DOUBLE Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater
Ausgabe 1/2020 ::: Nr. 41 ::: 17. Jahrgang ::: PREIS: 6 €
PUPPE* Figurentheater und Geschlecht
Theater der Zeit
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INHALTSVERZEICHNIS
e d i t o r i a l
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THEMA
Puppe* – Figurentheater und Geschlecht
Mascha Erbelding
Das „andere Geschlecht“ im „anderen Theater“ Geschlecht und Figurentheater – Versuch einer Einführung
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Yoko Yamaguchi
Gender Gaps Ein Blick in Geschichte und Gegenwart des japanischen Puppentheaters
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Li Kemme, Britta Tränkler
In Frage gestellt Ein zweistimmiges Selbstgespräch
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Die subversive Kraft des U-Boots Gespräch mit Annette Scheibler und Sigrun Kilger vom Ensemble Materialtheater über feministisches Theater und Geschlechterstereotypen
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Iris Keller, Anna Renner Barbie als genderkritisches Material Eine Stellungnahme
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manufaktor
Kritisches Puppenspiel Über die Freiheit im Uneindeutigen
Auf der Suche nach all den Stimmen Ein Gespräch über Stimme, Geschlecht und Figurentheater in der Ausbildung an der Berliner HfS Ernst Busch 18
Laura Purcell-Gates
Das Monster und die Leiche Unheimliche Geschlechterdarstellungen im Puppentheater 20
Ute Kahmann
Wer bist du? Spurensuche einer Tochter in „queer papa queer“
Meike Wagner
Der männliche Code Feministische Kritik an digitalen Repräsentationssystemen 25
Franziska Merkel, Samira Wenzel, Stefan Wenzel, Johanna Posenenske
Ja, es war lange so. Nein, es muss nicht so bleiben. Das Kollektiv von „Frauen in gehobenen Positionen“ spricht über seine Arbeit 26
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Carole Guidicelli Zwischen androgynen Metamorphosen und Tier-Werdung Die Compagnie La Mu/ette spielt mit Geschlechtsidentitäten 27 STIPPVISITE Anke Meyer
Showdown beim Showcase 10. Biennale des slowenischen Puppentheaters 28
Tin Grabnar
Unvollständigkeit zulassen Potenziale moderner Technologien am Beispiel der Inszenierung „Somewhere Else“ 30
NACHWUCHS René Reith
Mitgenommen werden in eine andere Zeit Staffelübergabe in Braunschweig 32
Tim Sandweg
Sag mir, wo ich beginnen soll Unsortierte Eindrücke vom Fritz-Wortelmann-Preis 2019 34
FESTIVAL Marcus Kohlbach
Der menschliche Körper als Seismograph gesellschaftlicher (Un-)Ordnung Faszinierende Bühnenexperimente auf der Imaginale 2020
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Was Ken kann Eine Ausstellung in der Pasinger Fabrik in München dekonstruiert die Ikone
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AUSSTELLUNG Thomas Betz SYMPOSIUM Norbert Seidel
Immersion außerhalb der Vitrine Ein Kolloquium in Dresden denkt nach über ein Puppentheatermuseum der Zukunft 40
André Studt
At Odds = Uneins = Désuni Differenz als Chance und Impuls – Tagungseindrücke aus Bern 42
Thomas Stumpp
Neue Bilder im geschützten Raum Die ASSITEJ-Werkstatt „Kindheit, Familie und Gender“ auf dem Panoptikum-Festival in Nürnberg 44
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INHALTSVERZEICHNIS
INSZENIERUNG Almut Wedekind
„Anger“ heißt Zorn. Wut heißt „fury“ oder „rage“ „Angry Hour“ von Sööt/Zeyringer im Rahmen des Festivals „The Future Is F*e*m*a*l*e*“ 45
REZENSION Christina Röfer
Kritisch, international, persönlich Women and Puppetry. Critical and Historical Investigations 46
Gerd Taube
Breiter Überblick mit komplexen Einblicken Handbuch zum Künstlerischen Puppenspiel 1900–1945
Silvia Brendenal
Eine ungewöhnliche Begegnung Der Briefwechsel von Franz Fühmann mit Joachim Damm 48
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NACHRUF Lars Rebehn
Ein Streiter für das Puppentheater Zum Tod von Dr. Olaf Bernstengel (1952–2020) 49
E N G L I S H S U M M A R I E S 50 NOTIZEN / FESTIVALKALENDER 52 I M P R E S S U M 56 Titelfoto aus der Serie „Puppet Masters“, ein Projekt der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch mit der Fotokünstlerin Benita Suchodrev und Studierenden des Studiengangs Zeitgenössische Puppenspielkunst. © 2018 Benita Suchodrev, www.benitasuchodrev.com
CONTENTS double 41: E D I T O R I A L T H E M E Puppet* – Puppet theatre and gender // Mascha Erbelding The “opposite sex“ in the “other theatre“ Gender and Figure Theatre – an attempt at an introduction // Yoko Yamaguchi Gender Gaps A look at the present and past history of Japanese puppet theatre // Li Kemme and Britta Tränkler Called into question A two-part monologue // The subversive power of a submarine An interview with Annette Scheibler and Sigrun Kilger from the Materialtheater Ensemble about feminist theatre and gender stereotypes // Iris Keller and Anna Renner Barbie as gender critical material A statement // manufaktor Critical Puppet Theatre On freedom in the ambiguous // Searching for all the voices A conversation about voice, gender and puppet theatre in education at the acting college HfS Ernst Busch Berlin // Laura Purcell-Gates The monster and the corpse Puppetry and the uncanniness of gender performance // Ute Kahmann Who are you? A daughter looks for traces of her identity in “queer papa queer“ // Meike Wagner The male code A feminist critique of digital representation systems // Franziska Merkel, Samira Wenzel, Stefan Wenzel, Johanna Posenenske Yes, it was that way for a long time. No, it doesn't have to stay that way. The collective of “Women in Higher Positions“ talks about its work // Carole Guidicelli Between androgynous metamorphoses and turning into an animal The company La Mu/ette plays with gender identities F LY I N G V I SI T Anke Meyer Showdown at the Showcase 10th Biennale of Puppetry Artists of Slovenia // Tin Grabnar Allowing incompleteness Potentials of modern technology in “Somewhere Else“ Y O U NG ART IST S René Reith Taken to another time Handover in Braunschweig // Tim Sandweg Tell me where to begin Unsorted impressions of the Fritz-Wortelmann-Prize 2019 FE ST IVAL Marcus Kohlbach The human body as seismograph of social (dis)order Fascinating stage-experiments at the Imaginale 2020 E XHIBIT ION Thomas Betz What Ken can do An exhibition at the Pasinger Fabrik in Munich deconstructs the icon
S Y MP O S I U M Norbert Seidel Immersion outside the display case A colloquium in Dresden thinks about
the puppet theatre museum of the future // André Studt At Odds ≠ Uneins ≠ Désuni Difference as chance and impulse – impressions of a conference in Bern // Thomas Stumpp New images in a safe space The ASSITEJ-workshop „childhood, family and gender“
ST AG ING Almut Wedekind “Anger“
means “Zorn“. “Wut“ means “fury“ or “rage“ “Angry Hour“ by Sööt/Zeyringer at the festival “The Future Is F*e*m*a*l*e*“ RE VIE W Christina Röfer Critical, international, personal. Women and Puppetry. Critical and historical investigations // Gerd Taube Expanded overview with complex insights Compendium of artistic puppetry 1900–1945 // Silvia Brendenal An exceptional encounter The correspondence between Franz Fühmann and Joachim Damm O R B I TU A R Y Lars Rebehn A contender for puppet theatre Dr. Olaf Bernstengel (1952–2020)
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EDITORIAL
PUPPE* Figurentheater und Geschlecht „Ich wage deshalb die These, dass Männer die besseren Puppenspieler sind als Frauen.“ Jürgen Klünder begründet diese provokative Aussage, die 1989 in der Zeitschrift „Das Figurentheater“ erschien, aus dem Unvermögen der Männer, Kinder zu gebären. Deshalb seien sie in der künstlerischen Schöpfung kreativer. Prompt folgte eine Entgegnung der Künstlerin Renate Schweizer: „Dadurch, dass Frauen nun ins Figurentheater drängen, fordern sie von Männern nicht automatisch, sich in den Hintergrund zu begeben.“ Sie verlangte, die „einseitige Schwarz-Weiß-Sicht“ endlich aufzugeben und „die vielen Farben zwischen den Extremen wahrzunehmen“. Vor diesem Hintergrund sollte man die ungeheure Entwicklung schätzen, die das Figurentheater durchlaufen hatte, als Katja Spiess 2002 eine Ausgabe von „Das Andere Theater“ der Frage widmete, ob es eine besondere weibliche Ästhetik gebe. Schon damals verwiesen die befragten Frauen auf ihre künstlerische Autonomie, unabhängig von ihrem Geschlecht. Und heute? In den Museen werden die lange unbeachteten Werke von Frauen* wiederentdeckt, das Theater hinterfragt Machtmissbrauch infolge von #MeToo. Seit 2018 wird in Deutschland offiziell ein drittes Geschlecht anerkannt und eine gerechtere Verteilung der Familien- und Hausarbeit in Partnerschaften scheint sich, trotz allen konservativen Gegenwinds, zu entwickeln. Viel ist erreicht, viel im Werden – aber ein weiter Weg liegt noch vor uns, wenn es um eine Welt frei von Geschlechter-Diskriminierung geht. Grund genug für double, einmal bei Künstler*innen nachzufragen, wie sie in ihren Arbeiten mit dem Thema Geschlecht umgehen. Yoko Yamaguchi berichtet von japanischen Künstlerinnen, die bestehende Gender Gaps überwinden. Annette Scheibler und Sigrun Kilger preisen die subversive Kraft des Figurentheaters. Li Kemme und Britta Tränkler sehen das grundlegende Infragestellen ihrer Arbeit als Motor ihrer künstlerischen Schöpfungen. Auch zwei weitere Kollektive hinterfragen neben gängigen Kategorisierungen die eigenen Arbeitsstrukturen, ein weiteres arbeitet sich mit Barbies Hilfe an überkommenen Körpernormen ab. Laura Purcell-Gates und Ute Kahmann untersuchen vor ganz unterschiedlichen Hintergründen die Rezeption des Geschlechts bei Puppen und Meike Wagner kommentiert ein Panel zu „Politik, Identität, Feminismus“. Im zweiten Teil des Heftes führt die Stippvisite nach Slowenien und in der Rubrik Nachwuchs blicken wir nach Braunschweig und Bochum, während Tagungen zu Identitätsentwürfen im Figurentheater und dem Puppentheatermuseum der Zukunft nach Bern und Dresden führen. Auch das Heftthema schlägt sich weiterhin nieder: in einer Münchner Ausstellung, Sööt/Zeyringers Performance „Angy hour“, der ASSITEJ-Werkstatt und der Publikation „Women and Puppetry“. Figurentheater zeigt sich in diesem Heft also wieder in vielfältigsten Formen, deren Potenziale im Verhandeln binärer Kategorien und gesellschaftlicher Strukturen noch lange nicht erschöpfend erkundet sind. „Yes, we Ken!“, finden deshalb auch Mascha Erbelding und Christina Röfer – und wünschen eine anregende Lektüre!
PUPPET* Puppet theatre and gender Jürgen Klünder justified his provocative statement: "I therefore venture the thesis that men are better puppeteers than women", which appeared in the magazine "Das Figurentheater" in 1989, by the inability of men to bear children. That is why they are more creative in their artistic work. This was promptly followed by a response from the artist Renate Schweizer, who called for this "onesided black-and-white view" to be finally abandoned. When Katja Spiess dedicated an issue of "Das Andere Theater" in 2002 to the question of whether there was a particular female aesthetic, the women questioned were already referring to their artistic autonomy, regardless of their gender. Much has been achieved, much is in the making – but there is still a long way to go when it comes to a world free of gender discrimination. Reason enough for double to ask artists how they deal with the topic of gender in their work today. Japanese artists overcome gender gaps; collectives question bodily norms, social power structures and their own working methods; and the question of the reception of gender in puppets is examined. Fotos aus der Serie Puppet Masters, ein Projekt der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch mit der Fotokünstlerin Benita Suchodrev und Studierenden des Studiengangs Zeitgenössische Puppenspielkunst. © 2018 Benita Suchodrev, www.benitasuchodrev.com
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THEMA
das „andere geschlecht“ im „anderen Theater“ Geschlecht und Figurentheater – Versuch einer Einführung Am Anfang der Recherche für dieses Heft stand ein feministischer Zugriff auf das Thema, angeregt durch die #MeToo-Debatte, die in den letzten Jahren vehement auch im deutschen Film und Theater aufgenommen wurde. Während Frauen im „großen“ Theater noch immer das „andere Geschlecht“ jenseits des Normalfalls Mann zu sein scheinen, wirkt die Lage im Figurentheater, zumindest im Bereich der Theaterarbeit, mit all den Figurenspieler*innen und -bauer*innen, Regisseur*innen und Theaterleiter*innen ziemlich gleichberechtigt und ausgeglichen. Doch wie sieht es inhaltlich und ästhetisch aus? Wie gehen Figurentheatermacher*innen mit Geschlechterstereotypen um? Wie materialisiert sich Geschlecht im Figurentheater? Im Folgenden sollen einige Schlaglichter auf Aspekte des Themas geworfen werden. V o n M a s c h a E r b e l d i n g /// Was ist eigentlich „Geschlecht“? In der Folge von Judith Butlers „Unbehagen der Geschlechter“ (1990) wurden die Postulate der früheren feministischen Bewegung erweitert. Nicht nur die Zuschreibungen des sozialen Geschlechts, also der „Gender“, sondern auch das biologische Geschlecht, der „Sex“, seien Konstrukte und die binäre Einteilung der Geschlechter müsse durch gezielte parodistische Praktiken gestört und unterlaufen werden, um die Macht dieser Einteilung zu brechen. Dass auch die Kategorien von Rasse und sozialem Status mit der Unterdrückung infolge des Geschlechtes verbunden sind, machten postkoloniale Aktivist*innen seit den 1970er Jahren mehr als deutlich. Die intersektionale Theorie versucht seit den 1980er Jahren, das Zusammenwirken verschiedener Faktoren für Ungleichheit in ihrer Verschränkung und Verbindung zu betrachten. Gegen die heterosexuelle Normativität wendet sich die Queer Theorie. Die Auflösung der Kategorie Geschlecht und des Subjektbegriffs führt aber im politischen Kampf zu einem Problem: Wer ist Akteur*in des Protests, wenn Gruppenzusammengehörigkeit durch immer größere Diversität aufgehoben wird? Und wie umgehen mit dem Erlebnis von sexistischer Diskriminierung im Alltag? Für den vorliegenden Artikel lehne ich mich an die Definition von Andrea Maihofer an: Geschlecht ist eine sehr komplexe gesellschaftlich-kulturelle Praxis mit verschiedenen Denk-, Gefühls- und Existenzweisen sowie verschiedenem intellektuellen und körperlichen Habitus. Blickt man auf Darstellung von Geschlecht auf der Figurentheaterbühne, erscheinen drei Bereiche von Bedeutung: Die Arbeit der Künstler*innen auf und hinter der Bühne, das Material, die Puppen und Stoffe, mit denen sie auf der Bühne umgehen, und schließlich die Zuschauer*innen, die das Wahrgenommene deuten und verarbeiten.
Die Macher*innen: Figurentheater als Selbstermächtigung Figurentheater ist zunächst fast überall Männersache.1 Frauen spielen eine Nebenrolle oder sind sogar ausgeschlossen, insbesondere dann, wenn ein hoher sozialer Status und kultureller Rang mit dem Theater verbunden ist.2 Frauen sind aber z. B. im deutschen Wandermarionettentheater des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts als Puppenspielerinnen, Kostümschneiderinnen und auch Geschäftsführerinnen als Teil eines Familienbetriebs aktiv. Zeitgleich zum Einzug der Frauen in die Kunstakademien entdecken Frauen auch die Gestaltungsmöglichkeiten des Puppentheaters für sich. Der Freiraum der kleinen Form wurde zur Spielwiese für Künstlerinnen, die sich auf den großen Bühnen nicht beweisen durften. Oft als Kunstgewerblerinnen ausgebildet, arbeiteten sie häufig mit für das Figurentheater neuen, ungewohnten Materialien: Terrakotta-Figuren bei den neoromantischen Märchenstücken der Schwestern Janssen in München (Marie Janssen, 1876–1970), die im bürgerlichen Salon ihre eigenen Theaterarbeiten präsentierten, oder rein textile Figuren etwa von der Kunstgewerblerin Else Hecht (1888-1975), der bildenden Künstlerin Marion Kaulitz (geb. 1865, gest. unb.) oder aber die Marionetten der Gewandmeisterin Eva Regina Hildenbrand (1909-1983), die 1925 in einer „Casino-Szene“ das Nachtleben in der Weimarer Republik parodierten, expressionistisch verzerrt und grotesk. Mit dieser neuen Verwendung von weiblich konnotierten Handwerkstechniken stehen sie ganz in der Linie der bildenden Künstlerin und Dadaistin Hannah Höch, die schon 1918 postulierte: „Ihr (…) Kunstgewerblerinnen, modernste Frauen, ihr, die ihr geistig zu arbeiten glaubt, die ihr Rechte zu erwerben
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trachtet (wirtschaftliche und geistige), also mit beiden Füßen in der Realität zu stehen vermeint, wenigstens i-h-r müsstet wissen, daß ihr mit Euren Stickereien eure Zeit dokumentiert!“3 Die Texte der Puppentheaterstücke der genannten Frauen verbleiben jedoch meist in den traditionellen Geschlechterstereotypen, von neuen Rollenzuschreibungen ist man hier weit entfernt. Explizit feministische Puppenspiele, wie etwa den Suffragetten-Punch4, gibt es wenige. Trotz der Arbeit dieser und anderer Pionierinnen wie Sophie Taeuber-Arp oder Georgette Tentori-Klein5 blieb der Beruf des Puppenspielers vorerst in männlicher Hand. Das änderte sich nicht zuletzt durch die Akademisierung des Puppenspielerberufs, die die Ausbildung von den traditionellen Lehrmeistern abkoppelte. Mit der Öffnung hin zu bildender Kunst, aber auch zu Musik und Performance, entstanden faszinierende neue Körperbilder, neue Stoffe. Genannt seien hier etwa die verschmelzenden Puppen-Körper von Ilka Schönbein in ihrer ganzen Fragilität und unglaublichen Kraft oder die androgynen Maskenwesen eines Hoichi Okamoto. Beispiele für ein queeres Figurentheater wie Tucké Royales Solo-Abend als „Pseudo-Hermaphrodit“ (2013), oder Timo Väntsis Lecture Performance über eine Cross-Gender Prostituierte in Shakespeares Zeit, „John-Eleanor“ (2011), ließen sich heute um viele weitere Beispiele ergänzen. Die „Meister des Puppenspiels“6 sind längst ebenso Frauen* wie Männer*. Aber sind die Proben- und Inszenierungsprozesse nicht, wie in Schauspiel und Musiktheater, immer noch von „männlichen“, familienfeindlichen Maximen der Arbeit bis zur Erschöpfung geleitet? Und müsste man hier etwas ändern?
Das Material: Puppe* Das Wort „Puppe“, abgeleitet vom lateinischen pupa, das Mädchen, hat bis heute eine weibliche Konnotation – der Begriff „Figur“ ist hier neutraler. Im Begriff der Puppe schwingt auch deutlich eine klassische Subjekt-Objekt-Beziehung mit. Die „Puppe“, weiblich konnotiert, ist Objekt eines (männlichen?) Manipulators. Die erotische, groteske Ebene dieser Beziehung erkundete der Surrealist Hans Bellmer in seinen morbiden Fotografien und Zeichnungen „Die Puppe“ (1934) und „Die Spiele der Puppe“ (1949). 2006 konfrontierte Antje Töpfer in „Pandora Frequenz“ diese Kunst-Körper mit ihrem eigenen, weiblichen, und stellte in ihrer Weiterentwicklung das Objekthaft-Passive in Frage. Das Spiel mit dem Objekt, das durch die Animation zum Subjekt gemacht wird, und die Umkehrung dieses Spiels, bei dem der Puppenspieler Objekt dieses neuen Subjekts zu sein vorgibt, öffnen dem Spiel mit der Kategorie Geschlecht neue Möglichkeiten.
Antje Töpfer, Pandora Frequenz. Foto: Florian Feisel
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Aber muss eine Puppe überhaupt ein Geschlecht haben? Natürlich nicht, möchte man antworten, aber in der Inszenierungspraxis ist man mit der Wirkung der Figur, des Materials, des Objekts auf die Zuschauer*innen konfrontiert, und deren gesellschaftlicher Prägung, die ihre Deutung der Theaterzeichen beeinflusst. Da kann eine aktive, welterforschende Lehmfigur ohne jedwede Geschlechtsattribute schnell als „männlich“ gedeutet werden, eine fürsorgliche, schüchterne vielleicht als „weiblich“ – und das sogar unabhängig vom wahrgenommenen Geschlecht der Spieler*in. Kann man diese Zweiteilung auflösen? Donna Haraway entwickelte in ihrem „Cyborg Manifesto“ bereits 1985 die Vision eines von binären Gender-Einteilungen befreiten Zukunftswesens, einem Hybrid zwischen Mensch und Maschine: „Die Cyborg Vision kann uns einen Weg weisen aus dem Irrgarten der Dualismen, mit denen wir bisher unsere Werkzeuge erklärt haben. Das ist ein anderer Traum einer gemeinsamen Sprache. Er enthält sowohl das Aufbauen als auch das Zerstören von Maschinen, Identitäten, Kategorien, Beziehungen, Räumen, Geschichten. Ich wäre lieber ein Kyborg als eine Göttin.“7
Das Publikum Feministinnen wie Jill Dolan haben das Zuschauerlebnis von Frauen im „herkömmlichen“ Theater treffend beschrieben: Da die Handlung von männlichen Helden vorangetrieben wird und Frauen entweder in der Rolle des (jungfräulichen) Opfers oder der bösen Verführerin auftreten, sind sie gezwungen, sich entweder mit dem männlichen Helden zu identifizieren oder aber mit den Frauenfiguren mitzuleiden. Die Schriftstellerein Hélène Cixous ging sogar so weit, den Theaterbesuch mit dem Besuch der eigenen Beerdigung zu vergleichen, ist doch der Tod der weiblichen Figuren (wenn vorhanden) in der klassischen Theaterliteratur fast immer Motor der Handlung. Und etwas jenseits von Mann und Frau gibt es in den meisten Stücken erst recht nichts zu sehen. In Deutschland sind ca. 75 % der Theaterzuschauer*innen weiblich.8 Müsste der Kanon der Theater nicht erweitert und verändert werden? Nur wenige würden diese Frage heute verneinen. Aber wie sieht es mit den Klassikern im Puppentheater, den Märchen, die Kinder nach Bruno Bettelheim angeblich brauchen, und dem Kaspertheater aus? Wie umgehen mit einem Klassiker der Weltliteratur, den man fürs Figurentheater bearbeitet? Oder besser eigene Stoffe entwickeln? Die Zuschauer*innen haben an den Antworten auf diese Fragen einen großen Anteil. Denn sie sind es letztlich, die entscheiden: Welche Puppe* möchte ich sehen? 1 2 3 4 5 6 7 8
Der Blick des Artikels ist vornehmlich auf Europa fokussiert, die Entwicklung lässt sich aber auch in anderen Weltteilen ähnlich beschreiben – siehe Artikel von Yoko Yamaguchi in diesem Heft S. 9ff und „Women and Puppetry. Critical and Historical Investigations.“ Hg. von Alissa Mello, Claudia Orenstein und Cariad Astles, 2019. (Siehe Rezension in diesem Heft S. 46) Ebd. S. 5. Hanna Höch: „Vom Sticken“, zitiert nach: Johanna Függer-Vagts: Hanna(h) Höchs Ästhetik der Stickerei. In: FKW. Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur Nr. 57, Oktober 2014, S. 70. Naomi Paxton: Suffragette Judy: Punch and Judy at suffrage fairs and exhibitions in Edwardian London. In: Women and Puppetry. Critical and Historical Investigations. Hg. von Alissa Mello, Claudia Orenstein und Cariad Astles, 2019, S. 126-140. Ausführliche Einträge zu Janssen, Hildenbrand, Tentori-Klein und weiteren Künstlerinnen finden sich in Manfred Wegner (Hg.): Handbuch des künstlerischen Puppenspiels 1900-1945. München, 2019. (Siehe Rezension in diesem Heft S. 47) Name einer vom Deutschen Institut für Puppenspiel in Bochum herausgegebenen Zeitschrift (1959-1980). Zwei der 37 Hefte stellten Frauen vor, bei wenigen weiteren sind Ehepaare beide namentlich im Titel genannt. Donna Haraway: Monströse Versprechen. Coyote-Geschichten zu Feminismus und Technowissenschaft. Hamburg, Berlin, 1995. Gabriele Schulz, Carolin Ries, Olaf Zimmermann: Frauen in Kultur und Medien. Ein Überblick über aktuelle Tendenzen, Entwicklungen und Lösungsvor- schläge. Studie des Deutschen Kulturrats, 2016.
Antje Töpfer, Pandora Frequenz. Foto: Florian Feisel
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gender gaps Ein Blick in Geschichte und Gegenwart des japanischen Puppentheaters Auf der Fidena 2020 und dem Festival Skupova in Pilsen in diesem Frühjahr wird auch die japanische Puppenspielerin Miyako Kurotani zu Gast sein. Die japanische Literaturwissenschaftlerin Yoko Yamaguchi, die sowohl die japanische als auch die europäische Puppenspielszene kennt, untersucht das japanische Figurentheater auf Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern. V o n Y o k o Y a m a g u c h i /// Im Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums aus dem Dezember 2019 lag Japan auf dem 121. Platz von 153 Ländern, zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten auf dem 120. und Kuwait auf dem 122. Platz. Deutschland war auf Rang 10. Die große Kluft bei Bezahlung, politischer Beteiligung, Gesundheit und Zugang zu Bildung in Japan spiegelt sich auch in seinem Puppentheater. Seit Frauen 1629 verboten wurde auf der Bühne zu stehen, folgte das Bunraku-Nationaltheater dieser Tradition und ließ Frauen nie wieder auf die Bühne. Natürlich gibt es in Japan nicht nur das Bunraku-Nationaltheater, sondern auch zahlreiche und vielfältige Puppentheater. Zu den traditionellen Theatern im Bunraku-ähnlichen Stil oder mit Marionetten gehören das Awaji Puppentheater, Hachioji-kurumaningyo (gespielt von Puppenspielern auf kleinen Wägen), und die Youki-za Marionette Company. Sie arbeiten auch mit Frauen auf der Bühne. Dazu kommen moderne Puppentheater, die seit den 1920er-Jahren unter dem Einfluss europäischer Puppentheater entstanden, wie das PUK, aber auch Solokünstler*innen wie Hoichi Okamoto und Miyako Kurotani. Hier gibt es mehr weibliche als männliche Puppenspieler*innen. Auch wenn sich Gender Gaps im modernen japanischen Puppentheater nicht so klar beobachten lassen, zeigt die Geschichte auf jeden Fall, dass sie Teil der Kultur dieses Japan mit seinem 121. Platz sind. Die Rolle von Frauen im japanischen Puppentheater wurde noch nicht ausreichend erforscht und es gibt noch nicht genug wissenschaftliche Untersuchungen. Dennoch folgt hier ein Überblick über einige wichtige historische Daten in diesem Zusammenhang.
Vom Auftrittsverbot zum wichtigen Bestandteil des modernen Theaters Genauso wie die Begründerin des traditionellen Kabuki eine Frau war, waren Frauen im ganzen Bereich der darstellenden Künste im Mittelalter aktiv, auch wenn diese Frauen wohl auch sexuelle Tätigkeiten ausführten.1 Das Verbot von Frauen auf der Bühne im Jahr 1629 behinderte jedoch sehr stark die Entwicklung einer weiblichen darstellenden Kunst. Es wurde 1877 aufgehoben, etwa um dieselbe Zeit, als das Bunraku-Theaterhaus in Osaka 1872 eröffnet wurde, das in der Folge seine Blütezeit erleben sollte. In den traditionellen Theaterformen wie Bunraku, Kabuki oder Noh bekamen Frauen dennoch nie wieder die Gelegenheit, auf der Bühne zu erscheinen. Stattdessen spielten Frauen eine aktive Rolle im sogenannten „neuen Theater“, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter dem Einfluss des europäischen Schauspiels entstand. 1886 gründeten Politiker, Geschäftsmänner und Wissenschaftler, die vom Studium in Europa zurückkehrten, eine Vereinigung, um die „Onnagata“ (männliche Schauspieler, die Frauenrollen spielen) zu verbieten und Schauspielerinnen zu fördern. 1891 kam es zur ersten Aufführung mit Schauspielern und Schauspielerinnen auf derselben Bühne seit dem Verbot von 1629. 1908 wurde die erste Schule für Schauspielerinnen eröffnet, gelernt wurde aber hauptTanigawa Hankyu. Foto: Theater
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sächlich nachzuahmen, wie die männlichen Schauspieler Frauen spielten. In der Folge etablierten sich Schauspielerinnen im japanischen Theater. Zeitgleich zur Einführung von Frauen im Schauspiel beteiligten sich auch viele Frauen an der Entwicklung eines modernen Puppentheaters seit den 1920er Jahren.
