DAS FLÜCHTIGE GESTALTEN. 30 Jahre Bayerische Theaterakademie August Everding

Page 1



Edition Bayerische Theaterakademie August Everding

DAS FLÜCHTIGE GESTALTEN Herausgegeben von Barbara Gronau unter Mitarbeit von Maria Goeth, Stefan Herfurth, Tim Kramer, Antonia Leitgeb


2

Vorwort Barbara Gronau

Der vorliegende Band bildet den

­Hintergrund einer Institutions- und

­Auftakt einer Publikationsreihe der

Wissensgeschichte der ­Darstellenden

Bayerischen Theaterakademie August

Künste. Zum anderen nimmt es die

Everding in München. Anlässlich ihres

individuellen E ­ rfahrungen und Pers-

dreißigjährigen Jubiläums themati-

pektiven von Studierenden, Lehrenden

siert er die komplexe Geschichte und

und Mitarbeitenden in den Blick, um

Gegenwart einer der großen Ausbil-

eine Form des kollektiven Erinnerns zu

dungsstätten für Bühnenberufe im

ermöglichen. Nicht zuletzt adressiert

deutschsprachigen Raum. 1993 im

es die heutigen Herausforde­rungen des

historischen M ­ ünchner Prinzregen-

Berufsfeldes Theater und deren Rück-

tentheater als Lehr- und Lerntheater

wirkungen auf das Studium.

gegründet, beruht die Theaterakademie auf einem einmaligen Koope-

Am Ausgangspunkt unserer Überlegun-

rationsmodell mit den Münchner

gen steht die Flüchtigkeit der Kunst des

Hochschulen und den Bayerischen

Theaters. Als prozessuale Kunst ist sie

Staatstheatern. Bis heute wird sie von

besonders anfällig für Verlust und Ver-

der Idee getragen, die Darstellenden

gessen. Theater zu lehren und zu ler-

Künste im laufenden Theaterbetrieb

nen bedeutet immer, gegen den Fluss

auszubilden und so Theorie und Praxis

der Zeit zu arbeiten. Auf der ­anderen

in einzigartiger Weise zu verschränken.

Seite ist das Theater auch ein kollektives Gedächtnis, in dem kulturelle

Was bedeutet der Begriff ­Akademie

Erfahrungen tradiert und von jeder

für uns und wie tauglich ist er für

Generation neu erlebt werden. Nicht

die Gegenwart? Das Buch dokumen-

zuletzt markiert es in seiner Flüchtig-

tiert zum einen die Entstehung und

keit das Kostbarste unseres Lebens –

den Wandel der Ausbildung vor dem

die gemeinsam geteilte Zeit.



Inhalt 2

Vorwort

8

Grußworte 9

Markus Blume

10

Lydia Grün

Bernd Huber 11 12 13

Karen Pontoppidan Bettina Reitz Serge Dorny Andreas Beck Josef E. Köpplinger Barbara Malisch

14 D AS ­FLÜCHTIGE GESTALTEN 15 Erika Fischer-Lichte: Zur Flüchtigkeit von Aufführungen 18 John von Düffel: Gespräch im ­Hause Düffel über den abwesenden Herrn Stein. Über die Flüchtigkeit des ­Theaters und die Macht der Erinnerung 23 Dirk Baecker: Theater als Kunst der Einmaligkeit. ­Infrastrukturen des Ephemeren 27 Susanne Hermanski: Die Kunst des Teilens: Von Kulturförderung und Förderkultur

32 Wie alles ­anfing 33 Barbara Gronau: Was ist das, eine Akademie? 42 Geschichte des Prinzregententheaters 44 30 Jahre Bayerische Theater­akademie August Everding 46 Thomas Schubert: Beste Stücke. Ausgewählte Archivalien mit Bezug zur Bayerischen Theaterakademie August Everding 70 Martin R. Laiblin: „Kultur sollte nicht Zutat sein, sondern Tat von Anfang an.“ Episoden aus der Geschichte des Prinzregententheaters

82 Walking ­Memories 86 Ja, ich will 88 Innenperspektiven 90 Was ist dein Lieblingsort? 92 Vom Sammeln und Bewahren 94 Internationale Stimmen 96 Verschwundenes 98 Rückbesinnung 100 Welche Musik erinnert dich an die Theaterakademie? 102 Was wird gewesen sein? Was geklungen haben?


106 Lehren und Lernen im Theater 107 Studiengang Schauspiel/ Musical/Musiktheater: Alles nur Theater? 114 Studiengang Regie: Denken lernen 122 Studiengang Maskenbild: Ich glaube, dass wir zum sechzigsten Jubiläum eher so etwas wie ein Cyber-Theatre haben werden. 131 Studiengang Kulturjourna­ lismus: Sei nie langweilig und trau dich was! 137 Studiengang Bühnenbild und -kostüm: Akademie der Bildenden Künste München Leitung Prof. Katrin Brack

150 Allianzen ­ bilden 152 Kathrin Mädler: Gemeinsam für schöne, wilde, eigenwillige, politische Kunst! 154 Armin Kahl: Ein Schmelztiegel für die Welten des Theaters 157 Olga Rex: Der Mensch ist im Theater ­unersetzlich 158 Jonas Zipf: Eine Ausbildungs­ stätte der Selbstwirksamkeit und ­Verantwortung

161 Laura Mangels: Freiräume für Kunst und E ­ xperiment – Lasst uns Banden bilden! 162 Fnot Taddese: Selbstständigkeit fördern 163 Irina Ries: Leute, tauscht euch aus! 166 Danae Kontora: Es gibt nicht den einen Weg! 167 Maximilian Sippenauer: Kritik ist tot. Es lebe die Kritik. Warum Kulturkritik gerade sehr viel Spaß macht.

168 Ausblicke Fragen von Studierenden an das Theater und die Theaterakademie der Zukunft

172 Einblicke 198 Informationen Studium an der Bayerischen Theaterakademie

200 Impressum


Copyright Illustration: Leonie Ott



8

01

Grußworte


9

Markus Blume

Markus Blume, MdL

das ermöglicht uns die Bayerische Theaterakademie

Bayerischer Staats-

August Everding seit dreißig Jahren. Mit großem Stolz

minister für Wissen-

ist der Freistaat Bayern deshalb von Beginn an Träger

schaft und Kunst

dieser international bedeutenden Ausbildungsstätte

München, im Juli 2023

für Bühnenberufe. „Lernen fürs Theater im Theater“ war 1993 die Vision des großen Theatermachers August Everding – und sein innovatives und weitblickendes Konzept beweist bis heute seine Genialität und Schlagkraft. Täglich wird im wunderschönen Prinzregententheater und den angrenzenden Akademietheatern das Theater der Zukunft gelehrt, gelernt und geformt – und auch für die Bürgerinnen und Bürger in innovativen und wegweisenden Theaterproduktionen erlebbar gemacht. Wir sind stolz und dankbar, dass diese weltweit einzigartige Kulturinstitution seit drei Jahrzehnten die bayerische Theaterszene bereichert. Ich wünsche allen Studierenden, Lehrenden und Mitarbeitenden von Herzen alles Gute – weiter so und bravi!

Grußworte

Theater lernen, Theater erleben, Theater lieben –


10

Prof. Lydia Grün

Prof. Dr. Dr. h. c. Bernd Huber

Zentrale Grundlage einer offenen, diversen und

Im Masterstudiengang Dramaturgie, den die Lud-

demokratischen Gesellschaft ist die Freiheit von

wig-Maximilians-Universität München gemeinsam mit

Kunst, Wissenschaft und Forschung. Diese Freiheit

der Bayerischen Theaterakademie August Everding

bedeutet Verantwortung – für ein friedliches, res-

anbietet, erarbeiten sich unsere Studierenden einen

pektvolles Miteinander und ein nachhaltiges Gestal-

umfassenden Begriff von Theater, indem sie Theater

ten unserer Gesellschaft. Musik, Tanz, Theater und

gestalten. Gerade in einer Umbruchszeit, in der viele

Kulturpublizistik leisten dafür als Resonanzraum

Selbstverständlichkeiten infrage gestellt werden,

einen wichtigen Beitrag.

bietet das Theater einen Ort, der gesellschaftliche Diskurse spielerisch aufgreift, weiterspinnt und reflek-

Unsere Studierenden sind die Zukunftsträger:innen

tiert. Jungen Menschen eine fundierte Ausbildung in

und Zukunftsgestalter:innen im Kulturbetrieb. Ihre

Theorie und Praxis dieser facettenreichen Kunstform

starken Stimmen, ihr Gestaltungswille, ihre künst-

zu bieten, ist daher ein wichtiger Bildungsauftrag, den

lerischen Fähigkeiten entscheiden darüber, wie sich

wir gemeinsam mit der Theaterakademie mit Stolz

unser gemeinsames Leben weiterentwickelt. Für sie

und Freude ausführen.

wollen wir im Schulterschluss mit der Theaterakademie August Everding Raum schaffen für künstlerische

Im Namen der Ludwig-Maximilians-Universität und

Entwicklung, Experiment, Reflexion und Diskurs.

persönlich gratuliere ich der Bayerischen Theaterakademie August Everding sehr herzlich zu ihrem

Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit allen

dreißigjährigen Bestehen. Ich freue mich sehr über

Menschen an der Theaterakademie und auf unsere

die erfolgreiche Zusammenarbeit und sage auch für

starke Partnerschaft für Kunst und Kultur!

die nächsten dreißig Jahre: toi, toi, toi!

