssen. Seitdem musst Du zu politischen Inhalten ästhetische Innovation bieten. So eine Art ästhetischer Kapitalismus der neuen Rechten? Das betrifft alle. Dass der Martin Sellner, ein Mitglied der rechtsextremen „Identitären Bewegung Österreich“, dazu auffordert Straßentheater zu machen, kommt ja nur daher, dass auch er Bücher über zivilen Ungehorsam als Bildpolitik gelesen hat. Identitäre

machen sich über theatrale Aktionen, wie jene des Zentrums für politische Schönheit, lustig, weil das gleichzeitig ihr eigenes Vorbild ist. Das ist der Fluch der Konservativen, dass sie immer einen Schritt hinterher sind. Trotzdem ist es ein Wettbewerb um Repräsentationsmacht. Über die Erzählung einer schweigenden Mehrheit, für die man spricht, sollen jene Massen mobilisiert werden, die den Rechtsruck vollziehen, von dem man gleichzeitig ausgeht – nicht um die eigene kleine Blase zu sichern, sondern das gesamte politische Klima zu ändern. Die theatralen Aktionen zielen darauf, nicht von denen vor Ort gesehen zu werden, sondern von den potentiellen Millionen, die nicht da waren. Die neuen Medien sind die eigentliche Bühne. Das ist das eigentliche politische Theater der Gegenwart, nicht Kunstveranstaltungen für 50 Leute in einem Raum und sonst niemanden! (lacht) Das wäre in der politischen Arbeit absurd. Wie kann das Theater damit umgehen, wenn alle anderen auch theatral sind und Masken benutzen? So lange man etwas macht, was noch Theater heißt, nicht Happening oder Performance, besteht der Auftrag im Versuch, einen Teil von Wirklichkeit zu repräsentieren. Und dann muss ich mich damit beschäftigen, dass das, was ich hier mache, die Leute draußen auch tun. Die Selbsterzählung von einem ästhetischen Vorsprung, also dass Künstler*innen Spezialist*innen darin sind, zugespitzt darzustellen, was Wirklichkeit ist, ist prekärer geworden. Mediale Massentechnologien stehen jedem zur Verfügung und alle sind damit beschäftigt, Repräsentationsarbeit zu verrichten, unter welcher Maske auch immer. Das dann noch einmal im Theater zu zeigen, kann redundant sein. Beobachtest du im Theaterbereich Bewegungen, die darauf zu reagieren versuchen? Es ist kein Zufall, dass in den letzten Jahren Theaterformen die größte Erotik hatten, die intervenieren. Je konkreter, desto besser. Weil das realer ist als ein paar Tanzbewegungen im öffentlichen Raum und alle gehen vorbei und denken: "Hö? Die sehen aber komisch aus". Das ist vorbei. Das „Mehr“, das man zu brauchen glaubt, sind reale Folgen.    Ich kenne das von Konferenzen, wenn Theaterleute, ich eingeschlossen, mit neidvoller Begeisterung vor den Aktivist*innen, beispielsweise des Peng-Kollektivs, stehen. Aktivistisch reinszenierte Realität ist die spektakulärere Kunst. Eine Zeit lang war die Oper das Spektakel, neben dem das reale Leben nicht so hübsch aussah. Wenn jetzt aber die Realität auch noch besser aussieht oder wirkt als das Theater, also mehr Aufregung des Repräsentativen bietet, dann lohnt die Frage, was ich als Theatermacher*in noch leisten kann. Wenn ich nicht mehr spektakulärer bin, und wenn ich auch nicht mehr erzählen kann als die Realität selbst, weil wir in einer Gesellschaft permanenter Selbsterzählung leben - was genau ist dann der Bereich, in dem ich eigentlich noch arbeite? – vogelgesang.internil.net

Film-Stills. Quelle: Youtube

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schwarzes gesicht auf schwarzem grund Fragen und Gegenfragen zu Stefanie Oberhoffs „Die Gräfin“ Das schwarz geschminkte Gesicht von Stefanie Oberhoff in „Die Gräfin“ während der Aufführung des Festivals „Theater der Dinge 2017“ der Berliner Schaubude wird zum Ausgangspunkt für eine Befragung der Farbe Schwarz aus einer produktionsästhetischen und postkolonialen Perspektive. Wie wird mit der Sichtbarkeit im Figurenspiel – vor allem mit der von sonst nackten Gesichtern umgegangen? Können (post)koloniale Machtdynamiken durch ein schwarz angemaltes Gesicht selbst mitthematisiert werden? V o n R e n é R e i t h – Eine weiße1 Puppe betritt die schwarze Bühnenfläche. Es ist „Die Gräfin“ in dem gleichnamigen Late-Night-Programm, animiert von der Figurenspielerin Stefanie Oberhoff. Diese steht im schwarzen, langen Kleid, mit schwarzen Handschuhen und schwarzer Perücke bekleidet hinter ihrer Figur. Schwarze, matte Schminke bedeckt ihr Gesicht gleichmäßig und lässt kaum Glanzpunkte zu. Die Schminke umrandet Lippen und Augen genau, sodass zwischen dem tiefen Schwarz die weißen Augäpfel und die roten Lippen der Spielerin hervortreten. Auf dem Festival „Theater der Dinge 2017“ der Berliner Schaubude, durchgeführt unter der Überschrift „Rebell Boy“, scheint sich in dieser Aufführung das schwarze Kostüm- und Maskenbild in eine Folge von gewohnten szenischen Mitteln einzureihen — wie etwa der schwarze Tanzboden, der schwarze Molton, das schwarze Scheinwerfergehäuse und die schwarzen Kabel.    Die Gräfin hingegen ist eine weiße, hagere Figur mit Lockenpracht, grellem Make-up auf den Lippen und ungleichmäßig gezogenem Kajal. Sie bestreitet den Abend mit Anekdoten und Kommentaren zu Politik, Wirtschaft, Sex und Tod, vorgebracht in provokantem Plauderton. Stefanie Oberhoff ist dabei die Dramaturgin der Situationen, die durch die Gräfin mit der Reaktion des Publikums, der von Johannes Werner live gespielten Musik, den Requisiten und dem eigenen Text unterhaltsam spielt.    In einer Szene dreht sich die alte, stolze Gräfin salopp um und wirft einen Blick auf die unbeleuchtete Spielerin hinter dem Tisch, der als Bühne für die Gräfin dient. Sich von der Spielerin wieder in den Zuschauer*innenraum wendend, fragt sie vorwurfsvoll, ob das denn heute überhaupt noch gehen würde, dass sich eine Figurenspielerin das Gesicht schwarz schminkt. Die Antwort bleibt aus.    Anders als im Rollentheater auf den Bühnen der Stadt- und Staatstheater, verkörpert Stefanie Oberhoff mit ihrem bemalten Gesicht keine dramatische Rolle, sondern thematisiert sich auf der Bühne, um mit dem Theaterwissenschaftler Henri Schoenmakers zu sprechen, „selbst in den sozialen Rollen“, in diesem Fall unter anderem in der Rolle der Figurenspielerin. Es

Stefanie Oberhoff, Die Gräfin. Foto: Kai Loges

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wird hier also nicht versucht eine in einem Textbuch vorgeschriebene Schwarze Person naiv darzustellen, sondern es handelt sich um einen Entwurf einer Figurenspielerin als Figurenspielerin. Warum sollte im Rahmen dieses Entwurfes eine weiße Figurenspielerin jedoch mit einem schwarz angemalten Gesicht auf der Bühne agieren?    Seitdem Figurenspieler*innen selbst hinter der Spielleiste auftauchen, stehen sie vor der Herausforderung, wie sie mit ihrer eigenen Sichtbarkeit umgehen – vor allem mit der ihres sonst nackten Gesichts. Eine von mehreren Strategien ist es, sich mit Hilfe von schwarzen Netzen oder Stoffen das Gesicht zu verhüllen. Die schwarz maskierten Spieler*innen treten so hinter den angeleuchteten Figuren in den Hintergrund und fügen sich farblich in den in Europa konventionalisierten schwarzen Bühnenraum ein.    Das „Nicht-Sichtbare“ des Theaters wird in Form der schwarzen Masken vor bzw. auf das Gesicht gebracht und behauptet in vielen Fällen, dass der menschliche Körper im Bedeutungsraum der Bühne nicht auftaucht oder man das Bühnen-Off gewissermaßen „mitten im Gesicht“ trägt. Diese Behauptung von Abwesenheit bringt ein besonderes Oszillieren zwischen Repräsentation und Performativität hervor. Die Farbe Schwarz repräsentiert zum einen den Hintergrund, vor dem „nur“ etwas Nicht-Schwarzes gezeigt werden kann, und wird zum anderen im körperlichen Umgang mit Kostüm und Maske für den performativen Spielvorgang genutzt, um eine Behauptung des „nicht da seins“ herzustellen. Die Behauptung von Abwesenheit trotz Anwesenheit ist nicht unbedeutsam, auch wenn uns schwarze Böden und Hintergründe zu suggerieren scheinen, dass der Bühnenraum auf den ersten vermeintlich bedeutsamen Auftritt warten würde, so wie eine weiße Leinwand auf den ersten bedeutsamen Pinselstrich wartet.    Der Selbstentwurf von Stefanie Oberhoff als Figurenspielerin kann als Anspielung auf diese wechselwirkenden Verhältnisse verstanden werden. Nicht zuletzt aus dem Potpourri der tagespolitischen Themen, die im schnellen Wechsel den Abend gestalten, lässt sich das schwarze Gesicht nicht als Position zu der in den letzten Jahren ausgiebig geführten Theaterdebatte zum Thema „Blackfacing“ betrachten. Aufgekommen ist diese Praxis im 18. und 19. Jahrhundert in der US-amerikanischen Minstrelsy. Weiße Darsteller*innen traten mit schwarz bemalten Gesichtern auf, um Schwarze Menschen diskriminierend darzustellen. Der in den letzten Jahren hauptsächlich auf das Rollentheater übertragene Diskurs des Blackfacings führt ethische, politische, biologistische und ästhetische Fragen zusammen, die weiße und westliche Perspektiven auf den Prüfstand stellen und eine überfällige Kritik üben.2    Um zumindest einen Punkt der Machtverhältnisse in dieser Diskussion deutlich zu machen: Wenn eine weiße Person ihr Gesicht für einen Auftritt schwarz bemalt, kann sie es abwaschen, bevor sie nach der Aufführung auf die Straße tritt. Eine Schwarze Person würde Gefahr laufen, für ihre Hautfarbe nach dem Auftritt und nach dem Abwaschen der Farbe auf der gleichen Straße diskriminiert zu werden. Aber kann das weiße Privileg dieser szenischen Praxis auch durch das schwarz angemalte Gesicht selbst mit thematisiert werden?    Ein Mittel der reflexiven Inszenierung zeigt uns Oberhoff mit ihrer Gräfin. Sowohl das mit greller Schminke bepinselte als auch das schwarz geschminkte Gesicht drehen sich zueinander um. Der Blick zwischen Figur und Spielerin thematisiert die behauptete Abwesenheit, während sie im gleichen Zug aufgelöst wird. Die rhetorische Frage ans Publikum spielt auf die aktuellen Diskussionen und Inszenierungen von jenen Theatern an, die versuchen auszuhandeln, was Macht in der Herstellung von Repräsentationen im Kontext der kolonialen und rassistischen Geschichtsschreibung bedeutet und inwiefern das zeitgenössische Theater diese Macht neu verhandeln kann. Jedoch fehlt nicht nur eine Antwort auf diese Frage. Die Komplexität des Themas erfordert mehr als ein Ja oder ein Nein, sondern ein sukzessives Befragen der eigenen Wahrnehmung hinsichtlich der Machtstrukturen, die uns in einer Aufführungssituation begegnen. Das hier verhandelte Thema darf eben nicht im Hintergrund stehen. – www.die-graefin.info 1 2

Schwarz und weiß werden in diesem Artikel nicht als Hautfarben, sondern als Positionierungen in einem relationalem Gefüge einer rassistisch strukturierten Gesellschaftsordnung mit Groß und kursiv markierter Kleinschreibung geschrieben. Wird Schwarz und Weiß als Farbe eines Materials beschrieben, so werden die Regeln der neuen, deutschen Rechtschreibung verwendet. Ich orientiere mich an Tania Meyers „Anmerkung zu Schreibweisen“ in der Publikation „Gegenstimmbildung. Strategien rassismuskritischer Theaterarbeit“. Auch mein Schreiben dieses Artikels mit einem Anspruch auf eine postkoloniale Betrachtung ist durch eine weiße und westliche Perspektive geprägt.

Stefanie Oberhoff, Lilith Becker, Die Gräfin. Foto: Kai Loges

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Trophäen der macht Zu Sergio Zevallos’ „A War machine“

Sergio Zevallos’ auf der Documenta 14 ausgestellte Installation „A War Machine“ konfrontiert fotografische Serien von Gesichtern mit Schrumpfköpfen. Die Kulturwissenschaftlerin Petra Löffler diskutiert diese Fotografien und Köpfe als Trophäen der Macht, die verschiedenen Logiken und Körperpolitiken der Aneignung und der Enteignung symbolisieren, und zeigt, wie diese Exponate koloniale Wissenspraktiken mit westlichen Identitätspolitiken konfrontieren. V o n P e t r a L ö f f l e r – Die Bühne wird von schwarzen Stoffbahnen begrenzt, die matt schimmernd das kalte Licht der Scheinwerfer reflektieren. Eine Rampe durchschlägt von der Hinterbühne aus den Raum, gesäumt von hohen Stangen, auf denen kopfgroße Stoffballen aufgespießt sind. Sie führt hinab bis zum Rand der Drehbühne, auf der das Grauen unerbittlich seinen Lauf nehmen wird: Auf dieser Rampe brüllen die Warlords brachial ihre mörderischen Taten heraus, werden Gefangene getötet und unheimliche Totentänze aufgeführt. Der um sich greifende Terror wird zum Sinnbild einer Zeit, die aus den Fugen geraten ist. Aus dieser schwärzesten aller Nächte führt kein Weg hinaus – daran besteht von Anfang an kein Zweifel in Rufus Norris’ aktueller Inszenierung von Shakespeares „Macbeth“ am Londoner National Theatre.    Rae Smith hat den Bühnenraum in eine postapokalyptische Welt verwandelt – eine Welt, die von brutaler, nicht enden wollender Gewalt zwischen rivalisierenden Clans beherrscht wird. Als ein Warlord den Kopf eines unterlegenen Gegners mit einem langen Messer vom Rumpf trennt und ihn triumphierend in die Höhe hält, wird der Gewaltexzess zur Demonstration einer Kriegsmaschine, die anscheinend nicht zu stoppen ist. Der Kopf des Besiegten wird dabei zur Trophäe; dessen Aneignung verspricht Allmacht. Auch die aufgespießten Stoffballen, die die Rampe säumen, stellen menschliche Köpfe dar: Als Kriegstrophäen markieren sie den Weg des Grauens.    Das ‚Herz der Finsternis’ schlägt schon lange nicht mehr nur in afrikanischen Kolonien; die Rachegeister der Enthaupteten werden längst nicht mehr in den Tsantsa genannten Schrumpfköpfen indigener Völker Südamerikas gebannt – sie verkörpern sich in den geopolitischen Auseinandersetzungen unserer Zeit und suchen die ehemaligen Kolonialmächte heim: Jeder territoriale oder Bürgerkrieg setzt unweigerlich eine Kriegsmaschine frei und trifft ins Herz der gemeinsam bewohnten Welt. Die Enthauptung ist eine brutale Technik der Kriegsführung – eine Taktik der Einschüchterung, die den Gegner als Kollektivkörper betrifft, ihn verletzt und im wahrsten Sinne des Wortes kopflos machen soll. Sie ist daher auch eine eminent machtsymbolische Geste. Eine Kriegsmaschine, schreiben Gilles Deleuze und Félix Guattari in „Mille Plateaux“, bildet sich immer in Opposition zu einem Staatsapparat; sie kommt nicht nur häufig von außen, sondern ist auch dessen (eingeschlossenes) Außen, das ihn permanent provoziert. Ihre taktischen Manöver bedienen sich des nichtbegrenzbaren Raums, der Überraschung und der nichtkontrollierbaren Affekte.

Das Casting für Sergio Zevallos – A War Machine II – Ethno Mechanics, documenta14, Neue Galerie, Kassel. Fotocredit: Sergio Zevallos

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A War Machine Sergio Zevallos’ künstlerischer Beitrag zur Documenta 14, der im vergangenen Jahr im Neuen Museum in Kassel zu sehen war, trägt den Titel „A War Machine“ nicht von ungefähr. Auch er bedient sich der Provokation und der Symbolik von Macht. Er wendet Taktiken und Techniken der Macht gegen jene, die es gewohnt sind sie auszuüben. Vor allem zeigt seine Arbeit, dass Kriegsmaschine und Staatsapparat einander gegenseitig hervorbringen und am Laufen halten. Deren Antagonismus verkörpert Zevallos durch Repräsentantinnen der jeweiligen Seite: von Terrorgruppen wie die NSU-Terroristin Beate Zschäpe einerseits, von internationalen Institutionen wie die Direktorin des Internationalen Währungsfonds Christine Lagarde oder politischer Ämter wie die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen andererseits. Schrumpfköpfe mit deren Gesichtszügen platziert seine Installation in unmittelbare, provokative Nachbarschaft. Insgesamt zwölf, teilweise eingefärbte und mit langem Haar versehene Köpfe hat der peruanische Künstler, der 1989 nach Deutschland ins Exil ging, in der Manier der Tsantsa aus synthetischen und organischen Materialen geformt und nebeneinander in einer Vitrine aufgehängt. Wie die rituellen Kopftrophäen indigener ethnischer Gruppen, bei denen die Kopfhaut zu einem Beutel vernäht und anschließend mit Sand gefüllt und mumifiziert wurde, sind die Münder mittels langer Schnüre verschlossen, um die Macht der in ihnen wohnenden Geister zu bannen. Doch um welche Geister und wessen Macht handelt es sich hier? Denn solche Schrumpfköpfe wurden auch von Europäern gesammelt und haben als Exponate Eingang in ethnografische Ausstellungen und Museen gefunden, die den hegemonialen Anspruch der westlichen Kultur untermauert haben.    Die Vitrine mit den Kopftrophäen steht in der Mitte eines Raums, dessen Wände mit Fotos bedeckt sind, die ausnahmslos Gesichter bzw. Gesichtspartien zeigen. Sie erinnern gleichermaßen an wissenschaftliche Aufnahmen wie an Fahndungsfotos, die physiognomische Merkmale für die Identifizierung und Klassifizierung von Individuen nutzen. Bei diesen seriellen Fotografien handelt es sich um spezifisch westliche Wissenspraktiken, um Tableaus von Gesichtern, die Menschengruppen taxonomisch und typologisch Der Künstler Sergio Zevallos bearbeitet das Gipsmodell eines repräsentativen Kopfes. Fotocredit: Sergio Zevallos

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bestimmen sollen. In westlichen Kulturen fungiert das Gesicht, wie Deleuze und Guattari behauptet haben, als Maschine des Staatsapparats, die Bedeutungen und Subjektivierungen erzeugt: das Gesicht des weißen Mannes als Machtbasis, Gesichter in Großaufnahme, die Affekte und Stimmungen ausdrücken, das Porträt oder Passfoto, das identifiziert. Der Kopf hingegen gehört anders als das flächige Gesicht stets zum Körper, er ist daher auch kein Ort für Einschreibungen wie die Haut und trägt auch keine Masken. Als Teil des Körpers hat der Kopf ein Volumen, er ist ein Gemisch aus Stoffen und Affekten, die ihn durchströmen, und er bewegt sich mit ihm, vollzieht Gesten und handelt. Wenn das Gesicht eine Maschine der Erzeugung von Bedeutung und Subjektivierung ist, die Subjekten bestimmte Rollen (wie etwa Vater – Mutter – Kind, Clown oder Polizist) zuweist und diese sanktioniert, dann ist der Kopf eine sich unablässig bewegende Kriegsmaschine, die diese Bedeutungen und Subjektivierungen auflöst und unerwartete Allianzen schmieden kann: Köpfe, die sich zu einen politischen Körper amalgamieren und als ein Körper handeln.    Mit diesen unterschiedlichen maschinischen Logiken des Gesichts und des Kopfs konfrontiert Zevallos’ Installation auch moderne und nichtmoderne Machttechniken, Wissensformen und Repräsentationsweisen miteinander. Ihre Provokation besteht deshalb nicht nur darin, westliche Repräsentantinnen von Kriegsmaschine und Staatsapparat nebeneinander als Kriegstrophäen zu zeigen. Sie besteht darüber hinaus darin, die koloniale Aneignung und Fetischisierung anderer Kulturen aufzuzeigen und gleichzeitig die Machttechniken der Aneignung des Fremden und Einverleibung des Feindes, wie sie in den Kriegstrophäen ebenso wie in deren Exposition im Museum zum Ausdruck kommen, selbst wiederum zu enteignen und zu entmachten. Man könnte deshalb sagen, dass Zevallos’ Installation vorführt, was es im Sinne der symmetrischen Anthropologie Bruno Latours bedeutet, moderne und nichtmoderne Kulturen als gleichwertig, Staatsapparat und Kriegsmaschine als miteinander in Kreisläufe der Macht wie der Ohnmacht verstrickt zu verstehen. Das heißt nichts anderes, als die vermeintliche Überlegenheit westlicher Kulturen, Körperpolitiken und Machtverhältnisse in Frage zu stellen, wie das Zevallos’ Installation „A War Machine“ auf abgründige Art und Weise tut. – www.sergiozevallos.net