F r a u e n a l s „G i d ay u “ – s u b k u lt u r e l l e R e b e l l i o n ? Auch heute noch sind Frauen vom BunrakuNationaltheater ausgeschlossen. Sogar heute dürfen sie die Kunst des Bunraku-Puppenspiels nicht erlernen. Frauen dürfen zwar „Gidayu“ werden – der traditionelle Erzähler im Bunraku –, aber nicht eine Bunraku-Aufführung begleiten. Sie können Gidayu nur in Form eines Konzerts, ohne Puppen und außerhalb des Bunraku-Theaters aufführen. Die Gender-Forscherin Mia Nakamura2 führte 1998-1999 ein Interview mit der professionellen weiblichen Gidayu-Erzählerin Akiko Takemoto, um herauszufinden, wie sie die existierenden Gender Gaps wahrnahm. Takemoto akzeptiert die Situation und sagt einfach: „Theater ist für Männer.“ Im Wissen, dass nur Männer auf der Bühne stehen dürfen, versuchten die weiblichen Gidayu-Erzählerinnen nicht, ihren eigenen Stil außerhalb des Bunraku zu entwickeln, sondern nahmen den Stil der männlichen Gidayu-Erzähler vom Bunraku auf, um eine gewisse „Authentizität“ zu erreichen. Nakamura schließt daraus, dass es keinen anderen Weg gab, im System der traditionellen japanischen darstellenden Kunstformen zu überleben, als sich auf die Autorität des Bunraku zu verlassen. Die Gender-Lücke im japanischen Puppentheater scheint dauerhaft und nicht auflösbar zu sein, aber es gibt Anlass zur Hoffnung. Laut Nakamura sagte Takemoto auch, dass der weibliche Gidayu-Erzähler als „eine Parodie des männlichen Erzählers“ gesehen würde. Frauen performten männliche Rollen in Männerkostümen und zogen viele begeisterte männliche Fans an. Nakamura gab an, dass das Publikum bei den Konzerten der weiblichen Erzähler eine außergewöhnliche Transgender-Erfahrung erlebte, die über das traditionelle Gender-Schema hinausging und damit „subkulturelle Rebellion verkörperte“. Otome-Bunraku. Foto: Hitoshi Furuya
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Otome Bunraku – Bunraku von Frauen Otome-Bunraku (Mädchen-Bunraku)3 ist ein ähnlicher Fall. Otome-Bunraku ist Puppentheater, gespielt nur von Frauen. Es wurde 1926 von einem männlichen Amateur-Gidayu-Erzähler gegründet. Er versammelte junge Mädchen, um Puppentheater als Unterhaltung bei einigen heißen Quellen aufzuführen. Später wurde es mit technischer und künstlerischer Unterstützung eines Bunraku-Puppenspielers weiterentwickelt. Sie gründen auf der Autorität des Bunraku: Um Authentizität zu erreichen, bitten sie Bunraku-Puppenspieler um temporären Unterricht, genau wie die Gidayu-Erzählerinnen. Aber die Otome-Bunraku-Spielerinnen, auch sie in Männerkleidung, zeigen unglaubliche Stärke, die die Kraft hat, die Voreingenommenheit in Bezug auf Gender, die das traditionelle japanische Theater reproduziert, zu überwinden. In anderen traditionellen darstellenden Formen in Japan findet man Künstler*innen, die interessante Versuche mit größerem Gender-Bewusstsein machen. Ein Beispiel dafür ist die Performance von Tanigawa Hankyu „Tea Ceremony 4 in Kitchenette“. Die Teezeremonie erlebte ihre Blüte unter Kriegern und war Teil der „männlichen“ Kultur. Dennoch war es die Aufgabe der Frauen, den Tee in der Küchenzeile zuzubereiten und den Männern im Büro zu servieren (in einigen konservativen Unternehmen bis heute). Im 16. Jahrhundert erschuf der berühmte Teemeister Sen Rikyu ein 3,6 m² großes Teehaus, das als Ideal gilt. Und zufälligerweise haben die Küchenzeilen in modernen Bürogebäuden oft ungefähr diese Größe. Eine Teezeremonie in einer solchen Küchenzeile! Das ist ein sehr rebellischer, moderner und humorvoller Versuch, der neue Möglichkeiten aufzeigt und den traditionellen darstellenden Künsten neue Perspektiven eröffnet. Ich hoffe, dass so eine brillante Idee sich auch auf dem Feld des japanischen Puppentheaters entwickelt. Abschließend möchte ich auf ein Beispiel des zeitgenössischen japanischen Figurentheaters blicken. Miyako Kurotani, die Bunraku schon als kleines Mädchen liebte, aber an der Bunraku-Schule abgelehnt wurde, entwickelte einen ganz eigenen Stil des weiblichen Puppentheaters. Nach einer Ausbildung im Butoh-Tanz war Kurotani 45 Jahre lang im Figurentheater aktiv. Hoichi Okamoto sah in ihr „die einzige Rivalin“, als er noch lebte. Im Kontrast zu Okamotos Inszenierungen, in denen er zarte weibliche Figuren mit seinem eigenen männlichen Körper führte, versuchte Kurotani einen Weg zu finden, die zerbrechlichen weiblichen Körper mit ihrem eigenen genauso weiblichen und zarten Körper zu verbinden. Anders als beim Bunraku oder bei Okamoto, ist bei Kurotani die Verbindung zwischen Spielerin und Puppe stärker spürbar als die trennenden Elemente. Indem sie die Verbindung mit der Puppe zwischen Macht und Intimität auf der Bühne erforscht, geht Kurotanis Arbeit auch über die Geschlechter-Normen hinaus, die das japanische Puppentheater bewahrt hat. Solange die gesellschaftliche und politische Situation in Japan sich nicht drastisch geändert hat, sollte das japanische Puppentheater weiter solche rebellischen Stücke für die Bühne erschaffen. 1 2 3 4
Die Wissenschaftlerin Haruko Wakita (2014), die sich mit der Rolle von Frauen im Theater seit dem Mittelalter beschäftigte, sagt über das älteste erhaltene Dokument über die Vorgänger des japanische Puppentheaters Yujo-no-ki (Prostituierte) und Kugutsu-ki (Puppenspieler), „Ich finde keinen Unterschied zwischen Prostituierten und Puppenspieler-Frauen.“ Seit dem Mittelalter gab es sogenannte „Kugutsu-mé“ (Puppenspieler-Frauen), aber diese Bezeichnung bezog sich auf Frauen, die sich hauptsächlich prostituierten, während sie mit den männlichen Puppenspielern lebten und herumzogen. Siehe: Wakita, Haruko. Josei geino no genryu. [The Origin of Performing Arts of Women] Tokyo: Kadokawa publishing, 2014. S. 74-106. Nakamura, Mia: Authenticating the Female Gidayu: Gender, Modernization, and Nationalism in Japanese Performing Arts. In: ONGAKUGAKU: Journal of the Musicological Society of Japan. Volume 52, issue 2 (2005). S. 94-110. Otome-Bunraku: Otome bedeutet auf Japanisch junge Frau, Mädchen oder Jungfrau. Die moderne Puppentheater-Company Hitomi-za hat diese Bezeichnung und diesen Stil übernommen. Zur Geschichte von Otome-Bunraku: Uno, Koshiro: Otome-bunraku-no-rekishi-to-soho. [The History and Technique of Otome Bunraku]. In: Hiratsuka City Cultural Properties Survey Report Vol. 31. Hiratsuka City Cultural Properties Edited by the Protection Committee. Hiratsuka Board of Education (1996). S. 119-130. Siehe auf der offiziellen Website: http://www.910ryu.com/
Kurotani Miyako, Kurosolo III Hatenashi. Foto: Asa Kino
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in frage gestellt Ein zweistimmiges Selbstgespräch V o n L i K e m m e u n d B r i t t a T r ä n k l e r /// Ich1 wurde also von der double-Redaktion gefragt, ob ich zum Thema Puppe„Sternchen“ schreiben möchte. Warum ich? Nun, ich trage wohl ein queeres Image mit mir rum – das ist ja an sich schon mal spannend. Denn meine eigene Arbeit behandelt doch eher keine queeren Themen oder auch nicht das eigene queer sein – im Expliziten. Anscheinend! Warum dachte ich das bis jetzt eigentlich so? Ich bin queer und mache Figurentheater – na dann: Was wäre wichtig beizutragen? Und so geriet ich ins Schwimmen, darüber, was ich sagen will, was mir am Herzen liegt und dann waren da viel mehr Fragen als Antworten: Wenn Bilder im Figurentheater im Vordergrund stehen, warum stelle ich mir so viele Fragen über die Menschen dahinter? Wenn ich also das Bild sprechen lassen will, muss ich mir dann überhaupt noch Gedanken zu den Menschen dahinter machen? Oder wie kann ich als Schaffer*in2 die Aufmerksamkeit so lenken, dass die Menschen hinter den Bildern in den Hintergrund rücken?
Jenseits des Konformen Um Konformitäten aufzubrechen, braucht es doch die Sichtbarkeit des Nichtkonformen. Sollte ich also besser meinen Fokus darauf legen, dass queere Menschen und nicht-genderkonforme Puppen explizit sichtbar gemacht werden, oder dass queere Themen explizit verhandelt werden? Wie wäre es, wenn ich einfach der Utopie nachginge, dass Geschlecht in einer posthumanen Welt keine Rolle mehr spielte – wären wir, das Publikum, die Rezipient_innen bereit dafür? Oder will ich einfach ein Stück über den Weltraum, über Bagger, über Wut, über Roboter oder über Bäume machen? Bäume, Roboter..., wie können wir im Figurentheater ressourcenschonender mit Material umgehen? (Das wäre doch mal ein Thema für double!) Sicher ist, das Spiel mit Material öffnet in mir einen weiten und diversen Gestaltungshorizont, dies können Textvorlagen mit genderbinären Vorstellungen für mich weniger. Die Verbindung von meinem gedeuteten, oft binär gelesenen Körper und dem funktionsbehafteten Objekt offenbart Zwischenwelten innerhalb von Eindeutigem. Ich habe es selbst so gesagt im ersten Semester: Nonkonformieren, bangen und dabei geführt werden, um das scheinbar Unmögliche zu befördern, eben alles (sein) können. Unentdecktes muss Monsterbauten den Kampf ansagen und hiermit erkläre ich mich leichtfertig einverstanden mit dem Spiel von Wirklichkeit und Fiktion. In unserer gemeinsamen Bachelor-Inszenierung „Ich bin gut isoliert“, einem visuellen Theaterstück zum Thema Coolness, gibt es eine Szene, in der die Spieler*in den komplett nassen Bademantel mit vollem Körpereinsatz ausquetscht. Eine Person aus dem Publikum sah darin die kommende Geburt eines Kindes, eine andere Person sagte: „Da hast du voll aufs Patriarchat gepisst!“ Ja, ich denke schon, dass das Figurentheater mit seiner Sinnlichkeit und Körperlichkeit in Zusammenhang mit Material besonders geeignet ist, um den ZuschauerInnen die Möglichkeit zu geben, ihren eigenen Bezug zum Gesehenen zu finden. Auf mich hat das Figurentheater diese Anziehungskraft, gerade, weil es so viel Fantasie befördert wie einfordert. Bilde ich mir das also nur so ein oder gibt es in der Figurentheaterwelt ziemlich viele queere Personen? Ich denke schon. Es könnte mit dem Brechen von Tradition, mit dem anarchischen und kollektiven Arbeitsansatz zu tun haben, dem Ursprung im Subkulturellen, bescheidene Leute, die alles selbst in die Hand nehmen, DIY, mit dem Hang zum Widersprüchlichen, der Möglichkeit, mit dem Fantastischen zu hantieren. Diese Eigenschaften verbinde ich mit Queer und queerer Kultur.
Ein Pool der Verwirrung – und der Möglichkeiten Also: Stereotype und Rollenklischees abschaffen als Chance! Vor allem im Kindertheater! Denn, nein, ich kann nicht einfach alles spielen, nur weil ich mich vermeintlich „hinter einer Figur“ verstecke. Figurentheater ist beispielsweise auch nicht frei vom Blackfacing. Handwerk mischt sich mit Lebenserfahrung, mit sozialer Situation. Wie schaffen wir es, eine Figur, eine Rolle, ein Bild ernst zu nehmen, sodass wir Diskriminierung und Reproduktion von Stereotypen vorbeugen? Wenn ich etwa ein Stück mit queerem Thema mache, muss ich dafür queer sein? Es ist wichtig – eigentlich egal zu welchem gesellschaftlichen Thema – dass man sich Leute ins Boot holt, die wirklich was dazu sagen können, weil sie Erfah-
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rungen gemacht haben, wissen, wie sich was anfühlt. Kann ich mich eigentlich, als gendernonkonforme Person, dem Thema Gender auf der Bühne entziehen? Oder besser so gefragt: Kann ich, als queere Person, mich dem Thema „Queerness“ während der Erarbeitung eines Stückes entziehen? Will ich das überhaupt? Nur weil ich queer bin, ist meine Kunst doch nicht queer, oder? Ich wurde nämlich gefragt, ob ich glaube, dass es eine männliche oder eine weibliche Ästhetik gäbe. Es gibt eine eigene Wirklichkeit, eine Sozialisation, Erfahrungen, aus denen heraus wir gestalten. Welche Auswirkung das auf die Ästhetik hat, ist nicht in genderbinäre Schablonen zu pressen. Denn sei es im Alltag oder in der künstlerischen Recherche, so ist es ja schon eine schwierige Angelegenheit, eine öffnende Frage zu stellen, die nicht schon eine Festlegung enthält. Wie das Kind im Laden, das mit dem Finger auf mich zeigt und die Bezugsperson fragt: „Ist das ein Junge oder ein Mädchen?“ Als darstellende Künstler*in will ich überlegen, wie ich Fragen stelle, ohne von einer Binarität auszugehen. Ich ahne, das führt mich zu einem Pool voll Verwirrung und damit zu Möglichkeiten! Wie kreiere ich also Bilder, Puppen, visuelle Angelegenheiten, die nicht schon von der Umwelt kategorisiert wurden? Wie kreieren wir sie, dass ein Kategorisieren unmöglich wird? Würde ich das überhaupt wollen, dass nichts mehr kategorisiert wird? Gibt es überhaupt Neutralität? Bei der Figur? Würde sie Cis-männlich-weiß gelesen, wenn sie „neutral“ wäre? Ja, die neutralen Figuren, die wir spielen, erhalten von uns oft das Pronomen „er“. Selbst Objekte bekommen eine binäre Geschlechtszuweisung. Und da im Figurentheater Roboter und KI immer mehr Einzug finden, entsteht meiner Meinung nach ein riesiges Potential, Geschlecht neu zu verhandeln und Gender-Konstruktion aufzudecken! Wie gestalte ich also einen Roboter auf der Bühne, um Geschlecht und Rollenbilder zu dekonstruieren, anstatt verhärtete Vorstellungen wieder und wieder zu reproduzieren? Was gibt es also beizutragen? Sicher ist, es gibt noch einiges zu sagen und zu tun, solange Achselhaare vom Geschehen auf der Bühne ablenken. Vielleicht geht es um die Entschlossenheit, immer neue Fragen zu suchen und sie zu stellen, mir selbst, der Szene und den Institutionen. Ja, es geht schlicht und einfach darum, mutig zu bleiben, vermeintliche Wahrheiten zu sezieren. Wenn ich denke: „Na, das ist eben so!“, dann bin ich wohl auf eine Sandbank aufgelaufen. – www.brittatraenkler.pb.online – www.likemme.de 1 Das „Ich“ im Text ist sowohl Li, als auch Britta, deswegen unsere gemeinsame Arbeit. 2 Unterschiedliche Arten zu „gendern“ sind für uns ein Ausdruck von kreativem Umgang mit Sprache. Wir haben uns gegen eine einheitliche Form entschie den, so bleibt der Lesefluss weiterhin aufgewirbelt.
Britta Tränkler & AnSo Dautz, Für dich reiß‘ ich die schönsten Blumen aus. Foto: Thilo Neubacher
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die subversive kraft des u-boots Gespräch mit Annette Scheibler und Sigrun Kilger vom Ensemble Materialtheater über feministisches Theater und Geschlechterstereotypen Das Ensemble Materialtheater steht für ein poetisches, aber immer auch dezidiert politisches Theater. In vielen Stücken, zuletzt „Frauen lügen aus ihrem Leben“, haben sie auch feministische Themen aufgegriffen. Für double sprach Mascha Erbelding mit Annette Scheibler und Sigrun Kilger, dem weiblichen Teil der Gruppe. double: Ihr habt in den 1980er und 90er Jahren angefangen, Theater zu machen. Welche Rolle hat die Frauenbewegung für euch gespielt, für euren Einstieg, als Frau Theater zu machen? Annette Scheibler: Also das erste Erlebnis, das ich sehr einprägsam fand, war während meines Studiums. Ich habe im FITZ gearbeitet, Saaldienst gemacht, und da gab es auch schon das internationale Festival. Und ich erinnere mich, das war in so einer Runde von lauter berühmten Männern – Massimo Schuster, Albrecht Roser und andere – als Albrecht Roser irgendwann so süffisant lächelnd die Frage aufbrachte: Tja, warum ist eigentlich keine berühmte Frau in unserer Runde? Das habe ich mitgekriegt als 18-jährige oder 19-jährige und das hat mich so gefuchst. Ich dachte, ja warum eigentlich nicht? Und das war so ein Stachel im Fleisch damals. Sigrun Kilger: Ich fühlte mich komplett frei. Ich habe überhaupt keine Zwänge oder Grenzen gespürt. Im Gegenteil, ich bin unvoreingenommen in das Studium reingegangen und dachte: Klar, ich mache einfach Theater. Das Erlebnis mit Albrecht Roser als Puppenspieler und Ingrid Höfer als Assistentin bei ihren Aufführungen war natürlich auch prägend, also dieses Dienende der Frau. Ich möchte da niemanden beleidigen, aber für mich war klar, ich wollte nie dienen.
Die eigene Autor*in sein AS: Das war auch ein Beweggrund für mein zweites Solo „Klodette kocht“ (1996), da geht es um eine Frau im goldenen Käfig, die ihre Fantasien auslebt, aber letztendlich nie wirklich ins Handeln kommt. Der Mann ist erfolgreich und sie ist in ihrer Küche und bildet sich ein, dass sie irgendwelche tollen Sachen macht. SK: Ja, wir konnten Frauenfiguren schaffen, die es so nicht gibt. Dadurch, dass wir ja auch Autorinnen waren – natürlich auch in Zusammenarbeit mit Männern, Hartmut Liebsch, Alberto García Sánchez. Aber wir hatten die Chance, keine klassischen Rollenbilder zu verfolgen. Bei dir „Klodette kocht“, bei mir die „Weißnäherin“ (1995). Bei der „Weißnäherin“ war das ein reines, auch feministisches Frauenteam damals. Franziska Rast Bühnenbild, Katharina Wibmer Film, Barbara Mehrkötter Regie. Das war eine ganz tolle Reibung, eine Figur zu entwickeln, die es noch nicht gab, kein klassisches Käthchen oder Gretchen. SK: Es ist interessant. Wir haben dieses Stück „Frauen lügen aus ihrem Leben“ gemacht, das super lief. Aber wir wurden zu relativ wenigen Festivals eingeladen. Wir haben uns gefragt, warum das so ist und kamen drauf: Das ist ein spezielles Thema. Frauen sind ein spezielles Thema. Wir sind zwar mehr als die Hälfte der Menschheit…
Ensemble Materialtheater, Ernesto Hase hat ein Loch in der Tasche. Foto: Heinrich Hesse
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double: 51% in Deutschland genau… SK: …aber wir sind ein spezielles Thema, über Frauenleben zu sprechen ist speziell. double: 75% des Theaterpublikums ist weiblich.1 SK: Wir glauben, es liegt nicht am Abend, das liegt an den Themen. Aber böse gesagt, es gibt einfach auch viele männliche Festivalmacher, die da wahrscheinlich auch nicht so eine Notwendigkeit sehen, diese Themen zu zeigen.
Puppe = Mensch = Mann? double: Welches Geschlecht hat denn nun die Puppe? Und wie materialisiert sich Geschlecht in einer Puppe? Kann man eine asexuelle Puppe überhaupt schaffen? Oder gibt es bei den Zuschauer*innen von vorneherein diese Frage, die man klären muss, männlich oder weiblich, um das rezipieren zu können? AS: Ich glaube tatsächlich, dass das automatisch so funktioniert. Ich muss gerade an Albertos Gedankenexperiment denken mit den drei Strichen. Er macht das ja mit Kindern manchmal. Wer etwas erkennt, soll gleich reinrufen. Und dann malt er zwei Striche parallel, und dann eine Schräge darüber und sofort kommt: Haus. Wir sehen nur drei Linien, aber wir machen sofort ein Haus daraus. Und er sagt, die Kunst des Theaters ist es, genau diese drei Linien zu finden, sodass der*die Zuschauer*in den Rest ergänzen kann. Ich glaube, dass wir auch so auf das Geschlecht schauen. Ich habe „Meet Fred“ vom Hijinx Theatre gesehen, und die Figur ist ja nun wirklich fast neutral, ein Dummy. Aber sie ist gleich ein Mann. Mensch ist gleich Mann. In den „Frauen“ haben wir diese Figur der Alten, die ist eine Zeit lang Conferencier. Susanne von Dattel, Professorin, die so kleine Demonstrationen vorliest. Und das gab es ganz oft, das stand auch in einer Kritik, dass da gesprochen wurde über „den Professor, der durch den Abend führt“. Dabei hat sie sogar Brüste. Aber die Alte, die Weisheiten von sich gibt und Platon zitiert und mit Statistiken um sich wirft, die ist für viele Leute ein Mann. SK: Noch ein Beispiel: Bei „Ernesto Hase hat ein Loch in der Tasche“ haben wir eine Familie, Vater, Mutter, Kind. Meine Schwester Ute Kilger hatte die Figuren gemacht und wie hat sie sie definiert? Das sind Hasen, aber aufrecht wie Menschen. Und die Mutter Liliane Hase hat natürlich – oder eben nicht natürlich – ein Kleid, Vater Hase eine Hose. Wir hatten auch mal eine Begegnung mit einer Feministin, die fragte, wieso wir denn diese Stereotype bedienen. Und dann haben wir uns überlegt: Wie kann man das anders machen? Natürlich könnten beide eine Hose tragen, oder er ein Kleid oder sie eine Hose. Aber das ist schwierig (für Kinder), also wenn du nur das Bild siehst. Schon die Figuren auf öffentlichen Toiletten werden mit Kleid und Hose unterschieden. double: Wenn ein Mann eine weibliche Puppe spielt, macht er sie dadurch zum Menschen, oder macht er sie zum Objekt? SK: Es wird leider oft die Groteske. double: Aber warum ist das so? Und wie könnte man das anders machen? Ich habe sehr viele von Männern gespielte Frauenfiguren gesehen, die für mich eigentlich nur eine Karikatur geblieben sind. SK: Unser Regisseur Alberto macht ja in seinem Solo „Elle e(s)t mon genre“ einen Kunstgriff, der interessant ist. Er fängt damit an, dass er sagt, er wurde gebeten, einen Abend über Frauen zu machen und weigert sich zunächst. Und dann erscheinen ihm alle Frauen seiner Familie und sagen: Doch erzähl, erzähl. Und er schläft, er träumt, er wacht auf und er ist quasi seine Frau und seine Frau ist er, sie haben die Körper getauscht. Aber weil die Leute natürlich erwarten, dass er kommt, schickt er praktisch sie in seinem Körper dort auf das Festival, um diesen Abend zu erzählen. Das heißt, die Leute erleben im Prinzip eine Frau in ihm, die ihm erlaubt, überhaupt über Frauen zu sprechen. Dadurch spricht das, womit er sich solidarisiert, aus ihm heraus.
U-Boot-Taktik double: Zum Abschluss vielleicht noch: Was ich frappierend fand in dem Sammelband „Women in Puppetry“ war die These, dass Frauen auch deshalb im Puppentheater sind, weil es ein marginaler Bereich des Kulturlebens ist. Und man dort wenig Geld verdienen kann. Das hat mich schon getroffen. Die oben genannte Studie zeigt auch, dass ja viele Produktionshäuser der freien Szene mit kleinem Budget von Frauen geleitet werden, aber die großen Häuser mit den dicken Budgets fest in Männerhand sind. Würdet Ihr sagen, provokant formuliert, das Figurentheater ist eine Nische für Frauen, eine Art Reservat, um uns abzuschieben? SK: Also ich empfinde das als unglaubliche Chance. Diese unglaubliche Möglichkeit, die wir haben, Stoffe zu behandeln. AS: Ich meine, es gibt auch die Chance, ein bisschen U-Boot zu spielen. Beispiel „Ernesto Hase hat ein Loch in der Tasche“: Ein Stück über Armut, niemand würde da mit seinen Kindern rein gehen. Aber als Hasengeschichte super! Da haben wir ganz viele Leute gekriegt. Ich glaube, es steckt eine subversive Kraft in unserem Genre. Wir fahren mit einem U-Boot herum, aber es gibt Möglichkeiten darin und die nutzen wir mehr und mehr. – www.materialtheater.de 1 Siehe Gabriele Schulz, Carolin Ries, Olaf Zimmermann: Frauen in Kultur und Medien. Ein Überblick über aktuelle Tendenzen, Entwicklungen und Lösungs vorschläge. Studie des Deutschen Kulturrats, 2016.