Prof. Lydia Grün,

Prof. Dr. Dr. h. c. Bernd Huber,

Präsidentin der Hoch-

Präsident der Ludwig-Maxi-

schule für Musik und

milians-Universität München

Theater München


11

Prof. Bettina Reitz

Im Namen der Akademie der Bildenden Künste

Seit meiner Jugend ist das Theater ein wichtiger

München gratuliere ich unserer Partnerin – der

Reflexionsraum, der alle meine Sinne anspricht! Der

Bayerischen Theaterakademie August Everding –

Live-Moment, der miterlebte Augenblick, ermöglicht

sehr herzlich zum dreißigjährigen Jubiläum und zur

Wahrnehmungen von unmittelbarer Intensität! In der

erfolgreichen Ausbildung junger Menschen in den

Bayerischen Theaterakademie August Everding, für

Gewerken rund um die Darstellenden Künste.

mich fußläufig erreichbar, erlebe ich Gemeinschaft, neue Erzählwelten und Spielräume. Jedes Mal sind die

Es ist eine wichtige Aufgabe der Kunst, der Gesell-

leidenschaftlichen Premierenabende junger Talente

schaft einen Spiegel vorzuhalten. Denn selbst ein

voller Energie und Spielfreude ein Erlebnis!

flüchtiger Blick in den Spiegel, diese kurze Konfrontation mit dem eigenen Spiegelbild, kann zur Reflexion

Ich wünsche meiner Kollegin Prof. Dr. Barbara Gronau

anregen und das Selbstverständnis der Menschen

und ihrem Team weiterhin Fortune und der Baye-

nachhaltig beeinflussen. Die zeitbasierte Erfahrung

rischen Theaterakademie August Everding weitere

des Theaters ist flüchtig, aber die Themen, die auf

dreißig plus erfolgreiche und aufregende Jahre, in

der Bühne verhandelt werden, bleiben, sickern in die

denen sie vielfältig und mutig junge Talente fördert,

Gesellschaft und verändern sie.

das Theater der Zukunft gestaltet und ein wichtiger diskursfreudiger Denkort für die Darstellenden Künste

Ich wünsche der Theaterakademie August Everding

bleibt.

weiterhin den Mut, dieser Spiegel zu sein, und freue mich auf neue, herausragende und herausfordernde

Und vor allem bin ich als Präsidentin der Hochschule

Theatererlebnisse.

für Fernsehen und Film München dankbar für unsere inspirierenden Kooperationen und hoffe, dass wir diese engagiert ausbauen und um aufregende innovative Formate erweitern werden!

Prof. Karen Pontoppidan,

Prof. Bettina Reitz,

Präsidentin der Akademie

Präsidentin der Hoch-

der Bildenden Künste

schule für Fernsehen

München

und Film München

Grußworte

Prof. Karen Pontoppidan


12

Serge Dorny

Andreas Beck

Liebe Theaterakademie, Nicht nur für die Stadt München und zahlreiche

ich bin sicher einer von immer wenigeren, die August

Theater im deutschsprachigen Raum, auch für die

Everding noch persönlich gekannt und erlebt haben.

Bayerische Staatsoper ist die Theaterakademie

Dass die Akademie, die heute den Namen ihres Erfin-

August Everding dreißig Jahre nach ihrer Gründung

ders trägt, nun schon dreißig Jahre alt wird, ist ein

nicht mehr wegzudenken: Absolventinnen und Absol-

wunderbares Jubiläum, aber auch ein Auftrag an die

venten der verschiedenen Studiengänge wie Drama-

Politik, den Freistaat und besonders die Kunst: Näm-

turgie, Regie, Operngesang und Maskenbild haben ihre

lich die Gründungsideen sprichwörtlich weiterzu-

ersten und weitere berufliche Schritte an unserem

verfolgen und umzusetzen und so eine praxisnahe

Haus gemacht und sind uns bis heute eng verbunden.

Ausbildung für künstlerische Berufe zu ermöglichen und auch für die Zukunft zu garantieren.

Und nicht nur über diese Gemeinschaft in der konkreten künstlerischen Arbeit freuen wir uns, die Mitar-

Dabei sollte die Akademie ihrer Ursprungsidee nach

beiter:innen der Bayerischen Staatsoper stehen

wie ein Theater verfasst sein und mit stetig wech-

darüber hinaus mit dem Team der Theaterakademie

selnden Künstler:innen-Persönlichkeiten einen zeit-

in engem Austausch, entwickeln gemeinsam die

gemäßen und soliden Ausbildungshintergrund

Rahmenbedingungen für Projekte und lernen von-

gewährleisten. Dass dies in den vergangenen Jahr-

einander.

zehnten immer wieder hervorragend gelungen ist, beweisen die Absolventinnen und Absolventen mit

Ich hoffe auf viele weitere prägende gemeinsame

ihrer umtriebigen Tätigkeit in den verschiedensten

Momente, in denen wir uns als Institution immer wie-

Institutionen und Berufsbereichen.

der öffnen für die Ideen, Fragen und Kritik, die junge Theaterschaffende an uns stellen und denen auch wir

So könnte man ausrufen: „Weiter so!“ Aber nicht

ein Forum bieten wollen.

ohne wieder und wieder darauf hinzuweisen: Bildung und Handwerk sind der Humus unserer Kunst(form).

Herzlichen Glückwunsch, liebe Theaterakademie,

Theater macht man nie allein. Und wie sagte Karl

liebes Theater der Zukunft!

Valentin so treffend: „Kunst kommt von können und nicht von wollen, sonst hieße es ja Wunst.“ Ich denke, die Akademie war und ist auf einem guten Weg. Darum wünsche ich heute von Herzen: Glück auf und weiterhin viel Mut.

Andreas Beck, Intendant am Serge Dorny, Intendant der

Bayerischen Staatsschauspiel

Bayerischen Staatsoper

(Residenztheater)


13

Josef E. Köpplinger

Barbara Malisch „Theater Ins Licht treten Die Treffbaren, die Erfreubaren Die Änderbaren“

Für Kunst braucht es Talent, Fantasie und Handwerk.

So skizzierte Bertolt Brecht 1949 seine Sicht aufs

Messbar ist allerdings nur das Handwerk und nicht der

Theater, die uns einen Einstieg in die Betrachtung

Geschmack, der nur allzu oft von saisonalen Moden

ermöglicht.

abhängt. Je besser, das heißt je umfassender die Vor den Vorhang treten die Akteure, die Protagonis-

bogenbunten Weg der Darstellenden Kunst wählen,

ten, das gesamte Ensemble. Doch Theater ist mehr:

desto größer ist die notwendige Flexibilität, um den

Autoren, Regisseure, Dramaturgen und alle, die an

Anforderungen des heutigen Theaterlebens gerecht

und hinter der Bühne arbeiten, wirken kreativ zusam-

zu werden – in Sprache, Gesang und Bewegung glei-

men. Kreativität braucht Talent, eine besondere Bega-

chermaßen.

bung, Gestaltungswillen, Lust an der Darstellung, ein gewisses Maß an Chaos, aber auch große Disziplin.

Meine erste persönliche Begegnung mit August

Wer eine exzellente Ausbildung absolviert und auf

Everding fand Anfang der 1990er Jahre statt, als er

höchstem Niveau professionell gefördert wird, kann

eine meiner ersten Inszenierungen in Regensburg

dem Anspruch des Theaters gerecht werden.

besuchte und mir von seiner Idee, eine Theaterakademie zu gründen, erzählte. Dabei unterstrich er

Seit dreißig Jahren bildet die Bayerische Theateraka-

mehrfach die besondere Bedeutung einer praxisbezo-

demie August Everding hochtalentierte junge Men-

genen Ausbildung. Gerade im Regiestudium wünsche

schen so erfolgreich aus, dass sie die Akademie als

ich mir heute zu den tollen Ideen der Studierenden ein

Profis verlassen und in ihren anschließenden Engage-

verpflichtendes Praktikum, zum Beispiel an den staat-

ments dazu beitragen, das Theater – diese ephemere

lichen Münchner Theatern, so wie es August seinerzeit

Kunstform – ständig zu erneuern, sodass es flexibel

gewollt hat. Und vielleicht sollten wir Künstler:innen in

auf soziale, kulturelle und politische Entwicklungen,

Zeiten der Cancel Culture, bei allem Respekt, gerade

Probleme und Verhältnisse reagieren kann.

am Theater Freiheit und Toleranz, Sinnlichkeit, Eros

Die Bayerische Theaterakademie August Everding

und Offenheit bewahren, die der heutigen Gesell-

leistet damit einen wichtigen Beitrag zur deutschen

schaft besser täten als die immer enger werdenden

Theaterlandschaft, die zum immateriellen Kulturerbe

Zensurgürtel. Das wünsche ich uns allen und den wun-

der UNESCO zählt.

derbar kreativen Studierenden der Theaterakademie und ihren Lehrkräften. Ich gratuliere von Herzen und

Wir, die Freunde des Nationaltheaters, unterstützen

freue mich auf viele weitere Begegnungen mit Euch

die Theaterakademie seit Anbeginn auf vielfältige Art

allen!

und Weise und werden dies auch in Zukunft tun.

Barbara Malisch, Vorsitzende der Josef E. Köpplinger,

Freunde des Nationaltheaters in

Intendant des Staats-

München e. V. und Vorstand der

theaters am Gärtnerplatz

August Everding Stiftung

Grußworte

Ausbildung der jungen Menschen ist, die den regen-


14

02

DAS FLÜCHTIGE GESTALTEN


15

Zur Flüchtigkeit von Aufführungen Erika Fischer-Lichte

Zuschauer:innen nur ihre Erinnerungen an sie zurück. Ich bilde mir ein, noch heute die Gesten von Gustaf Gründgens als König Philipp in seiner Inszenierung des Don Carlos am Hamburger Schauspielhaus (1962) zu sehen. Ich meine, mich an die Betonung bestimmter Sätze zu erinnern, die er als Mephisto an der Seite von Will Quadflieg in seiner berühmten Inszenierung des Faust I (1957) sprach. Beide Inszenierungen habe ich viele Male gesehen. Auch wenn die Aufführungen längst nicht mehr existieren, vermögen sie lange Zeit in den Zuschauenden nachzuwirken. Natürlich lassen sich Inszenierungen in Filmen dokumentieren – Gründgens’ Faust-Inszenierung etwa ist in einen Film eingeflossen, der viele Jahre lang in Kino und Erika Fischer-Lichte ist eme-

Fernsehen das Bild vom Theater der Nachkriegszeit

ritierte Professorin für Thea-

prägte.1 Zugleich fehlt diesen Dokumentationen das,

terwissenschaft an der Freien

was das Theater ausmacht: die leiblichen Ko-Präsenz

Universität Berlin und war dort

von Darstellenden und Zuschauenden. Erst aus ihrem

zuletzt als Direktorin des Inter-

Zusammenkommen in einem geteilten Hier und Jetzt

nationalen Käte-Hamburger-

entsteht eine Aufführung. Die Flüchtigkeit und Ver-

Kollegs „Verflechtungen von

gänglichkeit dieses Prozesses ist für ihn konstitutiv.