Schrumpfköpfe aus Sergio Zevallos – A War Machine II – Ethno Mechanics, documenta14, Neue Galerie, Kassel. Fotocredit: Sergio Zevallos

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eine andere Perspektive Ein Gespräch mit dem Regisseur Mathias Becker 1814 wurde ein Schimpanse in Uniform nach einem Schiffsbruch als einziger Überlebender an die nordenglische Küste geschwemmt. Die dortigen Bewohner hielten ihn für einen Franzosen und verurteilten ihn wegen vermeintlicher Spionage zum Tode. Mathias Becker brachte in der vergangenen Spielzeit eine Bearbeitung des Comics „Der Affe von Hartlepool“ auf die Bühne des Jungen Nationaltheaters Mannheim. Für double sprach Tim Sandweg mit dem Regisseur über Perspektivität, den Affen als Motiv und den Einsatz von Masken. Mathias, wo liegt bei deiner Inszenierung „Der Affe von Hartlepool“ der Unterschied zwischen Mensch und Affe? Die Herausforderung bei diesem Stoff ist ja, die Frage zu stellen, aus welcher Perspektive ich erzähle. In dieser Inszenierung haben wir versucht, eine nicht-menschliche Perspektive einzunehmen. Natürlich bin ich kein Affe, aber die Chance der Profession Puppenspiel besteht für mich darin, dass ich Wesen erfinden und aus ihrer Sicht erzählen kann. Die Darsteller*innen tragen Masken, die recht naturalistisch Gesichtern von Schimpansen nachempfunden sind. Ich fand es als Regisseur deshalb so wichtig, Masken zu nutzen, da sie den Schauspieler*innen das Gesicht wegnehmen, sie verletzbarer, hässlicher machen und sich die Darsteller*innen so dem körperlichen Spiel hingeben können. Ich empfinde das als sehr starke Befreiung, gerade auch bezüglich der Psychologie von Figuren. Man beginnt nicht, eine Psychologie im Gesicht zu spielen, sondern sie auf den ganzen Körper zu übertragen. Gibt die Maske auch etwas vor? Ja, natürlich. Das Gute an dieser Vorgabe war aber, dass ich eine ungefähre Vorstellung davon habe, wie sich ein Schimpanse be-

Junges Nationaltheater Mannheim, Der Affe von Hartlepool. Foto: Christian Kleiner

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wegt. Die Bewegung ist natürlich zunächst einmal klischeehaft, aber ich kann von ihr ausgehend einen spezifischen Gestus entwickeln. Wenn ich die Maske nicht trage, worauf greife ich dann zurück? In den meisten Fällen bloß auf mich selbst. Gleichzeitig stellen diese Gesichter zwischen Mensch und Tier, Gesichter, von denen ich nicht täglich umgeben bin, ein Fremdheitsgefühl her. Ich wollte, dass das Publikum nicht dem*der Schauspieler*in gegenübersitzt, mit dem*der es sich sofort identifiziert. Es gibt am Anfang, wenn das Publikum den Saal betritt und die Affen schon auf der Bühne sind, einen doppelten Zoo-Moment: Wer guckt hier wen an? Das finde ich eine spannende Frage. In der Inszenierung geht es auch um die Frage, wie man jemanden anschaut, mit welchen Rassismen diese Blicke belegt sind. Da führt die Setzung der Affen zu einer Abstraktion auf universellerer Ebene. Sie entfremdet die Probleme von mir selbst, universalisiert sie aber gleichzeitig. Ich sehe auf der Bühne Affenwesen, die Szenen von vor 200 Jahren spielen, in denen Rassismen zu Tage treten, die wir aber heute noch kennen. Wenn ich über Xenophobie spreche und sehe weiße Darsteller*innen auf der Bühne, frage ich mich: Wer erzählt da und warum? Das ist auch das Problem des Comics. Der Versklavungshandel des 18. Jahrhunderts wird reproduziert. Wir haben uns in der Arbeit gefragt, was wir machen können, um nicht bloß abzubilden. Wir haben viel vom Comic gestrichen und überschrieben; bei uns geht es nicht um versklavte Personen, es geht immer nur um Engländer und Franzosen. Sonst hätte man wieder einen Diskurs über Dritte, eine weiße Perspektive, die sich über Menschen unterhält, die gar nicht anwesend sind. Neben den Masken gibt es noch eine Affen-Puppe, an deren Gesicht ihr mit einer Kamera sehr nah heran geht, sodass es noch einmal eine andere Form von Präsenz bekommt. Die Introspektiven des Affen, die man in diesen Szenen hört, sind zumeist Berichte von meiner Reise nach Hartlepool. Dadurch entsteht ein Bruch: Wir versuchen uns nicht in einen historischen Schimpansen einzufühlen. Was ich im Video sehe, ist vielmehr ein Bild von einem Schimpansen, ein Zeitreisender, der sagt: Damals sah es so aus, heute so. Der Schimpanse ist eher ein Über-Motiv, in dem sich die historischen Begebenheiten widerspiegeln: Zoos, Tierausstellungen, Hagenbecks Tierpark, in dem auch Völkerschauen stattgefunden haben – das sind ja alles Aspekte, die im Zusammenhang mit dem Versklavungshandel stehen. Es war mir wichtig, dass die Inszenierung nicht sagt: Wenn vor 400 Jahren die Dinge anders gelaufen wären, wäre heute alles besser. Vielmehr ist diese Spanne zwischen Vergangenheit und Gegenwart interessant und hilft uns vielleicht, Prozesse in unserem Alltag besser verstehen zu können. Der Affe ist natürlich auch ein sehr definiertes Motiv: Er ist einerseits mit der Evolution assoziiert, wurde andererseits aber eben auch klar als rassistische Beschreibung eingesetzt. Bei euch wird der Affe nun als Franzose definiert. Funktioniert diese Umdefinition? Diese Inszenierung ist ein Versuch, im Kinder- und Jugendtheater sowie im Figurentheater stärker einen politischen Impetus einzubinden. Einerseits ist das gelungen, da viele Kinder mit der Frage rausgehen, wer gerade aus welcher Perspektive was erzählt hat. Ich finde es aber nicht gelungen in der Affen-Metapher: Der Affe ist eben ein Tier, das aus rassistischen Beweggründen über People of color gestellt wurde. Das hatte tatsächliche, tödliche Folgen, weswegen er aus meiner Sicht wenig geeignet ist, um über Xenophobie und Rassismus zu sprechen. Ich würde daher das Comic heute nicht mehr nehmen. „Der Affe von Hartlepool“ ist ein Teil deiner Recherche zu Fragen nach Postkolonialismus, Perspektivität und Blicken. Wo spielen hier Gesichter eine Rolle? Mir fällt insbesondere in dieser Recherche auf, dass die Gesichter, mit denen ich konfrontiert wurde, nur die weißen „Helden“ sind und dass andere Gesichter fast unsichtbar sind. Da besteht Nachholbedarf: Welche Narrationen herrschen im Theater oder im Alltag vor und müssen aufgebrochen werden? Wenn ich ein Gesicht sehe, habe ich eine Projektion von Identität – und deswegen ist es so wichtig. Gibt es für dich künstlerische oder strukturelle Strategien für dieses Aufbrechen? Ich denke, dass ich als weißer Theatermacher mein Weißsein reflektieren muss. Ich kann nur für mich sprechen, ich kann nur versuchen, aus meiner kritisch weißen, queeren Perspektive Theater zu machen und Rassismus, Homophobie und Sexismus zu bekämpfen. Konkret versuche ich zum Beispiel die Zusammenstellung des Teams so zu gestalten, dass keine Reproduktion dieser Dinge stattfindet. Das ist natürlich strukturell schwierig, an einem Stadttheater habe ich kaum Einfluss auf die Teamzusammensetzung. Und Diversität ist in Puppenspiel- oder Theaterinstitutionen nicht weit verbreitet. – www.nationaltheater-mannheim.de

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WITHOUT THE MASK HE IS NOT A MAN Die Macht der Maske im Professional Wrestling 2009 standen sich der kanadische Wrestler Chris Jericho und der mexikanische, stets maskierte Star Rey Mysterio im Ring der New Orleans Arena, USA, gegenüber. Allerdings ging es Jericho nicht nur um den Sieg über den Kontrahenten, sondern auch um dessen Demaskierung. Ausgehend von diesem legendären Kampf, fragt die Autorin Marie Simons nach der Bedeutung und Macht der Maske im hyperbunten Spektakel des US-amerikanischen Showsports und seinem mexikanischem Pendant, dem Lucha Libre. V o n M a r i e S i m o n s – Zwei Männer stehen sich im Ring gegenüber. Sie umkreisen sich, tigern, lauern. Einer trägt eine pinkschwarze Maske, die nur Augen und Mund freilässt. Und dann: Vor den Augen hunderter Zuschauer stürmen sie aufeinander zu, rollen über den Boden und malträtieren sich mit Klappstühlen. Willkommen bei „Extreme Rules“, willkommen in der Welt des Professional Wrestling.    Masked Man Rey Mysterio gegen seinen Herausforderer Chris Jericho: Der Kampf stand im Zeichen eines Stückchen bunten Stoffes. Er werde seinen Kontrahenten nicht nur besiegen, sondern ihm auch seine Maske herunterreißen, drohte Chris Jericho — was auch gelang: Rey Mysterio, demaskiert, floh, das Gesicht hinter den Händen verborgen. Der Kommentator bemerkte: „Without the mask, he is not Rey Mysterio, without the mask, he is not a man.“ Warum ist der Moment der Demaskierung selbst für ein Genre ikonisch, dass gigantische Spektakel inszeniert, Muskelspiel, große Emotionen, und Feuerwerk inklusive?    Professional Wrestling, offiziell als „Sports Entertainment“ etikettiert, oszilliert zwischen Theater, athletischer Performance, 1 Showkampf und Sport-Mimikry. Es ist, wie Roland Barthes sagt, ein „Spektakel der Leidenschaften“ . Ein Spektakel von Körpern, die in einem nur scheinbar fatalen Kampf aufeinandertreffen. Ein essenzielles Inszenierungsmittel für die AthletInnen der World Wrestling Entertainment Liga (WWE) ist dabei die Maske, die den jeweiligen Charakter mit einer Aura des Mysteriösen ausstattet.    Hier lässt sich eine Brücke zu den Vorfahren der Professional WrestlerInnen schlagen, den Superhelden. Stets schützt die Maske das Antlitz des Helden und determiniert damit seinen Larger-than-Life-Status. Das verborgene Gesicht bietet ein Paradox, welches im Professional Wrestling auf die Spitze getrieben wird: Es anonymisiert und personalisiert zugleich. Es bietet eine Leerstelle für die Identifikation der ZuschauerInnen, denn hinter der Maske könnte jede*r stecken. Gleichzeitig erhöht just diese Verhüllung den Wiedererkennungswert, wenn Mensch und Maske zum Synonym verschmelzen. Es ist bezeichnend, dass deutlich weniger weibliche Superheldinnen diese „Macht“ der Maske nutzen dürfen – sowohl in den Comics und Filmen sowie in der Millionen Dollar schweren Business-Welt der WWE.

Lucha Libre Wichtiger als im US-amerikanischen Wrestling sind die hyperbunten Masken des mexikanischen Professional Wrestlings, des Lucha Libre. Diese spezielle Form entwickelte sich in Mexiko ab den 1930er Jahren und reüssierte zu einer der populärsten Unterhaltungsformen des Landes. Obwohl es sich strukturell aus seinem nordamerikanischen Pendant speist, verfügt Lucha Libre über eine eigene Ästhetik, die sich aus dem performativ-transformativen Potential der Maske ergibt. „When I put on the mask, I'm transformed. (…) The mask gives me strength. The mask gives me fame. The mask is magical“2, erklärt der berühmte Luchador „El Hijo del Santo“.    Es war der mexikanische Schuhmacher Antonio H. Martínez, der 1934 die Maske des Lucha Libre schuf. Sie besteht aus vier Teilen, das Material ist ein festes Lycra-Baumwoll-Gemisch. Die einzelnen Partien sind so miteinander vernäht, dass sie den ganzen Kopf bedecken, ausgenommen Mund-, Augen und Nasenpartie. Jenseits dieses Urmusters gleicht kaum eine Maske der anderen: ein- oder vielfarbig, mit Applikationen, Mustern; mal sind sie Tieren oder aztekischen Göttern nachempfunden, mal verziert mit Hörnern, Schnäbeln, Fransen.3    Die Symbolik bleibt dieselbe: Die KämpferInnen, die Luchadores, verweisen durch ihre Gesichtsbedeckungen auf folkloristische Archetypen, Götter, Tiere und Volkshelden, deren Identität sie für den Kampf überstreifen. Die US-Anthropologin Heather Levi verweist auf zwei Aufführungstraditionen, die die besondere Aufladung der Maske erklären: „Masks are thus likely to be used in two

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kinds of performances in traditional contexts in Mexico: those in which participants mock powerful figures or violate community norms, and those in which participants engage in ritual combat.“4 Somit erscheint die Maske in einem sozio-kulturellen Kontext, der sie über ihren Ding-Status erhebt und es ihren TrägerInnen ermöglicht, nicht nur mythische Mächte zu verkörpern, sondern auch als soziale KritikerIn, als moralische Instanz in den Ring zu treten.

Maske und Kollektivität Die Masken bieten hierzu eine einmalige Möglichkeit: Die AkteurInnen werden durch ihre Anonymität zu kollektiven Imaginationsflächen. „Meine Maske ist ein Spiegel für eure Kämpfe“, so beschrieb der mexikanische Volksheld und Rebellenführer Subcomandante Marcos die Bedeutung seiner berühmten Gesichtsbedeckung, einer schwarzen Skimaske mit zwei Augenlöchern. Der als Sprecher der „Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung“ (EZLN) auftretende Marcos erschuf sich als politische Kunstfigur während des zapatistischen Aufstandes in San Cristóbal de las Casas 1994. Auch er nutzte das Paradox der permanenten Maskierung, die ihn zu einem „non-self“ und damit zu einem Sprachrohr für die unterdrückte, indigene Bevölkerung werden ließ: „This non-self (…) makes it possible for Marcos to become the spokesperson for indigenous communities. He is transparent, and he is iconographic“5, so die Autorin Juana Ponce de Leon.    Dieser Aspekt der (Un)Sichtbarkeit durch die Maske gilt ebenso im Lucha Libre. Jenes Stück Stoff ist textiler Fokus des Showsports: Die Luchadores entstehen erst in dem Moment, in dem sie die Verhüllung überstreifen, in dem sie ihre private Persona wie ein Alter Ego hinter sich zurücklassen. Folglich ist die Demaskierung die größtmögliche Demütigung, die den Luchadores zugefügt werden kann. Sobald das Gesicht identifizierbar wird, ist es ihnen für alle Zeiten verboten in dieser Ring-Persona aufzutreten. Wird der Mensch hinter der Maske erkennbar, ist ihre Macht, die Möglichkeit der Projektion seitens der ZuschauerInnen verloren: „Without the mask, he is not Rey Mysterio, without the mask, he is just a man.“ 1 2 3 4 5

Roland Barthes: Mythen des Alltags. Berlin 2015, S. 24. El Hijo del Santo: Born + Raised: El Hijo del Santo interview. [online], 17.03.2015. 29.06.2018. In: https://www.youtube.com/watch?v=gA_mPxsQEIk (03:29-03:39). Letzter Aufruf: 07.07.2018. Siehe: Heather Levi: The mask of the Luchador. Wrestling, Politics, and Identity in Mexico. In: Nicholas Sammond: Steel Chair to the Head. The Pleasure and Pain of Professional Wrestling. Durham and London 2005, S. 96-131. Ebd., S. 104. Zitiert nach: Naomi Klein: The unknown icon. In: The Guardian [online], 03.03.2001. In: https://www.theguardian.com/books/2001/mar/03/politics. Letzter Aufruf: 11.07.2018.

Lucha Libre-Masken. Foto: Jonathan McIntosh/Wikimedia Commons/CC-BY-SA-3.0

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Exploding biometrics Zach Blas and the Art of Defacement N a c e Z a v r l – “The people are still powerless, but now they’re aware,” announced surveillance whistleblower Edward Snowden in a June 4, 2018 interview for The Guardian.1 Reflecting upon his revelations five years after their appearance, Snowden displays a measure of confidence, hope, and genuine satisfaction: “look back before 2013 and look at what has happened since,” he states; “everything changed.”2 Disregarding the pompous phrasing, his overall assessment stands: the NSA and GCHQ global wiretapping disclosures mark a watershed moment in our understandings of the early twenty-first century, a period so often classified under rubrics of the ‘information age’ or ‘digital economy’, but that rather more closely corresponds to notions of worldwide mass surveillance.    Recent decades have seen a massive proliferation in technologies of capture, with human corporeal features – faces, fingerprints, as well as irises and molecular tissue – emerging as exceptionally fertile sites of collection, recognition, and biometric control. On a level unprecedented in history, body parts have become knowable, transparent, and algorithmically mappable surfaces. Be it through passport photography or clandestine CCTV cameras, facial contours are constantly observed, inspected, and mathematically scrutinized so as to supply complete documentation of their subject. “Romantic notions of the face as primarily qualitative,” writes American artist and theorist Zach Blas, are, in this computational regime, “eclipsed in favour of the face as quantitative code, template, and standardized form of measure and management.”3 With faces thus converted into homogenized, universal sets of numerics, Gilles Deleuze’s early 1990s pronouncement bears repeating: fleshy individuals, in what the French philosopher terms societies of control, here “become ‘dividuals’ … masses, samples, data, markets,” packets of parsable, communicable information, prone to being dissected, recalculated or monetized at will.4 Visibility and visual representation, once heralded as emancipatory pathways to equality, have turned into tactics of governance; to be visible, today, is to be arithmetically divisible, detectable to the machinic eyes of capital and state authority.   Confronting this oppressive scenario, a number of contemporary artists – Adam Harvey, Trevor Paglen and Jemima Wyman, as well as Metahaven and the inimitable Hito Steyerl – have tackled to critically engage the politics and technics undergirding informatic capture. Over and above the aesthetics of full perceptibility, tactics such as camouflage, anonymity, masking, and concealment figure prominently in the present day; be it through the disruptive fashion designs of Harvey’s “CV Dazzle” (2010) or the methods of militant disappearance in Steyerl’s fifteen-minute video “How Not to Be Seen: A Fucking Didactic Educational.MOV File” (2013), an aesthetics of absence and strategic imperceptibility has firmly set foot in the arts. Faces and facial expressions, understood as vital terrains for the extraction of data, have surfaced as areas of particular concern.

Collective Transformation Gathering inspiration from a long lineage of social movements and protests, the work of artist, queer theorist, and activist Zach Blas intervenes in facial biopolitics most directly. Bandanas covering antifascists, Guy Fawkes costumes on members of Anonymous, dark balaclavas worn by Black Bloc anarchists and the Zapatista freedom fighters in Mexico, as well as Pussy Riot activists in Russia: these are only the paragons of a rich and vibrant history of facial obfuscation in riots, demonstrations, and liberation struggles worldwide. Deception, too, plays a considerable part in masking, as the female Algerian revolutionaries in Gillo Pontecorvo’s anticolonial epic The Battle of Algiers (1966) – donning bright mascara and bourgeois European attire in order to infiltrate enemy territory – so strongly testify. At a climactic point in Pontecorvo’s film, three female Arab bombers are able to reach the inner city by posing as innocuous Caucasians. Deluding the French soldiers posted at checkpoints across Algiers, the women are allowed to pass through the barriers uninspected. Taking these cases of resistive obscuration on board, Blas’s practice (composed of digital videos, texts, and most notably of physical, wearable pieces) adopts the plastic head mask not only as an instrument for evading optical identification, but also as a means of producing what the artist calls collective, or positive, transformation. When covered with matching masks, bodies relinquish their respective specificities (their traits, quirks, and characteristics), merging instead into an amorphous, generic collective. Enacting palpable change in the mind and body of its human proprietor(s), a measure of performativity is inherent to the physical act of masking; or, as Blas asserts in a conversation with media scholar Jacob Gaboury, “no one ever stays the same after they put a mask on.”5

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Face Cages An array of four metal masks (composited from stainless steel wire and designed to mimic the rigid outlines of faces in biometric scanning software), the “Face Cages project” (2013–16) exemplifies Blas’s concern with performance, theatricality, and nonhuman agency. Fabricated from electronic scans of queer performers’ heads, the three-dimensional wireframe objects – hardly masks in any conventional sense of the word – more strongly resemble the stringent, confining lines of modern discipline, “evoking a material resonance,” as the artist puts it, “with handcuffs, prison bars, and torture devices used during the Medieval period and slavery in the United States.”6 Illustrating the felt discrepancy between abstract mathematics and embodied, material beings, four separate

participants – Micha Cárdenas, Elle Mehrmand, Paul Mpagi Sepuya, alongside Blas himself – wear their respective cages in what the artist has described as an endurance performance. Recorded in ten- to twelve-minute films, in which individual faces are positioned against a black background, the compact framing allowing for little to no bodily motion, these tests of tenacity illustrate just how poorly the metal creations fit: performers visibly struggle and strain, their initial stillness giving way to tense, uneasy trembling, intensifying by the minute. As Blas’s wire contraptions prove excessively painful even for brief periods of time, the irreconcilability of biometrics and biology becomes achingly clear. Even as the steel devices could certainly be made more convenient (by including padding, for example), Blas’s masks serve to emphasize the reductive, restrictive tendencies of geometry and forceful quantification. While posing as a perfect, infallible measurement, the computational diagram – once actualized as a material mask – turns into little more than a harmful, stifling cage.