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barbie als genderkritisches material Eine Stellungnahme V o n A n n a R e n n e r u n d I r i s K e l l e r /// Barbie ist Feministin! So zumindest argumentiert der Spielzeughersteller Mattel, um sein Produkt mit einem gesellschaftsfähigen Narrativ aufzuladen. Schließlich habe die Barbie-Erfinderin vor 61 Jahren die Kinderzimmer befreit. Sie habe Mädchen vor dem Einüben ihrer zukünftigen Mutterrolle bewahrt, indem sie ihnen eine Alternative zum Wickeln von Babypuppen gab: eine erwachsene Puppe, die die Zukunftsvision ihrer selbst sein sollte. Als körperliches Vorbild diente jedoch „Lilli“, eine deutsche Comicfigur aus der Bild-Zeitung – Pin-Up Girl mit Wespentaille, endlosen Beinen, riesigem Busen und dem Bodymassindex 16. Was assoziieren wir heute mit dieser glatten, glänzenden Puppe mit „perfekten“ Maßen? Sie zeigt uns ein ewiges Lächeln, strahlt Freundlichkeit und Selbstsicherheit aus, wird von Eleganz und Mode unterstützt; sie verspürt keine Wut und erreicht alles ohne anzuecken. Ein Ideal von Weiblichkeit, das kein Körper und keine Frau* erfüllen kann. Ein Ideal, das in vielen Köpfen vorherrscht und das in den Medien permanent zu finden ist. Wir, das Figurentheater-Kollektiv Kompanie 1/10, untersuchen in der Produktion „Komplex! – Außer M. weiß niemand, dass Barbie Feministin ist“, inwiefern wir Barbies symbolhaft übertriebene Weiblichkeit nutzen können, um Stereotype zu entlarven. Dabei werfen wir uns in die Widersprüche der Debatte um Identitäten, Körpernormen und Geschlechtskonstruktionen und erzeugen Reibung – mit einem Koffer voller Barbies und zwei nicht gerade barbiehaften Figurenspielerinnen. Je ernster wir Material und Marketingstrategien nehmen, desto grausamer wirkt die Puppe, deren Körper zur Norm wurde. Wir spielen Szenen zwischen Barbies. Wir lassen sie Sätze sprechen wie „Du kannst alles sein!“ oder „Ich glaube an Diversität.“ Sofort springen die Klischees ins Auge. Barbie entlarvt sich selbst. Vielleicht weil Barbie selbst eine Übertreibung, eine Zuspitzung, ein Symbol ist? Wie viel Barbie brauche ich, um dieses Symbol Barbie in meinem Kopf hervorzurufen? Ausgehend von dieser Frage erstellte die Figurenbauerin und Spielerin Coline Petit eine Gussform von der Puppe und füllte sie mit anderen Materialien: Silikon, Hatovit, Pappmaché, menschliche Haare. Die Wesen, die daraus entstehen, sind Barbie und gleichzeitig etwas vollkommen anderes. Sie sind ergreifend und zerbrechlich – ganz im Gegensatz zur originalen Barbie, die durch ihre steife Bewegungsmöglichkeit und ihre eingefrorenen Gesichtszüge eine pathetisch theatrale Wirkung zeigt. Die Wesen untersuchen die Accessoires von Barbie, wollen dazu gehören, und demontieren dabei die Glitzerwelt, die gegen ihre Authentizität und Verletzlichkeit nicht ankommt. Die Gefahr, der wir immer wieder ausgesetzt sind, ist die der Reproduktion von Klischees auf der einen und des moralischen Zeigefingers auf der anderen Seite. Doch um es mit Judith Butler zu sagen: In jedem performativen Akt der Wiederholung liegt das Potenzial der Abänderung. Daran anknüpfend kann das Figurentheater, das auf die Projektion und Vervollständigung im Kopf der Zuschauenden setzt, vielleicht den Zeigefinger umgehen und Klischees unterwandern. So entsteht die Möglichkeit eines normenkritischen Mashups voller Fakten, Barbies, menschlicher Körper, Widersprüche, Meinungen und Emotionen. „Komplex! – Außer M. weiß niemand, dass Barbie Feministin ist“ – Premiere am 19. März 2020 im FITZ Stuttgart – www.kompanie110.de Kompanie 1/10, Komplex! – Außer M. weiß niemand, dass Barbie Feministin ist. Foto: Katharina Kemme
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kritisches puppenspiel Über die Freiheit im Uneindeutigen V o n m a n u f a k t o r (Friedericke Miller, Gilda Coustier, Mathias Becker und Yasmine Salimi) /// Gender ist ein Prozess, ein soziales Konstrukt, eine Performance. Wie lässt sich Gender im Figurentheater spielen und leben? Wir sind das Figurentheaterkollektiv manufaktor und beschäftigen uns zunehmend mit queerfeministischen Themen. Drei von uns, Frieder, Gilda und Mathias, haben sich im Studiengang Zeitgenössische Puppenspielkunst an der HfS Ernst Busch kennengelernt. Yasmine hat eher eine postmigrantische und autodidaktische Theater-Erfahrung. Am Puppenspiel interessiert uns die Freiheit der Formen: Alles kann zur Figur werden – es sind keine Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, Objekte zu „subjektivieren“. Wir haben alle schon die Erfahrung mit dem Vorwurf gemacht, auf der Bühne nicht „weiblich“ oder „männlich“ genug zu performen. Aber was heißt das? Wer beurteilt das, warum? Das Figurentheater bietet uns eine Form, um den Körper neu zu denken: nicht auf die eigene Biologie reduziert zu sein, sondern sich mit vielen Körpern auszudrücken. Doch sind die Figuren im klassischen Puppenspiel meist sehr grob gezeichnet, z. B. bei einer weiblichen Puppenfigur durch eine höhere Stimmlage, eine dümmliche oder naive Charakterisierung, tänzerische Bewegungen. Natürlich liegt dies oft auch an den Vorlagen, in denen es kaum starke weibliche, geschweige denn queere Rollen gibt. Ecken und Kanten werden im Figurentheater besonders häufig durch klischeehaftes Chargieren glatt geschliffen oder bis ins Lächerliche übertrieben. Warum geht es immer wieder um eindeutige Lesbarkeit? Führt das nicht eher zu einer Objektifizierung von Subjekten? Wie lässt sich das Figurentheater als Möglichkeitsraum des Uneindeutigen denken? Im Studium wie auch in der Praxis sollte die Chance ergriffen werden, Gender als Prozess und nicht als Ergebnis zu zeigen, da die Gemachtheit von Bedeutungen und Objekten sich im Spiel offenlegen lässt. Natürlich reicht es nicht, die Repräsentation von Gender allein auf der Bühne zu hinterfragen. Die Strukturen müssen sich ändern und die Räume sich für vielfältigere Erfahrungen und Körper öffnen, die nicht den herrschenden patriarchalen, weißen, kapitalistischen und ableistischen Normen entsprechen. Damit geht auch einher, dass überkommene Arbeitsweisen neu gedacht werden, in denen es oft darum geht, wer am ehesten ernst genommen wird, sich am besten durchsetzt, am wenigsten Unsicherheit zeigt, am besten vernetzt ist, die dominanten Sprachen und Codes der Theaterszene beherrscht. Daher versuchen wir in unserem neuen Projekt unsere Arbeitsweisen zu hinterfragen und Modelle für eine kollektive Stückentwicklung zu viert als Teil eines größeren Teams mit multiperspektivischem Bezug zu unserem Thema anzuwenden. In „1/0/1 robots – hacking the binary code“ begeben wir uns auf die Suche nach einer queerfeministischen Utopie, in der Menschen, Roboter und Technik emanzipatorische Imaginationen hervorbringen. In unserem Stück sind die Roboter nicht humanoid, sondern eröffnen einen Möglichkeitsraum, der den binären und dominanzbasierten Kategorisierungen des Menschseins entgegengesetzt wird. Wir möchten das Potenzial eines kritischen Puppenspiels testen, das die Vielfalt und Wandelbarkeit der Formen, die Transparenz von Bedeutungen und letztlich die Befreiung von der binären Objektifizierung zum Ziel hat. „1/0/1 robots – hacking the binary code“ – Premiere am 4. September 2020, Schaubude Berlin – www.manufaktor.eu manufaktor, 1/0/1 robots – hacking the binary code. Foto: Daria Geske
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auf der suche nach all den stimmen Ein Gespräch über Stimme, Geschlecht und Figurentheater in der Ausbildung an der Berliner HfS Ernst Busch
Die Stimme ist keineswegs bloße Biologie, auch ihr sind gesellschaftliche Konnotationen eingeschrieben. Für double sprach Christina Röfer mit den Dozent*innen Prof. Ulrike Völger (Sprecherziehung) und Frank Becker (Musik/Gesang) sowie mit Jemima Milano (4. Studienjahr, Ensemble tjg. Dresden) über Stimme, Geschlecht und produktive Brüche im Figurentheater. double: Inwiefern spielt die Auseinandersetzung mit dem Thema Geschlecht eine Rolle in eurer Ausbildungs- und Arbeitspraxis? Jemima Milano: Ich studiere hier noch im vierten Jahr und bin parallel im Engagement am tjg. in Dresden. Tatsächlich ist für mich einer der Gründe, warum ich auf den Puppenspielzug aufgesprungen bin, diese Offenheit, Freiheit, diese Befreiung, auch von Geschlechtern. Dass ich einfach spielen kann was und wen ich will, ohne diese Beschränkung zu haben, die mir ja mein eigener Körper vorgibt. Dass ich jede Erweiterung wählen kann, auch in Bezug auf Material. Frank Becker: Ich habe mich in den letzten Jahren speziell damit beschäftigt, inwiefern das Bühnenlied Fragen aufgreift wie: Wer bin ich auf der Bühne? Wie transformiere ich mich, wenn ich mit einer Puppe arbeite? Hat das Material eine geschlechtliche Konnotation oder kann man das damit in Verbindung bringen? Wenn wir mit Material arbeiten, müssen wir hinterfragen, wie es durch unsere Perspektive vielleicht vereinnahmt wird. double: Es gibt oft eine relativ klare gesellschaftliche Vorstellung davon, wie eine männliche und wie eine weibliche Stimme klingt. Wie geht ihr hier damit um? Ulrike Völger: Es ist nicht so, dass wir im Unterricht ständig darüber sprechen. Etwa: „Deine Stimme müsste jetzt tiefer werden, damit sie männlicher klingt“. Natürlich fragt man manchmal „Warum sprichst du diese Figur so hoch? Was willst du damit ausdrücken?“ Aber eine Festlegung ist eigentlich nicht das, was uns hier im Sprechunterricht wirklich beschäftigt, sondern da suchen wir nach all den Stimmen und Sprechweisen der Figuren und Charaktere, die unsere Spieler*innen verkörpern und ausdrücken können und je mehr das sind, desto besser. JM: Das würde ich auch gern für die szenische Arbeit unterstreichen. In den ganzen vier Jahren hieß es nie „Du spielst gerade einen Mann, da musst du jetzt eigentlich eine andere Farbe mit reingeben.“ Ich habe dafür zum Beispiel einmal extra eine Charge reingesetzt, als ich eine männliche Figur gespielt habe, um zu persiflieren, dass ich jetzt gerade als Frau einen Mann nachahme. Sodass man nicht denkt „Das ist jetzt ein Mann, der spricht“, sondern „Das ist eine Frau, die so spricht wie ein Mann und diese Tatsache kommentiert.“ FB: In der Musikausbildung wird eine weibliche Stimme eigentlich immer noch erst mal in die Höhe entwickelt und eine männliche Stimme in die Tiefe. Da gibt es schon ganz klare geschlechtliche Zuordnungen der Tonverhältnisse. Ich habe das selbst noch erlebt in meiner Ausbildung: Wenn eine Frau nicht über ein hohes C kam, dann hatte die nichts gelernt. Der Körper wurde wie ein Instrument verändert, um sicherzustellen, dass diese Fähigkeiten entwickelt wurden. Davon müssen wir uns jetzt befreien, indem wir z. B. andersrum fragen, wenn ich jetzt da hoch will, verändert das dann nicht auch mein körperliches Empfinden auf der Bühne? Oder singe ich vielleicht einfach da, wo ich gut sein kann, in welcher Lage auch immer? Natürlich stoßen wir auch immer noch an die Grenzen dieses Normiertseins. Wenn du als Mann auf der Bühne nicht mit einer tiefen Stimme sprichst, ist das ein Tabubruch. Wir haben es in der Puppenspielkunst aber sowieso immer mit Tabubrüchen zu tun, deshalb können wir uns das leisten, die Stimme auch dementsprechend einzusetzen. UV: Ich habe mir neulich eine Aufzeichnung des Studenten Andreas Pfaffenberger1 angeschaut, da hat er mit einer Puppe, einem alten Mann, die Arie der Königin der Nacht gesungen. Zwar deutlich transponiert, aber trotzdem ziemlich hoch. Und da sind dann all diese Brüche drin. Das ist das Geniale in dieser Kunst, dass diese Grenzen eben einfach nicht existieren. FB: Ich würde nicht sagen, dass die Grenzen nicht existieren, sondern das Besondere daran ist, diese Grenzen wahrzunehmen und mit ihnen zu arbeiten. Der extreme Bruch – dass der alte Mann eine Sopranfigur singt – ist in dem Körper des Wesens eigentlich gar nicht vorstellbar und die ganze Zeit schwingt die Frage mit, was ist da los, wie kann das sein? Wir setzen das Material einfach
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ein und behaupten. Und deshalb ist das Thema Gender grundsätzlich auch in der Puppenspielkunst verankert, denke ich, weil man es durch diesen Bruch in der Kunstform selbst sehr gut trifft. double: Also eine prädestinierte Kunstform, wenn es darum geht Kategorien zu hinterfragen und Uneindeutigkeit, Vielstimmigkeit zu fördern. Würdet ihr sagen, dass Vielstimmigkeit ein zentraler Begriff im Figurentheater ist? UV: Die Studierenden müssen in der Lage sein, ganz verschiedene Persönlichkeiten, gleich welchen Geschlechts, stimmlich zu unterscheiden. Darin liegt eine riesige Vielfalt. FB: Diese Stimmenvielfalt, von der du sprichst, ist völlig richtig. Ich habe einen Haufen Puppen und frage mich nicht zuerst, was haben die für ein Geschlecht, sondern ich versuche, deren innere Stimme, ihr Verhalten, ihre Fragen an die Welt zu finden. Die Frage ist immer, wie sich das dann transportiert. Es gibt ja immer noch viele Stimmen in der Gesellschaft, die ganz gerne einfach nur Mann und Frau haben und fertig. Das Finden der eigenen Stimme heißt vielleicht aber auch Loslassen der Vorstellungen, mit denen man sozialisiert worden ist. double: Die inneren Stimmen der Puppen finden… Wie nähert ihr euch in der Stimmausbildung dem Puppenkörper? UV: Im Sprechunterricht versuchen wir erst mal die Grundlagen zu schaffen, ob bei Schau- oder Puppenspieler*innen. Man muss lernen, die eigene Stimme, den eigenen Körper zu entdecken. Dass die Stimme im Körper sitzt, dass der Körper durchlässig wird für die Stimme, dass ich lerne, wie ich meine Stimme benutzen kann. Wie verletzt sie sich nicht, wie klingt sie so wie ich das möchte, welche Potenziale habe ich bisher noch nicht entdeckt? Ich kann meine Stimme ja erst verändern, wenn ich überhaupt weiß, was ich tue. Erst dann kann ich damit wirklich frei arbeiten. JM: Das ist ein richtiger Aha-Moment: Das ist meine Stimme, so rede ich? double: Du hast gesagt, dass du oft eher genderunspezifische Figuren spielst, Jemima. Wie findest du die richtige Stimme für eine Figur? JM: Ich gucke mir tatsächlich erst mal die Physiognomie an. Sehe ich beispielsweise, dass der Unterkiefer sehr weit nach vorne steht? Dann mache ich das nach und gucke, was das mit meiner eigenen Stimme macht. Ich schaue, was kann die Puppe für einen Gang haben, was ergibt sich aus der Materialität heraus, und oft entwickelt sich das dann im Spiel von allein: Ok, so sieht sie aus und so ist die Stimme dazu, das kaufe ich ihr ab. Wenn es eine neutralere Puppe ist, gehe ich auch oft über die Biografie ran. Aber es ist selten, dass eine Figur von mir einen S-Fehler bekommt oder einen Dialekt. Wenn ich merke, ich setze mich da auf irgendwelche Stereotype drauf, schmeiße ich es in der Regel direkt wieder raus. UV: Wie wir wissen, macht auch die Biografie etwas mit einer Stimme, die Sozialisation, die Restriktionen und Freiheiten – daraus entsteht eine freie oder eine begrenzte Stimme. Deshalb ist der Blick einer Puppe auch ganz wichtig, um zu einer Stimme zu finden, denn er sagt etwas über die Biografie. FB: Die Sozialisation spielt ja auch bei der Genderidee eine große Rolle. Die Stimme entscheidet, wie man hörbar und sichtbar wird und spiegelt nicht nur soziale Komponenten, sondern wird zur Identitätsfrage. Was geht in der Figur eigentlich vor, warum äußert sie sich so? Und wie findet man im eigenen Klangspektrum die Möglichkeit, das zum Ausdruck zu bringen? Stimmigkeit ist das Stichwort. – www.hfs-puppe.de 1 Einsehbar unter https://www.hfs-puppe.de/spielflaeche Jemima Milano. Foto aus der Serie Puppet Masters, ein Projekt der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch mit der Fotokünstlerin Benita Suchodrev und Studierenden des Studiengangs Zeitgenössische Puppenspielkunst. © 2018 Benita Suchodrev www.benitasuchodrev.com
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Das monster und die Leiche Unheimliche Geschlechterdarstellungen im Puppentheater V o n L a u r a P u r c e l l - G a t e s /// Als Künstler*innen und Zuschauer*innen sich nach dem Try-Out von „The Depraved Appetite of Tarrare the Freak“ (etwa „Der lasterhafte Appetit von Tarrare, dem Freak“) von meiner Kompanie Wattle and Daub zu einem informellen Feedback trafen, machte ein Zuschauer seiner Unzufriedenheit bezüglich des Designs der einzigen weiblichen Puppen – der siamesischen Zwillinge Marie und Celeste (Abb. 1.1) – Luft: „Ihr müsst ihre Lippen und Wangen rot machen, und sie sollten langes Haar haben“, erklärte er unserer Spielerin Aya Nakamura, „sonst erkennt man nicht, dass sie Frauen sind.“ Diese Uneindeutigkeit ist aufschlussreich; niemand hatte sich darüber beschwert, dass die Geschlechtszuordnung der männlichen Puppen verwirrend sei. Es muss viel mehr Arbeit in die Darstellung einer weiblichen Puppe fließen, was den Mythos der Neutralität entlarvt – der neutrale Körper wird als männlich gelesen. Was passiert also, wenn eine „neutrale“ Puppe ohne klare Geschlechtsmerkmale darauf besteht, weiblich zu sein? Warum scheint das eine so beunruhigende Erfahrung zu sein?
Mythos der Neutralität Die Arbeit, die erfolgen muss, damit eine Puppe als weiblich gelesen wird, ist eine, die ich unzählige Male in den Puppenspielworkshops und -kursen meiner Kompanie erlebt habe. Wir starten mit einer Einführung, wie man aus Zeitung und Klebeband einen menschlichen Körper mit Kopf, Genick, Torso, Armen und Beinen erschafft. Es gibt keine weiteren Anweisungen. In der Regel entscheiden sich eine oder zwei Gruppen dazu, nachdem sie ihre „neutrale“ Ausgangspuppe gebaut haben, eine weibliche Puppe zu erschaffen, wobei Weiblichkeit durch das Hinzufügen von Brüsten, langem Haar, einem Kleid gekennzeichnet wird – oder allen dreien. Weiblichkeit ist in diesem Kontext sowohl ein nachträglicher Einfall als auch eine Ergänzung. Die neutralen/männlichen Puppen werden entweder mit „männlichen“ Verhaltensmustern gespielt (etwa auf die Brust schlagen oder die Armmuskeln spielen lassen) oder in einer relativ „neutralen“ Art und Weise. So oder so werden sie von fast allen im Raum als männlich gelesen. Die „weiblichen“ Puppen – die mit Brüsten, langem Haar und/oder Kleid – werden fast immer mit stereotypen weiblichen Bewegungen gespielt, wie z. B. dem Zurückwerfen der Haare, Kichern mit der Hand vor dem Mund und vielen gebeugten Gelenken: der Kopf wird geneigt, die Hüfte zur Seite rausgestellt usw. Nur die Puppen mit stereotypen weiblichen Merkmalen werden „weiblich“ gespielt, alle anderen Puppen – die, die keine Ergänzungen zu ihrer Basis-Körperkonstruktion haben – werden entweder als männlich gespielt oder, ohne spezielle Geschlechtsmarkierungen, als männlich wahrgenommen. Abb. 1.1: Wattle and Daub, The Depraved Appetite of Tarrare the Freak (work-in-progress performance). Foto: Toby Farrow
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In „Speculum. Spiegel des anderen Geschlechts“ unternimmt Luce Irigaray eine dialogische Lesung von Plato, Kant, Freud, Lacan und anderen großen Philosophen und Psychoanalytikern, um zu zeigen, dass das, was diese unter neutral oder universal verstehen, in Wirklichkeit männlich ist. Sie verdeutlicht, wie diese Setzung der Männlichkeit als neutral/universal dazu führt, das Männliche als Subjekt zu etablieren, während tatsächlich weibliche Körper substituiert werden durch das weibliche Andere, das von Männern nach ihren Wünschen geschaffen wird. Irigaray argumentiert, dass die Andersartigkeit von Frauen in dieser symbolischen Ökonomie als eine minderwertige Variante des Männlichen dargestellt wird. Frauen werden nicht selbst als Subjekte eingeordnet, sondern als das Andere in Bezug auf das universale männliche Subjekt. Die südafrikanische Puppenspielerin und Theaterwissenschaftlerin Aja Marneweck ist besonders von dem Konzept des „inappropriate/d other“ (des unpassend-unangepassten Anderen) inspiriert, einer kulturellen und künstlerischen Strategie der Filmemacherin und postkolonialen Theoretikerin Trinh T. Minh-ha, um konventionelle Zugriffe auf weibliche Repräsentation zu stören. Das „inappropriate/d other“ bedeutet: Ich bin gleich und gleichzeitig anders, sowie weder gleich noch anders. Durch die gleichzeitige Besetzung eines Insider- und Outsider-Status erlaubt diese Positionierung eine transformative Liminalität, die hierarchische oder dualistische Grenzen eher destabilisiert als bekräftigt. Die menschenähnliche, neutrale Puppe, auf die ich mich konzentriere – vorgeblich universell und doch als maskulin gelesen – provoziert Ambiguität nicht durch hybride körperliche Merkmale, sondern dadurch, dass ihr angenommenes Geschlecht (männlich) ihrer Geschlechterdarstellung (weiblich) entgegenläuft. Ich behaupte, dass dies einen unheimlichen Effekt hervorruft, dadurch dass gleich mehrere binäre Kategorien erschüttert werden, darunter universell/spezifisch, neutral-männlich/weiblich, lebendig/tot, Körper/Objekt und Sterilität/Fruchtbarkeit.
Das Unheimliche und das Monster Masahiro Moris Theorie des „Uncanny Valley“-Effekts (1970) stammt aus der Robotik. Sie verweist auf ein Simulacrum, das sich dem Simulierten bis zur Ununterscheidbarkeit annähert, bis zu einem Punkt, an dem die Akzeptanz einbricht – ein zutiefst beunruhigender Effekt – bezeichnet als „das unheimliche Tal“. Puppen sowie Animationen befinden sich häufig in diesem Bereich des „Uncanny Valley“. In seinem Graphen verortet Mori die Bunraku-Puppe zwischen dessen Tiefpunkt (der Zombie in Bewegung und die Leiche in Starre) und dem gesunden Menschen. Moris „Uncanny Valley“ verweist auf zwei Definitionen des Unheimlichen und ich denke, dass die Unheimlichkeit von Puppen auf beiden beruht. Ernst Jentschs Essay „Zur Psychologie des Unheimlichen“ (1906), auf den Sigmund Freud sich später in seinem Essay „Das Unheimliche“ (1909) bezieht, erläutert, dass im Wort selbst das „an einem anderen Ort Sein“, „nicht heimisch Sein“ steckt, das Unvertraute. Die Unsicherheit, die erwächst, wenn man nicht weiß, ob eine menschenähnliche Figur tatsächlich menschlich ist, bildet den Kern des Unheimlichen. Diese Definition lässt sich auf Puppen ausweiten: Hier spielt „unheimlich“ gemeinhin auf die intellektuelle Unsicherheit an – ist die Puppe tot oder lebendig, menschlich oder Objekt? Freud erweitert Jentschs Analyse. Er betont die Zweideutigkeit des Wortes „heimlich“ als Ausdruck von zugleich Vertrautem und Verborgenem. „Unheimlich“ verweist somit einerseits auf das Unvertraute (Jentschs Definition) und auf das, was hätte geheim bleiben sollen, aber nun zutage getreten ist. Freud verknüpft das von Jentsch definierte „heimlich“ mit dem Unterdrückten, das die Kohärenz des Subjekts, das sich entsprechend sozialer Normen verhalten muss, bedroht. Wenn eine Puppe sowohl in der äußeren Erscheinung als auch in der Gestik geschlechtsneutral wahrgenommen, aber in einem Narrativ als Charakter mit Geschlechtsidentität eingeführt wird und darauf besteht, weiblich zu sein, entsteht ein monströser Körper. Dieser Körper kann nicht in eindeutigen Kategorien entziffert werden – die Quelle des „Uncanny Valley“-Effekts.
Neutralität und Leichenkörper Um zu verstehen, warum sich Puppen zur Unterwanderung geschlechtlicher Einordnung besonders eignen, ist der „Leichenkörper“, der versiegelt, leer und steril ist, ein guter Ausgangspunkt. Der Puppenkörper ist ein solcher: Als anorganisches Objekt schließt er die unbändigen Ausschweifungen des menschlichen Körpers aus. Dies verleitete Heinrich von Kleist und Edward Gordon Craig dazu, die Puppe als perfekt kontrollierbares Bühneninstrument über den menschlichen Performer zu stellen. Die „neutrale“ Puppe stellt dann eine doppelte Antithese zum Weiblichen dar: in ihrem mutmaßlichen universalen Status (eine männliche Subjektposition) und in ihrer tatsächlichen Konstruktion als anorganischer, leerer, steriler Körper (der weibliche Körper zeichnet sich durch Fruchtbarkeit aus). Wenn diese offensichtlich „neutrale“ Puppe beharrlich als weiblich performt, ist der*die Zuschauer*in mit einer doppelten Ambiguität und einer Verdopplung des unheimlichen Affektes konfrontiert. Kleists „tote, reine Pendel“ und die vollkommen kontrollierten mechanischen Körper Craigs können als Verbindung von der Marionette und ihrer Freiheit von einem unkontrollierten Inneren zur Leiche verstanden werden. In diesem Sinne bestärkt die Leiche Grenzen eher, als dass sie sie auflöst, indem sie die völlige Kontrolle des menschlichen Körpers ermöglicht. Somit können Puppen in ähnlicher Form geeignet sein, den widerspenstigen, fruchtbaren weiblichen Körper zu kontrollieren.
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Subversive Orte In meinen Puppenspielkursen bat ich die Studierenden, sich Puppen aus Zeitungspapier und Klebeband, die alle als männlich angesehen hatten, als weiblich vorzustellen. Die Studierenden, denen das überhaupt gelang (5 von 45), hatten weibliche äußerliche Merkmale wie langes Haar, rote Lippen oder lange Wimpern imaginiert. Obwohl ich die Schwierigkeiten der Student*innen, die Puppe als weiblich zu lesen, nicht erstaunlich finde, war ich erstaunt über ihre Taktiken, die sich von meinen unterschieden. Wenn ich eine „neutrale“ Puppe als männlich wahrnehme – was ich nach wie vor tue, trotz meiner Sensibilisierung und meinem Wunsch, diese Art der Zuschreibung herauszufordern – versuche ich, stereotype weibliche Persönlichkeitsmerkmale hinzuzufügen, anstelle von körperlichen Merkmalen. Diese stereotypen Persönlichkeitsmerkmale – die ebenso problematisch sind, wie die körperlichen – sind u. a. Weichheit, Offenheit und Unschuld. Sie können auch Stärke und Wildheit beinhalten – dann aber eine speziell weibliche Form dessen, die wiederum auf Stereotypen basiert.
Plucked – a true fairy tale Liz Walkers Protagonistin in „Plucked – a true fairy tale“ (etwa „Gerupft – ein wahres Märchen“) hat keine solchen Merkmale, sie sieht aus wie ein unwesentlich kleinerer Zwilling ihres männlichen Gegenstücks. Dadurch, dass sie eine Frau (die auf die Männer in der Geschichte einwirkt) ins Zentrum der Erzählung rückt und dem Blick der Zuschauenden kategorisierende Details verweigert, leistet Walker doppelten Widerstand. Das Publikum sieht eine Puppe, die außerhalb der Geschichte als männlich (als universelles Subjekt) angesehen werden könnte, während sie eine Erzählung vollzieht, die auf ihrem eindeutig weiblichen Handeln fußt. In der ersten Hälfte des Stücks bauen zwei Personen ihr neues Haus. Das Publikum hat noch keine Hinweise dazu erhalten, wer die Hauptfigur der Erzählung ist, und, abgesehen von einem kleinen Größenunterschied, keine körperlichen oder Bewegungsmerkmale, die auf ein Geschlecht hindeuten. Es wird immer deutlicher, dass die beiden ein Paar sind und dass das Publikum eine romantische Erzählung über einen Start in ein gemeinsames Leben bezeugt. Als mir dies klar wurde, fing ich an, den Figuren auf Grundlage heteronormativer Prämissen Geschlechter zuzuordnen. Ich beschloss, dass die kleinere Figur weiblich sei und die größere männlich – eine Art der Geschlechterzuschreibung, die sich weder im Puppenbau noch in ihrem Bewegungsvokabular ausdrückt. Am Ende der ersten Hälfte lässt die etwas größere die kleinere Puppe allein im gemeinsamen neuen Haus zurück und ihre Geschichte von Verlust, Verrat und Zorn beginnt. Während wir uns durch ihre kraftvolle emotionale Geschichte bewegen, werden Bilder von Weiblichkeit mittels Schwarz-Weiß-Animationen und Sandmalerei auf eine Leinwand projiziert. Die Szenen reflektierten Märchengeschichten mit bildlichen Darstellungen von Hexen. An diesem Punkt konnte die Puppe für mich nichts anderes als weiblich sein, obwohl sie physisch als neutral/männlich erschien. Meine Strategien, stereotype weibliche Charaktereigenschaften in die Puppe hineinzulesen, wurden dadurch sichtbar gemacht, dass sie erst auftauchten, nachdem ich verstanden hatte, dass die Puppe eine Frau war – ich sah sie Stück für Stück als weicher, zugewandter und schrieb ihr zugleich eine eindeutig „weibliche“ Wut zu, die mir zu einem ganzheitlichen Geschlechterbild der Puppe verhalf.
