Radikal jung 2020
Jens Hillje C. Bernd Sucher Christine Wahl
Herausgegeben von
Das Festival fĂźr junge Regie
Das vom Volkstheater München ausgerichtete Festival Radikal jung sollte 2020 zum 16. Mal stattfinden. Der Gefahr Rechnung tragend, die vom Corona-Virus ausgeht, wurde das Festival kurzfristig abgesagt. Im vorliegenden Buch werden die zwölf Inszenierungen präsentiert, die von der Jury, bestehend aus Jens Hillje, C. Bernd Sucher und Christine Wahl, ausgewählt wurden. Die Textbeiträge renommierter Theaterkritiker sollen den Lesern einen Eindruck vermitteln von den Arbeiten des Regienachwuchses in der Spielzeit 2019/20. Berlin, März 2020 Verlag Theater der Zeit
Radikal jung 2020 – Das Festival fßr junge Regie
Radikal jung 2020 Das Festival fĂźr junge Regie Herausgegeben von Jens Hillje C. Bernd Sucher Christine Wahl
Radikal jung 2020 Das Festival für junge Regie Herausgegeben von Jens Hillje C. Bernd Sucher Christine Wahl © 2020 by Theater der Zeit Texte und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich im Urheberrechts-Gesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Medien. Verlag Theater der Zeit | Verlagsleitung Harald Müller Winsstraße 72 | 10405 Berlin | Germany www.theaterderzeit.de
Lektorat: Erik Zielke Gestaltung: Agnes Wartner Printed in Germany ISBN 978-3-95749-278-4 (Taschenbuch) ISBN 978-3-95749-288-3 (ePDF) ISBN 978-3-95749-289-0 (EPUB)
Inhalt Jens Hillje Vorwort
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Lucia Bihler Hedda Gabler
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Daniel Cremer The Miracle of Love
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Katrin Hammerl Wiederauferstehung der Vögel
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Florentina Holzinger Tanz
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Selen Kara I love you, Turkey!
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Ewelina Marciniak Der Boxer
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Bonn Park Das Deutschland
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Max Pross Das Totenfest
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Anta Helena Recke Die Kränkungen der Menschheit
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Sasha Marianna Salzmann Oder: Du verdienst deinen Krieg 85 (Eight Soldiers Moonsick) Rieke Süßkow IKI.Radikalmensch
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caner teker Kırkpınar
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Vorwort Jedes Frühjahr beim Festival Radikal jung ist das Münchner Volkstheater mit seinem Intendanten Christian Stückl Gastgeber für junge Theatermacher*innen, die mit ihren Arbeiten die deutschsprachige Theaterlandschaft in den kommenden Jahren prägen werden. Seit 2005 kann das Publikum hier die künstlerische Erneuerung und Weiterentwicklung des deutschsprachigen Theaters verfolgen und teilhaben am Streit um die Zukunft der darstellenden Künste in der Auseinandersetzung mit neuen gesellschaftlichen Realitäten. In diesen Jahren ist Radikal jung zum wichtigsten und größten Festival für junge Regisseur*innen geworden. In ihrer künstlerischen Kritik des Gegenwärtigen und ihrer Arbeit am Zukünftigen versammeln die eingeladenen Inszenierungen sehr unterschiedliche Formen, um auf die Herausforderungen einer politisch polarisierten Zeit zu reagieren. Die Künstler*innen setzen sich mit Traditionen ihrer Kunst auseinander, entwickeln andere Perspektiven und gelangen zu neuen Erzählungen und Bildern von der vielfältigen und konfliktreichen Welt, in der wir heute leben. Bonn Park eröffnet mit der Inszenierung „Das Deutschland“ das Festival mit einer leise bösen Bestandsaufnahme deutscher Zustände in formvollendetem Horror. Es testen Anta Helena Recke mit „Die Kränkungen der Menschheit“ und Daniel Cremer mit „The Miracle of Love“, von den bildenden und performativen Künsten inspiriert, die Grenzen der Theaterkonventionen. Florentina Holzingers „Tanz“ und caner tekers „Kırkpınar“ erweitern den Theaterkosmos um ihre intensiven und befreienden Auseinandersetzungen mit Körperbildern. Sasha Marianna Salzmann (mit „Oder: Du verdienst deinen Krieg“) und Selen Kara (mit „I love you, Turkey!“) inszenieren in ihren deutschsprachigen Erstaufführungen israelischer und türkischer Autor*innen allgemeingültige Erfahrungen aus einer deutschen postmigrantischen Perspektive im Vertrauen auf die theatrale Übersetzbarkeit von Texten. Mit ihren weitreichenden Formsuchen befragen Lucia Bihler mit „Hedda Gabler“ und Rieke Süßkow mit „IKI.Radikalmensch“ die Grenzen des Humanen. Katrin Hammerl erzählt in „Wiederauferstehung der Vögel“ wie auch Max Pross in „Das Totenfest“ von historischen schwulen Figuren; sie machen eine Geschichte des verbotenen Begehrens auch in seinen kolonialen Verstrickungen erfahrbar. Das Festival schließt mit „Der Boxer“ von Ewelina
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Marciniak, die eine polnische Erzähltheatertradition für das deutschsprachige Theater erschließt, um den europäischen Antisemitismus in einer transnationalen Perspektive zu verhandeln. Allen gemeinsam – wenn auch jeweils in der Art und Weise sehr unterschiedlich – sind die Zugriffe der Regie aus einer politischen Haltung, feministisch, queer, kritisch auf ein sehr altes Medium der Selbstverständigung menschlicher Gesellschaften: das Theater. Heute mehr denn je werden die stehenden Bühnen zum Ort eines hoffentlich geduldigen Austauschs über die Gegenwart unserer offenen und demokratischen Gesellschaft in Zeiten der Krise und einer hoffentlich neugierigen Suche nach dem Neuen. Mein Dank gilt dem Münchner Volkstheater und meinen Mitkurator*innen Christine Wahl und C. Bernd Sucher. Jens Hillje Sprecher* der Jury
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Regie
Lucia Bihler
Hedda Gabler von
Bühne
Henrik Ibsen
Jana Wassong Kostüme
Premiere
Laura Kirst
27. September 2019 Münchner Volkstheater
Dramaturgie
Mats Süthoff Musik
Jörg Gollasch
Falscher Mann, richtige Optik Christine Wahl Hedda Gabler, die durchaus zweifelhafte Heldin aus Henrik Ibsens gleichnamigem Drama, pflegt ein verwegenes Hobby. Wenn ihr langweilig wird, flüchtet sie sich zu ihrer Waffensammlung. Dass das öfter vorkommt, als ihr lieb ist, liegt auch an einem tragischen Fehlgriff bei der Gattenwahl. Als Kind des 19. Jahrhunderts hat sich die Generalstochter für eine gleichermaßen auf- wie anregungsfreie Versorgungsehe entschieden. Ihren Mann Jörgen Tesman – einen biederen Geisteswissenschaftler, dem es derart an Inspiration mangelt, dass jeder fachliche Konkurrent automatisch eine Gefahr für seine Karriere darstellt – verachtet sie zutiefst. Kein Wunder, dass Frau Gabler – angeekelt vom Mittelmaß, aber ihrerseits auch nicht fähig zu Überdurchschnittlichem – auf den Theaterbühnen gern in die Gegenwart versetzt wird. Selbst, wenn das Motiv der Versorgungsehe im 21. Jahrhundert deutlich an Anschlussfähigkeit verloren hat: Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen der Welt als Wille und Vorstellung und dem banal-pragmatischen Alltag, in dem sie einem gemeinhin gegenübertritt, dürfte kaum einer Generation vertrauter sein als uns Selbstoptimiererinnen und Selbstoptimierern mit dem massiven Glücksimperativ im Nacken. So hat Thomas Ostermeier „Hedda Gabler“ in den nuller Jahren an der Berliner Schaubühne als unzufrieden alterndes BerlinMitte-Girlie inszeniert; gefangen mit dem falschen Mann im sprichwörtlichen goldenen Käfig, der in diesem Fall ein stylisher Glaskasten im Bauhaus-Design war. Und in Dresden brachte der Regisseur Tilmann Köhler die Generalstochter in den 2010er Jahren als Egoshooterin auf die Bühne, die sich in Ballerspielen erging, weil ihr Mann die versprochenen Pilates-Stunden nicht bezahlen konnte: zwei Beispiele nur, die für den dramatischen Umgang mit „Hedda Gabler“ seit der Jahrtausendwende aber exemplarisch sind. Umso bemerkenswerter ist es, dass die Regisseurin Lucia Bihler in ihrer Inszenierung am Münchner Volkstheater nun einen völlig anderen Weg geht; und zwar den umgekehrten. Sie verpflanzt Henrik Ibsens Drama, das 1891 – übrigens ebenfalls in München, am damaligen Hof- und heutigen Residenztheater – uraufgeführt wurde, nicht in die Gegenwart, sondern in ein sehr weit zurückliegendes Rokoko. Mit blonder Turmfrisur und ausladendem Reifrock unterm hellgrünen Rüschenkleid (Kostüme: Laura Kirst) steht die groß-
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artig gestikulierende Anne Stein als Hedda Gabler auf der Bühne, als sei sie geradewegs einem opulenten Ausstattungsfilm entstiegen. An ihrer Seite: der nicht minder grandiose, sie umtänzelnde Jakob Immervoll als Tesman, mit weißer Kniebundhose und rot geschminkten Apfelbäckchen im gepuderten Gesicht. Was Bihlers Abend vom Historienschinken à la Hollywood allerdings deutlich unterscheidet, ist die umfassende Ironie-Getränktheit des Settings. Die Bühnenbildnerin Jana Wassong hat eine riesige weiße Drehscheibe ins Volkstheater gebaut, die zu seichten Klängen vor sich hin rotiert wie eine Spieluhr. Über dieser Drehbühne hängen watteweiße Schäfchenwolken, für die man den Ausdruck Kitsch dringend erfinden müsste, wenn es ihn nicht schon gäbe. Und auf ihr rollt, manchmal fast mit dem Witz und dem Tempo einer Screwball-Comedy, ein Intrigenstadl ab, der an Choderlos de Laclos’ legendäre „Gefährliche Liebschaften“ erinnert. Vordergründig tanzt man miteinander beziehungsweise scheinbar freundlich umeinander herum, ergeht sich in bodentiefen Verbeugungen und bietet großzügig vom Schaumgebäck an, das adrett auf einer barocken Etagere arrangiert ist. Und hinterrücks bekämpft man verbissen die Konkurrentin ums begehrte Liebesobjekt oder den akademischen Kollegen mit den originelleren Theorien und kujoniert mit festgefrorenem Lächeln im Gesicht den eigenen Ehepartner wegen seiner himmelschreienden Mediokrität. Das Volkstheater-Ensemble
Hedda Gabler
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spielt das wirklich großartig: Selten dürfte Ibsen so pointiert und amüsant geklungen haben! Dass Lucia Bihler mit Verfremdungen arbeitet, ist an sich natürlich nicht verwunderlich. Wer ihre Inszenierungen kennt – etwa die Bühnenadaption von Robert Menasses Roman „Die Hauptstadt“ am Schauspielhaus Wien, mit der sie bereits letztes Jahr zum Festival Radikal jung eingeladen war –, dürfte kaum mit psychologischem Realismus gerechnet haben. „Mir sind verfremdete Figuren in künstlichen Welten prinzipiell näher als Figuren, die auf der Bühne ein real-psychologisches Abbild des Menschen versuchen“, bestätigt die Regisseurin. „Ich erschaffe Kunstwelten, die in der Bildsprache klare Referenzen aufmachen.“ Warum nun aber speziell dieses Rokoko-Ambiente? „Die Mischung aus Materialismus, Zwang und Ennui sind für mich im Rokoko sinnlich sehr stark verortet“, erklärt Bihler. „Die Welt, in der sich Hedda bei uns befindet, erzählt etwas über die Mechanismen und Zwänge, in denen sie – und die Figuren um sie herum – gefangen sind.“ Tatsächlich ist Ibsens Hedda Gabler eine ziemlich widersprüchliche Figur. Mit Erörterungen darüber, was sie im Grunde ihrer unzufriedenen Seele wirklich an- und umtreibt, ließen sich wahrscheinlich ganze Regalkilometer in theaterwissenschaftlichen Fachbibliotheken füllen, und in psychologischen erst recht. Kaum mit Tesman verheiratet, ist Hedda – so weit noch recht gut nachvollziehbar – des Langweilers bereits überdrüssig. Der akademische Bürokrat strebt eine Professur an – die allerdings dadurch gefährdet wird, dass sein alter Studienfreund Eilert Lövborg plötzlich wieder in seinem beruflichen Dunstkreis auftaucht. Lövborg hat alles, was Tesman fehlt: durchschlagende Ideen, einen beweglichen Geist, ein gewisses Verwegenheitsimage – allerdings auch ein massives Alkoholproblem. Das konnte er nun zur allgemeinen Überraschung mit Hilfe der herzensgut-naiven und unendlich selbstlosen Thea Elvsted (Paulina Alpen), einer Ex-Geliebten von Tesman, vorläufig in den Griff kriegen und seine geistigen Ressourcen endlich dazu nutzen, ein bahnbrechendes kulturgeschichtliches Werk zu verfassen, das kurz vor der Veröffentlichung steht und gegen das Tesmans uninspiriertes Geschreibsel verdammt blass aussieht. Hedda, die ihrerseits – vor Tesman – auch mit Lövborg geliebäugelt, die Verbindung aber beendet hatte, fällt es nun offenbar wie Schuppen von den Augen, dass sie alles, aber auch wirklich alles in den Sand gesetzt hat: falscher Mann, falsches Leben – und dann auch noch von einer als drittklassig einge-
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stuften Geschlechtsgenossin überholt! Von Thea Elvsted, die nun mit dem akademischen Alphamann an ihr vorbeimarschiert. Also entwickelt Hedda eine umfassende Zerstörungsenergie, beginnt aufs Hinterhältigste zu intrigieren, verführt Lövborg wieder zum Alkoholkonsum, in dessen Folge er das Manuskript seines Buchs verliert, und treibt ihn schließlich sogar – weil sie sich nach Größe und wahrer Schönheit sehnt in ihrem kleinen unspektakulären Leben – in den Tod, bevor sie sich final selbst die Kugel gibt. Das Beste, was man über Hedda sagen könnte, ist also, dass sie ihr langweiliges, zeittypisch stereotypes Frauenleben ablehnt, das sich nur über den Ehemann und den von ihm abhängigen familiären Status definiert. In dieser Lesart wäre ein gewisser emanzipatorischer Furor am Werk – wobei freilich gleichzeitig die Gegenmaßnahmen, die sie ergreift, ihrerseits die Frauenbewegung alles andere als voranbringen. „Für mich ist Hedda Gabler eine sehr ambivalente Figur“, bringt es Lucia Bihler auf den Punkt, „gefangen in Strukturen, die sie selbst mitproduziert.“ Und komplexerweise belässt die Regisseurin die Generalstochter auch in diesem Widerspruch und versucht nicht, sie feministisch oder anderweitig zurechtzubiegen. „Mich interessiert es, Mechanismen freizulegen, die hinter den Handlungen der Figuren liegen; sehr eindeutige Lesarten reizen mich nicht“, erklärt Bihler. „Vereindeutigung ist für mich nicht mit Haltung gleichzusetzen.“ Und gerade dadurch, dass sie den Stoff eben nicht verengt, beginnt diese fremde Rokoko-Welt interessanterweise plötzlich auch eine Menge über unsere Gegenwart zu erzählen. Auf die Frage, ob sie Hedda Gabler für eine zeitgenössische Figur halte beziehungsweise in ihr zumindest noch gegenwartsrelevante Aspekte sehe, antwortet die Regisseurin denn auch: „Existenzielle Konflikte, bei denen es um Leben und Tod geht, bleiben aktuell. Was sich ändert, sind gesellschaftliche Strukturen und Umstände. Es macht Spaß, sich diese genau anzuschauen und die Parallelen zu heute zu finden. In Heddas Fall ist es die Frage nach den strukturellen Möglichkeiten von Frauen, die ja bis heute noch nicht abschließend geklärt ist, aber auch die Frage nach einer Zeit des ‚Um-sichselbst-Kreisens‘, des nach innen gerichteten Blicks, der Sattheit, des Überfressens, der Übersättigung, der Langeweile, des Rückzugs ins Private bei gleichzeitig permanenter Selbstdarstellung.“ Dass das Rokoko für Bihler keine hermetische gestrige Welt, sondern lediglich ein formales Mittel zum inhaltlichen Erkenntniszweck ist, sieht man besonders deutlich, wenn Tesman zum Beispiel barock aufgerüscht auf der Drehscheibe sitzt und plötzlich
Hedda Gabler
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auf ein nagelneues iPad eintippt. Oder wenn der von Jakob Geßner herrlich labil an die Rampe getänzelte Lövborg statt seines Manuskripts triumphierend einen USB-Stick aus seiner quietschhellblauen Gehrocktasche zieht. Für Bihler hat „diese erfundene Rokoko-Futurismus-Welt“ tatsächlich „viele Gemeinsamkeiten“ mit der Gegenwart: „Diese kleinen Bezüge ins Heute setzen eine ästhetische Spur. Alles ist glatt und perfekt und wird dadurch als sehr schön wahrgenommen. Das Schönheitsideal unserer Zeit ist eben auch sehr kühl und unnahbar“. Und darunter – ließe sich ergänzen – brodelt es ähnlich wie bei ihren Ibsen-Figuren, die ihre innere Unzufriedenheit, ihre Frustrationen und Ängste physisch nach außen spiegeln. „Der körperliche Ausdruck eines Menschen oder einer Figur berührt mich sehr“, sagt Bihler. „Mit dem Körper kann man nicht lügen. Deshalb vergrößere ich in der Art, wie ich inszeniere, den körperlichen Ausdruck einer Figur; versuche, das Wesentliche zu destillieren und sichtbar zu machen.“ Durch die Körperlichkeit, so die Regisseurin, „werden die Konflikte und Charaktereigenschaften der Figur sinnlich erlebbar, und das ist lesbar ohne Bildungsbackground oder Metaebene.“
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Ist es dieses Interesse an Form und Körperlichkeit, das Bihler nach ihrem Regiestudium an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch im selben Haus gleich noch eine Choreografieausbildung aufsatteln ließ? „Ja, genau“, bestätigt sie. „Und außerdem hatte ich Lust auf weniger Text.“ Der Studiengang sei „sehr international“ und werde mit Wanda Golonka von einer „tollen Choreografin“ geleitet. „Es gibt dort viel Diskurs und eine große Offenheit; ich habe auch viel von meinen Mitstudentinnen gelernt, die alle Tänzerinnen waren.“ Ideale Arbeitsbedingungen also für eine Künstlerin, die sich selbst vor allem als Teamplayerin definiert: „Ganz alleine zu arbeiten interessiert mich nicht“, sagt sie. „Ich mag Widerstände und Reibung, Austausch und das Gemeinschaftliche am Theater.“ Dass sie künstlerisch arbeiten will, war der 1988 in München geborenen Regisseurin eigentlich schon immer klar. Nach dem Studium gründete sie die Theatergruppe gold&hiebe, inszenierte in der freien Szene und bald auch an Stadttheatern von Leipzig über Hannover bis Berlin und ist seit letztem Jahr auch Hausregisseurin und Mitglied der künstlerischen Leitung an der Berliner Volksbühne. Danach gefragt, was dieser Schritt für sie bedeute, entgegnet Bihler: „Für mich sind an der Volksbühne momentan die Menschen, die dort arbeiten, das Wichtigste. Ich darf mit sehr feinen, klugen Leuten kontinuierlich zusammenarbeiten, das ist sehr bereichernd.“ Einen eindeutig emanzipatorischen Akt gibt es übrigens doch noch in Bihlers Ibsen-Inszenierung. Allerdings ist es nicht Hedda, der er gelingt, sondern ihr Dienstmädchen Berte. Die Regisseurin, die erklärtermaßen ein besonderes Herz für Nebenfiguren hat, verdoppelt diese Figur nicht nur, sondern verleiht ihr tatsächlich eine umstürzlerische Perspektive. Am Ende ihrer Inszenierung betreten die beiden stummen Bertes (Jorid Lukaczik und Nathalie Schörken), die bis dato stets als Servicekräfte von draußen gearbeitet hatten, zum ersten Mal die Drehscheibe, nehmen also, wie die Regisseurin bestätigt, Heddas Platz ein. „Ich finde“, sagt Lucia Bihler, „das ist eine kleine Revolution.“
Hedda Gabler
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Regie
Daniel Cremer
The Miracle of Love/ Das Wunder der Liebe von
Choreografie
Daniel Cremer
Kristianne Salcines Kostüme
1. November 2019
Aviv Shalem (Asis d’Orange) und Melanie Bonajo
Koproduktion von
Dramaturgie
Künstlerhaus Mousonturm, Frankfurt am Main,
Anna Wagner und René Michaelsen
Maxim Gorki Theater, Berlin,
Musik
und Theater im Bauturm, Köln
L/N/A (Elena Vignanelli) und Rory Mac Néill Aodha
Uraufführung
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Die Kunst der radikalen Sanftheit Gabi Hift Wenn man angenehm beschwingt aus der Show „The Miracle of Love“ kommt, denkt man zuerst, es sei einem nichts Besonderes passiert. Die Farben sind vielleicht eine Spur intensiver als zuvor, die Musik klingt ein bisschen besser, die Menschen sehen irgendwie schöner aus, aber sonst ist nichts. Erst, wenn man plötzlich von purer kindischer Lebenslust überschwemmt wird, für die in der Welt kein Platz zu sein scheint, merkt man, dass es einen erwischt hat. „The miracle of love / Will take away your pain“, sangen Eurythmics 1986. Den Titel hält man anfänglich für einen Scherz, das Thema Liebe steht zurzeit nicht gerade hoch im Kurs am Theater. Und „Make love, not war“ gilt auch nicht direkt als die politische Strategie der Stunde. Aber Daniel Cremer meint es ernst und verführt uns mit einer aberwitzigen Mixtur aus Comedy und Selbsterfahrungstheater, wie sie in den letzten dreißig Jahren höchstens mal Christoph Schlingensief probiert hat. Zur Begrüßung stöckelt eine schlampige Dragqueen mit Bart und blonder Perücke in den Raum, in einem bauchfreien, knöchellangen Stretch-Fummel, den sie selbst offenbar für hochelegant hält, wirft Kusshändchen in die Menge und stellt sich als Daniel Cremer vor. Sie hat ein Buch mit bonbonrosa Umschlag dabei, auf dem „The Miracle of Love“ steht. Hier soll wohl die Präsentation eines Selbsthilfebuches stattfinden, samt Kostproben der darin beschriebenen Techniken. Und wir, das Publikum, sollen in dieser Simulation die Rolle von Fans der schrulligen Liebes-Guruessa übernehmen. Weil sich das alles in angenehm ironischer Distanz bewegt, lassen wir uns amüsiert auf absurde kleine Begegnungsspiele ein: mit der Sitznachbarin diskutieren, ob man die gemeinsame Armlehne hinaufklappen und den Raum zwischen den Körpern öffnen möchte oder lieber nicht; in jene Stellen im Körper hineinatmen, wo einen das Patriarchat am meisten drückt und das mit einem kleinen Stöhnen hinauslassen usw. Aber das Perfide ist, dass es keine ironische Art gibt, tief einzuatmen oder jemandem in die Augen zu schauen. Kaum tut man so „als ob“, schon tut man es wirklich, und gleich fährt einem ein kleiner Intimitätsschreck in die Glieder. Aber als uns mulmig zumute wird und die Widerstände überhandnehmen, unterbricht die Liebesgöttin mit einem Kichern: „Ich hab gerade total Lust, euch meinen Hintern zu zeigen“, hoppelt mit heruntergelassenem Rock in den Scheinwerferkegel, streckt den nackten Popo ins Licht und verlangt dafür Applaus.
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Mit perfektem Timing holt uns Daniel Cremer wie an einem Gummiseil in die sicheren Gefilde der Ironie zurück, von wo wir uns, im Vertrauen auf seinen Schutz, nun jedes Mal ein bisschen tiefer ins Risiko fallen lassen, und er wedelt zwischen den sich immer weiter öffnenden Herzen seiner Kursteilnehmerinnen elegant hinunter wie auf einer Neuschneepiste. Bis wir am Ende bereit sind, mit diesem in allen Geschlechtern schillernden Wesen aufs Ganze zu gehen; in gegenseitigem Einverständnis, aber verwirrt, wie es so weit kommen konnte. Das verführerische Geschöpf lehrt uns, wie wir es erregen können, sein Finger wird zum Avatar unseres Fingers, wir lernen, ihn durch gemeinsames Rasseln mit kleinen Säckchen voll Heilerde zu bewegen, das Rasseln lässt den Finger streicheln und tief und immer tiefer eindringen. Es ist wie Cybersex, nur dass das virtuelle Wesen, das sich uns hingibt, aus Fleisch und Blut ist und wir uns mit ihm im selben Raum befinden. Dieses verrückte Hin und Her zwischen bangem Herzklopfen und befreiendem Lachen steuert Daniel Cremer, indem er sich genau dann, wenn das Publikum es braucht, in jemand anders verwandelt, in Figuren wechselnden Geschlechts und mit verschiedenen Wesenszügen, die aber gleichzeitig alle immer er selbst sind. Wie eine Bande von Aphroditen entsteigen sie eine nach der anderen dem Schaum, den er mit seinem Spiel schlägt. „All diese Figuren sind Teile von mir“, sagt Cremer, „sie tauchen aus irgendwelchen tieferen Schichten auf, aber keine von ihnen ist der ganz persönliche, biografische Individuums-Daniel“. Es ist, als wäre er ein Stand-up-Comedian mit multipler Persönlichkeit. Nur eine der Figuren redet in Cremers heimischem Dialekt. Das ist „Tantra-Heinz“, der einzige Macho in der queeren Truppe. Er sagt Sachen wie: „Jetzt machen wa so’n bisschen Eye-Gehhhzing alle zusammen, ne.“ „Der ist für die Leute manchmal zu viel“, sagt Cremer. „Als der auf der Probe aufgetaucht ist, hat einer gesagt: ‚Daniel, you’re losing yourself, come back!‘ Und ich hab gesagt: ‚This is my true self.‘“ Daniel Cremer kommt aus dem Rheinland, aus einer Arbeiterfamilie, und das führt immer noch manchmal zu Irritationen, weil fast alle, mit denen er am Theater zusammenarbeitet, Kinder aus dem Bildungsbürgertum sind. Sein Vater war Polizist, seine Mutter Verkäuferin in einem Modegeschäft. „Beim Theaterjugendclub hatte ich zum ersten Mal Freunde, das war ein Schutzraum, in dem anderes Leben vorgestellt werden konnte – und eingeübt. Ein Labor für eine neue Welt. Ab da bin ich beim Theater geblieben.“ Mit 17, noch als Schüler, schrieb Cremer sein erstes Theaterstück über vier Mörderschwestern, inspiriert von Lorca und Genet.