Theaterkulturen“ tätig. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnun-

Das Theater als Kunst der Aufführung unterscheidet

gen für ihre Forschungen zur

sich damit durchaus von anderen Künsten: Schauspie-

Funktion von Theatralität und

ler:innen, Sänger:innen oder Performer:innen bringen

Performanz in Kunst und Kultur.

kein „Werk“ hervor, das am Ende ihrer T ­ ätigkeit – also

DAS FLÜCHTIGE GESTALTEN

Nach dem Ende einer Aufführung bleiben den


16 nach der Aufführung – unabhängig von ihnen vorliegt. Vielmehr vollzieht sich das „Werk“ in der Aufführung selbst und ist mit ihrem Ende unwiederbringlich verloren. Das schließt nicht aus, dass stabile Architekturen, materielle Objekte oder festgelegte Abläufe Verwendung finden, die zurückbleiben und aufbewahrt werden können. Gleichwohl lässt sich eine Auf-

Schauspieler:innen bringen kein „Werk“ hervor, sondern das „Werk“ vollzieht sich in der Aufführung selbst und ist mit ihrem Ende unwiederbringlich verloren.

führung niemals als dieselbe wiederholen. Es gibt sie nur als flüchtiges Ereignis.2 Auch wenn das eigentliche Spiel dabei auf Seiten der Bühne geschieht, lebt die Aufführung nicht allein aus dem Tun der Schauspieler:innen oder Performer:innen, sondern bedarf der Anwesenheit eines Publikums. Erst ihr Aufeinandertreffen in einer Livesituation ermöglicht eine Feedbackschleife, in der beide Seiten aufeinander einwirken. Was immer die Akteurinnen und Akteure tun, hat Auswirkungen auf die Zuschauer:innen, und was immer die Zuschauer:innen tun, hat Auswirkungen auf das Verhalten anderer Zuschauer:innen und auf die Performer:innen. Das gilt nicht nur für Aufführungen, die auf die konkrete Partizipation und das „Mitspielen“ von Zuschauer:innen angelegt sind. Wer einmal zwischen einer Schulklasse im Theater gesessen hat, weiß, wie Lautstärke, Unruhe oder euphorische Kommentare die Atmosphäre und die Intensität des Spiels beeinflussen. Das Feedback zwischen Darstellenden und Publikum macht die

sind Darstellende und Dargestelltes untrennbar ver-

Spezifik eines Theaterabends aus, denn es evoziert

bunden. Schauspieler:innen, Sänger:innen oder

ästhetische Erfahrungen, die aus einer Situation der

Performer:innen bringen ihr „Werk“ – um diesen Aus-

Teilhabe resultieren. Die Konstellation dieses Aufeinan-

druck noch einmal zu gebrauchen – in und mit einem

dertreffens ist unwiederholbar.

höchst eigenartigen, ja eigenwilligen Material hervor: dem eigenen Körper. Der Philosoph Helmuth Plessner

Körper in Veränderung

hat das treffend als „die Verkörperung einer Figur mit dem eigenen Leibe“ genannt und darauf verwiesen, dass die künstlerische „Darstellung im Material der

Aufgrund der leiblichen Ko-Präsenz von Akteurinnen

eigenen Existenz eine Abständigkeit des Menschen zu

und Akteuren und Zuschauer:innen kommt der Kör-

sich“4 verrate, bei der beide Seiten nicht einfach inei-

perlichkeit in Aufführungen eine besondere Bedeu-

nander aufgehen, sondern vielmehr in einem spezi-

tung zu. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass in

fischen Spannungsverhältnis zueinander stehen. Im

Aufführungen alle Beteiligten in ihren je spezifischen

Schauspieler symbolisiere sich deshalb die conditio

physiologischen, affektiven, energetischen und moto-

humana in besonderer Weise. Danach hat der Mensch

rischen Zuständen unmittelbar leiblich aufeinander

einen Körper, den er wie andere Objekte manipulieren

einwirken. Das gilt zum einen für die spezifische Prä-

und instrumentalisieren kann. Zugleich aber ist er die-

senz der Darsteller:innen auf der Bühne, bei der durch

ser Leib, ist Leib-Subjekt. Indem Schauspieler:innen

den Einsatz von Körper und Stimme eine intensive

aus sich heraustreten, um „im Material der eigenen

Erfahrung von Gegenwärtigkeit entsteht. Das gilt zum

Existenz“ eine Figur darzustellen, verweisen sie nach-

anderen auch für die Zerbrechlichkeit und Flüchtig-

drücklich auf die Dualität von Leibsein und Körper-

keit jeder Darstellung, in der wir „sterblichen“ Kör-

haben. Die Spannung zwischen dem phänomenalen,

pern bei ihren Handlungen, Bewegungen, stimmlichen

individuellen Leib der Darsteller:in und ihrer oder sei-

Äußerungen auf der Bühne beiwohnen.3

ner Figur verleiht aus Plessners Sicht der Aufführung

Für künstlerische Gestaltungsvorgänge ist jedoch noch ein weiterer Punkt wesentlich: In ­Aufführungen

ihre tiefere anthropologische Bedeutung und besondere Dignität.


17

Zur Frage nach der Flüchtigkeit künstlerischen

Performance-Kunst dezidiert das leibliche In-der-

Gestaltens gehört neben den individuellen Dimensio-

Welt-Sein entgegen: Indem sie die Aufmerksamkeit

nen von Körperlichkeit auch ihre spezifische Zeitlich-

des Zuschauers auf das je besondere individuelle leib-

keit. Denn der menschliche Körper ist kein beliebig

liche In-der-Welt-Sein des Darstellers lenken, auf die

bearbeitbares Material, sondern ein lebendiger Orga-

spezifischen performativen Akte, mit denen er seine

nismus, der sich ständig im Werden befindet, im Pro-

Körperlichkeit hervorbringt, erstatten sie ihm viel-

zess einer permanenten Transformation. Für ihn

leicht eine Aura zurück, die im Prozess der Zivilisation

kann es keinen Ist-Zustand geben; er kennt Sein nur

verloren gegangen zu sein scheint. Den millionen-

als Werden, als Prozess, als Veränderung. Mit jedem

fach reproduzierten Abbildungen der technischen

Lidschlag, mit jedem Atemzug, mit jeder Bewegung

und elektronischen Medien wird im Theater und in

bringt er sich neu hervor, wird ein anderer, verkör-

der Performance-Kunst der menschliche Leib gegen-

pert sich aufs Neue. Damit bleibt der Körper letztlich

übergestellt, auch und gerade als leidender, kranker,

unverfügbar. Das leibliche In-der-Welt-Sein, das nicht

verletzter, vom Tode gezeichneter, in seiner Einmalig-

ist, sondern wird, widerspricht vehement jeglicher

keit und Ereignishaftigkeit, von Licht durchstrahlt und

Vorstellung von einem Werk. Schauspieler:innen bzw.

trotz seiner Gebrechen „herrlich wie am ersten Tag“6.

Performer:innen transformieren ihren Leib nicht in ein Werk, sondern vollziehen vielmehr Prozesse der Verkörperung. Im Unterschied zu frühen europäischen Schauspieltheorien, die eine gelungene Verkörperung Spieler:in in der Rollenfigur verschwindet, steht seit den Avantgardebewegungen des 20. Jahrhunderts die Materialität des menschlichen Körpers im Vordergrund des Spielens. Es scheint kein Zufall zu sein, dass in Aufführungen von Theater-, Aktions- und Performance-Kunst seit den ausgehenden 1960er Jahren geradezu vehement am und mit dem Körper experimentiert wird, ja dass neue Ausdrucksweisen mit dem Erproben körperlicher Zustände und der Befragung von gesellschaftlichen Körper- oder Geschlechterbildern einhergehen. Verkörperung bedeutet in diesem Sinne nicht nur, dem dramatischen Text eine möglichst ideale (physische) Bühnenform zu geben, sondern vielmehr den Körper selbst als Gegenstand performativer Praktiken zu bestimmen. Die Betonung, dass der Körperlichkeit – welche die Akteure in der Aufführung hervorbringen – kein Werkcharakter eignet, mag auch als eine Reaktion auf die zunehmende Medialisierung zu begreifen sein. Norbert Elias hat den „Prozess der Zivilisation“5 unter anderem als einen fortschreitenden Abstraktionsprozess beschrieben, in dem die Distanz des Menschen zu seinem eigenen Körper und zum Körper anderer Menschen immer größer wird. Mit der Erfindung und Verbreitung der neuen Medien im 20. und 21. Jahrhundert hat dieser Prozess in gewisser Weise einen Höhepunkt erreicht: Die Körper verflüchtigen sich zu medialen Abbildungen, die sie trotz scheinbarer Nähe in eine ferne Distanz entrücken und sich jeglicher Berührung entziehen. Den damit ­einhergehenden Fantasien vom virtuellen Körper setzen Theater und

Faust, Deutschland 1960, Regie: Peter G ­ orski, Produktion: Divina Film GmbH, Farbe, 128 Minuten. 2 Das bedeutet auch nicht, dass mediale Tonoder Bildaufzeichnungen von Aufführungen keinen heuristischen Wert haben. Sie stellen allerdings mediale Spuren dar, die die Aufführungssituation nur ausschnitthaft, bearbeitet und transformiert wiedergeben können. Insofern sind sie weniger Abbildungen als vielmehr Spuren und Übersetzungen. 3 Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen, Frankfurt am Main 2004, S. 160–175 sowie Phelan, Peggy: Unmarked. The Politics of Performance, London, New York 1993. 4 Plessner, Helmuth: „Zur Anthropologie des Schauspielers“, in: ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. von Günter Dux, Odo Marquard, Elisabeth Ströker, Frankfurt a. M. 1982, Band VII, S. 399–418, S. 407. 5 Vgl. Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1976. 6 Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Der Tragödie erster Teil., in: ders.: Werke. Hambur­ ger Ausgabe in 14 Bänden, München 1998, S. 16, Vers 250. 1