Marie/Celeste Die siamesischen Zwillinge Marie und Celeste, die weiblichen Charaktere, die in „The Depraved Appetite of Tarrare the Freak“ so viel Bedenken hervorgerufen hatten, nehmen eine traditionelle Position in der Geschichte ein. Celeste wird von den meisten Zuschauer*innen als Objekt der Liebe des männlichen Protagonisten Tarrare wahrgenommen. Der Co-Künstlerische Leiter Tobi Poster und ich versuchten diese Wahrnehmung abzuschwächen, indem wir alle gängigen Liebeszeilen aus Celestes Lied strichen und indem wir sie schwören ließen, Tarrare zu „retten“, als er in den Krieg zieht, anstatt ihm aus romantischem Verlangen zu folgen. Die Regisseurin Sita Calvert-Ennals und die Puppenspielerin Aya Nakamura arbeiteten ebenfalls auf eine andere Verortung des Charakters hin, indem sie ihre Stärken hervorhoben. Dennoch konnte Celestes Rolle in der Erzählung nicht über die Vermutung hinwegtäuschen, dass sie die konventionelle Rolle der jugendlichen Liebhaberin einnahm, sodass die Zuschauer*innen sie als solche wahrnahmen. Celeste ist ein zweiköpfiger Zwilling, der in der Try-Out-Version mittels eines Puppenkopfs mit langem Hals und einer Halbmaske auf dem Gesicht der Puppenspielerin verkörpert wurde, und in der finalen Version durch eine zweiköpfige Puppe (Abb. 1.2). Ihre Gestaltung unterscheidet sich nicht von der der männlichen Puppen: Sie ist aus Rhenoflex-Stücken zusammengesetzt, die Schmelznähte sind sichtbar. Das Rhenoflex ist mit bemaltem Stoff überzogen, angelehnt an Bilder von Leichen in Formaldehyd – eine Gestaltung, die aus der Rahmung des Stücks resultiert: ein Obduktionssaal, in dem die Puppenspieler*innen die Leichen im Raum reanimieren, um mit ihnen die Geschichte zu erzählen. Celestes Geschlecht wird aufgrund ihres Gesichts in Frage gestellt (sie trägt ein Kleid), während das der Männer nicht hinterfragt wird. Keines der Puppengesichter trägt eindeutige Geschlechtsmerkmale (weiblichen Lippenstift oder langes Haar, männliches Barthaar), die über die Kleidung hinausgehen, sodass sie den Mythos der Neutralität im Puppenspiel entlarven.
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Schlussfolgerung Während „geschlechtsneutrale“ Puppen als männlich gelesen werden in ihrer abstrakten Kennzeichnung der Subjekthaftigkeit, werden weibliche Puppen durch eindeutig weibliche Merkmale kenntlich gemacht – Brüste, Haar, rote Lippen, ein Kleid. Das Problem (oder die Störung) taucht auf, wenn eine „neutrale“, als männlich gelesene Puppe weiblich gespielt wird. Wenn eine Puppe, die wir als männlich lesen wollen – weil neutral und deshalb abstrakt – darauf besteht, weiblich zu sein, wird die Integrität der Männlichkeit im Zentrum abstrakter Subjektivität dadurch untergraben, dass ihre eigenen Merkmale und Vorannahmen sichtbar gemacht werden (es kann keine Essenz des Männlichen geben, wenn es zugleich weiblich sein kann). Die mehrdeutig weibliche Puppe ist deshalb unheimlich auf zwei Ebenen: der Zweideutigkeit der lebenden Leiche (ist sie lebendig oder tot?) und der Zweideutigkeit des Geschlechts (was ist es denn nun?). Dies ist der monströse Körper als Leichenkörper: offensichtlich geschlossen, vorhersagbar und vollkommen kenntlich und doch zugleich unheimlich dadurch, dass er vielfache ontologische Räume besetzt. Zuschauer*innen, die diesem Paradox beiwohnen, können sich sehr wohl beunruhigt fühlen und wünschen, die Grenzen bzw. Umrisse der Puppe zu festigen, indem sie ihr klare Geschlechtsmerkmale überstülpen, die der zweiten Ebene der Unheimlichkeit vorbeugen, der Ambiguität der Geschlechter. Wenn man diesem Impuls widersteht und stattdessen in der Unheimlichkeit verharrt, kann die mehrdeutig lebendig/tote, mehrdeutig weibliche/männliche Puppe möglicherweise erweiterte Subjekterfahrungen ermöglichen. – www.laurapurcellgates.academia.edu Übersetzung aus dem Englischen: Christina Röfer und Mascha Erbelding - Der hier abgedruckte Text ist eine gekürzte Version des Artikels "The monster and the corpse: puppetry and the uncanniness of gender performance." von Laura Purcell-Gates (2019). In: Alissa Mello, Claudia Orenstein und Cariad Astles (Hg.): Women and Puppetry: Critical and Historical Investigations. Routledge: Abingdon, S. 19-34 (ISBN 9780415787390).
Literatur: ausführliches Verzeichnis beim Originalartikel Craig, E. G. (1908): On the actor and the über-marionette. The Mask. 1 (2), S. 3–15. Freud, S. (1925) [1919]: The Uncanny [Das Unheimliche], trans. A. Strachey. Available from: http://web.mit.edu/allanmc/www/freud1.pdf [Accessed May 27, 2018]. Irigaray L. (1985b) [1974]: Speculum of the Other Woman, trans. G. C. Gill. Ithaca, NY: Cornell University Press. Jentsch, E. (1997) [1906]: On the psychology of the uncanny, trans. R. Sellars. Angelaki: Journal of the Theoretical Humanities. 2 (1), S. 7–16. von Kleist, H. (1981) [1810]: On the Marionette Theatre, trans. I. Parry. Available at: www.southerncrossreview.org/9/kleist.htm [Accessed May 28, 2018]. Marneweck, A. (2016): Sexual and spiritual r-evolution through animism: the Feminine Semiotics of puppetry. Journal of Resistance Studies. 2 (2), S. 134–166. Mori, M. (2012) [1970]: The uncanny valley, trans. K. F. MacDorman and N. Kageki. IEEE Robotics & Automation Magazine. 19 (2), S. 98–100.
Copyright (©2019) from „Women and Puppetry. Critical and Historical Investigations“ edited by Alissa Mello, Claudia Orenstein and Cariad Astles. Reproduced by permission of Taylor and Francis, a division of Informa plc. Abb. 1.2: Wattle and Daub, The Depraved Appetite of Tarrare the Freak. Foto: Barney Witts
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wer bist du? Spurensuche einer Tochter in „queer papa queer“ V o n U t e K a h m a n n /// Vor zehn Jahren rief mich mein Vater zu sich. Er würde nicht mehr lange leben und wolle mir noch etwas geben. Seine gesammelten Gläser interessierten mich nicht. Ich wollte mit ihm reden, wollte wissen, wie und warum er 1969 aus der DDR geflohen war, wie er all die Jahre gelebt hatte und ob er homosexuell sei. „Kann man nicht die Menschen lieben?“, antwortete er. Zehn Jahre nach dem Tod meines Vaters begann eine aktive Auseinandersetzung mit dem Thema Homosexualität in der DDR. Die Geschichte meines Vaters sollte den Kern einer Performance bilden. Ererbtes Material, Briefe und Fotos, die meinen Vater als homosexuell outeten, ließen Fragen auftauchen. Wie gehen wir mit dem Schweigen, den Geheimnissen in unseren Familien um? Das Team führte Gespräche mit Menschen, die offen oder verdeckt homosexuell leben. Im Schwulen Museum Berlin lasen wir Berichte von Protagonist*innen der homosexuellen Emanzipationsbewegung der DDR, suchten den Kontakt zur queeren Community Ü70. Wie erfuhren, dass „queer“ ein schillernder Begriff ist, der weder in den Gender Studies noch in den queeren Bewegungen eindeutig definiert ist. Die Kategorie des Geschlechts als Teil der Identität wird grundsätzlich in Frage gestellt. Wie „queer“ können die Puppen für unsere Performance aussehen, fragten wir uns. Wir bauten Flachfiguren aus Papier und Draht, kein Geschlechtsmerkmal sollte erkennbar sein. Aber was sagen wir mit neutralen Figuren aus? Die Vielfalt menschlicher Identitäten würde nicht widergespiegelt werden. Eine skizzenhafte Bauart sollte jedoch beibehalten werden. Wir nahmen Rollenzuschreibungen vor, um die Inhalte der Szenen zu transportieren. Eine Wiedererkennbarkeit der handelnden Personen war für die inhaltliche Struktur wichtig. Szenen, die in den 40er, 60er und 70er Jahren spielen, brauchen Puppen mit festgelegten Identitäten. Sind wir doch fixiert auf eine soziale Ordnung, die auf den gängigen Geschlechterrollen basiert? Oder ist die Verankerung im zeitlichen Kontext begründet? In der Gegenwart wird mein Vater durch einen Rahmen dargestellt. Diese abstrakte Form bietet den Betrachter*innen Freiräume und schützt zudem vor einem privaten Agieren auf der Bühne. Nach einer Vorstellung kam eine junge Frau auf mich zu und fragte mich, wie ich es geschafft habe, mit meinem Thema auf die Bühne zu gehen. Es habe sie stark beeindruckt und ihr Mut gemacht, endlich mit ihrem Vater zu reden. Dem Publikum war meine Beziehung zum Vater oftmals wichtiger als die Szenen aus dem homosexuellen Leben in der DDR. Es gab Gespräche über das Anderssein in einer Diktatur und die Sehnsucht nach Freiheit, die wohl meinen Vater hat fliehen lassen. Vielleicht hatte er auch ein gewisses Schubladendenken bezüglich der Geschlechterrollen satt. Es ist seit langem an der Zeit, Klischees und das patriarchale Gesellschaftsmodell zu verlassen. Meine Suche nach dem Wie und Warum der Flucht meines Vaters geht weiter. Gefunden habe ich kraftvolle Synergien im Produktionsteam, wertvolle Gespräche über eigene Rollenbilder und Diversität, inspirierende Menschen, berührende Momente und die Gewissheit, den richtigen Beruf auszuüben. – www.figurentheater-ute-kahmann.de Ute Kahmann, queer papa queer. Foto: Marcus Lieberenz
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der m ännliche code Feministische Kritik an digitalen Repräsentationssystemen V o n M e i k e W a g n e r /// Die Münchner Kammerspiele kuratierten im Juni 2019 das Festival „Politik der Algorithmen – Kunst, Leben, Künstliche Intelligenz“. Sechs Tage lang wurden künstlerische Ansätze vorgestellt, „die sich auf die Herausforderungen ihrer Zeit einlassen“.1 Vorträge und Panels rundeten das ambitionierte Programm ab. Ausgehend von der Erkenntnis, dass Algorithmen, die in der uns umfassenden Digitalisierung unsere Lebenswelt mehr und mehr beeinflussen, von Menschen gemacht und daher Einstellungen und Vorurteile all jener, die sie entwickeln und nutzen, wiedergeben, hatte sich das Diskussionspanel „#2: Politik, Identität, Feminismus“ die Frage gestellt: „Wenn Künstliche Intelligenz vor allem die Probleme reicher Männer aus dem Silicon Valley bearbeitet, wie lässt sich dieser Komplex dann aus feministischer Perspektive verstehen und verändern?“2 Die Veranstaltung wurde zunächst mit der Videoeinspielung eines Vortrags der Medienwissenschaftlerin Helen Hester eröffnet, die zu den Vordenkerinnen des ‚Cyberfeminismus 2.0’ im englischsprachigen Raum gehört. Sie ist die Co-Autorin des „Xenofeminist manifesto“ (2015), das die Ideen von Donna Haraway’s „Cyborg Manifesto“ für unsere Zeit aktualisiert. Haraway hatte 1985 postuliert, dass der/ die Cyborg feste Grenzen zwischen Maschine und Mensch in Frage stelle und somit zu einem Vorbild für einen transhumanen Feminismus werde, der den Grenzen traditioneller Geschlechterrollen widerspreche. Aus heutiger Perspektive ist Haraways These immer noch aktuell, jedoch muss eine feministische Kritik die normierende Techno-Macht stärker ins Visier nehmen. In ihrem Vortrag zeigt Hester nun an zahlreichen Beispielen auf, wie sehr die Basis-Repräsentationen von digitaler Technologie, etwa Spracherkennung, auf männlichen Parametern beruhen. So werden weibliche Stimmlagen wesentlich schlechter erkannt. Auch weibliche Chatbots, die eine flexible Kommunikationssituation simulieren können, wie etwa Microsofts „Tay“, scheinen mit ihrer jungmädchenhaften Sprachkompetenz und den körperlichen Features – volle Lippen, große Augen, lange Wimpern –, direkt aus den Gehirnen von weißen alten Geschäftsmännern zu entspringen. Hester legt hier kritisch offen, wie sehr männliche Machtstrukturen die Repräsentationsmodelle formieren und fordert die Entwicklung von feministischen und weiblichen Gegenbildern für eine bessere Zukunft. In der anschließenden Diskussion greift die Kuratorin Ulla Heinrich mit der Filmemacherin Isa Willinger und der PerformanceKünstlerin Tiara Roxanne diese Problematik auf. Als Fazit der Veranstaltung beschleicht einen das ungute Gefühl, dass die Feministinnen auf der Bühne und im Film zwar interessante Beispiele eingebracht haben, die wesentlichen Probleme jedoch nicht adressiert wurden. Ist eine feministische TechnologieVision ohne eine radikale Kapitalismuskritik überhaupt denkbar? Obgleich in Hesters Manifest genau dies gefordert wird, folgt daraus keine Aktion. Man begnügt sich mit generellen Formulierungen, konkret wird es nur in der Repräsentationskritik. Vollkommen aberwitzig erscheint es da, dass die Kurator*innen des Festivals dem Feminismus-Panel ein Technologie-Panel im selben Raum vorangestellt hatten. Das ausschließlich männlich besetzte Panel mit Vertretern der großen Tech-Labs (Siemens AI Lab, Motius) repräsentierte anschaulich die Verbindung von technologischer Gestaltungsmacht und Kapital in männlicher Hand. Follow the money… – www.muenchner-kammerspiele.de/politik-der-algorithmen-kunst-leben-kunstliche-intelligenz 1 Zitiert aus dem Programm des Festivals. 2 Ebd.
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ja, es war lange so. nein, es muss nicht so bleiben. Das Kollektiv von „Frauen in gehobenen Positionen“ spricht über seine Arbeit Vo n F r a n z i s k a M e r k e l , S a m i r a We n z e l , S t e f a n W e n z e l , J o h a n n a P o s e n e n s k e /// Wir sind Franziska, Johanna, Samira und Stefan und wir haben uns zusammengetan, um ein Figurentheaterstück mit dem Titel „Frauen in gehobenen Positionen“1 zu entwickeln. Wir haben versucht demokratisch, hierarchielos, feministisch und säuglingstauglich zu arbeiten. Wir wollten Hebefiguren, Entertainment und einen Hauch Politik und dabei unsere persönlichen Feminismen hinterfragen und weiterentwickeln. Schnell haben wir gemerkt, dass da eine ganze Ladung Verantwortung mitkommt. Die Frage war nun, wie wird aus diesem Ansatz Theater? Denn politische Aktion (beinahe wäre unsere Spielstätte vom Pinken Block besetzt worden), theoretisches Gespräch mit Sahnetorte und existenzielle Verunsicherung lagen zuerst viel näher als Kunst. Wir wollten keine Klugheit suggerieren und nichts erklären, sondern emotional und nahbar dem Thema auf einer visuellen Ebene begegnen. Eine Möglichkeit, die wir gefunden haben, war, uns selbst zu befragen und diesen Prozess offenzulegen. Am Anfang unserer Arbeit haben wir intuitiv Figuren gebaut und bestimmte Objekte ausgewählt. Eines davon ist der Ballettschuh, der eine große emotionale Nähe zu fast jedem*r Zuschauer*in eröffnet. Er hat es geschafft, uns selbst in unserer Verletzlichkeit sichtbar zu machen und uns als Beispiele zur Verfügung zu stellen: Das Ballett und der persönliche Bezug dazu wird im Stück immer wieder aufgegriffen. Thematisiert werden etwa der „falsche“ Körper, als Hindernis für eine Ballettkarriere, das Geheimnisvolle der Theatergarderobe, Kindheitstraum aus Puder und Schminke, ein zeitaktueller Artikel, der den Ballettschuh mit einem Phallussymbol gleichsetzt und die Irritation über die eigene Positionierung dazu. Mit allen Materialien und Objekten, die wir verwenden, haben wir einen ähnlichen Prozess erlebt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass dieser Weg über das Material dazu führt, dass die Zuschauer*innen sich eingeladen fühlen, sich zu öffnen und das Bedürfnis haben, mit uns in Austausch zu kommen. Aus der Verbindung von Material und der Auseinandersetzung mit Feminismen ergab sich auch eine bestimmte Arbeitsweise, die nicht von den künstlerischen Inhalten zu trennen ist: Wir haben unsere Belastbarkeitsgrenzen respektiert, obwohl die patriarchal geprägte Theaterpraxis lehrt, sie zu missachten. Wir haben zu humanen Zeiten gearbeitet. Wir haben wildes, hemmungsloses Proben ermöglicht und trotzdem (und vielleicht auch deswegen) Konsensentscheidungen getroffen. Es ist eine Arbeitsweise entstanden, die sich weiter entwickeln kann, eine Absage an die Produktorientiertheit des Kapitalismus. Indem der Prozess als dem Produkt ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen angesehen wird, werden die Beziehungen zwischen Menschen (und Dingen) so relevant, dass sie Zeit einnehmen dürfen. In dieser kleinen Parzelle entsteht Politik und wird Gesellschaft geformt. Und jetzt alle. Nächste Termine: 10./11. April 2020 im WuK Theaterquartier, Halle (Saale), 9. Oktober 2020 im Westflügel Leipzig www.lehmannundwenzel.de – www.franziskamerkel.de Frauen in gehobenen Positionen. Foto: Thilo Neubacher
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zwischen androgynen metamorphosen und tier-werdung Die Compagnie La Mu/ette spielt mit Geschlechtsidentitäten V o n C a r o l e G u i d i c e l l i /// Es gibt viele Möglichkeiten, das Thema Geschlecht mit der Figur anzugehen. Durch seine Formbarkeit ist das animierte Objekt ein Werkzeug, das leicht von einer sexuellen Identität zur anderen wechselt: Eine Perücke oder eine Prothese hinzugefügt oder weggenommen, und schon entsteht ein Körper, der sich vor den Zuschauer*innen transformiert. Aber das Figurentheater kann auch Geschlechtszuschreibungen durch kleine Veränderungen irritieren, indem es die gut geölte Mechanik des heterosexuellen Paares in seinem bourgeoisen Inneren durcheinanderbringt. Das ist der Ausgangspunkt der Inszenierung „L’un dans l’autre“ („Das/der eine im Anderen“, 2015) der Compagnie La Mu/ette. Die Spieler*innen (Delphine Bardot und Santiago Moreno), beide in Himmelblau mit großem rosa Blumenmuster gekleidet, werden fast eins mit der Tapete ihrer Wohnung, die dasselbe Muster hat. In seinem goldenen Käfig singt ein schöner Vogel. Black – und der Vogel ist verschwunden. Noch ein Black – und der Mann spuckt still und leise einige rote Federn aus. Ein erster Effekt der Überlagerung der Körper, als sich die Frau auf den Mann setzt und ihn komplett verbirgt. Das neue Wesen bewegt die Arme wie ein Vogel seine angewinkelten Flügel. Nach dem nächsten Black versucht der Mann, nun auf der Frau sitzend, die femininen Beine verschwinden zu lassen, die aus seinem Schritt hervorgekommen sind… In ihrer nächtlichen Intimität verdoppeln oder neutralisieren die beiden Teile des Paares später ihre männlichen und weiblichen Attribute mithilfe von Kostümteilen, Accessoires oder Masken, die ihre Gesichter abbilden. Indem sie ihre Körper manipulieren und neu zusammensetzen, (de)montieren die Spieler*innen Stück für Stück die Identitäten ihrer Figuren, wie Claude Cahun – die Künstlerin, deren Arbeit die der Compagnie beeinflusst – es mit ihren fotografischen Selbstporträts machte. Was passiert, wenn die Körper des Mannes und der Frau entblößt werden und die Codes des Verführungsspiels fallen? Das ist der Ausgangspunkt von „Fais-moi mâle“ (Wortspiel zwischen „Tu mir weh“ und „Mach mich männlich“), einer kurzen Skizze dessen, was 2021 „Battre encore“ (etwa „Schlägt immer noch“) werden wird: ein Stück über Gewalt gegen Frauen. Delphine Bardot, kokett in einem feuerroten Kleid, das ihre karminroten Lippen hervorhebt, setzt zum Klang des Chansons „Johnny fais-moi mal“ („Johnny tu‘ mir weh“) von Boris Vian ihre Puppe – einen jungen Mann im Slip mit behaartem Oberkörper – auf einen mit einem blutroten Fell bedeckten Tisch. Ein Stuhl und ein paar Blumen, drei anhängliche kleine Schweine, eine alte CabaretSängerin, die sich auszieht, eine Stoffpuppe mit Rosenkopf und ein großes Messer sind die weiteren Elemente dieses „Solos für eine Frau in schlechter Gesellschaft“. Von rührender Komik zu extremer Brutalität umschlagend, hinterfragt dieses Solo auch den Umgang mit dem weiblichen Körper, nach und nach verschönert, älter gemacht, vergewaltigt oder kolonisiert, wenn sich auf dem Rücken der Spielerin mithilfe einer Maske und einiger Striche der haarige Oberkörper des Mannes abzeichnet: nicht mehr die Verschmelzung wie in „L’un dans l’autre“, sondern das brutale und verstörende Einschreiben des Einen auf dem Körper der Anderen. – Aus dem Französischen von Mascha Erbelding – www.cielamuette.com Compagnie La Mu/ette, L‘un dans l‘autre. Foto: David Siebert
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STIPPVISITE
showdown beim showcase 10. Biennale des slowenischen Puppentheaters Einige Protagonist*innen des slowenischen Puppentheaters sind ja bereits seit längerem auch hierzulande unterwegs – dazu gehören das Lutkovno gledališce Ljubljana, das Lutkovno gledališce Maribor, die Formation „Moment“, die mit „Victoria 2.0“ nicht nur beim Schweizer Grünschnabel-Wettbewerb Furore machte, sondern auch bei der Imaginale in Stuttgart (vgl. S. 36), und natürlich Matija Solce, der kürzlich, beim Weitblick Festival in Braunschweig, auch solo wieder einmal Begeisterungsstürme ausgelöst hat. Dass das kleine Land mit seinen etwas mehr als zwei Millionen Einwohnern auf dem Gebiet des Puppentheaters aber noch weitaus mehr zu bieten hat – davon sollte die „10th Biennial of Puppetry Artists of Slovenia“ im September 2019 zeugen.
V o n A n k e M e y e r /// Elf Vorstellungen im Wettbewerb, vier im Begleitprogramm und diverse Zusatzveranstaltungen erwarteten das Publikum vor Ort und uns, eine Gruppe internationaler Fachbesucher*innen, die das gastgebende LGM, das Puppentheater Maribor, zu diesem nationalen Showcase mit integriertem Wettbewerb eingeladen hatte. Doch bei genauerem Hinsehen konnte man den Eindruck gewinnen, die beiden bekanntesten Puppentheater Sloweniens würden eine Art Zweikampf ausfechten: Sechs der elf Wettbewerbs-Inszenierungen kamen aus Ljubljana, vier aus Maribor. Dass man knapp an einem Duell zwischen dem Puppentheater Ljubljana und dem Puppentheater Maribor vorbeischrammte, lag an einer ebenfalls ins Programm gewählten slowenisch-kroatischen Koproduktion für junges Publikum, der Tragikkomödie „Nepozabek/Forget me not“ von Peter Kus. Nicht alle slowenischen Besucher*innen goutierten dieses programmatische Übergewicht der großen Puppentheater-Tanker. Die Kuratorin der Biennale, die Dramaturgin und Theaterwissenschaftlerin Nika Leskovšek, begründet in einem ausführlichen Vorwort zum Programmheft ihre Entscheidung mit großen qualitativen Unterschieden in den Arbeiten von Theaterinstitutionen und freien Gruppen Sloweniens. Das leuchtet mir nach dem als experimentell angekündigten „Bumm, krach, peng“ im Begleitprogramm fast ein. Dass dann aber eine aufwändige, viel Luft und durchaus künstlerische Sinnfragen produzierende Inszenierung wie „Das Frühlingsopfer“ vom Puppentheater Ljubljana Eingang in den Wettbewerb gefunden hat, verwundert doch einigermaßen. Links: Lutkovno gledališce Maribor, Words from the House Karlstein. Foto: Boštjan Lah ˇ Eine Puppenminiatur. Foto: Urška Boljkovac Rechts: Lutkovno gledališce Ljubljana, MOC.
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SSTTI IPPPVVI ISSI ITTEE
Doch das Puppentheater der slowenischen Hauptstadt kann auch anders. Wie anders, das war unter anderem in der Koproduktion mit dem tjp Centre Dramatique National Strasbourg „Open the Owl" zu sehen, dieser ganz heutigen Überschreibung des PocciStückes „Das Eulenschloss". Der französische Regisseur Renaud Herbin spannt neben der lustig-tragischen Erlösungsgeschichte ein weites assoziatives Feld auf zwischen den kleinen, charmanten historischen Marionetten, zwei ebenso gefasst wie affirmativ agierenden menschlichen Darsteller*innen/Puppenspieler*innen und Projektionen sowie Einblicken in die Bühnentechnik, die sich dem umher flanierenden Publikum mehr und mehr eröffnen. Aber auch „Somewhere Else", eine Inszenierung des Puppentheaters Ljubljana für Kinder (Regie Tin Grabnar), überzeugte. Die Kriegserlebnisse eines kleinen Mädchens sind anrührend und unpathetisch erzählt, die Spielerin hat eine einnehmende Präsenz und die Überlagerung ihrer Kreidezeichnungen mit animierter Projektion verleiht dem Ganzen eine eigentümliche Fragilität. Dabei muss erstaunlich wenig Theaterdonner bemüht werden, um die Grausamkeit und Gefährlichkeit des Krieges plastisch zu machen (siehe auch den folgenden Artikel). Mit sehr unterhaltsamem Blitz und Donner hingegen, um in der Unwettermetapher zu bleiben, wagt sich eine weitere Produktion des allgegenwärtigen Hauses an einen Klassiker: Mit „Session Bulgakow" ist Matija Solce eine schräge, assoziative Annäherung an „Der Meister und Margherita" gelungen. Sein Männerspektakel mit ItalowesternCharme verhandelt „Gut" und „Böse" satirisch, chaotisch und höchst musikalisch. Als sei das noch nicht genug, lud das Puppentheater Ljubljana nächtens noch zu einer „off"ˇ Eine Vorstellung in eine abgelegene Bar. „MOC. Puppenminiatur" in der Regie von Jiri Zeman und Martina Mauricˇ Lazar – die auch beide selbst spielen. „Sie" irgendwo zwischen menschlicher Marionette, Puppenspielerin und schließlich Widerpart zu „ihm": Drahtzieher, Manipulator, Chef. Die Miniatur umspielt Varianten von Macht und Fügsamkeit, Freude am Beherrschen, am Geführtwerden und Sich-Widersetzen. Immer etwas rätselhaft, halbdunkel, altmodisch, langsam und – nicht zuletzt durch die befremdliche Anmutung animierter Glasmarionetten – von untergründiger Spannung. Und der „Duellpartner", das Puppentheater Maribor, das dieses Festival auch ausgerichtet und seine Räumlichkeiten in der alten, großzügig und raffiniert umgebauten Menoritenkirche an der Drau dafür geöffnet hat? Die „Schneekönigin" der Gastgeber (ebenfalls in der Regie von Tin Grabnar) entwickelt sich nach einem etwas moralisierenden Auftakt mit sparsam animierten, schlichten Tischpuppen zu einem rasanten Hörspiel mit Live-Geräuschproduktion, für die alle möglichen und unmöglichen Dinge zum Einsatz kommen. Der mitreißende Spaß am Sound (Komposition Peter Kus) setzte hier einen wohltuenden Gegenpart zu Kindertheater-Moral – und übertrug sich auch auf die nicht Slowenisch verstehende Zuschauerin. Auch „White Camel" lebt vom Sound und von der sehr ausformulierten visuellen Ebene mit folkloristischer Anmutung. Als ungünstig für Vorstellungen in diesem internationalen Rahmen erwies sich hingegen die ebenfalls am Puppentheater Maribor entstandene, textbasierte Inszenierung „Words from the House Karlstein". Ein hochästhetisches, komplexes Bühnenbild, darin sehr reduzierte, quasi abstrakte Aktion und enorm viel eingesprochener, poetischer Text, dem man auf der Übertitelung kaum und manchmal gar nicht folgen konnte. Das nachträgliche Lesen von Berta Bojetu-Boetas bewegendem dramatischen Poem über die existenzielle Verlorenheit einer Frau, den Verlust ihrer (jüdischen) Identität, half nicht über die Leerstellen während der atmosphärisch starken, aber statisch ausgerichteten Vorstellung hinweg. Noch ein kurzer Blick in die Galerie GT22, in die Ausstellung „Elektronic Origami", wo die Hackerin und bildende Künstlerin Monika Pocrnjicˇ mit feinen kleinen Installationen aus Papier und elektronischer Kinetik im doppelten Sinn bewegende Verbindungen zwischen traditioneller Faltkunst und Technologie schafft. Tatsächlich also eine beeindruckende ästhetische, dramaturgische und thematische Bandbreite, die sich in dieser Biennale des slowenischen Puppentheaters, trotz der etwas fraglichen Konzentration auf zwei Theater, erwies. – www.lg-mb.si/en/biennial-of-puppetry-artists-of-slovenia Lutkovno gledališce Maribor, Die Schneekönigin. Foto: Boštjan Lah
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unvollständigkeit zulassen Potenziale moderner Technologien am Beispiel der Inszenierung „Somewhere Else“ Das 2019 vom Puppentheater Ljubljana herausgegebene Magazin LUTKA No. 60 stellt zehn verschiedene Positionen zu neuen Technologien im Puppentheater vor – theoretische Diskurse ebenso wie Beschreibungen zeitgenössischer künstlerischer Praxis in Slowenien und international. Aus einem Beitrag von Tin Grabnar über das Verhältnis von Technologie und schöpferischer Motivation bringen wir hier einen Auszug. Darin reflektiert der slowenische Regisseur über einen Inszenierungsprozess, in dem digitale Bildmedien eine wichtige Funktion erhalten. V o n T i n G r a b n a r /// Die Inszenierung „Somewhere Else“1 handelt von einem siebenjährigen Mädchen, das sich im Zentrum eines Krieges befindet. (…) Die Zuschauer*innen betrachten die schmerzlichen Folgen des Krieges durch die Augen eines Kindes, begegnen aus dessen Perspektive der Absurdität von Gewalt und den Gräueln des Krieges. Die Protagonistin des Stückes macht sich auf eine schwierige Reise, auf der sie Mangel, Angst und (zu) große Verantwortung ertragen muss – und das Schwierigste: das Leid um den Verlust eines geliebten Wesens.