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Gleich nach dem Abitur bekam er eine Stelle als Regieassistent am Schauspiel Köln, konnte viel ausprobieren, spielen, schreiben, Abendregie, war aber auch oft desillusioniert, weil er sich die Realität am Theater ganz anders vorgestellt hatte. Er machte Dramaturgie bei René Pollesch, begann selbst zu inszenieren und wurde zum vielversprechenden, jungen, wilden Opernregisseur. Höhepunkt und Ende davon war „L’Orfeo“ von Monteverdi am Berliner HAU mit der kanadischen Electroclash-Sängerin Peaches in der Hauptrolle. „Wir hätten alle Freiheiten gehabt“, erzählt Cremer, „aber wir haben uns beide total unter Druck gesetzt. Sie wollte perfekt Oper singen und ich wollte alles richtig machen, richtig gut inszenieren. Das war eine krasse Niederlage.“ Cremer wurde Koch in einer Kommune und dachte, er würde nie wieder Theater machen. Mit dem Theaterspielen hatte er aber schon viel früher angefangen, lange vor dem Jugendclub, ohne Anleitung und ohne Vorbild. „Das war mit drei, vier Jahren bei meiner Oma und meinem Opa im Wohnzimmer. Mit sechs habe ich schon Programmhefte gemalt und Poster für meine Vorstellungen aufgehängt. Mein Opa hatte auch Kassetten mit klassischer Musik, dazu bin ich durch den Raum getanzt und habe mir vorgestellt, was man für Filme dazu machen kann.“ Es scheint, dass Daniel Cremer in „The Miracle of Love“ auf glückliche Art zu genau den Techniken zurückgekehrt ist, mit denen er schon auf dem Wohnzimmerteppich seiner Großeltern Erfolg hatte. Seine spezielle Art, sich in immer neue Figuren zu verwandeln und dabei er selbst zu bleiben, die im Theaterkontext exotisch wirkt und sich jeder Klassifizierung entzieht, ist ganz leicht zu verstehen, wenn man daran denkt, wie Kinder spielen, wie sie sich verkleiden, zu jemand ganz anderem werden und dabei natürlich immer sie selbst bleiben, nur dass sie jetzt eben ein Cowboy sind oder eine Prinzessin oder ein wilder Bär. Auch das freie Tanzen zur Musik hat Daniel Cremer nicht aufgegeben. In der Show bringt er großartige Ausdruckstanznummern, wie die junge Isadora Duncan, voller Ernst und tiefem Gefühl und scheinbar ohne jedes Bewusstsein dafür, dass ihn jemand auslachen könnte. Diese Naivität haben alle seine Figuren gemeinsam. Und das ist auch das Geheimnis ihrer Komik. Sie führen die strengen Regeln der Kunstwelt, die bestimmen wollen, wer seine Leidenschaften zum Ausdruck bringen darf und wer nicht, ad absurdum. Auch die Drama-Queen weiß nichts von der Geschmacklosigkeit ihres Kostüms. Sie setzt sich mit ihrem rosa Buch an ein Tischchen, richtet mit einer kleinen Slapstick-Nummer – das ist wohl
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Comedian-Berufsehre – das Mikrofon ein und beginnt zu reden. Weil man genau zu wissen meint, was jetzt kommt, merkt man erst nach einer Weile, dass sie weder Deutsch noch Englisch oder sonst eine Sprache spricht, die man versteht. Nur einzelne Worte sind zu erkennen: „Miracle“, „easy“, „mein Puppi“ (ein imaginäres Schoßhündchen, an dem die Autorin demonstriert, wie einfach Liebe sein kann). Was wir da hören, ist „Fremdsprache“, eine von Daniel Cremer erfundene Kunstsprache. Unter dem Label Talking Straight hat er damit schon die unterschiedlichsten Situationen simuliert, von Museumsführungen bis hin zu einem ganzen Theaterfestival. Weil sich erweist, dass man überraschenderweise auch ohne Sprache fast alles versteht, wird das hohle Geschwätz, dem man bei solchen Gelegenheiten sonst immer andächtig lauscht, als großer Witz entlarvt. Aber sobald der Spaß an der Satire abebbt, erscheint dahinter eine zweite Ebene: Plötzlich werden die Wünsche spürbar, die einen überhaupt zu diesen Veranstaltungen treiben und die normalerweise unter dem Gerede ersticken. Hinter dem unverständlichen Kauderwelsch öffnen sich die Katakomben kollektiver Sehnsüchte. Auch hier, bei der Präsentation des rosafarbenen Selbsthilfebuches in „Fremdsprache“, hängt der Wunsch nach Liebe irgendwann fast greifbar in der Luft, ebenso wie die Hoffnung, wirklich Ratschläge zu bekommen, was man tun muss, „to make the miracle of love come your way again“. Talking-Straight-Performances sind schnell vom Geheimtipp zu gefragten Events geworden. Cremer entwickelte gemeinsam mit seinen alten Freunden aus dem Jugendclub ein komplettes Theaterfestival in „Fremdsprache“, das prompt beim Stückemarkt des Theatertreffens den Preis der Autoren gewann. Beflügelt vom gemeinsamen Erfolg, erfüllten sie sich einen Traum: Sie gründeten eine Theatergruppe, die ein vollkommen gleichberechtigtes Kollektiv sein sollte, ohne Chef und mit gemeinsamem freien Erfinden neuer Theaterformen. Nach außen lief alles glänzend – sie wurden zu „Artists in residence“ am Berliner Maxim Gorki Theater erkoren. Nach innen ließen die erwünschten utopischen Verhältnisse sich nicht so einfach herstellen. Die Arbeitsmöglichkeiten hingen weiter von Cremers Grundidee und seinem Zugang zu Institutionen ab. „Wir haben alle so getan, als wäre da kein Machtgefälle, und ich habe mich selbst dafür gehasst, dass ich das nicht ändern konnte“, sagt Cremer. Irgendwann hielt er es dann nicht mehr aus, bat die Truppe, ohne ihn weiterzumachen, und verschwand nach Amerika. „Ich habe mich verhalten wie ein ganz übler Heterokerl, der seine
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Freundin mit dem Kind sitzen lässt, weil ihm alles über den Kopf wächst“, sagt er. „Die Wunden, die da entstanden sind, sind bei uns allen bis heute nicht verheilt.“ Cremer begann Bodywork zu machen, massierte, gab Workshops. Es zog ihn in Richtung sexueller Heilung, er dachte, dass er nur noch diese Arbeit machen würde. Aber in den Gruppensitzungen entdeckte er eine besondere Begabung: Er spürte, was die Leute brauchten, konnte mehr oder minder ihre Gedanken lesen, wenn er sich auf sie einstellte. Irgendwann dämmerte ihm, dass er das auch in einer Theatershow einsetzen könnte. Die Idee zu „The Miracle of Love“ war geboren. „Der Zusammenbruch und das Wieder-Zusammensammeln danach waren zwar dramatisch für mich, aber ich habe wichtige Sachen daraus gelernt. Ich arbeite seitdem ganz anders, mache mir nicht mehr so viele konzeptuelle Gedanken. Dieser Abend ist tatsächlich jedes Mal anders. Es gibt nur Module, die aus Improvisationen entstanden sind. Ich hätte Material für sieben bis acht Stunden. Manches davon benutze ich immer wieder, manches nur ganz selten, das hängt völlig von der Situation ab.“ Tatsächlich ist es verblüffend, mit welch perfektem Timing Daniel Cremer einen aus den Begegnungsspielen herausholt; wie präzise er Widerstände benennt, die man gerade heimlich im Stillen formuliert hatte. Und noch beeindruckender ist, dass das bei allen im Raum synchron abläuft. Am Anfang hat die Dragqueen ein Experiment angekündigt: Ihr Ziel für den Abend sei es, eine Liebesbeziehung zu allen Anwesenden gleichzeitig aufzubauen. Sie sieht das Publikum dafür als ein einziges Wesen, einen Pilz, dessen größter Teil als Myzel unter dem Boden wächst und das, was im Zuschauerraum sitzt und so ausschaut, als wären es getrennte Individuen, seien in Wirklichkeit sechzig zufällig nach oben herausgepoppte Pilzköpfe. So synchron wie das Publikum bald darauf fühlt, scheint das Experiment, es zu einem großen Pilz zu vereinen, geglückt. Manche ältere Semester wird das an das Rhizom von Guattari/Deleuze erinnern. Uns als ein solches vielwurzelig ineinander verflochtenes System zu begreifen, werde uns die Befreiung von definierten Machtstrukturen bringen, hatten die wilden Philosophen seinerzeit versprochen. Das ist nun mehr als vierzig Jahre her, und die Show erinnert an die Stimmung dieser Zeit, als die Hippies mit ihren Loveins und ihrem „Make love, not war“ das System gewaltfrei zum Einsturz bringen wollten und das Private als politisch und potenziell subversiv galt. Daniel Cremer, der lange danach geboren wurde,
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wirkt ein bisschen wie ein Bote aus alten Zeiten. Und er hat auch Kontakt zu einigen verbliebenen Ikonen. Er hat Allen Ginsberg übersetzt und die „Radical faeries“ besucht: schwule Männer, die in den 70er Jahren aufs Land gezogen waren, in unglaublichen Drag-Kostümen pagane Rituale aufführten, immer noch existieren und sich in letzter Zeit für alle Gender öffnen. Annie Sprinkle, eine Ikone des sexpositiven Feminismus seit den 70er Jahren, hat mit Cremer die Szene entwickelt, in der er praktisch demonstriert, wie man bei der Intimmassage einen Penis genauso gut als Klitoris interpretieren kann, die Hodensackhaut als Vulvalippen und wie man mit einer identischen „Komm-her-zu-mir“-Bewegung des Zeigefingers die Prostata oder den G-Punkt massieren kann, je nachdem, als was man die andere Person sehen möchte. „Ich muss Gender nicht abschaffen“, sagt Cremer, „aber ich wünsche mir, dass es ein Spielzeug wird. Und auch Identität muss ich nicht abschaffen, ich kann mit ihr spielen. Das ist ja auch etwas, das in queerer Sexualität sowieso eine Rolle spielt, wenn du mit Leuten zusammenkommst, die nicht die Genitalien haben, von denen du denkst, dass sie sie haben oder die sie nicht auf die Art benutzen wollen, die du normalerweise in einem Film siehst. Da kann man dann ohnehin kein vorgefertigtes Programm abspulen. Da muss man anfangen zu spielen.“ In einem Umfeld, wo sich die Communitys sonst oft misstrauisch voneinander abgrenzen und das Publikum zerknirscht oder beschämt nach Hause geschickt wird, ist die Großzügigkeit und Offenheit von Daniel Cremer ein Ereignis. Bei unserem Gespräch über Skype sitzt Cremer unter einer großen Zimmerpflanze. Wenn er, ohne es zu merken, beim Reden an ein Blatt stößt, sieht es aus, als würde das Blatt hinter seinem Kopf nicken und „Ja, genau!“ sagen. Ich möchte wissen, wie er zur Comedy gekommen ist und wer seine Vorbilder sind. „Helge Schneider ist eine wichtige Referenz für mich“, sagt er. „Der schöpft aus derselben Suppe von NRW wie ich, nimmt den Stumpfsinn und dreht ihn in so eine Absurditätsspirale; das habe ich als sehr befreiend empfunden und nachgeahmt. Ich möchte eigentlich auch etwas machen, das nicht so eindeutig aufs Bildungsbürgertum abzielt. Etwas, das meine Eltern und deren Umgebung auch gern sehen würden, das aber einen Widerhaken hat. Dazu muss man sich ein geschicktes Konzept fürs Exposé ausdenken, weil das sonst nicht als Kunstform anerkannt ist, die an einem Schauspielhaus vorkommen darf – außer, wenn Georgette Dee kommt, die ich übrigens sehr verehre. Ästhetisch sind meine Abende eine Hommage an Georgette Dee.“
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Die Ästhetik in „The Miracle of Love“ steht jedenfalls quer zu einem Zeitgeschmack, der nicht möchte, dass Kostüme erotisch begehrende Blicke auf die Körper der Schauspielerinnen und Schauspieler erlauben. Entweder schüchtern Dragqueens durch ihr perfektes Styling ein oder das aggressive Ausstellen von Körpern, die nicht der Schönheitsnorm entsprechen, dient der Anklage des Mainstream-Terrors. Daniel Cremers queere Figuren fallen völlig aus diesem Rahmen, jede von ihnen will auf ihre Art mit ihren Fummeln sexy wirken, und ob die ein bisschen ordinär oder geschmacklos sind, scheint ihnen egal zu sein. „Meine Dragqueen ist eher eine Trümmertunte“, sagt Cremer. „Eine, deren Vorbild kein Filmstar ist, sondern eine seltsame Tante, die man als Kind hatte und die irgendwie faszinierend war.“ „Trümmertunten“ sind fast ebenso passé wie Hippies. Sie waren ein Phänomen im Westberlin der 80er Jahre: geschmacklose Kleider, hässliche Perücken, Perlenketten, Haarnetze. Sie sahen die absurde Übertreibung des Nirgends-dazu-Passens als politisches Statement. Der Spaß daran ist auch bei Daniel Cremer zu spüren. Seine Unterhosen sind zum Beispiel an verrückter Peinlichkeit kaum zu überbieten; auf einer steht in Glitzerschrift: „100 % Mermaid“, auf einer anderen ist das neonbunte Foto einer Wolfsschnauze aufgedruckt. „Zu dieser Wolfsunterhose gibt es eine Geschichte. Ich habe mit Joseph Kramer telefoniert, dem Erfinder des Sexological Bodywork, und wir haben auch über Wölfe geredet. Am Tag darauf hat Facebook, das natürlich immer mithört, mir als Werbung diese Unterhose angeboten. Das fand Joseph so lustig, dass er mir eine bestellt hat. Wenn man so einen Quatsch wie den Wunsch nach einem Wolf auf der Unterhose in seiner ganzen Erbärmlichkeit akzeptiert, kann das eine erlösende Kraft haben. Wenn ich erbärmlich performe, wenn ich dieser Clown bin, dann entsteht eine Öffnung, die es auch anderen erlaubt, etwas zu wagen, von dem man spürt, dass es gut ist, für das es aber noch keinen perfekten Ausdruck gibt.“ Tatsächlich ist es etwas anderes, Erbarmen zu haben als Mitleid. Erbarmen will die Misere nicht beklagen, sondern aus ihr heraushelfen, über Erbärmlichkeit kann man lachen, sie verzeihen und gemeinsam über sie hinauswachsen. Es ist möglich, jemanden trotz einer erbärmlichen Unterhose liebenswert und sogar attraktiv zu finden. „Albernheit ist für mich der erhebendste Zustand, den es gibt. Ich habe das Gefühl, dass ich noch mehr in diese Stand-upund Showrichtung gehen will. Weil mir diese Form die Möglich-
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keit gibt, etwas zu machen, das man in anderen Zusammenhängen ‚Channeling‘ nennt: Ich kanalisiere die Ängste und Widerstände der Gäste und lasse sie von meinen Figuren aussprechen – und das hat etwas Befreiendes. Im Theaterkontext sollte man sowas ja lieber nicht sagen, weil man dann nicht mehr ernst genommen wird. Aber wenn ich zwei Aussagen über mich kombiniere, die beide am Theater eigentlich gar nicht gehen, dann kriegt das eine Leichtigkeit, die mir wieder gefällt. Die eine ist: Ich glaube tatsächlich, dass es etwas ganz Heiliges und Tiefgehendes ist, was ich da mache. Und die andere: Ich möchte die Leute einfach nur unterhalten, sie zum Lachen bringen – und dass sie mich dafür mögen. Und diese beiden Sachen gehen nur zusammen gut.“ Daniel Cremer ist ein wahrer Meister der Leichtigkeit – der, wie er es nennt, „radikalen Sanftheit“. Als der Sex zu Ende ist, der Orgasmus, den er uns geschenkt hat, verebbt und die ängstliche Frage des großen Publikumspilzes in der Luft liegt – „Wie war ich?“ –, sagt er nur: „Es war ok.“ Und erzählt nach einer kleinen Pause doch noch eine Geschichte: „Ich war acht Jahre alt. Da war ich bei meiner Tante, die hat so eine Limonade gemacht, die war … total in Ordnung. Ich erinnere mich wie heute: Draußen sind Autos vorbeigefahren, mein Opa hat im Keller gehustet, ich habe das Synthetik von meinem T-Shirt auf der Haut gespürt und die Limonade geschmeckt, und nichts war im Vordergrund, die Limonade war einfach da. Du bist einfach da, das ist ok. Du bist bei mir. Das ist das Geilste, was ich mir vorstellen kann.“ Als nächstes inszeniert Daniel Cremer ein eigenes Stück am Theater in Mannheim – die erste „normale“ Regie seit acht Jahren. Jetzt hat er wieder Lust drauf.
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Regie
Katrin Hammerl
Wiederauferstehung der Vögel von
Bühne und Kostüme
Thiemo Strutzenberger basierend auf „Tropenliebe“ von Bernhard C. Schär
Lisa Däßler Choreografie
Gina Gurtner Licht
Uraufführung
Roland Heid
24. Januar 2020 Theater Basel
Dramaturgie
Michael Billenkamp Musik
Club Für Melodien
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Die Erkundung von Begehren und Betrug C. Bernd Sucher Ein seltsames Paar: Fritz und Paul Benedikt Sarasin, Großcousins, Mitglieder der Basler Oberschicht – und schwul. Am Ende des 19. Jahrhunderts in Basel, in der protestantischen Schweiz, ein Ärgernis. Ein Skandal in der Familie und in der Gesellschaft. Zwei Männer, die sich aufmachen in die Fremde. Ihre Forschungsreisen: Fluchten und Selbstfindungen. Paul Sarasin, der Ältere der beiden, wurde 1856 in Basel geboren; Fritz Sarasin, drei Jahre jünger, wuchs als Sohn des Baumwollfabrikanten und Politikers Felix Sarasin in Basel auf. Er studierte zunächst in Genf, doch wechselte nach einem Semester schon an die Universität Basel. Hier lernte er seinen Vetter Paul kennen. Diese Begegnung war für beide schicksalhaft. Denn sie verliebten sich ineinander. Eine lebenslange Liebesbeziehung, die sie selbst als Nachkommen der mächtigsten Familie der Stadt Basel nicht leben konnten. So zogen sie zunächst gemeinsam nach Würzburg und promovierten beide bei dem Naturforscher Karl Semper in Zoologie. 1883 verließen sie die Schweiz und reisten nach Britisch-Ceylon, wo sie drei Jahre lang blieben, um zoologische und anthropologische Feldforschung zu betreiben. Katrin Hammerls Inszenierung von „Wiederauferstehung der Vögel“ beginnt mit einer Szene in Basel, im Elternhaus von Paul. Die Familie Sarasin an einem sehr langen Tisch. Das Familienoberhaupt, streng und ein wenig cholerisch, ist unzufrieden mit seinem Sohn und dessen Lebenswandel; die Mutter, nicht minder streng und verbissen religiös, ist gleichfalls wenig angetan von ihrem Sohn und dessen Freund. Diese Wahl missfällt sehr. Dass sie die beiden jungen Männer ziehen lassen und ihre Forschungen finanziell unterstützen, ist Abschiebung, nicht Förderung. Der Autor Thiemo Strutzenberger griff für sein Stück – entstanden im Rahmen des Autorenförderprogramms Stück Labor Basel – auf Bernhard C. Schärs Buch „Tropenliebe“ zurück. „Die Thematik sprach mich sofort an“, erklärt Katrin Hammerl. „Koloniale Strukturen und die Verstrickung der Schweiz darin, der männliche Forscherdrang des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die Tatsache, dass Fritz und Paul Sarasin und ihre Geschichte eng mit Basel verknüpft sind.“ Und wieso dieser Titel? Katrin Hammerl sieht darin eine große Chance für ihre Arbeit: „Thiemo Strutzenbergers Stücktitel ‚Wiederauferstehung der Vögel‘ eröffnet mehrere Konnotationen. Fritz und Paul Sarasin erforschten in Indonesien unter anderem
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Vogelarten. Im Zuge der Forschung wurden die Vögel getötet und zum Zweck der Archivierung nach Basel gebracht. Gemeinsam mit einem Ornithologen besuchten Bühnen- und Kostümbildnerin Lisa Däßler und ich das unterirdische Vogelarchiv im Basler Naturhistorischen Museum. Unzählige ausgestopfte Vögel (und in anderen Teilen des Archivs viele weitere Tierarten) liegen dort in Holzschubladen, in Form und Farbe erhalten. Sie haben auf mich einen bleibenden, traurigen Eindruck hinterlassen. Nicht nur Vögel wurden von Fritz und Paul Sarasin getötet, sondern auch viele andere Tiere. Auch Gewalt an Menschen wurde verübt, zum Beispiel, weil sie gegen ihren Willen fotografiert wurden. Es ist aber auch die Lebens- und Liebesgeschichte von Fritz und Paul Sarasin und den anderen Figuren – alle mehr oder weniger von historischen Fakten inspiriert –, die das Stück wiederauferstehen lässt und neu befragt.“ Strutzenberger gliedert sein Drama in zwei Teile. Im ersten sehen wir, in welcher geistigen Enge die beiden Jungen aufwuchsen, bei gleichzeitigem Wohlstand, ausgedrückt durch den riesigen Raum von Lisa Däßler, in dem die Familie residiert. Diskutiert wird an einem großen Tisch. Über ihm schwebt ein Riesenkasten. Wie ein Deckel, unter dem Menschen und Möbel verschwinden und ihr Reden erstickt. Eine Transportkiste nur – oder doch ein Gefängnis? „Unser Bühnenbild ist ein geschlossener Raum. Die Kiste ist auch Sinnbild eines Archivs voller Erinnerungen. Geschichten, die einst archiviert, dann vergessen wurden und jetzt wieder ans Licht gebracht und neu befragt werden. An was wollen wir uns überhaupt erinnern?“ Zu Beginn ist ein Vogel in der Kiste zu hören – wie er flattert, wie er gegen die Wände schlägt. Er scheint gefangen und lebt doch noch. Am Ende hört man ihn nochmal, wie er die Weite sucht. Die Kiste, so Katrin Hammerl, sei auch räumliches Synonym für die drückende Enge einer Basler Kindheit. Alle Figuren kommen anfangs aus der Kiste, alle gekleidet in „protestantisches Weiß“, so die Regisseurin, und verlassen den geschlossenen Raum der Bühne nie. Die Zeugenschaft aller, die immer anwesend sind, gibt dem Text und den Figuren ein Publikum aus mehreren Perspektiven. Für die Gemeinschaft des Erzählens, die Versammlung und die Auseinandersetzung stehen auch die Tische und Stühle als beispielhafte Objekte der Zivilisation.“ Das Familientableau des ersten Teils – die Familie rund um den Tisch – wird in den Tropen mehrdeutiger, dort wird auf, am und um den Tisch gespielt. Die Tische sind dann sowohl „Bankett“ für Fritz und den Missionar Adriani am Ende der Forschungsreise
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sowie „Zelt“ für Paul und den Diplomaten Brugmann während der Reise. Sie werden auch zu einer Art Podest, das den Protagonisten etwas von ihrer Bodenhaftung nimmt. Die Kiste bewegt sich mächtig über den Köpfen der Figuren, hebt sich und senkt sich und gibt damit der Handlung eine eigene, von außen kommende Dynamik. (Leider wird die Basler Version der Bühne und somit auch der Inszenierung in München nicht realisierbar sein.) Im zweiten Teil – nichts ändert sich am Raum – sehen wir die jungen Sarasins bei ihren Forschungsarbeiten. Sie interessieren sich vor allem für die evolutionäre Abstammung der Menschen, die sie anhand der Volksgruppen der Weddas auf Ceylon und die der Toala auf Celebes erforschen. Sie sammeln menschliche Schädel und vermessen Menschen. Als würden die Ureinwohner gescannt, fährt ein Lichtrechteck von oben auf die Bühne und wieder herauf. Sie, die Schweizer Flüchtlinge, ausgegrenzt in Europa, grenzen nun ihrerseits die Ureinwohner aus, gerieren sich als Herrenmenschen. Und diskutieren mit dem Missionar Adriani und dem Übersetzer und Diplomaten Brugmann die bedeutsamsten Fragen. Wie lässt sich Wissenschaft und Religion vereinbaren; welche Auswirkungen hat der Kolonialismus und was bedeutet die Sklaverei?