DAS FLÜCHTIGE GESTALTEN

vor allem darin sahen, dass der individuelle Leib der


18

Gespräch im Hause Düffel über den abwesenden Herrn Stein. Über die Flüchtigkeit des Theaters und die Macht der Erinnerung John von Düffel

„… und das Bühnenbild, das war so ein Haus mit hohen Wänden, großen Fenstern, und drumherum standen Birken, nicht wahr? Nach Moskau, nach Moskau! Nie werde ich vergessen, wie Edith Clever das immer wieder gesagt hat, so ein bisschen blasiert, so unnachahmlich nasal und gleichzeitig so traurig: Nach Moskau …“ Ich sitze in der Berliner Altbauwohnung meiner Mutter und höre mir einmal mehr an, wie sie von ihrem Schaubühnen-Besuch schwärmt, Tschechows Drei Schwestern in der Regie von Peter Stein. 1984 muss das gewesen sein. Ich war dabei, seinerzeit (was ihr nicht sonderlich bewusst zu sein scheint), nur erinnere ich mich anders. Auch mein Gedächtnis ist nach fast vierzig Theaterjahren unzuverlässig, doch was sich mir eingeprägt hat, ist die Atmosphäre: Die Schaubühne war damals ein Tempel der Heiligkeit und des künstlerischen Hochamts. Von weither pilgerte das bürgerliche Publikum zu dieser Kultstätte in gehobener Garderobe – Dresscode: dezent, aber nicht John von Düffel ist ­Dramatiker,

billig – voller Andacht und mit dem Gefühl, an etwas

Dramaturg, Romanautor und

Bedeutsamen teilzuhaben und auf eine Art bedeut-

Professor für Szenisches

sam zu sein. Alle schienen zu wissen, dass es eine

Schreiben an der Universität

besondere Zeit war, legendär und erlebbar, jetzt und

der Künste Berlin. Für seine

historisch, ohne dass sich sagen ließ, wie lange sie

literarischen Arbeiten wurde er

dauern würde und wann die Verbindung zwischen der

mit mehreren Preisen ausge-

Lebensdarstellung auf der Bühne und dem Lebensge-

zeichnet.

fühl im Zuschauerraum sich auflöst.


19

Wie flüchtig dieser Moment der Entsprechung war,

hören, dass ihre Werte und Träume schon Vergan-

zeigte sich schon beim Schlussapplaus. Die Ergriffen-

genheit sind und mehr in ihrer eigenen Erinnerung

heit und sanfte Erschütterung über das nichtgelebte

existieren als im Hier und Jetzt. In diesem Gefühl des

Leben der drei Schwestern stand noch im Raum, als

transitorischen Stillstands fanden sich große Teile der

das Applauslicht anging und die Schauspielerinnen

Linken unter der Kanzlerschaft von Helmut Kohl wie-

an die Rampe traten, um einigermaßen maskenhaft

der. Und vielleicht war es das, was mich mit siebzehn

und im Bewusstsein ihrer hohen Kunst den aufbran-

provozierte: das Zelebrieren einer Resignation, mit

denden Applaus entgegenzunehmen – nicht huldvoll,

der ich mich nicht abfinden wollte.

eher stoisch, unbewegt. Gerade noch hatte das Publikum sich ihnen und ihren Figuren nahe gefühlt, jetzt

Die Schaubühnen-Phase der 1970er und 1980er Jahre

klaffte eine spürbare Distanz zwischen der Menge im

steht auch für die Flüchtigkeit des Theaters als Kunst-

Zuschauerraum und den Stars auf der Bühne, die mit

form – dank der Art und Weise, wie der dort vielge-

ihrer Unverwandtheit und Erschöpfung dem Publikum

spielte Anton Tschechow Zeit erzählt. Die Figuren

das Gefühl gaben, sie hätten für diesen Abend einen

und Gesellschaften, die er in seinen Ensemblestü-

weitaus höheren Preis bezahlt als das Eintrittsgeld.

cken beschreibt, gehen mit dem Transitorischen des

Schlagartig wurde aus der Empathie mit den Figuren

Theaters einher. Ihr „Vektor“ ist nicht, wie bei helden-

der Abstand der Bewunderung. Die birkenumstan-

und handlungsgetriebenen Dramen, vorwärtsgerich-

dene Tschechow-Welt, in der man sich traf und getrof-

tet; ihre Ziele und Zukunftserwartungen sind diffus;

fen fühlte, hatte sich verflüchtigt. Es war vorbei.

ihr „Agens“ erschöpft sich in Entwürfen, denen keine Taten folgen. Anders als die aktiven Helden, die die Zeit gestalten wollen, sind die Ranjewskaja wie abge-

derungskult für ein Starensemble suspekt. Irgend-

koppelt von den Veränderungen, die um sie herum

etwas an dem kunstreligiösen Schaubühnen-Nimbus

geschehen, vom Gang der Geschichte. Sie haben

reizte mich zur Rebellion (naturgemäß: Ich war sieb-

nicht die Entschlossenheit und Kraft, einzugreifen,

zehn, und es war das Theater meiner Eltern). Heute

sondern erleben sich selbst als Gestalten der Flüch-

würde ich es theatersoziologisch beschreiben: Die

tigkeit, Nachbilder einer noch einmal aufscheinenden

vom langen Marsch durch die Institutionen ermatte-

und verblassenden Zeit. Das Deplatzierte ihrer Exis-

ten Westberliner Alt-Linken konnten sich in den ste-

tenz hat eine eigene Komik. Ihre Tragik besteht darin,

ckengebliebenen Träumen von Tschechows Figuren

weiterleben zu müssen in einer Welt, die schon lange

und der von Peter Stein subtil zelebrierten Melancho-

nicht mehr die ihre ist, und weitermachen zu müssen,

lie seiner Schaubühnenstars wiedererkennen. Es war

obwohl nichts von ihnen bleibt.

ein schmerzlich-schöner Spiegel, den das Theater seinem Publikum vorhielt, und auch ein Stück weit eine Selbstbespiegelung, die es erlaubte, sich Tschechows Figuren verwandt zu fühlen und von großen Schauspielerinnen emotional veredelt. Solche Momente der gesellschaftlichen Wiedererkennung, in denen ein Theater beispielhaft für eine Zeit steht und ihrem Lebensgefühl Ausdruck verleiht, hat es immer wieder gegeben. Die Volksbühne von Frank Castorf in der Auf- und Umbruchsphase nach dem Mauerfall, die postmigrantische Gesellschaft im Maxim-Gorki-Theater, in den Münchner ­Kammerspielen in der Zeit Dieter Dorns u. a. Was die SchaubühnenÄra unter dem Gesichtspunkt der Flüchtigkeit so interessant macht, ist das Bewusstsein ihrer eigenen Geschichtlichkeit im Moment des Ereignisses: Das Nostalgische, Melancholische und Todgeweihte war Teil des Lebensgefühls und seiner Erzählung. Die Figuren in Tschechows zarten Verfallsgeschichten wissen darum, dass sie einer untergehenden Klasse ange-

Solche Momente der gesellschaftlichen Wiedererkennung, in denen ein Theater beispielhaft für eine Zeit steht und ihrem Lebensgefühl Ausdruck verleiht, hat es immer wieder gegeben.

DAS FLÜCHTIGE GESTALTEN

Damals war mir dieser nahtlose Übergang vom Einfühlungskult der Figurendarstellung zum Bewun-


20

Dass Theater immer im Moment ist und damit flüchtig, ist kein Grund für eine Vergeblichkeitslitanei. Im Gegenteil. Die ersten Theatererfahrungen können so intensiv sein wie eine erste

Liebe.

Schwermütig wirkt meine Mutter allerdings ganz und gar nicht. Sie wird nicht müde, Otto Sanders in den höchsten Tönen zu gedenken und eines älteren Kollegen, dessen Namen sie vergessen hat, einer Randfigur, die hauptsächlich dasaß und vor sich hin sang: „Ich sitz‘ auf einem Stein / und denke hin und denke her / wie kann man nur so unbedeutend sein.“ Aus ihrem Mund klingt das alles andere als traurig. Leidenschaftlich verteidigt sie ihre Theatererinnerungen gegen meine Einordnungsversuche, als wären

Theater in die intime, subjektive Welt des Gedächt-

sie Teil ihrer Identität. Und sie hat recht: Dass ­Theater

nisses, dessen Bilder und Reflexe nur noch spinn-

immer im Moment ist und damit flüchtig, ist kein

webhaft mit dem Ereignis und Erleben der anderen

Grund für eine Vergeblichkeitslitanei. Im Gegenteil.

verbunden sind. Das gefühlte Wir des Publikums ver-

Die ersten Theatererfahrungen können so intensiv

einzelt und verliert sich mit der Zeit im unzuverlässi-

sein wie eine erste Liebe und prägen nicht selten die

gen, alles andere als fälschungssicheren Terrain der

Vorstellung davon, wie Theater zu sein hat. Alles, was

Erinnerung einer jeden Person. Doch Nostalgie und

kommt, wird daran gemessen.

Verlorenheit sind damit keineswegs vorprogrammiert. Die Haltung zu dem Erinnerten (das sich vielleicht

Es ist nicht vorbei, wenn es vorbei ist, nur weil Thea-

auch eingeprägt hat, weil es nicht schön war, son-

ter keinen objektiven „Werkcharakter“ hat und nichts

dern herausragend schlecht oder verstörend) kann

Gegenständliches ist, was man sich ins Bücherre-

sehr unterschiedlich sein: trotzig, selbstbehauptend,

gal stellen oder an die Wand hängen kann. Es ist ein

schambesetzt, kämpferisch oder gar aggressiv.

