double 40 – Das Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater. Good Vibrations!

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DOUBLE Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater

Ausgabe 2/2019 ::: Nr. 40 ::: 16. Jahrgang ::: PREIS: 6 €

g o o d v i b r at i o n s ! Resonanzen im Figurentheater

Theater der Zeit




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INHALTSVERZEICHNIS

e d i t o r i a l

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Thema

Good Vibrations! Resonanzen im Figurentheater

Meike Wagner

Resonanz und Theatererleben Das Schwanken unter den Füßen, das Kribbeln auf der Haut, das Vibrieren der Gedanken

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Steffen Georgi

„Das Tier ist weg“ Über die Schaffung eines Resonanzraums im Futur II

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Katja Spiess

Von der Dingfreude Resonanzbeziehungen im zeitgenössischen Figurentheater

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Jan Jedenak

Der Körper als Gefäß Resonanzraum und Echo im Figurentheater

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Eva Meyer-Keller

Das Widerständige der Resonanzen Produktive Spannungen zwischen Performen und Zuschauen

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Ari Teperberg

Die Alchemie der Sinne Wie aus einer Vibration ein Theaterstück wurde

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Kurt Hentschläger

Resonanzkatastrophen Aufschaukeln _ Schichten _ Verschleifen

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Was schwingt denn da noch mit? Johannes Frisch im Gespräch mit der Musikerin Charlotte Wilde

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Marina Tsaplina, Jules Odendahl-James, Torry Bend

Die „Illusion des Lebens“ Wie die Kunst des Puppenspiels ermöglicht, Medizin neu zu denken

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Christina Röfer und Anke Meyer

Begegnungen zwischen Individuum und Kollektiv Das 21. Internationale Figurentheaterfestival in Erlangen, Nürnberg, Fürth und Schwabach

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Mascha Erbelding

Qu'est-ce que l'homme? Was ist ein Mensch? Das 20. Festival Mondial des Théâtres de marionnettes zeigt philosophisches, literarisches Theater

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Katja Kollmann

Paprikatrompeten und Empathie für eine Treppe Experimentelle Musik trifft Objekttheater beim Festival „Klang der Dinge”

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„Ver-Ding-ung” und „Verstillung” Beobachtungen zum „Theater der Dinge” in Flandern

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Eliane Attinger seitenblick

Geheimklub? Zur Debatte über Genrebezeichnungen

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Christina Röfer

Die (menschliche) Natur im Fokus Von überraschenden Begegnungen und ungewöhnlichen Allianzen

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Aus der gigantischen Puppenstube ins Klangexperiment Die „Augenblick mal!”-Kuratorin Bianca Sue Henne im Dialog mit Anke Meyer

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festival

stippvisite Tuur Devens meinung

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INHALTSVERZEICHNIS

kooperation Katja Spiess

Das Beste beider Welten Über die Zusammenarbeit des Theater Waidspeicher mit der niederländischen Theatermacherin Ulrike Quade

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(Ver)führung ist (k)eine Kunst. „3 Episodes of Life” von Markus Öhrn thematisiert Missbrauch im Kulturbetrieb

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„Fragen, die ich mir in der Schauspielregie nicht stelle.” Statements zur Werkstatt Regie und Objekt in Dresden

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inszenierung Annika Gloystein weiterbildung

E n g l i s h S u m m a r i e s

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Notizen / Festivalkalender

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I m p r e s s u m

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Kurt Hentschläger, SOL beim Internationalen Figurentheaterfestival Erlangen. Foto Patrick Wolfmar

CONTENTS double 40: E D I T O R I A L T H E ME : Resonance // Meike Wagner Resonance and theatrical experience. A swaying under the feet, a tingling on the skin, vibrations in the mind // Steffen Georgi The creature is gone. On creating a resonance space in Future II // Katja Spiess Taking joy in things. Resonance relationships in contemporary figure theatre // Jan Jedenak The body as a vessel. Resonance space and echo in figure theatre // Eva Meyer-Keller Resistant resonances. Productive tensions between performers and the audience // Ari Teperberg The alchemy of the senses. How a theatre play emerges from a vibration // Kurt Hentschläger Resonance catastrophes. Building up_Layering_Sharpening // What's still resonating? The musician Johannes Frisch talks to Charlotte Wilde // Marina Tsaplina The “illusion of life”. How the art of puppetry enables us to reimagine medicine // F ESTI V A L Christina Röfer und Anke Meyer Encounters between the individual and the collective. The 21. International Festival of Figure Theatre in Erlangen, Nuremberg, Fürth and Schwabach // Mascha Erbelding Qu'est-ce que l'homme? What is a human being? The 20th Festival Mondial des Théâtres de Marionnettes presents philosophical and literary theatre // Katja Kollmann Paprika trumpets and empathy for a stairway. Experimental music meets object theatre at the “Sound of Things” Festival // FLYING VISIT Tuur Devens “Turning into things and quietening down”. Observations on the “Theatre of Things” in Flanders // O P I N I O N Eliane Attinger A secret club? On the debate about genre terms // SID E G LANCE Christina Röfer (Human) Nature in focus. Surprising encounters and unusual alliances // From the gigantic dolls house into a sound experiment. An interview with Bianca Sue Henne on the choice of programme for the “Augenblick mal! 2019” Theatre Festival COOPE RAT ION Katja Spiess The best of both worlds. On the collaborations between the Theater Waidspeicher and the Dutch theatre artist Ulrike Quade // ST AG ING Annika Goystein Seduction is (not) an art. “3 Episodes from Life” by Markus Öhrn thematises abuse in cultural enterprises // FU RT HE R T RAINING “Questions I do not ask myself when directing plays”. Statements on the Directing and Object Theatre Workshop in Dresden

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EDITORIAL

good vibrations! Resonanzen in Figurentheater Von dem Soziologen Hartmut Rosa stammt die vielzitierte Diagnose zu den gesellschaftlichen Umbrüchen der Heutzeit: „Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung.“ Ästhetisches Empfinden und die sensible Öffnung zur Lebensumgebung, so Rosa, kann vitale Schwingungen erzeugen, die den neoliberalen ‚Versteinerungen‘ der Globalisierung entgegenwirken. Grund genug für uns, einmal den Resonanzen des Figurentheaters nachzuspüren. Meike Wagner und Katja Spiess stellen aus verschiedenen Blickwinkeln die produktive Mehrdeutigkeit des Konzepts „Resonanz“ für Figurentheater und Mensch-Objekt-Beziehungen im Sinne einer ästhetischen Erfahrung, eines akustischen Prozesses oder einer konkreten gesellschaftlichen und politischen Wirksamkeit dar, Steffen Georgi erkundet die Grenze der Resonanz entlang von Tierpräparaten in einer Kunstinstallation. Ihre sensibilisierende Körperarbeit im Produktionsprozess des Figuren- und Objekttheaters beschreiben Jan Jedenak und Ari Teperberg jeweils unter dem Aspekt der Präsenz und des Potentials, die Zuschauer*innen mit ihren eigenen Erfahrungen ins Schwingen zu bringen. Eva Meyer-Keller und Kurt Hentschläger sehen eine resonante Widerständigkeit im Verhältnis zwischen künstlerischer Produktivität und Publikum, die eine ästhetische Öffnung erzeugen kann. Johannes Frisch diskutiert mit Charlotte Wilde Resonanzen der musikalischen Arbeit im Figurentheater. Und schließlich berichten Marina Tsaplina, Jules Odendahl-James und Torry Bend von ihrer praktischen Arbeit mit Medizin-Student*innen, die durch Resonanzerfahrung mit Puppen ihr emphatisches Potential entwickeln.    Der Rubrikenteil des Heftes eröffnet mit Festivalrezensionen aus Erlangen, Charleville-Mézières und Berlin. In einer diskursiven „Stippvisite“ entführt uns der belgische Theaterkritiker Tuur Devens nach Flandern; seinen Thesen über das „Theater der Dinge“ und die ästhetisch-philosophischen Implikationen dieses Begriffs folgt Eliane Attingers meinungsstarker Widerspruch auf dem Fuße. Ein „Seitenblick“ richtet sich auf drei Produktionen und deren Ringen um ein Selbstverständnis der Theaterkunst angesichts übriggebliebener Restnatur, ein zweiter – als Gespräch mit Bianca Sue Henne – auf das vielleicht repräsentativste Theaterfestival für Junges Publikum in Deutschland. Anschließend berichten wir über Kooperationen am Theater Waidspeicher Erfurt sowie eine hochaktuelle schwedische Inszenierung und beenden diese Jubiläumsausgabe – double Nr. 40! – mit einer Stimmensammmlung zur Dresdner „Werkstatt Regie und Objekt“. Wir wünschen „good vibrations!“ beim Lesen und sind gespannt auf kritische Resonanz, Anke Meyer und Meike Wagner

Good Vibrations! Resonances in Figure Theatre From the sociologist Hartmut Rosa comes the much quoted diagnosis of contemporary social upheavals: “If acceleration is the problem, then resonance may be the solution". According to Rosa, aesthetic sensation and the sensitive opening to the living environment can generate vital vibrations that counteract the neo-liberal ‘petrifactions' of globalization. Reason enough for us to trace the resonances of figure theatre and explore the productive ambiguity of the concept of “resonance" for figure theatre and human-object relationships from different perspectives. The concrete points of reference range from animal preparations in an art installation to performative attempts to make viewers vibrate with their own experiences; from installations that provoke resonant resistance all the way to a project with medical students who are helped to develop empathy by bringing puppets to life.

tréßurz, Naherholungsgebiete. Foto: Burz/Treß

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THEMA

RESONANZ UND THEATEreRLEBEN Das Schwanken unter den Füßen, das Kribbeln auf der Haut, das Vibrieren der Gedanken Wer kennt es nicht, dieses Gefühl, wenn etwas ins Schwanken gerät, oder der Körper beginnt mit einem anderen zusammen zu schwingen – Resonanz. Das Phänomen ist so allgegenwärtig, dass es lohnt, den Versuch zu machen, das Konzept der Resonanz in seiner Mehrdeutigkeit für das ästhetische Erleben von Theater in Anspruch zu nehmen. V o n M e i k e W a g n e r /// Gehen wir über eine Brücke, so kann es passieren, dass die physikalische Schwingung der Architektur mit uns in Resonanz tritt. Reiht man sich etwa ein in den Touristenstrom auf dem Salzburger Makartsteg über die Salzach, so kommt man womöglich mit weichen Knien auf der anderen Seite an. Das Gefühl der Unsicherheit, des Risikos ist durchaus nicht unbegründet, gibt es doch überall auf der Welt Beispiele für Brücken, die mit drastischem Resonanzeffekt katastrophal einbrachen.1 Gleichzeitig kann man sich jedoch auch wohlig hineingeben in solche Schwingungen, man schmiegt sich dem ‚anderen‘ an und fühlt, wie man in gleichzeitigem Widerstand und Zusammenklang nach außen wächst.    Der Fall der Nienburger Saalebrücke2 aus dem Jahr 1825 zeigt, wie beides durchaus zusammenkommen kann. Die Nienburger hatten die erste Schrägseil-Hängebrücke Deutschlands in Auftrag gegeben. In der Mitte war die Brücke unterteilt, hier konnte man eine Klappe öffnen, um Segelschiffe passieren zu lassen. Über Stützen waren die beiden Brückenteile mit dicken eisernen Ketten an Land abgespannt. Vor der Eröffnung wurde die Brücke ausgiebig mit tonnenschweren Pferdefuhrwerken getestet, um der Bevölkerung deren Stabilität zu demonstrieren. Nachdem die Brücke schon einige Monate problemlos in Gebrauch war, befand man im Dezember 1825, dass es an der Zeit sei, dem Herzog Ferdinand zu Ehren ein Fest zu geben. Schließlich hatte der Herrscher die Erlaubnis zum Bau der Brücke gegeben. So zog man mit Fackeln und

S. 6 & 8: Water under 11 Hz vibration, 2015, Foto: Jordi Torrents, veröffentlicht unter CC BY-SA 4.0

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THEMA

Musik auf die Brücke. In der Mitte angekommen, stellte sich die Musikkapelle zum Spiel auf und erzeugte so auf der linksseitigen Brückenhälfte einen gewaltigen Stau der nachdrängenden Zugteilnehmer. Eine große Menschenmasse drängte sich auf der schmalen Brücke. Sobald die Musik das Spiel anstimmte, begannen die Nienburger im Takt zu wiegen und zu tanzen. Musik und Tänzer im Gleichklang fügten sich in die Eigenschwingungen der Brücke ein. Die Gewalt der Schwingungen nahm immer weiter zu bis zum finalen Exzess: Die durch die potenzierte Kraft völlig überlasteten Gegenhaltsketten brachen, die linke Brückenhälfte krachte ein und riss Tänzer, Musiker und Fackelträger in den Fluss. Das waren die katastrophalen Folgen einer Festveranstaltung, die doch zunächst so froh und wohlgefühlig eine Festgemeinde im Einklang mit dem Raum, der Musik und den anderen Anwesenden hatte schwingen lassen.    Die Nienburger Brückenkatastrophe wurde in der Folge immer wieder in wissenschaftlichen Standardwerken zur physikalischen Resonanz als warnendes Beispiel aufgegriffen.3 Für mich ist dieses Beispiel interessant, weil es nicht nur physikalische Gesetze anschaulich macht, sondern auch, weil wir es hier mit einer Verschränkung verschiedener Ereignisse – nicht zuletzt ästhetische! – zu tun haben, die schließlich gemeinsam eine radikale Wirkung erzeugten. Eine Architektur – ein künstlerisches Objekt – mit einer Eigenresonanz kam in schwingende Kommunikation mit einer Gruppe von sich rhythmisch bewegenden Menschen, die ein ästhetisches Erlebnis suchten (Illumination/Fackeln, Musik, Tanz). Vielleicht war das Schwingungserlebnis an sich sogar das ästhetische, mit seiner ambivalenten Gleichzeitigkeit von riskantem Schwindel und erhebendem Einklang. Abstrahiert man einmal von den katastrophalen Folgen, vom radikalen Übergang des Ereignisses von der gemeinschaftlichen Freude zum furchtbaren Unglück, so erscheint es spannend, das vielschichtige Konzept der Resonanz im Hinblick auf das ‚ästhetische Ereignis‘ Figurentheater weiterzudenken.

Nienburger Brücke 1825, aus A.G. Hermann Weidemann, „Rhythmus und Resonanz“, 1915

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THEMA

Ganz einfach ist das nicht. Schon allein dieses Wort ‚Resonanz‘. Schwer greifbar. Es lässt sich in dreierlei Hinsicht deuten: 1) als akustisches Phänomen – ein Instrument/ein Klang schwingt in einem bestimmten Raum; 2) als wirksames Phänomen – ein Ereignis hat z. B. eine Wirkung im öffentlichen und politischen Raum; 3) als ästhetisches Phänomen – etwas erzeugt bestimmte Gefühle, wird durch unseren Körper spürbar und wirksam. Im Deutschen gibt es kein passendes Tunwort dafür. Man kann nicht wirklich sagen: wir ‚resonieren‘. Gesprochen hörte es sich dann nämlich genauso an wie ‚räsonieren‘. Das bedeutet jedoch laut Duden „sich wortreich und tiefschürfend, aber ohne konkretes Ergebnis, äußern“4 und wird heute eher im Sinne von „meckern“, „kritisieren“ verwendet. Darüber hinaus hängt die Wortwurzel mit ‚Ratio‘, ‚Rationalität‘ zusammen, brächte uns also auf eine ganz andere Spur als das ‚Spüren‘ der Schwingungen.    Aber gerade diese Sperrigkeit und auch die Mehrdeutigkeit des Begriffs der Resonanz interessiert mich. Vielleicht scheint er sogar geeignet, die schwer greifbaren Prozesse und Dynamiken, die im Theater zwischen Bühne und Publikum ablaufen, zu markieren. Das ist keine neue Idee. Schon im 18. Jahrhundert entstand in Europa ein ästhetischer Diskurs, der die physikalischen Phänomene der Schwingung in die philosophische Idee einer emotionalen Wirksamkeit von Kunst und Theater umformte. Kunst und Theater können demnach im Moment des Erlebens massiv auf den Betrachter/Zuschauer einwirken. Das ästhetische Mitschwingen von Akteuren, Zuschauern und der materiellen Raum- und Objektumwelt prägt sich ein und hinterlässt seine Spuren.    Dabei spielt der Aspekt des gemeinsamen Erlebens auch eine Rolle. Wir alle haben schon einmal diesen Moment erlebt, wenn plötzlich nicht nur mit den Akteur*innen und ihrem künstlerischen Tun eine spannungsreiche Beziehung entsteht, sondern auch, wenn alle anwesenden Zuschauer ein verbindendes Vibrieren spüren. Angestoßen von dem, was im Raum, auf der Bühne passiert, ereignet sich eine ‚Fühl-Gemeinschaft‘, die sich nicht zuletzt im Resonanzlachen ansteckend ausdrückt. Es geht hier um eine fühlbare Wirksamkeit, die sich in meinem Körper, in meinem Denken einnistet. Ich nehme etwas mit aus dem Theatererlebnis, gefühlt und gedacht, das mein individuelles und soziales Verhalten bewusst oder unbewusst prägt. Diese ästhetischen und resonanten Effekte können entsprechend auch als eine soziale und politische Wirksamkeit diskutiert werden.    Für das Theater und das Figurentheater lassen sich mit der Perspektive der ‚Resonanz‘ Fragen nach den Schwingungen zwischen Materialien, Objekten, Klängen, Räumen und Akteur*innen stellen, die als Inspiration im künstlerischen Prozess produktiv werden. Künstlerische Experimente können neuen Resonanzen auf die Spur kommen, oder vorhandene herausarbeiten und aktivieren. Dabei stößt man unweigerlich auch auf Hindernisse und Blockaden, die Schwingungen und auch ‚Animationen‘ verhindern oder widerständig in etwas Anderes überführen.    Und dann geht es natürlich zurück zur möglicherweise vibrierenden Beziehung zwischen den künstlerischen Objekten, den Akteur*innen und den Zuschauer*innen. Hier werden Körperfasern gegeneinander elektrisiert, hier werden Gefühle erzeugt und Gedanken angestoßen, die bestenfalls bis weit nach dem Theaterereignis noch ‚nachschwingen‘. Und endlich wird auch eine weitere Öffentlichkeit erreicht, welche hoffentlich Worte findet, die erlebten/gefühlten Anstöße angemessen zu formulieren und nicht im Vokabular des ‚Man-hat-die-Puppen-tanzen-lassen‘ verbleibt.    Im Theater und Figurentheater entstehen feine Schwingungen, die wahrzunehmen und auch aufzunehmen ein empfindliches Resonanzsensorium vonnöten ist. So fein sie sind, so sind sie doch wirksam, bewegen etwas und verändern unsere Welt. Dazu braucht es nicht die radikal überstürzte Resonanz der Brückenkatastrophe. 1 2 3 4

Vgl. Kurt Hentschlägers Beitrag in diesem Heft, S. 13–15. Für eine ausführliche Beschreibung siehe Bernd Nebel, „Christian Gottfried Heinrich Bandhauer und der Einsturz der Nienburger Saalebrücke am 6. Dezember 1825.“ Marburg, BoD, 2015. Etwa in Hermann Weidemann, „Rhythmus und Resonanz“, Leipzig 1915. Vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/raesonieren, letzter Zugang, 9.9.2019.

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„das tier ist weg“ Über die Schaffung eines Resonanzraums im Futur II Seit 2016 schaut ein interdisziplinäres Kunstprojekt Tierpräparaten tief in die Augen. Der Leipziger Autor Steffen Georgi hat intensiv zurückgeschaut und mit den Künstler*innen über ihr Langzeitprojekt „Erinnerungen für Morgen“ gesprochen. V o n S t e f f e n G e o r g i /// „Ich denk, das Tier ist tot … Ich weiß, das ist immer widersprüchlich: Einmal willst du, dass es lebt und dann sagst du, es ist tot. Aber es ist einfach tot. Du kannst das nur versuchen, dass es wieder lebt, aber das wirst du nie hinkriegen. Du kannst es echt nur versuchen. Aber es ist tot, es ist einfach tot und es ist auch nur die Haut. Es ist nicht das Tier, es ist nur die Haut. Das Tier ist weg.“ (Lydia Mäder, Präparatorin aus Frohburg)

1 Ausfallschritt kunstgerecht Ein „Präparat“ ist laut Duden-Fremdwörterbuch „etwas kunstgerecht Zubereitetes“. Beispielsweise ein „Arztheilmittel oder chemisches Mittel“. Oder aber eine „konservierte Pflanze“ bzw ein „konservierter Tierkörper“; „zu Lehrzwecken“, wie in eckiger Klammer noch mitgeteilt wird.

Alisa Hecke, Julian Rauter, Andi Willmann, Erinnerungen für Morgen 2018. Foto Falk Messerschmidt

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So weit, so klar, so selbstverständlich. Wäre da nicht dieses Attribut „kunstgerecht“, das im definierenden Kontext gewiss nicht falsch ist – aber zugleich auch wie ein Ausfallschritt aus dieser Selbstverständlichkeit aufscheint.    „Erinnerungen für Morgen“ heißt ein 2016 begonnenes Langzeitprojekt der in Leipzig lebenden Künstler Alisa Hecke, Julian Rauter und Andi Willmann. Ein Projekt, das die ja nur noch gelegentlich gern mal mäandernden Grenzlinien „zwischen Kunst und Natur, genauer noch: zwischen Theater und Naturkunde“ (Hecke) abschreitet. Wobei es hier, bei diesem Projekt, weit weniger um jene alten, wenn auch nicht unbedingt bewährten kulturphilosophischen Debatten geht, die versuchen etwaig mäandernde Grenzlinien mit möglichst akkuraten Definitionen möglichst klar zu kartographieren. Vielmehr war der erste, der Ur-Impuls für „Erinnerungen für Morgen“ eine einfache hypothetische Frage, die einem beim Gang durchs Naturkundemuseum und mit Blick auf die dort kunstgerecht zubereiteten Tierpräparate durchaus kommen mag – und die sich am besten im Futur II stellen lässt: „Was wird morgen gewesen sein?“

2 Mäandern, driften Seit 2013 verortet sich die Kreativ-Trias Hecke/Rauter/Willmann mit interdisziplinären Arbeiten auf den ja ebenfalls recht oft mäandernden Grenzlinien zwischen Theater, Medienkunst und Architektur. Wobei im konkreten Fall die erwähnte Ausgangsfrage als genau das verstanden werden muss: als Ausgang, als Startbasis für ein Kunstprojekt, das sich indes bald weg von einer etwaig auch ökologischen Konnotation, hin auf die Praxis der Konservierung, auf die Herstellung von Tierpräparaten zu kaprizieren begann. Konkret: auf jene „Inszenierungsstrategien der Präparation“, so Hecke, in denen sich eine „reizvolle Nähe zur Praxis und zum Gegenstand des Theaters“ spiegele. Was dann die im Rechercheverlauf ausführlich geführten Interviews mit verschiedensten Präparatorinnen und Präparatoren in Deutschland und der Schweiz offenlegten.    Es ist eine ungeheure Fülle von Material, die sich dabei angesammelt hat. Und die Schneise, die man durch diese Fülle im Gespräch mit Alisa Hecke und Julian Rauter schlägt, führt einen recht bald vom (scheinbar) festen Terrain handwerklicher Aspekte der Tierpräparation in die weit diffuseren, wenn man so will sumpfigeren, weil weniger trittfesten Gefilde von Leben und Tod, von Körper und Seele und den Spekulationen über eine Welt im Wandel. Was freilich weit weniger überraschend als vielmehr zwangsläufig ist. Und das nicht nur, weil für ein Kunstprojekt wie dieses quasi naturgemäß eher weniger naturwissenschaftliche als vielmehr philosophisch-esoterische und ästhetisch-darstellerische Prioritäten naheliegend sind, dieses Driften ins „Diffusere“ also ein von den Künstlern forciertes ist – und doch unterschwellig zugleich auch dem Präparatoren-Handwerk immanent scheint. Wie Ausfallschritte im sonst nüchternen Herangehen, wie Kontrapunkte in den Kompositionen des Rationalen. Und „kunstgerecht“ dann auch im Sinne eines Der-Kunst-gerecht-Werdens bei der Erschaffung dieser (fast!) vollkommen künstlichen Objekte optimierter NatürlichkeitsSuggestion.

3 Eingefangen Zu 95 Prozent, erklärt Rauter, sind die Präparate, sind die „toten Tiere“ Artefakte. Bestehen aus Holzwolle, Draht, Glasaugen: „Nur ein kleiner Rest ist dann echte tierische Materie: die Haut.“ Und selbst bei der gibt es noch einen möglichen Twist, wie Hecke hinzufügt: „Wenn er das will, etwa weil es so grad praktischer ist, kann der Präparator zum Beispiel aus Ziegenhaut auch ein ganz anderes Tier als eine Ziege werden lassen.“    Halten wir fest: Man sieht plastische Körper unter echter Haut; wobei die echte dann auch eine falsche Haut sein kann. In der Tat darf man da von „Inszenierungsstrategien“ sprechen. Von Naturkunde als Objekt-„Theater“, der naturgetreuen Repräsentation eines Lebewesens als dessen perfektionierte Imitation. Was in Zickzacklinien näher hin zu einer ganz bestimmten Frage führt – doch muss die noch einen Moment warten, im Namen der Anatomie und deren künstlerischer Präsentation. Hecke: „Das Korsett, also das Stützgestell für die jeweiligen Präparate, ist bei unseren Aufführungen immer mit zu sehen. Über dieses Innere – sprich: das Material – den Transformationsprozess zu erzählen ist ein wesentliches Anliegen. Zeigen, wie das Tier eingefangen wird.“ Eingefangen? Interessante Wortwahl.

Die Künstler Alisa Hecke und Julian Rauter 2019, Foto: Gustav Frank

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Rauter: „Eingefangen meint, in welcher Bewegung, welcher Haltung es sich zeigt. Und ob es auf einen Sockel gestellt ist, oder ob es, um ‚natürlich‘ zu wirken, von einem unsichtbaren Korsett gehalten wird. Es geht um die Dynamik in der Inszenierung. Und um die Inszenierung in dieser Repräsentation von Leben.“    Halten wir weiter fest: Was hier also zu sehen ist, ist die Repräsentation einer Suggestion, ist Natur als Künstlichkeit. Tiere, dargestellt in einer für sie typischen Bewegung – und in dieser Bewegung zugleich im Wortsinne fest-gestellt; eingefangen für ein Morgen der Erinnerungen. Erstarrt für die nächstliegende Ewigkeit. Präsent und doch nur zu fünf Prozent vorhanden. Anwesend abwesend.