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Diese Diskurse machen zweierlei deutlich: Die in der Schweiz Unterdrückten unterdrücken in der Fremde; sie beuten aus und benutzen die Menschen, denen sie begegnen, wahrscheinlich auch sexuell. Katrin Hammerl macht noch etwas deutlich, Adriani und Brugmann, auch sie haben ihre Heimat verlassen aus eben den Gründen, die die beiden Sarasins aus Basel trieb. Es ereignen sich seelische und körperliche Annäherungen der vier Männer. Es herrscht ein Begehren, was die vier jungen Schauspieler – Simon Kirsch, Maximilian Kraus, Urs Peter Halter und Jonas Götzingen – auf die diskreteste Weise, zärtlich und vorsichtig offenbaren. Ängstlich, Abweisungen befürchtend. In diesem zweiten Teil, so erklärt die Regisseurin, agieren die Figuren im Spannungsfeld zwischen immer wiederkehrenden Gedanken einerseits sowie Macht, Status, Begehren und Liebe andererseits. „Interessant ist, dass die sich eigentlich Liebenden Fritz und Paul schließlich situativ getrennt sind und jeweils im Gespräch mit einem anderen Mann ein Gegenüber suchen. Die Liebesgeschichte von Fritz und Paul erzählt sich also in großen Teilen auch durch die Abwesenheit des anderen. Am Ende bleibt jede der Figuren für sich allein und findet nur vorübergehend Berührungspunkte mit den anderen.“ Für die Tropen bietet Katrin Hammerl vor allem akustische und wenig szenische Andeutungen. Und doch hören wir nicht
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allein Vogelschreie, angestimmt von dem kleinen Ensemble, das die Nebenrollen übernommen hat, nein: Die wiederauferstandenen, bunt und exotisch gekleideten Vögel mischen sich ein, sie kommentieren und richten. Was hat es mit dem Vögel-Spielen auf sich, warum kommen sie überhaupt, manchmal sogar geschwätzig, vor? „Die Vögel blicken aus der Vogelperspektive auf das Geschehen und plaudern über Sklaverei, den Einmarsch der Niederländer in Südostasien, über Geschichtsschreibung, über die Herrschaft des Archivs und die Frage, welche Ereignisse es eigentlich enthält. Mit Lust an der Formulierung teilen sie dem Publikum teilweise schwere Fakten leichtfertig mit: Sie tratschen, zwitschern sozusagen. Wenn Fritz, Paul und Diplomat Brugmann die Vögel in der Inszenierung aufsammeln und begutachten, begehren diese nicht auf, sondern fügen sich, als wollten sie die Beispielhaftigkeit der Vorgänge vorführen und damit ihre Souveränität behalten. Im zweiten Teil sind sie stille Zeugen der langen Auseinandersetzung zwischen Paul und Brugmann sowie Fritz und Adriani. Erst durch ihre Live-Musik agieren sie wieder, verstärken oder unterlaufen die endlos scheinenden Gedanken der in ihrer Hybris gefangenen Männer Fritz und Paul.“ „Wiederauferstehung der Vögel“ ist eine Auseinandersetzung mit der Schweizer Geschichte und der Geschichte des europäischen Kolonialismus; sie ist Spurensicherung und Erkundung von Begehren. Katrin Hammerl nähert sich den Themen mit der allergrößten Sensibilität und mit vier faszinierenden Darstellern, die in ihrem Spiel viel wagen. Sie steuert zwar das Interesse und den Blick der Zuschauer, aber sie indoktriniert nicht. Sie richtet nicht. Sie zeigt! Und respektiert die Sprache des jungen Dramatikers: „Strutzenberger hat den Jambus gewählt, um sich von der wissenschaftlichen Prosa der Vorlage zu distanzieren, und diese Formalisierung betrifft alle Figuren. Sie verstärkt den Eindruck eines bestimmten Rhythmus in der Sprache, und dieser zieht sich durch das ganze Stück. Ich mag es, wenn die Sprache dann gewissermaßen auch ‚für sich‘ stehen kann und sich wie eine Partitur liest.“ Klar, sie hat ein Beispiel parat: „Und in traurigen Tropen liebt die Freiheit die Menschen, und die Menschen lieben die Freiheit zurück.“ Die Sarasins, die auch Gedichte schrieben, in denen sie einander ihre Zuneigung versicherten, allerdings auch keinen Zweifel daran ließen, wie sehr die jungen Männer auf Ceylon sie anzogen, schickten übrigens ihre Funde an das Naturhistorische Museum Basel. Nach ihrer Rückkehr lebten sie in Berlin und werteten das Material ihrer Expeditionen aus. Gefördert wurden sie durch die
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dortige Gesellschaft für Erdkunde und die Berliner Anthropologische Gesellschaft, heute Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte. 1889 reisten sie nochmals für ethnologische Forschungen nach Ägypten und in den Sinai sowie ein Jahr später ein zweites Mal nach Britisch-Ceylon. 1896 kehrten sie nach Basel zurück, wo sie weiterhin zusammen lebten und arbeiteten. Auch die Gründung des Basler Völkerkundemuseums, des heutigen Museums der Kulturen, geht auf sie zurück. Beide leiteten in den späten 90er Jahren das Naturhistorische Museum Basel, Fritz zudem den Zoologischen Garten. Er blieb zeitlebens ledig und verstarb am 23. März 1942 in Lugano. Paul heiratete 1918 im Alter von 62 Jahren Anna Maria Hohenester, bekam mit ihr zwei Kinder und erlag am 7. April 1929 im Alter von 72 Jahren einer Lungenentzündung. Katrin Hammerls Interesse für diese beiden Außenseiter gründet nicht zuletzt in ihrer gelebten Homosexualität, die auch heute noch keineswegs überall und jederzeit akzeptiert sei, wie sie betont. Doch dem Thema widmet sie sich zum ersten Mal. Sie steht am Anfang ihrer Karriere. Sie sei in einer „theaterfernen Familie aufgewachsen, im Südburgenland, wo sie in Berührung kam mit Schul- und Sommertheater. „Mein Vater spielte als Laie bei mehreren Theaterproduktionen, und ein früher Moment des Befeuerns meiner Theaterleidenschaft war wohl eine jener Aufführungen, als ich meinen damals 25-jährigen, schlanken Vater in Stöckelschuhen und Minirock in einer Aufführung der ‚Rocky Horror Picture Show‘ erlebte. Trotz meiner Begeisterung für die Praxis konnte ich den theoretischen Bereichen meines Studiums der Theater-, Filmund Medienwissenschaft in Wien und in Pisa einiges abgewinnen, und ich schloss mit einer Arbeit über die Frage, wie man Schauspielkunst beschreiben kann, ab.“ Während des Studiums nahm Katrin Hammerl selbst Schauspielunterricht, absolvierte zahlreiche Workshops in Österreich und Italien, spielte in freien Produktionen, führte Regie für Jugendtheater sowie für Kabarett. Nach mehreren Regiehospitanzen am Wiener Burgtheater begann sie 2013 als Regieassistentin bei Andreas Beck am Schauspielhaus Wien. Schließlich folgte sie dem Intendanten und seinem Team 2015 als Regieassistentin ans Theater Basel. Und dann kam – Andreas Beck war bereits ans Bayerische Staatsschauspiel gewechselt – Anfang des Jahres dieses kleine wundersame Werk heraus.
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Regie
Florentina Holzinger
Tanz von
Bühne
Florentina Holzinger
Nikola Knezevic Dramaturgie
Premiere
3. Oktober 2019 Tanzquartier Wien
Renée Copraij, Sara Ostertag
Koproduktion von Münchner Kammerspiele, Spirit und Tanzquartier Wien, Spring Festival (Utrecht), Theater Rotterdam, Künstlerhaus Mousonturm (Frankfurt), Arsenic (Lausanne), Take Me Somewhere Festival (Glasgow), Beursschouwburg (Brüssel), deSingel (Antwerpen), Sophiensaele (Berlin), Frascati Productions (Amsterdam) und Theater im Pumpenhaus (Münster), asphalt Festival (Düsseldorf)
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„Ich habe gelernt, dass man Spaß haben muss“ Christine Wahl Es gibt diese Abende, an denen man einfach nicht vorbeikommt. Diese absolut zwingenden Aufführungen, bei denen es so gut wie unmöglich ist, jemanden zu treffen, der sie nicht für bahnbrechend hält – selbst in der Theaterbranche, die ja nicht direkt unter Enthusiasmus-Generalverdacht steht. Die Gründe, die für die Begeisterung angeführt werden, sind dabei völlig unterschiedlich: ein untrügliches Zeichen dafür, dass es sich um echte Kunst handelt. Genau so ein Abend ist Florentina Holzingers „Tanz“. Die Produktion, die letzten Herbst im Tanzquartier Wien Premiere feierte, nimmt das von Luftgeistern bevölkerte Ballett „La Sylphide“, mit dem das zweifelhafte Ideal von der federleicht schwebenden Ballerina herbeifantasiert wurde, beim Wort und zeigt die Arbeit hinter diesem Image. „Eine sylphidische Träumerei in Stunts“ heißt die Aufführung im Untertitel, in der Profis der Flugkunst – also Stuntfrauen, Tänzerinnen und andere Spezialistinnen der Schwerelosigkeit – abendfüllend durch die Luft wirbeln. Wie Holzinger selbst und ihre Kolleginnen dort – unter anderem – spektakuläre Akrobatikchoreografien an Motorrädern vorführen, die in luftiger Höhe vom Schnürboden hängen, brennt sich unmittelbar ins Theatergedächtnis ein. Dabei beginnt alles ganz klassisch – als Ballettstunde. Die Elevinnen tragen die Stangen auf die Bühne und üben geschäftig ihre Pliés und Jetés. Gewöhnlicher Tanzschulenalltag, könnte man meinen – wenn nicht die Lehrerin, die ihre Schützlinge hier in einer abgründigen Mischung aus Hingabe und verbaler Übergriffigkeit zu Höchstleistungen animiert, splitterfasernackt wäre. Schwer zu entscheiden, ob es sich um eine Verheißung oder eine Drohung handelt, wenn diese Grande Dame des Balletts – großartig verkörpert von der über siebzigjährigen Beatrice Cordua, die 1972 in Frankfurt mit einem nackten Solo am Ende des „Sacre du Printemps“ einen Skandal auslöste – den Unterricht mit den Worten eröffnet: „Today I’m going to teach you how to govern your body.“ Zu dieser Lektion in vollendeter Körperbeherrschung gehört auch die mit großer Selbstverständlichkeit vorgetragene Ermunterung, dass die Schülerinnen – „It‘s so hot in here!“ – doch bitte gleichfalls die Klamotten ablegen mögen, sodass auch sie bald nackt an der Stange stehen. Und sie werden sich im Verlauf des Abends auch nicht wieder anziehen. Das sind natürlich grandiose Irritationsmomente für den kollektiven kulturellen Code, wenn signifikante Gruppenchoreo-
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grafien der Ballettgeschichte statt von Ballerinen in Tutus plötzlich von nackten jungen Frauen getanzt werden, die zwar von Berufs wegen ebenfalls hart ihre Körper trainieren, aber nicht unbedingt fürs klassische Fach. Was Holzingers „Tanz“ dabei so außergewöhnlich macht, ist, dass dieses schwere- und gleichsam körperlose Ballerinenideal nicht einfach platt geerdet, sondern in einem wesentlich komplexeren, dabei aber unglaublich lässig anmutenden Selbstermächtigungsakt vielmehr vom romantisch verbrämten Kopf auf die eindrucksvoll arbeitenden Füße gestellt wird. Und das ist erst der Anfang dieses Abends, der scheinbar vertraute Bilder eben nicht schlicht dekonstruiert, sondern vielmehr überraschend neu und umwerfend anders re-inszeniert und bei dem sich überhaupt reichliche zwei Stunden lang lauter buchstäblich ver-rückte Dinge ereignen. Das kollektiv nackte Tanztraining geht über in eine pädagogische Vaginalinspektion, bei der die Lehrerin den traditionsgemäß männlich konnotierten Blick auf die Ballerinenkörper übernimmt und ihn damit auf grandios schräge Weise gleichzeitig re-inzeniert wie aushebelt. Weniger tricky und komplex wird es auch nicht, wenn die Pädagogin ihre Elevinnen anschließend zur Masturbation ermuntert, das Ballett als Extremform des Leistungsgedankens also in eine abgründige Dialektik mit dem Lustprinzip tritt und der Abend tatsächlich lustvoll in Richtung Horror, Splatter und Action entgleist. Dario Argentos Film „Suspiria“, in dem eine Ballettschule von Hexen aufgemischt wird, steht dabei ebenso Pate wie der Quentin-Tarantino-Kosmos oder die eher düstere Abteilung des Motivangebots aus der Romantik. Die Szene, in der sich eine Akteurin – dank Live-Video-Vergrößerung weithin en détail sichtbar – Metallhaken durchs obere Rückenfleisch bohren und anschließend an ihnen in die Höhe ziehen lässt, ist nicht die einzige, die eine harte Prüfung für die optische Zuschauerresilienz darstellt. Außerdem werden in „Tanz“ Babypuppen in dampfenden Hexenkesseln versenkt und unter großem Hokuspokus räudige Ratten geboren. Wenn die nackten Elevinnen sich kurz vorm Finale schließlich gegenseitig imaginär, aber angemessen kunstblutintensiv abknallen, wohnt man – wer hätte das noch für möglich gehalten – der Neudefinition des Action-Movie-Genres bei. Die neckischen Haushaltsbesenchoreografien, zu denen eine besonders gelehrige Schülerin zwecks temporärer Bühnenreinigung antritt, setzen ebenfalls neue Maßstäbe – in puncto Theaterhumor. Logisch, dass viele Zuschauerinnen „Tanz“ für die cleverste „Fehlaneignung“ oder auch feministische Resignifikation, wie das
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die philosophische Fachfrau Judith Butler nennen würde, des Ballett-Genres seit der Erfindung des Spitzenschuhs halten. Andere Theatergänger geben zu Protokoll, lange keine derart lässige, originelle und gleichermaßen verweisungsreiche Kanonentstaubung gesehen zu haben. Und wieder andere haben sich schlichtweg seit Jahren nicht so grandios unterhalten gefühlt. Kein Wunder also, dass der Holzinger-Abend nicht nur zu Radikal jung nach München eingeladen ist, sondern auch beim Theatertreffen in Berlin – dem alljährlichen Branchen-Best-of – zu den aufregendsten Festivalbeiträgen dieser Saison gehören wird. Florentina Holzinger selbst sitzt unterdessen im Probenraum der Münchner Kammerspiele, wo sie gerade an ihrer nächsten Inszenierung „Étude for an Emergency. Composition for Ten Bodies and a Car“ probt, und sieht das alles sehr entspannt und gelassen. „‚Tanz‘ ist neben ‚Apollon‘“ – der Vorgänger-Arbeit, die sich ebenfalls mit einem Ballett auseinandersetzte, nämlich George Balanchines „Apollon musagète“ – „sicher eine meiner konventionellsten Shows“, erklärt sie und lacht. „Wir machen intern immer den Sesamstraßen-Joke: Um zum Theatertreffen eingeladen zu werden, muss man wirklich Sesamstraßen-Arbeit machen, wo keine Frage offen bleibt.“ – „Urzach“ findet die gebürtige Wienerin diesen Hang zur Klarheit und Eindeutigkeit, den sie auf Sprechtheaterbühnen am Werk sieht: „Ich
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mag nicht belehrt werden als Publikum. Ich finde es cooler, auf neue Sachen zu kommen.“ Tatsächlich liegt der 34-Jährigen selbst nichts ferner, als handfeste Botschaften zu vermitteln. „Ich will auch keine moralischen Statements abgeben in Bezug darauf, was jetzt in der Kunst gerade gemacht werden muss, oder darauf, was es bedeutet, eine feministische Künstlerin zu sein und wie man damit umzugehen hat“, sagt sie. „Es geht mir wirklich um einen sehr spielerischen Umgang mit alledem, weil ich mich davon auch nicht eingrenzen lassen will.“ Holzinger pflegt – mit anderen Worten – mit Bildern, Ansprüchen und Erwartungen einen genuin emanzipierten Umgang. Einen, der den befreienden Gestus nicht wortreich vor sich herträgt, sondern selbstverständlich lebt: „Ich versuche, relativ wahrheitsgemäß mit der Frage umzugehen, was ich eigentlich wirklich machen will at the end of the day, und mich nicht davon beeinflussen zu lassen, was ich machen sollte.“ Herausgekommen sind dabei immer wieder großartige Arbeiten. Gleich ihre erste Show „Kein Applaus für Scheiße“ 2010 mit Vincent Riebeek, den sie während ihres Tanzstudiums in Amsterdam kennenlernte und mit dem sie anschließend lange zusammenarbeitete, wurde – wie könnte es bei dem Titel anders sein – zum Hit. Mit ihrem „Schönheitsabend“ waren Holzinger und Riebeek dann 2016 auch zu Radikal jung eingeladen. Dass ihr für ihre Arbeit immer wieder das Label „radikal“ angeheftet wird, interessiert Florentina Holzinger herzlich wenig. „Ich habe gelernt, dass man echt Spaß haben muss bei den Dingen, die man tut, sonst wird Kunstmachen wirklich zur Qual, und diese Freiheit nehm ich mir halt auch“, sagt sie. „Dass das irgendwie radikal sei, wird dann später eher von draußen draufprojiziert. In Wirklichkeit“, lacht sie, „bin ich eigentlich nur recht simpel gestrickt in Bezug darauf, was mir Spaß macht und dass ich mich halt einfach traue, das zu tun, ohne 5000 Gründe dafür erfinden zu müssen.“ Anders gesagt: Der Spaß ist die Begründung – und Kunst, die aus innerer statt äußerer Notwendigkeit entsteht, erfahrungsgemäß noch immer die interessantere. Leuten, die Holzinger wegen ihrer Neigung zu Motorrädern und Actionfilmen vorwerfen, sie mache „eher so männliche Sachen“, könne sie – so die Künstlerin völlig offen und unverbissen – eigentlich nur entgegnen, dass das auf sie und ihre Erziehung nicht zutreffe: „Ich wurde nie dazu ermuntert, Ballerina zu werden, beziehungsweise auf die gleiche Art und Weise dazu ermuntert, Motocross zu fahren“ – was sie übrigens auch leidenschaftlich tut.
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Beeindruckend – und beglückend – an Holzingers Kunst wie an ihren Statements ist tatsächlich, dass sie nicht richtet, sondern selbstverständlich Vieldeutigkeit und Vielschichtigkeit zulässt; in einer Konsequenz, die ziemlich selten geworden ist. Die Dinge sind bei Holzinger an sich weder positiv noch negativ, sondern sie sind erst einmal; Punkt. Zu „Apollon“ könnte man zum Beispiel sagen, es handele sich um eine Kritik an Balanchine, denkt Holzinger laut nach. „Aber in Wirklichkeit“, wendet sie selbst ein, „fand ich Balanchine schon immer auch voll geil, weil das stilistisch total überzogen, gleichzeitig megaschön und auch irgendwie wahnsinnig lustig ist.“ Und genau so sieht das dann auf der Bühne eben auch aus: total überzogen, megaschön und wahnsinnig lustig. Ballett, sagt Holzinger, sei ja nicht per se gut oder schlecht; es komme auf die Herangehensweise an. „Mein eigener Zugang ist total positiv, ich hatte immer super Lehrer, mir hat das voll Spaß gemacht“, erzählt sie. „Auch, weil ich da nie in irgendetwas eingepresst wurde – und weil ich nicht den Traum hatte, mal auf der Opernbühne zu stehen.“ Natürlich, räumt sie ein, spreche sie da aus einer „privilegierten Position“; sie kam erst später – vom zeitgenössischen Tanz und von ihren eigenen Shows her – dazu. „Ich musste mich also nie in so einem Audition-Umfeld bewegen, wo einem jemand sagt, ob man dafür geeignet ist oder nicht, sondern konnte selbst entscheiden, was ich machen will.“ Insofern spiele bei ihrem Ballettinteresse sicher auch die Faszination eine Rolle, „etwas zu tun, wo man sich eigentlich exkludiert fühlt – und das trotzdem ernst zu nehmen und gut zu machen.“ Ausgebildet wurde Florentina Holzinger an der School for New Dance Development (SNDO) in Amsterdam. Und auch, wenn sich ihre Choreografinnenkarriere von außen durchaus zwingend anfühlt, war ihr Weg nicht vollkommen gerade. Vor ihrer Tanzausbildung hat Holzinger in Wien zunächst ein Jahr Architektur und ein Jahr internationale Betriebswirtschaftslehre studiert. „Pseudostudien“, wie sie sagt: „Das ist kaum der Rede wert; ich habe damals schon mehr Zeit ins Tanzen investiert als in diese Fächer.“ Wichtig scheint der Umweg trotzdem gewesen zu sein: „Ich glaube, dass es schon einiges an guts braucht, um sich für so etwas wie Kunst wirklich zu entscheiden, und dass ich ein Jahr Architektur und ein Jahr internationale Betriebswirtschaftslehre benötigt habe, um sehr klar zu merken: Ich kann einfach nichts anderes machen als Tanz.“ Es sei damals „noch gar nicht darum gegangen zu sagen: Ich will jetzt meine eigenen Shows entwickeln“, erinnert sich Holzinger, „sondern ich wollte einfach nur körperlich viel arbeiten“,
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Tänzerin werden. Dass sie dann trotzdem „relativ rasch in der Choreografie gelandet“ ist, liege daran – so Holzinger –, „dass ich bei Auditions einfach nicht reingekommen bin; also bei allem, wo Leute wollten, dass man mehr einer bestimmten Sache entspricht.“ Die Geburt einer steilen Choreografinnenkarriere aus dem Geiste der puren Not? Holziger lacht. „Das Einzige, was mir dann übrig geblieben ist, war tatsächlich, selber Shows zu machen.“ Aber im Ernst: „Im Nachhinein bin ich natürlich sehr dankbar dafür, aber damals war das sicher nicht mein Traum.“ Die ersten beiden Jahre ihrer Ausbildung habe sie denn auch leidenschaftlich „gehasst“, berichtet die Künstlerin freimütig: „Ich war sehr enttäuscht davon, dass alle am Boden rumgelegen sind und eben da nicht viel Virtuosität gelernt wurde.“ Eigentlich habe sie ständig gedacht: „Wie soll ich meine eigenen Shows machen, wenn ich nicht wirklich diszipliniertes Tanztraining habe?“ Es dauerte eine Weile, bis sie realisierte, „was für eine Freiheit darin liegt“. Im Zuge ihrer vorletzten Arbeit, „Apollon“, hat Florentina Holzinger die „radikale Entscheidung getroffen, nur mit Frauen zu arbeiten“ – was übrigens keine dogmatische und auch keine endgültige, sondern eine organisch aus dem künstlerischen Prozess heraus entstandene Entscheidung ist. „Das hatte einfach damit zu tun, dass ich mich sehr spezifisch auf bestimmte Themen stürzen, darin sehr genau sein und auch starke Statements machen wollte“, erklärt die Choreografin. An diesem Punkt sei die Nacktheit für ihre Arbeit wesentlich geworden: „Ich hatte überhaupt keinen Bock, da zuerst die Kleidungsfrage zu verhandeln, sondern ich wollte von vornherein wirklich den Körper schlechthin zum Thema machen, auch ohne da irgendetwas zu verschönern oder so.“ Holzinger hält kurz inne. „Das ist einfach ein extrem powervolles tool, das man hat: der eigene Körper“, sagt sie dann. Hinzu kommt ein weiterer Punkt: „Ich zeige den Körper wirklich gern so, wie er eben ist und wie viele andere Körper, die man nicht sieht, höchstwahrscheinlich auch ausschauen“, erklärt sie. „Auch in Bezug auf Training oder Körperdisziplinierung, das sind ja ebenfalls große Themen meiner Arbeit: der Körper als Produkt des kulturellen Umfelds, in dem man sich bewegt; die Frage, was der Körper zu tun hat mit der Art und Weise, wie man ihn behandelt – und auch die Idee, den Leuten wirklich zu erlauben, Körpern bei der Arbeit zuzusehen.“ Beim Tanz – „oder am krassesten bei so etwas wie Ballett“ – ginge es ja um die reine Illusion: „Arbeit soll gerade nicht nach Arbeit ausschauen, und in Wirklichkeit will auch niemand wissen, wie so eine Ballerina trainiert; man
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mag eigentlich nur das Resultat sehen, das eben extrem formell ist.“ Holzinger dreht die Blickrichtung um: Sie interessiert der Prozess mehr als das Produkt. Selbstverständlich geht es bei alledem aber auch darum, „das Publikum vor vollendete Tatsachen zu stellen“. Nacktheit verändert das Blickregime zwischen Bühne und Zuschauerraum. „Da kann dann in dieser Hinsicht praktisch nichts mehr abgeurteilt werden“, meint Holzinger; im Grunde werde „das Erotik-Momentum“ ausgehebelt: „Wenn eine Schauspielerin in einem Gewand auf der Bühne steht, geht es ja trotzdem um das Darunter: Is she hot or not? Und das fällt dann einfach alles weg.“ Außerdem hebe die Nacktheit für sie noch deutlicher hervor, betont die Performerin – und switcht, wie des öfteren bei unserem Gespräch, als international tourende und zwischen Amsterdam und Wien pendelnde Kosmopolitin unversehens ins Englische –, „that this is a person who really is standing behind her own body and people can look at it and it doesn’t matter. It gives a very strong image at somebody. That was also my own experience being naked on stage: dass es einfach wirklich sehr empowering sein kann.“ „Tanz“ – wie auch schon „Apollon“ – zieht auch Zuschauer an, die Holzinger „unsere spezifischen Fans“ nennt: „Uns ist aufgefallen, dass das für gewisse Leute wirklich fast wie eine Art von Pornografie fungiert“, sagt die Choreografin. Manchmal bekämen sie „gut gemeinte Mails“ mit Anregungen, wie sie die Show noch erotischer gestalten könnten. „Das war mir einfach auch nicht klar, und es ist natürlich ein interessantes gesellschaftliches Phänomen.“ Ein „großes Paradox“ nennt sie es – „dass man so gehyped wird als megafeministische Künstlerin, und dann catered man eigentlich zu Leuten, die auch in ein Live-Porno-Kino gehen würden und für die das vielleicht gar nicht so einen Unterschied macht – beziehungsweise die das wegen dieses Kunstkontextes vielleicht sogar noch geiler finden, so als Fetisch-Ding.“ Wichtig – für sie selbst genauso wie für die anderen Performerinnen – sei, „sich da nicht als Opfer zu fühlen“, sondern sich das „richtig klar zu machen“ und trotzdem „nicht einschränken“ zu lassen: „Wir entgegnen ja auch etwas, das das auf die Probe stellt“, sagt Holzinger. Es gibt eine Stelle in „Tanz“, an der sie das Publikum unmittelbar anspricht, ihre Intention für den Abend erklärt und lässig in die Zuschauerreihen hineinfragt, was das so für Leute seien, die sich ihre Show anschauen – und mit welchen Erwartungen: eine ebenso emanzipierte wie wirksame Art, selbst die Definitionsmacht zu behalten.