Ereignis, das zwischen Menschen stattfindet, die etwas aufführen, und Menschen, die ihnen zuschauen,

Erinnerung ist im Theater eine Macht. Das denke

hier und jetzt, in einer Gegenwart der Präsenz – im

ich jedes Mal vor der Vorstellung beim Blick in den

Sinne von Echtzeit und Anwesenheit. Sobald sich die

Zuschauerraum, wenn ich Leitungsdienst habe. Ich

Verabredung der Aufmerksamkeit zwischen Zuschau-

frage mich nicht nur, aus welchem Tagesgeschäft und

enden und Spielenden auflöst, wird aus dem Hier und

Zeitgeschehen kommen diese oder jene Besucher,

Jetzt in Raum und Zeit ein Dort- und Dabei-gewesen-

sondern auch: Welche Erinnerungen an vergangene

Sein. Erleben geht in Erinnern über und wechselt von

Theatererlebnisse bringen sie mit? Denn daraus lei-

der äußeren sozialen, intersubjektiven Situation im

tet sich die Erwartung ab, die das erste ist, was einem


21 Gedächtnisschranke. Mit den Erwartungen kann man spielen – man kann sie unterlaufen, übertreffen und manchmal gar verwandeln. Die Erinnerung lässt sich allenfalls heraufbeschwören, doch im Vergleich wirft sie immer den längeren Schatten. Die Summe dieser Erinnerungen ergibt so etwas wie die Theatersozialisation einer Person. Sie bestimmt den Blick auf die Bühne, aber nicht das Gesichtsfeld. Das gilt nicht nur für das Publikum, sondern auch für uns als Theaterschaffende. Als meine Mutter mich zur Tür begleitet, fragt sie mich (nachdem sie mir noch von einer kurzen Begegnung mit Botho Strauß erzählt hat, die von Mal zu Mal länger wird): „Und was machst du gerade so am Theater?“ „Das Gegenteil von Peter Stein“, hätte ich früher gesagt. Jetzt antworte ich ausweichend und murmele ter nichts anfangen kann. Wie jeder Kulturbetrieb ist begegnet, wenn man auf die Bühne tritt (und sei es

auch das Theater ein Abgrenzungs- und Profilierungs-

nur für eine Ansage vor dem Vorhang). Die Erinne-

geschäft, doch für einen Generationenkonflikt bin ich

rung an vergangene Inszenierungen formt die Erwar-

zu alt und für einen Originalitätsanspruch mit Maxi-

tungshaltung. Insofern kommuniziert das Theater der

malverdrängung habe ich an zu vielem zu viel Freude.

Gegenwart immer mit dem der Vergangenheit in den

Die Flüchtigkeit des Theaters erlebe ich nicht als

Köpfen der Zuschauenden.

Bedrohung. Anders als ein Buch, das man immer auch

Allerdings handelt es sich um eine sehr unzuver-

für die Leserschaft von morgen schreibt, anders als

lässige Art der Theatergeschichtsschreibung, die

ein Bild, das für zukünftige Betrachter gemalt wird, ist

nahtlos ins Reich der Legendenbildung hinüberspielt.

Theater eine unausweichliche Verabredung mit der

Ich bin solchen erinnerungsgespeisten Erwartungs-

Gegenwart, die so lange dauert wie die Aufführung

haltungen immer wieder in sehr unterschiedlichen

und so nie wieder stattfinden wird. Es ist nicht mehr

Kontexten begegnet: am Theater der Altmark Sten-

und nicht weniger als das Gestalten eines Ereignisses

dal (Sachsen-Anhalt) kurz nach der Wende, in den

im Hier und Jetzt, in diesem Raum mit diesen Men-

angestammten Abo-Reihen des Oldenburgischen

schen zu dieser Zeit, in dieser Resonanz und Wechsel-

Staatstheaters, dem durch die Glorifizierung der

wirkung zwischen Bühne und Zuschauerraum. Unter

Baumbauer-Zeit geprägten Theater Basel, am Thalia

dem Gesichtspunkt der Flüchtigkeit einer solchen

Theater Hamburg in der Zeit nach Jürgen Flimm. Und

Begegnung ist jede Aufführung gleichzeitig Premiere

am Deutschen Theater Berlin, dem langjährigen Thea-

und letzte Vorstellung, Willkommen und Abschied in

terflaggschiff der DDR, in dem der alte Ost-West-Kul-

einem. Das kann man traurig finden oder beängs-

turkampf noch immer nicht ganz ausgetragen ist,

tigend, aber es ist die Verabredung zur maxima-

weder hinter der Bühne noch davor.

len Intensität und Konzentration auf die Performanz des Moments. Und so gehe ich als Erbe von so vie-

Diese sehr verschiedenen Erfahrungen an der Legen-

lem zugleich unbelastet aus der Tür – nicht ohne mich

den- und Deutungsfront haben eines gemeinsam: die

noch einmal umzuschauen nach Peter Steins größter

Feststellung, dass man gegen die Erinnerung nicht

Verehrerin und Schaubühnen-Erinnye. Sie winkt, ich

gewinnen kann. Seien es die Offenbarungen eines

lächle und verabschiede mich mit einem „Danke“.

Theaters unter Zensurbedingungen oder die vermeintlich „werktreuen“ Klassiker-Inszenierungen vor der Erfindung des Regietheaters – die Erinnerung ist unantastbar und entzieht sich dem Wirken nachkommender Theatergenerationen wie durch eine

DAS FLÜCHTIGE GESTALTEN

ein paar Stücktitel und Namen, mit denen meine Mut-


August Everding, Gründer und Namensgeber der Bayerischen Theaterakademie, beim Unterricht


23

Theater als Kunst der Einmaligkeit Infrastrukturen des Ephemeren

Dirk Baecker

Die Studie von Giovan Francesco Lanzara über das Irpinia-Erdbeben in Süditalien im November 1980, gen waren und 390.000 Menschen obdachlos ­wurden, wurde berühmt.1 Tausende von Freiwilligen kamen in die Region, um zu helfen. Die Regierung und die Armee, die mit Waffen, aber ohne Ausrüstung anrückte, wurden als hilflos wahrgenommen. Ein Mann eröffnete einen Espresso-Stand, der sich schnell zum Treffpunkt und zentralen Ort des Austauschs von Informationen entwickelte. Doch am dritten Tag schloss ihn die Armee, militarisierte das Gebiet und verwehrte jeden weiteren Zugang. Lanzara beschreibt den Espresso-Stand als Musterbeispiel einer ephemeren Organisation, die nicht aus dem Nichts, sondern aus der Not, dem Chaos und der Gelegenheit entstanden ist – unter Rückgriff auf kulturell verankerte Traditionen, das geteilte Wissen aller Beteiligten und ein leidenschaftliches Interesse daran, auch dann noch, wenn es um Hilfe in größter Not geht, an der Alltagsgewohnheit eines schnellen Kaffees und des Miteinanderredens festzuhalten. Das Flüchtige taucht auf und verschwindet ­wieder. Aber seine Voraussetzungen sind vielfältig. Wer auf den flüchtigen Moment schaut, staunt. Wer auf die Voraussetzungen achtet, fängt an zu verstehen. Das Ephemere, so unwahrscheinlich es ist, offenbart etwas Selbstverständliches, Leichtes, kaum Berührbares und Unzerstörbares. Es schließt ein EnergieDirk Baecker ist Seniorprofessor

feld kurz, von dem man vorher kaum etwas ahnte.2

für Organisations- und Gesell-

Die spontane Hilfsbereitschaft nach dem Erdbeben

schaftstheorie an der Zeppelin

im südlichen Apennin war zunächst so groß, dass sie

Universität in Friedrichshafen am

die Straßen verstopfte. Doch mit Hilfe der Koordina-

Bodensee.

tion am Espresso-Stand hatte sich das bald geklärt.

DAS FLÜCHTIGE GESTALTEN

bei dem 2.700 Tote und 9.000 Verletzte zu bekla-


24 Die Armee jedoch klärte die Situation auf ihre Weise. Mit ihr setzte sich das Institutionelle gegenüber dem Ephemeren durch. Stellt man die zeitliche Linse um einige Größenordnungen weiter, ist allerdings auch die Armee eine menschheitsgeschichtlich ephemere Organisation, die auftaucht und wieder verschwindet und angesichts derer es sich lohnt, nach ihren Voraussetzungen zu fragen. Das Mögliche sei inframince, dünner als dünn, unterhalb jeder Wahrnehmbarkeit, sagt Marcel Duchamp.3 Das Ephemere gibt dem Möglichen eine flüchtige Existenz. Für einen Moment erschließt sich eine Ahnung. Es ist fast immer eine Bühne, auf der es sich bewundern lässt. Nur so kann es für diesen Moment gehalten werden. Es braucht einen Rahmen, einen Ort, eine Zeit. Es braucht die Wahrnehmung einer Gelegenheit. Und es braucht ein Publikum. Die Bühne, sei sie künstlich, gesellschaftlich oder natürlich, schafft den Moment, den das Publikum nur festhalten kann, indem es ihn ziehen lässt. Das ist selbst eine Kunst. Für diesen Moment schlägt sich das Publikum auf die Seite des Flüchtigen. Es löst auf, was doch beständig sein muss, um diesen Vorgang zu ermöglichen. Auch die Kommunikation im Internet, sagt Kenneth Goldsmith in Wasting Time on the Internet, sei von dieser Art.4 Spätestens am Beispiel des Internets kann man jedoch auch studieren, welche immensen Voraussetzungen erforderlich sind, um diese Flüchtigkeit zu tragen.5 In den Sozial-, Kultur- und Technikwissenschaften hat der Begriff der Infrastruktur daher in jüngerer Zeit eine bemerkenswerte Karriere erlebt.6 Man interessiert sich für die Vermittlung zwischen dem Flüchtigen und dem Dauerhaften, oder besser: dem Dauerhafteren. Man entdeckt, dass auch das Fragile, Prekäre, Vulnerable einen Rückhalt hat. Man entdeckt Existenzen, die lose aufliegen, Netzwerke, die dezent stimulieren, Interessen, die immer gewinnen, und Improvisationen, die sich selbst überraschen. Die lange Zeit so anregende Differenz zwischen Struktur und Ereignis löst sich nicht auf, aber sie reichert sich an mit dem Wissen um eine Materialität, die an der Grenze zum Immateriellen Übergänge ermöglicht, Anschlüsse schafft, Räume freigibt und Resonanz erfahrbar macht. Diese Infrastruktur spielt immer schon mit. Anders als die Struktur, die sich aufdrängt, einschränkt, kanalisiert und kontrolliert, ist die Infrastruktur das „Gestell“, innerhalb dessen die Menschen, also wir, unsere Möglichkeiten entdecken, einschließlich derer, die wir uns verstellen.7

Jede Theater­probe arbeitet an jenen flüchtigen Momenten, die sich in ihrer Einmaligkeit nicht wieder­holen lassen.