4 Blickwechsel-Resonanzen Rauter: „Das präparierte Tier, es blickt ja nicht weg, nie. Selbst der Blick ist einer, der so nicht in der Natur gegeben ist.“ Aber je länger man diesen Blick suche, entstehe ein Eindruck von „Präparaten in irgendwie eingefrorener Zeit“. Korrespondierend vielleicht mit jener „Patina“, so Rauter weiter, die Naturkundemuseen ja auch oft anhafte: „Man hat dort ja eine enorme Vielfalt an ausgestellten Wesen. Wesen, die in der Natur mitunter schon verschwunden sind, oder gerade verschwinden in ihrer Vielfalt. Wobei es uns jetzt nicht um diese ökologisch-kritische Herangehensweise geht. Bei uns ist der Grundbass vielmehr diese Melancholie, die in der Nüchternheit der Präparate, der Objekte selbst liegt.“    Das Tier (das als Präparat Objekt gewordene Tier) hält dem Blick des Menschen stand. Auge in (Kunst-)Auge. Nur, dass in dem Moment, in dem diese Präparate aus ihrem Kontext eines naturwissenschaftlichen Anschauungszustands in den von Hecke/Rauter/ Willmann konstruierten Spannungszustand eines Kunstraumes hinüberwechseln, dieser Blick seinen Charakter ebenso zu wechseln scheint. Der „Grundbass“, von dem Rauter spricht, vibriert plötzlich als ein irritierender, auch unheimlicher Unterton der Fortdauer gegen die vergehende Zeit. Und das meint explizit auch die Lebenszeit des menschlichen Betrachters.    Der Kunstraum wird darüber somit zu einem Resonanzraum, in dem diesen Objekten eine Art Schein-Belebung widerfährt. Offenbaren sie sich doch, ohne dass sich dafür an ihrem Daseins-Status irgendetwas ändern müsste, in jener evozierten RaumAtmosphäre „irgendwie eingefrorener Zeit“ als Träger einer Erzählung – einer Erzählung suspendierten Lebens in suspendierter Zeit, die gleichsam nur unterhalb und außerhalb rationaler Verifizierbarkeiten wahrnehmbar ist. Die als Nach- und Widerhall, als Oberton oder „Grundbass“ schwingt in „Arrangements, in denen sich Materialen und Objekte gleichberechtigt neben menschlichen Körpern in einer vegetativen Performance aus Raum, Licht, Sound befinden“ (Hecke). Und in denen das Tier, anwesend abwesend, plötzlich als Objekt fern musealer Patina zurück blickt auf seine menschlichen Betrachter. Und dabei in jedem Fall ja etwas sieht, was in einem so unbestimmbaren wie auch unvermeidbaren Morgen, gewesen sein wird.

5 Wesens-Fragen „The Big Sleep“ wird diese Performance heißen, die nach dem Rechercheprojekt „Erinnerungen für Morgen“ und den damit einhergehenden verschiedenen Work-in-Progress-Präsentationen im Juni 2020 in der Residenz des Leipziger Schauspiels Premiere hat. Als ein Panoptikum im Futur II, als Echokammer präparierter Zeit. Als Resonanzraum, dessen Echowellen aus Blickwechseln erstehen und in Zickzacklinien nicht zuletzt auf eine Kern-, eine Wesensfrage hinlaufen: Gibt es so etwas wie ein Eigen-, ein Weiterleben dieser Tierpräparate?    Rauter lacht: „Ja, in Form von Schadinsekten. Das Artefakt bietet Lebensraum.“ Klingt zu lakonisch, oder? Gut, lassen wir also die (präparierte) Katze aus dem Sack: Und wie steht es mit einer wie auch immer gearteten Form oder Empfindung von „Beseelung“? Hecke: „Ich würde mich nur ungern auf den Begriff des beseelten Objektes einlassen. Wenn eine Beseelung stattfindet, dann über die Geschichte.“ Und das heißt hier vor allem auch, über jene kaum wahrnehmbaren Resonanzen, die noch jede Form des Erzählens durchziehen müssen, die von sich beansprucht, Kunst zu sein.    „Ich denke, alles hat eine Seele, in welchen Abstufungen auch immer, aber die Seele ist da, ja. Und das versucht man auch als Präparator in die Präparate mit reinzugeben. Die Seele des Tieres kriegt man da gar nicht so rein, aber seine eigene Seele, das versucht man da schon... also anders kann ich's mir nicht vorstellen.“ (Lydia Mäder, Präparatorin aus Frohburg) – http://jrauter.com Hecke und Rauter, The Big Sleep 2019, Lydia Mäder, Live-Präparation. Foto: Anna Agliardi

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von der dingfreude

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Resonanzbeziehungen im zeitgenössischen Figurentheater Resonanz, verstanden als besonderer Beziehungsmodus von Subjekt und Welt, eröffnet auch für das zeitgenössische Figurentheater interessante Einsichten und Perspektiven. Der folgende Artikel versteht sich als tastender Versuch, einige Kernthesen der aktuellen Resonanzdebatte2 für das Figurentheater fruchtbar zu machen. V o n K a t j a S p i e s s /// Mit einem feuchten Wischmopp zeichnet eine Frau etwas auf den Bühnenboden – das japanische Schriftzeichen für „Nichts“, wie sie sagt. Dann setzt sie sich auf den Boden und beobachtet das langsam abtrocknende Wasserzeichen. Und wie bei einer geheimen Verabredung richten wir den Blick auf die gleiche Stelle, stimmen in ihren Atemrhythmus ein und verharren in gemeinsamem Schweigen.

Antje Töpfer, Drei Akte 2016. Foto: Luigi Consalvo

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Vier Menschen aus Israel und Deutschland erzählen einander Familiengeschichten. Und spannen irgendwann ein dünnes Drahtseil durch den Raum, auf dem ein fragiles Puppenwesen balanciert. Mit großer Behutsamkeit übergeben sich die Spieler*innen das Seil, um die kleine Figur zu lenken und nicht abstürzen zu lassen. Und wir zittern mit ihnen (oder mit der Figur?) und halten mit ihnen den Atem an.    Ein Paar und ein gemeinsames Haus. Möbel, die sich den Rücken zudrehen, voneinander entfernen, den festen Stand verlieren. „Do you like the sofa?“ „Yes.“ „But do you really like the sofa?“ „No, not really.“ Nach und nach entfernen der Mann und die Frau all die kleinen Möbelstücke aus dem vor ihnen stehenden Puppenhaus. Und jedes Mal, wenn ein Stuhl oder Tisch die Szene verlässt, durchfährt uns ein kleiner Schmerz und ein Lachen. Wir trauern, und wir erkennen (uns).3

Resonanz Es sind Augenblicke wie diese, die den Zuschauenden in den beglückend-irritierenden Zustand gleichzeitigen Bei-Sich- und AußerSich-Seins versetzen können. Und in denen das Spiel mit Figuren, Material und Objekten seine größte Kraft entfaltet. Interessanterweise sind es genau diese stillen und unspektakulären Momente, in denen Spieler*innen, Objekte und Zuschauer*innen einander in einem gemeinsamen „Resonanzraum“ begegnen.    Resonanz als Erfahrung wechselseitiger Bezogenheit und Verbundenheit ist sicherlich in vielen Fällen ein wesentlicher Teil von Kunsterleben. Im Figuren-, Objekt- und Materialtheater scheint sie jedoch geradezu unverzichtbar. Wer die Dinge nur benutzen und beherrschen will, für den bleiben sie stumm. Und wer sie sich nicht anzuverwandeln vermag, für den bleiben sie fremd. Beides aber – die Verlebendigung und die spielerische Anverwandlung von Objekten – ist konstitutiv für alle Formen des Figurentheaters.

Transformationen Resonanz, verstanden als „doppelseitige Bewegung zwischen Subjekt und Welt“4 findet im Figurentheater sowohl im spielerischinszenatorischen Prozess wie auch im Rezeptionsprozess statt. Ein gelingender Animationsvorgang setzt voraus, dass das materielle Gegenüber – also die Puppe, das Objekt, das Material – als ‚sprechend‘ vorausgesetzt und begriffen wird. Der*die Figurenspieler*in wiederum muss bereit sein, sich dieser Sprache zu öffnen und sich von ihr berühren zu lassen. Der Prozess der Animation, der Belebung bzw. Beseelung der Dinge, ist also der einer wechselseitigen Transformation.    Wenn beispielsweise die Figur in der oben beschriebenen Szene auf dem Drahtseil balanciert, so wird sie durch den inszenatorischen Kontext und die Haltung der Spieler*innen subjekthaft aufgeladen – sie erscheint gefährdet und beschützenswert; zugleich wirken Unberechenbarkeit und Dynamik ihrer Bewegungen auf die Spieler*innen zurück – sie müssen sich anpassen, reagieren, Verantwortung übernehmen. Diese Transformation verdoppelt sich ein weiteres Mal, wenn man die Zuschauenden als Partner*innen des Resonanzgeschehens hinzunimmt. Auch sie verwandeln sich in dem Maße, wie sie an der Figur Anteil nehmen, sich von ihr berühren lassen. Wir haben es im Aufführungskontext also mit einem „Resonanzdreieck“ zu tun, das Spieler*innen, Zuschauer*innen und Spielobjekte wechselseitig in Beziehung bringt.

Unverfügbarkeit Resonanzbeziehungen im Figurentheater zeichnen sich in besonderer Weise dadurch aus, dass etwas, das im Alltagskontext als kategorial Anderes (also Nicht-Menschliches, Dinghaftes) erfahren wird, sich auf der Bühne in etwas Wesensähnliches (also Subjekthaftes, Lebendiges) verwandelt. Nicht die Illusion, dass das Material lebt, sondern vielmehr das Wissen darum, dass es unbelebt ist und uns dennoch als belebt erscheint, ist es, was den Animationsvorgang so beunruhigend und anziehend macht. Oder, wie Hartmut Rosa in seinem Essay über „Unverfügbarkeit“ ausführt: „Wenn zwei eigenständige und differente Stimmen sich vorübergehend treffen und zusammenfinden, kann das in der Tat eine überwältigende Form der Resonanzerfahrung hervorrufen, aber nur dann, wenn das Andere zugleich als (unverfügbares) Anderes bewusst bleibt.“5    Worin aber besteht diese „Unverfügbarkeit“ im Figurentheater? Im Spiel mit einem materiellen Partner ergibt sich diese bereits daraus, dass das Gegenüber eine andere Stofflichkeit, andere Bewegungsqualitäten und -möglichkeiten sowie eine andere Zeitlichkeit mitbringt als der*die menschliche Spieler*in. Der dingliche Spielpartner behält damit stets einen Rest von Widerständigkeit und Eigensinn, der sich im Zuge der Spielhandlung dynamisch verändert.

R i s s e u n d S pa lt e n „Wir sind niemals fertig mit der begegnenden Welt, aber wir begegnen ihr oft und in zunehmendem Maße so, als wären wir es.“6 Dieser Verfügbarmachung von Welt setzt das Figurentheater einen vielschichtigen und durchlässigen Erfahrungsraum entgegen. Eben, weil Spieler*in und Objekt niemals ‚wesensgleich‘ sind oder werden können, ist ihr Zusammenspiel geprägt von Schwellenmomenten, Verschiebungen und Brüchen. Der Moment, in dem Spieler*innen sich der Puppe nähern und sie zu animieren beginnen.

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Der Augenblick, in dem die Puppe von der Hand oder aus dem Spiel genommen wird. Gesichter, die hinter Masken aufscheinen oder verschwinden. Ein Objekt, das zurück in die Kiste gelegt wird, ein bewegtes Material, das zur Ruhe kommt. In solchen Momenten oszilliert die Theaterfigur zwischen Lebendigkeit und Leblosigkeit und provoziert höchste Aufmerksamkeit und Wahrnehmungsintensität. Sowohl im Moment der Verlebendigung als auch in dem der Rückkehr zum Objektstatus scheint sie sich der Beschreibbarkeit zu entziehen und „ruft“ uns als Zuschauende in besonderer Weise an. Jede*r Figurentheater-Zuschauer*in wird sich vermutlich an einen der Momente erinnern, in denen sie*er eine Puppe oder ein Objekt in den Händen des Spielenden zum Leben erwachen oder sterben gesehen hat.

W e lt b e z i e h u n g Ist von den spezifischen Möglichkeiten des Puppen- und Figurentheaters die Rede, trifft man immer wieder auf die Vorstellung von einer poetischen oder kindlichen „Anderswelt“, und es fallen Begriffe wie „Zauber“, „Traum“ und „Fantasie“. Dies sind zwar alles Elemente, die im Figurentheater – und nicht nur dem für Kinder – eine wichtige Rolle spielen, doch wird das Genre damit häufig auf eskapistische Erzählweisen und Strategien reduziert. Indem jedoch Figurentheater Menschen und Objekte in Resonanz bringt, neue Verknüpfungen herstellt und Kontexte verwebt, konstituiert es zugleich einen anderen Begriff von ‚Welt‘. Wenn Dinge im spielerischen Prozess als belebt erfahren werden können, so ist es nur ein weiterer Schritt, sie als belebt zu denken und ein weiterer, ihnen die Würde zurückzugeben. Wenn Dinge nicht nur Requisiten sind, ist Natur nicht nur Ressource und Verfügungsmasse. Und damit gilt auch für das Figurentheater, was Hartmut Rosa für die Resonanztheorie postuliert: „ ... entscheidend ist es, resonante Objektbeziehungen nicht einfach als poetische Sonderformen des Erlebens abseits der wirklichen Welt – und damit wiederum nur als Enklaven in einer essentiell stummen oder feindlichen Welt – zu verstehen, sondern als alltägliche Beziehungsweisen, das heißt als auch im Alltag mögliche Formen der dinglich vermittelten Weltbeziehung“7.

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Überschrift zitiert nach: Dorothee Kimmich, „Lebendige Dinge in der Moderne“, Konstanz 2011, S. 120. Die folgenden Überlegungen sind maßgeblich beeinflusst von den beiden Büchern des Soziologen Hartmut Rosa „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung“, Berlin 2016 (insbes. Kapitel 2/VIII/1. „Objektbeziehungen“ und 2/IX/3. Die Kraft der Kunst) und „Unverfügbarkeit“, Wien/Salzburg, 2019. Wörtliche Zitate sind gekennzeichnet. Die drei beschriebenen Szenen stammen aus den Inszenierungen „Drei Akte. Das stumme Lied vom Eigensinn“ (Antje Töpfer), „Staub – Dust – ‫( “אבק‬Figurentheater Wilde & Vogel und Golden Delicious) und „Troubles“ (Cie. Gare Centrale). Rosa, Unverfügbarkeit, S. 39 Ebd., S. 58. Ebd., S. 114. Rosa, Resonanz, S. 389

Figurentheater Wilde & Vogel und Golden Delicious, Staub/Dust 2018. Foto: Dana Ersing

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der körper als gefäss Resonanzraum und Echo im Figurentheater Jan Jedenak (Dekoltas Handwerk) erläutert, welche Rolle „Resonanz“ in seinen künstlerischen Arbeiten spielt. Resonanzraum und Echo beschreiben die Potentiale einer „schwingenden“ Verbindung zwischen Zuschauern und Künstler. V o n J a n J e d e n a k /// In meiner Arbeit gehe ich meist von einem Körper aus, der als Gefäß fungiert. Dieser Köper befindet sich in einem „leeren“ offenen Zustand – diesen Zustand würde ich als Präsenz bezeichnen. Präsenz steht für mich also in direkter Verbindung zu einem Körper, der als Resonanzraum im Umgang mit Objekten, Puppen, Masken in Schwingung gerät und sich im Spannungsverhältnis von Wahrnehmung und Erinnerung bewegt. Ich suche einen durchlässigen „osmotischen“ Körper, der nicht im Ausdruck verhaftet ist. Für die Zuschauer*innen soll vielmehr ein Wiederhall oder Abdruck erfahrbar werden, der nicht unmittelbar mit psychologischer Sinnhaftigkeit besetzt ist. Ein Echo, das durch seine ambivalente Indifferenz auf etwas Bekanntes verweist, aber doch die Faszination des Fremden besitzt. Im Prozess des Spiels suche ich diesen Resonanzraum intuitiv über Wahrnehmung und Erinnerung von außen nach innen anzureichern. Im gleichen Zug reflektiert dieser Innenraum das Aufgenommene und übersetzt es in Bewegungsimpulse.    Dieser Ansatz bildete auch die Grundlage für meine im Mai 2019 in Stuttgart uraufgeführte Produktion Imprint [Versuche zur Abwesenheit]. Dabei haben wir mit Totenmasken, Post-mortem-Fotografie und Familienportraits gearbeitet. Die (Toten-)Maske als Larve ist für mich ein Grenzraum zwischen dem Körper, dem Gesicht und dem Umraum. Sie ist auch ein Resonanzraum auf zweierlei Weise: Zum einen akustisch, je nach Bau wird die Stimme verändert, verstärkt oder verschluckt, zum anderen hinsichtlich der skulpturalen Gestaltung des Körpers. Die Maske bringt die Spieler*innen in einen anderen körperlichen Zustand, wenn sie die Impulse der Maske aufnehmen, im Inneren verwandeln, und diese in ihrem Körper abdrücken bzw. sichtbar machen. Die Totenmaske wird im Moment des Todes vom erkaltenden erstarrenden Gesicht abgenommen. Dieser Abdruck versucht die Grenze bzw. den Übergang vom Leben zum Tod festzuhalten. Sie wird damit zu einem Gefäß oder ambivalenten Resonanzraum, der diesen Prozess festzuhalten versucht. Bei Totenmasken von Lebenden sehen oder spüren wir vielleicht nur diesen einen Moment des Abdrucks, ein unwiederbringlicher Augenblick eines Lebenden „für immer“ in einer Form festgehalten. Im Spiel wird die Maske damit zum Gefäß der Imagination, zur Projektionsfläche, welche die Gefühle und Erinnerungen des Betrachtenden aufzunehmen und diese zu reflektieren vermag. In der Arbeit mit Post-mortem-Fotografien und Familienportraits haben wir versucht diese Funktion auf die Körper der Spieler*innen zu übertragen. Die historischen Fotografien als Träger von Erinnerung haben wir akribisch studiert, um die Körperlichkeit der Abgebildeten und die Bildkomposition so exakt wie möglich zu kopieren. Die Spieler*innen wurden angehalten, der Spur der Fotografie nachzuspüren und sich von dieser in Schwingung versetzen zu lassen. In der Verkörperung des Fotos wird ein Resonanzraum für die Zuschauenden kreiert, der sich im Spannungsverhältnis von äußerer ästhetischer Form und inneren Vorgängen des eigenen Körpers bewegt. Die daraus resultierenden Impulse haben wir in ein Bewegungsvokabular übersetzt, das in den Körpern der Spieler*innen durch das Medium der Fotografie eine Resonanz zwischen Anwesenheit und Abwesenheit im Hier und Jetzt etabliert. – www.dekoltashandwerk.com

Dekoltas Handwerk, Imprint 2019. Foto: Thilo Neubacher

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das widerständige der resonanzen Produktive Spannungen zwischen Performen und Zuschauen

Wir wollten von Eva Meyer-Keller wissen, welche Resonanz sie vonseiten der Zuschauer auf ihre Stücke bekommt, und wie diese Reaktionen und Schwingungen wieder zurück auf ihre künstlerische Arbeit einwirken. Wie kann man als Künstlerin die eigene Arbeit offen halten für solche Wirkungen? Wie politisch ist diese resonante Kommunikation zwischen Künstlerin, Kunst und Publikum? V o n E v a M e y e r - K e l l e r /// Ich verwende alltägliche Objekte auf der Bühne, die zwar funktional benutzt werden, aber um etwas nachzustellen oder zu inszenieren, das überhaupt nicht dem gewöhnlichen Kontext entspricht, in dem wir ihnen normalerweise begegnen. Das sind oft schwer begreifliche oder existenzielle Dinge wie Gewalt und Tod, aber im letzten Projekt auch naturwissenschaftliche Modelle wie das Atom, die heute unsere ganze Realitätswahrnehmung prägen, oder aktuell aus der Perspektive der Mikrobiologie die Frage, was Leben ist.    Unsere Welt ist so komplex geworden, dass sie einem immer unzugänglicher erscheint. Deshalb gestalte ich meine Stücke so einfach wie möglich. Durch die Art, wie ich das mache, entfaltet sich gleichzeitig die Unmöglichkeit das zu tun, weil wir Dinge absolut und objektiv nicht begreifen können. Alles steht immer in einem Zusammenhang und dieser verändert sich. Manchmal finden Zuschauer*innen das banal und langweilig – es ist eben das Gegenteil von spektakulär. Befriedigender für mich ist es natürlich, wenn sich etwas öffnet, Perspektiven sich erweitern.    Mich beschäftigt die Resonanz bei den Zuschauer*innen sehr. Natürlich treibt einen ein bestimmtes eigenes Interesse an, wenn man recherchiert und arbeitet, aber im Endeffekt geht es mir vor allem um diesen Moment, wo das, was wir entwickeln, wahrgenommen und damit verändert wird.    Mir ist wichtig, dass die Zuschauenden aktiv schauen, also merken, dass sie das, was sie sehen, immer schon mitgestalten. Das gelingt, je mehr Lücken ich lasse, damit Resonanzen oder Assoziationsketten entstehen können. Für mich sind Resonanzen etwas Anderes, als dass ein Effekt oder eine Szene einfach gut ankommt oder funktioniert. Sie haben etwas Widerständiges, aber sie sind auch kein Automatismus. Damit sie ‚resonieren‘, fordern meine Stücke den Betrachter*innen Arbeit ab. Ich versuche natürlich, das bis zu einem bestimmten Grad anzuleiten, aber in letzter Konsequenz kann und will ich es nicht kontrollieren. Eva Meyer-Keller, Tamara Saphir, Annegret Schalke, Agata Siniarska, Still 2019.

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Stimmungen, Atmosphären, Provokationen Nicht immer stellt sich von allein die Balance her, in der die Wahrnehmung der einzelnen Zuschauenden erst bestimmt, was gesehen wird. Bei meinem Stück „Death is Certain“, in dem ich Kirschen auf verschiedene Weise ermorde, gibt es manchmal ein Übergewicht an Lachen und Albernheit. Oder aber es wird ganz heilig und totenstill. Das versuche ich dann über meine Performance möglichst auszusteuern. Am besten ist es, wenn verschiedene Reaktionen da sind und die Leute im Publikum etwas miteinander verhandeln. Viele direkte Rückmeldungen bekomme ich in „Death is Certain“ – weil das kein frontales Stück ist und ich so nah dran und zugänglich für das Publikum bin. Da schlagen mir Leute zum Beispiel Todesarten vor, die ich auch noch ausprobieren könnte oder sagen, welchen Mord sie am grausamsten fanden. Negatives Feedback richtet sich meistens auf das Banale, bewusst Einfache. Wer das nicht als eine Einladung annehmen will, selbst zu imaginieren, langweilt sich manchmal. Oder das Ankratzen von Autoritäten, etwa der Wissenschaft, wird als Provokation empfunden.

Der Blick der anderen, Feedback-Sessions In meiner Arbeit ist es zentral, den Blick der Zuschauenden mitzudenken. Wenn man Bilder frontal von außen baut, hat man natürlich die meiste Kontrolle. Heute arbeite ich aber immer mehr mit der Innenperspektive, also damit, wie sich eine bestimmte Szene oder Aktion von innen anfühlt, wenn wir sie machen. Das ist etwas Anderes. Dann löst sich auch meine Position als Choreographin mehr in der Horizontalen auf und das bedeutet automatisch, Kontrolle abzugeben.    Ich muss natürlich trotzdem ein Gefühl dafür bekommen, wie etwas wirkt. Deshalb arbeite ich mit Feedback-Sessions oder gegenseitiger Beobachtung. Wenn ich einen Blick verändern will, muss ich ihn ja erst einmal einladen, und dazu müssen die Assoziationen, die wir hervorrufen, konkret genug sein. Aber eben nicht eindeutig. Das ist ein Balanceakt. Was meiner Erfahrung nach sehr wichtig wird, ist die Haltung, der Nachdruck, mit dem wir etwas tun. Ich mag das Wort ‚rigor‘1 im Englischen. Dass wir sehr entschlossen sind in dem, was wir tun, hilft den Zuschauenden auszuhalten, dass sie oft keine eindeutigen Erklärungen bekommen, was genau wir gerade darstellen – etwa, wenn wir uns Feinstrumpfhosen um den Körper binden, Äpfel in deren Füße stecken und uns dann drehen. Man kann das Planetarische Atommodell sehen, muss es aber nicht.

Politische Resonanzen, Ermächtigungen Ich bin da nicht naiv. Eine Performance macht die Welt nicht besser. Aber sie kann etwas in den Zuschauenden auslösen, die sich dann vielleicht ein kleines bisschen anders durch die Welt bewegen. Für mich hat die politische Energie hinter einer künstlerischen Arbeit nichts damit zu tun, politische Messages auf der Bühne zu verbreiten. Ich hatte vor einiger Zeit die Situation, dass ein Kurator nach meiner letzten Arbeit gesagt hat, sie sei für sein Profil nicht politisch genug. Ist das nicht interessant, dass er als Mann nichts Politisches daran findet, wenn vier Frauen die Unantastbarkeit und den Realitätsstatus der Welterklärungsmodelle der Physik, also einer der Domänen männlicher Kontrolle und Machtausübung mit Hilfe von Haushaltsutensilien und Alltagsgegenständen aushebeln?    Mit geht es immer auch um Ermächtigung. Darum, rigide, autoritäre Strukturen oder einfach solche, die wir als ‚normal‘ hinnehmen, zu hinterfragen. Meine Strategie ist dabei nicht die Faust im Gesicht, sondern ich bearbeite sie eher von der Seite her. Dadurch, dass ich Blickwinkel verschiebe. Dabei ist Humor hilfreich, eine gewisse Leichtigkeit. Ich bin nicht in der Position, Leuten etwas über eine bessere Welt zu erzählen, aber was ich gerne wecken möchte, ist bei ihnen selbst eine Neugier auf die Welt da draußen zu wecken und die Lust, sich hands on mit ihr zu befassen und sie zu verändern, weil immer noch wir es sind, die das ‚machen‘, was wir dann als Realität erfahren. Das beginnt damit, wie wir Dinge wahrnehmen. Deswegen hätte mich in dem betreffenden Stück auch nie interessiert, mit dem Zeigefinger zu beklagen, dass die physikalische Weltsicht bis heute eine vorherrschend männliche ist.    Wie ich oben schon gesagt habe, gibt es für mich einen wichtigen Unterschied zwischen einer politischen These und dem, was ich „politisch“ nennen würde. Wir sind doch umgeben von einem Überangebot an politischen Thesen. Die sind letztlich wie Modelle. Sie machen Setzungen, schreiben etwas fest und damit vereinfachen sie auch immer schon. Politisch ist es für mich, wenn Menschen sensibel dafür werden, dass Realität nie einfach da ist, sondern immer schon ein Ergebnis davon, wie wir sie gestalten und dass sie deshalb immer verändert werden kann. Natürlich sind viele Probleme, die wir haben, riesig. Natürlich sind viele Menschen von vielen Gestaltungsprozessen ausgeschlossen. Aber politisches Handeln im Kleinen beginnt für mich mit sehr genauer Beobachtung, mit Interesse, mit dem Fragenstellen an die Dinge ‚wie sie sind‘, von ‚Fakten‘ und ‚Wahrheiten‘. – www.evamk.de 1 „rigor“, engl. für „Genauigkeit“, „Härte“, „Strenge“, „Entschiedenheit“.