Zach Blas, Face Cages. Foto: Christopher O'Leary

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Facial Weaponization If Blas’s enclosures depict the mechanics of automated recognition (its streaks, edges, and symmetrical patterns), then the four-part “Facial Weaponization Suite” (2011–14) confronts us with the reverse. Where Face Cages staged a dramatization of certain schemes behind biometric software, visualizing what is meant to remain unseen, the Suite is strikingly more pragmatic, providing a set of usable tools – comfortable plastic masks – for escaping technological detection, most notably the sprawl of CCTVs overlooking public spaces. An aesthetics of minimalist abstraction (as witnessed in the austere, algorithmic cages) here succumbs to total obliteration: the disbandment of any and all representable traits, relinquished in favor of an opaque, inscrutable, even excessive materiality. That the resultant object – namely the vaporous Fag Face, assembled from scans of thirty gay men’s visages, amalgamated into one single image – resembles a human face is doubtful; yet the polystyrene mask, imperceptible to devices of computerized capture, fulfils its stated purpose. The face, subjected to modes of artistic manipulation, evaporates and explodes into an energetic, ethereal blob – a dispersal that Blas, seemingly inspired by Reza Negarestani’s philosophical novel Cyclonopedia, sees in close relation to fog: “What are tactics and techniques for making our face nonexistent? How do we flee this visibility into the fog of a queerness that refuses to be recognized? We can start by making faces our weapons.”7    More than merely shields or defensive instruments, Blas conjures up objects that delude at the same time as dismantle the violence behind biometrics, thus providing an avenue for potential attack. What might a weaponized face look like? What are its traits, peculiarities, and exploitable gaps? A preliminary answer, no doubt partial and dangerously flawed, is provided by Deleuze and Félix Guattari: “to the point that if human beings have a destiny, it is rather to escape the face, to dismantle the face and facialisations, to become imperceptible, to become clandestine … by strange true becomings that make faciality traits themselves finally elude the organisation of the face.”8 Where the French philosophical duo intervenes with concepts, Blas supplies the difficult second step: defacement, in the arts practice of Blas, obtains material form – strange, distorted, and unsettling as it may turn out to be.

1 Ewen MacAskill and Alex Hern, “Edward Snowden: ‘The people are still powerless, but now they're aware,’” The Guardian, June 4, 2018, accessed June 5, 2018, https://www.theguardian.com/us-news/2018/jun/04/edward-snowden-people-still-powerless-but-aware. 2 Ibid. 3 Zach Blas, “Informatic Opacity: Biometric Facial Recognition and the Aesthetics and Politics of Defacement” (unpublished doctoral dissertation, Duke University, 2014), 33. 4 Gilles Deleuze, “Postscript on the Societies of Control,” October, no. 59 (1992): 5. Emphasis in the original. 5 Zach Blas and Jacob Gaboury, “Biometrics and Opacity: A Conversation,” Camera Obscura 31, no. 2 (2016): 160. 6 Zach Blas, “Face Cages (2013–16),” author’s personal website, accessed June 7, 2018, http://www.zachblas.info/works/face-cages/. 7 Zach Blas, “Weapons for Queer Escape,” Schlossplatz³, no. 10 (2011): 22-24. Emphasis mine. For an extended reflection on fog as a mode of militant ob fuscation, see “Excursus V (Fog Oil: A Retrospection on Obscurants)” in Reza Negarestani, Cyclonopedia: Complicity with Anonymous Materials (Mel bourne: re.press, 2008): 107-109. 8 Gilles Deleuze and Félix Guattari, A Thousand Plateaus: Capitalism and Schizophrenia (Minneapolis: University of Minnesota Press, 1987), 171. Emphasis mine.

Fag Face Mask von Zach Blas' Facial Weaponization Suite. Foto: Christopher O’Leary

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Politik mit Punch Agathe 60 Jahre Figurentheaterfestival FIDENA

Es ist ein unvorhergesehener Einbruch der (politischen) Wirklichkeit: Am 14. Mai, am Tag der ersten Vorstellung von „23 Thoughts about Conflict“, starben mehr als 50 Palästinenser*innen bei Protesten an der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen. Etwa zweitausend sollen verletzt worden sein. Es war der Tag mit den meisten Todesopfern seit dem Ende des Gazakrieges 2014, wie die Medien berichten. Es falle schwer, hier nun auf der Bühne zu stehen, sagt eine*r der Performer*innen einen Tag später nach der zweiten Aufführung. Namer Golan, Gil Lavi, Danielle Cohen Levy und Tomilio Munz vom israelischen Künstlerkollektiv Worst Case Scenario haben gerade ihre 23 Gedanken über Konflikte erzählt, vertont, visualisiert, rhythmisiert, poetisiert und getanzt. Der Kommentar beim Schlussapplaus rückt weltbewegendes Tagesgeschehen, rückt den schrecklich großen Konflikt unbequem nah ans Figurentheaterfestival FIDENA, das mit dem Motto „resist!“ an sich schon den politischen Aspekt der Programmauswahl betont. V o n S a r a h H e p p e k a u s e n – In den Mittelpunkt ihres Jubiläumsfestivals stellte Festivalleiterin Annette Dabs Inszenierungen, die sich mit Strategien und Utopien gesellschaftlichen und politischen Widerstands beschäftigen. Die pinkfarbenen „Pussy Hats“ – als promimentes Symbol des Protests gegen die Politik Donald Trumps und für Frauen- und Menschenrechte – waren deshalb nicht nur auf allen Festivalmedien, sondern auch als real zu tragende Objekte auf den Köpfen des Festivalteams und vieler Zuschauer*innen präsent. Weithin sichtbar – und hörbar! – wurde das Festivalmotto zur Eröffnung auch in den Stadtraum hineingetragen. Auf dem Vorplatz des Bochumer Schauspielhauses thronte „Punch Agathe“, der, respektive die, vermutlich weltgrößte

Fidena-Eröffnungsparade mit Punch Agathe. Foto: Daniel Sadrowski

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Kasper, 18 Meter hoch, weiblich, schwarz. Ihre Fingernägel rot lackiert, ihre Stiefel goldfarben. Sie positioniert sich offensiv, eine bombastische Superheldin. Mit ihrem überdimensionalen Anti-Kasper hat Stefanie Oberhoff – ganz im Sinne der Festivalidee – einen unübersehbaren Störfaktor geschaffen. Zur Eröffnungsparade der unerschrockenen Künstlerin und der australischen Kompanie Snuff Puppets ziehen lebensgroße Krokodile und Nilpferde, Maulwürfe und Mutanten, krude Geschöpfe und eine laute Kapelle durch die Innenstadt. Diese Parade ist beeindruckend in ihrer verstörenden Direktheit, ihrem offensiv intervenierenden Gestus, der sich weithin Aufmerksamkeit einholt.

DIE ZERBRECHLICHKEIT MENSCHLICHER EXISTENZ Es geht aber auch leiser und intimer, dieses Wachrütteln. Da ist zum Beispiel diese zarte, gebeugte Männerfigur aus dem „Kleinen Theater vom Ende der Welt“ vom französischen Théâtre de la Massue. Ein gebrechlicher Mann, vielleicht 20 Zentimeter groß, sein Rücken ist gebeugt, leicht bucklig, sein Gesicht ist schmal, die Augen groß. Bei aller Fragilität ist er doch kraftvoll, weckt mit seiner Berührung einen viel größeren, doppelt so großen, schwereren Mann, der am Boden hockt mit seinen vielen Bündeln und Tüten. Der Regisseur Ezéquiel Garcia-Romeu braucht nur eine kleine Bühne, sein Puppenspieler bespielt eine Art Kasten, in den die Zuschauer hineinblicken wie in eine Beobachtungsstation. Düster ist es hier. Die Figur des Verwalters dieses Laboratoriums hat etwas Echsenhaftes. Seine Augen leuchten. Jede Bewegung hat eine Folge, jedes Drücken oder Drehen erzeugt ein Geräusch, eine Berührung erweckt Leben. „Das kleine Theater vom Ende der Welt“ behauptet mit seiner besonderen Rauminstallation eine ganz eigene, nahezu apokalyptische Welt. Es zeigt anmutige, auch verstörende Kreaturen und bietet eine bewegende Lehrstunde über Mechanik und die Zerbrechlichkeit menschlicher Existenz. Auch solch eine poetische Art der Welterzeugung kann eine Form von Widerstand bedeuten.

Cie. Freaks & Fremde, Carbon. Foto: Daniel Sadrowski

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POLITISCHER UND WEIBLICHER WIDERSTAND Sehr viel konkreter zeigt sich das politische Anliegen in der Inszenierung des argentinischen Autors und Regisseurs Mariano Pensotti. 100 Jahre russische Revolution waren der Anlass für sein Stück „Loderndes Leuchten in den Wäldern der Nacht“, unser Umgang mit politischen Idealen sein Untersuchungsfeld. Die Inszenierung spielt auf gleich mehreren Ebenen, zeigt Puppenspiel, Schauspiel und Film und verschachtelt das alles ineinander, bis die Themen sich überschneiden und die Figuren wiederkehren.    Da ist die Revolutionshistorikerin Estelle, die zur Frauenrechtlerin Alexandra Kollontai forscht und ihre Tochter vor frauenverachtenden TV-Jobs warnt. Sie ist Zuschauerin eines Theaterstücks über die Guerillakämpferin Sonja, die aus Kolumbien zurück nach Deutschland kommt, wo ihre Familie gerade ein Musical über sie produziert. Die wiederum schaut sich einen Film über eine feministische Fernsehmoderatorin aus Buenos Aires an, die sich mit den strippenden Nachfahren russischer Emigrant*innen trifft. Einer von denen ist Kollontais Enkel. Und überhaupt landet man mit dem Problem der Ausbeutung dann wieder bei der russischen Revolutionärin.    Pensottis künstlerisch kluge Arbeit ermöglicht durch den mehrfach gebrochenen Blick – der unter anderem dadurch entsteht, dass die Performer*innen ihre Puppen-Doppelgänger selbst animieren - einen ständigen Perspektivwechsel, der verschiedene Schichten gelebter und ungelebter Persönlichkeitsanteile offen legt und auf diese Weise die handelnden Figuren – ebenso wie die Zuschauer*innen – dazu bringt, gesellschaftliche Realitäten und die darin eingeschriebenen Rollen zu hinterfragen.    Für eine der beiden Auftragsproduktionen der FIDENA hat sich die Dresdner Compagnie Freaks und Fremde zum Ende der Kohle-Ära im Ruhrgebiet mit dem Thema Kohlebergbau beschäftigt und sich auf den Weg ins Erzgebirge, ins Ruhrgebiet und sogar bis nach Kolumbien gemacht. Der bislang vergebliche Widerstand kolumbianischer Bäuerinnen und Bauern gegen die größte Steinkohlemine der Welt, die auch deutsche Kraftwerke beliefert und der Landbevölkerung jegliche Lebensgrundlage zerstört, wird in

Worst Case Scenario, 23 Thoughts about Conflict. Foto: Maya Louzon

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„Carbon – eine kleine Weltreise der Kohle“ (mit)verhandelt. Vor allem aber begeben sich Freaks und Fremde auf eine Weltreise der Kohle, zitieren aus der Bibel von der Erschaffung der Erde, erzählen vom Schweinehirten in Witten, der die Steinkohle entdeckte, und spielen O-Töne über Aufstieg und Fall des Bergbaus im Ruhrgebiet ein. Überhaupt wird viel erzählt, getönt, gewerkelt, eingespielt, dokumentiert und bebildert. „El hombre“ – die Puppe, die für den Menschen im Allgemeinen stehen soll – geht da leider unter. Sogar bis in die Aufführungssituation hinein gräbt sich die Produktion tief ins Thema Bergwerk: Das Publikum in den Herner Flottmann-Hallen sitzt in einem engen, stickigen, schwarzen Zelt. Aber das alles ist viel zu viel, diese überengagierte Kunst-Collage verhaspelt sich zum Theaterzirkus.    Ein weiterer wichtiger Aspekt des Festivalthemas war die Beschäftigung mit Formen des weiblichen Widerstands - wie in der dokumentarisch fundierten Produktion „Sorry, Boys“ der italienischen Puppenspielerin, Autorin und Regisseurin Marta Cuscunà. Hintergrund der Inszenierung: 2008 wurden im US-amerikanischen Dorf Gloucester 18 Schülerinnen gleichzeitig schwanger, um ihre Kinder in einer ausschließlich weiblichen Umgebung aufwachsen zu lassen. Wie Jagdtrophäen hängt Cuscunà in ihrer eindringlichen Inszenierung zwölf Köpfe auf die Bühne, die über die vielfältigen Formen erlittener häuslicher Gewalt und die Möglichkeiten von Widerstand und alternativen Lebensentwürfen Auskunft geben.

KONFLIKTSZENARIEN Überhaupt wurde bemerkenswert viel gesprochen bei dieser Ausgabe des Figurentheaterfestivals. Gesprochen, angesprochen, besprochen - nicht nur in den begleitenden Diskussionen. Das FIDENA-Programm weist dieses Mal etliche Produktionen auf, die vor allem durch Sprache Themen setzen und Zusammenhänge herstellen. Doch es geht auch anders, wie die beiden Brüder Jakob und Pieter Ampe - Tänzer und Choreograph der eine, Musiker und Sprachtherapeut der andere - in der Auftaktinszenierung eindrucksvoll demonstrierten. Die beiden brauchen in ihrer großartigen Performance „Jake & Pete`s big reconciliation attempt for the disputes from the past“ (so gut wie) keine Sprache. Sie brauchen nur sich und ein paar Holzkisten, um mehr über die Beziehung zwischen Brüdern im engeren und den Menschen im weiteren Sinne zu „erzählen“ als manch mehrstündiges Erzähltheater. Hier sind es die Kisten, die als Objekte dazwischengeschaltet sind: zwischen Mensch und Geschichte, zwischen Körper und Figur.    Noch einmal zurück zum Worst Case Scenario und den 23 Gedanken über die unglaublichsten Konflikte, die die israelischen Performer*innen erlebt, gesammelt und in Szene gesetzt haben. In verschiedenen Versuchsanordnungen machen sie sich Komplimente, Konkurrenz und Angst. Sie jonglieren, balancieren, tanzen, bespucken sich. „23 Thoughts about Conflict“ präsentiert Ausschnitte der Wirklichkeit, mal eindringliche und mal banale. Die vier Künstler*innen vom Worst Case Scenario verwandeln konflikthafte Konstellationen in eine persönliche Angelegenheit – und das auf humorvolle Weise. Gesellschaftliche Relevanz ist das verbindende Element aller zum Festival eingeladenen Produktionen. Hier ist sie eingebettet in eine angenehm unspektakuläre Nummernshow, die das Private politisch werden lässt und das Politische privat. – www.fidena.de

links: Mariano Pensotti/Grupo Marea, Loderndes Leuchten in den Wäldern der Nacht. Foto: Theater rechts: Marta Cuscunà, Sorry, Boys. Foto: Daniele Borghello

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echoraum der widersprüche 6. double-Diskurs auf der FIDENA 2018 „resist!“ war das Motto der FIDENA 2018. Aber was heißt „Widerstand“ für die Künstler*innen, was bedeutet es für die Theaterkunst? Diese Fragen diskutieren beim 6. double-Diskurs in Bochum die Figurenspieler*innen und Regisseur*innen Stefanie Oberhoff, Ariel Doron und Heiki Ikkola – alle auch mit aktuellen Inszenierungen im Programm der FIDENA vertreten. Moderiert wurde das Gespräch von der Dramaturgin und Kuratorin Johanna-Yasirra Kluhs.    Befragt nach ihrem „widerständigen“ Verhältnis zur Gegenwart konnten die Podiumsteilnehmer*innen auf sehr unterschiedliche Erfahrungen verweisen. Während für Heiki Ikkola von der Dresdner Compagnie Freaks und Fremde, dessen künstlerische Laufbahn noch zu DDR-Zeiten begann, das Selbstverständnis als Künstler stark in einem sich mit dem System reibenden Verhältnis wurzelt, beschrieben Ariel Doron – in Dresden lebender israelischer Figurenspieler – und die Stuttgarter Figurenspielerin und Bühnenbildnerin Stefanie Oberhoff ihr politisches Engagement als prozesshafte Entwicklung aus der künstlerischen Arbeit heraus. Während Doron seine Arbeit vor allem als Auseinandersetzung mit dem Material und den sich im Material abbildenden sozialen und politischen Konstellationen beschrieb, berichtete Oberhoff davon, wie die Arbeit in interkulturellen Kontexten sie zunehmend mit dem Thema der globalen „Ungleichverteilung“ und der Notwendigkeit diese – nicht nur künstlerisch – zu bearbeiten, konfrontiere. Eine zentrale Frage politischer Kunst sei für ihn, so ergänzte Ikkola, welche Gemeinschaften man im Arbeitsprozess schaffe, wie man also im konkreten künstlerischen Arbeitsprozess modellhaft gesamtgesellschaftliche Utopien gestalte.    (Selbst-)kritisch setzten sich die Diskutierenden mit dem im Figurentheater-Kontext häufig gebrauchten Etikett des „Anarchischen“ auseinander. Im Zusammenhang staatlich geförderter Kulturarbeit hafte diesem Begriff, so Oberhoff, immer etwas „KokettVerlogenes“ an, da das „Über-die-Stränge-Schlagen“ sich ja nur in den Grenzen kuratorisch vorgegebener Formate und Rahmenbedingungen ereignen könne. Das konsequente Scheitern-Lassen von Projekten als politische Aktion – beispielsweise gegen die kunst- und menschenfeindliche Visapolitik in Ländern des globalen Südens – stehe häufig in diametralem Gegensatz zur „Bringschuld von Erwartungshaltungen“ (Ikkola) im Kontext von Auftragsarbeiten und Festivaleinladungen. Ähnliches gelte für die von Förderern oder Institutionen vorgegeben Themenschwerpunkte, die – als gesetzter politischer Impuls – zuweilen nicht mehr als „Partys der kritischen Vokabeln“ (Kluhs) generierten.    Ein wichtiges Thema für die Diskussionsrunde war die Frage, wie es gelingen kann, Diskurse aus dem stark konsensgeprägten „Echoraum“ der Kunst-Community in die Lebenswelt zu verlängern, auf welche Weise also „Realitäten, die einander fern sind oder bewusst voneinander fern gehalten werden, in der Kunst zusammengebracht werden können“ (Oberhoff). Vor allem die Arbeit im öffentlichen Raum und die Entwicklung von niederschwelligen Formaten „unbequemer Unterhaltung“ (Ikkola) wurden als mögliche zu beschreitende Wege beschrieben. Hier stelle sich aber die Frage, so eine Stimme aus dem Auditorium, wie diese Aktionen über den Event-Charakter hinaus zu einem dialogischen Verhältnis führen könne.    Nicht nur im institutionellen Kontext, auch in der eigenen künstlerischen Arbeit sahen sich die Künstler*innen immer wieder mit der Widersprüchlichkeit konfrontiert, die im Arbeitsprozess erlebten Verwerfungen und Differenzerfahrungen zugunsten eines gelingenden Kunstereignisses zu moderieren. Dies berge jedoch durchaus auch utopisches Potential, betrachte man die Tatsache, dass Widersprüchlichkeiten zu einem – durchaus diversen – Ganzen zusammengeführt würden, als „Vorlage für die Welt“ (Ikkola). Oder, wie es die Moderatorin in ihrem Schlusswort formulierte, erweitere man den „Echoraum zu einem Raum der Widersprüche und der Teilhabe“. – Zusammengefasst von Katja Spiess

double-Diskurs. Foto: Christina Stollenwerk

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Gr0sse experimente für die kleinsten Das Münchner Theaterfestival „Kuckuck“ Seit 2009 bietet das Münchner „Anfänge(r)“-Festival erfolgreich Figurentheater für Krippen- und Kindergartenkinder an und dokumentiert zugleich die Vielfalt und Experimentierlust dieser noch jungen Zielgruppen-Kunst. Zu seinem zehnten Jubiläum zeigt das Festival doppelt so viele Produktionen, viel Musiktheater und eine neue Flagge. Denn „Anfänge(r)“ heißt jetzt „Kuckuck“. V o n S a b i n e L e u c h t – Wow, wow und nochmals wow! Es ist die Vorstellung, die ich mir fast gespart hätte beim ersten Münchner „Kuckuck“-Festival. Und zugegeben, es hatte auch mit der Altersangabe auf dem Veranstaltungszettel zu tun: „Trommeln (Niet drummen)“ ist Theater für Kinder ab acht Monaten! Bei aller Anerkennung dessen, was das Theater für die Allerkleinsten bislang an Kunstsinn und inhaltlicher wie ästhetischer Experimentierlust bewiesen hat: Das sind Babys! Dazu ist noch die Rede von einem „geheimnisvollen Zelt“ und Allerweltsadjektiven wie „gemütlich“ und „zauberhaft“, die man gerne gebraucht, wenn man keinen erschrecken will.