Wie über Krieg sprechen? Mit welchen Mitteln? Der Ausgangspunkt der Inszenierung, die auf einem Original-Text basiert, war, das Kinderpublikum mit einem schwierigen Thema zu konfrontieren, das wir oft zu vermeiden suchen. Zu lösen war die Frage, wie wir Kindern das schreckliche Ausmaß von Krieg sichtbar machen könnten, ohne sie einzuschüchtern oder zu bevormunden (oder ihnen unsere Schutzherrschaft aufzunötigen). Wie über Krieg sprechen? Weil wir wussten, dass wir für ein sehr junges Publikum spielen würden, war die Wahl der Inszenierungsstrategie ziemlich klar. Wir gingen davon aus, dass sich innerhalb einer narrativen Struktur die bestmöglichen Anknüpfungspunkte für die zuschauenden Kinder finden würden, um sich mit der Heldin zu identifizieren und zumindest einen kleinen Teil ihrer tragischen Erlebnisse mit ihr gemeinsam emotional zu begreifen. Der Weg bis zur Auswahl des schließlich eingesetzten Materials war etwas länger. Wir suchten nach einem für die Geschichte stimmigen Mittel, das zugleich einen genügend stichhaltigen, logischen Kontext bot. Nach ein paar verworfenen Einfällen entschieden wir uns schließlich für Kreidezeichnungen. Wir legten die Inszenierung so an, dass die Spielerin, während die Geschichte erzählt wird, Bilder aus ihrem Leben auf eine rotierende Tafel zeichnet, die zugleich ein Schulpult darstellen könnte. Die Kreide passte perfekt zum Inhalt des Stückes. Die schwarz-weiße Welt versprach, jene undurchsichtige Atmosphäre zu schaffen, in die wir mit den Bildern der Kriegsschrecken geraten könnten. Uns eröffneten sich auch ungenutzte Puppen- und Animationspotentiale durch das, was die Kreide auf der Bühne ermöglichte. Wenn zum Beispiel unsere Protagonistin auf die Tafel gezeichnet ist, bedarf es nur einer kleinen Veränderung ihrer Lippenkontur, um eine Stimmungsveränderung anzuzeigen. Mit Kreidestaub konnten wir die Assoziation fallender Bomben hervorrufen, wir konnten mit dem Sound spielen, den Kreide hervorruft, und vieles mehr. Auch einen situativen Rahmen bot das Zeichnen mit Kreide an: Es erinnert an Schule – wo die Geschichte beginnt und endet.
T e c h n o l o g i e n f ü r d e n W e g i n d i e i n n e r e W e lt Wir haben aber später noch eine etwas komplexere Technik eingeführt. Ausgangspunkt war die Idee, dass die Kreidezeichnung, die die Spielerin auf der sich bewegenden Tafel herstellte, an einem bestimmten Punkt auf wundersame Weise zum Leben erwachen könnte. Die sich bewegenden Zeichnungen könnten eine Art Puppentheater entstehen lassen, das uns in die innere Welt der Protagonistin führt. Um diese Wirkung zu erreichen, benutzten wir einen Projektor, der die klassischen Zeichnungen mit dem projizierten Bild überlagert. Die ganze Vorstellung hindurch werden die Zeichnungen unserer handelnden Figuren projiziert. Die dadurch entstehenden Überlagerungen von Projektion und realer Zeichnung ist so entgrenzend, dass das Publikum irgendwann den Sinn für die Wirklichkeit verliert. Das projizierte Bild, das die Spielerin eben gerade vor den Augen der Zuschauer*innen gezeichnet hat, wird lebendig, beginnt sich nach den Prinzipien von Stop-Motion zu bewegen. Im Verlauf der Vorstellung ist es oft ziemlich schwierig, zwischen dem tatsächlich gerade mit Kreide gezeichneten Bild und der Projektion zu unterscheiden. Das heißt auch, dass wir das Publikum immer wieder überraschen und in Spannung versetzen können. Wir haben außerdem ein System von Sensoren installiert,
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die jederzeit die Position der Tafel bestimmen können und diese Information an den Projektor weiterleiten. Dieser justiert auf der Basis der erhaltenen Informationen die Projektionen manchmal so, dass die Bilder auf der sich bewegenden Platte festgeleimt zu sein scheinen. Bei der Entwicklung dieser Inszenierung haben wir viel Mühe darauf verwandt, die Technik vor den Augen der Zuschauer*innen zu verbergen. Trotz der hohen Komplexität der eingesetzten Technologien wollten wir sie gern im Hintergrund halten und so Raum für die Geschichte lassen. Indem wir selbst die technologische Seite eher als sekundär betrachten, kann das Publikum diese in gewisser Weise vergessen und sich der Magie des Geschehens hingeben.
Videobilder als Mitspieler Der Einsatz von Video-Animation ist nun nicht gerade eine Innovation im Puppentheater. Vielleicht liegt die Besonderheit der Inszenierung „Somewhere Else” vor allem in der Tatsache, dass wir versucht haben, die Video-Animation so eng wie möglich an den Regeln des Puppenspiels auszurichten. Das heißt, wir wollten die Video-Animation in der Rolle eines aktiven Mit-Performers einsetzten. Ein Video kann sehr schnell zu einem bloß interessanten visuellen Moment einer Theaterinszenierung werden, nicht mehr als ein Verweis auf das Kino. In diesem Fall würden Spieler und Zuschauer zu passiven Beobachtern vorproduzierter Trickfilme – eine statische und theatral tote Situation. Daher haben wir versucht, die Videobilder als in sich unvollständige zu denken, zu konstruieren – so dass sie ihren Sinn erst in der Begegnung mit der Spielerin entwickeln können. So bauen wir stellenweise auch die Illusion auf, dass die Bilder auf Stimuli von außen reagieren. Zum Beispiel, indem die Schwerkraft innerhalb des Bildes gestört scheint und unsere animierte Protagonistin die Balance verliert, wenn die Tafel rotiert. Oder der projizierte Hund antwortet auf die Anweisungen der Spielerin und schafft so das Gefühl, er sei lebendig und anwesend, wird somit zu einer Art Mitspieler. In einer anderen Szene wiederum muss die Spielerin ein zusätzliches Element zu ihrer Zeichnung hinzufügen, um sie verständlich zu machen. Die Ebene der Technologie ist auf diese Weise eng mit anderen Bühnenmitteln verwoben. (...) Letztendlich aber: Bei aller Begeisterung für die Erweiterung des Puppentheater-Horizonts durch theatrale Erforschung neuer Technologien (…) bleiben es die Zuschauer*innen, die wir adressieren und in denen sich unser künstlerisches Anliegen überhaupt erst manifestiert. – www.lgl.si Übersetzungaus dem Englischen: Anke Meyer – Der hier abgedruckte Text ist ein Auszug aus „Creative Motivation“ von Tin Grabnar in LUTKA. Journal on Puppetry Arts and Theatre of Animated Forms. No. 60 / 2019. (Slowenisch/Englisch/Französisch, ISSN 03509303) 1 Puppentheater Ljubljana 2017, Regie: Tin Grabnar, Visual Design: Matija Medved, Stop-Motion-Animation: Matija Medved, Lea Vucko.
Lutkovno gledališce Ljubljana, Somewhere Else. Foto: Jaka Varmuž
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mitgenommen werden in eine andere zeit Staffelübergabe in Braunschweig Hanne Scharnhorst und Nöck Gebhardt-Seele geben die Leitung des Theaters Fadenschein in Braunschweig an Miriam Paul ab. Für double portraitiert René Reith den Generationswechsel aus einem Gespräch über einzelne Schritte und Herausforderungen. V o n R e n é R e i t h /// Der Generationswechsel sei wie ein Windprozess, erzählt Hanne Scharnhorst, die zusammen mit Nöck Gebhardt-Seele über 35 Jahre das Theater Fadenschein in Braunschweig leitete. Dort beschäftigt man sich schon länger mit der Frage, wie ein etabliertes Theater der Figurentheater-Szene in Zukunft weitergeführt werden kann – eine Frage, die auch andere künstlerische Leiter*innen freier Theaterhäuser bundesweit beschäftigt. So war es nicht anders zu erwarten, dass auf die Einladung zu einem Treffen jener Figurentheater-Häuser zum Thema Generationswechsel im Juni 2019 zehn Leiter*innen den Weg nach Braunschweig auf sich nahmen. Die neue künstlerische Leiterin des Theaters Fadenschein, Miriam Paul, initiierte dieses Treffen zusammen mit dem Theater Blaues Haus in Krefeld und dem Verband Deutscher Puppentheater. Schnell wurde in dem zweitägigen Arbeitstreffen deutlich, dass der Generationswechsel in der Leitung der Häuser komplexe organisatorische und emotionale Prozesse mit sich führt. Die meisten Häuser stünden in fünf bis zehn Jahren vor diesem Umbruch, berichtet Miriam Paul. In manchen sei er gerade im Gange, andere hätten schon Versuche hinter sich, wiederum andere planen die Schließung ihrer Bühne oder sagen sich „dann spielen wir bis zum Umfallen“. Der gemeinsame Austausch hat Denkprozesse angestoßen, die 2020 in einem weiteren Treffen fortgesetzt werden sollen.
Wissen, das nicht in Büchern steht Im Theater Fadenschein begann der Prozess der Übergabe mit einem künstlerischen Kollaborieren und Austesten. Die in Braunschweig aufgewachsene und in Stuttgart ausgebildete Figurenspielerin Miriam Paul wurde bereits vor sieben Jahren mit ihren ersten Stücken im Theater Fadenschein willkommen geheißen. Mit der Anfrage von Gebhardt-Seele und Scharnhorst hinsichtlich ihrer Bereitschaft, das Theater zu übernehmen, ließen sich die drei zunächst auf gemeinsame Inszenierungsprozesse für ihre Bühnenstücke ein. Die gemeinsame Sprache trotz unterschiedlicher Ansätze, so Paul, habe sie zu den nächsten Schritten motiviert, in denen sich die Schwierigkeit auftat, das Wissen über die Leitung eines Hauses zu vermitteln. Nicht nur die Finanzierung ihrer Einarbeitungszeit, sondern auch das Know-how über die eigens gewachsenen Strukturen des Hauses stellten Herausforderungen dar. Wissen, das nicht in Büchern steht, sondern von dem Theater Fadenschein. Foto: Theater
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alten Leitungsteam verkörpert wird und persönlich vermittelt werden musste. In Zusammenarbeit mit den langjährigen Förderinstitutionen der Stadt wurde Miriam Paul zudem mit einer Zukunftsstudie über das Theater Fadenschein beauftragt. Über anderthalb Jahre hinweg konnte sie darin Organisationsstrukturen beleuchten, Wissen dokumentieren und den Werdegang des Theaters mit der Entwicklung der kulturellen Landschaft im Raum Braunschweig vergleichen. Hanne Scharnhorst erzählt, wie außerhalb von künstlerischen und kulturpolitischen Arbeitsschritten auch die persönlichen Motivationen und Situationen der Teammitglieder in den Austausch gebracht wurden. Im Rahmen eines Coachings aus dem Bereich der systemischen Beratung nahmen das Team sowie die Mitarbeiter*innen des Hauses an professionell moderierten Gesprächen teil und arbeiteten gemeinsam an nachhaltigen Strategien für den Leitungswechsel.
Wechsel der Arbeitsformen Ebenfalls vom Austausch zwischen den Generationen geprägt war die Umsetzung des internationalen Festivals mit Figuren, Weitblick 2019, das triennal vom Theater Fadenschein ausgerichtet wird. Neben der Organisation und Einladung von hochkarätigen Gastspielen und Vermittlungsveranstaltungen, konnte man innerhalb der Publikumsgruppen und anhand der Festivalatmosphäre die unterschiedlichen gemeinschaftsstiftenden Facetten in der Konzeption des Festivals spüren. Neben der langjährigen künstlerischen Leiterin Hanne Scharnhorst waren das erste Mal auch Miriam Paul und Alba Scharnhorst als Dreier-Gespann in der künstlerischen Leitung aktiv. Die Perspektiven von Alba Scharnhorst, Tochter von Hanne Scharnhorst, in und auf das Theater Fadenschein und das Weitblick Festival sind zahlreich. Sie reichen von Kindheitserinnerungen an den ersten Theaterbesuch über Gastauftritte in Performances bis hin zu der Gründung des eigenen Ensembles systemrhizoma, das selbst mit experimentellen Formen des Figurentheaters tourt. Ausgebildet an der Universität Hildesheim, stand sie für die Setzung spartenübergreifender Programmpunkte in der Jubiläumsausgabe des Festivals zum 15-jährigen Bestehen. Hierbei spricht sie sich für die Querverbindungen der Genres, wie die Erforschung von Körpern und Objekten im Tanz oder Animationsformen durch digitale Technik und Robotik in der Medienkunst aus. Es wird deutlich, dass mit den Generationen auch Arbeitsformen gewechselt haben. Alba Scharnhorst vergleicht ihre Erfahrung aus der kollektiven Arbeit einer reisenden Gruppe in der freien Szene mit Arbeitsprozessen, die ein Theater in der dicht gewachsenen Struktur einer Stadt entwickelt hat. Gesprächsformate und Aufgabenverteilungen, die aus der kollektiven Arbeit in der freien Szene entlehnt waren, wurden in die Festivalplanung integriert. In ihrer Festivalrede übergab Hanne Scharnhorst dann „den Staffelstab an die neue Generation“ und leitete damit ein, dass die nächste Festivalausgabe des Weitblick Festivals 2022 von Miriam Paul und Alba Scharnhorst weitergeführt wird. Das neue Festivalteam freut sich auf die Herausforderungen, die eine Fortführung des Festivals mit den alten und neuen Publikumsgruppen, Künstler*innen, Arbeitsweisen und Visionen als Gastgeber*innen mit sich bringt. Für Nöck Gebhardt-Seele und Hanne Scharnhorst heißt der Generationswechsel nun unter anderem, als Gäste auf der Bühne zu stehen, die sie selbst erbaut haben. Hanne Scharnhorst, die sich in ihrem Alter auf eine neue Phase künstlerischer Arbeit außerhalb einer Leitungsposition freut, blickt zuversichtlich in die Zukunft: Ein Windprozess führe auch mit sich, „dass man mitgenommen wird in eine andere Zeit“. – www.fadenschein.de
Nöck Gebhardt-Seele, Miriam Paul und Hanne Scharnhorst bei der Übergabe. Foto: Klaus G. Kohn
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sag mir, wo ich beginnen soll Unsortierte Eindrücke vom Fritz-Wortelmann-Preis 2019 Vom 19. bis 22. September 2019 verlieh die Stadt Bochum zum 46. Mal den Fritz-Wortelmann-Preis für Figurentheater und Puppenspielkunst. Neben Schultheatern und Jugendclubs sowie erwachsenen Amateur*innen wetteiferten erneut junge professionelle Künstler*innen des Puppen-, Figuren- und Objekttheaters miteinander an diesen traditionsreichen, vom Deutschen Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst veranstalteten Festtagen. Tim Sandweg, neben Sarah Heppekausen und Barbara Jessel Jurymitglied in der Kategorie professioneller Nachwuchs, hält für double einige seiner Eindrücke von den zehn gezeigten Wettbewerbsbeiträgen fest. V o n T i m S a n d w e g /// Womit soll man beginnen bei einem Wettbewerb, in dem sich der deutsche Figurentheater-Nachwuchs in seiner ganzen ästhetischen, inhaltlichen und strukturellen Bandbreite präsentiert, in dem junge Künstler*innen mit unterschiedlichsten Studienhintergründen ihre Arbeiten auf einen gemeinsamen Genre-Nenner bringen und in der jeder Versuch der Kategorisierung in Tendenzlinien zum Scheitern verurteilt ist? Vielleicht mit den großen Menschenhänden der Performer*innen von F. Wiesel, die eine kleine Silikonpuppe durch die utopisch-detailverliebten Architekturmodelle des Gebäudekomplexes Super-Quadra 67 lotsen, während eine Kamera das Setting in immer neuen Ausschnitten einfängt und Textkaskaden von Dietmar Dath in metaphysisch-physischer Ungewissheit das Ende der Architektur im Geiste der Mutation besingen. Oder mit dem Herbstlaub, dem schmelzenden Eis, den Steinen auf dem Bühnenboden, den ersten Opfern der Klimakatastrophe in „Milo, ich hab mich in die Sahara gebeamt!“, zwischen Ausstellung und Performance, Selbsterfahrungstrip und wissenschaftlicher Schönheit haptisch und akustisch von edgarundallan dargebracht und inszeniert als aufleuchtende Momente eines in der Dunkelheit verschwindenden Planeten. Oder mit dem glucksenden, jauchzenden, frohlockenden Lachen des Publikums, das der Trash-SciFi-Story um ein „Zeitrad“ (genauer: um ein „Zeitfahrrad“) beiwohnt, den großmaskigen Abziehbildern von Zeitfahrer*innen auf dem Planeten Uila, der vielleicht einfach auch nur das benachbarte Herne ist – der Humor legt es jedenfalls nahe. Vor zwei Ausgaben für den professionellen Nachwuchs geöffnet, präsentiert das Wettbewerbsprogramm in diesem Jahr vielschichtige und vor allem vielversprechende Ansätze junger Künstler*innen, mit Ästhetiken des Figuren- und Objekttheaters umzugehen und mit ihnen Analyse- und Erfahrungsräume für ihre Lebensrealitäten aufzumachen. Es geht um große Themen wie Digitalisierung, Klimawandel und das Patriarchat, um Machtverhältnisse zwischen Mensch und Marionette und Mensch und Kugel und Mensch und Tier, aber auch um die Suche nach der Welthaltigkeit im Privaten. Li Kemme, Echo of an End. Foto: Thilo Neubacher
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So auch in der Versuchsanordnung „Echo of an End“, der wir am Ende den Preis verleihen: Auf einem vom Publikum umstandenen Experimentierfeld tritt die Stuttgarter Figurentheaterstudentin Li Kemme den Versuch an, den Lärm in ihrem Kopf zu beenden. Dafür setzt sie nacheinander selbstentworfene und -gebaute Maschinen in Gang: Die Apparatur, die den Lärm ihrer Gedanken abspielt, mit denen die Performerin live in einen Dialog tritt. Die Apparatur, die den Lärm der Vergangenheit hörbar werden lässt, hier die Klänge des Akkordeons ihres Großvaters. Die Apparatur, die sich selbst den Stecker zieht – so wie nach zwölf Minuten schließlich alle Maschinen ersterben und, sobald das letzte Sandkorn gerieselt ist, tatsächlich für einen Augenblick eine Stille von bezaubernder Schönheit hinterlassen. Man ist geneigt zu highlighten, das Format der Veranstaltung legt es ja auch nahe. Aber damit wird man diesen verschiedenen Entwürfen nicht gerecht und schon gar nicht den Teilnehmer*innen, die nicht im Wettkampfmodus agieren und vielmehr auf der Suche nach gegenseitigem Austausch in gegenseitiger Anerkennung sind – was man in dieser Intensität und ehrlichen Offenheit eher selten erleben darf. Und wie soll man diese individuellen Handschriften, die sich manchmal schon klarer, manchmal erst in Skizzen andeuten, auch angemessen vergleichen: Die Abhängigkeitsspiele Eva Vinkes auf einer Geburtstagstafel, auf der die Geschenke des Großvaters lauern und unter der der verdrängte Wald wartet. Die Live-Produktion von veganen Instagram-Abziehbildern an der gedeckten Hochglanzmagazin-Tafel in „#followforfollow“, die dem Publikum als absolut sharable angeboten werden. Oder das Abarbeiten des weiblichen Menschenkörpers am männlichen Marionettenkörper und das umkreisende Aufeinanderprallen zweier isolierter und gleichzeitig verbundener Figuren in „It depends“. Und doch: Natürlich wissen jenseits des künstlerischen Ethos auch die jungen Theaterschaffenden, dass sie sich bereits hier in einem Theater- und Wirtschaftssystem behaupten müssen, wenn sie von und mit ihren Projekten leben wollen – auch das legt das Format der Veranstaltung ja nahe, schließlich sind neben einer Trophäe zwei Spieltermine auf der FIDENA und damit Starthilfe in den Festivalmarkt zu gewinnen. Gönnen würde man sie allen. Was nimmt man also nach drei vollen Programmtagen mit aus Bochum? Vielleicht das: Die anarchische Lust an zerfallenden Seesternen, steifen Pinguinen und weitestgehend bewegungsunfähigen Robben, performt mit Ganzkörperkostüm und Ganzkörpereinsatz in der Naturdoku-Parodie „Tiere“, die wir eigentlich alle wegen Klima-Demo hätten schwänzen müssen. Oder das: Die Poesie von Wischlappen, die zu Gänsen, Enten und anderen Federtieren, zu „Nomaden von Schweden“ und zu nordischen Sagenfiguren werden und eine unsichtbare Linie zwischen zwei Namensvettern, einer fröhlich, einer trist, ziehen. Oder aber: Die Leichtigkeit eines roten Luftballons, die Schwere einer großen Kugel und ein Mensch, ein „Absurd Hero“ dazwischen, einer der sich von den Unmöglichkeiten der Objekte, von physikalischen Gesetzen und der Sturheit der Dinge nicht abschrecken lässt – und sie gerade damit ziemlich ernst nimmt. – www.fidena.de Bergstaffel Production, It depends. C Bergstaffel-Production
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der menschliche körper als seismograph gesellschaftlicher (un-)ordnung Faszinierende Bühnenexperimente auf der Imaginale 2020 Bei der 7. Imaginale in Baden-Württemberg waren im Januar und Februar innerhalb der elf Festivaltage über 40 Produktionen aus 12 Ländern zu sehen. Die Auslastung von 96% für das ganze Festival zeigt einmal mehr, dass das „Theaterfestival animierter Formen“ ein fester Bestandteil der baden-württembergischen Kultur-Landschaft ist. Marcus Kohlbach berichtet für double über zwei Festivalkoproduktionen und eine Nachwuchs-Inszenierung aus Slowenien.
Vom fatalen Sieg über den Körper V o n M a r c u s K o h l b a c h /// Die Bühne ist dunkel zu Beginn von „Victoria 2.0“, einer Produktion des slowenischen Künstler*innenkollektivs Moment und des Art Space GT22 (Dramaturgie: Marek Turošík; Szenografie, visuelles Design: Monika ´ Toni Soprano; Regie: Zoran Petrovic). Die Spielerin Ana Zala Štiglic sitzt auf einem zum Home-Trainer umfunktionierten Pocrnjic, Fahrrad und tritt energisch in die Pedale. Im Schein des Fahrradlichtes erkennt man nur vage das wohltemperierte Chaos im Bühnenraum. Štiglic plaudert munter über den Kalorienverbrauch, den das Fahrradfahren verursacht, setzt an zu einem rasenden Endspurt, um schließlich erschöpft abzulassen, nachdem die imaginäre Ziellinie erreicht ist. Nur ihr lautes Atmen ist im Dunkel zu hören. Das Publikum beklatscht gut gelaunt den Augenblick des scheinbaren Triumphes, der sich im Nachhinein als das Gegenteil entpuppt: Das erstickte Ringen einer jungen Frau um Atem, gefangen im Kreislauf einer Essstörung. Licht an. Ein verwahrlostes Zimmer, Eierschachtel-Müllberge um einen Kühlschrank, ein Tisch, auf dem ein Badminton-Spielfeld aufgebaut ist, eine Leinwand, ein Kleid Moment Association & GT 22, Victoria 2.0. Foto: Toni Soprano
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hängt verloren an einer Leiter. Zahllose Dynamos liegen am Boden vor dem Fahrrad und verweisen stumm auf den zerstörerischen Kreislauf. Mit herrlicher Leichtigkeit und viel Humor erzählt Ana Zala Štiglic nun Episoden aus dem Leben von Victoria auf dem Weg zu ihrer verbesserten Version 2.0 – Stories im Stil einer poppigen YouTube-One-Woman-Show, live übertragen per Kamera vom Spielfeld. Dass es sich bei dem Spiel um Badminton dreht, ist natürlich kein Zufall, ist es doch ein besonders kalorienverbrennendes Spiel, wie man erfährt. Allmählich wird immer deutlicher, welchem Zweck die Gegenstände im Raum dienen. Barbie-Puppen verstricken sich in Badminton- und anderen Konkurrenzkämpfen, ein Ei mit aufgemalten Smiley-Gesicht wird zum Lover, der zermalmt im Mixer landet – zusammen mit Früchten, die der Erzählerin ebenfalls als Spielobjekte dienen und gleichzeitig als Metapher für den gestörten Umgang mit Nahrung fungieren. Zum Schluss trifft einen die Erkenntnis mit voller Wucht: Das Leben der Victoria ist ein ungenießbarer Früchtecocktail, 2.0 ist keine bessere Version, sondern ein fatales Downgrade. Eine wunderbare Inszenierung. Faszinierend auch das Bühnenbild von Mojmir Ferenc, Matjaž Capi Capuder und Drago Pšunder. Noch lange Zeit möchte man im Zuschauerraum verharren und die Objekte der Bühneninstallation betrachten, die en détail vom verlorenen Leben der Victoria erzählen.