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Regie
Selen Kara
I love you, Turkey! von
B端hne
Ceren Ercan
Lydia Merkel Kost端me
Deutschsprachige Erstauff端hrung
Anna Maria Schories
7. Dezember 2019 Staatstheater N端rnberg
Dramaturgie
Christina Zintl Musik
Vera Mohrs
Im Vollwaschgang Christian Rakow Die Zeiten sind unwirtlich geworden in der Türkei. Seit dem Wechsel des Regierungschefs Recep Tayyip Erdoğan ins Amt des Staatspräsidenten 2014 werden Öffnung und Säkularisierung der türkischen Gesellschaft peu à peu zurückgedrängt, wird das Erbe Atatürks beschnitten. Regierungskritiker müssen spätestens seit dem Putschversuch gegen Erdoğan 2016 mit härtesten Repressionen rechnen, rund 129 000 Staatsbedienstete verloren wegen angeblicher Verbindungen zum Putsch ihre Anstellung. Teile der Intelligenz verlassen das Land; man spricht bereits von einer zweiten Auswanderungswelle, vom großen „Brain Drain“; die Regierung probiert, Akademiker*innen mit überdurchschnittlichen Monatsgehältern zurückzuholen. Von dieser türkischen Gegenwart erzählt Ceren Ercans Zeitstück „I love you, Turkey!“. Wir sehen junge Intellektuelle: eine Journalistin im Mutterschutz, eine Übersetzerin in der Selbstisolation, einen schwulen YouTuber und eine arbeitslose Wissenschaftlerin. Sie alle ringen mit ihrem Land, das ihnen zu entgleiten droht. Sollen sie auswandern wie so viele ihrer Bekannten, Freunde, Partner? Sollen sie bleiben und erdulden, dass die Daumenschrauben weiter angezogen werden? „I love you, Turkey“, ich liebe dich. Aber was ist der Preis dieser Liebe? In einem Waschsalon treffen sie auf den Ladenbesitzer und Spitzel Alican, der seine ganz eigene Geschichte mit dem Regime hat. Die Istanbuler Uraufführung von „I love you, Turkey!“, in der Regie von Yelda Baskın 2017 im Arbeitervorort Bakırköy am dortigen Stadttheater, dem Bakırköy Belediye Tiyatrosu, herausgebracht, lief im vergangenen Jahr beim Heidelberger Stückemarkt und war dem Vernehmen nach eines der Highlights des Festivals. „Dass dieser mutige, hochpolitische Abend in der Türkei so gespielt wird, ist kaum zu glauben“, schrieb Verena Großkreutz auf dem Festivalportal von nachtkritik.de. Die Dringlichkeit des Stücks wird auch in der deutschsprachigen Erstaufführung, die Regisseurin Selen Kara jetzt am Staatstheater Nürnberg besorgt hat, fassbar. Am eindrucksvollsten wohl in jener Szene, in der Nicolas Frederick Djuren als Waschsalonbesitzer Alican an die Rampe tritt, mit gehetztem, verhuschtem Blick, ein Baum von einem Mann, aber er wirkt in sich eingekerkert. „Wenn du ein bisschen aufsteigst, gibt es auf jeden Fall jemanden, der dich nicht leiden kann. Schlechte Zeiten. Jeden Augenblick
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könnte jemand dich ausspionieren“, sagt er mit gedämpfter Furcht, unterschwellig bebend. Ihn selbst, so erzählt er, haben alte Fotos aus der Uni-Zeit, bei Facebook gepostet, verdächtig gemacht. Ein Karriereknick und das Abgleiten in die Fänge des Staates. Jetzt bespitzelt er selbst Leute in seinem Waschsalon. Für Regisseurin Selen Kara ist es die erste Einladung zu Radikal jung. Die Tochter türkischer Einwanderer wurde 1985 in Velbert, Kreis Mettmann, in Nordrhein-Westfalen geboren. Sie studierte ein Jahr auf einer privaten Istanbuler Theaterschule, wechselte dann zu Theater- und Medienwissenschaft an der Universität Bochum. Eine Übersetzertätigkeit für eine „Faust“-Inszenierung des Regisseurs Mahir Günşiray brachte sie 2010 ans Schauspielhaus Bochum während der Intendanz von Anselm Weber. Sie blieb als Regieassistentin, debütierte mit „Blaubart – Hoffnung der Frauen“ von Dea Loher 2014 als Regisseurin. Auch nach dem Weggang von Weber arbeitete sie am Theater ihres Wohnorts Bochum, inszenierte 2018 in den Kammerspielen des Schauspielhauses „Träum weiter“ aus der Feder der Drehbuchautorin Nesrin Şamdereli. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Musiker Torsten Kindermann, und Akın Emanuel Ş ipal schuf sie 2015 fürs Theater Bremen den Sezen-Aksu-Liederabend „Istanbul“, der zum Nachspielhit avancierte und von Kara selbst in Bochum und Mannheim wiederaufgelegt wurde. Danach war sie erst einmal auf das Format Liederabend abonniert, wie sie beim Telefonat erzählt. Von dem Rollenmodell löst sie sich gerade. „Ich will jetzt nicht nur die Türkeibeauftragte sein oder die Liederabendtante“, sagt Selen Kara. Gleichwohl merkt man auch „I love you, Turkey!“ ihr Händchen für musikalische Entwürfe an. Bei der Hälfte des Stücks, wenn sich die Figuren im Waschsalon zum Schlagabtausch über ihr Leben in der Türkei eingefunden haben, blendet Kara den Siegessong der Türkei beim Eurovision Songcontest 2003 von Sertab Erener ein. Das Licht schaltet auf Dancefloor, die Discokugel funkelt. Das Ensemble zitiert die einschlägige Hüftschwungchoreografie. Und im aufleuchtenden Nürnberger Saal swingt das Publikum leise mit. Es ist der emotionale Höhepunkt der Inszenierung, ein Surfen auf der Popwelle. Aber zugleich auch ein Blitzlicht aus jener Zeit, an die sich die Figuren des Stücks wehmütig erinnern: die Nuller Jahre, als am Bosporus das Tor nach Westen weit offen stand, als die Türkei der EU so nahe war wie seither nicht wieder und als man eben auch mit cheesy Anmachsongs die Herzen des Fernsehpublikums zwischen Dublin und Athen erobern konnte.
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Der Pop-Appeal, der in dieser wie in anderen Songeinlagen des Abends vordergründig wird, bestimmt die Bildsprache der Inszenierung auch auf anderen Ebenen. Selen Kara arbeitet für „I love you, Turkey!“ mit ihrer vertrauten Bühnenbildnerin Lydia Merkel zusammen, die den Ort der Handlung als reizvolle Synthese aus Club und Waschsalon einrichtet. Die Kacheln der Wände fungieren mitunter als Leuchtfelder, die davor getürmten Waschmaschinen, ebenfalls von innen beleuchtet, verströmen einen Hauch von Astro-Bar. Die Spieler*innen kleidet Anna Maria Schories passend in prononcierte Plastikpopkluft mit Faible für Pailletten und Retro80er-Jahre-Blazer. Die Optik ist einem starken formalen Ansatz verpflichtet, Elemente werden gezielt aus einer Farbfamilie gewählt, um die Stimmung zu grundieren: „Es ist mir wichtig, durch das Farbkonzept der Inszenierung eine eigene künstliche Welt zu schaffen“, sagt Selen Kara. Mit türkischen Ornamenten, Teppichen oder ähnlichem zu arbeiten läge ihr fern. Die Anleihen bei der Clubkultur korrespondieren aber auch mit einem wichtigen Twist des Stücks. Immer wieder fragen sich die Akteure, woher ihnen dieser Waschsalon, in dem sie zusammentreffen, bekannt vorkommt – dieser Waschsalon, in dem der Inhaber Alican sie alle festhält, weil er in ihrer Wäsche ein „Help!“-T-Shirt entdeckt hat, das als politisches Statement wider die Regierung eingestuft wird. Und wie sich herausstellen wird, war dieser Waschsalon am Taksim-Platz einst eine Bar, in den Zeiten, als Taksim das Zentrum der nunmehr inkriminierten Liberalität und queeren Kultur war, der Demonstrationsort der Istanbul Gay Pride. Das Stück sucht hier ein symbolträchtiges Gefüge für den politischen Wandel: der Club, der Alkohol, das Bunte und vermeintlich Unreine, all das wird von der Obrigkeit weggeschafft – im Vollwaschgang. Ceren Ercan lässt die Figuren ihres Stücks diesen epochalen Shift umkreisen. „Ernstgemeinte Frage: Muss ich wirklich gehen?“, wirft Emre ins Rund. Sein Freund hat ihn gerade verlassen, er taumelt. „Akzeptier das hier so, wie es ist“, gibt Damla zurück. Auch ihr Ex ist fort, nach Arizona ausgewandert. Zwischen Bleiben und Gehen, zwischen einem zerknirschten Ausharren und dem Liebäugeln mit dem Absprung pendeln hier alle. Die Sachtext-Übersetzerin Irem hat sich ins innere Exil zurückgezogen und verweigert seit 92 Tagen die Körperpflege. Die Dusche hat sie gegen das Rumlungern auf Twitter eingetauscht. Ihre Nachbarin Defne ist gerade im Mutterschutz, ob sie den Weg in ihre Zeitungsredaktion zurückfindet, ist angesichts um sich greifender Publikationsver-
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bote mehr als offen. Ihren neugeborenen Sohn nennt Defne Derwisch, zu Deutsch: Widerstand. Ihre Geschichten, die Gefühlslagen und politische Konflikte in der Türkei sehr unverblümt ansprechen, bringen die Figuren vor allem in Monologen vor, das szenische Miteinander fällt schlanker aus, mitunter gibt es eine schöne trockene Pointe: Damla (Süheyla Ünlü) sagt, als die Runde wegen des strittigen T-Shirts nun schon lange im Waschsalon festgehalten wird: „Anwalt! Hat jemand hier einen Anwalt?“ Darauf Irem (Lisa Mies) mit dem ihr eigenen burschikosen Humor: „Alle Anwälte, die ich kenne, sitzen im Knast.“ So klingt der Sarkasmus aus der gesellschaftlichen Stagnation heraus. Selen Kara sucht immer wieder gezielte performative Auflockerungen des Geschehens. Als Intro und übergreifendes Sinnbild wählt sie eine Szene, die bei Ceren Ercan erst etwas später vorgesehen ist: YouTuber Emre (Amadeus Köhli) bittet zur „Chubby Bunny Challenge“, und alle stopfen sich Marshmallows in den Mund, um im Chor zu sprechen: „Ausnahmezustand Ausbadezustand Aushaltezustand“. Und immer mehr und immer mehr. Sie stopfen die Marshmallows in sich rein, bis das Sprechen zum Würgen und Spucken wird. Der „Aushaltezustand“ – kaum auszuhalten. Es sei ihr wichtig gewesen, mit dem Stück von Ceren Ercan „der Gegenbewegung der jungen Generation, die in der Türkei unterdrückt wird, hier eine Stimme zu geben“, sagt Selen Kara im Programmheft. Eben auch, weil das Stück aus der Türkei selbst heraus spricht, wie sie im Interview unterstreicht, eine „Stimme von dort“ bietet. Wie bei vielen interkulturell angelegten Abenden stand auch das Nürnberger Team vor der Frage, ob deutsche Schauspielerinnen und Schauspieler sich diesen Stoff so umstandslos aneignen können. Im Licht der Identitätspolitik erntet solch ein Vorgehen ja gern Kritik als illegitime kulturelle Appropriation und Bemächtigung. Selen Kara, deren eigene Wurzeln in Nordrhein-Westfalen liegen und deren Türkeierfahrungen aus der Familiengeschichte und aus regelmäßigen Besuchen im Land stammen, geht mit solchen Fragen eher unverkrampft um. „Für mich ist es selbstverständlich, dass jeder alles spielen kann“, sagt sie beim Telefoninterview. Ihren Bremer Liederabend „Istanbul“ hat sie mit deutschsprachigen Schauspielerinnen und Schauspielern eingerichtet und dafür gesorgt, dass diese die türkischen Lieder im Original vortragen. Einen Song in Originalsprache gibt es in „I love you, Turkey!“ auch. „Da müssen wir uns hin entwi-
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ckeln“, sagt Selen Kara ganz unaufgeregt, „dass jeder alles spielen kann, wie ja auch im Rahmen des Genderdiskurses Frauen auch Männer spielen und umgekehrt.“ Ceren Ercans Stück bietet selbst bereits den Bogenschlag zwischen der Türkei und Deutschland an. In einer zentralen Szene spielen Irem und Defne (Lea Sophie Salfeld) eine Szene aus Rainer Werner Fassbinders Beitrag für den Episodenfilm „Deutschland im Herbst“ aus dem Jahr 1978 ein. Es ist die Zeit, als RAF-Terror das Land erschüttert und die BRD-Regierung sich mit härtesten Maßnahmen zur Wehr setzt. Intellektuelle fürchten, als RAF-Sympathisanten gebrandmarkt und verfolgt zu werden. Das Gespenst des Totalitarismus geht um. Fassbinder diskutiert die Lage der Nation mit seiner Mutter, attackiert sie, provoziert sie heftig. Ihm graut vor der Rückkehr des Dritten Reichs, er fordert die Mutter zur Überprüfung der deutschen Vergangenheit und ihrer Gegenwart auf. Sie, leicht eingeschüchtert, auch mit dem Stoizismus des So-isser-halt-der-Sohn, sagt Sätze wie: „Du weißt nicht, was die Leute mit deinen Worten machen. Deswegen würde ich niemanden ermutigen, zu diskutieren.“ Selen Kara hat für ihre Inszenierung die Passage um einige Originalzitate aus der Fassbinder-Episode erweitert und bietet die Conclusio der Mutter: „Das Beste wäre so ein autoritärer Herrscher, der ganz gut ist und ganz lieb und ordentlich.“ Hier drückt sich die kleinbürgerliche Sehnsucht nach
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der Herrschaft des Mittelmaßes aus. Eine Sehnsucht nach Normdiktat, in der türkische und deutsche Verhältnisse gestern und heute plötzlich ganz naherücken. Entsprechend findet man den Schlusssatz der Fassbinder-Szene in Abwandlung leitmotivisch in Ercans Stück wieder: „Ja, ich hab auch Angst, aber ich hab das Gefühl, dass ich nicht weg kann.“ So erzählt „I love you, Turkey!“ von der zerrissenen Heimat, vom inneren Konflikt der jungen Intellektuellen. Ein gespaltener Liebesbrief, ein Bekenntnis zu einem Land, das es nicht leicht macht zu bleiben und nicht leicht zu gehen. In einer Situation, die historisch nicht einzig ist und die über den Bosporus hinausweist. Die Erdoğans unserer Tage sind Legion. Sie pressen intellektuelles Leben in einen Käfig – oder in die Waschtrommel.
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Regie
Ewelina Marciniak
Der Boxer nach einem Roman von
Bühne
Szczepan Twardoch
Miroslav Kaczmarek
Bearbeitung von
Kostüme
Jarosław Murawski
Julia Kornacka Dramaturgie
Uraufführung
14. September 2019 Thalia Theater Hamburg
Susanne Meister Jarosław Murawski Musik
Jan Duszyski
König ohne Reich Georg Kasch Links, rechts, links, rechts, so geht der Rhythmus beim Boxen: Zur melancholisch treibenden Klaviermusik mit Perkussionsakzenten lassen der muskulöse Star-Boxer Jakub Shapiro und der schmächtige Junge Mosche Bernstein wie beiläufig ihre Schuhe auf den Boden tappen – erst die Hacke, dann die Spitze. Während sie sich vor, zurück, nach links und nach rechts bewegen, dabei leicht in den Knien federn, immer synchron und mit den Armen in dieser boxertypischen Habachtstellung, wird daraus ein treibender Beat. Shapiros Hände sind bandagiert, sein Oberkörper nackt, die Füße stecken noch in Straßenschuhen. Da ist einer, der hier zum Trainer wird für den Jungen in Boxerhandschuhen. Einer, der weiß, wo’s langgeht, mit knappen Anweisungen die Richtung vorgibt. Einer, der seinen Körper vollkommen beherrscht, kraftvoll und elegant zugleich. Lässig genehmigen sie sich Variationen des Grundschritts, bis Shapiro sagt: „Die schrecklichste Miene, die ein Boxer aufsetzen kann, ist das Lächeln.“ Jakub Shapiro ist die prägende Figur in Szczepan Twardochs Roman „Der Boxer“. Ein faszinierender Typ: charmant, klug; einer, dessen roher Schönheit Frauen wie Männer erliegen. Ein Gangster zugleich, der für den Paten Jan Kaplica die Drecksarbeit macht: Schutzgeld eintreiben, Säumige bedrohen, hartnäckige Schuldner und sonstige Feinde ermorden. Sein Markenzeichen: Er zerlegt seine Opfer wie Vieh. Dass und wie Shapiro als auf seine ganz eigene Art assimilierter Jude zwischen den Milieus und Kulturen pendelt, gibt Twardoch die Möglichkeit, ein Babylon Warschau zu zeichnen, voll von Typen und Visagen, Bars und Bordellen, Straßenschlachten und Mördergruben. Ein Tanz auf dem Vulkan, der einmal kurz vor dem Ausbruch steht, als sich ein nationalkonservativer, antisemitischer Putsch formiert – und dann aber scheitert. Dass das demokratische System überlebt, erweist sich als Pyrrhussieg. Ein knappes Jahr später marschieren die Deutschen ein. Twardochs Roman, der 2017 unter dem Titel „Król“ („König“) auf Polnisch und 2018 in Olaf Kühls preisgekrönter deutscher Übersetzung erschien, steckt voller Zumutungen: wohlhabende Gangster, die sich als Vertreter der Arbeiterklasse fühlen. Juden mit Blut an den Händen. Ein Polen, in dem nationalkonservative Kräfte von abgeriegelten Ghettos und KZs träumen und an einem Putsch arbeiten. In dem Twardoch andeutet: Wären die Deutschen nicht
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einmarschiert, hätte Polen die „Endlösung“ auch allein hinbekommen. Eine Provokation in einem Land, das sein Heil heute wieder im katholisch geprägten Nationalkonservativismus sucht. Und in dem die Regierung 2018 ein Gesetz verabschiedet hat, demzufolge Menschen, die Konzentrationslager in Polen als „polnische Lager“ bezeichnen, mit Geldbußen oder Haft rechnen müssen. Eine Zumutung ist aber auch der Held selbst, dieser charmante Mörder – und vermeintliche Wohltäter: Shapiro nimmt den 17-jährigen Mosche Bernstein bei sich auf, nachdem er dessen Vater umgebracht hat, einen frommen, armen Juden, der das Schutzgeld nicht bezahlen konnte. So jedenfalls macht es der unzuverlässige Erzähler Mosche aus seiner israelischen Gegenwart 1988 heraus glauben. Schon bald bekommt diese Konstruktion Risse, wird klar: Hier erzählt Shapiro selbst, der sich auf der Flucht vor den Geistern der Vergangenheit in Mosche verwandelte – einen Jungen, der nie bei ihm Unterschlupf fand. In der Gaußstraße, der Nebenspielstätte des Thalia Theaters Hamburg, findet die Regisseurin Ewelina Marciniak in ihrer „Boxer“Inszenierung dafür frappierend schlüssige Lösungen. In einer Art verblichenem Ballsaal, der sich vor einer wie behauenes Silber glänzenden Spiegelwand als Sammelsurium erinnerter Orte erstreckt – kristallfunkelnder Lüster mit Deckenfragment, Bar, Klavier und Sandstrand –, ähneln Jakub und Mosche einander in Kleidung und Haltung. Anfangs gräbt Jakub Mosche aus der Erde unter einem Flugzeug aus wie eine verschüttete Erinnerung, belebt ihn, als erschüfe er ihn erst, spricht durch und für ihn wie bei einer Handpuppe. Bald teilen sie sich den Erzählertext, finden sich zu Spiegelbildern zusammen. Und wenn sie den schon erwähnten Boxrhythmus tänzeln, dann zeigt das einerseits einen Lehrer und einen Schüler und andererseits zwei Versionen desselben Typs. Bei Romanadaptionen für die Bühne kann man viel falsch machen: alles erzählen wollen, zu viele Nebenfiguren auf die Bühne hieven, eine boulevardeske Nacherzählung inszenieren. Marciniak umschifft die Gefahren, indem sie – zusammen mit ihren Dramaturgen Jarosław Murawski und Susanne Meister – eine Fassung erstellt hat, die die Erzählchronologie beherzt umbaut und viele Details der Vorlage in Bilder übersetzt. Gewichtige Themen des Romans lässt sie leitmotivisch durch die Inszenierung geistern wie das Flugzeug, das Jakub und seine Familie nach Palästina bringen soll. Oder den Pottwal, der als Gewalt- und Melancholiesymbol durch den Roman schwebt und hier auf der Tonspur Gestalt annimmt. Überhaupt die Musik: Jan Duszyński mischt Swing, Jazz,
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Charleston mit dumpfem Stampfen und geisterhaften Geräuschen, scharf akzentuiert durch Anita Wälti, die als Live-Trompeterin Teil des Bühnengeschehens wird. Rasend schnell kippen hier die Szenen ineinander. Etwa die Annäherung Jakubs und Ryfkas. Eben noch gräbt der kleine Mosche – der hier ein Junge von vielleicht acht Jahren ist, also noch unschuldiger und verletzlicher wirkt als im Roman – mit einem Champagnerglas die elegante Prostituierte an, schon entblößt sie vor Jakub ihre Schultern. „Ich will Wodka mit Ihnen trinken“, sagt sie, schenkt ihm ein Glas ein und setzt selbst die ganze Flasche an die Lippen. Im nächsten Moment küsst sie ihn auf den Mund, nicht umgekehrt, während den Shapiro-Darsteller Sebastian Zimmler in diesen Momenten bei aller Coolness auch etwas Jungenhaftes umweht. Zack, liegen sie im Bett – dass es nur der Bühnenboden ist, tut ihrer Zärtlichkeit und Vertrautheit keinen Abbruch. Es sind die Frauen, die in dieser Inszenierung den Takt vorgeben. Und das ist für die Adaption eines Romans, in dem seitenlang Männer unter sich sind, saufen, morden, huren, schon erstaunlich. Es wirkt, als erzählte der Abend über Jakubs Verhältnis zu den Frauen von seinem Verhältnis zur Welt: zu seiner Ex-Geliebten Ryfka, seiner Ehefrau ohne Trauschein Emilia und zu Anna, der Schwester seines stärksten, weil antisemitischen und politisch organisierten Widersachers.