25

Das Theater ist ein ausgezeichneter Ort für die Erkundung der Infrastrukturen des Ephemeren. Jede Probe ist eine Auseinandersetzung mit der Institution, ihrer Hierarchie, ihrem Stellenplan, ihren Personalentscheidungen und ihren betrieblichen Ressourcen. Jede Probe ist eine Arbeit an den Infrastrukturen des menschlichen Körpers, der menschlichen Stimme, des ­Lichts, des Raums, der Perspektive. Und jede Probe arbeitet an jenen flüchtigen Momenten, die schon deswegen ohne die Institution und ohne die Infrastrukturen nicht zu denken sind, weil sie Abend für Abend wiederholt werden müssen, obwohl jeder weiß, dass sie sich in ihrer Einmaligkeit nicht ­wiederholen lassen. In dieser grandiosen Paradoxie installiert sich das Theater. Und es macht, wenn dieser Kalauer erlaubt ist, umso mehr Theater, je weniger es der Stabilität einer Unterscheidung zwischen Institution, Infrastruktur und Ereignis über den Weg traut.

Kein Ort ist topischer und zugleich utopischer als das Theater. Gnadenlos in seinen Voraussetzungen verankert, muss es sich von ihnen allen befreien.

genau dann, wenn die Institution keine Form findet, die Verantwortung für ihre Entscheidungen zur Diskussion zu stellen, die Infrastruktur zum Altvertrauten institutionalisiert, das Ereignis auf der Bühne zur Routine und all dies bemerkt und zum Gegenstand von Auseinandersetzungen wird.8 Das Theater wird zum Schmierentheater und arbeitet dennoch, es kann nicht anders, an seinen eigenen Möglichkeiten. Die Wirklichkeit des Theaters wird durch das Verhältnis

Medium ungreifbar bleibt, eben nur als Form aufblitzt

von Institution, Infrastruktur und Ereignis bestimmt.

­ inigermaßen und sich wieder entzieht.9 Das ist selbst e

Das sind die Elemente, aus denen es besteht und mit

paradox und doch nur der Ausdruck dafür, dass sich

denen es arbeitet. Und das sind die Voraussetzungen,

Institution, Infrastruktur und Ereignis als Material des

unter denen das Ephemere entsteht. Die Institution

theatralen Zugriffs je unterschiedlich in Anspruch

vernetzt das Theater mit der Gesellschaft, begin-

nehmen und gestalten lassen. Die Kritik an der Institu-

nend mit der lokalen Kulturpolitik und nicht endend

tion kann auf die Institution nicht verzichten. Obwohl

mit politischen Auseinandersetzungen, gesellschaft-

dünner als dünn, erübrigt die Bindung an die Infra-

lichen Konflikten und massenmedialen Verwerfungen.

struktur weder die Bindung noch die Infrastruktur.

Die Infrastruktur bettet das Theater ein in seine tech-

Und das Ereignis, obwohl machtvoll vorbereitet, muss

nischen Umstände, sein soziales und menschliches

sich dann doch – ereignen.

Miteinander, seine unerhörte Abhängigkeit von den Leuten auf der Bühne, vom Schauspiel über Drama-

Lange Zeit hat man gedacht, es ginge um Perfektibi-

turgie und Regie bis zu Bühnenbild und Bühnentech-

lität, um die immer bessere Gestaltung weitgehend

nik. Und das Ereignis bindet das Theater an ein Hier

bekannter Ressourcen, seien es Themen, Texte, Situ-

und Jetzt, das nur sein kann, was es ist, wenn und weil

ationen oder Körper. Doch es geht um Variabilität,

alles andere mitspielt.

um das Spiel mit den Formen zugunsten der Erkun-

Kein Ort ist topischer und zugleich utopischer als

dung unbekannter Ressourcen. Deswegen steht die

das Theater. Gnadenlos in seinen ­Voraussetzungen

Institution in der Kritik, deswegen begegnet man der

verankert, muss es sich von ihnen allen befreien. In

Infrastruktur mit einem faszinierten Misstrauen, und

jeder Probe und in jeder Aufführung. Es sucht die

deswegen bewundert man jeden Abend aufs Neue

flüchtige Form in einem stabilen Medium, wie es

die Spontaneität des so sorgfältig Vorbereiteten. Auf

Niklas Luhmann in Die Kunst der Gesellschaft formu-

keines dieser Elemente kann man verzichten, man

liert, und muss genau dafür voraussetzen, dass das

kann sie nur durch Varianten ihrer selbst ersetzen.

DAS FLÜCHTIGE GESTALTEN

Im Theater beginnt das Theater um das Theater


26 Die einen macht das unglücklich, als endlosen Kampf

sie sich zu einer Erkundung der Infrastrukturen

gegen Windmühlen, die anderen glücklich, weil sie

menschlicher Gesellschaft, die mit dem Schlimmsten

einen Spielraum ohne feste Grenzen entdecken, auch

rechnet und auf das Beste hofft, doch dieses Beste

wenn man immer wieder an Grenzen stößt.

nach einem fast religiösen Vorbild, der Hoffnung auf

Das Theater ist eine Institution zur Bereitstellung von Infrastrukturen des Ephemeren. Es greift damit

die Gnade eines abwesenden Gottes, im Unbestimmten belässt.

selbst auf Infrastrukturen der Gesellschaft zurück, gibt ihnen jedoch eine Form, die unter den Namen

Im besten Fall macht sich das Theater selbst zum

Bühne, Betrieb und Publikum das Ungreifbare immer

Exempel. Im Medium des Flüchtigen setzt es sich mit

wieder neu greifbar macht.10 Der Einsatz, um den es

den Bedingungen seiner selbst auseinander, die ­es

seit einigen Jahrzehnten unter dem Titel „postdra-

ohne Zögern mit den Voraussetzungen des Mensch-

matisches Theater“11 spielt, dreht sich um die Lizenz,

lichen verwechselt. Indem diese Bedingungen als

die nur das Publikum erteilen kann, sowohl in der

Infrastrukturen verstanden werden, entziehen sie

­Infrastruktur als auch im flüchtigen Ereignis nach

sich ihrer restlosen Verfügbarkeit. Selbst für das Spiel

dem Unvertrauten, Unbekannten, fast Unmöglichen

mit ihnen sind Voraussetzungen gesetzt, die nichts

zu suchen.

anderes berühren als die Wahrheit des Menschen auf diesem Planeten. Man schaut ­dieser Wahrheit ins

War das Drama eines der „mimetischen Rivalität“12 auf

Auge, indem man ihr ausweicht, für einen Moment

der Suche nach einem unschuldigen Opfer, so richtet

jedoch etwas gesehen, gehört, begriffen hat.

sich das postdramatische Interesse auf eine Rivalität, der die Mimesis, das Vorbild abhandengekommen ist. Postdramatisch rivalisiert der Mensch nicht mehr mit dem Anderen, sondern mit sich selbst. Im postdramatischen Theater, wie nirgendwo sonst, versucht der Mensch, stellvertreten durch Regie, Ensemble und Publikum, einem Verlangen auf die Spur zu kommen, aus dem es auszusteigen gilt. Kein Weiter, Höher, Mehr! Die Mimesis kippt in die Differenz zu sich selbst. Sie will sich selbst nicht mehr. Im Ephemeren befreit

Lanzara, Giovan Francesco: „Ephemeral Organizations in Extreme Environments: Emergence, Strategy, Extinction“, in: Journal of Management Studies 20 (1983), S. 71–95. 2 Vgl. Gronau, Barbara (Hrsg.): Szenarien der Energie: Zur Ästhetik und Wissenschaft des Immateriellen, Bielefeld 2013. 3 Duchamp, Marcel: Notes, Paris 1980. 4 Goldsmith, Kenneth: Wasting Time on the Internet, New York 2016, S. 65. 5 Crawford, Kate / Joler, Vladan: Anatomy of an AI System: The Amazon Echo as an ­Anatomical map of Human labor, Data und Planetary Resources, AI Now Institute and Share Lab, September 7, 2018, online https://anatomyof.ai (zuletzt abgerufen 27. Juni 2023). 6 Ciborra, Claudio U., et al.: From Control to Drift: The Dynamics of Corporate Information Infrastructures, Oxford 2000. 1

Es lohnt sich daher, den Vortrag über „Die Frage nach der Technik“ (1954) von Martin Heidegger eher medientheoretisch als kulturkritisch zu lesen. Vgl. Heidegger, Martin: „Die Frage nach der Technik“, in: Ders., Vorträge und Aufsätze, Pfullingen 1954, S. 9–40. 8 Vgl. Schmidt, Thomas: Macht und Struktur im Theater: Asymmetrien der Macht, Wiesbaden 2019. 9 Luhmann, Niklas: Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1995, S. 171. 10 Baecker, Dirk: Von der Einheit der Institution zur Differenz der Formate, in: Ders., Wozu Theater? Berlin 2013, S. 115–129. 11 Lehmann, Hans-Thies: Postdramatisches Theater: Ein Essay, Frankfurt am Main 1999. 12 Girard, René: Das Heilige und die Gewalt, dt. Zürich 1987. 7


27

Die Kunst des Teilens: Von Kulturförderung und Förderkultur Susanne Hermanski

1.: Ihnen etwas beibringen. 2.: Ihnen Raum geben, sich zu entfalten. 3.: Sie dabei unterstützen, dass sie währenddessen nicht verhungern. Letzteres klingt übertrieben? Nun, ohne einen gewissen Hang zum Pathos ist man am Theater falsch, und gerade in München wären ohne den dritten Punkt die ersten beiden vergebene Müh. Das war schon so, als August Everding in der „heimlichen Hauptstadt“ für seine Akademie trommelte und Susanne Hermanski ist Jour-

„München leuchtete“ – im besten Mann’schen Sinne

nalistin und Teamleiterin der

neben dem farblosen Bonn. Heute, mehr als dreißig

Redaktion Kultur München &

Jahre nach dem Mauerfall und dem Wiedererstehen

Bayern sowie SZ Extra bei der

Berlins, ist München vielleicht seinen hellsten Schim-

Süddeutschen Zeitung. Zudem

mer los und die Schickeria obendrein, die Everding,

verantwortet sie das Supple-

ganz nebenbei erwähnt, ebenfalls virtuos zu unterhal-

ment „Wohlfühlen“ der Süd-

ten verstand. Die Lebenshaltungskosten an der Isar

deutschen Zeitung und rief 2015

sind heute trotzdem höher denn je. Da ist München

den SZ Kultursalon ins Leben,

immer noch Hauptstadt, schlicht unheimlich teuer.

bei dem sich bis heute Kultur-

Das fängt bei den viel beklagten Mietpreisen in der

schaffende und Künstler:innen

teuersten Stadt Deutschlands an und geht bis zur

im Stile der historischen Salons

günstigsten Buddha Bowl im Studentencafé. Was

vernetzen und miteinander

tut das größte Talent, wenn am Ende des Geldes

debattieren.

noch jede Menge Monat übrig ist?