Eva Meyer-Keller, Some Significance 2017. Foto: Ana Baumgart

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Die alchemie der sinne Wie aus einer Vibration ein Theaterstück wurde To The New York Symphony Orchestra, February 2, 1924 Dear Friends: I have the joy of being able to tell you that, though deaf and blind, I spent a glorious hour last night listening over the radio to Beethoven's Ninth Symphony. I do not mean to say that I "heard" the music in the sense that other people heard it; and I do not know whether I can make you understand how it was possible for me to derive pleasure from the symphony. It was a great surprise to myself. (...) Last night, when the family was listening to your wonderful rendering of the immortal symphony someone suggested that I put my hand on the receiver and see if I could get any of the vibrations. He unscrewed the cap, and I lightly touched the sensitive diaphragm. What was my amazement to discover that I could feel, not only the vibrations, but also the impassioned rhythm, the throb and the urge of the music! The intertwined and intermingling vibrations from different instruments enchanted me. (...) How the lovely speech of the violins flowed and plowed over the deepest tones of the other instruments! When the human voice leaped up trilling from the surge of harmony, I recognized them instantly as voices. I felt the chorus grow more exultant, more ecstatic, upcurving swift and flame-like, until my heart almost stood still. (...) I have never been so enraptured before by a multitude of tone-vibrations. As I listened, with darkness and melody, shadow and sound filling all the room, I could not help remembering that the great composer who poured forth such a flood of sweetness into the world was deaf like myself. I marveled at the power of his quenchless spirit by which out of his pain he wrought such joy for others—and there I sat, feeling with my hand the magnificent symphony which broke like a sea upon the silent shores of his soul and mine. Sincerely yours, Helen Keller V o n A r i T e p e r b e r g /// Dieser elektrisierende Text von Helen Keller1, über den ich beim Herunterscrollen meines Facebook Feeds zufällig stolperte, löste eine Vibration in mir aus, die drei Jahre andauerte, bis sie zu einem Theaterstück anwuchs.    Die Fähigkeit, so einen enormen Kosmos an Gefühl und Intellekt nur durch die leichte Vibration in der Handfläche zu erfahren, inspirierte mich. Daher begann ich, mit nichts anderem als meinem Körper, daran zu arbeiten, einen physischen Zustand von Hypersensibilität zu erreichen, der eher auf Reaktion denn auf Aktion fokussiert. Ich probierte verschiedene performative Mechanismen aus – Regelsetzungen, die ich anwandte –, bei denen immer der Input eines Sinnes durch den Output eines anderen übersetzt wurde.    Ich versuchte durch verschiedene Aufgaben meine Sinne einzuschränken und Sound als Berührung, Vibration, Bewegung zu erfahren. Durch diese Praxis entstand eine Alchemie der Sinne, mein Körper wurde fast vollkommen durchlässig und war dennoch präsent in seiner Zerbrechlichkeit.

Vibrierende Ballons Während meiner Forschungen las ich, dass in speziellen Konzerten für taube Menschen Luftballons ausgeteilt werden, um die Vibrationen der Musik und damit die physische Erfahrung von Musik zu steigern. Dies war der Moment, als erstmals ein Material auf meine Probebühne kam – ich ging hinunter in den Laden, um mein erstes Paket Luftballons zu kaufen (es folgten noch Hunderte). Ich experimentierte und spielte mit den Ballons herum, erlaubte ihnen, mich zu führen, indem sie sich von einem Herz in eine Zunge

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verwandelten, in eine Visualisierung meines Atems, ein Gefäß meiner Sprache, ein Hindernis, ein vibrierendes Diaphragma. Dies gab dem Stück einen neuen Rahmen. Die Ballons wurden zu einem Medium, durch das die Recherche eine neue Form erhielt.

Den Reichtum DES BEISAMMENSEINS spüren “And my Heart Almost Stood Still” ist faktisch eine Folge von Aktionen und Mechanismen, welche die Sinne steigern und die Zuschauer ihrer gewahr werden lassen. Zu Beginn des Stückes, zum Beispiel, höre ich mit geschlossenen Augen genau zu und werde zu einem ‘Lautsprecher‘, der all die Geräusche, die das Publikum macht, aufnimmt und mit der Stimme verstärkt und wiedergibt. Ich komme in Resonanz mit den Geräuschen, derer die Zuschauer sich nicht bewusst sind.    Resonanz, oder besser: das Bewusstsein zu schwingen, bedeutet, den Reichtum, den das Beieinander-Sein birgt, wieder zu fühlen und zu erfahren – ein Objekt gerät in Resonanz, wenn die aktive Frequenz nahe oder gleich seinen eigenen Frequenzen ist. Genauso werden wir berührt an Orten, wo wir ähnlich fühlen, wo wir uns mit anderen identifizieren.    Es ist die Magie in seinem eigenen Körper etwas zu erfahren, das außerhalb von ihm erzeugt wurde, manchmal sogar weit weg von ihm. In diesem Sinne geht es auch um Empathie, um die Tatsache, dass wir vibrieren und passiv schwingen ohne es zu beabsichtigen, und uns dadurch mit etwas identifizieren. Daher ist die Resonanz emotional, aber auch physisch – durch meine Sinne wirst du dir deiner eigenen gewahr, und durch meinen Fokus auf meine körperlichen Grund-Mechanismen (Blinzeln, Atem, Speichel) wirst du dir deiner eigenen bewusst. Ich werde zu einem Medium, durch das du, wenn du zu dir selbst zurückkehrst, deine eigene Achtsamkeit erhöht hast.

Vergangene Resonanz wieder zum Schwingen bringen Und es gibt noch eine andere Art von Resonanz hier – die historische. Ich versuche, Helen Kellers Resonanz-Erfahrung mit Beethovens Stück – das wahrscheinlich geschrieben wurde als Resonanz auf etwas anderes, vielleicht auf die inneren Kämpfen eines musikalischen Genies, das langsam taub wurde –, wieder zum Schwingen zu bringen. Durch Kellers eindrucksvolle Worte werden wir daran erinnert, dass die Musik die Kraft hat, Grenzen von Territorien, von Einsamkeit oder Behinderung zu überschreiten. – Übersetzung aus dem Englischen von Meike Wagner – www.ariteperberg.com 1 Helen Keller (1880–1968) war eine amerikanische taub-blinde Intellektuelle, die als erste Person mit einer solchen Behinderung einen Studienabschluss (BA) erreichte. Sie war eine politische Aktivistin und Autorin mehrerer Bücher.

Ari Teperberg, And my heart almost stood still 2017. Foto: Efrat Mazor

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resonanzkatastrophen Aufschaukeln_Schichten_Verschleifen Ausgehend von den Schleifenbildungsphänomenen und Verdichtungen von Akkustik und Tonkunst stellt Kurt Hentschläger seine installativen Kunstprojekte in den Zusammenhang zu Ereignissen hochresonanter Begegnungen mit anderen Menschen, Umgebungen, Kunst/Kultur, die starke Gefühle auslösen. V o n K u r t H e n t s c h l ä g e r /// Irgendwann, vor Langem im gymnasialen Physikunterricht, hat sich mir ein Film über die Tacoma Narrows Bridge eingebrannt. Diese nordamerikanische Hängebrücke wurde 1940 eröffnet und stürzte spektakulär noch im selben Jahr wegen falsch eingeschätzter Windverhältnisse ein. Die dramatische Transformation einer scheinbar soliden Brücke in eine surreale, kinetische Skulptur faszinierte mich; ein alltägliches, statisches Stück Architektur flippte aus und vernichtete sich auf sublime Weise selbst. Die Brücke, vom Wind fatal beschwingt, schaukelte sich in bewegter Resonanz mit der Welt unkontrollierbar auf. Grenzwertig erschien mir das, im wahrsten Sinn des Wortes, als nämlich das Bauwerk diese extremen Verbiegungen erstaunlich lange durchhielt. Irgendwann war es ihm jedoch abrupt zu viel und es endete in katastrophaler Zerreißung und unmittelbarem Kollaps. Seitdem sind die Begriffe Resonanz und Katastrophe für mich untrennbar verbunden.    Zusammen erzeugen sie ein dynamisches Spannungsfeld, eine Metapher für Auf- und Erregung, Bewegung im Sinne einer Gratwanderung; ambivalent in ihrer Natur, tendenziell am Rande des Absturzes; riskant, aber zutiefst lebendig und existentiell sinnstiftend.

Schleifenbildung Ähnlich ist Feedback im Tonbereich ein prominentes Schleifenbildungs-Phänomen: Klang also, der sich selbst (rück)speist und damit mehr und mehr verdickt und verstärkt und – so nicht geregelt – schließlich in unsäglichem resonanten Kreischen explodiert. In einem Grenzbereich davor sind allerdings gar komplexe, schwebende, oft glockige Klänge zu finden, die sich quasi magisch aus dem Nichts aus einem Grundrauschen zu bilden scheinen. Das dramatische Prinzip liegt hier in der geschichteten Wiederholung. Aspekte des Klangmaterials werden verstärkt, andere ausgelöscht; weitere Frequenzen – etwa Obertöne – entstehen, fügen sich ein und animieren und verdichten Substanz. Das Feedback/Rückspeisungsschleifenprinzip lässt sich auch im visuellen Bereich und im Theater finden. Christoph Marthalers Stück "Die Stunde Null" etwa ist, aus dieser Perspektive, ein Schleifenschichtungs-Meisterwerk.    Die Verwendung von Loops – Endlosschleifen – ist auch in der Kulturgeschichte nichts Neues. Es gibt sie immer schon in religiösen, trancehaften Ritualen, wie generell in Musik oder Tanz; auch in Ornamentik und Mustern bis hin zu stereotypen Arbeitsprozessen. Was mich daran interessiert, ist jener Bereich einer Endlosschleifenumgebung, in dem sich mein kontrolliertes Sein nach einer Kurt Hentschläger, SOL 2017, CTM Festival Berlin. Foto: Timo Ohler

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Weile aufweicht und in den Hintergrund tritt. Der Loop wird zur Welt, zur allumfassenden Architektur und früher oder später wird damit auch das eigene Selbst zum Teil der Schleife. Zeit steht still oder scheint still zu stehen; Gegenwart ist akut. Was hat das mit Resonanzen zu tun, fragen Sie? Ich finde: alles. Der Loop ist ein MSTV – Mitschwingungstransportvehikel, eine IAE – insistierende Anregungseinheit, ein MKA – meditativer Kontrollabbau.

Zivilisation und Kontrolle Es bietet sich an, hier kurz über den Komplex von Zivilisation und Kontrolle zu reflektieren; oder konkreter der Illusion von Kontrolle, Sicherheit und Stabilität und damit allem, was uns im Alltag mehr oder weniger entspannt leben lässt. Zumeist verweist nur wenig, was sich am Ende eines Lebens als Erinnerungen eingebrannt hat, auf den Alltag mit den vielen pragmatisch notwendigen Verrichtungen und Erhaltungsabläufen. Im Gedächtnis bleiben uns lebendige dynamische, überraschende, konzentrierte Ereignisse; hochresonante Begegnungen mit anderen Menschen, mit Landschaften, mit Kunst und Kultur; mit allem, was uns aus Liebe, Zorn, Angst, Verzweiflung oder Glück, Genuss vibrieren lässt.    In diesem Sinne bilden die audiovisuellen Installations- und Performance-Arbeiten, die ich seit nunmehr über 30 Jahren kreiere, phänomenologische Erfahrungsräume, die Besuchende in jedem Fall zunächst emotional ansprechen und die erst in der darauffolgenden analytischen Rezeption auch intellektuell verarbeitet werden. Mit den immersiven Arbeiten, seit 2008, und ihrer minimalen, meditativen Natur, habe ich dabei die lautstarken Resonanzkatastrophen der 1990er und frühen 2000er-Jahre inzwischen hinter mir gelassen, denn Werke – wie Leben – brauchen nicht notwendigerweise immer die Vermessung von Schmerzgrenzen, um Intensität zu erzeugen. Wichtiger ist mir heute – im Sinne hoher Dynamik – Resonanzgrenzpotential auszuloten, in dem bereits alles angelegt ist, von kaum etwas bis viel zu viel. In der Anforderung an das Publikum meiner Arbeiten hat sich nichts geändert. Es geht immer noch darum, sich in der Rezeption über die Schwelle eigener Begrenzung zu wagen, auf Wahrnehmungsgewohnheiten (kurzfristig) zu verzichten und sich Ungewohntem auszusetzen. Im Idealfall liegt die Belohnung dafür in einer Art kathartischem Erleben.

Stimulation und Leere In der Installation SOL etwa, von 2017 und dieses Jahr beim Figurentheater-Festival in Erlangen gezeigt1, wird vom Publikum verlangt, vor dem Betreten ihre Telefone und andere Kommunikations-, Foto- oder Lichtemissionsgeräte abzugeben. Dies dient dazu, die vollständige Dunkelheit im Installationsraum aufrechtzuerhalten. Besucher müssen sich damit weitestgehend auf Gehör und taktilen Sinn verlassen und können sich nur immer wieder mal, für Bruchteilen von Sekunden, visuell orientieren, wenn abstraktminimale Lichtanimationen, von einer unsichtbaren LED-Wand, blitzartig den Raum erhellen und auf der Netzhaut der Besucher Nachbilder auslösen. Durch die Absenz mobiler Mediengeräte (smartphones) bleiben der Alltag und die Wahrnehmungsgewohnheiten vor der Tür. Ein Moment von Mediendiät, ohne soziale Medien-Interaktion, Selfies oder SMS-Nachrichten, schafft Zeit und Raum für eine meditative Sammlung, ohne das Rauschen und die Ablenkung, die von einer hypervermittelten, hyperverbundenen Welt konstant ausgehen. Im Gegenzug eröffnet sich eine Art herrlicher Leere, durchbrochen in Intervallen von hypnotisch sinnlichen Lichtsignalen. Der Wechsel zwischen Sinnesdeprivation und Sinnesstimulation, eingerahmt von einem ambienten, weitestgehend elektronischem Klangfeld, erscheint sowohl künstlich wie merkwürdig natürlich, und wird nach einiger Zeit zur Welt. – www.kurthentschlager.com 1 siehe auch Festivalbericht Seite 28

Kurt Hentschläger, SOL 2019, Internationales Figurentheaterfestival Erlangen. Foto: Kurt Hentschläger

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was schwingt denn da noch mit? Der Musiker Johannes Frisch im Gespräch mit Charlotte Wilde Vorbemerkung: Ich gebe zu, der Begriff der Resonanz hat für mich eher einen suspekten Charakter. Bisweilen hat man als Musiker mit Räumen zu tun, in denen das eigene Spiel Schwingungen hervorruft, die den gewünschten Klang unangenehm verzerren. Im übertragenen Sinn verwandt, ist das romantische ResonanzModell vom Theater als einer in den Menschen gefühlige Schwingungen anregenden Institution für mich eher unter Betroffenheitskitschverdacht. Auch als soziologischer Modebegriff steht die Resonanz für eine eher unkritische Theorie, die meinen ästhetischen Vorstellungen von Bühnenmusik, die viel mehr von Improvisation und Gegensatz, befruchtendem Kontrast, Autonomie der Mittel und Individualität des Ausdrucks denn von dramaturgisch-akustischer Gleichschaltung geprägt sind, zuwiderläuft. Und dennoch gibt es gerade im genreübergreifenden künstlerischen Prozess unbestreitbar Affinitäten und Annäherungen zwischen Musik, Raum und Objekt, die mit dem physikalisch-akustischen Begriff der Resonanz anschaulich beschrieben werden können. Frei assoziativ umkreist mein Interview mit der Bühnenmusikerin und -komponistin Charlotte Wilde, dem musikalischen Part des Figurentheaters Wilde und Vogel, dieses Themenfeld. Was verbindest du mit dem Begriff der Resonanz? Da denke ich zunächst einmal an Musikinstrumente, deren Schwingung man spüren kann. Im Bezug auf die Theatermusik scheint mir der Begriff nicht so sehr interessant, weil einseitig, da es ja technisch gesehen um einen Sender geht, der etwas zum Schwingen bringt. Im Verhältnis von Theater und Musik freilich sollte es auf mehreren Kanälen hin und her gehen. Positiv ist der Gedanke, dass ein Ton etwas auslöst. Charlotte Wilde und Johannes Frisch. Foto: Michael Vogel

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Du arbeitest seit vielen Jahren als Komponistin und Musikerin für das Figurentheater. Welche Beziehung können in deiner Arbeit Musik und Objekt miteinander aufnehmen? Bei uns sind es ja eher Puppen, Figuren und Masken als reine Objekte. Diese dienen als Spielfläche, auf der sich die Intentionen des Spielers mit meinen treffen. Die einfachste Konstellation wäre Michael Vogel, eine Figur und ich. Michael hat zwar die Ohren, aber die Auswirkung meiner Impulse zeigen sich in der Figur. Das ist im Grunde ein Spiel über Bande, zwei Menschen beziehen sich auf ein Material, das finde ich spannend. Mit einem Spieler, der nicht so offene Ohren hat, funktioniert das möglicherweise weniger gut. Umgekehrt läuft das Spiel aber auch, denn das, was ich sehe, wirkt inspirierend auf das, was ich spiele. Gibt es da ein gegenseitiges Schwingen, oder sich in Schwingung Versetzen? Das mag in einer Probe oder in einem Workshop eine Rolle spielen, wenn man improvisativ etwas herausfinden möchte. Wenn es aber beim gegenseitigen in Schwingung versetzen bleibt, ist das uninteressant, dann bleibt das letztlich eine Meditation oder Wellness-Veranstaltung. Das Interessante daran, dass man verschiedene künstlerische Mittel hat, ist doch, dass diese unterschiedlich arbeiten und Unterschiedliches ausdrücken. Zuviel Einklang öffnet keine neuen Räume. Welche Bedeutung hat Stille für dich im Bühnengeschehen? Stille ist wichtig und besonders interessant, wenn man noch den Nachklang vom Vorigen in den Ohren hat. Es gab mal eine Kritik, in der es hieß, man habe das Atmen des Nachbarn gehört. Es braucht eine Portion Mut, Stille zuzulassen, und braucht eine Weile, damit diese überhaupt als solche wahrgenommen wird. Die Zuschauer sind dann auf sich zurückgeworfen, das ist ein gravierender Moment. Der Musikeinsatz nach einer Stille ist dann auch wieder ein besonderer Augenblick. Ohne Stille gäbe es keine Einsätze, sondern nur ein Dahinplätschern. Welche Rolle spielen Fremdmusik und Zitat? Wie setzt du das ein und was klingt da mit? Es gibt zum einen fremde Musik, die ich mir zueigen mache. Emotional weiß ich dann schon nicht mehr, dass das nicht meine Musik ist. Andererseits gibt es offensichtliche Zitate. Da bringt man einen ganzen Kulturraum mit auf die Bühne. Die eigene Musik ist sehr nah, sie ist Teil des Stücks. Zitate haben dagegen ein eigenes Leben und können deshalb einen Kontrast, eine Spannung erzeugen. Theatermusik ist ja auch ein Mittel zum Zweck. Wenn man etwas beabsichtigt, was man selbst nicht liefern kann, sucht man nach einem passenden Zitat. Letztlich macht das Spiel mit Zitaten auch Spaß und ist horizonterweiternd, wobei die Übergänge fließend sein können. Es gibt ein schönes Elvis-Costello-Zitat, das besagt, dass man als Musiker immer klaut. Aber Zitieren ist in unserem Theater auf allen Ebenen präsent. Es gibt geniale Bilder, Musik und Texte, es wäre Quatsch, sie nicht zu verwenden. Du bist instrumental vielseitig unterwegs. Was bestimmt, welche Instrumente in einem Stück zum Einsatz kommen? Manchmal ist es einfach die Lust, ein Instrument auszuprobieren. Oder es gibt ein Thema, weshalb ein bestimmter Instrumentalklang als besonders passend erscheint. Das entwickelt sich meist aus dem Probieren. Hat man sich einmal für ein Instrument entschieden, ist das eine sehr prägende Entscheidung. Gelegentlich muss man diese im Dienste des Stücks auch wieder revidieren. Was nervt dich an der Arbeit als Bühnenmusikerin am meisten? Das sind zwei Sachen: Wenn geprobt und geprobt wird, und es kommt dann kein Wort zur Musik, das nervt sehr. Ich denke, die Regisseure sind häufig zu stark von den anderen Dingen gefordert, um sich gezielt auch noch mit der Musik zu beschäftigen. Manchmal liegt das aber auch an der puren Unfähigkeit, sich adäquat über Musik zu äußern. Zum Glück haben die Regisseurinnen und Regisseure, mit denen wir bevorzugt arbeiten, ein feines Ohr und die Fähigkeit musikalisch mitzudenken und selbst Vorschläge zu machen. Das andere Störende sind Reaktionen bei Aufführungen, die bemängeln, dass die Musik zu laut gewesen sei und man den Text nicht in Gänze verstanden habe. Da kommt keiner auf die Idee, dass es vielleicht auch am Spieler gelegen haben könnte und dass der Text schlecht oder im falschen Moment gesprochen wurde, was in solchen Situationen nicht selten der Fall ist. Was schätzt Du am meisten? Das gäbe es viel mehr zu nennen, vor allem aber: Ich liebe es, als Teil eines Theaterstücks aufzutreten, Teil eines Ensembles gleichwertiger künstlerischer Mittel zu sein. Zum anderen mag ich den Probenprozess, am Entstehen eines Theaterabends mitzuwirken, nicht nur musikalisch, sondern auf allen Ebenen auf einen Text oder ein Thema bezogen zu überlegen und rumzuprobieren. Ausschließlich ein Instrument bis zum Umfallen zu üben, das würde ich nicht fertigbringen. Was natürlich auch Nachteile hat. (lacht.) – www.figurentheater-wildevogel.de

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Die „Illusion des lebens“ Wie die Kunst des Puppenspiels ermöglicht, Medizin neu zu denken.1 Die Figurentheater-Künstlerinnen Marina Tsaplina, Jules Odendahl-James und Torry Bend berichten von ihrer Kooperation mit dem medizinischen Studiengang „Reimagine Medicine“ an der Duke University. Um der Krise des Gesundheitswesens in den USA zu begegnen, erarbeiten sie mit den Medizinstudent*innen künstlerische Experimente, in denen die Achtsamkeit auf den eigenen Körper und die Empathie gegenüber anderen gestärkt werden. V o n M a r i n a T s a p l i n a , J u l e s O d e n d a h l - J a m e s a n d T o r r y B e n d /// „Die Pädagogik des Leidens steht im Gegensatz zu Verwaltungssystemen, die Leiden nicht abbilden können, weil sie von den Bedürfnissen des Körpers abstrahieren. Wenn aber die Verletzlichkeit des Körpers und der Schmerz in den Vordergrund gerückt werden sollen, dann brauchen wir eine neue Sozialethik.“ Arthur Frank, The Wounded Storyteller    Der medizinische Sektor in den Vereinigten Staaten ist in der Krise. Burnout von Ärzt*innen weitet sich zur Epidemie aus, wenn 46% der Mediziner von „physischem oder mentalem Kollaps durch Überarbeitung und Stress“ berichten.2 Der Appell„Ärzte, ihr sollt euch selbst heilen“ war mit Blick auf die Sicherheit der Patient*innen und des gesamten Berufsstandes noch nie dringender als heute.3 Der amerikanische Gesundheits- und Pflegesektor wird geplagt von festgefahrener rassischer und ökonomischer Ungleichheit und Geschlechterungerechtigkeit. Als Reaktion darauf wurden in den letzten dreißig Jahren Proteste von Patient*innenund Behindertenorganisation laut, die eine Stärkung der Selbstbestimmung in der Krankheitserfahrung einfordern.    Aber wie können wir Individuen dazu auffordern, sich selbst zu heilen, in einem System, das keinen Spielraum dafür bietet? Es handelt sich um eine systemische Krise, die alle Facetten des Gesundheitswesens im 21. Jahrhundert betrifft: das Wegrationalisieren von Pflegediensten, Pfleger*innen und Ärzt*innen, das Negieren von Körpern und Stimmen der Patient*innen. Die profitgierige Gesundheits-Industrie reduziert Menschen zu biologischen Einheiten, gesetzlichen Haftungen, Dollar-Zeichen und Verwaltungsbelastungen. Ärzt*innen sind trotz ihrer „top of the food chain“-Stellung nur mehr Aushängeschilder, ihre Selbstbestimmung wird von Bürokratie und der Technologisierung der medizinischen Anwendungen extrem eingeschränkt. Die kranken und zu pflegenden Körper werden zu Objekten, die im Rahmen der Versicherungsregularien untersucht, kontrolliert und kategorisiert werden. Hinzu kommt, dass die medizinische Ausbildung von künftigen Ärzt*innen und Pfleger*innen stark von der naturwissenschaftlichen Perspektive dominiert, wenn nicht sogar monopolisiert ist und eine vollkommen mechanische Sicht auf den Körper evoziert.    Im Sommer 2018 haben die Autorinnen dieses Textes das Unterrichtsmodul „Puppetry and Embodied Imagination“ als Teil des neuen Programms „Reimagine Medicine“ im Rahmen der vorklinischen Ausbildung für Bachelor-Studierende an der Duke University entworfen. Das Ziel dieses Programms ist es, die Persönlichkeit, die Praktiken und die philosophischen Grundlagen, die für die Arbeit im Kontext von menschlichem Leid, Verlust und Tod erforderlich sind, zu stärken.    Die zentrale Rolle der Künste bei der Bewältigung dieser Aufgabe wird durch Dr. Raymond Barfields Zusammenarbeit mit der Puppenspiel-Künstlerin und Aktivistin Marina Tsaplina bei der Entwicklung des Programms verdeutlicht. Das Puppenspiel wurde nicht nur für die Erforschung der kreativen Imagination oder des ‚storytelling‘ zum zentralen Mittel, sondern diente auch dazu, die Verkörperung selbst, die im Rahmen der Erfahrung, Diagnose und Therapie von Krankheit gemeinschaftlich entsteht, zu untersuchen. Wir begannen zu analysieren, wie die Praxis des Puppenspiels Präsenz, Aufmerksamkeit und Imagination kultivieren kann.