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Die körperliche Gewalt, in der der Roman geradezu schwelgt, wird selten sichtbar auf der Bühne und ist dann stets durch Choreografien gebändigt. Stattdessen pulsiert sie wie ein düsterer Basso continuo unter dem Abend. Und sie dringt in alle zwischenmenschlichen Beziehungen ein, vor allem die der Männer zu den Frauen: Während im Roman Jakub einer der wenigen Männer ist, der die Frauen achtet (allerdings in seiner eigenen Erzählung, der man nicht trauen darf), packt er auf der Bühne unangenehm zu. Die prägenden Elemente von „Der Boxer“ – das Politische, das Choreografische und die Rolle der Frauen – ziehen sich durch nahezu sämtliche Arbeiten Ewelina Marciniaks. 1984 geboren, hat sie sich in der polnischen Theaterszene schnell positioniert und ist – zehn Jahre nach ihrem Debüt – zu einer ihrer markantesten Stimmen geworden. Nach European Studies und Theaterwissenschaft an der Jagiellonen-Universität studierte sie Regie an der Staatlichen Theaterhochschule in Kraków, wo Krystian Lupa zu ihren wichtigsten Lehrern gehörte. Ihrem preisgekrönten Debüt von 2010, Stanisław Witkiewicz’ „Nowe wyzwolenie“ („Neue Befreiung“) am Teatr Polski in Bielsko-Biała folgten Arbeiten in Wrocław, Gdańsk, Szczecin, Kraków, Katowice und Bydgoszcz. Viele ihrer Inszenierungen wurden ausgezeichnet und zu Festivals eingeladen. Für ihre Bekanntheit aber sorgte auch die Politik. Als der katholisch-konservative PiS-Politiker Piotr Glinski ´ im November 2015 Kulturminister Polens wurde, gehörte zu seinen ersten Amtshandlungen der Versuch, Marciniaks Premiere von Elfriede Jelineks „Der Tod und das Mädchen“ am Teatr Polski in Wrocław zu verbieten. Warum? Marciniak hatte neben Schauspielerinnen und Schauspielern auch Pornodarsteller auf die Bühne geholt. Ihr ging es dabei nicht um Provokation, sondern „um die Rolle der Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft“, wie sie sagt. Da das Teatr Polski nicht dem Kulturministerium, sondern der Woiwodschaft unterstellt ist und sich deren Gouverneur weigerte, präventiv Zensur auszuüben, konnte die Premiere stattfinden. Allerdings demonstrierte die extreme Rechte vorm Theater und bedrohte Zuschauer; Marciniak erhielt Nachrichten wie: „Verlass das Theater nicht, sonst machen wir dich fertig.“ Wenig später wurde der Vertrag des Intendanten des Theaters nicht verlängert – Minister Gliński hatte offen damit gedroht, sämtliche staatlichen Zuschüsse zu streichen. „Im polnischen Theater schätzen mich die Leute für mein Handwerk, meine Arbeit mit den Schauspielerinnen und Schauspielern und meine Sensibilität für die Gesellschaft“, sagt Marci-
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niak zu den Protesten. „Die Exzesse der neuen Regierung werden das nicht ändern. Natürlich gibt es Festivalleitungen, die sich nicht mehr trauen, meine Inszenierungen einzuladen. Das macht mich traurig. Besonders schade ist es für die Schauspieler und die Energie, die sie in die Inszenierung gesteckt haben. Aber auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer, die die Möglichkeit verlieren, meine Theaterarbeit zu sehen.“ Neben Jelinek, die sie mehrfach inszenierte (etwa „Die Liebhaberinnen“ am Gdańsker Teatr Wybrzeże), verhalf Marciniak auch anderen zeitgenössischen Autorinnen und Autoren auf die Bühne. Deutschsprachigen wie Roland Schimmelpfennig und Nis-Momme Stockmann. Und polnischsprachigen wie Olga Tokarczuk. Schon vor dem „Boxer“ inszenierte sie Szczepan Twardochs Roman „Morfina“ („Morphin“), „weil er nicht nur polnische, sondern aktuelle europäische Probleme beschreibt und eine sehr sinnliche Welt erschafft, die ein großes Potenzial fürs Theater besitzt“. Wie viele Regisseure hat auch Marciniak ein festes Netz an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geknüpft. „Ich arbeite häufig mit Leuten zusammen, die auch meine Freunde sind“, sagt sie. Sie interessiert „ein nicht hierarchisches, empathisches Theater, ein gemeinsames Erfühlen der Welt“. Natürlich, erklärt sie, „komme ich mit einem Stoff, den ich machen möchte, und konkreten Ideen dazu. Und ich bin auch für das Ergebnis verantwortlich. Aber die Zusammenarbeit und der Input meiner Teams sind essenziell.“ So erstellt Jarosław Murawski viele der Theaterfassungen von Romanen; Choreografin Dominika Knapik kümmert sich um die genauen Bewegungsstudien. Auch in „Der Boxer“ sorgt sie dafür, dass die Figuren aus einer beiläufigen Geste in grelle Tänze ausbrechen oder mitten im wortreichen Boxkampf sich wie in Zeitlupe windenden Würmern gleichen. Woher kommt dieser tänzerische, körperliche Ansatz? „Theater ist für mich zuerst ein Ort der Begegnung zwischen Schauspielern und dem Zuschauer“, sagt Marciniak. „Ich möchte, dass es bei dieser Begegnung immer um etwas geht. Deshalb bemühe ich mich, eine Theaterbegegnung zu erschaffen, die ein authentisches Erlebnis des gemeinsamen Seins ist, das Erzählen der Geschichte hier und jetzt. Die Choreografie macht es möglich, dass Schauspieler mit dem Zuschauer auf eine andere Kontaktebene kommen – mit ihrer Körperarbeit, ihrem Charakter und der Qualität ihres Ausdrucks.“ Das muss nicht zwingend choreografisch geschehen. Im „Sommernachtstraum“ am Theater Freiburg, ihrem DeutschlandDebüt 2018, sind Töchter nur die Verfügungsmasse der Väter.
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Wenn Herrscher Theseus Hermia dann begrapscht und ihr bei der Liebesbefragung zwischen die Beine klettert, dann weitet er dieses Prinzip auf unerträgliche Weise auf alle Männer aus. In „Die Bartholomäusnacht“ wiederum, Marciniaks zweiter Freiburger Inszenierung 2019, sind die Körper reine Projektionsflächen: Anfangs liegt die Leiche von Heinrich II. aufgebahrt, ein nacktes Memento mori. Später wird der Körper der Margarete von Valois von den Brüdern Karl und Heinrich ausgenutzt und missbraucht, dann zum Machtpokerobjekt im Ringen zwischen Katholiken und Protestanten gemacht. Darüber hinaus sind sie theatrale Bedeutungsträger, zeigen Ausschnitte aus Bosch-Gemälden und Fabelwesen. Ein etwas unterkühltes Staatstheater, in dem niemand seinen Rollen entkommen kann. In Hamburg löst sich die Körperarbeit vollkommen überzeugend ein, weil hier Menschen zu sehen sind, die glauben, ihr Schicksal in der Hand zu haben, während sie längst wie aufgezogene Puppen zu einem wildgewordenen Rhythmus tanzen. Dennoch erlebt man keine Marionetten, sondern Schauspielerinnen und Schauspieler, die trotz klarer Umrisse ein Strahlen umgibt.
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Sebastian Zimmler ist eine Idealbesetzung für Jakub Shapiro, cool und verletzlich, lässig und dünnhäutig, ein ganzer Kerl mit jungenhaften Zügen, der oft verloren ins Weite blickt. Wenn seine Stimme ins Fragende kippt, scheint die gesamte Bühne zu wanken. Wenn er grinst, werden einem die Knie schwach. Um ihn all die Frauen: Emilia, bei Anna Blomeier eine elegante und selbstbewusste Frau, in deren heile Welt die polnischen Nazis eindringen wie die Brandstifter bei Biedermann. Ryfka, die bei Rosa Thormeyer spöttisch glüht und so leidenschaftlich lieben wie hassen kann, sich immer wieder höchst körperlich in die Familienkonstellation drängt. Daneben grinst Toini Ruhnkes Anna schnippisch und naiv triumphierend. Wenn Sven Schelker seinen Kulturredakteur Bobiński als aasige Karikatur eines schwulen Nazis anlegt, der sich an rechten Protesten gegen das Theater delektiert, dann wirkt das wie eine Reaktion Marciniaks auf die Proteste gegen ihre Jelinek-Inszenierung. Allerdings klingt Bobińskis Suada ebenso nach AfD-Kampfschrift: Er fordert, die Klassiker so zu inszenieren, dass sie zur Identifikation taugen („Die traditionelle Küche schmeckt doch immer noch am besten, ne?“), während das Theater heute zu oft zur „antifaschistischen Erziehungsanstalt“ degradiert werde. Das steht so nicht im Roman. Marciniak und ihr Team zeigen, dass jede Art von Nationalismus eine Bedrohung ist. Immer wieder ziehen sie die Erzähllinien weiter bis zur Shoah, sprechen die Protagonistinnen und Protagonisten von Ausgrenzungserfahrungen, Judensternen, Selektionen, Konzentrationslagern. Marciniaks Figuren wissen mehr als im Roman, auch mehr, als sie zum Erzählzeitpunkt wissen können. Weil der Roman ohne Auschwitz nicht zu denken ist. Das ist überhaupt der entscheidende Kunstgriff Marciniaks: Aus Twardochs komplexer Verbrecherballade mit Jazz-Kolorit macht sie einen Abend über das Verdimmen der Menschlichkeit. Jakub Shapiro glaubt nicht an Gott, nur an das Monströse, „weil es keine Menschen gibt, sondern nur Kreaturen“, wie er am Ende des Abends verkündet. Das ist die Tragik, die Fallhöhe: Shapiros Welt gerät aus den Fugen, weil auch andere so denken, ihn zum Opfer machen. Seine Hybris besteht darin, dass er sich für unbesiegbar hält – und so seine Familie verliert. Seine Strafe: dass er, der gestürzte König von Warschau, überleben muss, gefangen in der Erinnerung an ein lässiges Leben vor der Shoah, die er nicht kommen sah.
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Regie
Bonn Park
Das Deutschland von
Bühne und Kostüme
Bonn Park
Julia Nussbaumer Dramaturgie
Uraufführung
Victoria Weich
17. Januar 2020 ETA Hoffmann Theater Bamberg
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Im Gruselkabinett Christian Rakow Es gibt diese Momente, in denen man sich als Kritiker verwundert die Augen reibt: Wie bitte, dieses hier ist tatsächlich die erste Einladung für Bonn Park zum Festival Radikal jung? Das Festival entdeckt und präsentiert ja Künstler*innen, die unsere Theaterszene in den kommenden Jahren entscheidend prägen werden. Meist noch zu Beginn ihrer Karriere. Aber Bonn Park? Der ist beileibe kein unbeschriebenes Blatt. Er machte schon vor Jahren bei den Stückewettbewerben in Heidelberg und beim Berliner Theatertreffen als Autor auf sich aufmerksam. Im letzten Jahr legte er als Autor und Regisseur mit der ko(s)mischen Oper „Drei Milliarden Schwestern“ an der Volksbühne den Hit der Berliner Theatersaison hin, gewann den renommierten Friedrich-Luft-Preis und wurde zum Nachwuchskünstler des Jahres beim Fachblatt Theater heute gekürt. Eine Einladung nach München ist seinerzeit aus technischen Gründen gescheitert. Mit seiner Bamberger Stückentwicklung „Das Deutschland“ ist er in diesem Jahr erstmals zum wichtigsten deutschen Autorenwettbewerb bei den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Und eben auch zu Radikal jung. „Das Deutschland“ ist eines der Stücke, wie es sie auf deutschen Bühnen viel zu selten gibt: politisch, aber ohne sauertöpfische Miene, ungezwungen popkulturell grundiert, von einem lässigen Grundgestus getragen und im Ganzen ein Heidenspaß. Als „Horror-Stück“ gibt es sich zu verstehen, aber es ist ein Horror der skurrilen Art: Die kleine, zehnjährige Emulie ist übers Wochenende bei der Familie ihres Freundes Lonnart zu Gast. Aber etwas stimmt nicht, die Eltern verströmen eine morbide, steife Freundlichkeit. Emulies Handy hat keinen Empfang, und die Tür nach draußen ist leider „gerade beim Handwerker“. Also gibt es kein Entrinnen. Während Emulies Unbehagen in dem hübschen, betont makellosen Ferienhaus stetig wächst, ergehen sich die Eltern in seltsamen Einübungen der Etikette: „Wie sollst du mich nennen?“, bezirzt die Mutter ihren Sohn, als der sie „Mama“ ruft. „Sondra“, sagt Lonni. Darauf der Vater: „Und mich?“ Der kleine Lonnart pariert erneut aufs Wort: „Thumas“. Und dann geht es minutenlang hin und her: „Wie sollst du mich nennen?“ Ein Exzess aus dem Geiste der liberalen Erziehung. Das vormals antiautoritäre Beim-Vornamen-Nennen wird zum Dressurakt. Bis beim Sohn das Blut fließt. Oder in der Regieanweisung von Bonn Park: „Blut läuft aus seiner Nase über seinen freundlichen Mund.“
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Freundlichkeit, bis das Blut kommt. Das ist das Grundmotiv dieser Deutschlandansicht. Und es beschreibt auch die erzählerische Haltung bzw. die Temperatur, mit der Bonn Park die Dinge vorführt. Mit kühler Souveränität platziert er Widerhaken in seiner Prosa, spielt er lakonischen Witz ein; das Bizarre und Abgründige wirkt bei ihm wie beiläufig schraffiert. Bonn Park hat Szenisches Schreiben an der Berliner Universität der Künste studiert, die als eine der zentralen Ausbildungsstätten für neue Dramatik gilt. Thomas Köck, Nis-Momme Stockmann, Darja Stocker, Katja Brunner, Konstantin Küspert und Michel Decar zählen zu den Absolventen. Um nur einige zu nennen. Bonn Park begann sein Studium 2010. Wobei er das Schreiben von Anbeginn lediglich als Bestandteil eines Rüstzeugs fürs Regieführen ansah. Heute schreibt Bonn Park in der Regel keine Stücke für andere, sondern konzentriert sich auf die Arbeit mit eigenen Texten. Er sieht sich immer mehr als Stückentwickler, der im Probenprozess den Text gestaltet und ausformuliert. Typische Theaterbetriebsfragen, ob er Autor oder Regisseur sei, oder ob sein Werk als Uraufführung firmieren könne, hält er für kunstfern, so merkt man beim Gespräch in einem Kreuzberger Café. „Man hat einen Stoff und macht daraus ein Theaterstück“, sagt er. Diesen Akzent auf dem „Machen“, das sich nicht um Label kümmert, habe er aus der Berliner Volksbühne mitgenommen. Das sei die Grundhaltung dort gewesen. Und dass Theater ein „sinnliches Medium“ ist, kein „akademisches oder essayistisches“. Bonn Park kam schon als Jugendlicher an die Volksbühne, schnupperte als Hospitant auch bei den stilbildenden Künstlern des Hauses, Frank Castorf und René Pollesch, rein. Der Sohn koreanischer Einwanderer, der 1987 in Berlin geboren wurde und in Lankwitz im Südwesten Berlins aufwuchs, durchlief den legendären Volksbühnen-Jugendclub P14 bei Leiterin Vanessa Unzalu Troya. Zahllose Originale gingen aus dieser Schule hervor: Spieler*innen wie Lilith Stangenberg, Maximilian Brauer, Lisa Hrdina oder die jung verstorbene Maria Kwiatkowsky sowie jüngere Theatermacher*innen wie Nele Stuhler oder Jan Koslowski. Bei P14 war man zugleich Spielender und Inszenierender, Autor, Bastler, was auch immer. Talente bildeten sich im gemeinsamen Arbeitsprozess heraus. Als Heimkehrer schuf Bonn Park 2018 für P14 „Drei Milliarden Schwestern“ und rückte mit der Produktion in den unebenen Volksbühnen-Zeiten im Wechsel von Intendant Frank Castorf zu Chris Dercon hin zu Klaus Dörr unversehens auf die Große Bühne. Ein Teufelsritt: Bonn Park, der zuvor noch nie ein Libretto geschrie-
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ben oder eine Oper inszeniert hatte, verband sich mit dem Komponisten Ben Roessler, der noch nie im Musiktheater aktiv gewesen war und sich für seine Orchesterpartitur unverfroren bei Verdi, Mozart und Konsorten bediente, ebenso wie bei Jazz und Pop. Das Ganze wurde eingesungen und gespielt von P14-Spielerinnen (tatsächlich war es bis auf eine Ausnahme eine rein weibliche Besetzung) und begleitet vom Jugendsinfonieorchester des Berliner Georg-Friedrich-Händel-Gymnasiums unter Leitung von Knut Andreas. Und dieser kollektive Salto mortale ins kühle Wasser schlug hohe Wellen, wurde zum Ereignis. „Drei Milliarden Schwestern“ erzählt mit schrägem Humor von der existenziellen Bedrohung der Menschheit: Ein Komet rast auf den blauen Planeten zu, aber niemand mag sich aufraffen, um irgendwas zu tun oder zumindest den anwehenden Nihilismus zu fliehen. Alle hängen lethargisch rum und lamentieren über die Krankheiten der Jugend (ADHS, Asperger, Borderline-Syndrom, Burnout) und das stagnierende Leben überhaupt. Ein Generationenporträt mit leisen Anklängen an die Klimaapokalypse. Tschechows „Drei Schwestern“ lagerten im Hintergrund des Librettos, ebenso Michael Bays Hollywood-Endzeitschinken „Armageddon“. Wie die Vorgängerarbeit zeigt sich auch „Das Deutschland“, das Bonn Park als Stückentwicklung fürs ETA Hoffmann Theater Bamberg beruhend auf eigenen Recherchen und Gesprächen mit dem Ensemble schuf, vom Kino inspiriert. Aus Jordan Peeles antirassistischer Gruselsatire „Get Out“ (2017) bezieht „Das Deutschland“ sein Familienbesuchs-Setting sowie einige motivische Anleihen. Auch Ari Asters rituellen Nervenkitzel „Midsommar“ (2019) habe das Team zu Inspirationszwecken während der Proben geschaut, erzählt Bonn Park im Gespräch. Für die bedrohliche Tonspur sei vor allem David Robert Mitchells Teen-Schocker „It Follows“ (2015) dienlich gewesen. Aber auf blanken Horror muss man sich bei „Das Deutschland“, anders als in den Filmreferenzen, nicht einstellen. Eher wird es komisch, seltsam, herrlich merkwürdig. Das Komische siedelt ja bekanntlich in der Nähe des Horriblen: In der Verfremdung des Alltäglichen, in der leichten Verrückung, im Mechanisch-Werden des Lebendigen finden sich die Momente, in denen der Schrecken ins wundervoll Schrullige kippt und wieder zurück. Und mechanische Ticks gibt es hier zuhauf. Mit gezwungenem Dauergrinsen schleicht Daniel Dietrich als Sohnemann Lonnart durch das traute Heim, das Ausstatterin Julia Nussbaumer in erlesener Volllaminatoptik in die Bamberger Studiobühne gezirkelt hat. Seine Eltern
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wirken fast schon plastiniert in ihrer bürgerlichen Selbstgewissheit: Sondra (Ewa Rataj) stets jovial mit hohen Wangenknochen; eine braune Retrolederbluse gibt ihr eine herrische Note. Und Thumas (Paul Maximilian Pira) als kumpeliger Pilzkopfträger, der im Look noch einen Hauch Brit-Pop abbekommen hat, im Gemüt aber einen Kälteschock. Gern hantieren sie mit einem übergroßen Holzmesser, wie überhaupt alles auf Nussbaumers Bühne nach Holz ausschaut und hölzern wirken soll. Einmal sortiert Lonnart minutenlang den Discounter-Einkauf der Familie: Cervelatwurst, Leberwurst, Speckwürfel. „So billig und so viel!“ Das ist das gute Leben am Tropf von „LÖDL, ÖLDI und PANNÜ“ (eine schräge Vorliebe für Vokalverballhornungen durchzieht den Text). Immer wieder schickt Bonn Park das Personal in aberwitzige Routinen und Wiederholungsschleifen. Und gibt uns die volle Breitseite deutschen Bullshits: Man lamentiert über E-Tretroller auf Bürgersteigen, über Leute, die zu Unrecht BahnComfort-Plätze besetzen, mokiert sich über Obdachlose, Ausländer, Frauen, die eigentlich „viel schöner“ seien, wenn sie „öfter lächeln“, aber sie tun’s halt nicht. „Ich hoffe, du hast einen scharfen, passiv aggressiven Ton gewählt!“, sagt Thumas, wenn es gilt, störende Nachbarn, die „zu viel Dezibel zu einer falschen Zeit in die Welt gesetzt“ haben, in die Schranken zu weisen. Anerkennung findet in diesem Hause vor allem der größte Humorist des Landes „Göntah Jauch“ oder der neueste „Tatort“, der dankenswerterweise wieder einmal „mittel“ gewesen sei. Und „mittel“ ist das Beste, das man sein kann. Sagen sie und verstrahlen wieder ihr Wachsfigurenlächeln von Madame Tussauds’ Gnaden. An satirischer Schärfe lässt „Das Deutschland“ nichts zu wünschen übrig. Der Diskurs der „Mitte“, der sich gerade in jüngeren Debatten wieder verstärkt Gehör verschafft und mit Leitkulturfolklore gegen alles Abweichende und Fremde auftrumpft, wird hier selbst als Brutstätte von Gewalt vorgeführt. Ähnlich wie die Filmvorlage „Get Out“ (in der das Bewusstsein von weißen Mittelschichtsamerikanern via Gehirntransplantation in die „vitalen“ Körper schwarzer Opfer eingepflanzt wird) ist Bonn Parks Horrormärchen eine eminent politische Parabel. „Alles könnte schief gehen, aber wenn man alles so lässt, wie es ist, alles so macht, wie man es kennt, dann wird wahrscheinlich alles in Ordnung sein. Sie nennen es die deutsche Mittelmäßigkeit. Aber wenn man die deutsche Mittelmäßigkeit verlässt und etwas ausprobiert, dann kann alles enden“, beschreibt Lonnart einmal den Ungeist in seinem elterlichen Hause. Ein Geist, der Gespenster gebiert: Mitunter erschei-
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nen im Garten vor dem Theater oder in den Fenstern oberhalb der Bühne finstere Horrorclowns mit Bommelmützen, bieten Parolen („Angst! Angst! Angst!“) oder singen die Nationalhymne. Das sind die Ausgeburten der kleinbürgerlichen Besorgnis, Wiedergänger von Pegida und Konsorten. In diese Welt der bürgerlichen Zwangsvorstellungen und Zwangsregime schickt Bonn Park das Mädchen Emulie. Als Integrationsopfer. Clara Kroneck stellt sie mit gebremster kindlicher Staunensbereitschaft vor (wie die herrliche Gebremstheit des Ensembles dem Abend ohnehin eine ganz eigentümliche Schwerkraft verleiht). In pinkem Kleid, mit pinker Gesichtsfarbe steht Emulie vor den Gastgebern. Eingangs rattert sie in schier endloser Plapperei herunter, wie ihr Tag in der Schule so war (Clara Kroneck fungiert in dieser Passage als Ko-Autorin, die den extemporierenden Monolog selbst zum Skript beigesteuert hat). Ein Quasselexzess von höheren Gnaden, der zugleich das Sperrige und schlecht Integrierbare dieses Kindes markiert. „Emulie! Du arme, neugierige, risikofreundliche, stürmische, außergewöhnliche Ideenmaschine“, spricht Sondra sie einmal an. Als „Ideenmaschine“ hat man es selbstredend nicht leicht in einem Milieu, das dem behaglichen Stillstand huldigt. Es macht den Charme dieser Komposition aus, dass Bonn Park nicht auf schlichte Gegenüberstellungen setzt. Clara Kroneks
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Auftritt mit ihrer Emulie als Verkörperung der „Fremden“ wirkt keinen Deut vitaler oder lebensfreudiger als die mumifizierte Leutseligkeit der anderen drei. Ein robuster Filter liegt über der gesamten Szenerie, eine umfassende Aura des Absonderlichen. Ob dieses Stück auch vor zehn Jahren so entstanden wäre, vor dem Erstarken der neuen Rechten und der wachsenden Xenophobie, die sich bis in die Mitte (!) der Feuilletons hinein artikuliert, frage ich Bonn Park bei unserem Treffen. „Ja“, sagt er, „aber es wäre wohl lustiger, ironischer geworden.“ Er ist mit dem Thema ernster geworden. Die Abneigung gegen „alles, was fremd und neu ist“, sei heute schon sehr stark. Ob der Entstehungsort Bamberg sich auf das Stück ausgewirkt habe, frage ich noch. Bamberg sei schon ein sehr „hermetischer“, auch wohlständiger Ort. Bambergs Altstadt ist UNESCO-Weltkulturerbe, eine „deutsche Version von Disneyland, so wie Deutschland sich gern sehen möchte“, wie Bonn Park sagt. Man kommt an einem solchen Ort auf Anekdoten und Erzählungen von der „deutschen Seele“, von der Sehnsucht nach Normalität, die schnell ins Gewaltförmige umschlagen kann. Und sei es nur bei Rentnern, die Radler vom Rad stoßen, wenn sie ihnen auf dem Bürgersteig begegnen. Aus solchen Erlebnissen bezog das Team in seinem Brainstorming das Material. Das Material für eine düstere Groteske, die viel über „Das Deutschland“ erzählt, wie es sich in unseren Tagen darstellt.