STUPENDE SYNTHESE VON KLANG, BILD UND AKTION Und dann das! Alleine das „Zelt“: Eine gigantische Installation aus Trommeln, Rohren und Röhren; allerlei klingendes-klangendes, für durchkullernde Murmeln und mehrlagige Projektionen bereites Zeug, das die LAB-Bühne der Münchner Schauburg fast ganz erfüllt, aber Luft und Blicke zirkulieren lässt. Ein Teil des Publikums sitzt im Zelt, ein anderer draußen. Dann wird getauscht. Der Abstand zum Geschehen variiert, dessen Eindrücklichkeit nicht. Denn was die drei Performer des belgischen Theater de Spiegel machen, Nicolas Anokudinoff mit Saxophon und diversen Flöten, Joeri Wens mit allerlei Trommeln und der Silhouettenkünstler Alain Ongenaet mit Licht und Schatten, klingt verwegen und sieht auch so aus: Schattenrisse von finsteren bärtigen Profilen! Ausgefeilteste Fingertechniken! Wilde, laute, jazzige Musik! Hier wird an nichts gespart, keine Kunst macht sich klein. Und doch behält diese stupende Synthese von Klang, Bild und Aktion die kleinen Zuschauer*innen permanent im Auge. Und das hat vor allem mit der Ernsthaftigkeit und Hingabe der Performer*innen zu tun. De Spiegel, dessen künstlerischer Leiter Karel van Ransbeeck hier Regie führte, leistet sich das Musiktheater für die Allerkleinsten eben nicht als schnuckeliges Experimentierfeld nebenher, sondern stellt es ins Zentrum der künstlerischen Arbeit. Davon kann man in Deutschland nur träumen, auch wenn das Münchner Festival schon so manche Fortschritte dokumentiert hat, seit Mascha Erbelding vom FigurenTheaterForum im Münchner Stadtmuseum und Frank Striegler von der Familien-Bildungsstätte Elly Heuss-Knapp es 2009 aus der Taufe hoben. Als Figurentheaterfestival „Anfänge(r)“ schärfte es den Blick für die Experimentierlust dieser hierzulande noch jungen Zielgruppenkunst, die ganz viel Lust hat auf ein Publikum, das in der sogenannten vornarrativen Phase überraschend ähnlich angesprochen werden will wie aufgeschlossene erwachsene Zuschauer*innen auch: Mehr installativ und performativ als via Rollenspiel, mehr assoziativ als linear erzählend – und gerne mit allen Sinnen.    Zum zehnten Geburtstag haben die „Anfänge(r)“ mit „Kuckuck“ nicht nur einen neuen Namen, sondern mit Andrea Gronemeyers Schauburg auch einen dritten Partner mit an Bord, was den Festivalumfang auf einen Schlag auf neun Produktionen verdoppelt. Von Gronemeyer stammt auch der aktuelle musiktheatralische Schwerpunkt, der ihr schon in ihrer Zeit am Jungen Nationaltheater Mannheim am Herzen lag und im Figurentheaterkontext ganz neue Blicke auf den Objektstatus von Musikinstrumenten eröffnet. So wiegt in der niederländischen Eröffnungsproduktion „Hui!“ (Woei!) eine Musikerin das ihre zärtlich summend in den Armen als wäre es ein dickes Katzenjunges.    Drei Musik-Profis von Alle Hoeken van de Kamermuziek pusten zunächst stumme Grüße über ihre Handflächen ins Publikum und zeigen dann Schritt für Schritt, wie der Atem kommuniziert und sich verwandelt, wenn er durch eine Klarinette oder Tuba geht, vom stummen Pusten zum Geräusch zum Ton zur Musik. Luft wird durch wellenschlagende Plastikfolie und Seifenblasen sichtbar gemacht in dieser kleinen feinen Instrumentenlehre ohne Belehrung. Teils narrativer, teils didaktischer geht „Zweieinander“ vor, eine Begegnung zwischen einer Trompete und der persischen Tombak-Trommel, die über Wohl- und Missklang zugleich von S. 33 oben: Muziekvorstelling.nl/Alle Hoeken van de Kamermuziek, Hui! Foto: Saris & den Engelsman S. 33 unten: Schauburg – Theater für junges Publikum, holperdiestolper. Foto: Christian Kleiner

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Freundschaft, Konkurrenz und Streit erzählt. Die zwei formidablen Musiker*innen/Performer*innen der Koproduktion des Staatstheaters Mainz mit dem Ensemble LebiDerva lassen ihre Instrumente gurren, zwitschern; neckisch, fordernd oder gereizt „sprechen“, vergrößern diese Emotionen mit dem Körper und beziehen schließlich den ganzen Raum mit ein, den sie mit dem Publikum teilen und in dem sie auch Nischen finden, um den Kindern ab drei Jahren die Herkunft und Funktion ihrer Instrumente zu erläutern.

ERSTE SCHRITTE UND WIMMELBILDER Die Kontaktaufnahme mit dem Publikum ist im Theater für die Allerkleinsten notwendigerweise zentral, weil zumindest Unter-Dreijährigen zum reinen Zuschau-Publikum die kulturell tradierte Andacht fehlt. Doch die Wege sind unterschiedlich. Während die ein oder andere Produktion die Geduld der Kinder überstrapaziert, dauert es bei „Just Here“ der Pillow Fort Productions aus Südafrika keine halbe Stunde, ehe Fächer zum gemeinsamen Blattschnipsel-Verwedeln ausgeteilt werden. Dabei hätte die zeitweise anarchische Geschichte von der Wirkungsmacht der kindlichen Phantasie, bei der eine babypuppengroße Figur von zwei Spielerinnen im Bunraku-Stil bewegt wird, möglicherweise auch länger getragen.    Beim Schauburg-Ensembleprojekt „holperdiestolper“ bleiben Helene Schmitt und Simone Oswald durchweg in Kontakt mit den Verhaltensweisen ihrer Zielgruppe, indem sie mit wenigen Worten, eigenen tapsigen Bewegungen und einer Gliederpuppe vom Schreck und Triumph der ersten eigenen Schritte erzählen und dabei kindliche Verhaltensweisen nicht kopieren, sondern Elemente davon in stilisierte Bewegungen und Körper-Verknotungen transponieren. Da landet schon mal ein Fuß wie ein Telefonhörer vor einem Gesicht und der Körper der Partnerin kann ebenso puppenhaft agieren und geführt werden wie die hölzerne Figur. Mit den größten Spaß aber verbreitet das Stuttgarter JES in seinem Parforceritt durch die Wimmelbilderwelt à la Ali Migutsch. In „Unsere große Welt“ ist ein jeder in geheimnisvoller Mission unterwegs. Von der Schutzweste tragenden Respektsperson, der ein Schuh fehlt, über die alles verschlingende Mülltonne bis zur Phantasiesprache folgt alles einer irren Logik, die sich leicht mit Willkür verwechseln lässt. Dazu gehorcht das Klippklapp der Szenen und das Klappern einer Vielzahl von Objekten einem derart mitreißenden Rhythmus, dass man schon wieder mitten im Thema Musiktheater ist. – www.kuckuckfestival.com


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anachronismus als potential 12. Blickwechsel-Festival in Magdeburg Vom 23. bis 29. Juni lud das internationale Figurentheaterfestival Blickwechsel zum inzwischen 12. Mal nach Magdeburg. Die mit dem Motto „Mehr Licht!“ überschriebenen Festivaltage versuchten sich dabei auch daran, eben etwas mehr Licht in Selbstverständnis und (Eigen-)Verortung einer Kunstform zu bringen, die seitens öffentlicher und medialer Wahrnehmung nach wie vor eine bestenfalls von sporadischen Streiflichtern reflektierte Randexistenz führt.

Thesen V o n S t e f f e n G e o r g i – Vielleicht muss man an dieser Stelle tatsächlich erst einmal mit Thesen beginnen, schlicht weil es zu diesem Blickwechsel so einige zu hören gab. Freilich: Man könnte einfach sagen, dass sich das bei einem Festival, das im Ursprungsland der Reformation stattfindet, gewissen liebgewonnenen Traditionen schuldet, es dabei belassen und sich dem Wesentlichen, der Kunst nämlich, widmen. Aber als ungefähr zur Festival-Halbzeit zum inzwischen 7. double-Diskurs geladen wurde, saßen auf dem Podium des Magdeburger Puppentheaters unter anderem zwei freundliche und gar nicht geheimniskrämerische Vertreter einer „Geheimen Dramaturgischen Gesellschaft“ und stellten dort ein 15-punktiges Thesenpapier zur Debatte. Eins, das sich nicht nur den ja latent vakanten „innerbetrieblichen“ Fragen nach einer Optimierung/Reformierung von Produktionsstrukturen widmete und gezielt nach Partizipationsmöglichkeiten abseits hierarchischer Normierungen fragte (Thesen: Die Strukturen bleiben hierarchisch - Das Kollektiv bleibt Experiment), sondern das darüber hinaus den Blick von diesem „Innerbetrieblichen“ dezidiert auch auf Selbstverständnis und Außenwirkung, auf Eigen- und Fremdwahrnehmung des Figurentheaters richtet. Um einfach zwei diesbezügliche Thesen-Beispiele herauszugreifen:    Es braucht eine Neulabelung, um die tradierten und auch belasteten Genre-Begriffe hinter sich zu lassen; einen Begriff, der auch außerhalb eines akademischen Umfeldes anschlussfähig ist.    Und als selbstironische Volte echter Erkenntnis:    Das Diskutieren über den Begriff hält uns ab, über anderes zu sprechen.    Wie wahr! Also sprechen wir hier doch erst einmal über anderes. Über Kunst zum Beispiel.    Denn Kunst gab es natürlich einige zu sehen auf diesem Festival. Was Blickwechsel-Kurator Frank Bernhardt nach Magdeburg holte, bezeugte - auch im qualitativen Kontrast - ein Spektrum der Vielfalt, an dem man sich gut und gern reiben konnte. Nicht zuletzt, weil so manche der gezeigten Arbeiten - und sei es in kurzen Szenen und Bildern, in bestimmten, in den berühmten „magischen“

La main d‘oeuvres, Variations sur un départ. Foto: Christophe Loiseau

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Momenten – von jener reizvollen Eigenwilligkeit kündeten, die Figurentheater auszeichnen kann und an der dann schnell auch mal akademische Diskurse und Thesen sowieso aufs schönste Gefahr laufen zu zerschellen.    Es soll hier in Folge auch der kleine Versuch unternommen werden, einige dieser Momente zu umkreisen. Thesen können beim Lesen im Hinterkopf behalten werden.

Traumtüren Penelope weiß um die Welt der Träume; eine Welt, die interessanterweise dem Hades ähnelt. Und sie weiß um die zwei Türen zu dieser Welt. Aus Elfenbein ist die eine, aus Horn die andere. Die Tür aus Elfenbein durchschreiten die „reinen“, d.h. die täuschenden Träume. Die Tür aus Horn öffnet sich für die wahren - besser: die wahrsagenden - Träume.    Nachzulesen ist das im 19. Gesang der „Odyssee“ des Homer; Vergil griff dieses rätselhafte Bild später in seiner „Äneis“ auf – und auch zu den in Magdeburg gezeigten „Variations sur un départ“ wird es beschworen, wenn die griechische Performerin und Tänzerin Katerini Antonakaki auf ihrer ganz persönlichen Odyssee alle vier Bühnenhimmelsrichtungen durchmisst und dabei ein (wortwörtlich!) ganzes Haus im Schlepptau hat.    Herkunft als Prägung und Ballast. Und das Reisen, das – gerade auch im Sinne eines existenziellen Wechsels und Neubeginns – zu bloßen „Variationen einer Abreise“ wird, die hier aus poetischer Sprache (variierend griechisch, französisch, englisch), abstrahierenden Szenen-Bildern, impressionistisch gefärbter Klaviermusik und mit Fäden und Stricken im Raum ein Netz knüpfen; Meridiane, zwischen denen man treibt und in denen man gleichsam gefangen bleibt. Und so artifiziell hermetisch das anmutet, so transparent gerät es in jenem Moment, in dem die Inszenierung von Penelope spricht, Antonakakis besagte Traumtüren streift und das Traumlicht der Sinngebung sich aus Täuschung und Wahrheit mischt. Ein wunderbar flüchtiger Augenblick, in dem die Allegorie auf menschliche Sinnsuche mit einer auf das Wesen der Kunst zusammenfällt.    Die wahrsprechenden und die täuschenden Träume: Die Vögel sind nicht real, sagt Alfred Hitchcock ein wenig orakelhaft über die Vögel in seinem gleichnamigen Alptraummeisterwerk. Ausgehend von dem Filmklassiker und dem Statement seines Regisseurs, zeigt die spanische Multimedia-Performance „Birdie“ eine faszinierende Meditation über Kino- und Nachrichtenbilder, Angst und Angstprojektion. Kurz: über Ikonographie und Psychologie westlicher Alpträume, nicht nur, aber gerade auch in Zeiten der „Flüchtlingskrise“. Über das, was wir sehen – und das, was wir zu sehen meinen. Und über, wie es im Stück einmal so schön heißt, „das Bild, das über die Realität, die es abbildet, hinausgeht.“   In „Birdie“ ist das eine schier endlose Karawane von sage und schreibe 2000 Miniaturtieren, die sich als gleichsam gespenstische und pittoreske Installation einer (Migrations-)Bewegung in Erstarrung über die große Bühne des Magdeburger Schauspielhauses oben: Agrupación Señor Serrano, Birdie. Foto: Pasqual Gorriz Mitte: Aufbruch II, Masterclass Regie. Foto: Festival unten: Livsmedlet, Invisible Lands. Foto: Pernilla Lindgren

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zieht. Und die einmal einer der Performer in aller suggestiven Ruhe abschreitet mit einer Videokamera, die – natürlich aus der Vogelperspektive – dieses akribische, surreale Modell eines immer wieder von Kriegsgerät gesäumten Exodus auf die Bühnenrückwand projiziert. Dort fügt sich der Kameraflug ein in Szenen aus Hitchcocks Film und Fotos, die in Melilla entstanden. Also in jener spanischen Enklave an der Grenze zu Marokko, die von einem hohen Zaun umstanden ist – eine Brandungsmauer der „Festung Europa“ gegen Menschenströme. Ein Menetekel der Abkapselung.    „Birdie“ kreist dabei mit weitwinkligem Blick über den Assoziationsräumen einer Realität, von der auch die schwedisch-finnische Produktion „Invisible Lands“ erzählt. Nur eben nicht aus erhöhter Perspektive, sondern intimer, unmittelbarer, im kleinen Bühnenraum, mit den Zuschauern auf Augenhöhe. Gleich zu Beginn sitzen da eine Frau und ein Mann (Sandrina Lindgren, Ishmail Falke) und rauchen eine Zigarette, während irgendwo der Krieg tobt. Nicht weit weg, sondern ganz nah, gleich hier, im Bühnendunkel, ist er zu hören. Und man begreift: Es ist die Zigarette vor der Entscheidung, die letzte Zigarette vor der Flucht. Eine kleine Frist, bevor diese zwei Leben zum Spielball – und ihre Körper zum Spielfeld der Ereignisse werden. Denn als bestechend simple Metamorphose und ebensolche Metapher, manifestiert „Invisible Lands“ den Körper als Bühne. Als Erfahrungsraum und Landschaft, durch die filigran-zerbrechliche Miniaturfiguren fliehen. Bis zum blau gemalten Bauch; dem Bauch des Meeres, über das auch diese Odyssee geht und der, man weiß es ja nur zu gut, voll ist von Verschlungenen, von Toten.

Tänze Die Grille, sie tanzt. Tanzt um ihr Leben am Ende des Sommers. So wie die Alte, die die Grille tanzen lässt im dämmrigen Bühnenlicht, sich selbst einen weiteren Sommer Lebenszeit zu ergaukeln hofft mit ihrem Spiel. Die Geschöpfe eines Geschöpfes: Die Ameise und die Grille und der Fisch im Netz und die Spinne an der Wand und das vom Vater missbrauchte Kind – und dann Ilka Schönbein, die, gleichsam ein Geschöpf ihrer Geschöpfe, mit diesen zwischen Poesie, Traum und Traumata im dunklen Strom der Märchen und Fabeln treibt, von denen ihr die Szenen zu „Weißt du was? Dann tanze jetzt!“ eingeflüstert wurden.    Eine Inszenierung, in Magdeburg als Deutschlandpremiere zu sehen, in der Schönbein einmal mehr das Kunststück vollbringt, Figurenspiel immer wieder wie dunkle Totentänze und diese zugleich nach lebensgierigen Balztänzen aussehen zu lassen. Passend, wie sich dazu Schuberts Goethevertonung „Nur wer die Sehnsucht kennt“ als trunken wehmütige Jahrmarktsmoritat einfügt (Musik: Aleksandra Lupidi, Suska Kanzler). Und ein wohl auch am Butoh geschultes Vokabular der Mimik und Gesten Momente einer Zwiesprache erschafft, die weder mit Thesen noch Diskursen, sondern nur mit Kunst, Poesie zu umgreifen ist. Und vielleicht hat zur Beschreibung von Schönbeins Inszenierung dann ja auch Ingeborg Bachmann schon die bestmöglichen Worte geliefert: „Wie Orpheus spiel ich / auf den Saiten des Lebens den Tod / und die Schönheit der Erde …“    Was das Figurentheater kann. Oder besser: was so nur allein das Figurentheater kann.    Die Aufzählung dieser Blickwechsel-Augenblicke jedenfalls ließe sich fortsetzen. Anhand bekannter Namen, wie Agnès Limbos, die in ihrem Stück „Quo Vadis“ nirgendwo mehr hin-, sondern vielmehr still und stoisch sitzend oben: Ilka Schönbein/Theater Meschugge, Weißt du was? Dann tanze jetzt! Foto: Marinette Delanné unten: L‘Insolite Mécanique, Je brasse de l‘air. Foto: Julien Joubert

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untergeht – und auch das natürlich wortwörtlich, in einem becketthaften Endspiel mit Gegenständen und höhnendem Affen. Oder anhand von Neuentdeckungen, deren schönste sich vielleicht Magali Rousseau und ihrem Kabinett der mechanischen Insekten-Hybriden verdankt. Filigrane Nachtwesen, die die Künstlerin in „Je brasse de l´air“ aus ihrem Schattendasein ins Licht trügerischer Wahrnehmungen lockt.    Und in und neben all dem gab es dann immer wieder auch jene Momente, die in mitunter bestechender handwerklicher Einfachheit (freilich ohne nur „einfach Handwerk“ zu sein) Metamorphosen zwischen Mensch und Ding unmittelbar vor unseren Augen geschehen lassen. Zwei dieser Momente seien noch aufgeführt: Einmal wird da ruck, zuck ein Frauenkörper zur Quetschkommode, aus der das Grauen kriecht. Adolf Hitler gar, den die Israelin Michal Svironi in ihrer ShowGroteske „Mein Kind - The Dictator‘s Mom“ als entertainmentwütige Mutter Courage des Wahnsinns neben noch so einigen anderen Artgenossen aus der diktatorischen Bruderschaft zum Veitstanz erweckt. So wie der Spanier José Antonio Puchades in „Nymio“ lediglich das Licht einer schlichten Wanderlampe und seine Hände und Finger braucht, um einen kleinen, melancholischen Hand-Helden samt Mikrokosmos zu erschaffen, der dennoch groß genug ist, um darin bis zu den Sternen zu tanzen. Momente, die für sich sprechen.