F o r m a l s I n h a lt Um eine „Illusion von Leben“ im Puppenspiel zu erschaffen, braucht es einen Vertrag zwischen Puppenspieler*in und Zuschauer*innen. Die Puppe ist ein materieller Hort für reine Imagination, wo Künstler*innen die Spielregeln setzen, indem sie die Anerkennung der Handlungen des Objekts – sein ‚Leben‘ – durch die Zuschauer*innen vorwegnehmen. Wenn die Illusion erfolgreich ist, dann wird das Objekt zu einem Subjekt, das in der Lage ist, eine Beziehung zu den Zuschauer*innen aufzubauen. Diese Identifikation führt zur Erfahrung von tiefgründiger Schönheit, Trauer, Lachen und Freude im Puppentheater. Wenn ihre poetischen Potentiale über die spezifische Erzählung hinaus aufgerufen werden, dann kann die gleiche Geschichte vielfache Lesarten beinhalten.    Wir haben anhand der wenigen Beispiele aus der medizinischen Literatur drei Bereiche ermittelt, in denen Puppenspiel im Gesundheitswesen eingesetzt wird:

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1) um Informationen zu Gesundheit oder Medikationen zu vermitteln; 2) um Empathie und zwischenmenschliche Kommunikation an Pfleger*innen, Ärzt*innen und Studierende zu vermitteln; 3) um Repräsentationslücken zu füllen in den Erzählungen über Krankheit für Patientengruppen und für die weitere Öffentlichkeit, insbesondere in Bezug auf Individuen mit Behinderung.    Die beiden Puppenspielerinnen und Wissenschaftlerinnen Laura Purcell-Gates und Emma Fisher geben zu bedenken, dass „Puppen als materiell konstruierte Körper, ‚kulturelle‘ Konstruktionen ‚des behinderten Körpers‘ sowohl verstärken als auch brechen können.“6 Dementsprechend waren wir fest davon überzeugt, dass wir den überwiegend nicht-behinderten Körpern der Student*innen von „Reimagine Medicine“ nicht die ‚Illusion‘ eines Lebens in Krankheit gegenüberstellen sollten, in der das Objekt/ die Puppe ein Mechanismus zur Darstellung von Behinderung wird. Stattdessen gingen wir davon aus, dass der Fokus auf die für das Puppenspiel wesentliche Konstruktion einer Illusion von Leben die Möglichkeiten bietet, den Körper und das Sein als Prozess zu begreifen, indem man die Schichten der Kunstform selbst nach und nach offenlegt. Dadurch gerieten fundamentale Vorstellungen von unserem Sein als ‚Körper in der Welt‘ überhaupt in den Blick. Studierende im Figurentheater-Seminar, Reimagine Medicine, 2018. Foto: Neha Aggarwal

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Der poetische Körper Wir begannen unsere Unterrichtseinheit nicht mit Puppen, sondern mit den eigenen Körpern der Studierenden. Die insgesamt 18 Stunden dauernde Workshop-Serie knüpfte ein enges Netz von verschiedenen theaterpädagogischen Ansätzen, die den Körper ins Zentrum stellen: Margolis-Methode, LinklaterStimmtraining, Pochinko ClownsTechnik, Action Theater Improvisation und das Animationstraining des Sandglass Theater.    Die Grundannahme war, dass Präsenz und Achtsamkeit Motoren der Imagination sind, die ein Bewusstsein über die persönliche Verkörperung kultivieren, durch das die Studierenden beginnen, die Geschichte (das Zeugnis) ihres eigenen Körpers und der Körper der anderen zu verstehen. Die Arbeit konzentrierte sich auf Praktiken in der Beziehung und dem Spannungsverhältnis zu uns selbst sowie zwischen uns und anderen; d.h. wir verorteten Imagination sowohl innerhalb des Körpers als auch durch ihn: den persönlichen und den kollektiven Körper, Mensch und Puppe, sozial und historisch.    Nach dreieinhalb Tagen Körperpraxis führten wir einfache Stabpuppen mit Schaumstoffkugeln ein, die an Trainingsformen des Sandglass Theater angelehnt waren. Die Aufgabe der Studierenden war es, über die eigene Atmung eine Beziehung zum Objekt aufzubauen, während sie ihre imaginative Reichweite ausdehnten, um durch das Objekt ‚wahrzunehmen‘ und eine Reaktion auf Stimuli zu entwickeln. Wir gaben ihnen ein einfaches Szenario an die Hand: eintreten, atmen, etwas sehen, darauf reagieren, abgehen.    Als zweite Puppenform gaben wir ihnen eine Reihe von Puppen mit Leder-Schnapp-Gelenken nach dem Design von Hansjürgen Fettig, die von mehreren Spielern geführt werden. Die Möglichkeit, die Körperteile der Puppe neu zu kombinieren und damit neue ‚Körperrealitäten‘ zu erschaffen, beleuchtete das Wesen von Krankheit/Behinderung und forderte von jeder Spieler*innenGruppe, eine neue Basis des Seins für die veränderten Körperformen zu finden, welche die Vorstellungen von ‚normal‘ oder ‚Standard‘ in Frage stellte. Der Einsatz von Schnapp-Gelenken war kein anatomischer ‚Trick‘, sondern offenbarte vielmehr die anatomische Funktion. Wir gehen davon aus, dass der gesunde Körper gegeben und transparent ist, bis er irgendwann einmal nicht mehr funktioniert und seine Konstruiertheit offen sichtbar wird. So wurde die ‚Geschichte‘, die wir erzählten, zu einer Bewegung zwischen verschiedenen Anordnungen von Kohärenz, und gerade in dieser Vermengung von Formen konnten wir das Leben finden. Eine dieser Anordnungen von Schnapp-Gelenk-Puppenteilen wurde von den Studierenden nach einer Bewegungs-Meditation entwickelt, die aus ihren Körpern die entsprechenden Bilder hervorbrachte. Diese Visualisierungen wurden von Torry Bend und Marina Tsaplina in eine Sammlung von Design-Gesten umgesetzt: individuelle Puppenkörper-Teile, die dann zu vier Puppen komponiert wurden. Dies brachte die eigene Imaginationserfahrung der einzelnen Studierenden in eine greifbare Form, die in Beziehung mit den verkörperten Imaginationen anderer Studierender stand. Diese Puppen wurden so zum Ergebnis von Aushandlungen einer kollektiven Imagination, genauer: indem individuelle Konzepte in ein kohärentes Ganzes geformt wurden, das durch die Verwendung der flexiblen Schnappgelenke jedoch immer die Möglichkeit einer erneuten Durchkreuzung und Unterbrechung barg.

Holistische Medizin Jede klinische Kommunikationssituation erfordert empfindliche Verhandlungen einer Definition von Realität zwischen dem, was das Pflege- und Ärztepersonal dem Patienten/der Patientin über den Zustand X erzählt, und dem, was die betroffene Person selbst von ihrem Zustand X versteht und in ihm erfährt. Diese Verhandlung zwischen den Patient*innen und den Ärzt*innen wird durch Puppenspiel erneut sichtbar. Für die Studierenden des Programms „Reimagine Medicine“ ist dieses komplexere Verständnis von Studierende im Figurentheater-Seminar, Reimagine Medicine, 2018. Foto: Robert Zimmerman

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Krankheit produktiv. In unserem Puppen-Seminar trifft nun die wissenschaftliche Materialität des Körpers, die die Studierenden durch Chemie und Biologie erlernen, auf ein metaphorisches Verständnis. Atem/Stimmarbeit, Clown-Übungen und Puppenspiel (wenn auch nur auf Basisniveau) kultivieren eine poetische Materialität; ein Zusammenschluss von Atem, Körper, Stimme, Gefühl, Denken und Imagination erzeugt Bedeutung. Diese neue Sicht auf Materialität stand nicht notwendigerweise im Dienst eines medizinischen Narrativs (z.B. mit Puppen eine Geschichte von Empathie zwischen Doktor und Patient erzählen). Stattdessen nutzten wir die Puppen, um Strukturen von Sein (allein und in Beziehung) hervorzuheben, die abstrakt und zerbrechlich sind, sogar in ihrer kompromisslosen Materialität. Wir zwangen die Studierenden zu fragen: Was befindet sich in diesem Objekt vor mir? Wie will es sich bewegen und sein? Das Ziel war es, die einzigartigen Wege aufzuzeigen, wie Objekte sprechen, wie sie mittels der ihnen eigenen physischen Bedingungen verhandeln, jenseits von Sprache. Dadurch wurden die Dynamiken, die man in klinischen Kommunikationssituationen findet, manifest und wahrnehmbar.    Wir forderten von den Studierenden, sich auf Verkörperung außerhalb eines offensichtlichen Klinikrahmens zu fokussieren. Die Puppen hatten keine Rollstühle oder Infusionsschläuche; es waren keine offensichtlich leidenden Körper. Stattdessen beobachteten die Studierenden ihren eigenen bewussten und unbewussten Atem, erzeugten eine kollektive Handlung ohne Worte, und bewegten den Puppenkörper von einer Stelle zur anderen, indem sie das Objekt außerhalb ihres Körpers, aber in Harmonie mit ihm manipulierten. Diese Übungen entwickelten in ihnen zunehmend und wiederholt ein Bewusstsein davon, was es heißt, ein ‚Körper in der Welt‘ zu sein. Sie nahmen keine Objekte zur Hand, um Geschichten über das Sein zu erzählen, sondern sie erschufen ein ‚ins Leben kommen‘. Eine kritische Intervention in die Praxis des Gesundheitswesens, auf sozialer Gerechtigkeit fußend, sieht so aus: Förderung einer kultivierten Achtsamkeit für die Person vor dir als ein menschliches Wesen wie du selbst.    Die Praxis der entkörperten Medizin hat im 21. Jahrhundert eine Krise des Gesundheitswesens und der Pflege erzeugt. Unser Fokus auf Puppenspiel und Physical Theatre-Praktiken als medizinisch-humanwissenschaftliche Forschungsmethode ist einzigartig für „Reimagine Medicine“. In der Schlussrunde unseres Seminars sagte ein Student: „Was ich hier mitnehme, ist, dass Ganzheit nicht bedeutet, dass es keine Gebrochenheit gibt.“ Wir fühlen uns ermutigt anzunehmen, dass derartiges Bewusstsein eines künftigen Arztes das Potential unserer Arbeit zeigt, nämlich die persönlichen, sozialen und bürgerlichen Brüche im Körper der Medizin zu heilen. – Übersetzung aus dem Amerikanischen von Meike Wagner

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Eine lange Version des Textes in englischer Sprache wurde in Puppetry International, Fall/Winter 2018, No. 44, veröffentlicht unter dem Titel „Attending to the ‚Illusion of Life‘: Reimagining Medicine Through the Art of Puppetry Practice“. https://www.medscape.com/viewarticle/774827 https://catalyst.nejm.org/physician-well-being-efficiency-wellness-resilience/ https://www.theguardian.com/commentisfree/2018/jan/14/why-are-there-still-so-few-female-doctors https://news.vice.com/article/why-are-there-so-few-minority-doctors-united-states “Puppetry as reinforcement or rupture of cultural perceptions of the disabled body”, Research in Drama Education: The Journal of Applied Theatre and Performance (2017).

Marina Tsaplina und Studierende im Figurentheater-Seminar, Reimagine Medicine, 2017. Foto: Neha Aggarwal

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Begegnungen zwischen individuum und kollektiv Das 21. Internationale Figurentheaterfestival in Erlangen, Nürnberg, Fürth und Schwabach V o n C h r i s t i n a R ö f e r u n d A n k e M e y e r /// Es herrschte bestes Sommerwetter in Franken, während das 21. Internationale Figurentheaterfestival seine rund 22.000 Besucher*innen vom 24. Mai bis 2. Juni 2019 mit einem gewohnt vielfältigen Programm quer durch die Metropolregion führte. Neben den altbekannten Veranstaltungsräumen – wie dem Erlanger Markgrafentheater, dem Schwabacher Stadtmuseum, der Nürnberger Tafelhalle oder dem Fürther Kulturforum – wurde mit „La Spire“ von Chloé Moglia/ Rhizome und ihrer riesigen, spiralförmigen Stahlkonstruktion die Wiese am Europakanal akrobatisch bespielt, AKHE lieferten mit „Utopie“ eine anarchische Feuershow auf dem Erlanger Großparkplatz, der amerikanische Street Art-Künstler David Zinn ließ seine kreidegezeichneten Phantasiewesen „Sluggo & Phil“ durch die Fürther Innenstadt ziehen und Rimini Protokoll befragten mit dem Publikum an Bord eines zur Tribüne umgebauten LKWs in „DO‘s & DON‘Ts“ die sichtbaren und unsichtbaren Regeln der Gesellschaft bei einem Roadtrip durch Nürnberg.

Sich selbst begegnen statt zuschauen In eine besondere Umgebung begibt man sich auch, wenn man entlang der massiven Mauern in den Erlanger Burgbergkeller hineinläuft und in der vollkommenen Dunkelheit schließlich jegliche Orientierung verliert. Plötzlich blitzen auf einer riesigen Leinwand nur für Sekunden grelle Muster und Formen auf und offenbaren nicht nur die beeindruckende Größe des Gewölbes, sondern hinterlassen visuelle Eindrücke, die unmittelbar auf der Netzhaut nachhallen, während tiefe Klangimpulse den Körper durchdringen. Ähnlich wie bei „FEED“ – Kurt Hentschlägers immersiver Installation, die uns bereits 2009 im Experimentiertheater mittels dichtem Nebel und Stroboskoplicht in eine psychedelisch-rauschhafte Farben- und Musterwelt eintauchen ließ – scheint auch seine aktuelle Arbeit „SOL“ Raum und Zeit aufzulösen und konfrontiert die Besucher*innen mit der eigenen Wahrnehmung, indem unmittelbar erlebte visuelle, akustische und sensorische Resonanzen ästhetischer Vorgänge das gewohnte Körperempfinden radikal herausfordern.    Moran Duvshanis „Cardiophone“ lenkt die Aufmerksamkeit noch weiter ins Körperinnere und nimmt die Besucher*innen während ihrer Einzeltermine mit auf eine Reise zu sich selbst. In der Stille und Geborgenheit der Neustädter Kirche werden im Laufe dreier, immer weiter den Turm hinaufführender Stationen zunächst die Herztöne aufgezeichnet und in einen Lochstreifen gestanzt, der dann schließlich mittels einer Spieluhr die ganz persönliche Herzmelodie erklingen lässt – simpel und berührend zugleich. Das spätabendliche Konzert, in dem die Herzmelodien des Tages zart, kaum hörbar, abgespielt werden und der Erlanger Organist Klaus Treuheit darüber kraftvoll und sensibel improvisiert, erweitert dann die kunst-volle Selbsterfahrung in den öffentlichen Raum. Olivier de Sagazan: Transfiguration. Foto: Georg Pöhlein © internationales figuren.theater.festival

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Hier zeichnet sich ein Themenkomplex ab, der in unsere Diskussionen über das Erlanger Programm dieser Festivalausgabe immer wieder Eingang gefunden hat: die Beziehung von individueller und gemeinschaftlicher Erfahrung oder, noch grundsätzlicher, von Individuum und Kollektiv. Dabei nehmen die beiden gerade vorgestellten Inszenierungen insofern eine Sonderstellung ein, als sie aus einem in der Regel als Masse empfundenen Publikum dezidiert wieder Einzelpersonen und mehr: Einzelakteur*innen machen, die erst im zweiten Schritt ihr (intuitives?) Tun und Erleben als Teil von etwas Größerem – einer Gruppe, einer Community, eines Projektes – reflektieren.    Auch Dries Verhoevens Installation „Guilty Landscapes“ bedient sich dieser Strategie, wenn er einzeln eingelassene Zuschauer*innen mit Videobildern von Akteur*innen in (wahrscheinlich asiatischen) Textilfabriken wie auch anderen, fast ikonografischen Orten kapitalistischer Verheerungen konfrontiert und grundlegende Irritationen über Betrachten oder Betrachtetwerden, vorgetäuschte oder wirkliche Begegnung ebenso aufwirft, wie zwingende Fragen an individuelles ästhetisches Produzieren und Erleben im sozialpolitischen Kontext.

Auf der Bühne ins Innerste Das Innere des Menschen und dessen Beziehung zur Außenwelt erkundet auch der Maler, Bildhauer und Performancekünstler Olivier de Sagazan, wenn er in „Transfiguration“ mit Lehm, Farbe, Stroh und dem eigenen Körper eine sich ständig wandelnde Skulptur erschafft. Die unaufhaltsame Metamorphose lässt durch das Auftragen, Modellieren und Durchbohren immer weiterer Schichten auf verstörende (und in der grotesken Vehemenz teils amüsante) Art in tiefste Abgründe einer getriebenen menschlichen Psyche blicken, die auf der schamanistischen Suche nach ihrer Identität weder Tier, Tod noch Teufel auslässt. Moran Duvshani, Cardiophone. Foto: Georg Pöhlein © internationales figuren.theater.festival

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Wahrlich ermächtigend liest sich die Tanzproduktion „aSH“ der Compagnie 111/Aurélien Bory. Die ebenso von klassischem indischen Tanz wie von Pina Bausch geprägte Shantala Shivalingappa begibt sich darin ganz in schwarz gekleidet in einen soghaften Kreislauf der Annäherung an den in ihrem Namen enthaltenen Shiva, den hinduistischen Gott des Erhalts und der Zerstörung der Welt. Zur eindringlichen Musik des Perkussionisten Loïc Schild nimmt sie den großen Raum Stück für Stück ein, indem sie mit beeindruckender Präzision und Energie ein Mandala aus verstreuter Asche entstehen lässt, bis auch sie am Ende, gleich Shivas Körper, gänzlich mit dem weißen Staub bedeckt ist.    Auch Rabih Mroués „Rima Kamel“ zeigt einen sehr persönlichen Bezug der Performerin zu ihrer Bühnenfigur auf. In der Lecture-Performance arbeitet sich die Sängerin Rima Khcheich durch Fotos, Videos und Erinnerungen ihrer Karriere. Während sie nun im Dialog mit den Bildern der Vergangenheit ihre eigene Geschichte spinnt, wird klar: Der einstige Kinderstar Rima Kamel, ihr Alter Ego, wurde von der Gesellschaft geformt – von einflussreichen Männern protegiert und politisch instrumentalisiert, vom Publikum wegen ihrer Darbietung traditioneller Lieder zur „Stimme der Nation“ des vom Bürgerkrieg tief zerrissenen Libanon erkoren. Die Eroberung der eigenen Biografie scheint gelungen, wenn die heute 45-jährige ihre musikalischen Neuinterpretationen überzeugend und selbstbewusst vorstellt.

M i t „ ko m p o n i e r t e n R e a l i tät e n “ g e g e n d e n R e s t d e r W e lt Das für seine multimedialen Performances bekannte belgische Kollektiv Berlin widmet sich einer Kunstfigur im mehrfachen Sinne: Geert Jan Jansen berichtet in „True Copy“ von seinen spektakulären Fälschungen weltberühmter Gemälde, mit denen er die Kunstwelt über 20 Jahre lang hinters Licht führte. Mit der graduellen Dekonstruktion der aufwendig gewebten Dramaturgie des Stücks – etwa wenn sich der Live-Blick der Kamera in das hinter der Bühne nachgebaute Atelier Jansens letztlich als Aufzeichnung entpuppt – werden die inhaltlichen Fragen nach Wahrheit, Wirklichkeit und Verantwortung auch formal aufgegriffen. Was im Programmheft treffend als „Komposition von Realität“ beschrieben wird, nährt eine beständige Verunsicherung über das Gesehene, die auch der (vermeintliche…?) Jansen nicht auslöschen kann.    Der in Wien lebende Performancekünstler Michikazu Matsune begreift Wahrheit als eine Frage der Interpretation und proklamiert Täuschung als Moment der Ermächtigung über diskriminierende Strukturen. So nähert er sich in seinem spekulativen Reenactment „Dance, if you want to enter my country“, in dem er sorgsam recherchierte Informationen mit eigenen Reiseerfahrungen verschränkt, den Erlebnissen des Tänzers Abdur-Rahim Jackson, der bei seiner Einreise nach Tel Aviv von Grenzbeamten zum Beweis seiner Künstlerschaft zum Tanzen aufgefordert wird. Dabei entlarvt Matsune Rassismus und Überwachungswahn als Ausdrücke von (westlicher) Paranoia und führt diese mit subtilem Humor ad absurdum. Das Ausloten tatsächlicher Grenz-Überschreitungen erreicht den Höhepunkt, als er seinen Reisepass präsentiert, für dessen Foto er sich die Augenbrauen abrasiert und als Schnurrbart wieder angeklebt hat – eine irgendwie gefälschte und nun doch hochoffizielle Version seiner selbst.    Von einem der Welt seltsam entzogenen Eigenbrötler erzählt Philippe Quesnes mittlerweile fast schon zum Klassiker avanciertes Kammerspiel „L‘Effet de Serge“, in dem die Hauptfigur – brillant gespielt von Gaëtan Vourc‘h – selbstausgetüftelte Special-Effects präsentiert. Diese musikalisch untermalten Licht- und Nebeleffekte brechen in ihrer Simplizität mit einer nie wirklich aufgebauten und TJP Centre Dramatique National d‘Alsace Strasbourg / Renaud Herbin, At the Still Point of the Turning World. Foto: Georg Pöhlein © internationales figuren.theater.festival

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doch permanent im Raum stehenden Erwartung, und während sie auf narrativer Ebene radikal scheitern, überzeugen sie in der spektakulär unspektakulären Umsetzung auf voller Linie. Vourc‘hs präzise Situationskomik potenziert sich, wenn wir Erlanger Laiendarsteller*innen, die als geladene Gäste auftreten, dabei zusehen dürfen, wie sie Serges Vorstellungen mit einem halb souveränen, halb hilflosen „interesting“ oder „very nice“ kommentieren. Obwohl bereits 2007 entworfen, wirkt Quesnes Stück keineswegs alt – erzählt es doch vom universellen menschlichen Bedürfnis nach Kommunikation und Anschluss.

Dynamische Kollektive In Suchbewegungen Einzelner, die sich mit der Dynamik einer Gruppe aufladen, durchmisst das aus sieben Absolvent*innen der HMDK Stuttgart bestehende Tangram Kollektiv einen fast leeren Raum. Befremdlich und doch ergreifend, im übertragenen wie im wörtlichen Sinn, leuchten zu Beginn von „Ein Fisch im Weltraum“ ganz zart ihre Hände aus dem Dunkel, bilden eine Phalanx der Verletzlichkeit. Unterstützt von dem Lichtkünstler Joachim Fleischer und dem Regisseur Ariel Doron erproben die jungen Spieler*innen diverse Möglichkeiten, als Individuum und zugleich Teil eines Ganzen zu agieren, fremde Räume zu betreten, die durch Licht, Schatten, Klänge und schließlich Nebel immer wieder neu und überraschend definiert werden – bis hin zu einer Choreografie animierter Nebelschwaden, die das reflektierte Licht zu sphärischen Körpern werden und alles andere in der höchst vergänglichen Schönheit dieses Moments verschwinden lässt.    Ganz anders ausgelotet wird das Verhältnis von Menge und Individuum in Renaud Herbins (tjp Strasbourg) szenischer Installation „At the still point of the turning world“, mit der das Festival in Erlangen eröffnet wurde. Hier erscheint eine uniforme Masse – in Form einer Vielzahl kleiner, an Seilen hängender weißer Säckchen, die in der Bewegung den seltsam figuralen Ausdruck von EinFaden-Marionetten erhalten – vor allem als hochästhetisches Phänomen einer Vielheit, die als Ganzes immer neue Zustände generiert. Eine Art Dramaturgie der Kipppunkte, ausgelöst von zwei versierten Animatoren am Bühnenrand und einer mit diesem wunderbar wendigen Massen-Objekt kommunizierenden Solotänzerin, triggert poetische Mutmaßungen, bindet diese aber vorwiegend an die Präsenz der beeindruckenden Objektinstallation. Was die Aktionen der Tänzerin, der begleitenden Musikerin und sogar der einsamen, nackten Marionette nicht immer zwingend erscheinen lässt.    Am Ende richtet „Forecasting“ von Barbara Matijevic und Giuseppe Chico den Blick auf eine unüberschaubare Masse von Menschen bzw. Usern und adressiert sie zugleich: In einem präzise getimten Pas de deux mit ihrem Laptop lässt Matijevic ihren Körper virtuos mit Ausschnitten aus Youtube-Tutorials verschmelzen und schafft so, in transhumanistischer Manier und einer klugen Dramaturgie folgend, eine experimentelle Erzählung über Möglichkeiten der (Selbst-)Darstellung und Manipulation. Virtueller und realer Raum, 2D und 3D verschwimmen und drehen Individuum und Kollektiv in dieser rasanten Best-of-Zusammenstellung alltäglicher Banalitäten und skurriler Fundstücke mal grotesk bis verstörend, mal brüllend komisch durch den Fleischwolf.