Im Labor der Schöpfung „Home of Love“ nennt Stefanie Oberhoff ihre Puppentheater-Performance, eine Uraufführung und Imaginale-Festivalproduktion (Konzept, Idee und Bau: Célia Legaz, Rafi Martin, Stefanie Oberhoff; Regie: Hendrik Mannes). Wer die grotesken Ausgeburten des Oberhoff‘schen Gehirnstüberls kennt, freut sich aufs Neue einen Kosmos an überbordenden Gedankenlandschaften zu betreten, die es zu erforschen gilt wie ein Gemälde, in das man erst eintaucht, um es dann nach und nach für sich zu entdecken. Das Gemälde, das sich diesmal auf der Spielfläche entfaltet, ist eine riesige Lurch-Puppe, in der Oberhoff versinkt, während sie Platons „Timaios“ rezitiert. In den ausgewählten Passagen geht es um die Anordnung der Seelenteile im menschlichen Körper. Was für ein köstlicher und seltsamer Schöpfungsprozess: Das Maul der übergroßen Puppe wackelt behäbig und weckt Assoziationen an die Schlange im Paradiesgarten. Platons Kugelmenschen, die, zerfallen in zwei Hälften, seit jeher auf der Suche nach ihrer jeweils besseren Hälfte sind, entstehen durch die Bewegungen der Performerin en passant aus dem Luftgebilde. Auch sie ist beim Durchschreiten ihrer eigenen Schöpfung auf der Suche nach dem Sitz der Liebe. Das Bild der Künstlerin, die in den wallenden Stoffen ihrer Puppe zu ertrinken droht, ist ebenfalls eine gelungene Metapher für den Schaffensprozess und die künstlerische Suche per se. Sehr zur Belustigung des Publikums erzählt Oberhoff dann auch von ihrer fantastischen Vision: Die auf der Grundlage neurowissenschaftlicher Simulationsforschung zu entwerfende Opern-Trilogie „Fickende Fakten“. Am Ende bleibt man mit einem Schmunzeln im Gesicht zurück und dem Wunsch, die Trilogie verwirklicht zu sehen, deren erste Auszüge (Musik: BJ Morriszonkle) während der Performance schon zu hören waren.
Metamorphosen des Körpers Ein faszinierendes Spiel mit Körperbildern zeigen Laia Ribera Cañénguez und Rafi Martin in ihrer Materialperformance „Wax-En“, einer weiteren Uraufführung des diesjährigen Festivals. Am strahlend weißen Aufriss eines White Cube sitzt das Publikum über Eck. Der quadratische Raum ist leer bis auf einen großen Topf, in dem sich das Spielmaterial Wachs blutrot verflüssigt. Vor einer der Wände steht ein filigraner Stahlrahmen, an dem vier ebenfalls weiße Papierleinwände bis zum Boden gespannt sind (Bühne: Margot Ardouin, Laia Ribera Cañénguez, Rafi Martin). Auf diese gießen die beiden Performer*innen das flüssige Wachs und hängen es zum Trocknen auf wie Häute erlegter Tiere. Danach verwenden sie das so geformte Material, um in immer neue Identitäten zu schlüpfen, sich wiederum zu häuten und erneut andere Selbstbilder anzuziehen. Ein Bildertanz von aufwühlender Schönheit und wütender Kraft entfaltet sich, begleitet vom Sound der Musikerinnen Isabel Gonzalez Toro und Camille Martin. Unterbrochen wird dieses Maskenspiel von biografischen Erzählungen, die um Themen kreisen, die die eigene Identität geprägt haben: Familienrituale, Geschlechtersozialisierung und Migrations- und Exilerfahrungen. Dabei wird das Biografische nie voyeuristisch zur Schau gestellt, sondern bewahrt sich in der fein austarierten Balance von Theatralität und Performance eine erfrischend kühle Distanz, die immer auf das Allgemeingültige verweist. Ein äußerst gelungenes Bühnenexperiment. – www.imaginale.net Rafi Martin und Laia Ribera Cañénguez, Wax-En. Foto: Florian Feisel
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AUSSTELLUNG
WAS KEN KANN Eine Ausstellung in der Pasinger Fabrik in München dekonstruiert die Ikone
Du kannst alles sein. Mit diesem Slogan promotet die Firma Mattel aktuell ihre „Barbie“-Produktwelt, ihr Ziel sei es, „das endlose Potenzial in jedem Mädchen“ zu fördern. Nun, das 1959 auf den Markt gebrachte „Teenage-Fashion-Puppen-Model“1 Barbie mit den vielen Kleidern und Accessoires brachte es im Lauf ihrer langen Karriere und diversen Metamorphosen auf mehrere Doktortitel und eine Pilotenlizenz. 1961 lernte sie Ken kennen, ihren festen Freund. Was Ken alles kann, das lässt sich auch fragen. Gelegenheit hierzu bot im Dezember und Januar die Ausstellung „Yes, We Ken!“, die sich dem Wandel und der Rezeption des Männerbildes anhand dieser westlichen Ikone widmete. V o n T h o m a s B e t z /// In der von der Lyrikerin, Performance-Poetin und Künstlerin Augusta Laar in der Pasinger Fabrik zusammen mit deren Leiter Stefan-Maria Mittendorf organisierten Ausstellung waren ca. 100 Exemplare aus Laars grandioser Sammlung von Ken-Figuren aller Art zu sehen. Dazu Gemälde, Photographien, Filme, Videos, Installationen von elf Künstler*innen, die zeigten, was man mit Ken so anstellen kann.
Ken zwischen Zeiten und K u lt u r e n Man kann, wie im Spielzimmer, die Puppe in Szene setzen, arrangieren. Wie Laar mit ihrer meterlangen Parade von 80 Figuren: Ken im Smoking und im Jeansanzug, im Strandoutfit oder mit Norwegerpulli, in medizinischer Berufskleidung und als Arbeiter mit Schutzhelm, in Skater-Montur mit Board, auf einer Vespa oder einem Motorrad, als Meerjungfrau auf der Kühlerhaube eines weißen Barbie-Cabrios und als Käpt’n Iglo, im Artistenkostüm, als dunkelhäutiger Bodybuilder mit Vollbart sowie – ein seltenes Sammlerstück – nackt, in einem Latexgeschirr, mit Brille und mit (erigiertem) Penis. Eine Parade zwischen Zeiten und Kulturen, zwischen Trends und langlebigen Stereotypen. Sammeln bedeutet ja, ein Objekt aus und samt seinen Kontexten in neue Ordnungen zu überführen – die in der Ausstellung den Blicken der Besucher*innen begegnen, welche die diversen Frisuren und Zeitgeist-Outfits wiederum in unterschiedlichen Referenzen und Resonanzen historisch und im Moment perspektivieren. So hat Laar auch einige Kens mit Disney-Figuren, Mainzelmännchen und anderem Spielzeug und ausgesuchtem Kitsch in Objekt-Montage-Schaukästen zu Andachts- und Cross-over-Rätselbildern komponiert.
W e m ay b e p l a s t i c, b u t o u r l o v e i s r e a l Das Standardschema des attraktiven weißen Girls wurde von der Firma Mattel physiognomisch im Lauf der Zeit variiert, ab den 80er Jahren gab es Barbie-Versionen in verschiedenen Ethnien. Auch wurden „Abweichungen“ von Barbies Figurencharakteristik – d. h. das Spiel mit mehr „Möglichkeiten“ – auf ihre „Freundinnen“-Nebenfiguren übertragen, zum Beispiel konnte Barbies nette Freundin Midge Kens Freund Allan heiraten und ein Baby bekommen. Aber auch wenn Ken sich, was Aussehen und Hautfarbe betrifft, wie Dina Goldstein, Bathroom Mirror, aus der Fotoserie In the Dollhouse, 2012. Foto: Dina Goldstein
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AUSSTELLUNG
Barbie wandelte (wenngleich in geringerer Variationsbreite), das ursprüngliche Ken-Konzept des „Boyfriends“ blieb verbunden mit einem Heiratsverbot; und die revolutionärste sexuelle Phantasie im offiziellen Barbie-Kosmos war, dass Barbie sich 2004 von Ken trennte und eine Affäre mit einem australischen Surfer lebte. Immerhin konnte Ken sie 2011 wiedergewinnen, nachdem er in New York plakatieren hatte lassen: „Barbie, we may be plastic but our love is real.“2 Diese Episode erinnert daran, dass sich seit 1961 gesellschaftliche Vorstellungen von Sexualität und Partnerschaft stark gewandelt haben, während die Beziehung zwischen Barbie und Ken lange statisch blieb. Auch wenn die beiden in berühmte Figuren verwandelt, historisch kostümiert oder in aktuelle soziale Szenarien und populäre fiktionale Welten versetzt wurden.
Zerstörung des (Hetero)Glücks Die Abkehr vom drögen Schema des heterosexuellen glücklichen Paares spielen zwei Fotoserien durch. In „Great Expectations“ (2012/13), einer Inszenierung der Fotografin Jana Cruder mit lebenden Modellen, entspannen sich Barbie und Ken im Liegestuhl am Pool ihrer Luxusvilla. Ken liest das Hochzeitsbuch „Happiness for Husbands and Wives“, aber anstatt sich auf seine Rolle vorzubereiten, geht sein Blick seitwärts. Es sind Szenen einer Dreiecksgeschichte mit einem attraktiven dunkelhäutigen Mann: Einmal wendet sich Ken von seiner Frau im Bademantel ab und dem knackigen Joe am Pool zu; der wiederum betört als Pianist Ken, und beider Blicke treffen sich vielsagend, als sie im „Playboy“ blättern. (Joe ist eine Referenz auf die von der Barbie-Serie inspirierte ActionFigur „G.I. Joe“ des Herstellers Hasbro von 1964, einer Spielzeugfigur für Jungen mit 21 Gelenken und einer wie bei Barbie reichhaltigen Ausstattung an Uniformen und Accessoires nebst Figuren- und Kontextvarianten.) Die Zerstörung des Paars vollzieht sich in der 10-teiligen narrativen Serie „In the Dollhouse“ (2012) der Kanadierin Dina Goldstein. In der scheinbar perfekten Harmonie des pinkfarbenen Interieurs bricht der metrosexuelle Schönling Ken mit dem heterosexuellen Rollenbild, liest im Bett Modemagazine, trägt High Heels beim Frühstück, träumt wie Barbie, von einem Soldaten gerettet zu werden. Ehefrau Barbie ertappt Ken im rosa Schlafzimmer mit einem Mann im Bett. Dann schneidet sich Barbie die langen blonden Haare ab und wechselt zu Anzug und Krawatte. Wird auch dadurch nicht glücklich. Dass die rosarote Idylle nicht funktionieren kann, macht speziell die Schlussszene deutlich: Übrig bleibt eine enthauptete Puppe. Kopf ab, das geschieht auch in Felix Müllers Super-8-Film „Von Schönheit und Neid“ (1996), einer grotesk-grausamen SplatterKasperliade (mit Einsatz wiederum stereotyper Sex- und Gewaltphantasien). Hier paradieren und konkurrieren nackte rundliche Puppen. Bis eine im Kampf die andere killt. Wobei Ken dann die kopflose Leiche penetriert. Einen für den Mann bedrohlichen Geschlechterkampf zeigt „Vivus Funeratus“, ein halluzinatorischer Schwarz-Weiß-Film von Stefan Stratil (1992, zu Musik von Der Plan): Zwei Barbies packen die Leerstelle zwischen Kens Beinen; dann greifen die Plastikpuppen mit ihren High Heels an. Den größten Einspruch gegenüber Rollenbildern im Spiel mit der Puppe realisiert freilich der Angriff auf ihre Materialität. Augusta Laar hat zwei neue „Ken Fashionistas“, gleichsam Oldtimer-Fans, in ein „Barbie Star Vette Cabrio“ von 1975 gepackt, flankiert von einem „Hipster Ken“ mit Dutt: Jungens-Spaß oder Schwulen-Leben? Dagegen demonstrieren in Sichtweite dieser Idylle die Münchner Rose Stach & Gisbert Stach Metamorphosen der Zerstörung: Plastik schmilzt, wenn man es anzündet. Aus einem rosa Cabrio quillt eine Leiche; Kens angekokelter Kopf, sein zerlaufener Leib formieren monströse Skulpturen. Dieser Angriff auf die Materialität setzt den Rollenspielen mit der Puppe und damit den sozialen wie intimen Phantasien in ihrer Wiederholbarkeit und Variation ein Ende. – www.pasinger-fabrik.de 1 https://www.barbie.com/de-de/you-can-be-anything/du-kannst-alles-sein [Abruf: 17.1.2020] 2 https://thewest.com.au/news/offbeat/we-may-be-plastic-but-our-love-is-real-ng-ya-181569 [Abruf: 17.1.2020]
Jana Cruder, Who knew, aus der Fotoserie Great Expectations, 2013. Foto: Jana Cruder
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SYMPOSIUM
IMMERSION AUSSERHALB DER VITRINE Ein Kolloquium in Dresden denkt nach über ein Puppentheatermuseum der Zukunft Im Jahr 2022 wird die Puppentheatersammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden mit ihren mehr als 100.000 Objekten, bisher provisorisch in der Garnisonskirche untergebracht, ein neues Domizil beziehen. Das Kolloqium „Lebendige Räume, lebendige Dinge – Visionen für ein neues Puppentheatermuseum“ lud Expert*innen, Kooperationspartner*innen und Student*innen nach Dresden, um grundlegend über eine künftige Puppentheaterausstellung nachzudenken. V o n N o r b e r t S e i d e l /// In der Dresdner Neustadt harrt das kleine, aber sorgfältig gepflegte Museum für Sächsische Volkskunst der Dinge, die da kommen, eingeklemmt mit seinen Türmchen zwischen Plattenbaublöcken und Ministeriumsklötzen, und fungiert zumindest als fortdauerndes Schaufenster der Puppentheatersammlung – immerhin alles unter dem Dach der mächtigen Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD), bei denen unter der Leitung von Generaldirektorin Prof. Dr. Marion Ackermann nicht nur ein Auge darauf geworfen wird, Dinge zukünftig gegebenenfalls etwas einbruchssicherer, sondern auch zeitgemäßer – um nicht zu sagen: interdisziplinär(er) – und lebendiger zu präsentieren. Das betrifft auch die Puppentheatersammlung, die bereits im Jahr 2022 ein neues industriearchitektonisches Domizil im Lichtwerk des Kraftwerk Mitte im Stadtzentrum beziehen soll, ein Areal, das seit einigen Jahren von der Stadt vornehmlich als Kulturund Kreativwirtschaftszentrum entwickelt wird. Die aus ihren prekären Nachkriegsprovisorien befreiten Bühnen des tjg. theater junge generation und der Staatsoperette haben mit ihrem Publikum und ihrer hohen Auslastung hier zeitgemäße Räumlichkeiten und langfristige Perspektiven gefunden. Die benachbarte Musikhochschule probt, die entsprechende Sparte des Schütz-Konservatoriums tanzt hier und zeitnah ziehen unter anderem ein Programmkino und das Medienkulturzentrum ein. Vor allem das unmittelbar angrenzende tjg. könnte mit seinem großen Puppenspiel-Ensemble und dem reichhaltigen, auch spartenübergreifenden Figurenund Objekttheaterrepertoire in vielschichtiger Verbandelung mit der Puppentheatersammlung ein Kompetenzzentrum bilden, das seinesgleichen sucht. Zumal in einer Stadt, die deutschlandweit die höchsten Pro-Kopf-Ausgaben für Theaterbesuche vorzuweisen hat (und wahrscheinlich schon allein deswegen nicht Kulturhauptstadt Europas wird), ferner eine reiche Puppenspiel-Tradition, natürlich auch in der Region und in einem Bundesland, in dem immerhin fünf kommunale Puppentheater-Ensembles wirken. Eingedenk all dieser (Voraus)Setzungen kann die Frage nach der Art der Nutzung der 2400 für die Puppentheatersammlung geplanten Quadratmeter unmöglich konventionell beantwortet werden, darüber scheinen sich die beteiligten Akteure in Dresden einig. Um das WIE zu befragen und langfristig, nachhaltig zu planen, engagierten die SKD kurzerhand eine aus musealer Perspektive oberflächlich betrachtet Fachfremde: Dr. Kathi Loch, ehemalige Chefdramaturgin am tjg. theater junge generation, mit ausgeprägten Faibles u. a. für Performance und bildende Kunst. Ihr gelingt das Kunststück, den Gegenstand der Debatte grundlegend auf den Prüfstand zu schieben, indem schon die Fragestellungen eine klare Tendenz zur „Belebung“ der Sammlung kommunizieren: Wie soll die Puppentheatersammlung die neuen Flächen bespielen? Wie kann ein Ausstellungsformat an der Schnittstelle zwischen Museum und Theater aussehen? Was sind Strategien der Verlebendigung von Exponaten, die ursprünglich für den Auftritt auf einer Bühne hergestellt wurden?
Immersion und virtuelles Museum Die seit langem auch an international prominenten Schauorten wie der Biennale in Venedig sichtbar werdende Annäherung zwischen bildender und performativer Kunst provoziert die Frage nach möglichen Perspektiven und möglicher Partizipation. Berücksichtigt man neben der Geschichte auch die Perspektive eines potentiellen Objekts und bezieht die des bis dato gemeinen Betrachters konzeptionell mit ein, so wird aus ihm bzw. ihr – so die These – ein(e) Teilhaber(in) und aus dem „Museumsbesuch“ ein Erleben. Für Dr. Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele und einer der ersten Referenten des beeindruckenden Kolloqiums-„Lineups“, ist es von dieser Grundannahme nicht mehr als ein Katzensprung zur Immersion. Selbige beschreibt den Zustand des Verschmelzens zwischen Betrachter*in und Kunstwerk. Immersion finde statt, wenn das Medium quasi aus der Wahrnehmung verschwinde, heißt es. Anders gesagt: Man multipliziere alle ungelenken multimedialen Gehversuche der letzten zwanzig Jahre mit Publikumspartizipation, um eine Art virtuelle Realität zu erschaffen. Wieviel Illusion diesem Vorgang (und den Objekten) tatsächlich und individuell
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guttut, ist eine der wenigen Fragen, die ob der Begeisterung für die schöne neue Welt womöglich zu zaghaft angerissen wird. Aber man wird ja noch träumen dürfen. Oder müssen: Um schlicht zu schauen, wo man bleibt. Annette Dabs und Mareike Gaubitz vom Deutschen Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst e.V. in Bochum haben kurz, aber intensiv geträumt und sind auf bestem Wege (mit Zwischenstopp per Videobotschaft in Dresden), die Illusion auf ein Fundament handfester Datensätze zu bauen: Ihr von Platzmangel und anderen irdischen Unzulänglichkeiten geplagtes Museum soll womöglich am besten gleich ganz in die virtuelle Realität umziehen, abgesehen von ein paar Stühlen, auf denen man VR-Brille tragend Platz nehmen kann. Am Ende könnte man alle inkludieren, die gar nicht nach Bochum fahren wollen oder können, um ins Museum zu gehen.
Wie macht man ein lebendiges Museum? Mutig sind die vorgebrachten Thesen, konsequent, zweifelsohne Türen aufstoßend. Die frische Luft und die Möglichkeiten, die hereinströmen, verursachen unter Umständen durchaus einen leichten Schwindel. Da kommt Julia Nothelfer, Leiterin des Spielzeugmuseums, Dorf- und Rebbaumuseums Riehen mit ihrem die Luftschlösser letztendlich durchaus legitimierenden Praxisbericht zu „Objekten, Alltagsprofis und Demokratisierung“ im Museum gerade richtig und schildert, wie mit einem ausgewogenen Gemisch aus mutiger und zugleich behutsamer Veränderung und Partizipation (auch im Sinne der grundlegenden Interessensbefragung des Publikums) ein zeitgemäßes Ausstellungserlebnis generiert werden kann, selbst wenn die ursprünglichen Voraussetzungen (z. B. räumliche Enge, überhöhtes Traditionsbewusstsein u. Ä.) wenig Hoffnung auf „Verlebendigung“ machten. Auch in dieser Betrachtung kommt der Mutation vom passiven Betrachter zum aktiven Teilhaber eine – zudem bereits umgesetzte – Schlüsselrolle zu. Die Lust am Spiel rückt in den Fokus. Da selbige für Tim Sandweg, Künstlerischer Leiter der Schaubude Berlin, der Grundimpuls schlechthin ist, erläutert er mit spitzer Geste, warum er persönlich nie in Theatermuseen gehe, „…wie sich das vielleicht ändern ließe“, und welche Bedeutung die Vergänglichkeit und Unmittelbarkeit und Einheit von Ort, Zeit und Geschehen im Theater für ihn haben. Oberenders Ausstellung als zeitbasiertes Format scheint da das naheliegendste. Und Sandweg verweist auch noch einmal darauf, was ihn bei einer Puppe als Spieler interessiere. Dinge wie: Wer hat diese Puppe gespielt, was hat sie erlebt, warum ist sie aus welchem Material gemacht? Und da ist er auch näher, als er glauben mag, beim Konservator Lars Rebehn, Koryphäe der Sammlung und wandelndes historisches Figurentheaterlexikon, für den der Schritt von der vermeintlichen Skulptur zum Geschichte(n)erzählen ebenfalls ein tiefes Bedürfnis ist. Es bleibt daran anschließend wohl nur, dieses und jenes (spielerisch) auszuprobieren. Ein das Kolloqium begleitendes deutschpolnisches Student Lab fasst zusammen: „Wer Visionen hat, sollte ein Museum bauen“ und erdet die Veranstaltung kurz vor Ende unter anderem mit dem augenzwinkernden Hinweis, sich beispielsweise auch über Dinge wie Besucherfreundlichkeit und Zugänglichkeit Gedanken zu machen und einen unkonventionellen Namen zu finden. „Pupperlapapp“ ist als erster Einfall nicht der schlechteste. – www.skd.museum Lichtwerk im Kraftwerk Mitte. Foto: Frank Höhler, © Staatliche Kunstsammlungen Dresden
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SYMPOSIUM
AT ODDS = UNEINS = DÉSUNI Differenz als Chance und Impuls – Tagungseindrücke aus Bern Seit 2017 hat sich an der Universität Bern, in enger Zusammenarbeit mit der dortigen Hochschule der Künste und unter den Förderfittichen des Schweizerischen Nationsfonds, ein veritabler Forschungscluster zum Figurentheater gebildet, in dem dieses als „Movens einer spartenübergreifenden Theater-, Tanz- und Musiktheaterforschung“ verstanden wird. Der vorläufige Ertrag dieses Vorhabens wurde – kurz vor dem Ende des Förderzeitraums im Juni 2020 – in Form einer internationalen Konferenz unter dem Titel „Uneins. Identitätsentwürfe im Figurentheater“ mehr als sichtbar. V o n A n d r é S t u d t /// An zwei Tagen wurde in drei Sprachen (man beachte die differenten semantischen Räume des jeweiligen Tagungstitels!) per akademischer Druckbetankung in einem Dutzend Referaten, zwei Keynotes, einem Workshop, einer Lecture und einer Präsentation von Kunststudenten aus Bern das produktions- wie rezeptionsästhetisch Faszinierende und damit diskursiv Reizvolle des Genres substantiell herausgearbeitet. Dabei zeigte sich, dass die Schweiz als mehrsprachiger Standort mit diesbezüglicher Wissenschaftstradition als Schauplatz und Scharnier für eine intensive, cross-kulturelle Befragung des zeitgenössischen Figurentheaters geradezu prädestiniert scheint. Dies wurde schon vom ersten Panel „Object Identities“ an deutlich, wo die Mehrsprachigkeit in den Beiträgen praktiziert und damit implizit das Tagungsmotto als Dramaturgie genutzt wurde: Nicht nur die jeweilig gesprochene Sprache verwies dabei auf bestehende Unterschiede der Perspektivierung, sondern auch das damit verbundene Denken, das sich als Sprache zeigt und in Argumentationen ausbuchstabiert. Dabei sah sich der Blick auf diverse Wissenschaftskulturen geöffnet, die gleichberechtigt nebeneinander stehen und in einen Austausch kommen können. Gerade in Hinblick auf die lebendige Szene in Frankreich, die sich vielschichtiger und vielleicht auch konzeptionell saturierter ausnimmt als ihr deutschsprachiges Pendant, scheint eine Intensivierung des Austausches theoretischer Perspektiven eminent von Bedeutung – und diese Tagung zeigte, auch wenn man in der Sache uneins war (bzw. ob der Unterschiedlichkeit der behandelten Gegenstände sein musste), sehr entspannt denkbare Wege in ein produktives Miteinander auf.
Abständigkeit und Unschärfe Wie es gelingen kann, die mit Helmut Plessner gegebene mögliche Abständigkeit von sich selbst (also ein Uneins-Sein mit sich) durch Reflexion zu überwinden, demonstrierte zuvor die Keynote von Meike Wagner (Stockholm); sie nahm einen selbst erlittenen (bzw. erfahrenen) Lachanfall beim Besuch einer Vorstellung von „The Table“ vom britischen Blind Summit Theatre als Anlass, das Tagungsthema auf sich zu beziehen und einen Gedankengang zur Re-Integration des Exzentrischen in einer differenzierten (Figurentheater-)Theorie des Lachens zu entwickeln. Da im Lachen (das sich als Impuls zum Tagungsauftakt allemal besser eignet als das Weinen) ein Verhältnis des Menschen zu sich und seiner Körperlichkeit deutlich wird, lässt sich dieses als Phänomen einer ‚corporal disturbance’, die nicht ausschließlich das adressierte Gegenüber, sondern auch die Puppenspieler*innen einschließen kann, beschreiben und für die Analyse von Produktions- und Wirkweisen des Spiels fruchtbar machen. Im Gegensatz dazu widmete sich die zweite Keynote von Hélène Beauchamp (Toulouse) am Tag darauf der Unschärfe (oder gar Auflösung) von Identitäten; ihre historiografisch geprägten Ausführungen erinnerten an die enge Bezogenheit der historischen Avantgarde in Europa im Denken sowie in literarischen und szenischen Praktiken. Freilich gingen die Vertreter*innen der historischen Avantgarde, die sich noch an Ortega y Gassets ‚dehumanisation of art‘ orientierten, in ihren Praktiken nicht so weit wie heutige Produktionen, jedoch darf man sich die ästhetischen Theater-Experimente der Avantgarden zwischen 1900 und 1930 als hochTitelgrafik der Tagung. Zeichnung: Laurette Burgholzer
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SYMPOSIUM
politisches Anliegen vorstellen, das danach fragt, was vom Menschen im Angesicht der Geschichte übrig bleiben wird bzw. wie sich dies von der Puppe als „eine durch die Menschheitsgeschichte wandernde Abstraktion“ (so die These Beauchamps) andeuten lässt.