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Regie
Max Pross
Das Totenfest nach
BĂźhne
Jean Genet
Mara-Madeleine Pieler
Premiere
KostĂźme
22. November 2019 Deutsches Schauspielhaus Hamburg
Clarissa Freiberg Dramaturgie
Finnja Denkewitz Musik
Raphaela Andrade
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Liebe kennt keine Grenzen C. Bernd Sucher „Ich liebe ihn noch immer!“, sagt Josef Ostendorf, allein an einem Tisch sitzend, vor sich ein Glas Rotwein. Er trägt – nach vielen Verwandlungen zuvor, nach Kleidungs- und Rollenwechseln – jetzt nur ein schwarzes Unterhemd, eine weite Unterhose und Kniestrümpfe, eine Perlenkette um den Hals. Ein trauriger, lächerlicher Typ. Nichts versteckt den massigen Körper, das nackte Fleisch. Dieser letzte Satz, gesprochen in die Dunkelheit des Raums, beendet einen Theaterabend, der nur ein Thema hat: die Liebe. Die Liebe eines Mannes zu einem Knaben. Ostendorfs erste Worte, die er in eine Schreibmaschine hackte, waren ein Geständnis: „Ich liebe junge Männer!“ Wehmütig und zugleich stolz pries er gleich darauf die Schönheit der Knaben und ihr „knabenhaftes Heldentum“ im von den Deutschen besetzten Frankreich. Der korpulente Ostendorf, der sechzigjährige Mann mit der Halbglatze, spielt Jean Genet. Und der sehr junge Paul Behren, knabenhaft, ephebisch, spielt Genets Liebhaber Jean Decarnin. Ihm, der im Kampf fiel, widmete der französische Dichter ein literarisches Totenfest. So auch der Titel des Romans, in dem der Tod zusammen mit der Hochzeit gefeiert wird. In Genets Œuvre sind beide sehr oft Ziel von Leben. Decarnin gehörte zu einer Widerstandsgruppe, die gegen die deutschen Besatzer kämpfte. Während der Befreiung von Paris wurde er tödlich verwundet. Bevor der Dichter auf der kleinen Spielfläche das Wort ergreift, sehen wir Paul Behren, der wie ein DJ Sounds sampelt – bis er abrupt die Stopptaste drückt. In die Stille hinein befragt er sich und die Zuschauer – denn alles Spiel an diesem Abend ist eines, das sich direkt an die Zuschauer richtet, die an allen vier Seiten, sehr dicht an den Darstellern, sitzen. Ausgeliefert. Behren zitiert aber nun nicht Genet, sondern einen Fremdtext, den der Regisseur Max Pross hinzugefügt hat. Eine Passage aus dem Drama „Der große Gott Brown“ von Eugene O’Neill: „Warum habe ich Angst davor zu tanzen, ich, der Musik, Rhythmus und Grazie, Gesang und Gelächter liebt? Warum habe ich Angst davor zu leben, ich, der das Leben und die Schönheit des Fleisches und die lebendigen Farben von Erde, Himmel und Meer liebt? Warum habe ich Angst vor der Liebe, ich, der die Liebe liebt?“ Neben diesem O’Neill-Zitat gibt es ein weiteres von Rainer Werner Fassbinder aus dessen Film „Berlin Alexanderplatz“. Warum diese Zusätze? „Beide Texte“, so erklärt Pross, drückten ein
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unterschiedliches Befremden gegenüber der gesellschaftlichen Wirklichkeit aus, in die Menschen hineingeworfen würden. „Bei O‘Neill wird eine tiefe innere Krise ausgesprochen, die dadurch hervorgerufen wird, dass die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben mitnichten frei und einfach erfolgt. Traditionelle sowie modische, temporäre Regeln ordnen unser Miteinander, damals wie heute. Bestimmte Lebensentwürfe, innere Konditionen machen ein Andocken an die Mitmenschen schwer bis unmöglich. Um der Figur von Paul Behren einen eigenständigen Charakter zu verleihen, der mehr ist als nur eine Kreation des Autors, den Josef Ostendorf spielt, beginnen wir mit dieser Einsamkeit in Worten. Der Fassbinder-Text hat im späteren Verlauf des Stückes eine ähnliche Funktion. Wie beim O‘Neill-Text kann man ihn als ein inneres Zwiegespräch begreifen, das versucht mit dem In-die-Welt-geworfen-Sein klarzukommen.“ Die Wahl dieses Romans als Vorlage für einen knapp einstündigen Theaterabend verblüfft. Zum einen, weil dieser Text, oft genug kritisiert als ein „Gesang an den Faschismus“, eine dichterische Provokation ist. Genet durchbricht mit diesem verstörenden Poem die gängigen und akzeptierten politischen und gesellschaftlichen Denkmuster. Sehr gewagt verknüpft er Liebe und Mord; Leidenschaft und Krieg. Selbst Hitler tritt darin auf. Pross ist fas-
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ziniert von diesem Autor: „Wie in einem Wahn hat Genet in den 40er Jahren fünf Romane geschrieben, die mit nichts vergleichbar sind, was mir bisher in der Literatur begegnet ist. Genet schaut aus einer gesellschaftlichen Außenperspektive auf die Dinge, auf die zwischenmenschlichen Geschehnisse, die in seinen Romanen verhandelt werden. Sie alle sind nicht abstrus, sondern greifen auf die Möglichkeiten unserer Wirklichkeit zurück. Er beschreibt realistische Situationen; und sie unterliegen nicht dem moralischen Kompass ihrer Entstehungszeit, auch nicht einem der vielen, die heute angeboten werden. Die Orientierungsschilder Gut und Böse, die ja bekanntlich eh von jedermann willkürlich irgendwo aufgestellt werden, verlieren ihre Bedeutung und, vor allem, ihre Weisungsmacht. Wir stehen in einem Wunder ausstrahlenden Dschungel, der, bei aller Faszination, einen ständig die Gefahr spüren lässt.“ In seinen Dramen verhandelt Genet nichts Anderes; und die Grenzübertretungen, die manchmal obszönen Tabubrüche gibt es darin auch. Warum wählte Pross den schwierigeren Weg der Dramatisierung eines Prosatextes? „Der Sprache und des Stoffes wegen. Ob der Stoff in Form eines Theaterstückes, von Gerichtsakten, von Videomaterial oder in Form eines Romans vorliegt, ist
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aus meiner Sicht zweitrangig. Daher ist es für mich nicht näherliegend, im Theater ein bereits geschriebenes Theaterstück zu inszenieren. Das ist zum Glück nur eine von vielen Möglichkeiten, zum Glück der Theatermacher und der Zuschauer. ‚Das Totenfest‘ ist ein ausgedehntes Zwiegespräch Genets mit seiner Liebe und ihrer Vergangenheit. Rücksichtlos gegenüber allen mir bekannten Geschmäckern des Denkens und der Moral befragt er die Bedingungen von Liebe und wirft en passant zwei Fragen auf: Was ist der Tod? Was ist das Leben? Genet fragt doch – wie übrigens auch Woody Allen –: Was bleibt von uns, wenn es das Universum nicht mehr gibt und alle Atome oder Elementarteilchen, die darin vereinzelt oder in einem Körper gefangen rumflitzen, verschwunden sind?“ Der Raum dieser „theatralen Installation“, wie Pross seine Arbeit nennt – gestaltet von Mara-Madeleine Pieler –, ist ein Mysterium. Um einen zentralen Ort, an dem ein Tisch steht und ein Stuhl, gruppieren sich diverse klitzekleine Spielflächen: eine Empore für Jean Genet; eine Sofa-Ecke für Jean Decarnin. Auf dem schwarzen Boden, auf dem sich wie Rinnsale gelbe Spuren finden, aufgehäuft: Asche – oder Sand? Ein Spiegel. Was soll das Format „theatrale Installation“ bedeuten? „Der Zuschauer guckt nicht auf die Bühnenwelt, er sitzt in ihr. Der Wunsch dabei ist, den Zuschauer als genuin Externen stärker einzubinden. Er ist, er sitzt in der Welt, er schaut nicht nur drauf. Es ist, wenn es sich einlöst, eine intensivere Form der Ansprache oder auch Beeinflussung oder Manipulation. Sehgewohnheiten verändern sich mit dem technischen Wandel; und diese Veränderung versuche ich zu berücksichtigen, mir zu Nutze zu machen. Natürlich habe ich an Pierre Huyghe gedacht und an meinen Besuch der letzten Documenta in Kassel. Der Besucher geht hier nicht in einen weißen Raum, in dem Gemälde fein säuberlich an der Wand hängen, er betritt eine installierte Welt, in deren Rahmen er mit verschiedenen Kunstwerken in Berührung kommt.“ Es stimmt, als zuhörender Zuschauer gibt es keine Möglichkeit des Ausweichens, Weghörens oder Wegsehens – es sei denn, man verließe den Raum. Pross und seine zwei Darsteller rücken dem Publikum auf die Pelle, räumlich und emotional. Es muss sich verhalten. Genet und Pross lassen nicht locker. Und deshalb erleben wir, wie zwei Männer sich liebkosen oder beschimpfen und verletzen; deshalb verkehren sich Zärtlichkeiten in Brutalität; deshalb bedeutet ein „Jean, ich liebe dich“ auch „Jean, ich hasse dich!“; deshalb muss nachgedacht werden, ob es recht ist, den Geliebten zu essen; deshalb verwirren sexuelle Metaphern und Ver-
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gleiche, zum Beispiel, wenn der alte Genet dem jungen Decarnin das Liebesgeständnis singt, sein Schwanz habe „die Form eines blühenden Apfelbaumes“; deshalb erschrecken wir, wenn Ostendorf in Frauenkleidern sich in Hitler verwandelt, zu den Klängen der Nazi-Wochenschauen. Es ist verwegen, wie Ostendorf sich modelliert in eine fette, alte Frau; wie Behren zu einem Eros-Engel wird; wie die beiden über Penetration reden und dazu tänzeln wie träumende Kinder. Ihr Zusammenspiel, in dem es keinen einzigen peinlichen Moment gibt, ist erstaunlich. War es schwer, diese beiden Schauspieler zu dieser körperlichen Nähe zu verführen, zu überreden? „Josef und Paul haben während der Probenzeit eine sehr innige Bindung aufgebaut, die so, wie ich es wahrnehme, alles erlaubt, ohne das Gefühl eines Tabubruches oder den Zwang zu einer Intimität hervorzurufen. Sie finden in den Vorstellungen auf unterschiedlichste Art zueinander, sie überraschen sich, fordern sich heraus, gehen ein Spiel ein, das auf einem großen Vertrauen beruht. Davon lebt dieser Duo-Abend, es ist der Abend von Paul und Josef, sie spielen die Musik, zwar nach den Noten des Textes, aber in einer sehr weiten Spannweite. Die Dialoge des Romans und die Struktur der Fassung erlauben viele mögliche Farben. Bedrückte, leise, verletzte, aggressive, fordernde Töne müssen nicht immer an der gleichen Stelle gesetzt werden, sondern dort, wo sie ehrlicherweise auftauchen, sich unwillkürlich äußern. Erstaunlicherweise lässt die Sprache bei gleichbleibender Wortwahl das zu. Worte machen eben nur einen Teil unseres Kommunizierens aus.“ Die andere Ebene dieser Kommunikation ist der Tanz. Die beiden Männer berühren einander nie – aber ihre Arm- und Handbewegungen sind Lockungen und Abwehr. Immer wieder Sehnen. Wenn es so etwas gibt wie ein schamlos-diskretes Spiel: Die beiden Schauspieler beherrschen es. Das Thema, eine schwule Liebesbeziehung, die mit dem Tod nicht endet, ist kein Tabubruch mehr. Und doch schafft es Pross, uns zu provozieren. Weil ihm gelingt, was er sich vorgenommen hat: „Die Liebe zwischen zwei Männern ist heute in unserer Gesellschaft glücklicherweise kein Tabu- und Gesetzesbruch mehr, ich weiß das, aber die Art, wie kompromisslos Genet sie im ‚Totenfest‘ walten, toben, ‚da sein‘ lässt, ist das Ereignis! Genet proklamiert: Liebe kennt keine politischen oder gesellschaftlichen Grenzen. Die Liebe befreit von all dem, auch von Gewohnheiten und moralischen Zwängen. Der Abgrund lauert nicht allein da draußen, sondern in uns. Mit Woyzeck gesagt: Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.“
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Max Pross’ Weg führte ihn nicht gleich zum Theater. Zunächst studierte er Ur- und Frühgeschichte, Mittlere und Neue Geschichte und Philosophie in Köln. „Dahinter stand tatsächlich die Idee, sich theoretisch und praktisch mit den Menschen und den von ihnen geschaffenen Welten auseinanderzusetzen, anfangs noch mit dem Ziel, danach oder währenddessen an eine Kunst- oder Theaterschule zu wechseln, das hatte sich aber durch mein Interesse, meine Liebe zu diesem Studium und durch die Performancegruppe Signa, die ich im ersten Semester kennenlernte und bei der ich die nächsten vier, fünf Jahre als Darsteller viel Zeit verbringen sollte, verloren. Der eigentliche Einstieg und die vorläufige Entscheidung fürs Theater, wenn der Begriff hier überhaupt zutreffend ist, war Signa. Signa ist für mich der prägendste Abschnitt in meinem kurzen Berufsleben. Dort habe ich miterlebt und gelernt, wie ein Kunstwerk, das sich mit der Premiere in die Raumzeit unserer Wirklichkeit sozusagen eingliedert, entsteht. Mit welcher Hingabe, Perfektion und ungeheurem Know-how – nehmen wir es wörtlich als Wissen, wie man verschiedenste Herausforderungen, technische wie dramaturgische, fantasievoll, funktional, fanatisch löst.“
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Regie
Anta Helena Recke
Die Kränkungen der Menschheit von
Bühne
Anta Helena Recke
Carlo Siegfried Kostüme
Uraufführung
Pola Kardum
26. September 2019 Münchner Kammerspiele
Dramaturgie
Valerie Göhring Musik
Koproduktion von
Luca Mortellaro
Münchner Kammerspiele, HAU Hebbel am Ufer Berlin, Kampnagel Hamburg, Mousonturm Frankfurt
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Zentrale Perspektiven Matthias Dell Der Titel von Anta Helena Reckes Theaterstück „Die Kränkungen der Menschheit“ geht auf eine Formulierung von Sigmund Freud zurück. Der diagnostizierte bei seinen Überlegungen zur Psychoanalyse zu Beginn des 20. Jahrhunderts drei Kränkungen menschlicher Eigenliebe: die Feststellungen, dass die Erde sich um die Sonne dreht und nicht umgekehrt (Kopernikus), dass der Mensch vom Affen abstammt und kein höheres Wesen ist (Darwin) und dass der Mensch nicht Herr im eigenen Haus ist (Freud – unbescheiden – selbst). Diesem Set an geschichtlichen Wegmarken hat Anta Helena Recke in dem Erklärmaterial zur Perspektivierung ihrer Arbeit kurzerhand eine vierte Kränkung hinzugefügt – die Erkenntnis, dass der weiße Mann nicht als Pressesprecher des Universalen im Mittelpunkt allen Denkens wohnt, sondern lediglich Identitätspolitik in eigener Sache betreibt. Das Werk der 31-jährigen Recke ist noch schmal, besteht bislang aus zwei großen Bühnenarbeiten und kleineren Performances mit Julia*n Meding („Lovepiece“, 2015; „Angstpiece“, 2017). Als Charakteristikum lassen sich dennoch konzeptionelle Setzungen erkennen, wie das Hinzufügen der vierten Kränkung eine ist. Solche Prämissen sind einfach und anregend zugleich. Bei der „Schwarzkopie“ von Anna-Sophie Mahlers Inszenierung von „Mittelreich“ nach Josef Bierbichlers Roman (2017) bestand der Clou darin, ein bestehendes Theaterstück noch einmal zur Aufführung zu bringen – alles genauso wie im Original mit dem einen Unterschied, dass die weiße Besetzung in Reckes Kopie in eine afrodeutsche geändert wurde. Bei „Die Kränkungen der Menschheit“ gibt es nun das Addendum zum Projekt Freuds, das einerseits genauso funktioniert wie die anderen drei Kränkungen und andererseits als Meta-Reflexion, die Freuds Arbeit am Begriff selbst zum Gegenstand macht. Und, ließe sich anfügen, Reflexe der weißen deutschen Theaterkritik an Reckes Arbeiten antizipiert. Dass Rassismus, wo er thematisiert wird, zumeist auf Dementis stößt, hat mit Gefühlen wie Kränkung zu tun, mit dem eher geahnten als reflektierten Wissen von weißen Deutschen, dass die Abwertung von Menschen aufgrund von „rassischen“ Merkmalen in all ihren Dimensionen (grob gesagt – historisch: Schuld, gegenwärtig: Privilegierung) in eine erfolgreiche Selbstbeschreibung schwer integrierbar ist. Anders gesagt: Es will etwas nicht wahrgehabt werden. Eine solche Form des Wegguckens reagiert auf ein Stück wie „Die Krän-
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kungen der Menschheit“, fast könnte man sagen: versteht es auf einer untergeordneten Ebene eben doch sehr genau, ohne davon einen Begriff zu haben, weil Reckes Arbeiten in einem generellen Sinne Sehhilfen sind – Korrekturen an dem, was sich als weiße Wahrnehmung von Bühnenhandeln sicher zu sein glaubt in ihrer Urteilskraft. Dazu gehört ganz basal, ganz materialistisch, in „Mittelreich“ wie in „Die Kränkungen der Menschheit“, die Anwesenheit von Menschen auf der Bühne, die dort sonst so nicht zu sehen sind in dieser Zahl. Knapp dreißig Personen of color stehen zum Schlussapplaus in der „Mittelreich“-Appropriation bereit, in „Die Kränkungen der Menschheit“ prozessieren allein im dritten Teil des Abends vier Gruppen von je sieben Frauen, deren Äußeres in jeglicher Hinsicht so divers ist, dass mit der Bezeichnung nichts Besonderes mehr markiert werden kann – so sieht Verschiedenheit als Normalität aus. „Nichts an dem, das man sieht, versteht sich von selbst“, lautet der letzte Satz von Ekkehard Knörers Cargo-Notizen zu einer Aufführung im Februar in Berlin, der in gewisser Weise für Reckes Theaterarbeiten generell taugt. Das geht schon damit los, dass sich nicht so leicht sagen lässt, woher dieses Theater kommt, welchen Arbeiten es ähnlich sieht. Beeinflusst ist es von bildender Kunst und Performance, das aber ohne den rhetorischen Aplomb, der die Textproduktion des Kunstbetriebs mitunter mühsam macht. Die Idee der „Schwarzkopie“ von „Mittelreich“ ist so bestechend, dass sie sich auch mitteilt, wenn man noch nie etwas von Appropriation Art, von Sherrie Levine, Cindy Sherman oder Elaine Sturtevant gehört hat. Die Kenntnis des Verfahrens hilft allerdings dabei, die Inszenierung in den adäquaten Kategorien wahrzunehmen, also über Differenz und Wiederholung, Original und Kopie und die Rolle von Autorinnenschaft und sozialen oder ökonomischen Aspekten der Bühnenproduktion nachzudenken. Zugleich markiert diese Arbeit in ihrem Versuchscharakter aber auch eine hochspezielle Herausforderung an die Theaterwissenschaft, weil es hier mit der Liveness, die ephemere Künste wie das Theater von den reproduzierbaren wie Film oder Fotografie unterscheidet, so ernst wie nie genommen wird. Recke, die in Hildesheim etwa bei Mieke Matzke von She She Pop studierte, hatte als Regieassistentin im Abenddienst die Aufführung von Anna-Sophie Mahlers „Mittelreich“ so oft gesehen wie vermutlich niemand sonst – und wenn die „Schwarzkopie“ nun den Versuch darstellt, nicht nur Textfassung, Kostüm- und Bühnenbild des Originals nachzuahmen, sondern konsequenterweise auch Mahlers Regie, dann wäre man genau bei den Fragen, die ein Erika-Fischer-Lichte-Gedächtnis-Kollo-
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quium über längere Zeit beschäftigen könnte: Wie ließe sich so etwas wie „Mahlers Regie“ definieren und festhalten, wenn man laut Lehrsatz davon ausgehen kann, dass jeder Abend im Theater verschieden ist von dem davor? Orientiert man sich an der Premiere oder der Version, die sich nach fünf, sechs, zwölf Aufführungen etabliert hat? Und wie inszeniert man Schauspieler, die nicht Rollen spielen sollen, sondern Schauspieler, wie sie Rollen spielen? Anta Helena Recke verbindet in ihren Arbeiten Konkretion und Abstraktion; das Einfache, Gegenständliche, Sinnlich-Erfahrbare genießt große Bewegungsfreiheit, sodass es sich auf allen Etagen herausfordernder Denkmodelle verlaufen kann. Was sich schon an einem Titel wie „Die Kränkungen der Menschheit“ zeigt – und dem Verhältnis, das die Inszenierung dazu bezieht. Schlichtere Kritiken haben die Überschrift wörtlich genommen (was bei den auf andere Weise assoziativ-spielerischen Titeln von René-Pollesch-Stücken niemand macht) und entsprechend Szenen auf der Bühne vermisst, die sich als Kränkungen identifizieren lassen. Dabei besteht der Reiz, das betörende Spiel mit einer solchen Rahmung doch in der Spannung – zu schauen, wie man einen aktualisierten geisteswissenschaft-
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lichen Begriff in ein Theaterstück übersetzen kann. Oder besser: in welche performative Empirie sich Großtheorie deduzieren lässt. Denn anders als etwa bei Titeln von Polleschs Stücken, die Partikel des verwendeten Materials zitieren oder als Parodie bestehender Titel ausgeben, also wenn nicht induktiv, dann als pars pro toto in albern funktionieren, führt die Sinnstiftung hier vom Allgemeinen zum Besonderen. Dazu baut Recke den knapp siebzigminütigen Abend wie ein Triptychon in Bewegung auf, das drei verschiedene Teile fast unmerklich ineinander schiebt. Die Schnitte, besser Überblendungen werden durch die Musik (Luca Mortellaro kombiniert Leon Freis Gong-Schläge mit elektronischen Tracks) und das Blinzeln des Lichts moderiert. Die drei Teile funktionieren als völlig verschiedene Register des Darstellens – es gibt den Hypernaturalismus, mit dem zu Beginn eine Gruppe von durch Tänzerinnen dargestellten Affen den Bühnenraum erforscht; einen Hyperkonkretismus, mit dem im Mittelteil sechs Museumsbesucher über ein, fürs Theaterpublikum nicht sichtbares, Bild kommunizieren, und einen Hypnotismus, mit dem schließlich die vier Gruppen von je sieben Laien das Durchmessen und Bestimmen des Raums wieder abmoderieren in lauter kreisenden Bewegungen. Allen drei Teilen ist dabei gemein, dass es in ihnen ums Sehen geht, was der Abend allerdings nicht als Konkurrenz denkt. Sein Multiperspektivismus koexistiert friedlich im Raum, die Museumsbesucherinnen bewegen sich zwischen den Affen und schauen sich, am Rande der Sitzreihen stehend, wie der Rest des Publikums die mit sich selbst beschäftigte Prozession an. Wie turbulent die Brechungen sind, mit denen Recke operiert, zeigt sich im Mittelteil, wenn sich das Gespräch der Museumsbesuchergruppe an „Two Planet Series: Van Gogh’s The Midday Sleep and the Thai farmers“ entzündet, einer Videoarbeit von Araya Rasdjarmrearnsook, die Menschen aus einer ländlichen Gegend Thailands beim Betrachten eines Gemäldes aus der europäischen Kunstgeschichte zeigt, auf dem ländliche Motive abgebildet sind, die es wiederum aus einem anderen Gemälde hat, nämlich von Jean-François Millet. Dann sieht das Publikum also Leuten auf der Bühne dabei zu, wie sie Leuten in einer Videoarbeit dabei zusehen, ein Bild zu betrachten, das Leute wie sie zeigt, die es aus einem anderen Bild kennt. Kurz: Die Mimesis kriegt einen Drehwurm. Dass der Standpunkt, von dem aus hier geschaut wird, zur Disposition steht, das Zentrum der Bilder, die sich in „Die Kränkungen der Menschheit“ aufbauen, flexibel ist, kann man auch an dem Glaskubus erkennen, der mehrfach durch den Raum geschoben
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wird. Die sechs Museumsbesucher im Mittelteil führen dort die, eben, zentralen, superkonkreten dialogischen Handlungen auf, während die Prozession am Ende ihr Recht am Raum dadurch behauptet, von dem einzigen Element im Theaterraum nur kurz Notiz zu nehmen, um später um diese Leerstelle in der Mitte zu rotieren in verschiedenen Vektoren. Es stellt sich dadurch fast unmerklich ein Trubel ein, der das Monolithische von Kunstbetrachtung, die Hierarchieverhältnisse im Museum suspendiert. Bei den Affen hat die kulturgeschichtlich gebildete Betrachterin etwa sofort Assoziationen zum Beginn von Stanley Kubricks filmischer Menschheits-und-Aufklärungs-Parabel „2001: Odyssee im Weltraum“ bei der Hand, wo Evolution markiert werden soll, oder die Szene aus Ruben Östlunds Kunstbetriebssatire „The Square“, in der bei einem Gala-Dinner eine Affen-Performance in reale Gewalt überzugehen scheint. Muss dann aber feststellen, dass hier nicht Punkte fürs Zitate-aus-etablierterGroßkunst-Wiedererkennen gesammelt werden wollen, sondern dass die Affen in „Die Kränkungen der Menschheit“ anders funktionieren, nämlich wie Tiere im Zoo, denen Salatköpfe hingeworfen werden zur Fütterung und die durch Blicke – auch solche, die die Kunstgeschichte auf sie gerichtet hat – immer schon domestiziert sind. Auch wenn die Tänzer in ihren bravourösen Darstellun-