Eine grosse Freiheit Um wieder beim double-Diskurs zu sein. Zu dem sich sieben Diskutanten – Theatermacherinnen und Theatermacher, Theaterwissenschaftlerinnen und Theaterwissenschaftler – vorrangig an der Frage abarbeiteten, welche Art Klassifizierung und welcher zeitgeistkompatible Terminus für diese Objekt-Material-Figuren-Puppen-Kunst gefunden werden müsse, auf dass die aus der Randenklave mehr ins Zentrum öffentlicher Wahrnehmung rücke.    Klar: Geht es um Begrifflichkeiten, geht es um Befindlichkeiten. „Puppentheater“, so ist da etwa zu vernehmen, ist „eine vollendete Kunstform wie auch die Oper“. Weshalb es gelte, diese Kunstform auch so zu klassifizieren, so „anzuerkennen wie die Oper“. Oder man spricht von einer „nötigen Optimierung“ der auch „nationalen Aufmerksamkeit“ und hadert, wie oben schon angeführt, mit „belasteten Genre-Begriffen“ die dieser Aufmerksamkeit im Wege stünden.    So der Tenor der Theaterwissenschaft. Interessant ist, was Theatermacher dazu sagen. Renaud Herbin zum Beispiel bemerkt hübsch lakonisch: „Ich werde im besten Fall als nicht klassifizierbar klassifiziert.“ Und aus dem Publikum meldet sich Claudia Luise Bose vom Puppentheater Magdeburg: „Ich verstehe ja die Sehnsucht, wegzukommen vom Kleinkunstbeigeschmack – aber dass das Puppentheater eben keine Oper ist, ist doch eine große Freiheit!“   Ist es in der Tat. Wie dann ja auch dieser Blickwechsel zeigte. Nicht zuletzt mit den Präsentationen im Rahmen des Projektes „Aufbruch II“; jenem Feldforschungsunternehmen, das sich dem Nachwuchs und den Entwicklungsmöglichkeiten speziell im Ensemble-Figurentheater widmet. Eine Masterclass „Regie im Theater mit Puppen“ verwies dabei mit vorgestellten Szenenskizzen, die thematisch Kafkas „Verwandlung“ umkreisten, auch auf diese zwei Umstände: Dass es tatsächlich keine akademische Ausbildung für Figurentheater-Regie gibt. Und welches schlummernde Potential dort zugleich zu wecken wäre.    Denn was selbst schon in den dargebotenen Skizzen des Regie-Nachwuchses und den von Ensemblemitgliedern kommunaler Puppentheater initiierten „Laboratorien“ zu erkennen war, ist einmal mehr auch das: die Freiheit nämlich, die darin liegt, sich in Zeiten des manischen Diktats technologisch-digitaler Fixierungen von einem Material – von Materie – inspirieren, im doppelten Sinne berühren zu lassen; sich am Material – erneut wortwörtlich – zu reiben. Diese Kunstform ist auch deshalb heute vor allem eins: ein Anachronismus. Genau darin aber liegt ihr Potential. Eine Relevanz, die tiefer greift, essentieller wirkt als das Illustrieren gesellschaftlicher Diskurse. Label-Namen sind da bloße Probleme für die PR-Abteilung. – www.puppentheater-magdeburg.de oben: Zero en conducta, Nymio. Foto: Theater unten: Svirony Fantasy Theatre, Mein Kind – The Dictator’s Mom. Foto: Theater

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(M)ein neuer Platz Bewegende Theatererlebnisse auf dem Badener Figura Theaterfestival Das 13. Figura Theaterfestival zeigte im Juni 2018 wieder ein vielfältiges Programm mit Produktionen aus 11 Ländern. Neben „konventionellen“ Bühnenformaten war auch eine Reihe von Inszenierungen zu sehen, die die Trennung zwischen Zuschauerraum und Bühne bewusst aufbrechen und das Publikum in das Geschehen mit einbinden. Damit bildet das Festival einen Trend der letzten Jahre ab. Nicht nur Figurentheater versuchen immer häufiger, das Live-Ereignis Theater partizipativer zu gestalten. Mascha Erbelding hat für double drei dieser Produktionen besucht.

V o n M a s c h a E r b e l d i n g – Wo ist mein Platz? Die freundlichen Bahnvorsteher (Charlot Lemoine und José Lopez) des Vélo Théâtre in „Une poignée de gens … quelque chose qui ressemble au bonheur“ haben mir ein nummeriertes Ticket gegeben und mich angewiesen, in der auf dem Boden markierten Zone entlang der Wände des quadratischen Raumes zu warten. In der Mitte des Raumes: Ein großer Haufen von Holzklappstühlen, in dessen Zentrum ein Musiker (Fabien Cartalade), der die folgenden Szenen kongenial begleiten wird. Es erscheint absurd, der nächsten Aufforderung der beiden zu folgen: Jede Zuschauerin und jeder Zuschauer solle den Stuhl mit seiner Nummer finden. Aber tatsächlich gelingt es, aus dem gut gelaunten Chaos der Stuhlsuche entsteht eine neue Raumsituation – und zugleich schweißt die Aktion, wie auch die folgenden Platzwechsel, die Besucher*innen zu einem Kollektiv zusammen. Von der (auch metaphorischen) Suche nach dem richtigen Platz im Leben über das Leben als Warteraum zur großen Lebensreise: Durch immer neue Stuhlgruppierungen entstehen poetische Bilder, die das Publikum miterlebt und mitgestaltet – etwa, wenn die Zuschauer*innen eine Blumenwiese bilden oder mit Hasenmasken ausgestattet Teil des Spiels werden. Höhepunkt ist die „Zugfahrt“ in der Diagonale des Raumes, bei der als Schattenrisse Landschaften auf den langen, aufgespannten Stoffbahnen an den wie im Zugabteil aufgestellten Stuhlreihen vorbeiziehen. Am Ende sitzen wir Zuschauer*innen an den Wänden aufgereiht, in der Mitte wird eine Modelleisenbahnlandschaft auf einer Platte heruntergelassen. Nach und nach reichen uns unsere Bahnvorsteher winzige Klappstühle, mit der Aufforderung, unseren Platz in dieser Landschaft zu finden und dann einem*r weiteren Zuschauer*in einen Stuhl zu geben. Man könnte kritisch anmerken, dass die Schattenseiten des Lebens, Flucht und Vertreibung, nur angedeutet werden, dass diejenigen, die stets zwischen den Stühlen bleiben und nie ihren Platz finden, nur am Rande Erwähnung finden (etwa als Tania Castaing als Zuspätkommende die Sitzordnung wie in einer großen Reise nach Jerusalem durcheinanderbringt). Aber das hieße, den Moment des Glücks, den ich mit einer Handvoll Leute gerade tatsächlich erlebe, kleinzumachen, sitze ich doch gerade mit meinem Miniaturstuhl auf einer kleinen Insel und winke zur Modelleisenbahn hinüber.

Vélo Théâtre, Une poignée des gens. Foto: Christophe Loiseau

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LUFTSCHLÖSSER Auch in „Je brasse de l'air“ der Compagnie l'Insolite Mécanique, die sich mit dieser Produktion um den Grünschnabel-Preis für den Figurentheaternachwuchs bewarb, gab es keine festen Sitzplätze. Aufgefordert, auf die anderen Zuschauer*innen Rücksicht zu nehmen und darauf zu achten, dass jede*r etwas sehen könne, werden wir in einen dunklen Raum geführt. Entlang ihrer wunderschönen, fein gearbeiteten kleinen Maschinen erzählt Magali Rousseau von einer Kindheit und dem Versuch, aus einer bedrückenden familiären und dörflichen Situation auszubrechen. Begleitet von dem Klarinettisten Stéphane Diskus lässt die Spielerin aus dem Dunkel immer wieder neue Szenerien erscheinen: Verschiedene Flugobjekte und Mobiles oder auch eine Maschine, auf der kleine Ahornsamen wie in einer Bergbahn eine steile Anhöhe erklimmen, um dann einer nach dem anderen in kleinen Kreisen langsam nach unten zu segeln. Ich werde eingeladen, einem kleinen Goldfisch zuzuhören, der in einer Glaskugel in der Mitte des Raumes hängt, vor und über mir fahren Flugmaschinen durch den Raum. Während Rousseau uns behutsam die objekthaften Manifestationen ihrer Suche nach Individualität, nach ihrem Platz im Leben vorführt, sind wir als Publikum aufgefordert, uns zu bewegen, ganz wortwörtlich Stellung zu beziehen – und vielleicht auch unsere eigenen Jugendträume, unsere persönlichen Luftschlösser hervorzuholen und uns zu fragen, was daraus eigentlich geworden ist oder noch werden wird. Nach der Inszenierung bin ich für einen Moment jedenfalls davon überzeugt, wenn schon nicht fliegen, so doch zumindest anders durchs Leben gleiten zu können.

KUNSTTÜMPEL In „La Lune” vom Théâtre de la Massue, das in seiner szenischen Anordnung eine klassische Bühnensituation immerhin noch zitiert – das Publikum steht um eine Art Becken herum, auf dessen Grund sich eine schlammartige kleine „Bühne” befindet - finden zwar alle ihren Platz, die Rolle der Zuschauenden aber bleibt unklar. Die ironisch gewendeten Partizipationsangebote, mit denen das Publikum beispielsweise aufgefordert wird, das Geschehen mit gregorianischen Gesängen zu begleiten, ebenso wie der lässige Plauderton des Spielers suggerieren Nähe, erzeugen jedoch Distanz. Dabei würde man als Zuschauende*r zu gerne in den entstehenden Figurenkosmos eintauchen: In einem kleinen Tümpel wird Leben gezeugt, es erscheinen molchartige kleine Figuren, die anschließend versuchen, den Mond zu erreichen. Die kleine Etüde, die für eine Ausstellung entstand, kultiviert geradezu das Unfertige und Uneigentliche. Soll das Publikum wie in einem Labor Zeuge der Entstehung eines Kunstwerks werden? Oder geht es schlicht darum, Kitsch zu vermeiden (und dabei leider auch der Poesie den Garaus zu machen)? Zurück bleibt bei mir jedenfalls vor allem ernüchternde Ratlosigkeit.    Feststellen kann ich aber auch, dass die besprochenen Inszenierungen mehr aktiviert haben als „herkömmliche“ Bühneninszenierungen. Der Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann hat in einem kurzen Statement treffend das große Potenzial beschrieben, das die partizipativen Formate für das Theater bieten: „Theater hat aufgrund seiner medialen Besonderheit im Vergleich mit anderen Künsten die besten Chancen, sich mit praktisch allen anderen Praktiken zu verbinden – sozialen, politischen, pädagogischen, geselligen. (...) Verschmelzend mit (und im steten Übergang zu) geselligem Spiel, politischer Debatte, Dokument und Demonstration bewegt sich Theater auf der Linie einer gewissen De-Ästhetisierung, die nicht das Ende seiner Kunst, sondern ein Geländegewinn ist.“1 Ein neuer Raum also für die Künstler*innen und ein neuer Platz für uns Zuschauer*innen – ein Platz, den wir mitbestimmen, suchen, besetzen dürfen und/oder sollen. Was für ein Glück …!? – www.figura-festival.ch

1 Hand-Thies Lehmann: Get down and party. Together. Partizipation in der Kunst seit den Neunzigern (I). http://www.heimspiel2011.de/assets/media/doku-

mentation/pdf/HSP-Doku_D_Lehmann.pdf (abgerufen am 10.10.2018).

Théâtre de la Massue/Cie. Ezéquiel Garcia-Romeu, La Lune. Foto: Alex Spichale

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Von maschinen und ihren menschen Eindrücke vom Festival „Les Giboulées“ 2018 in Strasbourg Seit Renaud Herbin 2012 die Leitung des TJP - Centre Dramatique National Strasbourg übernahm, hat sich das Profil des Theaters entscheidend verändert. Obwohl das TJP weiterhin schwerpunktmäßig Figurentheater veranstaltet und zahlreiche Stücke (auch) für Kinder anbietet, stehen weder die Zielgruppe noch das Genre, sondern ein transdisziplinärer Forschungsansatz im Zentrum der Theaterarbeit. „Corps – Objet – Image“, die Erforschung des Zusammenspiels von Körper, Objekt und Bild, ist identitätsbildend für das Haus und sein Programm. Entsprechend dem Theaterprofil wurde auch das biennale Festival neu konzipiert, das sich weniger als „Leistungsschau“ der Figurentheaterszene, denn als Produktions- und Diskursplattform versteht. Allein 10 Uraufführungen von (zum Teil internationalen) TJP-Produktionen und -Koproduktionen gab es auf den diesjährigen „Giboulées“ zu sehen. V o n K a t j a S p i e s s – Mit der TJP-Koproduktion „Monkeys“, einer Inszenierung des israelischen Regisseurs Amit Drori, wurde das Festival eröffnet und zugleich einer der inhaltlichen Schwerpunkte des Programms markiert: der Dialog zwischen Mensch und Maschine. Auf der Bühne 12 Performer*innen: drei menschliche Wesen und neun Roboter in Affengestalt. In ihrer tierisch-technischen Zwitterhaftigkeit verweisen diese Bühnengestalten sowohl auf die animalische Vorgeschichte des Menschen als auch auf mögliche Formen seiner transhumanen Zukunft. Gemeinsam bewohnen Menschen und Roboter einen Raum, der von einem Ensemble filigraner, schwenkbarer Scheinwerfer begrenzt wird, die immer wieder neue Atmosphären und Spielflächen entstehen lassen. Ein urwaldhaftes „Uncanny Valley“ – wie geschaffen für unheimliche Begegnungen menschlicher und künstlicher Körper und Systeme. Doch leider bleibt im technisch anspruchsvollen Setting (über 5 Jahre haben Drori und sein Team an der Ausstattung gearbeitet) die dramatische Ausgestaltung dieser Konstellation auf der Strecke. Die sparsamen Interaktionen der menschlichen Performer*innen (die eher wie Maschinist*innen agieren) mit den Robotern lassen kein Spannungsverhältnis entstehen, und die Aktionen der Maschinenaffen wirken – bis auf wenige Szenen, in denen ihre „Menschenähnlichkeit“ empathische Momente erzeugt – mechanisch und seltsam hermetisch.

THEATER OHNE MENSCHEN? Möglicherweise werden wir uns der Wirkungen der von uns geschaffenen künstlichen Systeme sehr viel deutlicher bewusst, wenn wir diesen einmal komplett die Bühne überlassen. Dies mag sich der französische Regisseur Joris Mathieu gedacht haben, als er mit „Artefact“ einen Theaterparcours ohne jegliche humane Präsenz inszenierte: keine Spieler*innen, keine Techniker*innen auf der Bühne. Alle Aktionen, denen wir als Zuschauende beiwohnen, sind komplett durchprogrammiert und von Algorithmen bestimmt. Die Agierenden: Chatbots, Hologramme und ein Industrieroboter, der Shakespeare „spielt“ und sich mittels eines 3D-Druckers sein eigenes Bühnenbild erschafft. Es ist erstaunlich, wie schnell man beim Gang durch diesen Maschinenpark bereit ist, den compu-

Théâtre Nouvelle Génération/Joris Mathieu, Artefact. Foto: Nicolas Boudier

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tergenerierten Aktionen „Theatralität“ zuzubilligen und wie trotz dieser Bereitschaft die Empfindung schattenhafter menschlicher Präsenz niemals weicht. Dies kann zum einen daran liegen, dass in den meisten Szenen klassische Theatertexte verwendet, das heißt eine dezidiert menschlich konnotierte Bedeutungsebene angespielt wird. Zum anderen klingt bei allem Gemachten, seien es Objekte oder Prozesse, das menschlich Schöpferische gewissermaßen als unhörbarer Oberton mit. Und nicht zuletzt ist die programmierte Aktion nur in dem Maße ‚lebendig‘, wie der*die menschliche Betrachter*in diese emotional und mental mitvollzieht. Mag es auch eine intentionale Selbstvergewisserung in Zeiten technischer Welttransformation sein, die Rezensentin verließ den 45-minütigen Parcours weniger mit einem Gefühl der Verlusterfahrung als mit der fröhlichen Gewissheit, dass die Menschen aus dem schöpferischen Prozess weder als Macher*innen noch als mitagierendes Publikum wegzudenken sind.

PAS DE DEUX MIT OBJEKT Während die Produktionen von Drori und Mathieu die nicht-menschlichen Darsteller*innen in den Fokus des Bühnengeschehens rücken, macht Ali Moini, Tänzer und Choreograph mit iranischen Wurzeln, in „Man anam ke rostam bovad pahlavan“ die körperliche Begegnung zwischen menschlichem und künstlichem Wesen zum Zentrum seiner Inszenierung. Hier ist der Objekt-Partner kein Roboter, sondern eine komplexe, über mehrere Seilzüge und Gewichte zu animierende und aus zahlreichen Metallgliedmaßen zusammengesetzte Fadenmarionette. Diese „Über-Marionette“ ist direkt mit dem Körper des Spielers verbunden; jeder Impuls und jede Bewegung werden also unmittelbar an den „Körper“ des Gegenübers weitergegeben. Die so entstehende Choreographie führt zu bemerkenswerten Verschiebungen der Subjekt-Objekt-Beziehung und ständig wechselnden Machtkonstellationen. Mal etabliert sich der Spieler als derjenige, der die Figur manipuliert, dann wieder will es scheinen, als habe die Figur den überlegenen Part und

der Spieler sei wie ein Gefangener an sie gekettet und ihrer Willkür ausgeliefert. Als Moini am Ende der Performance seine Figur wortwörtlich „befleischt“ – indem er an den Gliedmaßen rohe Fleischstücke befestigt – gewinnt diese eine fast dämonische Präsenz, da sich Technisches und Animalisches auf unheimliche Weise überlagern.    Einen Objekt-Mensch-Pas-de-deux ganz anderer Art kann man schließlich bei der Performance „Floe“ erleben. Auf einem unwirtlichen Parkplatz mitten im Industrie- und Shopping-Quartier des Straßburger Stadtteils Hautepierre scheint ein zerbrochener Eisberg (eine Skulptur des Bildenden Künstlers Vincent Lamouroux) gestrandet zu sein. Und auf diesem befindet sich – mit den Widrigkeiten des steilen, glatten, zerklüfteten Objekts kämpfend und ständig vom Absturz bedroht – ein Mensch. Mit welch fein tarierter Mischung aus Hingabe, (scheinbarer) Gefährdung und virtuoser Körperbeherrschung der Tänzer und Equilibrist Jean-Baptiste André diese Bergbesteigung inszeniert und wie er dabei immer wieder Kontakt mit den mal verharrenden, mal vorbeieilenden Passant*innen aufnimmt, ist schlicht bewundernswert. Und bewundern mag man auch, wie es dieser kleinen und klugen Performance ganz nebenbei noch gelingt, die Folgen des Klimawandels ins Bewusstsein zu rücken. – www.tjp-strasbourg.com links: Association W/Jean-Baptiste André, Floe. Foto: Nicolas Lelièvre rechts: Compagnie Selon l‘Heure/Ali Moini, Man anam ke rostam bovad pahlavan. Foto: Alain Scherer

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festival im zwischen Ruhrtriennale 2018 zwischen Zeiten und Genres Unserer Zeit als einer „Zwischenzeit“, die um kommende Umbrüche weiß und sie vielleicht noch gestalten kann, war die Ruhrtriennale, das internationale Festival der Künste, in diesem Jahr gewidmet. „Zwischen“ galt ebenso für die Genres, die im Programm eher zur groben Orientierung genannt wurden – die meisten Produktionen waren interdisziplinär orientiert. V o n A n k e M e y e r – Wenn die Performance-Ikone Laurie Anderson während ihrer Vorstellung „The language of the future“ in der vollbesetzten Essener Lichtburg ebenso lässig wie kategorisch bemerkt, „Our empire is passing like all empires do“, schwingt da neben Altersweisheit und Melancholie erstaunlich viel Hoffnung mit. Man könnte es geradezu als lakonische Verdichtung der programmatischen Überlegungen zur diesjährigen Ruhrtriennale lesen. „Zwischenzeit“ hatte die Intendantin Stefanie Carp ihre erste Ausgabe dieses großen internationalen Festivals der Künste benannt, „Zwischenzeit“ im Sinn eines Stadiums, in dem sich Richtung und Qualität der unausweichlich auf uns zukommenden gesellschaftlichen Umbrüche möglicherweise noch gestalten lassen. „Our empire is passing“ – wie das geschehen und was an dessen Stelle treten mag, ist zentraler künstlerischer Forschungsgegenstand mehrerer hundert Künstler*innen aus rund 30 Ländern, die im August und September 2018 vornehmlich „Industriekathedralen“ des Ruhrgebiets bespielen. Räume mit Bergbauvergangenheit, die heute als Kunstorte fungieren, selbst also durchaus positiv oder auch ambivalent besetzte Zeugen eines großen gesellschaftlichen Umbruchs, dem Ende des Bergbaus und dem Niedergang der Metallindustrie im Ruhrgebiet.