DAS FLÜCHTIGE GESTALTEN

Drei Wege gibt es, junge Talente zu fördern.


28 August Everding (1928 – 1999) wusste, wie schwer es

Über Jahre veranstalteten sie Tombolas, um Geld für

ist, diese Lücke zu überbrücken, für Künstler allemal.

den Bau aufzutreiben, Liesl Karlstadt und Hans-Jochen

Als der Westdeutsche Rundfunk zehn Jahre nach sei-

Vogel rührten die Lostrommel – und viele Münchner

nem Tod noch einmal seiner vielfältigen Verdienste

verbanden ihr eigenes Los, ja ihr Glück mit diesem Pro-

gedachte, hieß es launig: „Wo es in Deutschland in den

jekt. Und das nicht zum ersten Mal. Knapp 120 Jahre

achtziger und neunziger Jahren um Kulturförderung

zuvor war ihr Hof- und Nationaltheater schon einmal in

geht und ein Foto geschossen wird, ist Everding mit-

Flammen aufgegangen – trotz verzweifelter Löschver-

tendrin.“ Sei er aber einmal nicht auf einem Bild zu

suche mit heißem Wasser aus den Sudhäusern, denn

sehen gewesen, habe er es selbst fotografiert.

Pumpen und Schläuche waren im strengen Winter 1823

Zu den wichtigsten Förderern, die August Everding

eingefroren. Die Bürger spendeten seinerzeit zum ers-

früh ins Boot holte, gehören die Freunde des Natio-

ten Mal 300.000 Gulden für den Wiederaufbau und

naltheaters. Deren eigene Geschichte ist ein über-

nahmen sogar eine zusätzliche Steuer auf ihr Grund-

aus emotionales Kapitel für München. Sie hat sich in

nahrungsmittel in Kauf, den sogenannten Bierpfennig.

die DNA der kulturbegeisterten Bürger eingeschrieben und ihr Selbstbewusstsein fest verankert. (Jüngst

In den entbehrungsreichen Nachkriegsjahren kamen

erst gründete sich beispielsweise die Initiative Kultur-

fünf Millionen Mark für den Wiederaufbau des Hauses

zukunft Bayern als Zusammenschluss von Dutzenden

am Max-Joseph-Platz zusammen. Als das National-

Freundeskreisen bedeutender Kulturinstitutionen im

theater im November 1963 nach fünfjähriger Bau-

Freistaat, um gegenüber der Politik schlagkräftiger

zeit für insgesamt 62 Millionen Mark wiedereröffnet

aufzutreten und eine Vision für ihren Kulturstaat einzu-

werden konnte, schreibt Oberbürgermeister Vogel in

fordern – die Freunde freilich mittendrin.)

der Festschrift: „Es ging und geht hier nicht um die äußerliche Restaurierung einer großen und glanzvol-

Die ersten Freunde des Nationaltheaters haben sich im

len kulturellen Tradition, sondern um deren lebendige

Jahr 1951 zusammengefunden, da lag in München noch

Fortführung in Gegenwart und Zukunft.“

vieles in Trümmern. Ihr Ziel: den Wiederaufbau des im Krieg zerbombten Münchner Opernhauses zu erkämp-

Für die Sanierung und Wiedereröffnung des Prinz-

fen, das seit 1943 als Ruine dastand. Manche wollten an

regententheaters, das danach „wegen Baufälligkeit“

seiner Stelle im Herzen der Altstadt lieber ein moder-

in den Dornröschenschlaf geschickt wird, kämpft schon

nes Einkaufszentrum sehen, andere wenigstens ein bil-

bald die Bürgerschaftliche Vereinigung Münchner helft

ligeres und schlichteres Theatergebäude, gern auch

dem Prinzregententheater. Die Freunde des National-

ein bisschen weiter außerhalb. Die Freunde aber ließen

theaters sind es denn wieder, die 2018 ihr Engagement

nicht locker.

entscheidend ausweiten und die August Everding Stiftung zur Förderung der Studierenden der Akademie gründen. „Für das Theater von morgen“, so der Leitgedanke von August Everding für „seine“ Akademie. Die Stiftung hilft hier und jetzt und vor allem den Studierenden, die sich diesen Studienort nicht leisten können. Zum nebenher Jobben bleibt nicht zuletzt

Was tut das größte Talent, wenn am Ende des Geldes noch jede Menge Monat übrig ist?

wegen der engen Praxis-Anbindung an viele Theater der Stadt und wegen des dicht gepackten Stundenplans kaum Zeit. Im Sommer- wie im Wintersemester 2023 waren es deswegen fünfzig Studierende, die Stipendien bekamen. Die Fördersumme beträgt im Jahr 2023 etwa 90.000 Euro, dazu kommt in ähnlicher Höhe das sogenannte Deutschlandstipendium. Es fördert seit 2011 Studierende und Studienanfänger, „deren Werdegang herausragende Leistungen in Studium und Beruf erwarten lässt“. Sie erhalten ein Jahr lang 300 Euro monatlich – je zur Hälfte vom Bund und von privaten Stiftern.


29

Wo es in Deutschland in den achtziger und neunziger Jahren um Kulturförderung geht und ein Foto geschossen wird, ist August Everding mittendrin.

Zu diesen Stiftern gehörten im Studienjahr 2023/23

meiner Stiftung etwas zurückgeben von dem, was ich

beispielsweise der Konzertveranstalter Andreas

in so vielfältiger Weise durch das Erleben von Musik und Theater erhalten habe und das mein Leben unend-

Helmut Röschinger, der mit dem Bau der Parkstadt

lich bereichert hat.“ Viele der drei Dutzend ­Förderinnen

Schwabing den Weltkonzernen Microsoft und Amazon

und Förderer der Akademie würden das wohl unter-

eine Münchner Heimat gegeben hat, wie das Oberbür-

schreiben. Unter ihnen sind auch die Stifter von Son-

germeister Dieter Reiter zu dessen 80. Geburtstag

derpreisen wie etwa des Klaus Zehelein Preises für

formulierte.

Nachwuchsdramaturginnen und -dramaturgen (von Lo Eitle) oder dem Thomas Siedhoff Preis für junge

Auch Herzog Franz von Bayern, Familienoberhaupt der

Musical-Darsteller:innen (von Ursula E. Mulch).

Wittelsbacher und als Mäzen in vielen Bereichen der Bildenden Kunst und der klassischen Musik engagiert,

Außergewöhnlich begabte Studierende der Theater-

unterstützt die Theaterakademie von Anfang an. Er

akademie werden zudem über die Studienstiftung des

ist zugleich Ehrenvorsitzender des Stiftungsrates der

Deutschen Volkes oder den Deutschen Bühnenverein

Freunde des Nationaltheaters, die ihrerseits die Stif-

gefördert. Der Ukraine Nothilfefonds ermöglicht seit

tung als Verein treuhänderisch tragen. Von zentraler

vergangenem Jahr überdies, dass acht geflüchtete

Bedeutung ist und bleibt freilich auch das persönliche

Schauspielstudierende aufgenommen werden konn-

Engagement der Familie von August Everding, heute

ten. Sie setzen nun ihre Ausbildung in München als

seiner Söhne.

Gaststudierende fort.

Eine weitere Stiftung, die sich seit mehr als zwanzig

Auch sie sind selbstverständlich dabei, wenn die Aka-

Jahren für die Theaterakademie einsetzt und einen

demie ihre Unterstützer zu Lesungen, Soireen, Proben-

interessanten Bogen von der Theaterhistorie in die

besuchen und anderen persönlichen Begegnungen

Zukunft schlägt, trägt den Namen Richard ­Sturys.

einlädt. So auch 2023 beim großen ­Stiftungsdinner,

Stury (1859 – 1928) war Ende des 19. Jahrhunderts

das seit 2018 jährlich stattfinden soll, wenn nicht

einer der herausragenden Schauspieler am Münchner

gerade irgendeine Pandemie dies vereitelt. Die Akade-

Nationaltheater. Der gebürtige Münchner fiel schon

mie zündet dabei ein Feuerwerk ihrer Möglichkeiten.

als Jugendlicher durch sein schauspielerisches Talent

Die Studierenden spielen, tanzen, singen und moderie-

auf. Zu seinen zahllosen Verehrerinnen und Verehrern

ren selbst, rühren zu Tränen und sorgen für schallen-

zählte auch König Ludwig II. Sturys Sohn Richard und

des Gelächter.

seiner Frau Gertrud ist die 2002 gegründete und vielfach aktive Richard Stury Stiftung zu verdanken.