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gen den Kopf häufig gesenkt halten oder mit dem beschäftigt sind, was für die Affendarstellung interessant scheint (Kabel, der eigene Körper, andere Affen) – im Grunde schauen diese Affen permanent zurück, fungieren als Spiegel, weil ihnen das Angeguckt-Werden durch Zoobesucherinnen schon eingeschrieben ist. Diese Form der Inszenierung ist auch eine Korrektur an einem der drei Bilder, die im Stück beschrieben werden – neben dem Dialog über Rasdjarmrearnsooks Videoarbeit gibt es noch zwei Ekphraseis von Gemälden, die wie ein Audio-Guide aus dem Off ertönen (gesprochen von Lara-Sophie Milagro, die in der Museumsbesuchergruppe eine Art Guide spielt), von denen eines klar gekennzeichnet ist als das Gemälde „Affen als Kunstrichter“ von Gabriel von Max. Denn für den Maler, der später Tiere bei sich zu Hause hält und eben malt, das markiert ein kurzer Schlenker in eine autobiografische Notiz, ruft der Affe, den dieser als Achtjähriger in Prag entdeckt hat, den ganzen Apparat an hier „Mystik“ genannten kolonialen Exotismus-Fantasien auf. Die Tiere sind bei Max – anders als in der Art und Weise, wie die Tänzerinnen bei Recke sie performen – Objekte. So gesehen könnte man sagen: Es versteht sich bei dem, was „Die Kränkungen der Menschheit“ vorführen, deshalb nichts von selbst, weil zu viele der Zeichen, die der Abend in Bewegung bringt, schon besetzt sind mit Bedeutung im Kopf der weißen Betrachterin. Dass zum Beispiel der gelangweilte Teenager in der Museumsbesucherinnengruppe nichts zum Reden beiträgt. Oder dass die Prozession am Ende ganz schlicht auf Anwesenheit im Raum zielt (und natürlich darauf, das zweite audio-guide-haft beschriebene Bild mit den farblichen Kreisen, die sich berühren, durch die Personen in entsprechend bunten Kaftanen in Theater zu übersetzen). Es geht also auch darum, scheinbar feststehende Sichtweisen und Verknüpfungen wieder zu verlernen, was der Dialog im Mittelteil in seinem sanften Witz als Verfahren durchspielt. Das Rätseln der Museumsbesucherinnen kokettiert zwar mit gewissen sprachlichen Handlungen, die sich im Umfeld von Kunst ereignen, will aber nicht auf plumpe Hierarchien hinaus oder die Leute gegeneinander aussortieren in Richtig und Falsch (davor schützt der Gag des Missverstehens). Und so könnte man vieles von dem, was dort an Text auf der Suche nach Sinn geäußert wird, auf die eigene Betrachterposition beziehen. Sätze wie: „Ich könnte mir auch vorstellen, dass das als Unterhaltung gedacht ist.“ Oder: „Ich glaube, man muss den Leuten zuhören, um zu verstehen, was das für ein Bild ist.“ Oder: „Haben wir eine Ahnung, wo wir hier sind?“
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Regie
Sasha Marianna Salzmann
Oder: Du verdienst deinen Krieg (Eight Soldiers Moonsick) von
Bühne und Kostüme
Sivan Ben Yishai
Cleo Niemeyer Dramaturgie
Uraufführung
Rebecca Ajnwojner
8. November 2019 Maxim Gorki Theater, Berlin
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Amazonen der Erinnerung Eva Behrendt Die Bühne sieht fast genauso aus wie der Zuschauerraum. Stuhlreihen auf einer Tribüne, allerdings lückenhaft und noch leer. Ganz oben steht ein DJ-Pult ohne DJ. Der Sound des weiblichen Berliner Elektroduos Hyenaz liegt wie ein nicht allzu flauschiger Teppich unter diesem Abend, der die Buchstaben zum Tanzen bringt und die Fantasie in den Zuschauerköpfen Filme drehen lässt. „Oder: Du verdienst deinen Krieg (Eight Soldiers Moonsick)“ von Sivan Ben Yishai ist ein dichtes Stück poetischer Prosa, geschrieben für die Bühne. Eine Herausforderung für das Theater, denn es gibt keine fest umrissenen Figuren oder Charaktere, sondern nur Stimmen. Sie sprechen von und für acht Soldatinnen, die aus ihrem bisherigen Teenager-Leben in die israelische Wüste katapultiert wurden. Es gibt auch kaum Handlung, eher collagierte Zustände, Gerüche, Geräusche. Die Waffe unter der Pritsche, die Kuscheltiere darauf. Jede Menge Regeln – und Strafen, wenn dagegen verstoßen wird. Erinnerungen an eine Urlaubsreise mit Papa, der am Steuer des Campers gut gelaunt singt. In Sasha Marianna Salzmanns Uraufführung im Studio des Berliner Maxim Gorki Theaters betreten vier Schauspielerinnen unterschiedlichen Alters die Bühne. Kenda Hmeidan, Abak SafaeiRad, Elena Schmidt und Catherine Stoyan tragen weiße, steife, fast zeltartige Röcke; auf ihnen steht in schwarzen Lettern noch einmal der Titel des Stücks (Bühne und Kostüme: Cleo Niemeyer). Unschuldsröcke sind das, sperrig wie Hochzeitskleider und Keuschheitsgürtel in einem. Am Oberkörper tragen sie Tarnhemden und Bomberjacken, später legen sie die Röcke ab, werden zu Amazonen im Dschungel der Erinnerung. Sie breiten sich und ihre Hüllen auf der kleinen Bühne aus, nehmen sie vorläufig in Besitz. In immer neuen Anläufen erobert auch Ben Yishais Text sein Thema. Das ist zum einen der Wehrdienst für Frauen in Israel, dem Land mit dem größten Pro-Kopf-Militäretat der Welt, in dem Frauen fast zwei (Männer drei) Jahre Wehrdienst leisten müssen und grundsätzlich die schlechteren Waffen bekommen. Mehr aber noch verdichtet „Oder: Du verdienst deinen Krieg“ Erinnerungen an einen einschneidenden Übergang von der Kindheit ins Erwachsenenleben. Verblüffend körpernah rückt dieser Text, als gelte es, den Liegestützen im Staub und den stets greifbaren Maschinengewehren so viel Sinnlichkeit wie nur möglich abzuringen: „Die dünnen Wände des Zeltes blähen sich auf und sinken zusammen
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im Tiefschlaf, als wäre es an eine Atemmaschine angeschlossen.“ Oder: „Armee-Baggypants und bunte, zerschnittene Shirts, die blaue und schwarze Blutergüsse auf acht blanken Hüftknochen und am unteren Rücken freilegen, wo die Waffe gegen den Körper schlägt, der sie trägt, winzig kleine Stöße über den ganzen Tag.“ Sivan Ben Yishai, geboren 1978 in Tel Aviv, und Sasha Marianna Salzmann, geboren 1985 in Wolgograd, stecken gemeinsam hinter dieser intensiven Spoken-Word-Musik-Performance. Die eine als Autorin, hier geradezu Dichterin, die andere als Regisseurin, die aber selbst und hauptsächlich schreibt. Auch Sivan Ben Yishai hat nach ihrem Theaterstudium in Tel Aviv und Jerusalem zehn Jahre Regie geführt. 2012 zog sie nach Berlin: „Indem ich meine Muttersprache aufgegeben habe, das flüssige Sprechen, wurde ich unsicherer, fragiler, alarmierter, vorsichtiger und bescheidener. Ich begann, weniger zu sprechen und mehr zu denken, bevor ich sprach. Ich wurde eine Schreibende“, erklärt sie in einem Text fürs Nationaltheater Mannheim, wo sie in der Spielzeit 2019/20 Hausautorin ist. Auch Sasha Marianna Salzmann weiß, was es heißt, sich in einer Sprache auszudrücken, die nicht die Muttersprache ist. Sie und ihre Familie zogen 1995 von Moskau in die Bundesrepublik. Mit zehn lernte sie Deutsch, studierte später in Hildesheim Literatur, Theater und Medien und an der Berliner Universität der Künste Szenisches Schreiben. Noch während des Studiums gründete sie mit drei Kommilitonen die Zeitschrift „Freitext“; mit Ende zwanzig wurde sie Hausautorin und Kuratorin am Berliner Maxim Gorki Theater, wo sie u. a. die Studiobühne Studio Я erfand und drei Spielzeiten lang leitete. Seit ihrem erfolgreichen Prosa-Debüt „Außer sich“ steht das Romaneschreiben für sie im Mittelpunkt; parallel dazu hat sie bereits ihre zweite Poetikdozentur. Als „ein besonderes Verhältnis“ (Salzmann), „eine Lovestory“ (Ben Yishai) bezeichnen die Autorinnen ihre Freundschaft. Zum ersten Mal fast begegnet wären sie sich 2016 im Rahmen der Schreibwerkstatt „In Zukunft“ am Landestheater Castrop-Rauxel – Sivan Ben Yishai muss lachen, als sie über den Ruhrpott-Zungenbrecher stolpert. Dort verarbeitete die Israelin ihre Umsiedlung nach Deutschland in ihrem ersten Stück „Your Very Own Double Crisis Club“. Schon damals wäre es um ein Haar zu einer Begegnung mit Sasha Marianna Salzmann gekommen, wäre nicht der Anschlag von Orlando passiert: Salzmann beschloss, auf das homophobe Massaker umgehend mit einer Veranstaltung auf der großen Gorki-Bühne zu reagieren, und konnte nicht ins Ruhrgebiet reisen.
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„Es gibt aber noch eine andere Version unserer ersten Begegnung: Wir haben uns kennengelernt, als Sasha mich versehentlich mit dem Bein berührt hat und ‚Sorry‘ sagte. Darauf meinte ich, dass ich es komisch fände, dass die Leute sich ständig dafür entschuldigen, wenn sie einander berühren.“ Dieses Bekenntnis zur Körperlichkeit ist typisch für Ben Yishai, die im Gespräch lebhaft von Englisch zu Deutsch und wieder zurück springt. Die nächste Schreibwerkstatt „Krieg im Frieden“ kam auf Initiative von Sasha Marianna Salzmann zustande. Sie war auch eine der Mentorinnen, als Sivan Ben Yishai zwei Stücke für den Papierkorb schrieb, aber auch, als sie danach wie im Rausch „Oder: Du verdienst deinen Krieg“ verfasste. „Ich war sozusagen die Hebamme“, erzählt Salzmann und fügt hinzu: „Es ist einer der bewegendsten Texte, die ich je gelesen habe.“ Es ist schon das zweite Stück von Ben Yishai, dessen Uraufführung Salzmann verantwortet. (Das erste war „Die Geschichte vom Leben und Sterben des Juppi Ja Jey Juden“ im Rahmen des „Desintegrationskongresses“ am Gorki Theater.) Auch Salzmann hat viel fürs Theater geschrieben: das mit dem Kleist-Förderpreis ausgezeichnete „Muttermale Fenster blau“, das Drei-Generationen-Frauenstück „Muttersprache Mameloschn“ und das die Berliner Kälte verfluchende, seine Vielfalt aber doch feiernde „Wir Zöpfe“, um nur die bekanntesten zu nennen. Ihre Stücke sind dialogischer, „dramatischer“ als Sivan Ben Yishais Theatertexte. Trotzdem gibt es eine große Schnittmenge zwischen den beiden Autorinnen – sei es ihre Kritik an patriarchalen Strukturen, sei es ihr Bekenntnis zur „Crew“ (Salzmann), zur „Familie“ (Ben Yishai), zum gleichfalls schreibenden Freundeskreis. Am Nationaltheater Mannheim, das Sivan Ben Yishai zärtlich „Supranationaltheater Frauheim“ nennt, feierte sie ihren Einstand mit ihrem inzwischen sechsten Stück „Liebe/Eine argumentative Übung“ in der Regie von Jakob Weiss. Was als gewitzte Beziehungsanalyse eines heterosexuellen Comic-Pärchens im Künstlermilieu beginnt, steigert sich zu einer furiosen, bohrenden Erkundung weiblicher Körperwahrnehmung. Sivan Ben Yishai arbeitet sich buchstäblich vom Kopf in den Unterleib vor, sie will der tief verwurzelten Körperscham durchaus feministisch denkender Frauen auf die Spur kommen, genau wie der Schwierigkeit, wirklich gleichberechtigte Partnerschaften zu führen (ohne es pauschal auf die Männer zu schieben). Dabei strapaziert sie auch hier die dramatische Form über alle Regeln der Kunst hinaus, schreibt Dialoge in der dritten Person, in einer sinnlichen, rhythmischen,
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um keinen Witz verlegenen Sprache, die die ihr seit einigen Stücken verbundene Lyrikerin Maren Kames kongenial übersetzt. „Wie eine Spirale“, so Sivan Ben Yishai, bohre sie sich in jeden ihrer Stoffe hinein. In „Oder: Du verdienst deinen Krieg“ setzt jede neue Umdrehung wie auch der Titel mit der Konjunktion „oder“ ein, als gelte es, unter lauter falschen nach immer neuen Varianten zu suchen: „Diese Erinnerungen / kleben an der Haut wie Spucke, / die Sorte Spucke, die stinkt, für immer. Der Rotz falscher Geschichten, / und falscher Versionen. Falscher Erzähler. Falscher Erzählerinnen. / Falsch.“ Eine davon ist die Erinnerung an den Vater, der mit Frau und Töchtern im Camper durchs Land fährt, die Greatest Hits der 80er mitsingt (Police, Phil Collins usw.) und von seiner Armeezeit als „bester Zeit meines Lebens“ schwärmt. Kein Gedanke daran, dass es für seine Tochter ganz anders sein könnte. Auf der Bühne nehmen die Hyenaz den Soundtrack dieser Zeit auf, verfremden und verzerren ihn zur Kenntlichkeit. Die acht Soldatinnen jedenfalls werden ziemlich direkt mit dem Tod konfrontiert: Bei einer Übung versehentlich erschossen, von der Nachtwache für den Feind gehalten, beim Anti-Terror-Einsatz vom Gegner durchlöchert, auf der Männertoilette vergewaltigt, vom Militärgericht zum Tod durch den Strang verurteilt – so tröpfelt immer neue Gewalt in den Text. Nicht als reale Ereignisse,
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sondern als verstörende Ängste, Alpträume und permanente Bedrohungen, bei denen der Textstrom plötzlich in die Ich-Form wechselt. Überhaupt zeigt Sivan Ben Yishai unmissverständlich, dass der scheinbar geschlechtergerechte Wehrdienst kein Zeichen für die Emanzipation der israelischen Frauen ist: Schon der Ausbilder der Mädchen ist männlich, die Sprüche im Camp sind sexistisch, und wenn Papa davor nicht mal seine Mädchen in Schutz nimmt, wie kann er dann das Land beschützen? Für Sasha Marianna Salzmann ist der Umstand, dass das Stück in Israel spielt, gar nicht so wesentlich. „Ich habe keinerlei Bezug zu Israel“, sagt sie. „Zu Beginn der Proben stellte sich uns als Team schon die Frage, wie wir mit unserer Kritik an Israel umgehen. Aber für mich ist das Thema vielmehr die Falle, in der wir alle stecken, alle Geschlechter, alle Länder, die ich kenne. Es geht um die Erinnerung an einen Missbrauch, nicht notwendig einen sexuellen. Eher im Sinne der Frage: Wann ist diesem Körper Gewalt angetan worden? Wie ist er durch diese patriarchale Maschine geschleudert worden? Dazu können wir alle etwas sagen, egal wo wir leben.“ Tatsächlich merkt man der selbstbewussten Präsenz der vier Schauspielerinnen an, dass sie den Text buchstäblich mit ihren Körpern befragen: kein mimetisches Spiel, aber doch unbedingt ein körperliches. Gleich zu Anfang sagt Kenda Hmeidan, die Jüngste, den Satz: „Ich will leben und sterben mit der Härte eines schmutzigen, winzigen Tiers im Dschungel“, eng an Catherine Stoyan, Abak Safaei-Rad und Elena Schmidt gedrängt. Kein Zusammenrücken aus Angst und Schwäche, sondern so, als gelte es, so viel Berührung wie möglich herzustellen. So geht es weiter, durch Phasen größter Anspannung und totaler Erschlaffung, Anziehung und Abstoßung. Einmal erschießen die Frauen sich minutenlang pantomimisch; dann räumen sie ganz pragmatisch die Bühne auf und stapeln Stühle. Sivan Ben Yishai schätzt sehr, dass Sasha Marianna Salzmann sich ihrem Text als Autorin genähert hat, die vor allem den Text zum Klingen bringen will. Aber auch als jemand, der Menschen wie die Hyenaz, Cleo Niemeyer und die Performerinnen zusammenbringt: „Ich glaube, was auch immer Sasha tut, ob als Schriftstellerin oder Gründerin und künstlerische Direktorin des Studios Я: Sie schafft immer Räume, in denen Figuren, Menschen und Künstler*innen anfangen zu sprechen.“ Die Clique, die Crew, der Salon: zu freundschaftlichen, solidarischen Bündnissen begabt sind Ben Yishai und Salzmann sicherlich gleichermaßen. Mit den Autoren Mehdi Moradpour,
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Deniz Utlu und Necati Öziri beispielsweise stehen sie in regem Austausch, lesen gegenseitig Texte, geben einander Feedback. Eine geballte Task Force für mehr Poesie, Diversität und Gerechtigkeit auf allen Ebenen. Und es ist unübersehbar, welche Produktivität und Freiheit dieser Bund über die unterschiedlichen Hintergründe hinweg entfaltet: nicht zuletzt die, auch mal den Schwerpunkt der eigenen künstlerischen Tätigkeit zu wechseln. Oder nein zu sagen. Würde Sivan Ben Yishai auch ein Stück von Sasha Marianna Salzmann inszenieren? „Nein, zurzeit führe ich keine Regie“, lacht sie. „Aber wenn ich es tun würde, dann wahrscheinlich einen Salzmann-/Öziri-Text, den ich selbst spielen würde, und zwar als Konzert.“
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Regie
Rieke Süßkow
IKI. Radikalmensch von
Bühne
Kevin Rittberger
Lukas Fries Kostüme
Uraufführung
Marlen Duken
6. September 2019 Theater Osnabrück
Dramaturgie
Karin Nissen-Rizvani
im Rahmen des Festivals Spieltriebe
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Was mich interessiert, ist die Konstruktion Harry Lehmann Letztes Jahr in Osnabrück stand der Mensch als registered trademark, d. h. als „registrierte Handelsmarke“ zur Disposition: Das biennale Theaterfestival Spieltriebe fand unter dem Motto „MENSCH ®“ statt. Der Autor Kevin Rittberger, der den Auftrag erhielt, dafür ein neues Stück zu schreiben, hat in seinem Text „IKI. Radikalmensch“ zwei aktuelle Themen miteinander verknüpft: den Klimawandel und die künstliche Intelligenz. Bemerkenswert an diesem Zukunftsszenario ist, dass man lange Zeit im Ungewissen bleibt, ob man es mit einer Utopie oder mit einer Dystopie zu tun hat. Die Regisseurin Rieke Süßkow, die vom Festival mit der Uraufführung des Stücks betraut wurde und die Inszenierung im Team mit dem Bühnenbildner Lukas Fries und der Kostümbildnerin Marlen Duken erarbeitet hat, löst diese Ambivalenz nicht auf, sondern lässt auch die Aufführung über weite Strecken zwischen dem guten und dem schlechten Weltentwurf changieren. „Ambivalent zu bleiben, ist immer mein Anspruch“, sagt die Regisseurin beim Gespräch in einem Berliner Café. „Ich will den Zuschauern nicht meine Meinung aufdrücken, sondern sie selbst denken lassen. Mir ist es wichtig, die Komplexität einer Situation spürbar und erfahrbar zu machen.“ Was zuerst auffällt und im Gedächtnis bleibt, ist das Bühnenbild: ein roter Stoff, der aufgebauscht den Boden bedeckt und von den Seitenwänden herabwallt. In dieser Stofflandschaft lebt Peter Vogel in symbiotischer Zweisamkeit mit IKI, einer „Intimen Künstlichen Intelligenz“ in Frauengestalt, die von einem Mann gespielt wird, da sich in Vogels Welt die Geschlechtergrenzen aufzulösen beginnen. IKI wurde einst als Sexpuppe erworben und hat inzwischen viel von und über Peter gelernt, sodass sie über seine Wünsche, Befindlichkeiten, Ernährungsgewohnheiten und politischen Ansichten bestens Bescheid weiß und sich zu seinem Alter Ego entwickelt hat. Beide tragen gleiche T-Shirts, auf denen spiegelbildlich jeweils ein Vogel zu sehen ist, weil Peter Vogel, wie man erfährt, sowohl die Vögel als auch das Vögeln mag. IKI hat sich im Laufe der Zeit nicht nur zur unverzichtbaren Assistentin für alle Lebenslagen upgedated, sondern für ihren Besitzer auch jenes Verständnis und Einfühlungsvermögen ausgebildet, das eigentlich nur Liebende füreinander empfinden. So scheint es geradezu schicksalhaft zu sein, dass sich die Geschöpfe,
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die einen solchen Grad an Intimität füreinander entwickeln, auch ineinander verlieben – zumindest trifft dies für Peter zu. IKI hat das Spiel der Liebe vielleicht nur perfekt erlernt. Auf jeden Fall geht der Unterschied zwischen Mensch und Maschine offenbar in dem Augenblick verloren, in dem sich eine Maschine wie eine Liebende zu verhalten beginnt. Rieke Süßkow findet für diese Konstellation ein großartiges Bild: Es gibt in ihrer Inszenierung eine Szene mit einem kleinen Plüschbären, der fast zwei Minuten lang seine Ärmchen und Beinchen zur Musik bewegt, die aus seinem Körper plärrt. Peter Vogel liegt auf dem Bauch und blickt ihm fasziniert zu. Nichts könnte das Verhältnis zwischen ihm und seiner künstlichen Partnerin besser versinnbildlichen: Peter liebt seine IKI genauso unmittelbar wie Kinder ihre Stofftiere lieben. Die Spielzeuge müssen eben nur einen gewissen Grad an Intelligenz entwickeln, bis auch Erwachsene beginnen, sie, wie einst in ihrer Kindheit, als Personen zu behandeln und mit ihrer Fantasie zum Leben zu erwecken. Die künstliche Intelligenz bereichert in dieser Zukunftsparabel aber nicht nur das Privatleben, sondern sie ist auch ein Instrument zur Rettung der Welt. Peter Vogel war einst ein Umweltaktivist, der sich ungefähr zu der Zeit, als der Autor das Stück schrieb, für eine Protestaktion gegen ein Kohlekraftwerk an die Bahngleise gekettet hatte und nun auf der Bühne (vermutlich zwanzig Jahre später) „Chefkoordinator des Staatstrojaners“ geworden ist. Der Clou und die Tragik dieser Kunstfigur bestehen darin, dass sie auf ihrem langen Marsch durch die Institutionen den Datenschutz zugunsten des Umweltschutzes aufgegeben hat – oder besser gesagt, aus einer historischen Notwendigkeit heraus sich hier zum Umdenken gezwungen sah. Die fiktive Gesellschaft, in der Vogel lebt, ist zu der Einsicht gekommen, dass man die Klimakatastrophe nur dann bewältigen könne, wenn man mit Hilfe von künstlicher Intelligenz den CO2Verbrauch der eigenen Bürger hinreichend kontrolliert. Das führt natürlich zu politischen Konflikten zwischen den Einsichtigen und den Uneinsichtigen (dem „autochthonen Volk“), die sich mit demokratischen Mitteln nicht mehr richtig auflösen lassen. Wie man erfährt, „hatte eine mauve-grüne Regierung drastische Maßnahmen ergriffen“. Allerdings spielt das Stück eben nicht mehr im Jahr 1984 wie bei Orwell, sondern ein halbes Jahrhundert später, wo Gedanken Datenpakete sind, die permanent von KI-Systemen gelesen und verarbeitet werden. Angesichts dieser neuen technischen Möglichkeiten feierte der alte revolutionäre Traum vom
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„neuen Menschen“ eine Wiedergeburt. Deswegen scheint es in Vogels Welt unvermeidlich zu sein, dass man die Menschen nicht nur überwacht, sondern auch ihr Bewusstsein verändert – sodass sie auch wollen, was sie sollen. Auf die Frage nach ihrer eigenen Haltung zur künstlichen Intelligenz und danach, ob sie in dieser Technologie eher eine Bedrohung oder eine Verheißung sieht, erklärt Rieke Süßkow: „Ich halte einfache Aussagen über ein so komplexes Thema für einseitig und gefährlich. Ich stelle als Theatermacherin Fragen.“ Neben Peter und IKI kommt in der Aufführung noch eine dritte Person ins Spiel, die sogenannte Assistentin, die Peter selbst eingestellt hat, woran er sich aber nicht mehr erinnern kann. Sie besitzt eine eigene Textebene im Stück, die in Kapitälchen gedruckt ist, und signalisiert, dass das ganze Geschehen hier aus einer externen Beobachterperspektive kommentiert wird. Zumindest weiß die Assistentin mehr als Peter über die neue Welt, weshalb ihre Stimme des Öfteren aus dem Off spricht. Der Große Bruder ist im 21. Jahrhundert zur Großen Schwester geworden. Je intelligenter die „Ökodiktatur“ wird, deren Teil Peter ist, desto mehr vertreibt sie ihn aus seinem kleinen privaten Paradies. In Süßkows Inszenierung merkt man das daran, dass der rote Stoff von der „Assistentin“ langsam von den Wänden der Wohnhöhle