Implizit politisch Das Politische als Potential kam in den fünf thematischen Panels jedoch nur implizit vor; am deutlichsten zeigte es sich in den Beiträgen des zweiten Tages, wo unter der Überschrift „Third Space Identities“ u. a. anhand eines Beispiels aus dem Iran die Entzauberung eines vermeintlich die Nationalkultur repräsentierenden Puppenspiels als multikulturelles Hybrid betrieben wurde. Oder wenn im Panel „Femininities“ über die Neubewertung des Status‘ der Puppenspielerin als Gatekeeperin zwischen den Welten bzw. als möglicher Gegenpol zu den (männlich konnotierten) Hierarchien von Begriffen wie Animation und Manipulation räsoniert wurde. Im Panel „Hybrid Bodies“ sah sich eine Abkehr vom Gesicht bzw. eine Hinwendung zum Material diskutiert; die formulierte These „Tötet das Gesicht“, die am Beispiel der Produktion „Wax“ von Renaud Herbin modelliert wurde, führte leider nicht dazu, eine Debatte zwischen den am Vortag angeführten Erkenntnissen, die sich – im Panel „Alterity“ – aus einer Analyse des Blicks der Puppe („gaze“) generierten, anzuzetteln. Das Politische blieb wohl auch deswegen nur implizit, da hier Ambivalenzen herrschen und diese nicht nur, wie ein Beitrag aus dem Kontext der Disability Studies zeigte, im Potential des Empowerments produktiv gemacht werden, denn: Wo Ermächtigung ein Thema ist, sind meist Widerstände gegeben. Insgesamt wiesen die Beiträge eine außerordentliche Bandbreite auf. Sie machten deutlich, dass eine systematische Beschäftigung mit den Gegenständen lohnt und die Forschung über Puppen längst Anschluss an die fachlichen Diskurse gefunden hat bzw. eigene Spuren hinterlässt. Das zeigte sich auch in dem enormen Interesse an diesem Format: So war auch im letzten Panel am Freitagnachmittag der (generell zu kleine Tagungs-)Raum noch voller Publikum, das sich zudem aus erfreulich vielen Studierenden zusammensetzte. Die Inhalte der Tagung sollen zeitnah in einer Publikation zusammengeführt werden. Es bleibt zu hoffen, dass die vielen Impulse und aufgeworfenen Fragestellungen zu einer Verstetigung der sichtbar gewordenen Denk- und Austauschprozesse führen – die Kolleg*innen in Bern haben eindrucksvoll gezeigt, wie man so etwas anbahnen kann. – www.figurentheater.unibe.ch Markus Joss von der HfS Ernst Busch beim Workshop „Der geteilte Körper/The Split Body“. Foto: Franziska Burger
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SYMPOSIUM
neue bilder im geschützten raum Die ASSITEJ-Werkstatt „Kindheit, Familie und Gender“ auf dem Panoptikum-Festival in Nürnberg
Alle zwei Jahre präsentiert das Theater Mummpitz die Vielfalt des europäischen und bayerischen Theaters für junge Zuschauer*innen in Nürnberg, darunter auch viele Figurentheaterinszenierungen. In einem Werkstattgespräch wurde u. a. mit Marie Weich vom Künstler*innenkollektiv hannsjana, Meike Kremer vom Theater Mummpitz und dem Team der Inszenierung „Liebe üben“ des Theater Sgaramusch über Rollenbilder in Familie und auf dem Theater diskutiert. V o n T h o m a s S t u m p p /// In einer ASSITEJ-Werkstatt steht naturgemäß der Blick auf das Theater für junges Publikum im Zentrum, dementsprechend erweitert sich das Genderthema fast zwangsläufig auch um die Frage, welche Bilder von Familie, von Kindheit und von Männlichkeit und Weiblichkeit transportiert und rezipiert werden, und wie das Verhältnis idealerweise aussehen sollte. Als Diskussionsanlass diente die unmittelbar davor gezeigte Inszenierung „Liebe üben“ des Schweizer Theater Sgaramusch mit der belgischen Gruppe Nevski Prospekt, einem Tanzstück für Kinder ab 10 Jahren, das sehr persönlich und unverkrampft mögliche Aspekte von Liebesbeziehungen und auch Homosexualität anspricht. Für die Theaterpraxis, so ließe sich die Diskussion zusammenfassen, wäre das Thema auf vier Ebenen zu reflektieren: zunächst über die Ebene der Besetzung, dann über die Konstellation der Bühnenfiguren, drittens über Darstellungsweise und Inszenierung und letztens darüber, welche Inhalte und Perspektiven verhandelt werden. Konsens bestand, dass, auch wenn die Thematik selbst nicht im Vordergrund steht, in allen Inszenierungen Genderfragen immer mitgedacht werden können und müssen. Von Kostümwahl, über Spielformen und -stile, über die Art, wie sich die Figuren bewegen und verhalten, bis hin zu inhaltlichen Stereotypen, zum Beispiel der Frage, wer die Entscheidungen trifft, wer welchen Raum einnimmt, Lösungen findet, Impulse setzt, wie Männlichkeit und Weiblichkeit inszeniert werden etc. Interessant erscheint mir in dem Zusammenhang die Erwähnung einer Untersuchung – leider ohne Quellenangabe – nach der geschlechtslose Kostüme grundsätzlich zunächst einmal männlich gelesen würden. Übertragen auf die Puppe hieße das, dass auch geschlechtsneutrale Puppen oder Objekte zunächst einmal männlich konnotiert würden, was vor allem Beachtung bei Puppenbauern finden müsste. Wie wichtig diese Überlegungen sind, wurde bereits im Nachgespräch der vorgeschalteten Aufführung deutlich, in dem die Fragen und Bemerkungen der Kinder doch auf überwiegend klischeehafte und teils antiquierte Rollenbilder schließen ließen, was letztlich die Notwendigkeit mit sich bringt, dass auch die Künstler die eigenen gelernten Denkmuster reflektieren. Der Umgang mit Bildern und – meist durch das Elternhaus geprägten – Vorstellungen beim Publikum, die man gerne konterkarieren möchte, erfordert Fingerspitzengefühl. Doch bietet das Geschehen auf der Bühne dem jungen Publikum die Möglichkeit, im „geschützten Raum“ Erfahrungen zu machen, die über die eigene Lebenswelt hinausgehen, Klischees aufzubrechen und alternative Lebensentwürfe zu zeigen, indem es nicht Vorhandenes reproduziert, sondern Vorgänge neu rahmt. – www.festival-panoptikum.de Theater Sgaramusch & Nevski Prospekt, Liebe üben. Foto: Robin Junicke
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INSZENIERUNG
„ANGER“ HEISST ZORN WUT HEISST „FURY“ ODER „RAGE“ „Angry Hour“ von Sööt/Zeyringer im Rahmen des Festivals The Future Is F*e*m*a*l*e* in den Sophiensælen Berlin V o n A l m u t W e d e k i n d /// Ich erwartete zunächst, dass „eine performative Enzyklopädie weiblicher Wutausbrüche, die Ausrasten als Empowerment-Strategie anwendet“, sehr körperlich, wild und leidenschaftlich werden würde. Tiina Sööt und Dorothea Zeyringer vollzogen mit klarer, entschlossener Haltung und begleitet von zwei simplen, vierfüßigen Holzhockern eine ebenso präzis gesetzte wie aufeinander abgestimmte Choreografie in 28 Kurzkapiteln. Weder geografisch noch chronologisch sortiert, warf ein Beamer historische Aktionen weiblichen Widerstands und die dazugehörigen Namen an die Wand hinter den Performerinnen, die extrem reduzierte Bilder generierten. Gleichwertig folgte ein Vorgang konsequent aus dem vorherigen, ohne dabei zu einem organischen Handlungsverlauf zu werden. Die Neugier auf die neue Variante, den neuen kleinen Spannungsbogen, trug durch die Dauer. Jahreszahlen und Kurzerklärungen der jeweils zitierten Ereignisse barg das Programmheft. Alles sachlich, weitestgehend emotionslos, cool. Wie der Umgang mit den Dingen und Körpern auf der Bühne. Das Verhältnis zwischen Performerinnen und Hockern bzw. ihren Einzelteilen war keineswegs ebenbürtig. Es wurde keine Animation oder phänomenologische Untersuchung des Materials angestrebt. Die Hocker dienten als Instrumente zur Bildgenese. Dennoch erschienen sie als wichtige Kollegen: Allein auf der Bühne klagten sie als leere Plätze an, sie ließen, als Furienhäupter über den Boden schleifend, donnerndes Geheul erklingen oder empörten stumm wackelnd als Penisstereotype. Sie wurden gehalten, um die Muskelkraft der Körper auszureizen; auseinander geschraubt, um die Fragilität einer Sitzpose krachend zusammenfallen zu lassen oder um eine Abtrennung zu vollziehen, die eine in sanft-monotonem Ton gesprochene Anweisung zum Durchführen einer Enthauptung begleitete. Die Objektzustände transformierten nicht nur Situationen, sie kommentierten sich auch gegenseitig, eröffneten Denkräume: Gerade noch wackelnde Holzpenisse, wurden die Stuhlbeine im nächsten Bild zu Anführungszeichen, die von den Performerinnen gesprochene Sätze als Zitate aus Valerie Solanas' „S.C.U.M. Manifesto“ markierten. Kreiselte der abgeschraubte Sitzdeckel erst geräuschvoll als abgetrennter Kopf des Holofernes über die Bühne, wurde er als nächstes zum konturlosen Gesichtsersatz weiblicher Körperdarstellungen in der bildenden Kunst. Sööt/Zeyringer haben NICHT getobt und geschrien. Sie sprachen klar und ohne sich oder eine Figur emotional zu involvieren. Sie haben NICHT ihre Körper erhitzt, um einen persönlichen Kampf auszutragen. Ihre Körper wurden während der Performance zu ebenso gegenständlichen Dingen wie die Hocker selbst. Die Abstraktion der Darstellungen erzeugten einen Abstand zwischen den Ereignissen, den Performerinnen und den generierten Bildern, der von den Zuschauenden gefüllt werden musste, um sich dem eigentlichen Objekt des Abends zu stellen: dem weiblichen Zorn und dessen Wahrnehmung. Des Zornes Ziel ist weniger Vergeltung, als vielmehr der deutliche Ausdruck von Unmut und Unzufriedenheit. Er bezieht sich auf kein Ich, sondern gilt einer gesellschaftlichen Angelegenheit. Unter der Überschrift „KADRISANDID (an estonian folk character) curse people who refuse to give them gifts“ sagte uns Sööt schon im dritten Bild ins Gesicht: „I wish you do not enjoy this performance“. – www.sootzeyringer.wordpress.com Sööt/Zeyringer, Angry Hour. Foto: Mayra Wallraff
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REZENSION
kritisch, international, persönlich Women and Puppetry. Critical and Historical Investigations V o n C h r i s t i n a R ö f e r /// Alissa Mello, Claudia Orenstein und Cariad Astles legen mit „Women and Puppetry“ einen Sammelband vor, der sich als erste Publikation in dieser Komplexität dezidiert dem Themenfeld Frauen und Puppentheater widmet. Ausgehend von der Beobachtung, dass Frauen – wie in so vielen gesellschaftlichen Bereichen – zwar im Figurentheaterbereich stark vertreten, aber im öffentlichen Diskurs damals wie heute weit weniger sichtbar sind als ihre männlichen Kollegen, versammelt der Band konsequent diverse und ausschließlich weibliche Stimmen von Theoretikerinnen und Künstlerinnen, die sich jeweils differenziert mit (weiblichem) Puppentheater in speziellen historischen und kulturellen Kontexten auseinandersetzen und dabei Aspekte wie Gender oder soziales Umfeld ebenso mit einbeziehen wie persönliche Perspektiven. Dieses breite Themenfeld strukturieren die Herausgeberinnen, indem sie die Beiträge in drei Kapitel einordnen und damit dramaturgisch den Fokus vom Abstrakten ins Konkrete, von gesellschaftlichen Diskursen zu persönlichen künstlerischen Statements schärfen. ˛ Im ersten Teil, „Critical perspectives on women in puppet theatre“, werden gesellschaftliche Diskurse zum Thema Weiblichkeit beleuchtet und im Kontext von Figurentheater erforscht. Während Laura Purcell-Gates den weiblich gelesenen Puppenkörper vor dem Hintergrund des Unheimlichen diskutiert (siehe auch S. 20ff. im Heft), analysiert Deniz Basar Puppentheater als Möglichkeit, um dort über Weiblichkeit und Sexualität zu sprechen, wo kulturelle Normen diese tabuisieren. Kyounghye Kwon wiederum entschlüsselt im Kontext traditionellen Puppentheaters und überlieferter Spuren die gesellschaftliche Rolle von Frauen in Korea. Historisch gewachsene lokale Szenen an unterschiedlichen Orten werden im Kapitel „Local contexts: challenges and transformations“ untersucht, indem spotlightartig verschiedene Herausforderungen, denen Puppentheatermacherinnen auf vielfältige Weise begegne(te)n, beleuchtet werden. Sei es in Westafrika, wo Frauen sich gegen historisch gefestigte männliche Strukturen durchsetzen müssen (Heather Jeanne Denyer); im Iran, wo Frauen sich mithilfe des Mediums Puppe mehr und mehr von sozialen und familiären Hierarchien emanzipieren (Salma Mohseni Ardehali), oder in England, wo entlang der Frauenbewegungen Punch and Judy Shows adaptiert und im Sinne des Empowerments radikal umgedeutet wurden (Naomi Paxton). „Women practitioners speak“ versammelt abschließend Beiträge zeitgenössischer Künstlerinnen, die ihre persönlichen Erfahrungen und Herausforderungen in der Arbeit teilen, ihre Zugriffe und Einflüsse offenlegen und Bilanzen ziehen. So reflektiert die argentinische Künstlerin Ana Alvarado etwa ihre Ästhetik vor dem Hintergrund der Diktatur und im Kontext einer männlich dominierten Kunstwelt, während Parmeres (Veronica) Silanka mit ihrer Arbeit in Kenya vor allem für Mädchen und Frauen alternative Räume jenseits kultureller Restriktionen schafft. Damit sei nur beispielhaft die Vielstimmigkeit und Multiperspektivität innerhalb des Themenfelds Frauen und Figurentheater verdeutlicht, die der Sammelband eindrücklich erahnbar werden lässt – auch wenn sich die Diversität sicher noch extensivieren ließe. Dass aber selbst eine so sorgfältig ausgewählte Zusammenstellung eher punktuelle Einblicke bieten als ein allumfassendes Bild abgeben kann, ist den Herausgeberinnen durchaus bewusst. So schreiben sie selbst, wenn sie am Ende ihrer Einleitung in die Zukunft blicken, dieses Buch sei „a beginning, not an end“. Ein höchst gelungener Anfang! Women and Puppetry. Critical and Historical Investigations. Hg. von Alissa Mello, Claudia Orenstein und Cariad Astles Routledge 2019, 222 S., ISBN 9780415787390 www.routledge.com
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REZENSION
breiter überblick mit komplexen einblicken Handbuch zum Künstlerischen Puppenspiel 1900-1945 V o n G e r d T a u b e /// Es ist ein gewichtiges Werk, das Manfred Wegner als Herausgeber mit seinen beiden Mitautorinnen vorlegt. Nicht nur was den Umfang, sondern vor allem was das inhaltliche Gewicht betrifft. Zum ersten Mal sind in diesem Handbuch die Entwicklungen des Künstlerischen Puppenspiels in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts detailliert und umfassend dargestellt worden. Das Handbuch versucht das heterogene Phänomen, das sich unter verschiedenen zeit- und kulturgeschichtlichen Einflüssen entwickelt hat und von Persönlichkeiten mit äußerst diversen sozialen und biografischen Hintergründen geprägt wurde, für den Leser fassbar zu machen. Man muss sich dazu auf die vom Herausgeber gewählte Konzeption eines Handbuchs einlassen, das aus einzelnen, sich in Umfang und Komplexität voneinander unterscheidenden Artikeln besteht. Das Buch folgt einem chronologischen Ordnungsprinzip, daneben gibt es orientierende Kapitelüberschriften, die vor allem für die Zeit bis zum Ende des Ersten Weltkriegs eine Systematisierung der Entwicklungen im Anschluss an die Theaterreform um 1900, die Reformpädagogik, die Kunstgewerbebewegung und das Münchner Marionetten-Theater vornehmen. Neben biografischen Fakten sind es vor allem die Querverweise auf das Wirken oder die Zusammenarbeit mit Künstlerkolleg*innen, die das Leben und künstlerische Arbeiten der einzelnen Puppenspieler*innen plastisch machen. In den ausführlicheren Beiträgen zu besonders einfluss- oder erfolgreichen Künstler*innen und ihren Bühnen werden ihre künstlerischen Konzepte und Ansichten beschrieben und reflektiert sowie Auskunft über die Motivation für ihre Beschäftigung mit der Puppenspielkunst gegeben. Das Handbuch zeigt anhand vieler Einzelbeispiele auch die engen Verbindungen von Puppenspieler*innen mit dem Nationalsozialismus und völkischem Gedankengut, oftmals zu eigenem Vorteil, manchmal sicher auch aus innerer Überzeugung. Dass es nach dem Zweiten Weltkrieg keine nennenswerte kritische Auseinandersetzung mit diesen verhängnisvollen Allianzen und die Verstrickungen in die Zielsetzungen der NS-Kulturpolitik gegeben hat, gehört zu den unangenehmen historischen Wahrheiten, die die Herausgeber und Autorinnen des Handbuchs aufdecken und zur Sprache bringen. Für das Handbuch wurden nicht nur Bestände in den einschlägigen Sammlungen herangezogen, sondern es wird auch auf andere Museen und Archive verwiesen, in denen Puppen, Dekorationen oder Dokumente von und zu einzelnen Künstler*innen aufbewahrt werden. Die Fülle des Materials hat wohl auch dazu geführt, dass in einzelnen Artikeln vor allem die beispielhafte Aufzählung von Inszenierungen, Stücktiteln und beteiligten Künstler*innen dominiert. Wo nur Fakten aufgeführt werden, wird auch das Lesen ab und an etwas ermüdend. Aber das mindert nicht den Gesamteindruck, denn das Handbuch zeigt die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts als eine von Unternehmergeist und künstlerischem Idealismus geprägte Ära des Puppenspiels, vor deren Hintergrund die Entwicklung des Berufspuppenspiels in der Bundesrepublik und der DDR zu betrachten wäre. Hinweise auf die Nachwirkungen der Entwicklungen sind leider viel zu selten in den einzelnen Beiträgen zu finden. Ein Nachwort oder ein mehr inhaltliche Orientierung gebendes Vorwort wird sich so manche*r Leser*in ebenso wünschen wie der Rezensent. Das Orts-, Personen und Bühnenregister erleichtert das Auffinden von konkreten Informationen. Das Literaturverzeichnis ist gleichzeitig eine Bibliografie zum Künstlerischen Puppenspiel der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dieser Anhang und die mannigfachen Querverweise in den Artikeln werden für die weitere wissenschaftliche Nutzung des vielfältigen Materials, das in dem Handbuch ausgebreitet wird, hilfreich sein. Handbuch zum Künstlerischen Puppenspiel 1900-1945 Deutschland, Österreich und Schweiz, Handpuppen- und Marionettenspiel Im Auftrag des Münchner Stadtmuseums herausgegeben von Manfred Wegner. Mit Beiträgen von Mascha Erbelding, Hana Ribi und Manfred Wegner München: utzverlag, 2019. – ISBN 9783831647835 – www.utzverlag.de
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REZENSION
eine ungewöhnliche begegnung Der Briefwechsel von Franz Fühmann mit Joachim Damm V o n S i l v i a B r e n d e n a l /// Im Dorfcafé Panschenhagen war eine Lesung angekündigt, die eine besondere Begegnung versprach: mit den Worten von Franz Fühmann, dessen Trakl-Essay „Vor Feuerschlünden“ wohl zu den beeindruckendsten literarischen Werken in meiner Lese-Biographie zählt, und die mit Hamster Damm, diesem originären Bildenden Künstler, dessen Leidenschaft schon seit Kindesbeinen an der Puppe galt – wie ich nunmehr weiß. Hamster Damm las, begleitet von einem Jungen und zwei Jugendlichen, aus dem 2018 bei Hinstorff erschienenen Band 3 der Briefwechsel von Franz Fühmann. Unter dem Titel „Der grüngefleckte Teufel soll Dich holen“ beinhaltet dieser Band die Briefe von Damm und Fühmann. Der gerade mal neunjährige Joachim, der von seinen Eltern „Die Titanenschlacht“ von Fühmann geschenkt bekommen hatte, schreibt dem Autor, schreibt sich seine Begeisterung von der Seele und bekommt nicht nur eine zugewandte Antwort, sondern der Schriftsteller erkennt in seinem kindlichen Leser und Briefschreiber ein enormes kreatives Potential, das er dann später ganz leise und unangestrengt bestärkt, indem er Joachim zu einem schöpferischen Gegenüber auf Augenhöhe macht. („Also wir geraten jetzt in die Gefahr, daß wir uns loben und loben und loben. Natürlich braucht der Mensch auch Lob, ehrliches, das kriegt er sogar zu selten [Schmeicheleien kriegt er öfter]. Was machen wir? Nehmen wir einfach an, das, was wir machen, ist gut, und wir sagen uns dann das, was uns nicht gelungen scheint.“) Und so erzählen diese Briefe von einer ungewöhnlichen, beinahe ein Jahrzehnt währenden Freundschaft, die reich an Inspirationen und Herausforderungen für beide Seiten ist. U. a. fragt Joachim den Autor ganz direkt, ob er nicht ein Puppenspiel schreiben könne für eine dicke Dame, einen Sultan, einen Ritter, eine Prinzessin, einen orientalischen Zauberer, einen Drachen und einen Sklaven? Daneben schnell hingezeichnete Entwürfe für die Puppenköpfe (das Puppenspiel in vier Akten für Joachims sechs Puppen mit dem Titel „Der glückliche Ritter von Trinitat oder Wie wird man Oberdiskutierer“ ist dem Band beigefügt). Die teilweise in Faksimiles abgedruckten Briefe von Joachim Damm, versehen mit zahlreichen Zeichnungen, später auch Fotos, Puppen- und Bühnenbildentwürfen, lassen nicht nur erahnen, wie zielgerichtet sich da eine Künstlerpersönlichkeit entwickelte („Noch ein kurze Beruhigung ich werde Puppenspieler und werde auch Puppenstücke schreiben also kein Germanist!“), sie erzählen zudem von seinen mittelbaren Erfahrungen mit der freud-, aber auch leidvollen Existenz eines Schriftstellers, zu jener Zeit immerhin einer der bekanntesten Deutschlands, festgezurrt in kulturpolitischen Fesseln (u. a. die Biermann-Ausbürgerung). Es war berührend, an dieser Lesung teilzunehmen. Dem neunjährigen Panschenhagener Jungen, so alt wie Damm damals, zuzuhören, später einem Jugendlichen, der die jüngeren Briefe mit großem Engagement vortrug, und zu spüren, wie gesegnet Dichter und Kind durch diese Freundschaft waren. Hamster selbst, heute so alt wie Fühmann damals, las die Briefe Fühmanns und aus seinem Essay „Mein Franz Fühmann“, den er als Herausgeber dem Buch vorangestellt hat. In ihm sagt Damm: „Franz Fühmann hatte mir eine Form von Mut beigebracht, die Gestalten aus den alten Geschichten freizulassen und mit den Absurditäten des DDR-Alltags und der Tagespolitik zu konfrontieren… Von diesem Mut zehrte ich vor allem in meiner Zeit als Kunststudent, in der mir vergönnt war, das Ende der DDR mit viel Theatralik, Spaß und Energie mitzugestalten.“ Insofern ist dieses Buch auch Zeugnis einer Saat, die diese Freundschaft legte und die in dem künstlerischen Sein von Hamster Damm Früchte trug – und noch immer trägt. Franz Fühmann Die Briefe – Band 3 Briefwechsel mit Joachim Damm Hinstorff 2018, 173 S., ISBN 9783356021684 www.hinstorff.de
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NACHRUF
EIN STREITER F ÜR DAS PUPPENTHEATER Zum Tod von Dr. Olaf Bernstengel (13.05.1952–27.01.2020) V o n L a r s R e b e h n /// Nach schwerer Krankheit ist der Theaterwissenschaftler, Puppenspieler und künstlerische Leiter vieler Puppentheaterfestivals, Olaf Bernstengel, gestorben. Der Urdresdner hatte als Kind zwar Apels Dresdner Marionettentheater und so manche heimische Puppenbühne erlebt, sich aber lange nicht vorstellen können, daraus einen Beruf oder sogar eine Berufung zu machen. Vorgesehen für eine Karriere in der SED, studierte er an der Technischen Hochschule in Magdeburg Marxismus/Leninismus, merkte aber schnell, dass er das nicht für sein restliches Leben machen wollte. Einen Ausweg während seiner Zeit als wissenschaftlicher Assistent bot sein Engagement in der „Kleinen Bühne“, dem hochschuleigenen Amateurpuppentheater. Bald übernahm er Hauptrollen und versuchte sich als Regisseur. Er besuchte künstlerische Qualifizierungslehrgänge und tauchte immer mehr in die weitgespannte Amateurszene der DDR ein. So wurde auch Gustel Möller, der Direktor des Städtischen Puppentheaters Magdeburg, auf Olaf Bernstengel aufmerksam. Er holte ihn gegen den Widerstand der Partei an sein Haus und machte ihn zum Leiter der Öffentlichkeitsarbeit. Möller initiierte auch die weitere Qualifizierung, indem er sich um den Zugang zu einem theaterwissenschaftlichen Fernstudium an der Universität Leipzig bemühte. Bernstengel begann, zusammen mit Johannes Richter, die Geschichte des Puppenspiels in Magdeburg zu erforschen. Seit 1982 war Olaf Bernstengel wissenschaftlicher Mitarbeiter und stellvertretender Direktor der Puppentheatersammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. In diese Zeit fielen die Organisation des UNIMA-Weltkongresses 1984 in Dresden, die Rekonstruktion des Radebeuler Hohenhauses, wo die Sammlung damals untergebracht war, mit der Eröffnung einer ständigen Ausstellung 1985, eine rege nationale und internationale Ausstellungstätigkeit und die Gründung der museumseigenen Puppenbühne Fundus. 1991 organisierte er das Symposium „Die lustige Figur im traditionellen Puppenspiel Europas“ in München mit, zu dem er 1994 zusammen mit Gerd Taube und Gina Weinkauff auch eine Publikation unter dem Titel „Die Gattung leidet tausend Varietäten“ herausgab. Ebenfalls 1991 promovierte er an der Pädagogischen Hochschule in Dresden mit einer Arbeit über das sächsische Wandermarionettentheater. Daraus entstand 1995 das Buch „Einst zogen von Gasthof zu Gasthof...“. Die traditionelle Marionette wurde sein großes Thema. Olaf Bernstengel war der letzte SED-Parteisekretär der Staatlichen Kunstsammlungen. Als Rolf Mäser, der Direktor der Puppentheatersammlung, 1990 in den Ruhestand ging, wurde Bernstengel die Nachfolge verweigert. 1993 wurde ihm schließlich wegen seiner DDR-Vergangenheit gekündigt. Der Dresdner Puppentheatersammlung blieb Bernstengel dennoch verbunden. 2007 veröffentlichte er gemeinsam mit mir das Buch „Volkstheater an Fäden“, das mit seinen grundlegenden quellenbasierten Studien ein Standardwerk wurde. Seit 1993 war Olaf Bernstengel hauptberuflich Puppenspieler. Die Puppenbühne Fundus wurde zu „fundus – das Museum auf Rädern“. Daneben leitete Bernstengel Puppentheaterfestivals in Deutschland und Österreich. Besonders Mistelbach im österreichischen Weinviertel entwickelte sich in seiner Zeit zu einem bedeutenden Treffen der Puppenspieler. Er kuratierte Ausstellungen in Magdeburg, Mistelbach und Bad Liebenwerda. Er konzipierte Teile der ständigen Ausstellung der „villa p“ in Magdeburg (Figurenspielsammlung Mitteldeutschland) und des Mitteldeutschen Marionettentheatermuseums in Bad Liebenwerda. Ich werde Olaf Bernstengel als einen Streiter für das Puppentheater, der unsere Arbeit immer kritisch begleitet und unterstützt hat, in Erinnerung behalten. Olaf Bernstengel. Foto: Veit Rösler
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S U MM A R I E S T H EM E OF D OUB LE 41: Puppe t * – P u p p e t t h e at re a n d gen d er
Barbi e as gender cri ti cal materi al A statement (p. 16) Barbie was originally designed in the 1960s as a counter model to the housewife and mother, as a modern, self-confident woman. Today, she is considered above all as the embodiment of illusory body norms and superficialities. Iris Keller and Anna Renner describe how she is portrayed in the new play by her company 1/10, "Komplex! – Apart from M., nobody knows that Barbie is a feminist", they use the symbolic nature of the Barbie doll to expose stereotypes regarding female body images and work with deviating variants of the original to break up norms and create scope for physical diversity.
Th e "opposit e sex " i n th e "ot h er t h e at re" Gender and Figure Theatre – an attempt at an introduction (p. 6–8) After a brief introduction to the term "gender", Erbelding approaches the topic via three areas: The puppet theatre makers, the puppet material, and the audience. She begins by tracing the history of women in puppet theatre and their increasing influence since the 1920s. She makes it clear that puppet theatre has always been and still is a form of self-empowerment. Assignments of gender as a result of the feminine, passive and also erotically connoted term "doll" meet the willingness of the audience to define gender clearly on the basis of the smallest details. In Donna Haraway's "Cyborg Manifesto" (1985), the vision of a future beyond binary gender attributions is outlined. In conclusion, Erbelding points out the decisive role of the audience in reshaping the canon of figure theatre.
Cri ti cal Puppet Theatre On freedom in the ambiguous (p. 17) For the manufaktor collective, the freedom of forms is a fundamental quality in figure theatre, as it allows for ambiguities and thus makes narrative spaces possible beyond socially constructed categories. For their new piece "1/0/1 robots – hacking the binary code", they therefore embark on a queer/feminist utopia in which humans, robots and technology generate emancipatory fantasies beyond binary and dominance-based attributions. This is accompanied by a questioning of their own working structures and the testing of models for developing a collective production in a team with a multi-perspective relationship to the topic.
G en d er Ga ps A look at the present and past history of Japanese puppet theatre (p. 9–11) The Japanese literary scholar Yoko Yamaguchi explains how differences in gender roles still determine Japanese puppet theatre today. After a review of the history of Japanese theatre, with the ban on women on stage from 1629 onwards and the strong participation of women in modern and contemporary puppet theatre in the 20th and 21st centuries, Yamaguchi takes a closer look at some examples that deal subversively with gender stereotypes: the female Gidayu narrators, Otome-Bunraku (Maiden-Bunraku), and the work of puppeteer Miyako Kurotani.
Searchi ng for al l the voi ces A conversation about voice, gender and puppet theatre in education at the acting college HfS Ernst Busch Berlin (p. 18–19) The interview with the lecturers Prof. Ulrike Völger (speech training) and Frank Becker (music/vocals), Jemima Milano (4th year of study, Ensemble tjg Dresden) approaches the topic of gender via the voice and examines this connection with special reference to figure theatre. The separation of voice (performer) and body (puppet, object) is inherently and per se a break that can be made productive in the performance in order to reinterpret and question binary gender attributions and stereotyping.