RÄUME ALS HERAUSFORDERUNG    Die besondere Architektur dieser ehemaligen Zechengebäude und Stahlwerke, ihre Monumentalität, ihre Atmosphäre, ihre Geschichte prägen die Ruhrtriennale in hohem Maße. Einige der diesjährigen Auftragsinszenierungen kann man sich in anderen Räumen nur schwer vorstellen. Dazu gehört neben einer Art begehbarem Film, der Installation „Diamante – die Geschichte einer Free Private City“ des argentinischen Regisseurs und Autors Mariano Pensotti, in der das Publikum sechs Stunden umherwandert, vor allem Christoph Marthalers szenisch-musikalische Annäherung an die „Universe Symphonie“ von Charles Ives, an ein Musikwerk, das aus Notizzetteln, Entwürfen und wenigen Partiturseiten besteht. Die Unmöglichkeit, ein Werk, das die ganze Welt abbilden sollte, zu vollenden, war vom Komponisten bereits mitgedacht und sein Vorschlag, an diesem Unvollendbaren weiterzuarbeiten, wurde vom Schweizer Regisseur und Artiste Associé der Triennale, dessen langjähriger Bühnenbildnerin Anna Viebrock und dem Dirigenten Titus Engel als Herausforderung angenommen. Die riesige, komplett und offen genutzte Bochumer Jahrhunderthalle, in der man mühelos ein ganzes Symphonie-Orchester verstecken oder einen Dinosaurier in Originalmaßen umherschweben lassen kann, macht das Inszenierungs-Team zur kongenialen Mitspielerin, letztlich zur Chiffre einer immer weniger entschlüsselbaren Welt. In den Weiten dieses Raumes stehen Viebrocks Brücken, Kinosessel, Kirchenbänke, Tribünen und ein Checkpoint wie verstreute, fragwürdige Inseln. Aus luftiger Höhe dirigiert Engel die Schlagwerker des ersten Akts; auf Gleisen fährt ein Wellblechschuppen quer durch die Halle, schluckt schwarzbefrackte Musiker*innen und spuckt sie wieder aus – jede Person, jedes Ding bekommt in dieser enormen, durch nichts verstellten Raumdimension eine Aura von Verlorenheit, das Enigmatische der Dinge wirkt bis in die Aktionen der Darsteller*innen. Mal komisch konnotiert, wie bei dem bärtigen Tubaspieler, der das schwere Instrument wieder und wieder von einem Ende der Halle zum anderen schleppt, ohne jemals rechtzeitig zu seinem Einsatz zu kommen; mal mit ironisch gefärbter Melancholie, wie bei dem Mann, der auf einem hohen Gerüst unermüdlich ein imaginäres Orchester dirigiert. Hier und da

Sasha Waltz & Guests, Exodos/Ruhrtriennale 2018. Foto: Carolin Saage

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bilden sich Gemeinschaften, um gleich wieder auseinanderzufallen. Eine Gesellschaft, die nicht weiß wohin – und vielleicht doch einen Ausweg findet oder eine Transformation erleben mag in diesem komplexen Wunderwerk der Musik von Charles Ives, das sie und uns Zuschauer*innen ja überall – irgendwie tröstlich – umgibt.

AUSWEGE, GRENZENLOS    Auswege, Ausbrüche, Flucht, aber auch Ausgang, Ausgehen oder das Verlassen einer Bühne sind mögliche Bedeutungen des neugriechischen Wortes „Exodos/ἔξοδος“. Diesen Begriff hat die Choreographin Sasha Waltz als Titel für ein Projekt gewählt, in dem die Befragung persönlicher Fluchtimpulse und Sehnsüchte der Tänzer*innen den Ausgangspunkt für eine Erforschung von Bewegungsprozessen bildet. Zunächst können sich die Zuschauer*innen frei in der durch transparente Folien unterteilten Halle bewegen. Nach und nach werden sie als Gruppe oder auch einzeln in den Sog tänzerischer Bewegungsformationen hineingezogen.

Das vor allem visuell, aber auch taktil und auditiv intensive ästhetische Erleben ergreift emotional, lässt dennoch mehrere Perspektiven zu. Anders als bei der ebenfalls als Partizipationsprojekt gestalteten „Welcoming Party“ der englischen Gruppe Theatre-Rites, deren durchaus fein und anrührend erzählte Migrationsgeschichten mit fast aufdringlicher Metaphorik (gesichtslose Puppen, die im Stoffmeer untergehen, Befehle bellende Lautsprecher, Käfige) illustriert werden, bleibt in „Exodos“ auch der Umgang mit Seilen, transparenten Plastikkabinen und anderen Bühnendingen mehrdeutig und assoziationsreich.    Diese Art von künstlerischem Reichtum, gepaart mit einer klaren Haltung, spielerischem Witz und überbordender Energie ist es auch, was die gefeierte Eröffnungsinszenierung der Ruhrtriennale, William Kentridges „The Head and the Load“, auszeichnet. Ein berührendes Requiem, mit dem der südafrikanische Regisseur und Bildende Künstler die etwa zwei Millionen afrikanischer Lastenträger*innen, im ersten Weltkrieg zwangsverpflichtet für den Transport unglaublicher Materialmassen bis hin zu zerlegten Flugzeugen, der globalen Vergessenheit entreißt. Eine erschreckend mitreißende Parade des Leides, der Knechtung, vor allem aber der Würde dieser vom kriegführenden Europa zu Tode gepeinigten Afrikaner*innen zieht unablässig durch die große Kraftzentrale im Landschaftspark Duisburg. Übergroß aufragende schwarze Schatten der unter enormen Packen gebeugten, langsam schreitenden Darsteller*innen werden verfremdet, vermehrt und collagiert mit Dokumentaraufnahmen, animierten Kohlezeichnungen, Schatten von Maschinen, mit Conference, Lautpoesie, Oper und Militärsatire, begleitet von einer Melange aus afrikanischen Rhythmen, europäischen Musikzitaten und experimentellen Klängen (Musik: Philipp Miller). Dieses lust- und kunstvolle, auf sämtliche Genregrenzen pfeifende Gemenge an Formen und historischen Verweisen wirkt, fern von jeder Opfer-Stilisierung, wie ein sprechendes Beispiel dafür, dass Afrika schon längst begonnen hat, „Europa zu antworten“, wie es der Tänzer und Musiker Nhlanhla Mahlangu ausdrückt1. Our empire is passing … und: „Veränderung hat ein großes kreatives Potenzial“ (Stefanie Carp bei der Vorstellung des Programms). – www.ruhrtriennale.de 1 Interview im WDR am 27.08.2018 links: Christoph Marthaler, Universe, Incomplete/Ruhrtriennale 2018. Foto: Walter Mair rechts: William Kentridge, The Head and the Load/Ruhrtriennale 2018. Foto: Ursula Kaufmann

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grenzbefreite schöpfungen „Jubiläumskonzert der Dinge“ in der Schaubude

Im Mai 2018 feierte die Berliner Schaubude mit dem „Jubiläumskonzert der Dinge“ ihr 25-jähriges Bestehen und präsentierte an fünf Abenden einen Parcours mit internationalen Produktionen zwischen Objekttheater, Klangkunst und Installation. V o n P a t r i c k W i l d e r m a n n – Die Stadt bauen die Zuschauer*innen selbst. Sie besteht aus Holzklötzen, zwischen die Spielzeugautos und Miniatur-Menschen gesetzt werden. Man kann die Objekte verschieben und es aus einem Zuckerstreuer auf das kleine Häusermeer und seine Bewohner*innen schneien lassen. Doch was nach Beschaulichkeit und Verspieltheit klingt, gewinnt eine beklemmende Dimension durch die aufgezeichneten Interviews, denen man über Kopfhörer lauscht. „Das Haus der obdachlosen Frauen“ hat die katalanische Künstlerin Xesca Salvà ihre interaktive Installation betitelt und eben diese berichten auf der Audiospur von einem täglichen Existenzkampf, der gleich nach dem Aufwachen beginnt. Wo ist eine Toilette? Wo ist ein kurzes Auffrischen möglich, ohne des Platzes verwiesen zu werden? Und, die vielleicht dringlichste Frage: Woher die Energie nehmen, den Sisyphoslauf des Immergleichen zu bewältigen?

DOKUMENTARISCHES OBJEKTTHEATER Die weiblichen Wohnungslosen, mit denen Salvà im Zuge ihrer Recherche gesprochen hat, berichten von ihrem Dasein im Draußen und im gesellschaftlichen Abseits mit staunenswerter Klarheit und vollkommen selbstmitleidfrei. Sie erzählen von gestohlenen Habseligkeiten, der Angst, im Schlaf angezündet zu werden, oder von schlechten Ratschlägen der verbliebenen Wohlmeinenden: „Du könntest doch einfach bei Bekannten übernachten.“ Währenddessen puzzelt man, zusammen mit einer Spielpartnerin oder einem Partner, auf einer Glasplatte das anonyme Setting zusammen, die unbehauste Urbanität en miniature, und entrollt schließlich ein Transparent mit der Aufschrift: „Es ist kalt hier draußen!“    Die Arbeit, die im Foyer der Berliner Schaubude aufgebaut ist, gehört zu einem größeren Projekt. Insgesamt gibt es drei solcher Häuser, denen man lauschen und die man bespielen kann, und sie alle erzählen von Einsamkeit. „Das Haus der Großmutter“ hat das links: Lauren Bigot, Le petit cirque. Foto: Olivier Masson rechts: Cabosanroque, No em va fer Joan Brossa. Foto: Cabosanroque

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JUBELN

Alleinsein im Alter zum Thema und lässt hinter geblümten Tapeten die Tragödie der irreversiblen Ungebundenheit aufscheinen. Das „Haus der Lust“ hingegen gehört den Sexarbeiterinnen. Es sieht nach Puppenstube aus, ein Rollo lässt sich hochfahren und gibt den Blick auf Beine in roten High Heels frei, in einer oberen Etage ist ein Pornokino im Taschenformat eingerichtet. Dazu berichten die Frauen vom Alltag im Job. Von Vorurteilen gegenüber SM zum Beispiel. Diese Spielart des Verkehrs gelte ja als düster, als abgründig, „aber ich lache die ganze Zeit“, berichtet eine der anonymen Stimmen.    Salvàs „Häuser“ sind Teil des Festivals „Das Jubiläumskonzert der Dinge“, mit dem die Schaubude, das Figuren- und Objekttheater an der Greifswalder Straße, sich selbst zum 25-jährigen Bestehen gratuliert. Die Arbeit sticht hervor, weil sie dem Genre, das ja viel mehr noch als das Schauspiel vom grenzbefreiten Schöpfungsgedanken lebt, eine dokumentarisch-realistische Ebene einzieht, die trotzdem das Sinnlich-Haptische nicht erstickt. Und der in allen drei Fällen das Kunststück glückt, im Spielerischen die sozialen Sujets nicht zu verzwergen. Gerade der Kontrast zwischen trostloser Schilderung und eigenem Begreifen der Dinge öffnet die Räume des Uneindeutigen, die das Werk vor aller Didaktik bewahren.    Die Schaubude beweist mit dem „Jubiläumskonzert“ jedenfalls eine Kontinuität: den State of the Art des Figurenund Objekttheaters abzubilden beziehungsweise ihn voraus zu spüren und mitzuformen – nunmehr im 25. Jahr nach der Neugründung 1993. Gerd Taube war es damals, der das abgewickelte staatliche Puppentheater Berlin auf neue Beine stellte und erstmals einen Spielplan für Erwachsene etablierte. Das Genre hatte zu der Zeit ja noch mit einigen Vorurteilen zu kämpfen und dazu noch den Brückenschlag zwischen (Ost-)Puppentheaterkunst und (West-)Figurentheater zu leisten. Intendantin Silvia Brendenal, die das Haus 1997 übernahm, internationalisierte in den folgenden Jahren das Programm – maßgeblich beeinflusst vom französischen Théâtre d’objets, das ähnlich dem Neuen Zirkus im Nachbarland schon lange viel avantgardistischer ausgeprägt war als das deutsche Pendant.    Mit Tim Sandweg schließlich, der die Schaubude nun seit 2015 leitet, hat neben vielem anderen die Digitalisierung Einzug ins Berliner Figuren- und Objekttheater gehalten. Bemerkenswerte Festivals auf der Höhe der Zeit hat es seitdem an der Greifswalder Straße gegeben, etwa das internationale „Theater der Dinge“ unter dem Tocotronic-Motto „Digital ist besser“. Überhaupt ist es ja beachtlich, mit welchem Geschwindigkeitsvorsprung vor anderen Genres die Figuren- und Objektkünstlerinnen und -künstler bisweilen auf gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren vermögen.

MECHANISCHES WUNDERWERK Doch auch dort, wo nicht der technische Fortschritt im Fokus steht, überraschen die Erlebniswelten der Objekte. Wie in der Installation „No em va fer Joan Brossa – Ich entstamme nicht Joan Brossa“ der katalanischen Gruppe Cabosanroque. Sie verbeugt sich vor dem titelgebenden Dichter, Grafiker, Theater- und Filmemacher Brossa mit einem mechanischen Wunderwerk. Es besteht aus Schreibmaschinen, die selbsttätig tippen können, einem Meer aus Bechern und Gläsern, in denen die Flüssigkeit unversehens zu blubbern beginnt, und einer weißen Plane, die sich hydraulisch hebt – eine Anspielung auf Brossas Sonett „halb mit einem Betttuch bedeckt“. Wie sich überhaupt der gesamte, auch mechanisch musizierende Apparat aus Verweisen aufs Werk des Avantgardisten zusammensetzt. Der ist anfangs in einer Tonaufnahme mit einer Rückschau auf seine Verwundung im Spanischen Bürgerkrieg zu hören. Erzählt, wie eine Krankenschwester an seinem Bett bemerkte: „Dieser Typ wäre besser tot.“ Bestürmend, wie Cabosanrouqe die undurchschaubare Verbundenheit von Gewalterfahrung und künstlerischem Schaffen komplex erfahrbar machen.     Weit lichter geht es im „Petit Cirque“ zu, dem kleinen Zirkus, den der französische Künstler Laurent Bigot aufgebaut hat. Bigot lädt in eine elektroakustische Miniatur-Manege ein, in der kleine Ballerina-Figuren auf dem Seil tanzen, eine Lautsprecher-Membran als Trampolin dient und ein Brummkreisel-Panda seine eigenwilligen Runden dreht. Womit ein circensisches Spektakel spielerisch bedient, eine Oberflächlichkeit aber auch gewitzt unterlaufen wird. Das „Jubiläumskonzert der Dinge“ überzeugt in jeder Tonart. – www.schaubude.berlin

Xesca Salvà, Cases. Foto: Gabriele Sisti, Xesca Salvà

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NEXT GENERATION

UNSINNSUCHE MIT SINN Beobachtungen beim studentischen Festival „die-wo-spielen“ In Stuttgart hat sich die nächste Generation der Figurentheaterspieler*innen zum elften Mal getroffen. Eine Schnapszahl, aber sicherlich nicht der Grund für das Motto, welches die Student*innen des Studienganges Figurentheater der HMDK Stuttgart für die aktuelle Edition des jährlich stattfindenden internationalen Figurentheaterfestivals „die-wo-spielen“ gewählt haben: „sense.non. sense – Chaos, Umkehrung und Unordnung – eine Unsinnsuche“. V o n M a r c u s K o h l b a c h – Das Festival wurde wie immer von den Studierenden selbständig organisiert und kuratiert und Studiengangsleiterin Stephanie Rinke übergab zum Festivalauftakt deshalb nicht nur symbolisch die Leitung und den Gebäudeschlüssel mit dem augenzwinkernden Hinweis: „Bitte lasst die Infrastruktur intakt!“ an die Student*innen ab.    Vier Tage lang präsentierten die Stuttgarter Student*innen aller Jahrgangsstufen Miniaturen, Petitessen und Performances aus dem Bereich Figurentheater und angrenzende Künste im Nebengebäude der HMDK in der Urbanstraße 25, der Hauptzentrale des Studienganges Figurentheater – einem Gebäude, dessen charmante Patina und dessen verträumte Lage im Windschatten des großen Universitätsgebäudes schon immer ein wunderbarer utopischer Ort im architektonischen Ödland Stuttgarts war und ist. Der kluge Parcours der jungen Festivalmacher*innen zog von jenem Ort ausgehend seine Kreise in den Außenraum des umgebenden Universitätsgeländes bis hin zu den Waggons im Nordbahnhof, einem wichtigen Stuttgarter Ort der Sub- und Gegenkultur. Dort fanden dann neben Performances auch das Festival umrahmende Konzerte und die Get-Together-Party statt.    Eingeladen hatten die Stuttgarter ihre Kolleg*innen von der Folkwang Universität der Künste – Studiengang Physical Theatre, von der École Nationale Supérieure des Arts de la Marionette (ESNAM) Charleville-Mézières, der Divadelní fakulta AMU (DAMU) Prag, der School of Visual Theatre Jerusalem und der Faculty of Fine Arts of Teheran University – IETA Theatre group. links: Folkwang Universität der Künste, Studiengang Physical Theatre, Wie geht es Dir? Foto: Thilo Neubacher rechts: Studiengang Figurentheater HMDK Stuttgart, Manifeste. Foto: Thilo Neubacher

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NEXT GENERATION

AUFBRÜCHE Zum Auftakt präsentierten die Studierenden des ersten Jahrgangs ihre zum Studienbeginn entwickelten „Manifeste“: Überlegungen und Reflexionen darüber, was Figurentheater heute für sie bedeutet, sein kann oder sollte. Unter der Leitung der Dozentinnen Julika Mayer und Johanna Zehender entstanden kurze Performances mit Text, Objekt und Körper – sehr persönliche Statements und Beschreibungen der eigenen künstlerischen Odyssee: Wie ein Küken aus dem Ei schälte sich beispielsweise Abdulsamad Murad aus einem schäbigen Rollkoffer und fand im Spiel mit dem Objekt ein starkes Bild für seine Reise und (Un-)sinnsuche.    Dass auch das Ankommen eine schwere Sache sein kann, demonstrierte Minju Kim (Folkwang Universität Essen) in ihrer Performance „Wie geht es dir?“, in deren Verlauf das verzweifelte Bemühen um die korrekte Aussprache des Wortes „Brötchen“ zur tragikomischen Tour de force geriet. (Aber-)witzig die ratlosen Antworten vom Google-Assistenten ihres Smartphones auf die Frage, wo sie denn Brötchen kaufen könne, da ihre Aussprache die programmierte Intelligenz schlicht überforderte. Kims manischer Kampf mit der deutschen Sprache gipfelte in einer absurden Arie aus Sprechübungen, die dem Publikum schon fast schmerzhaft die Grenzen einer bedingungslosen Integration in die sogenannte „Leitkultur“ vor Ohren führte.    In „Atoll Hurawalhi“ setzte ihre Kommilitonin Amelie von Godin zu einem Abgesang auf den Kapitalismus an. Leicht bekleidet im Bikini und einem dünnen Stoffbademantel mit geschmacklosen Hawaii-Blumenmuster schlich sie auf allen vieren in den Lichtkegel auf der ansonsten leeren Bühne - ein mitleiderregendes verwundetes Tier und mephistophelische Figur zugleich, die Hände seltsam verkrallt in ihre Stöckelschuhe wie die Klumpfüße des Teufels. Auf der untergehenden Costa Concordia – hier eine Art zeitgenössischer „Titanic“- wetterte sie als prollige Pauschalreisetouristin gegen den schlechten Service und träumte dem Glanz vergangener Tage hinterher. Nach und nach bröckelte die Fassade, und brachte eine nackte verwundete Seele zum Vorschein. Da half auch nicht der Versuch die Hüllen fallen zu lassen – in diesem Fall den Bademantel -, um den schönen Schein aufrechtzuhalten und im Sternenglanz der Diskokugel den Song „Wonderful Life“ anzustimmen. Der kam nur noch gebrochen über die Lippen.