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gezogen wird und sich in eine Stoffwüste verwandelt. Im Scheinwerferlicht leuchtet der Stoff nun nicht länger im satten Rot, sondern beginnt – die neue Politik scheint Wirkung zu zeigen –, in einem Mauve-Ton zu schimmern. Die junge Frau konnte sich offenbar besser mit den neuen Verhältnissen arrangieren als ihr alter Chef. Sie verkörpert oder propagiert den „neuen Menschen“, der die innige Vertrautheit zu einem anderen Wesen nicht mehr benötigt, auf die Peter aber nicht verzichten kann. Als er versucht, das staatlich erlaubte Maß an Intimität zu überschreiten, indem er die Einstellungen von IKI manipuliert, wird deren Festplatte automatisch gelöscht. Auch in diesem „ökologisch-bürgerlichen Rührstück“ frisst die Revolution ihre Kinder, selbst wenn diese Kinder Umweltaktivisten sind. Peter spürt in diesem Moment, in dem er seine Gefährtin verliert, die „große Transformation“ der Gesellschaft. Die „Assistentin“ bemalt Peters nackten Körper mit einer mauvefarbenen Emulsion – so als ob die neue Welt auf ihn abfärbt. Mit der netten Stimme einer Nachrichtensprecherin verkündet die Blondine: „Fest steht, dass der Neue Mensch … auf die tausend Häupte der KI treffen wird. Er wird fürderhin … als vaterlandsloser Geselle auf Erden wandeln … Eine Identität wird der Neue Mensch erst dann erlangen, wenn alle anderen stehenden und ständischen Identitäten verdampft sind … Der Neue Mensch, das ist definitiv weniger Mensch“. An diesem Wendepunkt von der alten in die neue Welt und vom alten zum neuen Menschen schafft das Regieteam einen wirklich eindrücklichen, erhabenen Theatermoment. Der auf dem Boden liegende Stoff beginnt, sich aufzubauschen und Peter Vogel einzuhüllen, und wird schließlich über die Köpfe der im Parkett sitzenden Zuschauer gezogen. Sie werden Teil jener „großen Transformation“, an deren Ende jeder mit jedem zu einem einzigen kollektiven Wir verbunden ist. Es kommt zum Netzwerkeffekt zwischen all den vielen künstlichen Intelligenzen, sodass IKI (die „Intime Künstliche Intelligenz“) nun durch UKI (eine „Universelle Künstliche Intelligenz“) ersetzt wird. Peter ist nicht dafür geschaffen, sich in ein identitätsloses Wesen zu verwandeln, und wird folgerichtig aus dem Inneren der Stoffhülle herausgedrängt. Es ist wirklich ein brillanter Regieeinfall, mit ein und demselben roten Stoff drei verschiedene Bühnenräume – und damit eben auch drei verschiedene Welten – zu kreieren: die Welt, in der Peter beschützt und geborgen in einem großen roten Uterus mit IKI lebt und in der er als Staatstrojaner-Chef mithilft, eine Ökodik-
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tatur durchzusetzen; eine Zwischenwelt, in der die „Assistentin“ seine Geschicke zu lenken beginnt und in der die künstliche Intelligenz universell wird; und schließlich jene neue fiktive Welt, in der die Idee vom „neuen Menschen“ Wirklichkeit geworden ist, in der es aber für einen Peter Vogel keinen Platz mehr gibt. Rieke Süßkow wurde 1990 in Berlin geboren und hat nach eigenem Bekunden nie einen anderen Berufswunsch verspürt, als „etwas mit Theater zu machen“. Nach dem Abitur entwickelte sie in Schottland zunächst ein Jahr lang erste eigene Inszenierungen mit Kinder- und Jugendgruppen. 2010 begann sie, in Wien Theater-, Film und Medienwissenschaft zu studieren, und hat dort das nicht.THEATER Ensemble mitbegründet, für das sie site-spezifische Arbeiten in der freien Szene entwickelte. „Unser Ziel war, die Grenzen und Konventionen des Theaters zu befragen und Architektur und deren Systemhaftigkeit spürbar zu machen“, erklärt die Regisseurin. „In dieser Zeit habe ich sehr viel gelernt – autodidaktisch, ohne eine Universität oder einen Staatstheaterapparat im Rücken.“ Vor allem, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen: „Wir haben alles allein organisiert: Spielorte, Proberäume, Fördergelder, Flyer drucken, Bühnenbilder zusammenschrauben etc.“ Eine ihrer wichtigsten Erfahrungen habe darin bestanden, „der eigenen Intuition zu trauen; sich nicht von außen erzählen zu lassen, wo die Grenzen liegen, sondern sie selbst auszutesten“, so Süßkow. Nach ein paar Jahren entschied sie sich dennoch für ein Regiestudium: „Weil ich gemerkt habe, dass ich noch mehr lernen will – über verschiedene Theaterformen und Ansätze von verschiedenen erfahrenen Theatermachern.“ Von 2014 bis 2019 studierte Süßkow dann an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Ihre Abschlussinszenierung „Medea“, die Anfang 2019 auf Kampnagel Premiere feierte, wurde zum Festival Fast Forward am Staatsschauspiel Dresden eingeladen und gewann beim FIAT Festival in Montenegro den Preis für die beste Regie; Aleksandra Corovic wurde für ihre Darstellung der Medea als beste weibliche Darstellerin ausgezeichnet. Bei Süßkow wird die ganze „Medea“-Tragödie in eine Welt ohne Sprache versetzt, wo alle Beteiligten aufeinander reagieren, aber nicht miteinander kommunizieren. Auffallend ist, dass die beiden Kinder nicht nur identisch aussehen, sondern auch exakt die gleichen Bewegungen ausführen, also im Gleichschritt durchs Wohnzimmer laufen und im selben Rhythmus ihre Suppe löffeln. Das wirkt bizarr, ist aber weit mehr als nur ein Theatergag. Die Inszenierung lässt die Geschichte in den USA der 50er Jahre spielen. In den bei-
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den Frauenfiguren erkennt man unschwer zwei Personen der Zeitgeschichte wieder, die zu US-amerikanischen Rollenmodellen par excellence geworden sind: Marilyn Monroe und Jackie Kennedy. Gleichzeitig – so lautet die Behauptung der Inszenierung – verhindern diese Rollenmuster jegliche Form von Nähe und Vertrautheit und schaffen damit den Boden von Verrat und Gewalt, wo es zu Ehebruch und Kindermord kommt. Man kann die beiden Kinder natürlich wie Zwillinge aussehen lassen und ihr Verhalten bis in die kleinste Kopfbewegung hinein synchronisieren. In dieser „Medea“-Inszenierung wird die Gleichschaltung der beiden Jungen darüber hinaus aber zum eindrücklichen Sinnbild einer Gesellschaft, in der die Erwachsenen derart strikten Rollenmustern folgen, dass ihre Kinder zu Robotern werden. Die Regiearbeiten von Rieke Süßkow zeichnen sich durch eine bemerkenswerte Formstrenge aus. Jede ästhetische Entscheidung ist eine zwingende Entscheidung. Vor dem Hintergrund des postdramatischen Theaters, wie es in den letzten Jahrzehnten vorherrschend war, ist dies ein durchaus ungewöhnlicher Ansatz, denn das freie – oder oft auch bewusst sinnfreie und selbstreferenzielle – Spiel mit allen erdenklichen Stilelementen gehört ja zu dessen Markenzeichen. „Grundsätzlich sehe ich in unserer heutigen Zeit und Gesellschaft kein Potenzial mehr in der Dekonstruk-
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tion, weil ich darin weder utopisch noch visionär denken oder sichtbar machen kann, welches System es ist, das als Gegenstand der Betrachtung kritisch befragt werden soll“, sagt Süßkow. „Wenn ich nicht das Konstrukt dahinter spüre, das dekonstruiert werden sollte, verpufft die Idee und hat für mich weder eine befreiende noch eine inspirierende Wirkung.“ Der äußerst ökonomische Einsatz von ästhetischen Mitteln begründet bei Süßkow keinen spezifischen Stil und erst recht keine minimalistische Ästhetik, der abstrakte Regeln zugrunde liegen. Die Formensprache der Regisseurin ist ganz im Gegenteil äußerst sinnlich. Hat die Ästhetik, die sich in diesen ersten Inszenierungen zeigt, etwas mit einer Abgrenzungs- und Gegenbewegung gegenüber der vorherrschenden Theaterpraxis und den zugehörigen Diskursen zu tun? „Das ist interessant, dass Sie es als Gegenbewegung bezeichnen“, entgegnet Süßkow. „Vielleicht, weil ich immer schon Interesse daran hatte, die Gegenposition einzunehmen? Ich glaube ja insgeheim, dass das einer der Gründe ist, warum ich überhaupt zum Theater gekommen bin.“ Für Süßkow ist das Theater ein Erlebnisraum: „Was mich interessiert, ist die Konstruktion, das Erschaffen und Erfinden von anderen, fremden, hermetischen Welten. Ich möchte kein Theater machen, das die Zuschauenden für dumm verkauft.“
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Regie und Choreografie
caner teker
Kırkpınar von
Dramaturgie
caner teker
Isabel Gatzke Musik
Premiere
10. Januar 2020 Sophiensæle, Berlin
Lou Drago, Valerie Anna Zwoboda
Unnachgiebiges Aufweichen Christine Matschke Die Kantine der Berliner Sophiensæle, ein fensterloser Raum im Untergeschoss jenes Gebäudes, das die Berliner Arbeiterbewegung einst als Versammlungsort nutzte, gleicht einem dubiosen Hinterhofclub. Zwielichtig geht es an diesem Abend wortwörtlich zu. Denn unmittelbar nach Einlass gerät die Kontrolle über die eigene sinnliche Wahrnehmung ins Wanken: Die Beleuchtung ist spärlich. Auch mehrere Säulen beeinträchtigen einen freien Blick in den Raum. Irritiert von diesen Umständen, sucht man sich mit weiteren in silhouettenhafte Anonymität getauchten Körpern einen Sitzplatz auf einem der kaum erkennbaren Hocker oder Kissen aus: Eine quadratische Matte wird so in stiller, theaterritualisierter Vereinbarung als Zuschauerraum ausgespart und gemeinschaftlich zur potenziellen Aufführungsfläche erhoben. „Kırkpınar“ – so der Titel des Stücks, das im Rahmen der diesjährigen Tanztage Berlin uraufgeführt wurde, will heraus aus einem Denken in geschlechtlichen und sozialen Schubladen. Dazu knöpft sich der non-binäre, an Gender- und Identitätsfragen sowie queerer Theorie interessierte Jungregisseur* caner teker den hypermaskulinen türkischen Nationalsport Yağlı Güreş vor. Ziel dieser bereits Jahrhunderte alten und auch in anderen Ländern des Balkans bekannten Tradition des Öl-Wrestlings ist es, den mit Olivenöl eingeriebenen Gegner zu Boden zu bringen. Für die glitschige Sportart, die mittlerweile auf der Liste des immateriellen UNESCO-Weltkulturerbes steht, wird seit 2010 auf der SarayiçiHalbinsel in der Nähe der Stadt Edirne ein Festival ausgerichtet. 1500 Ölringer aus der ganzen Türkei treten hier alljährlich unter freiem Himmel zum Kampf an. Als ein Ringen um die Erhaltung traditioneller und mythologisch aufgeladener Männlichkeitsbilder deutet sich zunächst auch „Kırkpınar“ an. Die Kantine der Sophiensæle wird von einem düsteren Wummern durchzogen. Messerscharfe Kundalini-Atemstöße und reißende Klettverschlussgeräusche durchdringen den bedrohlichen Grund-Sound in getakteten Zeitabständen. Im Dämmerlicht des gut gefüllten Raums sitzen caner teker und sein* CoPerformer* Aaron Ratajczyk auf zwei Lautsprechern. Ihre schwarz gekleideten Körper sind zunächst nur hörbar präsent. Doch bald mischen sich die Performer*innen sichtbar unter das Publikum. Diagonal, von zwei Ecken des Raums aus, nähern sie sich im Vierfüßlergang einander an. Statt sich aber auf dem Schnittpunkt
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ausgeklügelter Kampfankündigungsgeometrien ins Gehege zu kommen, bewegen sie sich aneinander vorbei und bleiben in der Marginalen. Außerhalb der markierten Aufführungsfläche strecken sie dann wechselseitig ihre Arme in den Raum und bauen dabei eine Kraft auf, die sich erst ein paar Szenen später durch auf den Boden knallende Fäuste entlädt. In der Erinnerung des Publikums werden Heldenklischees abgerufen und beginnen gleichzeitig zu verschwimmen: Im Abgleich mit dem soeben Gesehenen wollen sie nicht greifen. teker blickt anders auf diese Szene: „Ich denke nicht, dass ich angefangen habe, ein Klischee aufzulösen, sondern Referenzen ziehe, die sich auf hypermaskuline Räume beziehen.“ Interessant an Theaterarbeiten, die gegen Repräsentation arbeiten – so wie es auch caner teker tut –, ist aber wohl gerade, dass sie im Spiel mit dem kulturellen Gedächtnis der Zuschauer eine Polysemie entfalten. In „Kırkpınar“ werden – zeitgemäß subversiv – Spannungen ausgebremst und Gesten der Unterdrückung in ein vertrauensvolles körperliches Miteinander umgewandelt. Auf einen Höhepunkt im klassischen, dramatischen Sinn mit darauffolgender, abfallender Spannungskurve hat caner teker dabei absichtlich verzichtet: „Ich habe das Stück auf der Sound- wie auch auf der PerformanceEbene so konzipiert, dass es kreisläufig ist.“ Sicherlich ein Grund dafür, dass dem Publikum der Sechzigminüter am Ende so gelungen rund vorkommt. Bevor caner teker, 1994 in Duisburg geboren und deutschtürkischer Herkunft, 2019 an der SNDO, der renommierten School for New Dance Development in Amsterdam, sein* Choreografiestudium antrat, hatte er* bereits ein Kunststudium abgeschlossen. An der Kunstakademie Düsseldorf lag sein* besonderes Augenmerk auf dem Verhältnis von Körpern zu ihrer Umgebung und der damit einhergehenden Frage, wie sich alternative, gesellschaftsund machtkritische Wahrnehmungs- und Handlungsräume eröffnen lassen. Das Schreiben autobiografischer Texte hat teker zur Performance-Arbeit geführt: „Ich habe nach neuen Präsentationsformen für meine sehr intimen Texte gesucht. Dabei habe ich mit unterschiedlichen künstlerischen Formen experimentiert und Performance und Tanz für mich entdeckt. An die Stelle der Produktion eines Objekts ist so die Disziplinierung des Körpers getreten – durch Kampfkunst, Tanzworkshops und somatische Praktiken.“ caner teker ist es ein Anliegen, das Persönliche politisch zu machen. In seiner* Performance „Ibne / Götveren“ von 2018 etwa hat er sich mit dem Thema Diskriminierung auseinandergesetzt.
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Der Titel zitiert Beschimpfungen gegen Homosexuelle auf Türkisch, zeigt aber auch einen Identitätskonflikt auf: in der Türkei als Deutschtürke und queere Person, in Deutschland als Türke wahrgenommen zu werden. Die Themen Authentizität, Intimität und Verletzlichkeit spielen in den Arbeiten von teker eine wesentliche Rolle. „Es war mir wichtig, einen Raum zu kreieren, der für uns als Performer*innen sicher ist, denn wir machen uns extrem angreifbar“, sagt teker mit Blick auf „Kırkpınar“, seine* erste abendfüllende Performance. Bevor er* mit seinem* Co-Performer* Aaron Ratajczyk im zweiten Teil des Stücks zu Boden geht, montieren sie deshalb eine Absperrung um die ausliegende Matte. Dass sie hier, im ehemaligen Handwerkervereinshaus und Zentrum der Arbeiterbewegung, zu einem Black-Metal-Track einen Umbauakt übernehmen, lässt sich als Zeichen der Solidarität mit den Bühnentechnikern lesen. Es sei aber eben auch, wie caner teker, Enkel* eines türkischen Gastarbeiters und Gleiswerkers in der Bergbau- und Stahlindustrie, zu berichten weiß, ein Verweis auf die mangelnde Beachtung des Aspekts „labour“ innerhalb des Identitätsdiskurses. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse werde hier oftmals ausgeblendet. Identitätszuschreibungen und herkömmliche soziale und geschlechtliche Kategorien sind es dann auch, die sich im zweiten Teil des Stücks verflüssigen. Innerhalb des Schutzrings ölen die beiden Performer*innen ihre Körper, oben ohne und unten in Biker-Lederhosen, zunächst sorgsam, beinahe liebevoll, ein. Kopf an Kopf lehnen sie dann als vermeintliche Gegner*innen im Stehen aneinander. Ihr aufrichtiger Augenkontakt kündigt bereits an, dass es hier keinen Kampf geben wird. Im Liegen dann gehen Momentaufnahmen bekannter Wrestling-Posen in einen intimen Dialog zweier Körper über. Es wird gestützt und gehalten statt niedergedrückt. Dabei geht es nicht darum, eine im Ringerdiskurs mitschwingende Homoerotik zu zelebrieren, sondern heteronormative Kategorien in einem vertrauens- und verantwortungsvollen Miteinander aufzulösen. Repräsentationsformen von Gewalt werden durch ein Präsent-Werden von Verletzbarkeit überlagert. Arbeiten, in denen zwei skulptural im Duett verschlungene Körper eine Ich-Entgrenzung erproben, sind in der freien Tanzszene durch das Künstlerduo Angela Schubot und Jared Gradinger bekannt geworden. Doch anders als bei Schubot und Gradinger, die zuletzt vor allem nach einer posthumanistischen Verbindung mit der Natur suchten und sich dabei bewusst von einer spirituellen Überhöhung abgrenzten, spielt die queer-orientierte Performance
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von caner teker mit dem Aspekt Transzendenz. Wenn die Komponistin Valerie Anna Zwoboda, die an diesem Abend gemeinsam mit Lou Drago für die Musik verantwortlich ist, neben heroisch anmutenden Melodien der türkischen Sackpfeife Tulum sakral-chorale Soundschleifen erklingen lässt, hebt einen das emotional mit in den Ring. Die hier auf den symbolischen Mattensockel gehobene, dynamische Körperskulptur entwickelt zusammen mit dem tranceartigen Sound eine Energie, die einen körperlich anrührt. Feiert das Kunstwerk als Kultgegenstand hier sein Revival? Wie ein augenzwinkernder Kommentar auf solch ein Kunstverständnis wirkt da das Abschlussbild der Performance: teker und Ratajczyk hängen, beinahe wie ohnmächtig und über ihre Münder miteinander verschmolzen, an einem Absperrgitter. Ihr pumpender Atem – eine Praktik, die dem BDSM entstammt – schiebt sie hin und her. Was hier wie im Glanze einer Aura erstrahlt – nämlich die fetischisierte, symbiotische Vereinigung zwischen zwei nach heteronormativen Standards als männlich zu bezeichnenden Menschen – zeigt dem Publikum provokativ die Zunge: Homosexualität und vermeintliches Anders-Sein sind so alt bzw. normal wie die Menschheitsgeschichte und haben längst keinen Anspruch mehr auf Einzigartigkeit. Die melodischen und pathetisch gefärbten Sackpfeifen- und Chor-Parts, die Valerie Anna Zwoboda in den Drone-Sound von DJ
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Drago einschreibt, sollten eine melodramatische Komponente in die Performance einbringen, erklärt der ernst und ruhig wirkende Mittzwanziger* im Gespräch. (Daran also liegt es, dass man aus Zuschauerinnenperspektive in so einen gefühligen Zustand gerät.) Subtil und beharrlich triggern caner teker und seine* Crew auf sinnlicher Ebene das kulturelle Gedächtnis des Publikums. Man erinnere sich: Das klassische Melodrama, ob nun im Kino oder auf der Bühne, setzt auf emotionale Effekte. Inhaltlich geht es dabei, ähnlich wie im Format der Soap Opera, um Konflikte zwischen Liebenden, Familienmitgliedern und Freunden, deren Leben schicksalhaft miteinander verwoben sind und im Widerspruch zu gesellschaftlichen Moralvorstellungen stehen. Quasi vor den Augen des Publikums werden in einem unmittelbar privaten Umfeld die inneren Konflikte der Protagonistinnen und Protagonisten zur Schau gestellt und in einem klassischen Kampf zwischen Gut und Böse ausgetragen. Eben jenen Kampf zwischen vermeintlich richtigem und vermeintlich falschem Sein hebelt teker aus. Er* wertet einen traditionellen Kampfsport und die damit verbundene Inszenierung von Männlichkeit um, um sie intelligent in eine gender-fluide Perspektive zu verzerren. Dass das Stück dabei so klar durchstrukturiert ist, steht in einem interessanten Widerspruch zu tekers Aufweichungsstrategie. Er* begründet diese Art der Strenge folgendermaßen: „Choreografisch gibt es einem ein Sicherheitsgefühl, wenn man alles gemeinsam macht. Die Kommunikation zwischen mir und Aaron spielte für die Performance eine wichtige Rolle. Beim Aufbau des Rings etwa war es mir wichtig, dass wir aufeinander warten, bis alles angeschraubt ist, damit sich keiner alleingelassen fühlt.“ Schutzräume zu etablieren ist etwas, das caner teker aus seiner* Arbeit in der queeren Berliner Clubszene kennt. Hier arbeitet er* in sogenannten Awareness-Shifts. „Die Grundidee ist, dass man innerhalb gegebener Strukturen ein Sicherheitssystem für die Community findet, in dem man nicht auf den Staat, die Polizei oder Anwälte angewiesen ist. Recht und Gerechtigkeit werden hier also selbst und ohne Gewalt hergestellt“, berichtet teker. „Die AwarenessShifts“, fügt er* hinzu, „kommen aus einem nordamerikanischen schwarzen Kontext, in dem sich marginalisierte Gruppen eben nicht auf staatliche Systeme verlassen können. In der queeren Berliner Clubszene geht es darum, Räume zu halten (to hold the space), damit sich alle sicherer fühlen. Meist gibt es Infoblätter zu Drogenkonsum. Kondome etc. werden angeboten.“ Aber Gäste erhalten eben auch eine Art soziale Begleitung, bei der darauf
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geachtet wird, dass sie nicht dehydrieren oder kollabieren. Eine Erfahrung, die teker auch in seine künstlerische Arbeit einfließen lässt, insofern, als er sich bewusster über das Gewaltpotenzial von Kommunikation und das Potenzial physischer Gewalt sei. Auf die Frage, ob es für ihn* als Absolventen* der Kunstakademie und Choreografiestudenten* der SNDO nicht merkwürdig sei, zu einem Festival für junge Regisseurinnen und Regisseure eingeladen zu werden, antwortet teker, den man im Ruhrpott wohl unaufgeregt „einen guten Typen“ nennen würde: „Das habe ich mich am Anfang auch gefragt. Aber mit Blick auf das Archiv des Festivals scheint das gar nicht so abwegig zu sein. Dort waren immer mal wieder SNDO-Studierende vertreten wie etwa Florentina Holzinger und Vincent Riebeek, aber auch Samira Elagoz. Ich bin dankbar für diese Gelegenheit“, sagt er*. teker fühlt sich selbst übrigens in dem Begriff „Performance-Künstler*“ am ehesten aufgehoben. Was für ein riesiges Glück also, dass das Münchner Volkstheater seine Auswahl für Radikal jung so spartenoffen trifft!
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Bildnachweis Hedda Gabler S. 9, S. 11, S. 14: © Arno Declair The Miracle of Love S. 16: © Melanie Bonajo Wiederauferstehung der Vögel S. 26, S. 30, S. 31: © Kim Culetto Tanz S. 34, S. 38: © Eva Wurdinger I love you, Turkey! S. 43, S. 46, S. 49: © Konrad Fersterer Der Boxer S. 51, S. 54, S. 57, S. 58: © Krafft Angerer Das Deutschland S. 60, S. 64, S. 67: © Martin Kaufhold Das Totenfest S. 69, S. 71, S. 72: © Erich Goldmann Die Kränkungen der Menschheit S. 76, S. 80, S. 82: © Gabriela Neeb Oder: Du verdienst deinen Krieg (Eight Soldiers Moonsick) S. 84, S. 89: © Ute Langkafel IKI.Radikalmensch S. 92, S. 96, S. 99: © Jörg Landsberg Kırkpınar S. 101, S. 105, S. 106: © Spyros Rennt
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„Allen eingeladenen Inszenierungen gemeinsam – wenn auch jeweils in der Art und Weise sehr unterschiedlich – sind die Zugriffe der Regie aus einer politischen Haltung, feministisch, queer, kritisch auf ein sehr altes Medium der Selbstverständigung menschlicher Gesellschaften: das Theater.“ Jens Hillje, Künstlerische Leitung Radikal jung 2020 Das renommierte Festival für den professionellen Regienachwuchs Radikal jung präsentiert in München auch 2020 wieder die größtmögliche Bandbreite von Interessen, Herangehensweisen und Zugriffen einer jungen Generation von Theatermacherinnen und Theatermachern. Inszenierungen aus dem ganzen deutschen Sprachraum bilden die stetige Veränderung der Stadt- und Staatstheaterlandschaft ab. In ausführlichen Werkporträts werden in diesem Buch junge Künstlerinnen und Künstler vorgestellt, die schon jetzt die Theaterlandschaft von morgen prägen. Lucia Bihler Daniel Cremer Katrin Hammerl Florentina Holzinger Selen Kara Ewelina Marciniak Bonn Park Max Pross Anta Helena Recke Sasha Marianna Salzmann Rieke Süßkow caner teker
ISBN 978-3-95749-278-4