Ca l l ed in t o quest ion A two-part monologue (p. 12–13) The puppet players Li Kemme and Britta Tränkler ask a lot of questions in their statement – and view these open questions as a creative opportunity: If images are the main focus in puppet theatre, why do people ask so many questions about the people behind them? Should queer people and puppets that do not conform to gender be made explicitly visible and queer issues be explicitly dealt with? How do we manage to take a figure, a role, an image seriously so that we can avoid discrimination and the reproduction of stereotypes? How do we create images, puppets, visual matters that have not already been categorized by the environment, that make categorization impossible? Is this desirable? And is there any neutrality at all?
The monster and the corpse Puppetry and the uncanniness of gender performance (p. 20–23) In her text, Laura Purcell-Gates examines the uncanniness of the apparently neutral (male) puppet body performing as female. She suggests that, while puppetry is a site for gender bias via the myth of neutrality, it also represents a subversive site with the potential to trouble and reveal such identity constructions. This operates through a productive uncanniness, particular to puppetry performance, that functions on two levels: the ambiguity of the puppet as “living corpse“ (the object body that appears simultaneously as a living subject) and the ambiguity of gender (the assumed maleness of the neutral puppet alongside its performance as female).
T h e s u bv e r s i ve powe r of a sub m a rin e An interview with Annette Scheibler and Sigrun Kilger from the Materialtheater Ensemble about feminist theatre and gender stereotypes (p. 14–15) In the interview Kilger and Scheibler recall the 1980s and 1990s, which were dominated by men. From the very beginning, they took the opportunity to be their own female authors and write their own roles. In many plays, most recently "Women lie from their lives", they have also taken up feminist themes. They also describe the difficulty of avoiding stereotypical attributions in the children's play "Ernesto Hase has a hole in his pocket". They evoke the subversive power of the genre of puppet theatre, which – sometimes well "camouflaged" – can bring explosive political issues to the audience as a form of a "submarine".
Who are you? A daughter looks for traces of her identity in “queer papa queer“ (p. 24) In "queer papa queer", the puppeteer Ute Kahmann traces the homosexual past of her late father, who fled from the GDR (East Germany), leaving is little daughter behind with many questions. She describes how playing with sexless "queer" dolls in the rehearsal reception led to incomprehensibility problems
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ENGLISH SUMMARIES
in this personal story and asks herself how many, or which, references to the gender of a character are important for understanding a plot and whether we as a society are still stuck far too much in binary gender categories.
blick Festival; Tim Sandweg describes his impressions of the Fritz-WortelmannPrize in Bochum; and Markus Kohlbach looks at the Imaginale in Stuttgart. The Munich exhibition "Yes, We Ken!" puts Barbie's longtime friend in a completely new light; conferences in Dresden, Bern and Nuremberg have dealt with the puppet theatre museum of the future, identity models in puppet theatre and the complex of childhood, family and gender; and Almut Wedekind discusses the coolness of female rage in Sööt/Zeyringer's performance "Angry hour". Finally, three reviews look at the newly published Routledge Companion "Women and Puppetry", the "Handbuch zum Künstlerischen Puppenspiel 1900–1945" and the correspondence between Franz Fühmann and Joachim Damm.
T h e m a le cod e A feminist critique of digital representation systems (p. 25) Meike Wagner reports from a panel on "Politics, Identity and Feminism" at a festival entitled "Politics of Algorithms – Art, Life and Artificial Intelligence" at the Munich Kammerspiele. In a lecture, the media scientist Helen Hester, who is one of the pioneers of 'Cyberfeminism 2.0' in the English-speaking world, critically revealed the extent to which male power structures form the models of representation and called for the development of feminist and female counter-images for a better future. In the discussion that followed, curator Ulla Heinrich, filmmaker Isa Willinger and performance artist Tiara Roxanne addressed this issue. For Wagner, however, the event did not address essential problems. Is a feminist vision of technology even conceivable without a radical critique of capitalism? What's more: the subsequent technology panel in the same room was exclusively male.
Y e s, i t wa s t h at way for a lon g t ime. N o, i t d o esn ' t h ave t o stay t h at way. The collective of "Women in Higher Positions" talks about its work (p. 26) Process instead of product: During the rehearsals for "Women in Higher Positions", Franziska Merkel, Samira and Stefan Wenzel and Jana Posenenske tried to question their own working structures and to work as democratically, hierarchically and infant-friendly as possible. In doing so, they created a figure theatre performance that moves on a strong image level with motifs of corporeality, power relations and ascriptions. Intuitively constructed figures and selected objects and materials, such as a symbolically charged ballet shoe, proved to be a way not only to make visible their own vulnerability in relation to physical norms, but also to create an emotional closeness to the audience, who can thus draw on their own experiences.
B e tw e e n an d rogyn ous m e ta m orph oses a n d t urn in g in t o a n a n im a l The company La Mu/ette plays with gender identities (p. 27) Guidicelli uses the example of two productions, "L'un dans l'autre" ("The One in the Other", 2015) and "Fais-moi mâle" (a pun between "Hurt me" and "Make me male"), to provide insights into the work of the Franco-Argentinean company La Mu/ette. She describes how, in the first case, the players manipulate their bodies with the help of materials and objects, assemble them into new figures and, in doing so, (de)assemble their identities piece by piece. The second piece, a first draft for the production "Battre encore" (roughly, "Battering once again"), which is planned for 2021, is about violence towards women. Shifting from touching comedy to extreme brutality, this solo piece questions the way we deal with the female body and the external forces that powerfully inscribe themselves in it.
S u mm a ry of t h e sect ion s In the "Stippvisite" section Anke Meyer reports on the "10th Biennale of Puppetry Artists of Slovenia"; while director Tin Grabnar reflects on the relationship between technology and creative motivation in his work. René Reith reports on the generational change at the Theater Fadenschein and the associated Weit-
Compagnie La Mu/ette, Fais-moi mâle. Foto: Cathérine Kohler
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NOTIZEN
FESTIVALS FIMFA Lx20– Festival Internacional de Marionetas e Formas Animadas/International Festival of Puppetry and Animated Forms wird für den 7. bis 24. Mai 2020 angekündigt. Es ist eine Jubiläumsausgabe: Das renommierte Lissabonner Festival findet zum 20. Mal statt. – www.tarumba.pt Das Festival Orbis Pictus im französischen Reims widmet sich vor allem kurzen Formaten des Puppentheaters, zu erleben auf einem Parcours durch das Weltkulturerbe Palais du Tau de Reims vom 15. bis 17. Mai 2020. Etwa 20 französische und internationale Kompanien werden dann im Innenhof und den Sälen des Palais zeitgenössisches Puppentheater präsentieren. – www.lejardinparallele.fr Das Festival FIDENA – Figurentheater der Nationen in Bochum lotet alle zwei Jahre die Grenzen des Genres aus. Unter dem Motto „Kontrastprogramm“ konzentriert sich die diesjährige Ausgabe auf Produktionen, die sich mit Dichotomien – wie real vs. irreal, Licht vs. Schatten oder auch analog vs. digital – befassen. Vom 19. bis 30. Mai 2020 will das Festival eine Brücke schlagen: von der Puppe als erstem Stellvertreter des Menschen hin zum Avatar in der virtuellen Welt. Dabei wird erstmals mit den Ruhrfestspielen in Recklinghausen kooperiert, und ein German Showcase legt den Fokus auf herausragende Arbeiten deutscher Künstler*innen und Kompanien. – www.fidena.de Nachwuchskünstler*innen, Absolvent*innen verschiedener Ausbildungsgänge, experimentierfreudige junge Kompanien – alle aus dem Bereich des Figuren- und Objekttheaters, alle bereit, dem Theater animierter Formen neue Impulse zu geben: Die Scènes ouvertes à l‘insolites in Paris präsentieren vom 3. bis 9. Juni 2020 ein junges Programm. www.lemouffetard.com Vom 16. bis 21. Juni 2020 heißt es in Baden/Schweiz wieder: Figura Theaterfestival – Internationale Biennale des Bilder-, Objekt- und Figurentheaters. 35 Inszenierungen aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Israel, Italien, Kanada, Kroatien, Niederlande, Polen, Spanien, Russland, Slowenien, Tschechien und der Schweiz – darunter 25 Schweizer Erstaufführungen – erobern während sechs Tagen die Bühnen und Straßen von Baden, Wettingen und Turgi. Zu den fünf Nominierten für den Nachwuchspreis „Grünschnabel“ gehören auch die Stuttgarter HMDK-Absolventin Winnie Luzie Burz und Josephine Hock von der HfS Berlin. – www.figura-theaterfestival.ch Das Internationale Figurentheaterfestival Blickwechsel lädt vom 20. bis 27. Juni 2020 „Beste Freunde“ nach Magdeburg ein. Genreprägende Künstler und zeitlose Inszenierungen stehen gleichberechtigt mit Produktionen junger Kolleg*innen und repräsentativ für das zeitgenössische Figuren- und Objekttheater im Spielplan: 32 Kompanien aus 10 Ländern in mehr als 60 Vorstellungen und künstlerischen Begegnungen an den Schnittstellen zu Tanz und Medienkunst. Nähe zum Publikum in kleinen Formaten und intimen Räumen ist ein programmatischer Ankerpunkt des Festivals, das sechs deutsche Erstaufführungen und zwei Festivalkoproduktionen präsentiert. – www.puppentheater-magdeburg.de Für die Teilnahme am International Puppet Theatre Festival Baltic Puppetwhirl, das vom 5. bis 12. September 2020 in Vyborg, Russland, stattfindet, können sich interessierte Kompanien noch bis 5. Mai 2020 bewerben. Information + Bewerbung unter rusumima@gmail.com oder puppetfest-vgb@gmail.ru „Macht Geschichte!“ – unter diesem Thema präsentiert das Internationale Figurentheaterfestival in München vom 21. Oktober bis 1. November 2020 Inszenie-
rungen, deren offene Animationsformen Geschichte und Geschichten als sichtbares Bühnenkonstrukt erfahrbar machen und so auf das „Gemachte“ von Figurentheater verweisen. Die Zuschauer*innen bewegen sich zwischen Nähe und Distanz, zwischen Illusion und kritischer Wahrnehmung. Ein Schwerpunkt liegt, unterstützt vom Bureau du Théâtre et de la Danse, auf Produktionen aus Frankreich. Mit „A.L.I.C.E. Alice lost in Cyberland“ von Meinhardt & Krauss ist das Münchner Figurentheaterfestival auch erstmals Koproduzent. – www.figurentheatergfp.de AUSSTELLUNGEN Ohne Vorwarnung! So titelt die neue Sonderausstellung in der villa p des Puppentheaters Magdeburg. Gewidmet ist sie Agnès Limbos, der großen belgischen Objekttheaterkünstlerin und ihrer 1984 in Brüssel gegründeten Compagnie Gare Central, in deren Schaffen immer das Ding, das Material, das Objekt als Ausgangspunkt und Impulsgeber wirkt. Die Ausstellung zeigt vom 12. März bis 2. August 2020 poetische Objekt-Installationen aus 35 Jahren und erlaubt Einsicht in Agnès Limbos‘ ganz besondere Art, die Welt zu erfassen und auf die Bühne zu bringen. – www.puppentheater-magdeburg.de Noch bis 30. September 2020 ist im Museum für PuppentheaterKultur Bad Kreuznach die Sonderausstellung The Voice of Puppetry zu sehen. Die multimediale Ausstellung legt erstmalig den Focus auf die Sprache im synergetischen Zusammenwirken der verschiedenen Elemente des Figurentheaters. Es werden markante und berühmte Sprecher*innen präsentiert, z. B. wird erinnert an die erste „Rundfunkkasperltante“ Liesl Simon und deren erzwungene Emigration im Jahr 1941. Aber auch die „Hohnsteiner Puppenspieler“, die in dieser Zeit reüssierten, sind mit historischen Schallplatten vertreten. – www.bad-kreuznach.de FORTBILDUNG/TAGUNG Vom 24. bis 29. April 2020 widmet sich Fratz International in Berlin mit Festival, Kita-Begegnungen und Symposium dem sehr jungen Publikum zwischen 0 und 6 Jahren. Das Symposium findet vom 25. bis 28. April statt und diskutiert Fragen von Diversität, Rassismus, Generationengerechtigkeit und nachhaltigem Produzieren. Außerdem werden internationale Künstler*innen, u. a. aus Nigeria und Südafrika, in Ateliers und Forschungslaboren zum Thema Repräsentationen von „race“ und „gender“ auf der Bühne im Tanz und Theater für junges Publikum forschen. – www.fratz-festival.de
Drei neue Stipendiatinnen der Theater-Stiftung Gera starteten zum Spielzeitauftakt 2019: Die Nachwuchskünstlerinnen Marie Bretschneider (Regie), Alina Illgen (Ausstattung) und Tanja Wehling (Spiel) erarbeiteten bereits gemeinsam eine Inszenierung für das Puppentheater Gera zum 30. Jahrestag des Mauerfalls. – www.tpthueringen.de JUBILÄEN 40 Jahre Fundus-Theater! Was 1980 als FigurentheaterDuo startete und bereits 1984 mit „Das Familienalbum“ eine innovative Liaison von Puppentheater und Prävention zum Thema sexueller Missbrauch vorlegte, ist heute renommierte Hamburger Institution. Aus einem Theaterverständnis, in dem Bild und Sprache, Geste, Material und Geräusch gleichberechtigt nebeneinander stehen, entstand 2003 das inzwischen mit vielen Preisen ausgezeichnete Forschungstheater Fundus als szenisches Labor zur Schnittstelle zwischen Kindheit, Kunst und Wissenschaft. – www.fundus-theater.de Ende 2019 feierte das HELIOS Theater sein 30-jähriges Bestehen. Das in Köln gegründete freie Theater, das für junges Publikum produziert und immer wieder die künstlerische Auseinandersetzung mit Objekten und Material in den Fokus nimmt, lud zum Jubiläum ins eigene Haus in Hamm ein – wo neben dem regulären Spielplan alle zwei Jahre auch das renommierte hellwach-Festival stattfindet. – www.helios-theater.de 20 Jahre Fabrikpalast Aarau (Schweiz) konnten im Dezember 2019 gefeiert werden, das Haus-Ensemble, HansUeli Trübs „Theater-Pack“, feierte gar 40-Jähriges. Zugleich war die Herbstspielzeit die letzte des Fabrikpalastes in dieser Form, im März 2020 verabschiedet er sich als Haus für innovatives Figurentheater mit einem großen Figurentheaterfest – um sogleich mit zwei anderen Aarauer Theatern, der Tuchlaube und der Alten Reithalle, zum Mehrspartenhaus „Bühne Aarau“ zu fusionieren. – www.fabrikpalast.ch PERSONELLES Neuer Ausbildungsleiter der Ecole Nationale Superieure des Arts de la Marionnette (ESNAM) in Charleville-Mézières wird der Puppenspieler und Regisseur Brice Coupey. – www.marionnette.com
Einen dreiwöchigen internationalen Sommerworkshop Music in Movement bietet das Institut International de la Marionnette in Charleville-Mézières (Frankreich) für Theaterschaffende aller Genres und Musiker*innen an. Unter der Leitung von Basil Twist und Philippe Rodriguez-Jorda wird vom 6. bis 24. Juli 2020 das Zusammenwirken von Geräuschen, Musik und visuellen Elementen erforscht, der Fokus liegt auf dem Puppentheater. Bewerbungen bis 18. April 2020. – www.marionnette.com
PUBLIKATION Aufführung des offen Sichtlichen. Zur Poesie des Mechanischen im zeitgenössischen Theater heißt eine Anfang 2020 beim Aisthesis Verlag erschienene Publikation. Die Theaterwissenschaftlerin und Dramaturgin Astrid Schenka geht darin der Überlegung nach, dass die anschauliche Offenlegung von Funktionsweisen bewegter Objekte ästhetisches Vergnügen bereiten und eine Poesie des Mechanischen entfalten kann. In ihre Studie bezieht sie Puppentheater ein, so die diversen „Riesen“-Paraden („La Saga des Géants“) von Royal de Luxe, aber auch Installationen von Heiner Goebbels oder dem Schweizer Klangkünstler Zimoun und analysiert diese unter verschiedenen Gesichtspunkten des Zusammenwirkens von Mensch und Objekt. – ISBN 978-3-8498-1394-9
Zur 5. Deutschen Figurentheaterkonferenz mit Symposium, Vorstellungen und Workshops laden UNIMA Deutschland und VDP vom 28. August bis 6. September 2020 nach Northeim ein. Thema ist „Gestaltung und Ästhetik im Figurentheater“. An das vom 28. bis 30. August geplante Symposium schließt sich eine Workshopwoche mit verschiedenen Angeboten an – darunter ein Atelier mit dem tschechischen Holzbildhauer und Figurengestalter Mirek Trejtnar und eins mit der niederländischen Kostümbildnerin und Theaterplastikerin Evelyne Meersschaut. Im Rahmenprogramm sind Vorstellungen u. a. von Ilka Schönbein und dem Forman Brothers‘ Theatre zu sehen. www.unima.de
I was a Robot. Science Fiction und Popkultur heißt eine Ausstellung des Museums Folkwang in Essen, zu der Ende 2019 in der Edition Folkwang/Steidl ein Katalog gleichen Titels erschien. Innerhalb des Sujets der Science-Fiction richtet „I was a Robot“ den Fokus auf die menschenähnlichen Apparate und spannt den Bogen von frühen Darstellungen bis in die Gegenwart, in der Roboter sich zu Cyborgs, künstlichen Kreationen und künstlicher Intelligenz entwickelt haben. Damit werden Zukunftsbilder der Vergangenheit ebenso anschaulich wie die unserer Gegenwart. Die behandelten Themenfelder zu den Bildfindungen und Interpretationen, die die Science-Fiction zum Roboter hervorgebracht hat, reichen von „Schöpfung und
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Funktion“ über „Ironie und Poesie“, „Künstliche Kreation und Künstliche Intelligenz“ bis hin zu „Cyberpunk und dem Tod der Menschheit“. – ISBN 978-3-95829-692-3 POLITIK Nachtrag zur „Stippvisite Flandern“ in double 40: Die neue, rechte Regierung Flanderns hat angekündigt, Anfang 2020 das Budget für Kultur selektiv zu kürzen – bei großen Institutionen um 3 bis 6 Prozent, bei der freien Projektförderung um 60 Prozent. Es wäre das Ende einer beispielhaften Erfolgsgeschichte freier Künste. Belgische Künstler*innen reagieren mit Empörung. Ihre große Besorgnis, dass hier ein Kulturkampf von rechts gegen unliebsame Kulturschaffende geführt wird, teilen auch international viele Kolleg*innen. Bei Redaktionsschluss setzte die Kulturszene auf Dialog. – #thisisourculture FESTIVALKALENDER 28.03.–04.04.2020 Gernsbach (Deutschland) Gernsbacher Puppentheaterwoche www.gernsbach.de 28.03.–18.04.2020 Edinburgh (Schottland) Puppet Animation Festival www.puppetanimationfestival.org 04.05.–06.05.2020 Aarhus (Dänemark) Danish+ 2020 www.gruppe38.dk 05.05.–10.05.2020 Stuttgart (Deutschland) Internationales Trickfilm-Festival www.itfs.de 07.05.–24.05.2020 Lissabon (Portugal) FIMFA Lx20 – International Festival of Puppetry and Animated Forms www.tarumba.pt 12.05.–16.05.2020 Tampere (Finnland) Mukamas. International Puppet Theater Festival www.mukamasfestival.com 12.05–17.05.2020 Segovia (Spanien) International Festival Titirimundi www.titirimundi.es 14.05.–22.05.2020 Hohenems (Österreich) Homunculus 27 www.homunculus.info 15.05.–17.05.2020 Reims (Frankreich) Festival Orbis Pictus www.lejardinparallele.fr 15.05.–17.05.2020 Burg Hohnstein (Deutschland) Hohnsteiner Puppenspielfest www.hohnsteiner-puppenspielfest.de 15.05.–26.05.2020 Amsterdam (Niederlande) International PopArts Festival www.popartsfestival.nl
19.05.–30.05.2020 Bochum (Deutschland) Fidena – Figurentheater der Nationen www.fidena.de 26.05.–30.05.2020 Bielsko-Biała (Polen) International Festival of Puppetry Art Banialuka www.banialuka.pl 28.05–06.06.2020 Saarbrücken (Deutschland) Festival Perpectives www.festival-perspectives.de 01.06.–06.06.2020 Zagreb u. a. Städte (Kroatien) Croatian TYA and Puppet Theatre Showcase www.theatre-epicentre.org 03.06–13.06.2020 Paris (Frankreich) Scènes Ouvertes à l'Insolite www.theatredelamarionnette.com 11.06.–14.06.2020 Altmorschen, Kloster Haydau (Deutschland) Blickfang – Internationales Figurentheater-Festival www.kultursommer-nordhessen.de 16.06.–21.06.2020 Baden (Schweiz) Figura. Internationale Biennale des Bilder-, Objekt- und Figurentheaters www.figura-festival.ch/ 20.06.–26.06.2020 Magdeburg (Deutschland) Internationales Figurentheaterfestival Blickwechsel www.blickwechselfestival.de 01.07.–07.07.2020 Jerusalem (Israel) International Festival of Puppet Theater www.traintheater.co.il 17.07.–19.07.2020 Beverley (England) Beverley Puppet Festival www.beverleypuppetfestival.com 24.07.–01.8.2020 Graz (Österreich) La Strada – Int. Festival für Straßenkunst und Figurentheater www.lastrada.at 26.08.–30.8.2020 Helsinki (Finnland) Sampo. International Puppet Theatre Festival www.sampofestival.fi 02.09.–06.09.2020 Plovdiv (Bulgarien) International Puppet Theatre Festival www.pptheatre.com 05.09.–12.09.2020 Vyborg (Russland) International Puppet Theatre Festival Baltic Puppetwhirl www.facebook.com/balticpuppetwhirl
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10.09.–13.09.2020 Ljubljana (Slowenien) LUTKE – Biennal Festival of Contemporary Puppetry Art www.lgl.si/en/festival 16.09.–20.09.2020 Erfurt (Deutschland) Synergura. Internationales Puppentheaterfestival www.waidspeicher.de 16.09.–27.09.2020 Husum (Deutschland) Internationales Figurentheater Festival Pole Poppenspäler Tage www.pole-poppenspaeler.de 08.10.–15.10.2020 Turin (Italien) Incanti. Rassegna Internazionale di Teatro di Figura www.festivalincanti.it 14.10.–18.10.2020 Meppel (Niederlande) Puppet International www.puppetinternational.nl 21.10.–02.11.2020 München (Deutschland) Internationales Figurentheaterfestival München www.figurentheater-gfp.de 03.11.–07.11.2020 Potsdam (Deutschland) Unidram. Internationales Theaterfestival www.unidram.de 03.11.–08.11.2020 Leipzig (Deutschland) euro-scene Leipzig 30. Festival zeitgenössischen europäischen Theaters und Tanzes www.euro-scene.de 04.11.–10.11.2020 Berlin (Deutschland) Internationales Festival Theater der Dinge www.schaubude.berlin 15.11.–22.11.2020 Hamm & Region Hellweg (Deutschland) hellwach. Internationales Theaterfestival für junges Publikum www.helios-theater.de 2021 28.01.–06.02.2021 Edinburgh Manipulate. Festival of Visual Theatre and Animated Film www.manipulatefestival.org 07.05.–16.05.2021 Erlangen, Nürnberg, Fürth, Schwabach (Deutschland) internationales figuren.theater.festival www.figurentheaterfestival.de 17.09. – 26.09.2021 Charleville-Mézières (Frankreich) Festival Mondial des Théâtres de Marionnettes www.festival-marionnette.com
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IMPRESSUM
AUTOR*INNEN Thomas Betz, Journalist und freier Autor, München // Silvia Brendenal, Theaterwissenschaftlerin, Sarmstorf // Mascha Erbelding, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Sammlung Puppentheater / Schaustellerei des Münchner Stadtmuseums // Tin Grabnar, Regisseur, Ljubliana // Dr. Carole Guidicelli, Theater- und Literaturwissenschaftlerin an der Université Paul Valéry, Montpellier // Ute Kahmann, Figurenspielerin und Regisseurin, Berlin // Iris Keller, Regisseurin, Autorin und Figurenspielerin, Binzen // Li Kemme, Figurenspieler*in, Stuttgart // Sigrun Kilger, Figurenspielerin, Ensemble Materialtheater Stuttgart // Marcus Kohlbach, freier Theaterregisseur, Autor und Projektmanager, Stuttgart // Kollektiv „Frauen in gehobenen Positionen“ (Franziska Merkel, Samira Wenzel, Stefan Wenzel, Johanna Posenenske), Leipzig // manufaktor, Figurentheaterkollektiv, Berlin // Anke Meyer, Kuratorin und Autorin, Bochum // Dr. Laura Purcell-Gates, Theaterwissenschaftlerin an der Bath Spa University und künstlerische Leiterin bei Wattle & Daub, England // Lars Rebehn, Konservator der Puppentheatersammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden // René Reith, Choreograf und Performancekünstler bei systemrhizoma, Hamburg // Anna Renner, Dramaturgin, Regisseurin // Christina Röfer, Projektleiterin beim Fonds Darstellende Künste, Berlin // Tim Sandweg, Künstlerischer Leiter der Schaubude, Berlin // Annette Scheibler, Figurenspielerin und Regisseurin, Ensemble Materialtheater Stuttgart // Norbert Seidel, Pressesprecher, tjg. theater junge generation, Dresden // André Studt, Dozent für angewandte Theater- und Medienwissenschaft an der Universität Erlangen // Thomas Stumpp, Goethe Institut, München // Dr. Gerd Taube, Leiter des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland // Britta Tränkler, Figurenspielerin, Leipzig // Dr. Yoko Yamaguchi, Postdoktorandin an der Tokyo University of the Arts und Koordinatorin des internationalen Programms des Puppentheaters PUK // Almut Wedekind, Theaterwissenschaftlerin, Projektkoordinatorin an der Schaubude Berlin // Dr. Meike Wagner, Professorin für Theaterwissenschaft an der Universität Stockholm Übersetzungen Summaries: Roy Kift // Endkorrektur: Martina Schnabel
Impressum double. Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater Herausgegeben vom Deutschen Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, Bochum – www.fidena.de Das Magazin erscheint in redaktioneller Verantwortung des Vereins zur Förderung der Kunst und Kultur des Puppen-, Figuren- und Objekttheaters (V.i.S.d.P.) und in Zusammenarbeit mit dem Verlag „Theater der Zeit“. Redaktion: Mascha Erbelding (verantw., Thema), Annika Gloystein, Anke Meyer (Redaktionsleitung), Christina Röfer (verantw., Thema), Tim Sandweg, Katja Spiess, Dr. Meike Wagner Beirat: Silvia Brendenal, Christoph Lepschy, Dr. Gerd Taube, Manfred Wegner Redaktionsanschrift: Redaktion double, Postfach 10 20 32, 44720 Bochum Telefon 0234.950 629 65 // mail@double-theatermagazin.de Gestaltung: Robert Voss, Halle (Saale) Verlag: Theater der Zeit, Berlin – www.theaterderzeit.de Bezug: double ist erhältlich – als Beilage der Abonnenten-Auflage von „Theater der Zeit“ – als gesondertes double-Abonnement: zwei Ausgaben double und zwei Ausgaben Theater der Zeit für 16 EUR pro Jahr (Ausland zzgl. 6 EUR Porto) – als Einzelausgabe, gedruckt oder als pdf-Datei Abo-Service: 030.4435 285-12 oder über www.theaterderzeit.de Anzeigen: Deutsches Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, Hattinger Straße 467, 44795 Bochum, Telefon: 0234.4 77 20 // info@fidena.de Druck: Herstellungsagentur und Verlagsservice Schneider, Jesewitz Alle Rechte bei den Autoren und der Redaktion, Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Für unaufgefordert eingesandte Bücher, Fotos und Manuskripte übernimmt die Redaktion keine Haftung. Bei Nichtlieferung infolge höherer Gewalt oder infolge von Störungen des Arbeitsfriedens bestehen keine Ansprüche gegen den Herausgeber oder den Verlag. Die double-Redaktion bemüht sich um gendergerechte Sprache, belässt dabei aber den Autoren und Autorinnen ihre individuelle Form der Umsetzung. Redaktionsschluss für das vorliegende Heft war der 28. Januar 2020. double 42 erscheint im November 2020. Redaktionsschluss für diese Ausgabe ist der 28. August 2020. Der Thementeil beschäftigt sich mit dem Thema Generationswechsel. www.double-theatermagazin.de – www.fidena.de – www.theaterderzeit.de
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SAVE THE DATE
SHOWCASE WESTFLUEGEL LEIPZIG 8 TH–11 TH OCTOBER 2020 Best of 15 Years – more than 15 I n t e r / n at i o n a l S h o w s i n 4 D ays W W W . W E S T F L U E G E L . D E