CHAOS IM KOPF Eine Wassermelone überzogen mit der Maske ihres eigenen Gesichtes diente Yael Sadi von der Visual School aus Jerusalem als Objekt des Nachdenkens über ihren Geisteszustand. In „Mind Your Head“ sinnierte sie über das Phänomen des zwanghaften Denkens, des sich bis zur Erschöpfung kreisenden Gedankens. In Anlehnung an die Grundsituation in Becketts „Akt ohne Worte I“ kullerte das treppauf geworfene Spielobjekt immer wieder die Treppe hinunter oder fuhr im Fahrstuhl ins Erdgeschoß und landete erneut auf der Spielfläche, bis sich die Spielerin schließlich geschlagen gab und ihren Gedanken freien Lauf ließ. Dabei kehrte sie die Nabelschau von innen nach außen und zerhämmerte ihr Abbild, bis sie in den Gehirneingeweiden mantschte und diese genüsslich aufaß. Erstaunlich, was dieser simple Vorgang in der Phantasie der Zuschauer*innen erzeugte und welch physischen Ekel der Umgang mit der offensichtlichen Attrappe auszulösen vermochte.    Dem Lärm und Chaos im Kopf widmete sich auch die Stuttgarter Studentin Li Kemme in ihrer Performance „Echo of an End“. Das Publikum versammelte sich um die Performerin und die von ihr geschaffenen zehn Apparaturen auf der Spielfläche in einem zur Festivalbühne umfunktionierten Ausbildungsraum. Li Kemme begrüßte die Anwesenden, positionierte sie richtig, um die Funktionalität der Apparaturen sicherzustellen und sorgte auf diese Weise geschickt dafür, dass Publikum und Installation Teile eines Ganzen wurden. Die installative Anordnung der Apparaturen erinnerte in ihrer Skurrilität unmittelbar an einen Schrottplatz aus Terry Gilliams „Brazil“ und die Geräte selbst dienten vor allem einem Zweck – nämlich Lärm zu machen. Mit jedem aktivierten Gerät stieg der Geräuschpegel und mit ihm die Hektik der Performerin, die gegen den Lärm der Maschinenwelt, der Zeit, der Beschleunigung und den Lärm im Kopf anzuschreien schien, bis alle Apparaturen schließlich gleichzeitig verstummten und sich Stille im Raum und Kopf breitmachte. Minutenlang und … in der Stille wurde hörbar, woran es unserer Zeit mangelt. That made totally sense. – www.hmdk-stuttgart.de Studiengang Figurentheater HMDK Stuttgart, Manifeste. Foto: Thilo Neubacher

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SEITENBLICK

NEUVERMESSUNG „The Critical Dictionary of Southeast Asia“ von Ho Tzu Nyen V o n T i m S a n d w e g – Der bis heute verwendete Begriff „Südostasien“ ist, wie es auf viele Regionen weltweit zutrifft, ein Produkt kolonialer Definitionspolitik. Erstmals fand er 1941 im Buch „Welfare and Progress in Southeast Asia“ des Kolonialbeamten John Sydenham Furnivall Verwendung. Dabei behauptet er eine identitäre Einheit von Gebieten, die sprachlich, religiös oder politisch nie verbunden waren. Der in Singapur lebende Künstler Ho Tzu Nyen hat sich der Frage, was die Region jenseits der offiziellen Geschichtsschreibung konstituiert, mit seinem Langzeitprojekt „The Critical Dictionary of Southeast Asia“ (CDOSEA) angenommen, das aus Filmen, Installationen, Performances und seit 2016 auch aus einer Onlineplattform besteht. Geordnet ist es nach 26 Konzepten, Motiven oder Biographien, jeweils ein Begriff pro Buchstabe des englischen Alphabets, die online von einem Algorithmus mit einem riesigen Archiv audiovisuellen Materials verschnitten werden – ein pluralistisches Bild, das sich nationalen Identitätspolitiken entgegenstellt. Die videoinstallative Version der Plattform war neben drei weiteren Werken der Serie im Rahmen des diesjährigen Sommerfestivals in Hamburg im Kunstverein und auf Kampnagel zu sehen.    Zwei der Arbeiten, eine Videoinstallation und eine installative Performance, drehten sich dabei um die Biographie – oder genauer: die Fragmente der Biographie – des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Malayas von 1939 bis 1947, der neben 50 weiteren Pseudonymen den Namen Lai Teck nutzte und treffenderweise im Titel einer der Arbeiten als „The Nameless“, im anderen als „mysterious“ bezeichnet wird. Eine historische Figur, über die es kaum Informationen gibt, die kaum greifbar und die vielschichtig belegt ist, nicht nur, weil sie als Triple-Agent für die britische, französische und japanische Geheimpolizei gearbeitet haben soll. Auf der Bühne hören wir zunächst die Stimme Lai Tecks über sein Leben sprechen. Dabei bleiben die biographischen Notizen vage, vielstimmig, nicht greifbar, schließen sich aus, wollen nicht zusammenpassen, genauso, wie immer neue, auf einen wehenden Vorhang projizierte Vorhänge aufgehen – um wieder nur Vorhänge freizulegen, so als führe jede Enthüllung zu einer neuen Verhüllung. Zwischendurch erscheint ein monumentaler Schatten, der sich, als sich der dünne Vorhang schließlich doch öffnet, als der eines übergroßen, menschenähnlichen Roboters entpuppt, der an einem Tisch sitzend die Biographie zu verschriftlichen sucht. Dabei wird diese Kunstfigur niemals zu Lai Teck: Auf ihren Kopf werden Gesichter projiziert, aber es kommt niemals zur Übereinstimmung. Auch die Videoarbeit spielt mit diesem identitären Diskontinuum: Hier montiert Ho Tzu Nyen Ausschnitte aus verschiedenen Filmen, in denen der aus dem Hongkong-Kino bekannte Schauspieler Tony Leung Chiu Wai in diversen Rollen zu sehen ist. Diese Assemblage wird als Verfilmung der Lebensgeschichte Lai Tecks ausgegeben, aber obgleich wir immer denselben Schauspieler sehen, entsteht durch die unterschiedlichen Rollen der Eindruck mannigfaltiger biographischer Versionen – die Figur bleibt trotz Verkörperung körperlos.    Damit spielen die Arbeiten konzeptionell intelligent nicht nur mit der Figur Lai Tecks, sondern illustrieren vielmehr das Grundanliegen der enzyklopädischen Sammlung: Eine pluralistische Identität, die sich nicht durch eine kolonialistisch erfundene Definition einen lassen kann. – www.cdosea.org

Ho Tzu Nyen, The Mysterious Lai Teck. Foto: Anja Beutler

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PUBLIKATION

Bestandsaufnahme „Der Dinge Stand“: Endlich fragt ein neues Arbeitsbuch nach dem Status quo des Figuren- und Objekttheaters V o n T o b i a s P r ü w e r – Vor fast 20 Jahren erschien im Verlag Theater der Zeit ein Arbeitsbuch, das die „Animation fremder Körper“ erkundete. Seitdem hat sich die Kunstsparte rasant entwickelt. Das Figurentheater fand nicht nur größere Publikumskreise, sondern zog als künstlerisches Mittel auch zunehmend in Sprechtheater- und Musiktheaterproduktionen ein. Und gerade das Puppen- und Materialtheater hat sich vielfach als produktive Schnittstelle zu anderen Künsten, als Übersetzer, Überbrücker und Verbinder erwiesen. Die damals noch in Abgrenzung von den klassischen Theatersparten auch als „Das Andere Theater“ benannte Theaterform hat sich durch Versuch und Experiment, Ausdauer und Beharrlichkeit in viele Facetten ausgefächert. double-Leser wissen das. Und trotzdem wurde es Zeit, all dem in einem neuen Arbeitsbuch nachzugehen.    „Der Dinge Stand“ titelt dieses recht lapidar und beinhaltet doch eine Fülle von anregenden Texten über das Sujet. Wie in der Vorgängerpublikation werden ziemlich viele grundsätzliche Fragen verhandelt oder mindestens angeschnitten, was über manch eher chronistisch ausgeführte Texte hinwegtröstet. Die behandelten Themenkomplexe lassen sich grob in die Bereiche Formen des Erinnerns, politischer Protest, Transitzonen, (künstliche) Körper, Digitales und Robotik einteilen – wobei sich die Themen an vielen Stellen berühren und überschneiden.    Die anhaltende Frage nach Manipulation und Beherrschbarkeit stellt sich dabei auf mehreren Ebenen. Hier wird der Status des Objekts immer mit befragt. Was sagen hinterlassene Gegenstände aus, was können sie uns – den Hinterbliebenen – bedeuten? Welche Produktivitäten lassen sich Objekten abgewinnen, die sich sperren? Kann man Puppen überhaupt etwas aufzwingen oder folgen die Spielerkörper nicht vielmehr diesen wie ein Tänzer einer unsichtbaren Choreografie? Was passiert mit dem Körper hinter der Puppe? Wie anwesend ist er, auch wenn er kaschiert und unsichtbar ist? Und was offenbaren Mensch-Figuren-Körper-Hybride? In welche Schattierungen zwischen den Polen Realismus/Menschenhaftigkeit und Artifizielles/Freierfundendes diffundiert das Figurenspiel künftig aus, geht es um Nachahmung oder Eigenständigkeit?    Dass ein Schwerpunkt dabei auf dem Spektrum Roboter/Maschinenlogik/Künstliche Intelligenz ruht, liegt angesichts der technologischen Entwicklung der letzten Jahre auf der Hand. Auf ganz andere Weisen wird dadurch das Animieren toten Materials und fremder Körper möglich. Und die Frage stellt sich, ob damit auch eine neue Qualität verbunden ist und vielleicht auch die Vorstellung einer einfachen Subjekt-Objekt-Beziehung hinterfragt werden muss. Längst ist von intelligenten Gegenständen und smarten Objekten die Rede, reden Wissenschaftssoziologen wie Bruno Latour einem „Parlament der Dinge“ das Wort.    Stimmt es, dass die Dinge – besonders die technischen – neutral sind und damit objektiv? Bergen sich in ihnen nicht schon verschiedene Potenziale in puncto Bewegung und Bedeutung; und welchen Einfluss kann das auf die Objekttheaterkunst haben? Das Wesen der technischen Dinge zeigt sich ja erst dann, wenn sie nicht funktionieren. Mit wie wenig Mitteln man etwas bewirken kann beim Publikum, zeigt ein Beitrag am Beispiel der Dramaturgie des Schalters. Schon seine Anwesenheit auf der Bühne erzeugt eine Erwartungshaltung: Wird er gedrückt oder nicht, was passiert?     Viele Texte sind als Gespräch gestaltet, was das Arbeitsheft leicht zugänglich macht. Die Protagonisten sind nicht auf den deutschsprachigen Raum beschränkt, auch wenn das Gros hier aktiv ist; die zweisprachige Ausgabe (Deutsch und Englisch) sorgt für den Anschluss an internationale Diskussionen. Gedankenspiele finden sich mit anschaulichen Beispielen wie Rezensionsskizzen und Beschreibungen geerdet, sodass Kopflastigkeit nicht aufkommt. Viele großformatige Fotos halten optisch dokumentierend diesen aktuellen Stand der Dinge fest – und bilden zugleich das visuelle i-Tüpfelchen dieser gelungenen Gesamtschau. Der Dinge Stand | The State of Things. Zeitgenössisches Figuren- und Objekttheater | Contemporary Puppetry and Object Theatre. Herausgegeben von Annette Dabs und Tim Sandweg. Theater der Zeit – Arbeitsbuch 27. Paperback mit 180 Seiten, mit zahlreichen farbigen Abbildungen, Deutsch / Englisch.

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ENGLISH SUMMARIES

S u mm a r i e s T h em e of d oub le 38: “ Face - O f f. P o l it ics of face a n d m a sk .”

its style-defining mask from the left-wing campaign “Die Überflüssigen”. Despite the fact that a core characteristic of New Right, propagandistic YouTube video campaigns is their insistence on the authenticity of their “German” face (which supposedly goes back to Martin Luther, who stood up for his convictions “head on” and out in the open) their faces are stylistically obscured with distinctive white theatre masks designed to symbolise unity, spread fear, generate media attention and preserve their anonymity. The increasingly professionalised aestheticisation of politics and self-representation poses new challenges to the arts’ claim to condense and reflect social processes. If media mass technologies are available to everyone, if everyone is engaged in representative work, and if this happens with increasing professionalism and creativity, then art’s classic claim to a pioneering role and its representational ambitions have fallen into a crisis.

“A sk m e , wh y I ’ m we a rin g a m a sk .” On the aesthetics and politics of the flight from the face (p. 6–8) They smile from election posters, are biometrically recorded and supposedly rep-resent us on Facebook. As a central hub of numerous cultural- and power technologies, faces should be considered not as mere body parts, but as battlefields of political, religious, economic, physiognomic, and activist discourses. Monitoring, making faces readable, and standardising faces creates degrees of deviation that make people identifiable on the basis of criteria such as class, race, and gender. Testing alternative visions of society could therefore mean showing not more face but more mask. Both on stage and in public space, face modifications demand another politics of being-together. Both masks and faces not only anonymise and undermine identification, they can also open us up to new types of corporeity and encounter. In this way, highly topical forms of resistance meet aesthetic procedures that have long been tested and questioned by puppet- and mask theatre. This creates a palpable area of tension between the politics of the aesthetic and the aesthetics of the political. This is as true for powerful, surveillance-oriented, normalising control regimes as it is for spectacular or delicate attempts at a face- and mask politics of successful proxy, reciprocal stimulation, or the event quality of the Other.

Bl ack face on a bl ack backGround Questions and Counterquestions about “Die Gräfin” by Stefanie Oberhoff (p. 15–16) Since puppeteers themselves appear behind the set, the question arises as to how they deal with their own bare face: it is either kept uncovered and visible or the person tries to insert him or herself into the black background with the help of black utensils such as fabrics, nets or make-up, in keeping with the “present absence” strategy. In that case, the offstage area is worn “in the middle of the face,” so to speak. Stefanie Oberhoff pointedly and satirically implements this in her programme “Die Gräfin” (The Countess), performed at the Theater der Dinge 2017 festival, at one point briefly addressing it as a practice to be questioned. In doing so, she alludes to the current “blackface” debates around theatrical practices engaged in a notorious tradition of discriminatory representations of dark-skinned people. The dynamic between the puppeteer’s black-painted face and the white-painted face of her puppet, the Countess, becomes the starting point for questioning the colour black as a not insignificant part of the conventional European theatre apparatus. The work asks from a production aesthetic and postcolonial perspective how the (in)visibility of faces in the puppet show is dealt with and whether a face

F r o m co u n te n a n ce t o puppe t face Thoughts on “Solace” (p. 9–11) With “Solace”, the Numen Company creates a desolate, mysterious desert landscape through which a child character strolls with dream-like slowness, using gestures and glances rather than words to engage in a dialogue with mysterious apparitions. In the background of this staged scenario, cultural scholars Beate Absalon and Claudia Schmölders – the author of several scientific essays on the history of physiognomy – undertake a journey through fairy tale and film theories that describe an objectification of the face through the close-up while attributing everything with a face at the same time. Peter Sloterdijk’s remarks on the intensity of “interfacial spheres” that develop when people – especially mothers and children – make eye contact, raises questions as to what actually happens when the puppeteer’s face and that of the puppet “look” at one another. After a close look at and phenomenonological description of the play’s specific viewing constellations, the inter-worldliness of the props and actors, and the aesthetic design of the puppet’s face, the piece is described as an inverted dystopia, at the end of which the face-to-face moment between human and puppet turning towards each other appears both as a kind of look in the mirror and kernel of hope in an increasingly threatening environment.

Trophi es of pow er On Sergio Zevallos’ “A War Machine” (p. 17–19) Sergio Zevallos’ installation “A War Machine”, exhibited at documenta 14, provocatively confronts photographs showing the faces of powerful people with the only seemingly primitive production of shrunken heads. The artist has crafted and exhibited twelve tsantsa-like, partially painted heads with long hair made of synthetic and organic materials, including the likenesses of terrorist group figures such as Beate Zschäpe of the NSU and members of state apparatus including International Monetary Fund Chairwoman Christine Lagarde. Cultural studies scholar Petra Löffler discusses Zevallos’s work using the differentiation between face and head developed by Deleuze and Guattari: while in Western cultures the face functions as a machine of the state apparatus that generates meanings and subjectivations, such as the identifying passport photograph or the face of the white man as the basis of power, the head acts as a war machine that dissolves meanings and subjectivations and can forge unexpected alliances. In correlating different machinic logics of face and head, Zevallos places modern and non-modern power techniques, forms of knowledge and modes of representation in confrontation with one other – thereby casting doubt on the supposed superiority of Western cultures and body politics. painted black evokes (post)colonial power dynamics.

T h e t h rill of th e re presen tat ive A conversation about current face politics with Arne Vogelgesang. (p. 12–14) An interview with theatre-maker Arne Vogelgesang, conducted by Beate Absalon and Sebastian Köthe, delves into the latest face- and mask politics of rightwing extremists at demonstrations and on social media. Right-wing campaigns have benefited enormously from the appropriation and inversion of prominent left-wing movements. One example is the neo-Nazi organisation The Immortals (Die Unsterblichen) who marched through empty villages wearing white masks and carrying torches to generate propaganda video footage; the group adopted

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ENGLISH SUMMARIES

A n ot h e r perspect ive

tial worlds of objects at the international “Jubiläumskonzert der Dinge” (Jubilee Concert of Things) held on the 25th anniversary of Schaubude Berlin, while Mascha Erbelding joined in several participation-oriented productions at the international Biennale Figura in Baden (Switzerland) and notes happiness, bafflement and activation. Steffen Georgi places productions from the Magdeburg Blickwechsel Festival and the “Aufbruch” project in the context of current discourses on the genre – and discovers moments of poetic dialogue that only puppet theatre can produce. Performative, installative and full of aesthetic experimentation, Sabine Leucht in Munich encounters “Theater für Anfänger” (Theatre for Beginners), i.e. for viewers as young as babies. And Anke Meyer saw several interdisciplinary works with a visual orientation at the very politically inclined Ruhrtriennale. In the New Generation section (p. 46–47), double 38 reports on the international student meeting “die-wo-spielen” in Stuttgart, while the Side Look section (p. 48) looks at two works by Singaporean artist Ho Tzu Nyen and – last but not least – introduces the new publication (p. 49) “The State of Things”.

A conversation with director Mathias Becker (p. 20–21) In 1814, a chimpanzee in uniform washed up on the northern coast of England as the only survivor of a shipwreck. The local people thought he was a French spy and sentenced him to death. Director Mathias Becker staged an adaptation of the comic “The Monkey of Hartlepool” at the Junge Nationaltheater Mannheim, featuring actors on stage with naturalistic monkey masks. In an interview with Tim Sandweg, he talks about perspective, the monkey as a motif and the use of masks whose special effect is to take the actors’ faces away, to make them uglier and more vulnerable. This enables a body-centred, rather than face-centred mode of acting. At the same time, Becker reflects on his own play with a form of self-criticism: the interplay between present and past as well as the multi-layered narrative perspective have opened many lines of questioning among children’s and youth theatre audiences. At the same time, the monkey is an animal that has been placed above people of colour for racist reasons, making it problematic to link it to a discussion of racism. And even more fundamentally: work on the theatre cannot be replaced by the perspectivising of theatre-makers themselves, an issue that leads to structural problems in an insufficiently diversified theatre environment.

“ W i th o u t t h e m a sk , h e is n ot a m an.” The power of masks in professional wrestling (p. 22–23) Professional wrestling, officially labelled “sports entertainment”, oscillates between theatre, athletic performance, show fighting and sports mimicry. In the Mexican tradition of lucha libre, fighters are always masked and thus refer to folkloristic archetypes, gods, animals or folk heroes whose identity they “slip on” for the fight. This enables them to not only embody mythical powers, but also to enter the ring as social critics and moral authorities. The article asks why the act of unmasking itself is iconic for a genre that stages gigantic spectacles including muscle games, big emotions and fireworks. Within a cultural-historical frame, the discussion looks at how anonymisation through the mask allows luchadores to leave their private persona behind like an alter ego and, as a “non-self”, become a mouthpiece for oppressed populations. It is a strategy that is not only used in the ring, but also by Mexican national hero and rebel leader of the Zapatista Army of National Liberation (EZLN) Subcomandante Marcos, who always appeared with an iconic black ski mask with two eye slits. The moment of unmasking is thus recognised as the moment in which the fighters’ claim to representation – anonymous and politically charged, as it were – is destroyed.

E x plod in g biom e t rics Zach Blas and the art of defacement Essay in English (p. 24–26)

S U MM A RY OF T H E SECT ION S A second focal point for this issue are the festivals (p. 27–45) – including a discussion of seven international programmes: At FIDENA 2018 in Bochum, Germany, Sarah Heppekausen found artistic strategies of resistance between unmistakable disruptive actions, documentary approaches and poetic forms of worldmaking. Katja Spiess summarizes the double discourse on questions of political resistance that took place within the framework of this festival. She also reports on the production- and discussion platform “Giboulées”, which was organised in Strasbourg and dedicated to theatrical dialogues between man and machine in particular. Patrick Wildermann let himself be surprised by the special, experien-

Malhas & Keller, Durch die Nacht mit – Foto: Oliver Röckle

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NOTIZEN

FESTIVALS Das Internationale Theaterfestival Unidram lädt vom 30. Oktober bis zum 3. November 2018 wieder zu einem dezidiert interdisziplinären Jubiläums-Programm ein. Als eine der prägenden Gruppen der 25-jährigen Festivalgeschichte ist die russischen Künstlerformation AKHE mit drei Inszenierungen, davon zwei Deutschlandpremieren, vertreten. Generell liegt wieder ein Schwerpunkt auf Inszenierungen mit Figuren und Objekten. – www.unidram.de Anknüpfend an das Chemnitzer Theatertreffen „Unentdeckte Nachbarn“ im November 2016, das sich mit dem Kontext des rechtsextremistischen NSU befasste, nimmt das Nachfolgeprogramm „neue unentd_ckte narrative“ historische Umbruchsgeschichten, narrative Denk- und Argumentationsmuster sowie aktuelle Ereignisse in den Blick – mit dem Ziel, eigene Erzählungen neu zu (er)finden und historische Bezugsrahmen transparent zu machen. Das daraus resultierende Festival „Aufstand der Geschichten“, an dem das Figurentheater Chemnitz mit mehreren Inszenierungen beteiligt ist, begibt sich vom 3. bis 11. November 2018 auf die Suche nach Umbruch-Erzählungen der Stadt Chemnitz, mit Theater, Pop-Up-Stores, Ausstellungen und zahlreichen Diskussionsrunden. – www.programm-nun.de – www.theater-chemnitz.de Das internationale Festival des zeitgenössischen Figurenund Objekttheaters „Theater der Dinge“ findet vom 9. bis 15. November 2018 in Berlin statt. Der Themenschwerpunkt „Von der verlorenen Zeit“ erforscht die Mechanismen des Erinnerns und hinterfragt, wie geschichtliche Narrative konstruiert und für Identitäspolitiken eingesetzt werden. Neben der Auftragsarbeit „Tagebuch zwischen den Zeilen“ der Agentur der Objektdetektive „El Solar“ sind Produktionen und Installationen aus Belgien, Frankreich, den Niederlanden, dem Iran, Israel, Katalonien, Polen, Russland, der Schweiz, Spanien, Tschechien und Deutschland zu sehen, darunter acht Deutschlandpremieren. – www.schaubude.berlin figuma, das internationale Figurentheaterfestival in Eupen (Belgien), 16. bis 18. November 2018, legt seinen Schwerpunkt auf Inszenierungen für Erwachsene. Eingeladen sind u. a. die Cie. Duda Paiva, das Ensemble Materialtheater und studentische Arbeiten aus Stuttgart. – www.sunergia.be/figuma-int-figurentheater-festival Im November und Dezember 2018 lädt das Internationale Festival „Marionettissimo“ in Bad Kreuznach zu Vorstellungen sowie zu einer Master Class, einem Baukurs „Marionetten“ und einer Ausstellung ein. Motto und Programm-Schwerpunkt ist „Die Kunst des Spielens am Faden“. – www.bad-kreuznach-tourist.de Die nächste Ausgabe des internationalen Festivals Visioni di futuro, visioni di teatro kündigt das La BaraccaTestoni-Ragazzi in Bologna (Italien) für den 22. Februar bis 3. März 2019 an. Das Festival ist dem Theater für ganz Kleine (0–6 Jahre) gewidmet und fungiert mit Vorstellungen, Workshops und Diskussionen als internationale Werkschau und Begegnungsplattform. – www.testoniragazzi.it SEMINARE Im Land der Dinge. Eine Werkstatt für fünf Künste findet vom 13. bis 15. Dezember 2018 in der Bundesakademie für Kulturelle Bildung in Wolfenbüttel (ba) statt. Dinge begleiten uns, wir bewegen uns ständig um Dinge – aber was bewegt sie, all diese Dinge? Die Werkstatt sucht nach Antworten aus bildender Kunst, Literatur, Musik, Museum und Theater. – Ebenfalls in der ba führt die renommierte Schweizer Theatermacherin Cristina Galbiati in die installative Arbeit der kürzlich mit dem Schweizer Theaterpreis ausgezeichneten Gruppe trickster-p ein. In ihrem vom 15.