Next Generation(s) Wenigstens ein paar Worte noch zum Kinderprogramm: Mit Florschütz & Döhnerts „Elektrische Schatten“ war auch in diesem Segment eine Arbeit zu sehen, die sich auf hohem Niveau und in großer Zuneigung zu ihrem Publikum mit der kindlichen – oder besser: menschlichen – Wahrnehmung in Zeiten technisch-digitaler Dauererregtheit befasst. Ganz unbetulich „handwerklich“ geht es in „Einmal Schneewittchen, bitte“ vom Theater Anna Rampe zu, einem theatralen Grundgestus geschuldet, der mit Witz und (für Kinder manchmal fast zu viel) Ironie aus gut abgehangener und perfekt dargebotener Puppen-Schauspielkunst erstaunlich Frisches bereitet. Und auch das szenische Konzert „Karneval der Tiere“, mit dem Thalias Kompagnons das Kinderprogramm in Erlangen beschlossen, erfand das Theater nicht ganz neu, machte aber mit lebendiger Vortragskunst und kuriosen, live gemalten Bild-Assoziationen „tierischen“ Spaß – im Gegensatz zu Miet Warlops etwas grobem Überwätigungspektakel für Kinder „Big Bears Cry Too“.    Spaß hatten wohl wiederum die vielen Studierenden aus Stuttgart, Berlin, Bochum und Prag im Rahmen des bereits Tradition gewordenen „Internationalen Jungen Forums“. Sie begleiteten das Festival nämlich nicht nur als Zuschauer*innen, sondern bereicherten es mit künstlerischen Versuchen, Demonstrationen, Provokationen und anregenden Debatten. Und auch der achte doubleDiskurs zum Thema Gewalt und Spiel, die zahlreichen Inszenierungsgespräche und Workshops sowie die lebhaften Gespräche in den Erlanger Cafés und Kneipen rund um die Vorstellungen schlugen nachhaltige Brücken zwischen Individuum und Kollektiv – im intensiven Austausch über das individuell und doch gemeinsam Gesehene und Erlebte. – www.figurentheaterfestival.de Barbara Matijevic´ & Guiseppe Chico, Forecasting. Foto Georg Pöhlein © internationales figuren.theater.festival

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qu´est-ce que l´homme? was ist ein mensch? Das 20. Festival Mondial des Théâtres de Marionnettes zeigt philosophisches, literarisches Theater Es war – wie immer in Charleville-Mézières – ein Festival der Superlative: 104 Compagnien aus 28 Ländern, 440 Vorstellungen, 18 Koproduktionen – und das nur im offiziellen Programm. Ein mindestens ebenso großes Off-Programm mit eigenen Spielorten überall in der Stadt zeigte im September 2019 die unglaubliche Vielfalt der französischen Figurentheater-Szene. Das Institut français lud nun Veranstalter*innen aus zwölf Ländern ein, einige französische Gruppen in einem kleinen Schwerpunkt kennenzulernen – ein Beweis auch für die Wertschätzung des Genres in Frankreich. Unsere Autorin berichtet über diesen Programmausschnitt. V o n M a s c h a E r b e l d i n g /// „Wann geht es endlich los?“ „Wie lange dauert das Stück?“ „Ich weiß nicht, aber mit diesen harten Sitzen kann es nicht länger als eine Stunde dauern.“ „Wann kommt der Kasper?“ Da sitzt es nun, das Publikum und wartet: Gegenüber der kleinen Holztribüne mit dem menschlichen „echten“ Publikum sitzen nämlich in „On était une fois“ (grob übersetzt „Man war einmal“) von der Cie. 36 du mois knuffige Stofftiere auf noch kleineren Bänken und warten auf den Beginn der Vorstellung. Zu diesem „Bühnenpublikum“ zählen ein nachdenklicher Affe, ein verirrtes quietschendes Küken, ein distinguierter Wolf und ein Schlappohrhase, der als einziger das Programmheft zum Stück gelesen hat. Computergesteuert und mit ganz unterschiedlichen Stimmen (alle eingesprochen von Emmanuel Audibert, der auch die Bühne und die Figuren ausgetüftelt hat) wechseln die Dialoge vom Banalen zum Philosophischen, verharren nicht in der Satire, sondern erweitern das Bild des Zuschauers auf eine höhere Ebene: Ziehen wir uns nicht oft auch im Leben auf den Standpunkt des Zuschauers zurück, sprechen lieber vom „On“, vom „Man“, der dringend etwas tun, etwas ändern müsste? Auf der kleinen runden eigentlichen „Bühne“ sind unterdessen, ebenfalls computergesteuert und begleitet von Jazz-Musik, Szenen mit winzigen Menschenfiguren zu sehen, spielen sich kleine Begegnungen ab, ein Konzert ... Nicht nur die Stofftiere sind begeistert. Cie. Areski, Millefeuilles. Foto: Lukasz Areski

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Aber wenn man – oh je, schon wieder! - sich vom „man“ verabschiedet, was ist eigentlich das Ich? Was macht einen Menschen aus?    Die Cie. Trois Six Trente stellt sich in „Alors Carcasse“ anhand des mit dem Robert-Walser-Preis ausgezeichneten Textes von Marie Navarro dieser Frage, nähert sich dem epischen Gedicht und der darin 301 mal genannten Hauptfigur Carcasse (übersetzt in etwa: Gerippe) szenisch an. Fünf Spieler*innen fügen unterschiedliche Holzstäbe zu immer neuen Strukturen zusammen, versuchen, den gestaltlosen „Carcasse“, sein Wesen, abzubilden, um es sogleich wieder auseinanderzunehmen. Doch der Text ist anspruchsvoll und widerständig, er bleibt vielen, auch französischen Muttersprachler*innen im Publikum fremd.    Etwas anders geht die Compagnie Tro-Héol die Frage nach dem Wesen des Menschen in „Le Chita-complexe“ an. In ihrer mit großäugigen Stoffpuppen rund um ein großes drehbares Metallrad rasant und mit viel Musik von Queen für junges Publikum in Szene gesetzten Coming-of-Age-Geschichte muss sich ein kleiner Junge im Spanien der 1980er Jahre mit seinem strengen Vater auseinandersetzen, der ihn auf einem Bauernhof zum „Mann“ erziehen will. Der Junge nimmt allerdings das Wort „Homme“, das im Französischen zugleich Mann und Mensch bedeutet, sehr wörtlich – und muss sich fragen, was er eigentlich ist, wenn denn kein Mann/Mensch? Ein Tier? Der Konflikt mit dem Vater eskaliert, da weder der Junge noch seine Schwester den stereotypen Geschlechterrollen entsprechen wollen. Wie also Mensch bleiben und Mann werden?    Die Cie. La Main d'Œuvres sucht in „La rêve d'une ombre“ (Der Traum eines Schattens) auf der Folie von Hans Christian Andersens Kunstmärchen „Der Schatten“ nach dem Wesen des Menschen. In traumhaften Bildern, die Projektionen, Körperschatten und Film kombinieren, löst sich auch hier, wie im Märchen, der Schatten (ein leerer Anzug, geführt von einem Puppenspieler) vom Körper, lässt seinen Menschen zurück, versucht ihn schließlich zum Schatten seiner selbst zu machen und die Rollen zu tauschen. Aber was unterscheidet einen „echten“ Menschen von seinem Schatten, von diesem Doppelgänger im Unbewussten? Im Gegensatz zum Märchen muss der Mensch in dieser Inszenierung nicht sterben, alles war am Ende nur Albtraum. Albtraumhaft ist auch das Szenario von „L'enfant“ (Das Kind) des Théâtre de l'Entrouvert nach „Der Tod des Tintagiles“, einem Werk des belgischen Dramatikers Maurice Maeterlinck. Die symbolische Bildästhetik von Elise Vigneron passt gut zu der symbolistischen Vorlage und macht das Stück zum Erlebnis für alle Sinne. Das Publikum nimmt mitten in der eindrucksvollen Bühneninstallation Platz: Räume eines verfallenen, dunklen Schlosses im Tal, ununterbrochen fällt Putz und Staub von der Decke. Das junge Mädchen Ygraine, die große Schwester des kleinen Prinzen Tintagiles, steht hier fast noch mehr als in der literarischen Vorlage im Zentrum. Ihr Kampf gegen die nie tatsächlich sichtbare dunkle Königin, um das Leben des kleinen Bruders, einer in ihrer Einfachheit berührenden, ganz weißen Marionette, steht in Vignerons Bühnenversion nicht nur für die Auflehnung gegen den Tod, sondern wird gleichzeitig zu einem Ablösungsprozess von der Kindheit, den Ygraine durchläuft.    Noch albtraumhafter und bedrückender ist „Gimme shelter“ der Cie. Yôkaï. In ihrer distopischen Mischung aus Bunker und verrottendem Jahrmarkt ist der Mensch an seinem Ende angelangt, sind kleine Roboterpuppen die einzigen Gefährten, ohne Empathie und Mitgefühl. Einen Ausweg gibt es nicht.    Aber was ist das nun, ein Mensch? Die schönsten Antworten auf diese Frage geben nicht die genannten großen Produktionen. Die poetische kleine Schattentheaterinstallation „Millefeuilles“ (ein schönes Wortspiel, Millefeuilles bezeichnet zugleich ein Blätterteiggebäck mit vielen Schichten, aber auch ganz wörtlich 1000 Blätter) der Cie. Areski, folgt mit ihren Pop-up-Papier-Geschichten einem kleinen einsamen Mann mit Hut. Die sich langsam verändernden Papierkunstwerke, die die Zuschauer*innen selbst mit ihren Handytaschenlampen beleuchten dürfen, sowie fantasie- und humorvolle Spielszenen stellen sich und uns immer wieder die Frage: Was treibt uns eigentlich an? Die Liebe? Oder allgemeiner, die Begegnung mit anderen? Gar die Kunst? Der kleine Jedermann zumindest schafft sich unermüdlich neue Gegenüber – um dann an der Beziehung zu scheitern.    Noch schlichter wirkt das Stück „La Vida“ des Spaniers Javier Aranda. Mit einigen kleinen Accessoires werden seine Hände zu einem Mann, einer Frau, deren Kind (das erwachsen wird und fliegen lernt). Auf einem Tisch folgt Aranda dem Lauf eines Menschenlebens. Und trotz leichter Anflüge von Kitsch: sein behutsames, zärtliches Spiel, die Interaktion mit seinen Geschöpfen gehen nah. Am Ende steht der Tod, unspektakulär und herzzerreißend – so ist „La vida“, das Leben eben. Unser Menschenleben. – www.festival-marionnette.com Cie. 36 du Mois, On était une fois. Foto: Giorgio Pupella

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paprik atrompeten und empathi e für eine treppe Experimentelle Musik trifft Objekttheater beim Festival „Klang der Dinge“

Klingende Maschinen, lautmalerische Gegenstände, singendes Gemüse – die Berührungspunkte von experimenteller Musik und Objekttheater standen im Zentrum des Festivals „Klang der Dinge“ mit dem die Schaubude Berlin die Spielzeit 2019/2020 eröffnete. K a t j a K o l l m a n n /// Beim Gemüseorchester aus Wien entstehen die Instrumente vor jedem Konzert neu. Zwei Stunden wird geraspelt, dann werden Karotten, Sellerie, Kürbis, Lauch und anderes Grünzeug drei Stunden lang getunt, um als Percussion-, Blas- und StreichInstrumente ein kurzes, aber intensives Leben zu führen. Die Musik, die in der Schaubude den Saal erobert, ist wunderbar vielseitig und auf aufregende Weise neu. So fügen die Kürbisposaunen, Gurkophone und Karottenflöten dem Jazz eine ungeahnte Ebene hinzu. Später wird auch die Neue Musik durch die Rhythmik von Paprikatrompeten bereichert. Gleichzeitig dirigiert subtiler Humor jedes Klangstück. Und auf einmal drängt sich dieser latent vorhandene Humor in den Vordergrund. Dann entledigen sich Salat und Lauch in einem Akt der mutwilligen, kreativen Selbstzerstörung all ihrer Bestandteile. Und all das ist hörbar mit Hilfe einer speziellen Mikrofonierung. Nötig ist die richtige Mischung aus Kondensator-, Gesangs- und Kontaktmikrofonen, damit ein Orchesterklang entsteht, der alle Töne gleichberechtigt nebeneinander existieren läßt.    Nun gut, so ganz neu ist das nicht: Seit 21 Jahren existiert das Gemüseorchester. Die zwölf MusikerInnen sind inzwischen in vielen Orten Europas und sogar einmal in China aufgetreten. Jetzt war ihre Konzertperformance einer der Höhepunkte des kleinen, aber ausgesucht feinen Festivals „Klang der Dinge“ in der Schaubude Berlin: Vom 5. bis 8. September 2019 gaben sich an der Greifswalder Straße ObjektklangkünstlerInnen die Klinke in die Hand. Sie eroberten nicht nur das Theater und – wie das SelbstgebauteMusikKollektiv – den benachbarten Eingang zum S-Bahnhof, sondern auch den umliegenden Stadtraum.

A u g e n b l i c k e d e s R u h m s f ü r A l lta g s o r t e So wartet Stefano D`Alessio in der Heinrich-Böll-Bibliothek auf ZuschauerInnen. Im stockdunklen Raum knipst er eine ausfahrbare Schreibtischlampe an, die sofort ein Eigenleben beginnt. Sie dreht und wendet sich, dabei wirft sie den Lichtkegel abenteuerlich um sich. D´Alessio stupst die Schreibtischlampe mit der einen Hand leicht an und erzeugt mit der anderen die akustische Antwort, indem Das Gemüseorchester. Foto: Alexander Koller

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er zum Beispiel den Lampenfuß kitzelt. Dann dreht er die Lampe um sich selbst – und die Lampe stöhnt. Es scheint, als wären Mensch und Lampe im ständigen Zwiegespräch und man ist der Voyeur einer intimen Begegnung – weil es die Technik erlaubt. D´Alessios elektroakustische Licht-Performance „L.O.L.B. Longevity of Light Bulbs“ ist Musiktheater im besten Sinn.    Auch „Naherholungsgebiete“ des Duos „tréßurz“ (Winnie Luzie Burz und Johannes Treß) greift theatral und akustisch in den Stadtraum ein. Wir stehen in einem kurzen Durchgang zwischen zwei Häusern – mit einer Treppe, die fast nie benutzt wird und jetzt ihren kurzen Augenblick des Ruhms voll auskostet. Zuerst liegen da nur ein paar Bierdeckel in einer Kiste am Fuß der Treppe. Und ein Plastikbecker klebt am Geländer. Ein anderer wiederum ist zum Propeller mutiert, und ist nun an der Wand befestigt. Auf einmal aber klappern die Bierdeckel rhytmisch, der Plastikbecher schlägt wie wild gegen das Geländer und der Propeller rotiert so schnell, dass man um sein zartes Material bangt. Vom oberen Ende der Treppe macht sich ein Objekt durch ungeduldiges Leuchten und Fiepen bemerkbar. Und schließlich erscheint eine (unechte) Spinne in Großaufnahme an der Treppenwand. Staunend steht man vor dieser Treppe und freut sich über die in Kunst verwandelte Empathie für die mediokren Orte des Alltags.    Im Hof hinter der Schaubude gibt es auch eine Treppe. Sie führt zum Garagendach. Dort sitze ich. Ich sehe und höre die nahenden SBahnzüge, ich kann in die umliegenden Wohnungen blicken, und ich lausche Anais Tuerlinckx, Burkhard Beins, Marta Zapparolis Klängen. Diese durchschneiden die Luft. Sie quietschen. Sie kreischen. Für die Performance „En éclat“ wird ein überwiegend selbst geschaffener, individuell zusammengestellter Instrumentenapparat benutzt. Die ungewohnten Klänge locken verunsicherte Anwohner für kurze Zeit auf den Balkon. Gleichzeitig scheinen sie die Häuserfassaden zum Leben zu erwecken. Mich jedenfalls blicken diese etwa 90 Jahre alten Fassaden gerade an wie ein Gegenüber.

Imaginäre Musik und weiße Kaninchen Werner Durand, Stephan Froleyks, Mayen Kerbaj, Silvia Ocougne und Michael Vorfeld greifen gern auf Rohre und Schläuche aller Art zurück, um sie als Musikinstrumente zu benutzen. In Verbindung mit kongenialer Percussion und ungewöhnlichen Streicherelementen entstehen sphärische Tongebilde, die die Musiker*innen als „Imaginäre Musik“ bezeichnen. Ernsthaftigkeit gepaart mit einem subtilen Sinn für Humor, gerade im Umgang mit den ungewöhnlichen Instrumenten, zeichnet die Formation aus. Das führt zu einer Leichtigkeit, die die Musik wirklich abheben läßt – und wer sich komplett für sie öffnet, kommt in einen gewissen Trance-Zustand. Aus dem man aber immer mal wieder augenzwinkernd entlassen wird, wenn Michael Vorfeld ein Percussion-Solo hat und einfach alles gibt.    Das weiße Kaninchen in „Songs for Alice“ (im Wunderland) hingegen ist der Kreativität nicht förderlich. Immer wenn es an der Hand von Michael Vogel seinen kleinen Körper durchstreckt und das rechte Schlappohr gekonnt nach hinten über die Schulter wirft, hört die Musik auf zu spielen. Obwohl doch alle vom „Wilde & Vogel“-Figurentheater für Alice spielen und singen wollen und ihre Musik oft an die wunderbaren Tiger Lillies erinnert. Das weiße Kaninchen ist jedoch ständig schlecht gelaunt und nervt eigentlich, mutiert aber dann zum eigentlichen Star des Abends. Denn so viel Persönlichkeit in einer unanimierten Puppe war selten. Wird sie schließlich doch noch von Michael Vogel belebt, bekommt das Kaninchen eine Energie, die einen in den Sitzreihen zusammenzucken läßt.    Das weiße Kaninchen hätte zum Gemüseorchester überwechseln können. Dort werden nach dem Konzert die Instrumente zu einer Suppe verarbeitet. Die hat in der Schaubude übrigens vorzüglich geschmeckt. „Klang der Dinge“, die kleine Schwester von „Theater der Dinge“, war ein Novum. Hoffen wir auf Kontinuität. – www.schaubude.de Imaginäre Musik. Foto: Steffi Weismann

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„ver-ding-ung“ und „verstillung“ Beobachtungen zum „Theater der Dinge“ in Flandern Der belgische Theaterkritiker Tuur Devens diskutiert die Genrebezeichnung „Theater der Dinge“1 im Kontext aktueller Entwicklungen der Bühnenkünste in Flandern und der weltweiten Veränderungen unserer Lebensbedingungen. V o n T u u r D e v e n s /// ‚Theater der Dinge‘. Wow! Als ich vor drei Jahren in Berlin die Anzeige für das Buch „Lektionen 7 / Theater der Dinge“, mit dem Untertitel „Puppen-, Figuren- und Objekttheater“ sah, wusste ich es sicher: das ist der richtige, alles umfassende Fachausdruck, um Theater, in dem Objekte und andere Dinge eine sehr große Rolle spielen, zu benennen1.

VER-DING-UNG + THEATRALISIERUNG In den vergangenen vierzig Jahren, in denen ich über Theater, Tanz, Kinder- und Jugendtheater und viel über Figurentheater in Flandern schrieb, habe ich festgestellt, dass die Formgebung, die Szenografie immer wichtiger geworden sind. Der ‚Nicht-Text-Teil‘ in Theateraufführungen aller Genres ist groß geworden und nimmt zu.    Neben Text und Spiel der Darsteller*innen gewinnen so Ausstattung, Requisten, Licht, Kostüme an Bedeutung. Dinge/Objekte aller Größen und Typen führen zunehmend ein eigenes Leben. Vermehrt werden Film, Video, Animationsfilm, Stop-Motion, Nahaufnahmen, 3D-Projektionen, mechanische Installationen, Masken, Automaten, Roboter, Schattenspiele usw. verwendet. Auch 1 Erstmals in die Debatte um Benennungen des Theaters mit Puppen, Figuren, Objekten, Material … gebracht von der Theaterwissenschaftlerin, Regisseurin und ehemaligen Leiterin der Abteilung Puppenspielkunst der Hfs „Ernst Busch“ Berlin, Konstanza Kavrakova-Lorenz. (Anm. d. Red.) Alexia Leysen, my life with the tree. Foto: Kurt Van der Elst

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STIPPVISITE

Soundscapes, ein Spiel der Klänge, sind wichtiger geworden. Flämische Theater, die das Label Figuren- und Objekttheater tragen, wie Theater Froe Froe, Alibi Collectief, Ultima Thule, De Spiegel, Beeldsmederij De Maan und Theater Tieret, machen ihr ganzes Leben lang schon diese Art von Theater. Inzwischen bringen jedoch auch ‚traditionelle‘ Theater Dinge zum Leben. Ich nenne das ‚die Ver-Ding-ung des Theaters‘.    Natürlich kann man auch das Gegenteil behaupten: Die Dinge sind theatralisiert. Wir sehen das sehr deutlich im belgischen Pavillon der Biennale von Venedig in diesem Jahr. Die beiden bildenden Künstler Harald Thys & Jos De Gruyter zeigen in ihrer Ausstellung „Mondo Cane“ Puppen, die hinter Gittern nach Puppen schauen, und einige von ihnen bewegen sich. Es ist eine eigenartige Szene voll menschlichen Leidens. Alte Handwerker bewegen sich mechanisch wie altmodische Theaterautomaten, was die Betrachtenden nachdenklich stimmt. Diese Ausstellung wird ab dem 14. Februar 2020 in Bozar-Brüssel zu besichtigen sein.

DING + ZEIT Alexia Leysen ist eine Theaterkünstlerin, die bisher drei Produktionen gemacht hat. Ihre erste war eine Jugendtheater-Produktion in einem Raum, der mit Zeitungen und vielen Papierobjekten gefüllt war. Ihr letztes Stück „Knaus“ ist reines Texttheater über den norwegischen Schriftsteller Knausgård. Ihr zweites Stück dagegen blieb wortlos: In „My life with the tree“ steht auf der einen Seite ein großer Baum hoch oben auf einer Treppe, und auf der anderen Seite sitzt ein Mann an einem Tisch, mit einem kleinen Baum vor sich. Er möchte das Bäumchen küssen, doch das erregt Irritation. Das Bäumchen wird angezündet, geht in Flammen und Rauch auf. Leere Schuhe bewegen sich zu dem großen Baum. Wie wird die Beziehung zwischen dem Mann und dem Baum sein? Eine Flamme steigt die Treppe hinauf, ein Lichtstrahl schweift die Treppe entlang, gleitet über die Köpfe des Publikums und verschwindet dann in einem schwarzen Loch. Es ist eine Performance über Verletzlichkeit, über die Beziehung zwischen dem Menschen und der Welt, in diesem Fall zwischen Mann und Baum. Der Baum bleibt Baum, wird kein Objekt mit anthropomorphen Eigenschaften, geschweige denn, dass er zum ‚Leben wie ein Mensch‘ manipuliert wird. Und er wird dennoch zum Protagonisten. Surrealistisch? Gewiss, und laut ausländischen Kulturliebhabern scheint genau das typisch zu sein für belgische Künstler (wie René Magritte und Paul Delvaux)... Tatsächlich ließ sich Alexia Leysen jedoch von den Filmen des Schweizer Künstlers Roman Signer inspirieren: Dieser bringt spielerisch Skulpturen bzw. Gegenstände in Bewegung und bewirkt damit Verwunderung, Erstaunen. Für „Wasser Stiefel“ zum Beispiel füllte Signer 1986 zwei Stiefel mit Wasser und ein wenig Sprengstoff. Von der Explosion wurde ein Foto gemacht, ein imponierendes angehaltenes Bild. In seinen Installationen, die er ‚unnütze Erfindungen‘ nennt, fügt er den visuellen Objekten im Raum den Zeitfaktor hinzu. So wie im ‚Theater der Dinge‘.

PRÄSENZ + EIGENSINN Theater wird immer noch als Teil der Wortkunst gesehen. In der Literaturwissenschaft spricht man von Epos, Lyrik und Drama. Was jetzt jedoch auffällt ist, dass der homo ludens es nicht lassen konnte und kann, ein (rituelles) Spiel mit Objekten zu spielen und neue Bilder zu schaffen. Objekt heißt wörtlich: zu Füßen geworfen. In seiner existenziellen Suche nimmt der Künstler ein Objekt auf, das im weiteren Schaffensprozess mit seinem Eigen-Sinn präsent wird.    Benjamin Verdonck (Toneelhuis Antwerpen) macht das so in seinen Produktionen. In seiner letzten Performance „Aren“ (Ähren) lässt er die Dinge wie sie sind. Ein Ährenleser folgt dem Mäher und hebt die übergebliebenen Ähren auf. Verdonck macht dasselbe: Er nimmt alle Gegenstände aus Kisten, legt sie auf einen Tisch, sortiert sie, zeigt sie durch Projektion, räumt sie wieder auf. Steine, Korken, Muscheln, Wertmarken, Visitenkarten – Dinge, die sonst nicht auffallen, fallen jetzt, durch die Präsentation, im Dasein doch auf. Sie werden zu Readymades. Der Künstler lässt die Dinge in ihrer Banalität so sein, wie sie sind, und erklärt sie gleichzeitig zur Kunst. Um es mit Walter Benjamin zu sagen: Dinge haben ihre Aura (zurück) und das macht sie zu einem Kunstwerk. Ich habe Benjamin Verdonck den Mirò des Theaters genannt: spielerisch, abstrakt figurativ, ästhetisch prickelnd, humorvoll und zugleich irritierend ... und so viel mehr.

RAUM + DAUER Das Spiel, die Bewegung eines Objekts, ist auch ein ‚Zeit-Erleben‘. Das wird oft als langwierig erfahren. Lange Zeit gibt es keine Aktionen in der Szene, damit das Publikum mögliche winzige Bewegungen und die Dinge an sich beobachten kann. Slow Art ermutigt die Zuschauer*innen zum Nachdenken und Fühlen, und das führt zu einer besonderen Form von Erleben. Die wirkliche, messbare Zeit, die ‚Uhrzeit‘ läuft während des Zuschauens normal weiter, es fühlt sich jedoch langsamer an. Es ist, als stünde die Zeit still. ‚Verstillung‘ nenne ich das. Wir erleben diese momentan sehr stark in Produktionen von Fien Leysen („Wat (niet) weg is“), von Frieda („TATTAR ATTAT!”), von WIThWIT („Les Soeurs“) und vielen anderen belgischen Künstler*innen und Performer*innen. Der Architekt Steve Salembier und die Fotografin Charlotte Bouckaert beispielsweise (sie sind zusammen das „Atelier Bildraum“ und zur Zeit Artists in Residence beim LOD muziektheater) organisieren in ihrer Bühneninstallation „Bildraum“ einen Architekturspaziergang mit

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einer Minikamera: Vorbei an Tischtennisbällen und Modell-Treppenhäusern führt eine langsame Reise durch ein riesiges Fotoalbum, eine Reise, die den Zuschauer*innen Zeit-Räume für eigene Assoziationen, Erinnerungen und das Nachdenken darüber eröffnet.    Auch Annelies Van Hullebusch fasziniert uns in gleicher Weise. Für ihre in Zusammenarbeit mit Feikes Huis und Rieks Swarte entstandenen Produktionen nutzte sie vor allem viel Papier, kleine Büchlein, Zeichnungen, Alltagsgegenstände, Püppchen sowie gefaltete oder ausgeschnittene Figuren und Objekte. „Ver“ (Weit) ist eine Produktion der jungen Künstlerin Liz Pede und Annelies Van Hullebusch. Zusammen erzählen sie für ein Publikum ab fünf Jahren die Geschichte von Menschen, die in ein fernes Land flüchten, wo sie dann arbeiten, schließlich sterben und begraben werden. Die beiden Spielerinnen gehen mit Taschenlampen zu einem Platz auf der schwarzen Bühne. Ausgeschnittene Figuren oder Zeichnungen von Berglandschaften, vom Meer … werden beleuchtet und ihre Schatten fallen auf die weißen Seiten eines großen Buches. Die Geschichte des schwierigen Auszugs in die Fremde entwickelt sich auf dem Boden, auf einem Tisch, an einer Wand, und wird auf einfache Weise mit kleinen und großen Schatten, mit Lampen, mit Plastiktüten, mit Geräuschen gespielt. „Ver“ ist eine poetische Perle für junges Publikum. Ihre Dichte und Intensität lässt die laut ‚Uhrzeit‘ halbe Stunde Vorstellungsdauer in der erlebten Zeit angenehm länger erscheinen.

D I N G + W E LT (Flämische) Künstler*innen suchen mit ihren Produktionen, Installationen und Performances eines ‚Theaters der Dinge‘ ständig nach einer besonders ungewöhnlichen Ästhetik, einer Extra-Portion Gefühl, vielfältigen Bedeutungsebenen. Miet Warlop entwickelt schon lange absurde Inszenierungen mit überraschenden Ding-Aktionen, in den großen apokalyptischen (Tanz-) Produktionen von Kris Verdonck sind die Dinge eher tot. Unter den Flügeln des Kunstzentrums CAMPO (Gent) bewegt der Schauspieler Peter Seynaeve seine kleinen Dinge, reisen Robbert&Frank/Frank&Robbert mit ihrem Koffer „Go away sorrow of the world“ um die Welt, bringt Frankie Objekte auf der „Laguna Beach“ zur Ruhe und demonstriert Louis Vanhaverbeke seine Assoziationsübungen mit Alltagsgegenständen.    In Flandern breitet sich die ‚Ver-Ding-ung‘ im Theater aus. Das geschieht nicht nur durch die Suche nach einer neuen Ästhetik. Ich denke, es hat damit zu tun, dass wir uns unserer Existenz im „Anthropozän“ bewusst werden. Der Mensch, der „Anthropos“, ist die Ursache für die Umweltverschmutzung, die biologische Ausrottung, den Klimawandel usw. Es muss sich dringend etwas ändern. Das neue Paradigma: Nicht nur die Menschen haben Rechte, sondern jetzt auch Tiere, Pflanzen, Flüsse, Gebäude, Denkmäler, Gletscher (in Island), Dinge (dank dem französischen Philosophen Bruno Latour, der für ein Parlament der Dinge, für eine neue Beziehung zwischen Menschen und Dingen plädiert). Und im Theater der Dinge kommen diese zu ihrem Recht, in Worten und vor allem in Bildern.    Das kann ich nur begrüßen in dieser anthropozentrischen Welt, die nur durch radikales Umdenken zu retten ist. Deshalb plädiere ich für mehr ‚Ver-Ding-ung‘, für mehr Theater der Dinge. Und für ‚Verstillung‘. Die Dinge bekommen eine Stimme, und im Theater der langsamen Dinge haben wir Zeit sie zu hören.    In immer mehr flämisch-belgischen Produktionen verschmelzen ‚Ver-Ding-ung‘ und ‚Verstillung‘. Auf diese Weise entsteht eine „neue“ Ästhetik – und vielleicht können die Schönheit und Intensität im Theater der Dinge dazu beitragen, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Und wer weiß ... Atelier Bildraum, Bildraum. Foto: Sali Kilic

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MEINUNG

GEHEIMKLUB? Zur Debatte über Genrebezeichnungen Eine deutlich andere Meinung als der Autor des vorhergehenden Artikels vertritt die frühere Leiterin der Produktionsstätte „Feikes Huis“ in Amsterdam, Eliane Attinger, in ihrer Resonanz auf den im letzten Heft veröffentlichten Bericht über den 6. double-Diskurs in Magdeburg. Dieser hatte Benennung und Selbstverständnis des Genres enggeführt und gefragt: „Puppenspiel“, „Figurentheater“, „Theater der Dinge“, „Anderes Theater“ oder ...? E l i a n e A t t i n g e r /// Milder Schock beim Lesen des Artikels „Anachronismus als Potential“ von Steffen Georgi über das Festival Blickwechsel in Magdeburg letztes Jahr – und zwar dort, wo er über den double-Diskurs berichtet. Offenbar hält man nach mehr als einem halben Jahrhundert (!) fruchtloser Bemühungen immer noch fest an der scheinbaren Notwendigkeit, dem Genre andere Labels verpassen zu müssen. Wann begreift man endlich, dass es nichts nutzt? Ja sogar schadet!    Mit dem ständigen Labelwechsel erreicht das Puppentheater das Gegenteil vom viel beschworenen ‚branding‘: Es wird diffus. Es ist doch den meisten Außenstehenden bzw. dem Publikum total unklar, was man sich unter Materialtheater, Objekttheater, Figurentheater, Bildertheater, Theater der Dinge, Spielzeugvorstellungen, Requisitentheater usw. vorstellen soll. Dagegen ist die Bedeutung des Begriffs ‚Puppentheater‘ nun tatsächlich zusammengeschrumpft, so ungefähr auf Kasperle- und Kindertheater. Warum ist uns nicht gelungen, was beim Tanz so gut funktioniert hat? Bei diesem Begriff stellt man sich doch heutzutage ohne weiteres viele verschiedenen Formen vor: sowohl klassisches Ballett wie auch modernen Tanz, Jazzballett, Flamenco, Theatertanz, Hip Hop usw.    Warum haben wir Puppentheater nicht zum Synonym gemacht für „die magischste aller Bühnenkünste“, wo – und das ist doch unser core-business – der Puppenspieler/die Puppenspielerin den Dingen auf der Bühne ein Bewusstsein, eine Seele gibt und sie lebendig werden lässt? Welche andere Bühnenkunst macht uns das nach? Dass Marionetten oder Handpuppen nicht die einzig denkbaren und brauchbaren ‚Dinge‘ auf der Bühne sind, sondern dass da auch abstrakte Formen, Gebrauchsgegenstände, Spielzeug, Rohmaterial oder Projektionen auftauchen, daran hat sich das Publikum doch schon längst gewöhnt. Genauso wie an abstrakte Kunst. Ich bin mir sicher, dass es bei etwas mehr Beständigkeit und Geduld gelungen wäre, den Begriff Puppentheater mit neuen Bedeutungen zu füllen. Stattdessen wird er mehr und mehr entleert.    Haben wir vielleicht zu wenig Vertrauen in die Kraft des Genres? Ich hatte selbst immer Verständnis für den Pragmatismus der Künstler und Künstlerinnen, die genug hatten von den Vorurteilen gegen Puppentheater (Kasperle, Amateur, Kindertheater), die raus wollten aus der Nische und die sich wünschten, dass ihre Kunst anerkannt werden würde, wie die Schwesternkünste. Ein Wunsch, der meiner Meinung nicht in Erfüllung gehen kann, solang man sich hinter verschiedenen Begriffen versteckt, wie ein Geheimklub. Wo einen dann niemand finden kann, auch das Publikum nicht.    Glücklicherweise gab es offenbar in der der double-Diskussion zwischen Theaterwissenschaftlern und Künstlern auch Lichtblicke – so deuteten wohl einige Theatermacher an, dass die Benennung ihrer Kunst ihnen eigentlich egal sei. Und der Autor selbst verweist auf das große Potential dieser Kunstform, die mit ihrer Sinnlichkeit, ihrer ästhetischen Auseinandersetzung mit realen Dingen dem technologisch-digitalen Diktat unserer Zeit etwas entgegensetzen könne.    Ich würde empfehlen, dass man aufhört mit der Suche nach anderen Namen und die Zeit nutzt, um miteinander über die Kunst des Puppentheaters zu sprechen. Anstatt sich gegeneinander abzugrenzen, wie die unzähligen protestantischen Sekten in früheren Zeiten, sollte man einfach stolz(er) sein auf diese besondere, anachronistische, magische, sinnliche, freie und deshalb möglicherweise auch anarchische Kunstform. Und erhobenen Hauptes sagen: „Ja, ich mache Puppentheater! Das übrigens ebenso vielfältig ist wie alle anderen Bühnenkünste der Gegenwart.“ – www.double-theatermagazin.de/diskurs/ Im Gebäude des Studiengangs Zeitgenössische Puppenspielkunst der HfS „Ernst Busch” Berlin. Foto: Anke Meyer

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DIE (MENSCHLICHE) NATUR IM FOKUS Von überraschenden Begegnungen und ungewöhnlichen Allianzen V o n C h r i s t i n a R ö f e r /// Unser Verhältnis zur Natur ist widersprüchlich: Fast täglich zeugen Berichte über Artensterben, Umweltkatastrophen, kapitalistisch motivierte Ausbeutung von Ressourcen oder die all das umfassende Klimakrise vom rücksichtslosen Umgang des Menschen mit der Erde. Gleichzeitig legen wir Wert auf gesunde Ernährung, Tierschutz oder Outdoor-Aktivitäten und beschreiben das Leben im Einklang mit der Natur nur zu gern als Idealzustand. Die drei hier beleuchteten Performances thematisieren diese komplizierte Beziehung auf sehr unterschiedliche Weise – und stellen unsere Perspektive auf die Natur infrage.

Natur erleben Im Rahmen der vierten Ausgabe des Theaterfestivals FRATZ International zeigen Angela Schubot und Jared Gradinger mit „YEW:kids“ (dt. Eibe) eine ungewöhnliche Performance für Menschen ab drei Jahren im Botanischen Volkspark Pankow. Als Expeditionsgruppe starten wir einen gut 40-minütigen Spaziergang durch Feld, Wald und Wiesen und werden dabei, so hören wir gleich zu Beginn, „auf Wesen treffen, die vielleicht kein Gesicht oder kein Vorne haben.“    Doch zunächst probieren wir die saftigen Blätter des Sauerampfers und hören, wie die Pflanze klingt: Mit einer App wandelt der Sounddesigner Stefan Rusconi deren Impulse in helle Laute um. Die Natur1 ist zutiefst lebendig und auch das erwachsene Publikum tritt neugierig mit ihr in Kontakt. Zwar erwische ich mich dabei, über im Gras lauernde Zecken nachzudenken und zögere, als ich mich auf den Boden legen und die dort wachsenden Halme besingen soll. Doch genau da setzt die Performance an: Denn indem die Künstler*innen sinnliche Erfahrungen anleiten – wenn ich schließlich meine Hand „einpflanze“, spüre ich die kühle Erde an den Fingern und rieche den würzigen Duft der Gräser –, bringen sie unsere an rationalen Parametern orientierte alltägliche Weltanschauung in Schwingung und schärfen, wenn wir uns darauf einlassen, die Aufmerksamkeit für unmittelbar körperliche Verbindungen mit der Umwelt.    Resonanzen erzeugen und Grenzen aufheben: Schubot und der für den erkrankten Gradinger eingesprungenen Lea Kieffer gelingt dies eindrücklich, wenn sie ineinander verschlungen und animalische Laute von sich gebend durchs Gras rollen und so zu einem Wesen verschmelzen, das der Welt entrückt und zugleich tief mit ihr verbunden scheint. Und auch die beiden nackten Körperrückseiten, die sich während des Spaziergangs plötzlich im Kopfstand aus dem Waldboden emporrecken, fügen sich erstaunlich organisch in ihre Umgebung ein.

Die Natur als Zeug*in und Spiegel „Falls Sie es noch nicht gemerkt haben, ich spiele eine Ziege.“, erklärt Khalifa Natour zwischen schmatzenden Kaubewegungen, nachdem er ein ums andere Mal die vom Band abgespielten deutschen Floskeln wie „Guten Abend“ oder „Entschuldigung“ auf Arabisch wiederholt (um nicht zu sagen wiedergekäut) hat. In „The Bees‘ Road“, das bei der diesjährigen Ruhrtriennale zu sehen war, erzählt der Theater- und Filmschauspieler unter der Regie der israelischen Theatermacherin Ofira Henig Geschichten von Flucht und Migration und nimmt dabei ungewöhnliche Perspektiven ein: Tieren und Pflanzen, denen die Menschen auf ihren beschwerlichen Reiserouten begegnen, verleiht er eine Stimme und lässt die stummen Zeug*innen zu kommentierenden Miterlebenden werden, die teils einfühlsam, teils entnervt auf die Menschenströme reagieren – wie etwa der Baum, der eine schutzsuchende Person anherrscht, sie solle sich woanders ausruhen. Die Umwelt mag nach monatelanger Flucht unter widrigsten Bedingungen abweisend erscheinen. Ebenso kommen die stets aktuellen Bilder überfüllter, wegen nicht erteilter Landeerlaubnis in Küstengewässern ausharrender Rettungsboote auf dem Mittelmeer in den Sinn ...    Einzelsituationen werden zu einer assoziativen Collage verdichtet, die durch wechselnde Erzählweisen und -ebenen besticht. Beeindruckend etwa, wie Natour sich den Lebewesen körperlich annähert: Mal springt er als ausgelassen um sich tretendes Kalb umher, dann erinnern seine hektisch flatternden Hände und die schnell gehaspelten Worte an die scheinbar unermüdlichen titelgebenden Bienen. Die selbstverständliche Mehrsprachigkeit des Stücks unterstreicht dabei das Ringen um Verständigung in einer

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permanenten (Neu)Verhandlung diverser Perspektiven. Wie dies wiederum den Blick auf das Eigene verschiebt, zeigt Natour, wenn er aus einem Ratgeber für Geflüchtete vorliest, der die gesellschaftlichen Gepflogenheiten der Deutschen zu vermitteln versucht, und diese dabei mitunter höchst absurd erscheinen.    Dass die Erkenntnis über die globalen Auswirkungen unseres Handelns konsequenterweise mit einer Infragestellung der menschlichen Vormachtstellung in der Welt einhergehen muss, ist nicht neu, sollte aber – etwa mit Blick auf die Klimakrise – gerade jetzt wieder betont werden.

Politische Teilhabe Club Real treiben dies, wenn sie in „Jenseits der Natur – Volksherrschaft im Garten“ ein auf Grundlage der Allgemeinen Organismenrechte arbeitendes Parlament der Organismen etablieren, auf die Spitze, indem sie den Fokus von der menschlichen Kontrolle hin zur politischen Teilhabe (bzw. Herrschaft) der Natur verlagern. Beim Impulse Theater Festival bauten sie in der Düsseldorfer Brause eine Installation, die das ursprünglich in Wien und aktuell in Berlin laufende Projekt, das auf einem abgesteckten Bodengebiet zunächst eine Volkszählung aller darin lebenden Organismen durch- und dann eine repräsentative Demokratie einführt, dokumentiert.    Politik wird dabei als strukturgebende Instanz verstanden, die es den Organismen ermöglicht, sich in einer Gemeinschaft zu organisieren und dem Menschen auf Augenhöhe gegenüberzutreten – zumindest in der Theorie. Denn um tatsächlich von uns gehört zu werden, braucht es wiederum menschliche Stellvertreter*innen, die an ihrer statt zusammenkommen und die Anliegen und Konflikte von Weinbergschnecke, Kanadischer Goldrute oder dem Wurzelknöllchenbakterium im Ringen um ein friedliches, gleich-

berechtigtes Miteinander aushandeln. Herrlich skurril und doch bisweilen bitterernst wirken die über Audio- und Videoaufnahmen nachvollziehbaren Parlamentsdebatten, etwa über eine Klage der Gräser wegen systematischer Diskriminierung oder den Antrag auf die Versetzung eines Busches, der andere Pflanzen aufgrund seiner wuchernden Dominanz in ihrem Wachstum hindert.    So gibt das Projekt nicht nur Aufschluss über moralisch-ethische Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens und die Mechanismen von Demokratie: Das Hineindenken in die Lage der jeweiligen Organismen fördert auf lustvolle Art auch das Verständnis für die Bedürfnisse anderer Lebewesen und stellt die Selbstverständlichkeit ihrer Vereinnahmung durch den Menschen radikal infrage.    Wie wäre es wohl wirklich, wenn bisher nicht gehörte Lebewesen die Macht übernehmen und selbst entscheiden könnten, wann sie ihre Freiheit beschränkt sehen? Darüber denke ich nach, während ich in einem autoritären Akt meine Balkonpflanzen zurückschneide. – www.angelaschubot.com – www.ofirahenig.com – www.clubreal.de 1 Eine differenzierte Diskussion des Naturbegriffs kann hier nicht erfolgen. Vielmehr ist in diesem Artikel alltagssprachlich die uns umgebende Flora und Fauna gemeint.

Angela Schubot und Jared Gradinger, YEW:kids. Foto: Sebastian Runge

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aus der gigantischen puppenstube ins klangexperiment Interview mit Bianca Sue Henne zur Programmauswahl des Festivals „Augenblick mal! 2019“ Im April 2019 fand, wie alle zwei Jahre, das Festival des Theaters für Junges Publikum „Augenblick mal!“ in Berlin statt. Das Festival will Einblick geben in neue und wegweisende Entwicklungen im Bereich des Kinder- und Jugendtheaters in Deutschland. Für die Auswahl des auf zehn Produktionen begrenzten Programms sichtet ein fünfköpfiges Kuratorium die vorgeschlagenen Inszenierungen. Die double-Redakteurin Anke Meyer befragte Bianca Sue Henne, Mitglied des Kuratoriums, zu der in diesem Jahrgang ungewöhnlich starken Präsenz des „Theaters der Dinge“ im Programm. „Augenblick mal!“ 2019 wies in mindestens zweierlei Hinsicht Besonderheiten auf: Von den zehn ausgewählten Impuls gebenden Inszenierungen für junges Publikum kamen drei aus dem Bereich Figuren-/Objekttheater. Und unter diesen befand sich auch noch die einzige Produktion, die es jemals ins Festival-Programm geschafft hat, ohne in Berlin gastieren zu können: Wedekinds „Frühlings Erwachen“ von der Münchner Schauburg in der Regie von Jan Friedrich – dazu meine erste Frage an Sie: Was war ausschlaggebend für diese singuläre Entscheidung des Kuratoriums? Ganz grundsätzlich liegt uns als Kurator*innen schon an Spartenvielfalt. Allerdings sind Entwicklungen in allen Kontexten wellenförmig und nicht gleichzeitig, und nachdem wir im Bereich Tanz für junges Publikum viele Jahre wegweisende Inszenierungen sehen konnten und das Musiktheater sehr eigene Formen entwickelt hat, war in den Bewerbungen der Theater aus den Spielzeiten 2016/2017 und 2017/2018 das Figuren-/Objekttheater wirklich stark. Vor allem interessierte uns, Inszenierungen zur Diskussion zu

Schauburg München, Frühlings Erwachen. Foto: Judith Buss

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stellen, die wir so oder ähnlich eher nicht gesehen hatten oder deren Arbeitsweise eine besondere war – also keine Bestenschau, auch wenn wirklich eindrucksvolle Produktionen dabei waren.    Dass das Gastspiel „Frühlings Erwachen“ an der Spielstättensuche in Berlin scheitern würde, konnten wir bei der Auswahl nicht ahnen und bedauern es sehr. Wir haben hier einen besonders starken Regiezugriff entdeckt, der trotz biedermeierlicher Szenerie einen Zugang für junges Publikum ermöglicht. Das große Maskenspiel in dieser gigantischen Puppenstube und dazu das Besprechen der agierenden Spieler*innen über Mikrofone sichtbar von außen durch andere Spieler*innen wirken als doppelte Verfremdung, eine unangenehme Langsamkeit erzeugt zudem eine ganz eigentümliche Spannung. Dazu ermöglicht die sehr offenherzige Darstellung von Sex im LiveVideo, das hinter der Bühne gefilmt wird und für das Publikum nur in der Projektion erfahrbar ist, eine Distanz, die die Scham der Zuschauenden überwindet. Pornografie ist heute einfach Teil des Seh- und Erfahrungshorizontes des jungen Publikums und stößt so weniger auf Ablehnung als ein Kuss auf offener Bühne. Diese sehr kluge Regie, die stimmige und mit dem FAUST 2018 ausgezeichnete Ausstattung sowie ein hervorragendes Ensemble haben uns ehrlich überzeugt. Mit den „Klangstücken“ vom Berliner Theater o.N. wurde eine Arbeit ausgewählt, die in jeder Hinsicht den anderen Rand der enormen Bandbreite des Genres „Theater der Dinge“ markiert. Hat das in den Kuratoriumsdiskussionen eine Rolle gespielt? Zum Wunsch nach Bandbreite habe ich vielleicht schon etwas gesagt. In diesem Fall war es so, dass das zweiteilige Experiment uns erschien wie zwei Seiten einer Medaille. Und es interessierte uns auch unter Musiktheater-Aspekten sehr. Keines der beiden „Klangstücke“ erzählt eine Geschichte. Das eine, „Klangquadrat“, ist sehr streng in seiner Form, sehr konsequent, eher frontal, virtuos und spielerisch, kokett und ordentlich. Das macht mir großen Spaß beim Mitdenken. Das andere, „Schnürchen“, ist das Gegenteil: Sehr offen in der Form, weckt es ab dem ersten Moment schon im Foyer den Entdeckergeist, stimuliert spürbar alle Sinne, kultiviert das Chaos. Wenn die beiden Seiten der Medaille einen Titel brauchen, dann vielleicht Sinn und Sinnlichkeit. Und das für kleine Kinder. Wir finden das nicht nur mutig, sondern auch weitgehend gelungen. Das Experiment zu zeigen, war ja wichtig für uns. In der dritten eingeladenen Produktion des Genres, der von Ariel Doron für das tjg.Dresden entwickelten, ebenfalls immersiven Performance „Besuchszeit vorbei“, werden zwar Puppen animiert, und das trotz aller Kürze sehr virtuos, das ist jedoch schon alles, was sie an Erwartbarem unter dem Label „Puppentheater“ bietet. Auch „Immersion“ wird hier zu einer speziellen Herausforderung. Wir haben darüber vor einiger Zeit im „double“ berichtet. Die Vereinnahmung dieses Puppenmassakers in ein „Theater für junges Publikum“ ist doch aber zumindest diskussionswürdig, oder? Und wie! Aber dafür machen wir ja Festivals: damit wir die Kinder- und Jugendtheaterszene und deren Strömungen diskutieren. Das tjg. theater junge generation Dresden, das diese Inszenierung für einen Maschinenraum im Kraftwerk Mitte entwickelt hat, ist aber nun mal ein Kinder- und Jugendtheater – mit einer starken Puppenspielsparte, die auch Erwachsene begeistert. Wie vieles, was wir im Theater für junges Publikum zeigen, übrigens. Die Inszenierung richtet sich nicht klar an ein jugendliches Publikum, und auch nicht an ein erwachsenes. Das tjg in Dresden hat Erfahrung mit beiden Altersklassen in der Aufführung. Die Zusammensetzung der Besucher-Gruppe, wie sie es ausdrücken, hat für die Spieler*innen aber wenig Einfluss, so berichteten sie.    Uns war bewusst, dass diese Performance polarisiert, im Wortsinn: Ich habe keine Meinungen zwischen heller Begeisterung und radikaler Ablehnung dieser Inszenierung gehört. Und deshalb waren wir in der Jury einig, dass sie ins Programm gehört. Wer Puppenspieler*innen sehen möchte, die alle Register ihres Könnens ziehen, wird hier enttäuscht. Wer die Möglichkeiten der Puppen und Figuren ausgereizt erleben möchte, ist in diesem Abend falsch. Wer aber Mechanismen der Manipulation, der Auflehnung, der Ermächtigung beobachten will, wer die Gruppendynamik im Blick hat und dann die Fragen, die das Publikum zu formulieren aufgefordert ist, durchdenkt, wird das erfahrbare Gedankenspiel als sehr bereichernd empfinden.    Und die Frage, ob wir eine wesentliche Errungenschaft des Kinder- und Jugendtheaters aufgeben dürfen, nämlich die Grundhaltung, dass wir Macher*innen nicht klüger sind als das Publikum und nicht über geheimes oder heimliches Wissen verfügen, um das Publikum zu „manipulieren“, das ist eine große Debatte wert. – www.augenblickmal.de Theater o.N., Schnürchen. Foto: David Beecroft

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KOOPERATION

das beste beider welten Über die Zusammenarbeit des Theater Waidspeicher mit der niederländischen Theatermacherin Ulrike Quade Im September dieses Jahres feierte das Erfurter Theater Waidspeicher mit einer Uraufführung und einem Festwochenende sein 40-jähriges Jubiläum. Das 1979 als Sparte der damaligen Städtischen Bühnen gegründete und 1993 in Vereinsträgerschaft überführte Haus gehört zu den wenigen kommunalen Puppentheatern im Osten Deutschlands, die ihre Identität als Ensemble- und Repertoiretheater auch in der Nachwendezeit erfolgreich behaupten konnten. V o n K a t j a S p i e s s /// Sibylle Tröster, seit 2009 Intendantin des Theaters, hat das Profil des Hauses als Ensemblepuppentheater in den letzten zehn Jahren systematisch gepflegt und weiterentwickelt. Mit dem Programm des Festivals Synergura und dem Engagement internationaler Gastregisseur*innen forderte sie Ensemble und Publikum immer wieder mit neuen Ästhetiken und Handschriften heraus und suchte diese für den Spielplan fruchtbar zu machen. Eine der impulsgebenden künstlerischen Partnerschaften der letzten Jahre war die Zusammenarbeit mit der in Amsterdam lebenden Figurenspielerin und Regisseurin Ulrike Quade, aus der zwei Gemeinschaftsproduktionen entstanden: 2017 „Die Liebe der kleinen Mouche“ nach dem Roman von Paul Gallico und 2019 – als Kooperationsprojekt mit dem Theater Erfurt und dem Tanztheater Erfurt – eine Neuinszenierung von Henry Purcells „The Fairy Queen“.    Vor allem die „überzeugend klare Bildsprache und die kompromisslose Konsequenz ihrer Inszenierungen“1 habe sie an Ulrike Quades Theater gereizt, beschreibt Sibylle Tröster den Initiationsmoment für die gemeinsame Inszenierungsarbeit. Sehr wichtig sei ihr deshalb in der konzeptionellen Vorarbeit zur ersten Gemeinschaftsproduktion das partnerschaftliche Miteinander gewesen, „und Ulrike Quades Interesse, mit einem ganzen Ensemble professioneller Puppenspieler*innen arbeiten zu können, hatte großen Anteil daran, dass wir uns letztlich für ‚Die Liebe der kleinen Mouche‘ entschieden“. Auch Ulrike Quade beschreibt als eine wesentliche Qualität der Zusammenarbeit „die Gespräche mit der Intendantin und der Dramaturgin über Inhalte und Repertoire und wie sich diese beiden Größen zueinander verhalten. Ein Gespräch, das in den Niederlanden viel weniger geführt wird, da weniger Repertoireverbundenheit besteht. Auch ist es ein ungekannter Luxus mit Puppenspielern zu arbeiten, die ihr Handwerk bis ins Detail verstehen und selbst Bühnenmaterial anbieten.“    Nicht nur in der konzeptionellen Vorbereitung, auch in der Inszenierungsarbeit selbst erprobten beide Seiten neue partnerschaftliche Konstellationen. Da Ulrike Quades Produktionen stark von raumästhetischen, musikalischen und choreografischen Struk1 Die wörtlichen Zitate stammen aus einem Mail-Interview der Autorin mit Sibylle Tröster und Ulrike Quade im August 2019.