bis 17. Februar 2019 angesetzten Workshop mit dem Titel Theater ohne Darsteller_innen: Poetics of SpaceTheatre wird vermittelt, wie Raum in einer Inszenierung zum wesentlichen Akteur werden kann, um mit einem Publikum in Dialog zu treten. – www.bundesakademie.de Am Figurentheater-Kolleg in Bochum startet im Frühjahr wieder der Orientierungskurs Figurentheater. Vom 23. April bis 26. Juli 2019 werden hier grundlegende Aspekte der Darstellenden und Bildenden Kunst und besonders des Figurentheaters in Theorie und Praxis von qualifizierten und pädagogisch versierten DozentInnen vermittelt. Informationen, auch über weitere Angebote, unter www-figurentheater-kolleg.de AUSSCHREIBUNGEN Unter dem Titel Konfiguration fördert der Fonds darstellende Künste die thematische, ästhetische und organisatorische Auseinandersetzung mit dem Feld der Digitalisierung. Für dieses Sonderprogramm, das sich explizit an Figurentheater wendet, wird der Fonds 400.000 € zur Verfügung stellen. Die Ausschreibung erfolgt voraussichtlich noch in diesem Jahr. Weitere Informationen unter www.fonds-daku.de und www.fidena.de Der nächste Wettbewerb um den Fritz-WortelmannPreis der Stadt Bochum findet vom 19. bis 22. September 2019 statt. Alle Zwei Jahre richtet das Deutsche Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst (dfp) den FRITZ im Auftrag der Stadt Bochum aus. Ausgezeichnet werden bundesweite Figurentheaterproduktionen in mehreren Kategorien. Vergeben werden die mit insgesamt 4.000 € dotierten bzw. mit einem Auftritt im Rahmen des FIDENAFestivals verbundenen Preise von Fachjurys. Bewerbungsinfos unter www.fidena.de AUSSTELLUNGEN/JUBILÄEN Noch bis zum Ende des Jahres 2018 ist die Sonderausstellung „PuppentheaterKultur weltweit – Kulturerbe der UNESCO“ in Bad Kreuznach zu sehen. Das PuK-Museum zeigt Exponate aus eigenen Beständen zu den acht Puppenspieltraditionen, die bisher zum Immateriellen Kulturerbe der UNESCO erklärt wurden. – www.bad-kreuznachtourist.de Mit einer Ausstellung ehrt das Theatermuseum Düsseldorf die deutsch-israelische Theatergruppe half past selber schuld zu ihrem 20. Geburtstag. Die Gewinner des ersten RTL-Puppenstars-Castings hatten sich auch zuvor schon mit ihrem besonderen Mix aus Puppe, Comic, Musik und Film in der Puppentheaterszene einen Namen gemacht. Noch bis 6. Januar 2019 ist die umfangreiche Retrospektive, die u. a. Puppen, eine sensible Tötungsmaschine, Knalleffekte, Schattensplatter und reichlich mehr Bizarres aus dem Schaffen des Duos zeigt, in Düsseldorf zu sehen. – www.duesseldorf.de/theatermuseum Das Marionetteatern Stockholm feierte 60 Jahre Bestehen mit einem Festival im August 2018. Das 1958 von dem deutsch-schwedischen Harro-Siegel-Schüler Michael Meschke gegründete Theater – ein Welterfolg war Jarrys „Ubu Roi“, von Meschke 1994 mit Flachfiguren und Masken in Szene gesetzt – war das erste stationäre Puppentheater in Schweden. Heute ist das Marionetteatern eine Sparte des Kulturhuset/Stadsteatern Stockholm. – www.kulturhusetstadsteatern.se/Teater/Marionetteater 60-jähriges Jubiläum beging im Oktober 2018 auch das Puppentheater Magdeburg, das gleich seine ganze Spielzeit 2018/2019 unter das Motto „feste feiern“ stellte. Ebenfalls vor 60 Jahren wurde die Sparte Puppentheater am Theater Gera gegründet. Beide gehörten zu den über 20 kommunalen Ensemble-Puppentheatern der DDR und

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haben sich auch nach 1989 als städtischer Eigenbetrieb (Magdeburg) bzw. Sparte des Genres (Gera) behaupten können und eine Strahlkraft weit über die Region hinaus entfaltet. Das Puppentheater Magdeburg entwickelt sich inzwischen mit angegliederter Dauerausstellung, Jugendkunstschule, Projekten zur Arbeit der ostdeutschen Ensemble-Puppentheater und dem internationalen Festival „Blickwechsel“ zu einem „Mitteldeutschen Figurentheaterzentrum“. – www.puppentheatermagdeburg.de – www.tpthueringen.de Das Berliner Fliegende Theater feierte im September 2018 sein 40-jähriges Bestehen. Seit 1978 erarbeitet das Theater Inszenierungen für Kinder und Erwachsene. Mehr als 5000 Aufführungen mit über 100 Mitwirkenden hat das kleine Theater in dieser Zeit geschaffen – mit einfachen Mitteln, poetisch lehrreich und berührend. Für diese Qualitäten erhielt das Fliegende Theater 2016 zum zweiten Mal den Ikarus-Theaterpreis. – www.fliegendes-theater.de 20 Jahre Parzelle im Depot feiert die Licht- und Schattenperformerin Angelika Hoffmann und lädt dazu vom 31. Oktober bis 3. November unter dem Motto „Konzerte – Schatten – Klang – Experimentelles“ ins Dortmunder Depot. Zu erleben sind unter anderem die niederländischen Licht-Künstler Wiersma & Smeets mit „Lichter Musik“ , die Objekt-Klang-Pionierin Limpe Fuchs oder Visual Bassic mit einer Klang-Schatten-Performance. – www.licht-schattenprojekte.de AUSZEICHNUNGEN Mit dem Giesinger Kulturpreis 2018 wurde die am Teatro Dimitri (CH) ausgebildete Schauspielerin und Puppenbauerin Anna Kuch ausgezeichnet, der 2. Preis ging an Rafi Martin, Absolvent des Studiengangs Figurentheater an der HMDK Stuttgart. Der Giesinger Kulturpreis ist eine Plattform für junge, experimentelle Bühnenkunst und wird alle zwei Jahre in wechselnden Kategorien ausgeschrieben. 2018 war zeitgenössisches Figuren- und Objekttheater am Zug. Um künstlerische Nachwuchs-Positionen ging es auch bei der Verleihung des Rudolf-von-Ems-Preises im Rahmen des Figurentheaterfestival Homunculus (Hohenems/Österreich). Den Preis erhielten Marius Alsleben (HMDK Stuttgart) und Arnaud Grandjean (HEAR Strasbourg), für „20 Liter O“. – www.homunculus.info Erstmals ist das Puppentheater der Stadt Magdeburg in das Ranking der Saisonbilanz der „Deutschen Bühne“ aufgenommen worden. In der Rubrik „Überzeugende Theaterarbeit abseits der großen Theaterzentren“ wurde das außergewöhnlich ambitionierte Gesamtprogramm des Puppentheaters der Stadt Magdeburg hervorgehoben. Und Michael Kempchen, dem Intendanten des Puppentheaters, wurde für seine herausragenden Verdienste um das kulturelle Leben in Magdeburg und Sachsen-Anhalt im Juli 2018 der Landesverdienstorden verliehen. Kempchen widmete den Preis den Mitarbeitern seines Theaters. – www.puppentheater-magdeburg.de GESTORBEN Hans Hartvich-Madsen ist gestorben. Der auch international gut vernetzte dänische Regisseur und künstlerische Leiter des Thy Theaters in Hanstholm war von 2000–2017 Vorstand der UNIMA Dänemark, der nationalen Sektion des internationalen Verbandes für Puppentheater. Puppen- und Objekttheater stand im Zentrum seines vielfältigen Theaterschaffens; er engagierte sich speziell für die Puppentheater-Ausbildung in Dänemark und rief eine (leider nicht mehr existierende) Grundausbildung in Hanstholm ins Leben. Die letzten Jahre lebte und arbeitete Hans Hartvich-Madsen in Tallin (Estland), wo er im April 2018 kurz nach seinem 73. Geburtstag verstarb.


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NOTIZEN

Der Puppenspieler Bernhard Wöller ist im Juni 2018 im Alter von 79 Jahren verstorben. Er war sowohl durch seine künstlerische Arbeit in der zusammen mit Crista OefflerWöller gegründeten „Optical Figurenbühne“ als auch durch seinen spezialisierten Theaterbedarfshandel in der Szene weithin bekannt.

festivalkalender

Margareta Niculescu, rumänische Puppentheaterregisseurin, unter anderem ehemalige Präsidentin der UNIMA, Mitbegründerin des Institut International de la Marionnette in Charleville-Mézières und des legendären Magazins PUCK, ist am 19. August 2018 im Alter von 92 Jahren gestorben. Ein Nachruf wird in in der nächsten doubleAusgabe erscheinen.

31.10.–03.11. 2018 Dortmund (Deutschland) Parzelle Festival. Konzerte – Schatten – Klang www.licht-schatten-projekte.de

PUBLIKATIONEN Die Bieler edition clandestin legt eine Publikation über die Künstlerkolonie Festi am Bielersee und über das Marionettentheater der 1930er Jahre der international bekannten Textilkünstlerin Elsi Giauque (1900-1989) vor. Das reich illustrierte Buch verbindet die Geschichte der Künstlerkolonie und des Marionettentheaters Festi Ligerz mit Informationen über die Neuinszenierung durch das Musikwissenschaftliche Seminar der Universität Heidelberg 2017. Die Texte sind auf Deutsch, Französisch und Englisch verfasst. Eine DVD der Neuaufführung sowie begleitende Libretti in allen drei Sprachen ergänzen die Publikation. Karin Merazzi-Jacobson (Hrsg.) Die Geschichte vom Soldaten. Das Marionettentheater Festi-Ligerz von Elsi und Fernand Giauque. Biel 2018.

22.02.–03.03.2019 Bologna (Italien) Visioni di futuro, visioni di teatro www.testoniragazzi.it

30.10.–03.11.2018 Potsdam (Deutschland) UNIDRAM 2018 www.unidram.de

01.11.–04.11.2018 Dülmen (Deutschland) 20. Figurentheatertage Dülmen www.profi-ev.de/figurentheatertage 01.11.–07.12.2018 Bad Kreuznach (Deutschland) Marionettissimo 2018 www.bad-kreuznach-tourist.de 02.11.–04.11.2018 Düsseldorf (Deutschland) Celluloid Golem Puppet Film Festival www.celluloid-golem.com 03.11.–11.11.2018 Chemnitz (Deutschland) Aufstand der Geschichten www.theater-chemnitz.de

21.03.–24.03.2019 Karlsruhe (Deutschland) Figurentheaterfestival marottinale www.marotte-figurentheater.de 16.04.–21.04.2019 Amsterdam (Niederlande) International Pop Arts Festival www.popartsfestival.nl 30.04.–05.05.2019 Stuttgart (Deutschland) Internationales Trickfilm-Festival www.itfs.de 03.05.–07.06.2019 Paris (Frankreich) Biennale internationale des arts de la marionnette www.theatredelamarionnette.com 07.05.–12.05.2019 Berlin (Deutschland) Augenblick mal! Festival des Theaters für junges Publikum www.augenblickmal.de

Die Sammlung Puppentheater des Münchner Stadtmuseums macht in einer sorgfältig editierten und illustrierten, von Manfred Wegner, Klaus Petzmeier und David Schuster verantworteten Buchausgabe die von Karl Winter bis 1934 verfasste Chronik des Münchner MarionettenTheaters öffentlich zugänglich. Eine Buchbesprechung folgt in double 39.

06. 11.–11.11. 2018 Leipzig (Deutschland) euro-scene Leipzig. Festival zeitgenössischen europäischen Theaters und Tanzes www.euro-scene.de

Am 26. November 2018 präsentiert der Verband Deutscher Puppentheater e. V. in der Schaubude Berlin seine Jubiläums-Publikation VDP: 50 Jahre – 50 Ansichten und die Wanderausstellung selbigen Titels gleich mit. – www.vdp-ev.de

09.11.–15.11.2018 Berlin (Deutschland) Theater der Dinge – Internationales Festival www.schaubude.berlin

SONSTIGES Auf ein neues Beratungsprogramm für geflüchtete Künstler*innen weist das Internationale Theater Institut (ITI) hin. Damit für diese Zielgruppe Integration gelingen kann, braucht es verlässliche Informationen zur Existenzgründung, z. B. zu Arbeitserlaubnis, Steuerfragen, Sozialversicherung etc. Diese bietet nun das Informationsportal touring artists. Der Beratungsservice richtet sich auch an Kultureinrichtungen in Deutschland, die mit ankommenden Künstler*innen zusammenarbeiten. – www.touring-artists.info

16.11.–18.11.2018 Eupen (Belgien) Internationales Figurentheaterfestival figuma www.alter-schlachthof.be

Das Theater o.N. ist zurück in der Kollwitzstraße. Im September 2018 eröffnete Klaus Lederer, Bürgermeister und Senator für Kultur und Europa in Berlin, nach Kündigungsdrohungen, Kompromissen und schließlich Sanierung nun offiziell die neuen alten Räume. – www.theater-on.de

23.11.–28.11.2018 Bukarest (Rumanien) ImPuls – Festival of Animation Theatre www.teatrultandarica.ro

Falsch: Für das Festival Synergura am Theater Waidspeicher Erfurt wurde im double 37 ein falscher Termin gemeldet (dafür bitten wir um Entschuldigung) – das Festival fand bereits im September 2018 statt und startet NICHT im November. Richtig: Bis 25. November 2018 kann man sich am Theater Waidspeicher als Puppenspieler*in für ein Engagement ab August 2019 bewerben. – www.waidspeicher.de

2019

20.09.–29.09.2019 Charleville-Mézières (Frankreich) Festival Mondial des Théâtres de Marionnettes www.festival-marionnette.com

02.02.–09.02.2019 Edinburgh (Schottland) Manipulate Visual Theatre Festival www.manipulatefestival.org

18.10.–27.10.2019 Braunschweig (Deutschland) Internationales Festival mit Figuren WEITBLICK www.fadenschein.de

09.02.–24.02.2019 Göttingen (Deutschland) Göttinger Figurentheatertage www.figurentheatertage.goettingen.de

07.11.-10.11.2019 Silkeborg (Dänemark) Festival of Wonder www.festivalofwonder.dk

Premierenmeldungen und weitere Veranstaltungen unter www.fidena.de (Kalender & Newsticker)

20.11.–25.11.2018 Tournefeuille (Frankreich) Festival Marionnettissimo www.marionnettissimo.com

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24.05.–02.06.2019 Erlangen, Nürnberg, Fürth (Deutschland) internationales figuren.theater.festival www.figurentheaterfestival.de 30.05.–01.06.2019 Gera (Deutschland) Jubiläumsfestival Puppentheater Gera www.tpthueringen.de 14.06.–23.06.2019 Midsland/Terschelling (Niederlande) Oerol #festivaleiland www.oerol.nl 12.08.-16.08.2019 Jerusalem (Israel) International Festival of Puppet Theater www.traintheater.co.il 13.09.–15.09.2019 Dordrecht (Niederlande) International Micro Festival http://www.poppentheaterdamiet.nl/microfestival




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IMPRESSUM

AUTORINNEN & AUTOREN Beate Absalon, Promotionsstudentin in Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin; Mathias Becker, Puppenspieler, Schauspieler und Regisseur, Berlin; Mascha Erbelding, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Sammlung Puppentheater im Münchner Stadtmuseum; Steffen Georgi, Theater- und Filmkritiker, Leipzig; Sarah Heppekausen, freie Autorin und Theaterkritikerin, Bochum; Sebastian Köthe, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“ an der Universität der Künste Berlin; Marcus Kohlbach, Regisseur, Autor und Projektmanager, Stuttgart; Sabine Leucht, Journalistin und Theaterkritikerin, München; Petra Löffler, Professorin für Kultur- und Wissensgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin; Anke Meyer, Kuratorin, Dozentin und Autorin, Bochum; Tobias Prüwer, Philosoph und Publizist, Leipzig; René Reith, Choreograf und Performancekünstler bei systemrhizoma; Tim Sandweg, Künstlerischer Leiter der Schaubude Berlin; Claudia Schmölders, Dr. habil. Kulturwissenschaft an der HumboldtUniversität zu Berlin; Marie Simons, Masterstudentin im Studiengang Inszenierung der Künste und der Medien an der Universität Hildesheim; Katja Spiess, Leiterin des FITZ Zentrum für Figurentheater Stuttgart; Arne Vogelgesang, Regisseur und Videokünstler, Berlin; Patrick Wildermann, freier Kulturjournalist, Berlin; Nace Zavrl, Promotionsstudent in Film and Visual Studies an der Harvard University, USA Übersetzungen Summaries: Kirsten Heininger (keiki communication) Endkorrektur: Martina Schnabel

Impressum double. Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater Herausgegeben vom Deutschen Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, Bochum – www.fidena.de Das Magazin erscheint in redaktioneller Verantwortung des Vereins zur Förderung der Kunst und Kultur des Puppen-, Figuren- und Objekttheaters (V.i.S.d.P.) und in Zusammenarbeit mit dem Verlag „Theater der Zeit“. Redaktion: Beate Absalon (Thema, a. G.), Mascha Erbelding, Michael Isenberg, Sebastian Köthe (Thema a. G.), Anke Meyer (Redaktionsleitung), Christina Röfer, Tim Sandweg (Thema), Katja Spiess (verantw.), Dr. Meike Wagner

Schaubude

Beirat: Silvia Brendenal, Christoph Lepschy, Dr. Gerd Taube, Manfred Wegner

Gestaltung: Robert Voss, Halle (Saale) Verlag: Theater der Zeit, Berlin – www.theaterderzeit.de Bezug: double ist erhältlich - als Beilage der Abonnenten-Auflage von „Theater der Zeit“ - als gesondertes double-Abonnement: zwei Ausgaben double und zwei Ausgaben Theater der Zeit für 16 EUR pro Jahr (Ausland zzgl. 6 EUR Porto) - als Einzelausgabe, gedruckt oder als pdf-Datei Abo-Service: 030.4435 285-12 oder über www.theaterderzeit.de Anzeigen: Deutsches Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, Hattinger Straße 467, 44795 Bochum, Telefon: 0234.4 77 20 // info@fidena.de Druck: Herstellungsagentur und Verlagsservice Schneider, Jesewitz

Redaktionsschluss für das vorliegende Heft war der 28. August 2018. double 39 erscheint im April 2019. Redaktionsschluss für diese Ausgabe ist der 28. Januar 2019. Das Thema beschäftigt sich mit Gewalt als ästhetischem Phänomen. www.double-theatermagazin.de – www.fidena.de – www.theaterderzeit.de

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www.schaubude.berlin

Alle Rechte bei den Autoren und der Redaktion, Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Für unaufgefordert eingesandte Bücher, Fotos und Manuskripte übernimmt die Redaktion keine Haftung. Bei Nichtlieferung infolge höherer Gewalt oder infolge von Störungen des Arbeitsfriedens bestehen keine Ansprüche gegen den Herausgeber oder den Verlag. Die double-Redaktion bemüht sich um gendergerechte Sprache, belässt dabei aber den Autoren und Autorinnen ihre individuelle Form der Umsetzung.

Theater der Dinge

9.11. — 15.11.2018

Redaktionsanschrift: Redaktion double, Postfach 10 20 32, 44720 Bochum Telefon 0234.950 629 65 // mail@double-theatermagazin.de

Berlin

Internationales Festival des zeitgenössischen Figuren- und Objekttheaters




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