Theater Waidspeicher, Theater Erfurt, Tanztheater Erfurt e.V., Ulrike Quade Company, The Fairy Queen – Ein Sommernachtstraum. Foto: Lutz Edelhoff

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KOOPERATION

turen geprägt sind, arbeitet sie stets in einem Team von Spezialist*innen aus Musik, Tanz, Lichtkunst und Szenografie. Dieses wurde auch Teil des Erfurter Inszenierungsteams. Gefragt nach den besonderen Herausforderungen, die solch ein die Grenzen von Genres, Strukturen und Nationen überschreitendes Projekt bedeutet, schreibt Ulrike Quade: „Grenzüberschreitungen sind ein zentrales Thema meiner Arbeit. In den Niederlanden gibt es keine Ausbildung zum Puppenspiel, und alle Performer, mit denen ich arbeite, haben eine andere Ausbildung, sind Tänzer, Schauspieler oder Musiker und sind oftmals noch nie einer Puppe begegnet, wenn wir unsere Zusammenarbeit beginnen.“    Über die Organisation von gemeinsamen Arbeitsprozessen hinaus habe das Thema Grenzüberschreitung im Puppentheater für sie vor allem einen inhaltlichen Fokus: „Die Puppe ist in meiner Arbeit zunehmend ein Konzept. Das Bild, welches der Mensch sich durch die neuen Technologien von sich selbst schafft, ist beinahe wichtiger geworden als der Mensch selbst. Somit ist auch die Beziehung vom Menschen zum Objekt und zur Puppe in seiner Sichtbarkeit ein essenzielles Thema für die Bühne.“    In „Die Liebe der kleinen Mouche“ sind es der soziale Mikrokosmos einer Schausteller- und Puppenspielertruppe und die Welt des Puppentheaters, die einander spiegeln und durchdringen. Die – in der Romanvorlage menschliche – Hauptfigur Mouche überschreitet permanent die Grenze dieser beiden Realitätsebenen, da sie mit den Puppen wie mit ihresgleichen spricht und Konflikte aus der Menschenwelt mittels der Puppen anzusprechen und zu lösen versucht. In ihrer Inszenierung löst Quade die Grenze weiter auf, indem sie Mouche von einer lebensgroßen, offen gespielten Puppe verkörpern lässt und damit eine zusätzlich verbindende, zeichenhafte Dimension eröffnet.    In der auf Shakespeares „Sommernachtstraum“ basierenden Semi-Opera „The Fairy Queen“, die Tänze, Gesangsnummern und gesprochene Szenen zu einer großen Feier der Bühnenkünste vereinigt, steht Grenzüberschreitung thematisch wie formal ebenfalls im Zentrum. In Quades Inszenierung sind es vor allem Geschlechterrollen und Geschlechterhierarchien, die lustvoll durcheinandergewirbelt und auf den Kopf gestellt werden. Im Zauberwald vor Athen – der von einem überdimensionalen Traumfänger mit zahlreichen von der Decke hängenden Objekten beherrscht wird – regiert das (von Sängern gespielte) Königspaar Oberon und Titania über ein buntes und queeres (sich aus allen Sparten rekrutierendes) Feenvolk, das die beiden entflohenen (und von Tänzern verkörperten) Paare und die Gruppe der (von Puppenspielern interpretierten) Handwerker in ein turbulentes Macht-, Traum- und Verwirrspiel hineinzieht. Interessant ist hierbei nicht nur die – schon bei Purcell so konzipierte – eklektische Vermischung der verschiedenen Theatergattungen, sondern vor allem ihre Verbindung in einem umfassenden körpersprachlichen Gesamtkonzept. Im inszenatorisch-choreografischen Zusammenspiel von skulpturalen Objekten, Spielerund Puppenkörpern entstehen neue Beziehungs- und Bedeutungsebenen. Athener Hof und Feenwald erscheinen nicht als polare „Gegenwelten“, sondern als aufeinander bezogene gesellschaftliche Sphären, die sich wechselseitig aufladen und hinterfragen.    Auch wenn „The Fairy Queen“ vorerst das Ende der Zusammenarbeit zwischen dem Theater Waidspeicher und Ulrike Quade markiert, weisen die gemeinsamen Erfahrungen für beide Partner*innen in die Zukunft. „Der Respekt und die beinahe verliebte Faszination, mit der Sänger*innen, Tänzer*innen und Puppenspieler*innen in dieser Produktion der Arbeit der jeweils anderen begegneten“, so Sibylle Tröster, habe bei allen beteiligten Sparten den Wunsch zu weiteren genreübergreifenden Arbeiten geweckt. Und für Ulrike Quade steht fest, dass der „Wunsch nach mehr struktureller Zusammenarbeit mit internationalen Bühnen in Zukunft eine große Rolle spielen wird.“ Denn, so eine der von ihr benannten wichtigen Erfahrungen der Arbeit an einem festen Haus: „Während der Montage des Stücks wurden mir so viele praktische Fragen aus der Hand genommen, dass ich künstlerisch fliegen konnte. Ich denke, dass dies das größte Geschenk ist, das eine Theaterstruktur einem Künstler machen kann. Das Theater als Produktionsstätte und die Autonomie, frei über Inhalte und Titel nachzudenken, ist das Beste beider Welten.“ – www.waidspeicher.de -- www.ulrikequade.nl Theater Waidspeicher, Ulrike Quade Company, Die Liebe der kleinen Mouche. Foto Lutz Edelhoff

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INSZENIERUNG

( ver)führung ist (k)eine kunst „3 Episodes of Life“ von Markus Öhrn thematisiert Missbrauch im Kulturbetrieb V o n A n n i k a G l o y s t e i n /// „Julius Jantunen ist dafür bekannt, radikale und oft kontroverse Themen und Methoden für seine Performances zu verwenden.“ So steht es im fiktiven Wikipedia-Eintrag, den das Publikum mit dem Programmzettel bekommt. Von einem „ProvokationsKünstler“ ist zu lesen, der als „Bühnenbildner, Dramatiker, Regisseur und Choreograf“ arbeitet. Fast die ganze Theaterzunft exemplarisch in einem Mann vereint.    In den „3 Episodes of Life“ – die bei den Wiener Festwochen 2019 einzeln an aufeinanderfolgenden Abenden oder auch an einem Tag in fünfeinhalb Stunden hintereinanderweg zu sehen waren – beschäftigt sich der schwedische Künstler Markus Öhrn mit Aspekten der Macht, deren Missbrauch sowie der Erniedrigung und Ausbeutung von Kunstschaffenden. Dies zeigt er exemplarisch an einem Berufsfeld, in dem Körperlichkeit per se eine Rolle spielt. Wir sehen Jantunen bei der Tanzprobe, bei der sich eine Neue im Team bewähren muss (Episode 1), wie diese Tänzerin bei ihm auf dem Hotelzimmer zu Besuch ist (Episode 2) und er zu den dortigen Geschehnissen ein Statement abgibt (Episode 3). Öhrn zeigt dabei Stereotypen und (Geschlechter-) Klischees: Er (Macht / Täter) – Künstlergenie, egozentrisch und selbstverliebt seine Interessen vertretend vs. Sie (Ohnmacht / Opfer) – Elevin, lechzend nach Anerkennung und Aufmerksamkeit, voller Unsicherheit und Bewunderung. So weit, so eindeutig.    Spannend ist die Form, die Öhrn selbst „Silent Movie Theatre“ nennt: Auf der Bühne spielen Dorit Chrysler am Theremin und Arno Waschk am Klavier ihre Komposition zum hinter ihnen eingeblendeten Stummfilm. Sprache ist als Zwischentitel (Text: Myra Åhbeck Öhrman) zu lesen. Auf ihren Köpfen tragen die Akteure im Film wie auch die Musiker auf der Bühne übergroße PappmachéMasken. Große Augen, offene Münder mit Schlauchbootlippen – der Gesichtsausdruck liegt zwischen erschrocken, leicht dümmlich und lasziv. Die Absenz von Mimik und Stimme wird durch die Körpersprache der Akteure kompensiert, zusammen mit den eingeblendeten Worten sowie der Live-Musik formt sich aus den Versatzstücken ein Theater im Kopf. Das macht es schwer, sich herauszuziehen.    Distanz ist nur möglich, indem man sein eigenes Beobachten beobachtet: Unbehagen daran, wie Jantunen mit den Tänzerinnen umgeht. Was macht aus der Berührung, die die Körperhaltung korrigiert, Übergriffigkeit? Unsicherheit darüber, was den Blick steuert. Ist die Kameraperspektive eine mir bloß aufgezwungene? Ratlosigkeit, wenn das Gesehene nicht in eindeutige Kategorien passt. Wo beginnt Missbrauch? Zwiespältigkeit, wenn mich quält, was ich sehe und ich mich doch nicht abwende. Bin ich ein Voyeur? Schriftliche Handreichungen vor jeder Episode stimmen auf das Kommende ein. Assoziationen werden freigesetzt („Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass in der ersten Episode Kunst-Blut, Kunst-Sperma und … Nutella verwendet werden.“), Erwartungshaltungen überprüft, Meinungen verfestigt. Die Grenze zwischen Führung und Verführung verschwimmt. Mein Anteil als Konsument an diesem System wird thematisiert. Kann ich ein Ereignis erwarten, unmittelbar und authentisch – aber bitte fairtrade produziert? Julius Jantunen ist erfunden, doch das macht ihn nicht weniger real. – www.festwochen.at Markus Öhrn, 3 Episodes of Life. Foto: Nurith Wagner-Strauss

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WEITERBILDUNG

„frag en, die ich mir in der schauspielregie nicht stelle.“ Statements zur Werkstatt Regie und Objekt in Dresden

Die Gründung einer Fortbildung für Puppen- und Objekttheaterregie am tjg.theater junge generation Dresden ist als Reaktion auf einen eklatanten Mangel zu verstehen: Es gibt bisher keine Ausbildung für Regie im Bereich der animierten Theaterformen.1 Zum Abschluss der Dresdner Werkstatt befragte die Direktorin des Figurentheaters am Theater Chemnitz, Gundula Hoffmann, teilnehmende Regisseur*innen und Darsteller*innen und leitet auch die daraus entstandenen, hier auszugsweise wiedergegebenen Reflexionen und Kommentare ein. Acht Regisseur*innen besuchten von September 2018 bis August 2019 die Werkstatt Regie und Objekt am tjg. theater junge generation Dresden. Die von der Intendantin Felicitas Loewe initiierte und in Kooperation mit dem Studiengang Zeitgenössische Puppenspielkunst an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch" Berlin konzipierte Fortbildung für Puppen- und Objekttheaterregie wurde durch den Theaterpreis des Bundes finanziert, die künstlerische Leitung lag bei der Regisseurin und Professorin am kooperierenden Studiengang, Astrid Griesbach. Auf diverse Blockveranstaltungen zu Theorie und Praxis des Puppen- und Objekttheaters folgte Ende August 2019 die Abschlussinszenierung „Marco Polo“.    Ich lernte die teilnehmenden Regisseur*innen während des sächsischen Puppentheatertreffens in Sauen kennen, wo sie gemeinsam mit den Kolleg*innen der sächsischen Puppentheater Workshops besuchten und ihre selbstständig entwickelten Regie-Konzepte vorstellten: Inspiriert von „Il Milione“ und einem Kinderbuch zu Marco Polo wählte jede*r der acht Werkstatt-Teilnehmer*innen eine Station oder Episode aus der Reise Marco Polos und interpretierte diese mit Mitteln des Erzählens und des Puppen- und Objekttheaters aus eigener, heutiger Sicht. 1 worauf auch das Puppentheater Magdeburg im Sommer 2018 mit einer „Masterclass Regie“ und einem Fachgespräch reagiert hatte. Vgl. double 38, S. 37.

tjg. theater junge generation Dresden, Werkstatt Regie und Objekt, Marco Polo. Foto: Marco Prill

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WEITERBILDUNG

Nach dem Besuch der Premiere stellte ich drei beteiligten Regisseur*innen sowie zwei Spielerinnen per Email einige Fragen. Fragen an die Werkstattteilnehmer*innen Nora Otte, Christoph Levermann und Johanna Zielinski: Welche Erfahrungen habt ihr in diesem Jahr in der Werkstatt Regie und Objekt gesammelt? N o r a O t t e : Ich habe die Zusammenarbeit mit dem Puppenspieler*innen-Ensemble am tjg sehr genossen. Sie haben unermüdlich mit uns gearbeitet, sich unseren Fragen gestellt und ihr kreatives Knowhow mit uns geteilt. Das gemeinsame Erschaffen von Figuren und Situationen, sowohl in kleinen Übungen als auch bei der Abschlussproduktion „Marco Polo“, war faszinierend. Zudem waren die Blockseminare und Workshops, in denen uns Wissen über das Puppen-Figuren-Objekt-Theater praktisch und theoretisch vermittelt wurde, sehr inspirierend. Doch eine der schönsten Erfahrungen war, als all das, was wir uns da für „Marco Polo“ ausgedacht haben, mit dem Publikum, den 10-jährigen Zuschauer*innen, aufgegangen ist. C h r i s t o p h L e v e r m a n n : Ich habe unter anderem erfahren, dass „Learning by doing“ für mich am besten funktioniert. Ein konzeptioneller Denkansatz kann nie so gut sein, wie das, was daraus in Zusammenarbeit mit den Spieler*innen während der Proben entwickelt wird; vorausgesetzt natürlich, das Ensemble kann sich für das Projekt begeistern. Eine weitere Erkenntnis ist, dass mich meine Erfahrung als Puppenspieler enorm beim Regieführen unterstützt; auf der anderen Seite ist dieser Perspektivwechsel wiederum sehr hilfreich für meine Tätigkeit als Darsteller. Was hat sich, euren Erwartungen entsprechend, eingelöst, was hat überrascht oder konnte sich nicht erfüllen? O t t e : Im Prinzip haben sich alle Erwartungen, die ich im Vorfeld hatte, eingelöst. Manchmal hätte ich mir für die einzelnen Seminare oder Workshops mehr Zeit gewünscht, aber das ist wohl ein normales Bedürfnis bei einer solchen Weiterbildung. Wir haben sowohl unterschiedliche Puppentheater und freie Gruppen als auch Ästhetiken, Spielweisen und Erzählformen des Genres kennengelernt. Wir haben von Silvia Brendenal einen komplexen theoretischen Überblick bekommen, haben uns mit Astrid Griesbach aktuelle szenische Arbeiten von Studierenden der Abteilung Puppenspielkunst der HfS „Ernst Busch“ Berlin angeschaut und besprochen. Überraschend fand ich, dass es in der deutschen Theaterlandschaft so wenig Puppentheater für Erwachsene gibt. L e v e r m a n n : Überrascht hat mich der große Lerneffekt bei der Regieassistenz, die Teil der Werkstatt war – eine gute Lektion in Sachen Demut. Regie zu führen ist das eine, eine komplette Produktion zu stemmen mit all den Prozessen abseits der Probebühne, ist dagegen eine ganz andere Nummer. j o h a n n a Z i e l i n s k i : Für mich hat sich in dem letzten Jahr eine neue Welt eröffnet: Ich war erstaunt über die unzähligen Möglichkeiten der Darstellung und der Erzählung, die sich aus dem Zusammenspiel von Spieler*in und Objekt/Puppe ergeben können. Und mir ist klargeworden, dass diese Kunst oft unterschätzt wird. Das zeigt sich ja unter anderem daran, dass es kaum Stoffe gibt, die explizit für das Puppen- und Objekttheater geschrieben werden. Was ist für euch der Unterschied zwischen Schauspiel- und Puppen- bzw. Objekttheaterregie? O t t e : Was mich am Puppenspiel am meisten fasziniert, ist, wie die Spieler*innen dem Material oder den Figuren/Puppen/Objekten Raum und Zeit, Bewegung und eine Stimme geben und sich selbst dahinter in höchster Konzentration zurückzunehmen. Z i e l i n s k i : Und man sollte sich darüber bewusst sein, dass die Puppenspieler*innen neben all den Aufgaben, die auch Schauspieler*innen bewältigen, vor allem die Ebene der Puppe/des Objektes bedienen, selbst wenn dies spielerisch oder inhaltlich voneinander abgekoppelt ist – dass sie also immer mehrere Ebenen von Material und Körper im Blick haben müssen. L e v e r m a n n : Ein Hauptunterschied zwischen Schauspiel und Puppentheater liegt für mich in der physischen Beschaffenheit der handelnden Figuren. Den Schauspielkörper als solchen stelle ich nicht in Frage. Bei einer Puppe bzw. einem Objekt, mit dem etwas Lebendiges und Sinnliches behauptet wird, haben das Aussehen und die Zusammensetzung des Materials jedoch eine enorm große, dramaturgische Bedeutung. Woraus und wie wird eine Figur konstruiert, bzw. dekonstruiert? Wodurch wird ihr Leben eingehaucht? Wie ist ihr Verhältnis zu den Puppenspieler*innen? Das sind alles Fragen, die ich mir in der Schauspielregie nicht stelle. Welche Erzählformen, Ästhetiken oder Spielweisen würdet ihr gerne weiter erforschen? O t t e : Die Kombination aus unterschiedlichen Darstellungsformen finde ich sehr reizvoll: In meiner Geschichte spielten Tanz, Material/Objekt und Maske eine wesentliche Rolle. Diese Interdisziplinarität der Künste wird sich sicher weiterhin in meinen Arbeiten wiederfinden. L e v e r m a n n : Ich denke derzeit weniger in Formen. Was mich interessiert, ist die Notwendigkeit, mit der dieser Stoff, in dieser Zeit, an diesem Ort und für dieses Publikum aufgeführt wird. Wichtig ist auch, worin der Mehrwert von Puppen in der szenischen Umsetzung der Thematik liegt. Was kann die Puppe, was ein*e Schauspieler*in nicht leisten kann? Spannend ist der Moment, in dem

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WEITERBILDUNG

der menschliche Ausdruck der Darsteller*innen nicht mehr ausreicht und sie zum „Dinglichen“ greifen müssen, um ihr Anliegen zu vermitteln. Zwei Fragen noch an die beiden an der Werkstatt beteiligten Spielerinnen Ulrike Schuster und Viviane Podlich: Wie hat sich der Austausch zwischen der Werkstatt Regie und Objekt und euch, den Ensemblemitgliedern des tjg über die Spielzeit hinweg gestaltet? U l r i k e S c h u s t e r : Ich hatte das Glück, an vielen Veranstaltungen der Werkstatt als Spielerin teilnehmen zu können. Insofern war ich Gesprächspartnerin, freiwilliges Versuchsinstrument, Reflektierende und Mitlernende. Während der Produktionen, bei denen die Werkstattteilnehmer*innen als Regieassistenz mitgearbeitet haben, war der Erfahrungsaustausch natürlich besonders intensiv. V i v i a n e P o d l i c h : (...) Auch wenn zwischen den einzelnen Blockveranstaltungen der Werkstatt kaum Austausch möglich war, da alle in anderen Städten, teilweise in anderen Ländern arbeiteten, entwickelte sich ein Gefühl immer tiefer: Wir sind alle Teil der Werkstatt, Lernende und Lehrende zugleich. Wie war für euch als Spielerinnen die Probenarbeit zur „Marco Polo“ - Inszenierung mit acht verschiedenen Regisseur*innen? S c h u s t e r : Synchronschachspieler*innen müssen sich gleichzeitig auf mehrere Partien konzentrieren und sofort umschalten zwischen den Konstellationen, von denen jede ihrer eigenen Dynamik folgt. So hat sich für mich das Ganze ein bisschen angefühlt. Insofern war mir wichtig, dass die Regisseur*innen ihre Intentionen deutlich formulierten, um als Spielerin schnell einsteigen zu können. P o d l i c h : Auf jeden Fall herausfordernd. In der Probenarbeit zu „Marco Polo“ lief alles wie im Zeitraffer ab. (…) Manchmal kamen mir die Proben vor wie eine kollektive Arbeit, manchmal so, als wären wir Spieler*innen eine Art Problemlöser für ein nicht schlüssiges Konzept. Aber sich selbst in so kurzer Zeit in so verschiedenen Konstellationen zu erleben, war sehr spannend. Ich glaube, wir sind alle daran gewachsen. – www.tjg-dresden.de – www.hfs-puppe.de

Werkstatt Regie und Objekt am tjg. theater junge generation Dresden. Foto Marco Prill

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S U MM A R I E S T H EM E OF D OUB LE 40: “ RE SON A N CES”

For him, presence is thus directly connected to a body that vibrates as a resonant space when dealing with objects, dolls and masks; it moves in a tension between perception and memory. He searches for a permeable ”osmotic“ body, which is not stuck in expression. Rather, the audience should be able to experience a reverberation or imprint that is not directly associated with a psychological significance. In his new production ”Imprint“ he has worked with death masks, post mortem photography and family portraits, whose impulses for the performers are translated into a movement vocabulary that establishes a resonance between presence and absence in the here and now.

R e s o n a n ce a n d t h e ex perie n ce of t h eat re A swaying under the feet, a tingling on the skin, vibrations in the mind (p. 6–8) Which of us does not know this feeling, when something starts to sway, or one body starts to move together with another – resonance. The phenomenon is omnipresent between physical vibration, aesthetic experience and social efficacy. Therefore Meike Wagner considers it worth trying to use the concept of resonance in its ambiguity to explain the dynamics and processes that occur between space, art objects, actors and spectators. The aspect of shared experience also plays a role. We have all experienced the moment when not only a sudden tense relationship arises in actors and their artistic actions, but also when all the spectators present feel a connecting vibration. Triggered by what happens in the space, on stage, a 'feeling community' arises, and this is infectiously manifested not least in the resonance of laughter.

Resi stant resonances Productive tensions between performers and the audience (p. 16–17) Eva Meyer-Keller reports on the response to her plays from the audience and how these reactions and vibrations affect her artistic work. Her ambition as an artist is to keep her own work constantly open for such effects. For her, resonances do not mean that the audience likes something, but that they provoke some resistance. As an artist, she tries to calculate this to a certain degree, but ultimately sets impulses that elude her control. In her view, this resonant communication between artist, art, and audience has definite political aspects when her humorous and light-hearted artistic work shifts perspectives. Her latest piece, ”Some Significance“, challenges the inviolability and reality status of the world as put forward by physics, (one of the domains of male control and the exercise of power) with the help of household utensils and everyday objects. Which of us would not consider this political?

“ Th e c re at ure is gon e ” On creating a resonance space in future II (p. 9–11) Steffen Georgi uses his detailed presentation of the project “Memories for Tomorrow” by Leipzig-based artists Alisa Hecke, Julian Rauter and Andi Willmann to discuss art as a resonance space between death and life. The artists deal with staging the practice of preserving and producing taxidermy, thereby exploring the boundaries between theatre and natural history. In conversation with the artists, the path soon leads from the (apparently) solid terrain of the craft aspects of animal preparation to the far more diffuse – if you will, murky because less rigid – terrain of life and death, of body and soul, and speculations about a changing world. The animal (i.e. the animal that has become a specimen stuffed object) resists the gaze of people. Thus vibration suddenly arises as an irritating, even uncanny undertone of continuity against the passing of time. And this explicitly also means the passing lifetime of the human observer. The story is able to create a re-animation of the animal object. And that means here above all, via those barely perceptible resonances that still permeate every form of narration that claims to be art.

The alchemy of the senses How a theatre play emerges from a vibration (p.18–19) Ari Teperberg gives us insights into the development process of his production ”And my Heart Almost Stood Still“ (2018). Inspired by Helen Keller – she was deaf and blind – and her ability to have a comprehensive aesthetic-musical experience through resonance vibrations, he has created a piece in which, through the artistic development of a physical hypersensitivity, he brings his senses into vibration with those of the audience. Thus he describes his piece as a series of actions and mechanisms that enhance the senses and make the audience aware of them. The audience experiences something generated outside of them with their own bodies. In this sense the piece is also about empathy, about the fact that we unintentionally vibrate and resonate passively and thus identify with something. On another level, it's about reactivating Keller's historical resonance experiences. How can we succeed in making the vibrations of that time palpable once more?

Ta k i n g joy in t h in gs Resonance relationsships in contemporary figure theatre (p. 12–13) Resonance, understood as a special mode of relationship between the subject and the world, also opens up interesting insights and perspectives for contemporary figure theatre. The article by Katja Spiess is a tentative attempt to make some core theses of the current resonance debate (in particular by the sociologist Hartmut Rosa), fruitful for puppet theatre. She refers to a concept of resonance as a reciprocal relationship and connectedness that seems almost indispensable in figure, object and material theatre. For those people who only want to use and master things, they remain silent. And for those who are unable to transform them, they remain alien. But both - the animation and the playful transformation of objects – are constitutive for all forms of figure theatre. Based on her visual experiences and her joy in things that trigger vibrations, the author discusses resonance as a central event in the art of figure theatre.

Resonance catastrophes Building-up _ Layering _ Sharpening (p. 20–21) Based on the looping phenomena and condensations of acoustics and sound art, Kurt Hentschläger places his installative art projects in the context of events of highly resonant encounters with other people, environments, art/culture that trigger strong feelings. What interests him here is the area of an endless loop environment in which controlled existence weakens after a while and fades into the background. The loop becomes the world, the all-embracing architecture, and sooner or later one's own self becomes part of the loop. Time stands still or seems to stand still; the present is immediate. In his installation SOL, which was shown at the international figuren.theater.festival Erlangen this year, visitors had to rely on their hearing and tactile senses as far as possible, and could only

Th e body a s a ve ssel Resonance and echo in puppet theatre (p. 14–15) In his work Jan Jedenak usually starts from a body that functions as a vessel. This body is in an ”empty“ open state – he would call this state “presence”.

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ENGLISH SUMMARIES

repeatedly, for fractions of a second, visually orient themselves when abstractly minimal light animations lit up the room in a flash to trigger after-images on the visitors' retinas.

in very different ways - and which question our perspective on nature. And Anke Meyer interviews curator Bianca Sue Henne about the unusually strong presence of the ”Theatre of Things“ in the programme of ”Augenblick mal! 2019 – the Festival of Theatre for Young Audiences in Germany“. Under the heading ”Cooperation“, Katja Spiess reports on the collaboration between Theater Waidspeicher Erfurt and the Dutch theatre maker Ulrike Quade – a productive encounter between two different working structures. Double author Annika Gloystein attended an extraordinary production on a highly topical subject at the Vienna Festival: “3 Episodes from Life” by Markus Öhrn thematises abuse in cultural enterprises. And Gundula Hoffmann interviewed participants in the ”Object and Directing Workshop“ in Dresden. Some of the resulting reflections and comments are documented under the heading ”Weiterbildung“ (Further Training).

W h at ' s st ill re son at in g? Conversation with the musician Charlotte Wilde (p. 22–23) Although the musician Johannes Frisch is quite critical of the concept of resonance, he sees affinities and approaches between music, space and object in cross-genre artistic processes, which can be vividly described with the physicalacoustic concept of resonance. The interview with the stage musician and composer Charlotte Wilde, the musical part of the puppet theatre Wilde & Vogel, revolves around this thematic field in a freely associative way. In doing so, the two musicians note that a mutually induced oscillation remains uninteresting when unaccompanied; it gets exciting when different artistic means converge in a tension, because too much harmony will not open up new spaces. Silence, on the other hand, opens up a special space for reverberation in which the audience is thrown back on themselves. After such moments, a fresh input of music has the effect of a special moment.

T h e “illusion of life ” How the art of puppetry enables us to reimagine medicine (p 24–27) The puppeteers Marina Tsaplina, Jules Odendahl-James and Torry Bend report on their cooperation with the medical course entitled ”Reimagine Medicine“ at Duke University. The goal of the new study program is to strengthen the composition, practices, and philosophical foundations for working in the context of human suffering, loss, and death. In order to counter the health crisis in the USA, the artists worked with medical students on artistic experiments that strengthen awareness of their own bodies and their empathy towards others. Puppetry thus became the central means not only for exploring creative imagination or 'storytelling', but also for exploring the embodiment itself, which emerges collectively from the experience, diagnosis and therapy of disease. After extensive bodily exercises, the students explored their own physical feelings in relation to these objects with simple stick puppets and foam balls, based on training forms developed by Sandglass Theater.

S U MM A RY OF T H E SECT ION S In reviewing the aesthetically wide-ranging programme of the International Figure Theatre Festival 2019 in Erlangen and other cities, Christina Röfer and Anke Meyer focus on two thematic complexes: the relationship between individual and collective experience and the porous boundaries between truth and deception. Mascha Erbelding travelled to the Festival Mondial des Théâtres de Marionnettes in Charleville-Mézières where she saw an excerpt from the programme with a focus on French productions, whose central questions she identifies as literary and philosophical. Katja Kollmann reports on the points of contact between experimental music and object theatre that were the focus of the ”Klang der Dinge“ (Sound of Things) festival at the Schaubude Berlin. In his ”Stippvisite“ (flying visit) contribution, the Belgian theatre critic Tuur Devens discusses the term ”theatre of things“ in the context of current developments in the stage arts in Flanders and worldwide changes in our living conditions. Using exemplary productions as examples, he finds many reasons for using this term. Under ”Meinung“ (Opinion), Eliane Attinger, former director of the ”Feikes Huis“ production centre in Amsterdam, sees things in quite a different light. In the ”Seitenblick“ (side glance) column, Christina Röfer elucidates three productions that approach the complicated relationship between art and nature

Theater o.N. Schnürchen. Foto: David Beecroft

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NOTIZEN

FESTIVALS Musikmaschinen, Theaterminiaturen, Lichtinstallationen, Figurentheater aus Eis, Tanz und Akrobatik, Magie und Straßentheater – das Potsdamer Theaterfestival Unidram feiert fünf Tage lang eine schillernde Welt unterschiedlichster visueller Theaterformen. Mehr als 80 Künstler aus ganz Europa und Brasilien, werden auf Potsdams Kulturareal Schiffbauergasse vom 29. Oktober bis zum 02. November 2019 erwartet. – www.unidram.de Vom 1. bis zum 3. November 2019 findet erneut das internationale Figurentheaterfestival figuma im Alten Schlachthof Eupen in Belgien, nicht weit von der deutschen Grenze entfernt, statt. Die Besucher erwartet Figurentheater für Erwachsene aus u.a. Deutschland, Israel, Tschechien, den Niederlanden … Vertreten sind unter anderem die Puppenspieler Harriët Stroet und Ariel Doron. – www.alter-schlachthof.be euro-scene Leipzig (5. bis 10. November 2019) zeigt zum Auftakt zwei Inszenierungen, die mit Mitteln des Puppentheaters arbeiten: “Königsweg” von Elfriede Jelinek in der Regie von Nikolaus Habjan und “Das Lackballett” vom Theater der Klänge nach einer Vorlage von Oskar Schlemmer. Diese Ausgabe der euro-scene ist die vorletzte unter der Leitung von Ann-Elisabeth Wolff . Neuer Direktor und künstlerischer Leiter des Festivals wird ab 2021 Christian Watty. – www.euro-scene.de Unter der Überschrift „Theatre on Life and Death” bietet das Festival of Wonder im dänischen Silkeborg neben vielen Premieren aus Dänemark ein internationales Programm mit Inszenierungen des Puppen- und Objekttheaters unter anderem aus Frankreich, Spanien, den USA, Schweden, Israel, Bulgarien, Deutschland ... – www.festivalofwonder.dk El Més Petit de Tots (Ich bin auch klein) heißt ein internationales Festival für frühe Kindheit (0 bis 5 Jahre), das vom 9. bis 24. November 2019 in Sabadell, Barcelona und neun anderen Städten den aktuellen Stand der darstellenden Kunst für dieses Publikum präsentiert. Integriert ist ein Fachtreffen vom 14. bis 17. November – http://www.elmespetitdetots.cat – Ebenfalls an ganz kleine Kinder wendet sich das Münchner Theaterfestival für Anfänger Kuckuck vom 20. bis 30. März 2020. – kuckuckfestival.com Vom 30. Januar bis 9. Februar 2020 präsentiert das Internationale Theaterfestival animierter Formen Imaginale Figurentheaterproduktionen und Arbeiten im Grenzbereich zu Tanz, Musiktheater, Performance und Digitalkunst. Eingeladen nach Stuttgart und in andere Städte Baden Württembergs sind 25 Ensembles und Solisten aus Israel, Belgien, Frankreich, Spanien, Finnland, Slowenien, Tschechien, den Niederlanden, der Schweiz und Deutschland. – www.imaginale.net Das Straßburger Festival Les Giboulées – Biennale Internationale Corps-Objet-Image verhandelt vom 13. bis 21. März 2020 wieder die vielfältigen Beziehungen zwischen Körper, Objekt und Bild. Die bisher angekündigten Gastspiele für junges und erwachsenes Publikum weisen auf einen choreographischen Schwerpunkt hin. – www.tjp-strasbourg.com konferenz Auf ihr Potezial als Metapher für existenzielle menschliche Erfahrungen wird die Theaterpuppe auf einer internationalen Konferenz vom 27. bis 31. Mai 2020 in Calgary/Kanada befragt: Puppet Power 2020: Puppets Go Existential. Conference on Applied Puppetry. Das WP Puppet Theatre lädt Puppenspieler*innen, deren Arbeit sich auf existenzielle Fragen unserer Zeit bezieht, zur Beteiligung mit Präsentationen, Workshops oder Inszenierungen ein. Näheres unter wppuppet.com/

AUSZEICHNUNGEN Elf Theater wurden mit dem Theaterpreis des Bundes 2019 ausgezeichnet, darunter mit dem Puppentheater der Stadt Magdeburg, dem Piccolo Theater Cottbus und dem Helios Theater Hamm drei Theater, die Puppe/Objekt als bevorzugtes Darstellungsmittel einsetzen. Neben der bundesweiten Aufmerksamkeit bedeutet dies 75.000 € für künstlerische Vorhaben, die jedem Theater zukommen. – www.iti-germany.de Mit dem ASSITEJ Veranstalterpreis werden diejenigen geehrt, die Theatergastspiele für ein junges Publikum ermöglichen, ein Programm von hoher Qualität für verschiedene Altersgruppen zusammenstellen und gastierenden Künstler*innen ebenso wie dem Publikum gastfreundlich begegnen. Einer der 2019 vergebenen drei Preise ging an den Leiter der Schaubude Berlin, Tim Sandweg. – www.assitej.de/ Der Götz-Friedrich-Studiopreis 2019 wurde der Regisseurin Kai Anne Schuhmacher für ihre Inszenierung von Viktor Ullmanns 1943 im Konzentrationslager („Ghetto“) Theresienstadt komponierte Kammeroper „Der Kaiser von Atlantis“ zuerkannt. Die 31-Jährige war 2017–2019 die erste Stipendiatin der Theater-Stiftung Gera und hat am Puppentheater der Theater Altenburg Gera drei Inszenierungen erarbeitet. – Das Programm „neue unentd_ckte narrative“ wurde mit dem Sächsischen Preis für Kulturelle Bildung „Kultur. LEBT.Demokratie“ 2019 ausgezeichnet. Gewürdigt wurde der Ansatz, abstrakte Begriffe wie Toleranz, Demokratie und Weltoffenheit mit konkreten Geschichten sichtbar zu machen. Beispielhaft genannt wurde das Stück „Aufstand der Dinge“, das die Sparte Figurentheater/Theater Chemnitz in Kooperation mit „neue unentd_ckte narrative“ entwickelte. – www.programm-nun.de Der Fritz-Wortelmann-Preis der Stadt Bochum 2019 wurde am 22. September in drei Kategorien vergeben, die Preisträger sind: Puppenspielclub des Puppentheater Magdeburg mit „Wie ich zum besten Schlagzeuger der Welt wurde – und warum“ (Kategorie Schultheater/Jugendclubs); Theaterwerkstatt Haus im Park Hamburg mit „Geschichten aus der Besenkammer“ (Kategorie Erwachsene Amateure) und Li Kemme von der HMDK Stuttgart/Studiengang Figurentheater mit „Echo of an End“ (Kategorie professioneller Nachwuchs). – www.fidena.de FORTBILDUNG Auch unter der neuen Leitung von Seta Guetosyan bietet das Figurentheater-Kolleg in Bochum die Fortbildung Figurentheater an. Sie richtet sich an alle, die den Beruf Figurenspieler*in ausüben, Puppentheater im Beruf einsetzen oder sich generell mit dieser Theaterkunst auseinandersetzen möchten. Den Einstieg in die Fortbildung bildet der 14 Wochen dauernde Orientierungskurs (25.04.–31.07.2020), in dem grundlegende Kenntnisse der Darstellenden und Bildenden Kunst in Theorie und Praxis, mit Fokus auf Figurentheater, vermittelt werden. – www-figurentheater-kolleg.de AUSSTELLUNGEN / PUBLIKATIONEN die Puppe wird frühstücken. Paul Klee – Puppen, Grafik, Bauhaus heißt die neue Ausstellung in der villa p. – Figurenspielsammlung des Puppentheaters Magdeburg, zu sehen vom 25. September 2019 bis 14. Januar 2020. Sie zeigt die von Klee für seinen Sohn zwischen 1916 und 1925 gefertigen Handpuppen. Ein weiterer Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf dem Wirken des bedeutenden Malers und Grafikers am Bauhaus in Weimar und Dessau. – www.puppentheater-magdeburg.de/villa-p/ Bis 2. August 2020 sind in der Ausstellung „Bima, Kasper und Dämon“ des Museums der Kulturen Basel europäische und asiatische Theaterfiguren zu sehen. – www.mkb.ch –

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Und das Aargauer Kunsthaus in Aarau widmet sich bis 5. Januar 2020 mit der Ausstellung Maske in der Kunst der Gegenwart dem weiten Assoziationsfeld um den Begriff der Maske. – www.aargauerkunsthaus.ch Bin NICHT im Orkus – Das Buch. Comic-Collagen von Francesca Bettini und Gyula Molnàr. 2009 erschufen die italienischen Objekttheatermacher Gyula Molnàr und Francesca Bettini die Ausstellungsinstallation „Bin im Orkus. Ein Tagebuch aus Matsch“ als Inszenierungstagebuch zum Stück „Kasperls Wurzeln“. Nach der Derniere des Theaterstücks erwarb die Sammlung Puppentheater am Münchner Stadtmuseum Figuren und Bühne. Den Übergang aus der theatralen in die museale Welt haben Molnàr und Bettini nun in einem Comic in Szene gesetzt, der im Oktober 2019 im Verlag Theater der Zeit erscheint: Eine Reflexion über die Vergänglichkeit, über die Augenblickskunst des Theaters, über das, was für immer dem Vergessen anheimfällt und über das, was bleibt. Eine Kabinettausstellung in der Sammlung Puppentheater präsentiert vom 25. Oktober 2019 bis 3. Mai 2020 die farbenprächtigen Collagen, die dem Buch zugrunde liegen und zeigt die Bühnenvorhänge und Figuren aus „Kasperls Wurzeln“. – www.muenchner-stadtmuseum.de Die Éditions de l'Œil und die Compagnie Gare Centrale kündigen eine Publikation über die Arbeit der international renommierten belgischen Objekttheaterkünstlerin Agnès Limbos an: Tu l'as trouvé où, ton spectacle? Un ouvrage sur le théâtre d'objet d'Agnès Limbos. Von Agnès Limbos und Veronika Mabardi. Das Buch geht von der biografischen Erzählung aus, um die Impulse des Theaters von Agnès Limbos, Fragen des Entstehungsprozesses sowie die Besonderheiten des Objekttheaters zu reflektieren. Veronika Mabardi ist eine belgische Autorin und Dramaturgin. – garecentrale.be/wp/ oder www.editionsdeloeil.com Im September 2019 erschien eine neue Publikation des Institut Internationale de la Marionnette mit dem Titel Marionnettes et Pouvoir. Censures … Das von von Raphaèle Fleury et Julie Sermon herausgegebene Buch untersucht die Vielfalt der Machtverhältnisse, in denen Puppen und Puppenspieler gefangen oder an denen sie beteiligt sind, die sie beeinflussen oder erzeugen. Vermittelt über vier Schwerpunkte („Staatsapparat“, „Profession“, „Dramaturgien“ und „Alternative Räume“) entsteht letztendlich eine Kulturgeschichte der Puppenspielkunst. – www.marionnette.com Das unregelmäßig erscheinende slowenische Magazin Lutka kam im September in der 60. Ausgabe heraus. Der umfangreiche dreisprachige (slowenisch/englisch/französische) Jubiläumsband befasst sich mit neuen Technologien im zeitgenössischen Puppentheater und stellt diversen theoretischen Annäherungen an diesen Komplex vier ausführliche (Selbst)Reflexionen der künstlerischen Praxis gegenüber. – info@lgl.si ERÖFFNET Eine Sparte Puppentheater gibt es ab der Spielzeit 2019/2020 am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen. Das MIR kooperiert dafür mit dem Studiengang Zeitgenössische Puppenspielkunst an der HfS „Ernst Busch“ in Berlin: Vier Studierende aus Berlin bilden, mit Unterstützung einer fest angestellten Puppenspielerin, das „Puppen-Studio“ und sind bereits an der Eröffnungsinszenierung „Frankenstein“ beteiligt. – musiktheater-im-revier.de Das Puppentheater Zwickau, nach der Herauslösung aus dem Theater Plauen-Zwickau seit 2016 Tochtergesellschaft der Kultour Z. GmbH, konnte nach umfangreichen Sanierungs- und Umbauarbeiten wieder das angestammte Domizil beziehen. Eröffnet wurde es am 10. Oktober 2019 mit einer Festwoche. – www.puppentheater-zwickau.de


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NOTIZEN

AUFGELÖST Eigentlich müsste diese Meldung unter „Jubiläen“ stehen. Denn 90 Jahre UNIMA (Union International de la Marionnette) feierte man im Juni 2019 u.a. in Prag, dem Gründungsort dieses ältesten internationalen Puppenspielerverbandes. Auch die Schweizer Sektion „UNIMA Suisse“ könnte 60-jähriges feiern – doch sie wurde, ebenfalls im Juni 2019, durch Beschluss der Mitgliederversammlung aufgelöst. Auslöser waren personelle und, aufgrund der „neuen“ Schweizer Kulturpolitik entstandene, finanzielle Probleme. Ein erstes konkretes und sehr bedauerliches Resultat: Figura No. 80 war die letzte Ausgabe der zweisprachigen, von der UNIMA Suisse herausgegebenen Fachzeitschrift für Figurentheater. Die Website ist bereits außer Betrieb. Die Figura-Ausgaben von 2007 bis 2018 findet man nun im pdf-Archiv beim theatre guignol à roulettes. – www.guignol.ch/fr/figura PERSONELLES Die Dramaturgin Winnie Karnofka wird ab August 2020 neue Intendantin des Theaters der Jungen Welt (TdJW) Leipzig, das neben der Schauspiel- auch eine Puppenspielsparte führt. Karnofka soll auf Jürgen Zielinski folgen, der sich nach 18 Jahren erfolgreicher Intendanz 2020 in den Ruhestand verabschiedet. Seit Ende 2018 leitet der Puppenspieler Stephan Siegfried das Puppentheater am Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen. Der Absolvent des Studiengangs Puppenspielkunst an der HfS „Ernst Busch“ Berlin gehört zu dem Begründern der Puppentheatersparte am Theater Koblenz. Er löste Therese Thomaschke ab, die für zehn Jahre die Leitung in Bautzen innehatte. www.theater-bautzen.de GESTORBEN Kerstin Daley-Baradel, Puppenspielerin, Schauspielerin, Dozentin und Regisseurin, zählte zu den herausragenden Spielerinnen der deutschen und internationalen Puppentheaterszene. Von 2005 bis 2014 war sie am Puppentheater Halle engagiert, seit 2014 gehörte sie der von Gisèle Vienne geleiteten Kompanie DACM an, mit der sie international auf Tournee ging. Daneben war die in Dortmund geborene, studierte Puppenspielerin mit Diplom der Hochschule für Schauspielkunst Berlin auch als freie Künstlerin für Film und Theater tätig. Kerstin Daley-Baradel verstarb am 6 Juli 2019 nach schwerer Krankheit in Freiburg im Breisgau, sie wurde 39 Jahre alt. Unvergessen wird nicht nur ihre gleichermaßen virtuose wie tief berührende Puppenanimation in dem von Vienne am Puppentheatear Halle inszenierten „Bauchrednertreffen“ bleiben. Ihr Tod ist ein schwerer Verlust für ihre Familie, für Künstlerkolleg*innen und Publikum. Bereits im August 2018 verstarb der Gründer und Leiter des Puppentheater-Museums Berlin, Nikolaus Hein, im Alter von 76 Jahren. Dem passionierten Sammler von Theaterpuppen, der auch selbst als Puppenspieler aktiv war, wurde 1995 von der Bezirksregierung Berlin-Neukölln ein Haus für seine Figuren-Sammlung, für Dauer- und Wechselausstellungen, Kurse und Puppentheaterausfführungen zur Verfügung gestellt. Das weiterhin privat geführte Museum wurde u.a. durch die Ausstellung „FrontPuppenTheater – Puppenspieler im Kriegsgeschehen“ überregional bekannt. – www.puppentheater-museum.de Premierenmeldungen und weitere Veranstaltungen unter www.fidena.de (Kalender & Newsticker)

31.10–02.11.2019 Dülmen (Deutschland) Figuren-theatertage www.profi-ev.de/figurentheatertage/

04.05.–06.05.2020 Aarhus (Dänemark) Danish+ 2020 www.gruppe38.dk

01.11.–03.11.2019 Eupen (Belgien) Internationales Figurentheaterfestival figuma www.alter-schlachthof.be

05.05.–10.05.2020 Stuttgart (Deutschland) Internationales Trickfilm-Festival www.itfs.de

05.11.–10.11.2019 Leipzig (Deutschland) euro-scene Leipzig www.euro-scene.de

14.05.–22.05.2020 Hohenems (Österreich) Homunculus 27 www.homunculus.info 19.05.–30.05.2020 Bochum (Deutschland) Fidena – Figurentheater der Nationen www.fidena.de

07.11.–10.11.2019 Silkeborg (Dänemark) Festival of Wonder www.festivalofwonder.dk 08.11.–17.11.2019 Neuchâtel (Schweiz) Marionnettes – festival international www.festival-marionnettes.ch 09.11.–24.11.2019 Barcelona (Spanien) El Més Petit de Tots – Festival www.elmespetitdetots.cat 2020 25.01.–02.02.2020 Gelsenkirchen Figurentheaterwoche www.gelsenkirchen.de/figurentheater 30.01.–09.02.2020 Stuttgart, Mannheim, Heilbronn u.a. Imaginale. Internationales Figurentheaterfestival Baden-Württemberg www.imaginale.net 31.01.–08.02.2020 Edinburgh (Schottland) Manipulate Visual Theatre Festival www.manipulatefestival.org 05.03 –22.03.2020 Izmir (Türkei) International Puppet Days www.izmirkuklagunleri.com 12.03.–18.03.2020 Wels (Österreich) Internationales Welser Figurentheaterfestival www.figurentheater-wels.at 13.03.–21.03.2020 Strasbourg (Frankreich) Les Giboulées www.tjp-strasbourg.com

festivalkalender

13.03.–21.03.2020 Aarau (Schweiz) Szene machen. Figuren+Objektheater-Fest www.fabrikpalast.ch

29.10.–02.11.2019 Potsdam (Deutschland) Unidram – Internationales Theaterfestival www.unidram.de

20.03–30.03.2020 München (Deutschland) Kuckuck – Theaterfestival für Anfänger kuckuckfestival.com

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30.05.–01.06.2020 Tadler (Luxemburg) Marionettefestival www.rotondes.lu/marionettefestival 03.06– 13.06.2020 Paris (Frankreich) Scènes Ouvertes à l'Insolite www.theatredelamarionnette.com 11.06.–14.06.2020 Altmorschen, Kloster Haydau (Deutschland) Blickfang – Internationales Figurentheater-Festival www.kultursommer-nordhessen.de 16.06.–21.06.2020 Baden (Schweiz) Figura. Internationale Biennale des Bilder-, Objekt- und Figurentheaters www.figura-festival.ch/ 20.06.–26.06.2020 Magdeburg (Deutschland) Internationales Figurentheaterfestival Blickwechsel www.blickwechselfestival.de 01.07.--07.07.2020 Jerusalem (Israel) International Festival of Puppet Theater www.traintheater.co.il 17.07 –19.07.2020 Beverley (England) Beverley Puppet Festival www.beverleypuppetfestival.com 10.09.–13.09.2020 Ljubljana (Sowenien) LUTKE – Biennal Festival of Contemporary Puppetry Art lgl.si/en/festival 21.10.–02.11.2020 München (Deutschland) Internationales Figurentheaterfestival München www.figurentheater-gfp.de 2021 07.05.–16.05.2021 Erlangen, Nürnberg, Fürth, Schwabach (Deutschland) internationales figuren.theater.festival www.figurentheaterfestival.de




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IMPRESSUM

AUTORINNEN & AUTOREN Eliane Attinger, ehem. Künstlerische Leiterin der Produktionsstätte „Feikes Huis”, Amsterdam // Torry Bend, Szenografin und Puppenkünstlerin, Durham, North Carolina/USA // Tuur Devens, Publizist und Theaterrezensent, Belgien und Niederlande // Mascha Erbelding, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Sammlung Puppentheater des Münchner Stadtmuseums // Johannes Frisch, Musiker, Karlsruhe // Steffen Georgi, freier Autor, Film- und Theaterkritiker, Leipzig // Annika Gloystein, Theaterwissenschaftlerin, Erlangen // Bianca Sue Henne, Stellv. Künstlerische Leiterin am Jungen Staatstheater Parchim // Kurt Hentschläger, Installationskünstler, New York // Gundula Hoffmann, Direktorin des Figurentheaters am Theater Chemnitz // Jan Jedenak, Theatermacher und Theaterwisssenschaftler, Stuttgart // Katja Kollmann, Kulturjournalistin, Berlin // Christoph Levermann, Puppenspieler, Dresden // Anke Meyer, Kuratorin und Autorin, Bochum // Eva Meyer-Keller, Performancekünstlerin, Berlin // Jules Odendahl-James, Dramaturgin, Regisseurin, medical humanities scholar, Durham, North Carolina/USA // Nora Otte, Performerin/Klatsch&Muff Manufaktur, Dresden // Viviane Podlich, Puppenspielerin, tjg Dresden Christina Röfer, Projektleiterin beim Fonds Darstellende Künste, Berlin // Ulrike Schuster, Puppenspielerin, tjg Dresden // Katja Spiess, Leiterin des FITZ! Zentrum für Figurentheater, Stuttgart // Ari Teperberg, Multidisziplinärer Theatermacher, Tel Aviv // Marina Tsaplina, Puppenkünstlerin, Patientenaktivistin, medical humanities scholar, New York // Dr. Meike Wagner, Professorin für Theaterwissenschaft an der Universität Stockholm // Charlotte Wilde, Musikerin, Leipzig // Johanna Zielinski, Regisseurin, Meilen/Schweiz Übersetzungen Summaries: Roy Kift Endkorrektur: Martina Schnabel

Impressum double. Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater Herausgegeben vom Deutschen Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, Bochum – www.fidena.de Das Magazin erscheint in redaktioneller Verantwortung des Vereins zur Förderung der Kunst und Kultur des Puppen-, Figuren- und Objekttheaters (V.i.S.d.P.) und in Zusammenarbeit mit dem Verlag „Theater der Zeit“. Redaktion: Mascha Erbelding, Michael Isenberg, Anke Meyer (verantw., Redaktionsleitung), Christina Röfer, Tim Sandweg, Katja Spiess, Dr. Meike Wagner (Thema) Beirat: Silvia Brendenal, Christoph Lepschy, Dr. Gerd Taube, Manfred Wegner Redaktionsanschrift: Redaktion double, Postfach 10 20 32, 44720 Bochum Telefon 0234.950 629 65 // mail@double-theatermagazin.de Gestaltung: Robert Voss, Halle (Saale) Verlag: Theater der Zeit, Berlin – www.theaterderzeit.de Bezug: double ist erhältlich – als Beilage der Abonnenten-Auflage von „Theater der Zeit“ – als gesondertes double-Abonnement: zwei Ausgaben double und zwei Ausgaben Theater der Zeit für 16 EUR pro Jahr (Ausland zzgl. 6 EUR Porto) – als Einzelausgabe, gedruckt oder als pdf-Datei Abo-Service: 030.4435 285-12 oder über www.theaterderzeit.de Anzeigen: Deutsches Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, Hattinger Straße 467, 44795 Bochum, Telefon: 0234.4 77 20 // info@fidena.de Druck: PIEREG Druckcenter Berlin GmbH Alle Rechte bei den Autoren und der Redaktion, Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Für unaufgefordert eingesandte Bücher, Fotos und Manuskripte übernimmt die Redaktion keine Haftung. Bei Nichtlieferung infolge höherer Gewalt oder infolge von Störungen des Arbeitsfriedens bestehen keine Ansprüche gegen den Herausgeber oder den Verlag. Die double-Redaktion bemüht sich um gendergerechte Sprache, belässt dabei aber den Autoren und Autorinnen ihre individuelle Form der Umsetzung. Redaktionsschluss für das vorliegende Heft war der 28. August 2019. double 41 erscheint im April 2020. Redaktionsschluss für diese Ausgabe ist der 28. Januar 2020. Der Thementeil beschäftigt sich mit Partizipation. www.double-theatermagazin.de – www.fidena.de – www.theaterderzeit.de

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