August Everding hätte seine Freude daran gehabt. Zu seiner größten Virtuosität gehörte es, andere auf ein

Ebenfalls seit mehr als zwei Jahrzehnten gehören Hof-

gemeinsames Ziel einzuschwören. Ob auf der Bühne

bräu (der Bierpfennig hat sich also gewissermaßen

oder am Dinner-Table. Und so zeigt sich an diesem

erhalten) und Lo Eitle mit seiner gleichnamigen Stif-

Abend jedes Jahr aufs Neue, worin der vielleicht größte

tung zu den Förderern der jungen Künstlerinnen und

Reichtum Münchens liegt: in der Bereitschaft zu teilen.

Künstler der Akademie. Eitle sagt: „Ich möchte mit

Wer nicht gerne gibt, den gibt es nicht.

DAS FLÜCHTIGE GESTALTEN

Schessl, zwei Rotary Clubs und der Unternehmer



August Everding prägte die Theaterakademie bis zu seinem Tod im Januar 1999 maßgeblich.


32

03

Wie alles anfing


33

Was ist das, eine Akademie? Barbara Gronau

der Generalintendant der Bayerischen Staatstheater August Everding am 18. Oktober 1993 im Gartensaal des Prinzregententheaters die Theaterakademie eröffneten, erinnerten sie an die fast zweihundert Jahre alte Forderung „nach einer Institution, in der […] für die verschiedenen Theaterberufe ausgebildet wird“.1 Tatsächlich reicht die Klage über fehlende Ausbildungsstätten im deutschsprachigen Raum bis in das 18. Jahrhundert und die Entstehung bürgerlicher Stadttheater zurück. Während der Unterricht in Malerei, Bildender Kunst und Musik vor allem in Italien und Frankreich seit dem 17. Jahrhundert mit großem Erfolg entwickelt worden war, gab es für die DarstelBarbara Gronau ist seit 2022

lenden Künste lange Zeit nichts Vergleichbares. Das

Präsidentin der Bayerischen

lag nicht nur am fehlenden Geld, sondern auch am

Theaterakademie August

Image des Theaters. Eine flüchtige Kunst, deren zen-

Everding und Leiterin des

trales Darstellungsmedium der Körper ist, die das

Kooperationsstudiengangs

Leben durch Verwandlung und Sinnlichkeit wieder-

Dramaturgie. Als Professorin

gibt, in der tragische Emotionen oder überbordende

für „Theorie und Geschichte des

Komik die Grenzen des Rationalen sprengen und

Theaters“ an der Universität der

in der sich Kollektive über Standesgrenzen hinweg

Künste Berlin verantwortete sie

öffentlich versammeln, hat immer wieder Skepsis und

u. a. das DFG-Graduiertenkolleg

Kritik hervorgerufen.2 Wirksam wurde sie nicht nur in

„Das Wissen der Künste“. Dane-

Zensur oder Theaterschließungen, sondern auch in

ben arbeitete sie immer wieder

der Verweigerung ihrer Akademisierung. Erst im spä-

als Dramaturgin und Kuratorin.

ten 19. und frühen 20. Jahrhundert

Wie alles anfing

Als der Bayerische Kultusminister Hans Zehetmair und


34 gelang es, die Darstellenden Künste als systematisch erlernbare Berufsfelder anzuerkennen und sie damit der Ausbildung in anderen Künsten ­gleichzustellen. Die Gründung der Bayerischen Theaterakademie steht somit in einer langen historischen Tradition der Anerkennung der Theaterkünste als Wissensformen. Doch – wie August Everding an jenem Abend sagte – ­„ Akademie wird man noch nicht, indem man sich Akademie nennt“.3 Was meint also die Bezeichnung eigentlich? Welches Konzept von Ausbildung wird damit aufgerufen und wie tauglich ist es für unsere Gegenwart?

Akademien als Wissensräume Der Begriff Akademie geht zurück auf den Ort Hekademeia im Nordwesten Athens, wo sich der Philosoph Platon und seine Schüler vor rund 2400 Jahren in einem weitläufigen Park regelmäßig versammelten. Voraussetzung für die Aufnahme in diesen Zirkel waren Grundkenntnisse in Mathematik und die Möglichkeit, sich geistigen Beschäftigungen widmen zu können. Bei Spaziergängen und gemeinsamen Mahlzeiten sinnierten (männliche) Lehrer und Schüler über Fragen der Philosophie und verfolgten dabei

Akademien sind herausgehobene Orte, an denen Menschen zusammenkommen, um sich auszutauschen und neue Fähigkeiten und Erkenntnisse zu erlangen.

dezidiert eine Methode, nämlich den Dialog. Platons Unterricht wurden so bekannt, dass schon wenig später die Schüler selbst als „Akademisten“ ­bezeichnet wurden und der Begriff mit Platons Philosophie gleichgesetzt wurde.4 Platons Schüler Aristoteles entwickelte dieses Lehrformat unter dem Namen Peripatos (Wandelgang) weiter und wählte dabei einen noch demokratischeren Ansatz: Bei Spaziergängen durch den beschatteten Säulengang eines großen Gartens konnten Schüler aller Herkünfte und Bildungsgrade am Unterricht in Rhetorik, Logik und Moral teilhaben. Die morgendlichen Spaziergänge zu Fragen der Philosophie und Naturerkenntnis waren einem kleineren Kreis von Schülern der Philosophie vorbehalten.5 Mit der Schließung der Athener Akademie durch Kaiser Justinian im Jahr 529 n. Chr. verlor Europa für

dazu wie feste Gebäude, und Mahlzeiten sind ebenso

ein Jahrtausend eine Bildungsform, als deren Kern wir

gemeinsame Praxis wie Gespräche. Wissen wird hier

das gemeinschaftliche Teilen von Wissen beschreiben

nicht durch stilles Lesen und Schreiben erworben,

können. Die vier strukturellen Merkmale der antiken

sondern durch gemeinsames Nachdenken und Disku-

Akademien – Raum, Dialog, Gemeinschaft und Wis-

tieren. So offen und demokratisch das Grundmodell

senserwerb – prägen bis heute unser Verständnis des

der Akademie ist, so basiert es doch auf komplexen

Begriffs. Akademien sind herausgehobene Orte, an

Ein- und Ausschlussregeln, die von ökonomischen

denen Menschen zusammenkommen, um sich auszu-

Verhältnissen, Geschlechtszugehörigkeit, wissen-

tauschen und neue Fähigkeiten und Erkenntnisse zu

schaftlicher oder künstlerischer Reputation bis hin

erlangen. Der Garten als Naturraum gehört ebenso

zur heutigen Eignungsprüfung reichen.


35

Als in der italienischen Renaissance unter Lorenzo de′ Medici und Marsilio Ficino im 15. Jahrhundert die Tradition der platonischen Akademie in Florenz wieder aufgenommen wurde, änderten sich auch die Zugänge und Bestimmungen. Ihre Mitglieder waren nun vor allem junge Adlige, die in akademischen Zirkeln ihr Wissen austauschen und erweitern wollten. Neben philosophischen Fragen wurden vor allem die Künste zum Gegenstand akademischer Praxis. Mit der Gründung der Académie française 1635 und der Académie Royale 1648 durch Ludwig XIV. in Paris nahm das europäische Akademiemodell zwei Formen an, die bis heute Bestand haben: Akademien als Gelehrtengesellschaften, in denen herausragende Expert:innen wissenschaftlicher und künstlerischer Fächer in einen gemeinsamen Forschungsdialog treten, und Akade-

Akademien als Wissenspraktiken

mien als Bildungsinstitutionen, in denen die FördeUm die historisch schwierige Situation der deutsch-

genuinen Ausbildungsanspruch verbunden wird.

sprachigen Theater (vor allem des Sprechtheaters)

Bis heute existieren auch in Deutschland beide Model-

zu verstehen, ist ein kleines Buch erhellend, das 1840

le nebeneinander. Was sie verbindet, ist interessan-

im Leipziger Weber-Verlag erschien. Die Schrift rich-

terweise das Prinzip der Kreativität und Entwicklung.

tete sich öffentlichkeitswirksam an „Eure Exzellenz

Im Unterschied zu den Gilden und Zünften beschränkt

Alexander von Humboldt“, das bekannteste Mitglied

sich die Ausbildung an den Akademien nicht allein auf

der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissen-

handwerkliches Know-how, sondern soll neue künst-

schaften, und trug den programmatischen Titel Über

lerische Formen und Objekte entwickeln. Akademi-

Theaterschule. Eine Mitteilung an das Theaterpubli-

scher Unterricht bezieht sich mithin nicht allein auf

kum.7 Ihr Verfasser – der Sänger, Schauspieler, Dra-

technische Fertigkeiten, sondern auch auf die „Unter-

maturg und spätere Karlsruher Hoftheaterdirektor

suchung wichtiger Aspekte der Kunst“6, um neue

Eduard Devrient – konstatierte darin ein quälendes

Lösungen zu finden. Heute heißt dieses Prinzip künst-

Paradox: Von der Höhe der Lehrstühle bis zur ABC-

lerisches Forschen und gehört zum Selbstverständ-

Schule des ärmsten Dorfes werde alles eingesetzt,

nis jeder künstlerischen Praxis. Erst die Verbindung

um die allgemeine Bildung zu heben. Jeder Land- und

von Wissen erwerben (Lernen), Wissen weitergeben

Forstwirt werde heute auf wissenschaftliche Akade-

und teilen (Lehren) und Wissen erweitern (Forschen)

mien geschickt, während man Sänger und Schauspie-

schafft einen Raum, der Qualität und Experiment glei-

ler in ihrer künstlerischen Entwicklung vollkommen

chermaßen garantiert.

alleinlasse! Wild entschlossen, diesen Missstand abzuschaffen, skizzierte Devrient ein groß angelegtes Projekt: die erste Theaterschule Deutschlands für Sänger:innen und Schauspieler:innen. Aufgenommen würden Knaben und Mädchen ab sechzehn Jahren, die über normal entwickelte Stimmorgane verfügen, körperlich „wohlgestaltet“ seien und mithilfe ihrer Einbildungskraft solche Affekte nachahmen ­können, die sie selbst noch nicht erlebt hätten.8 Trainiert ­würden die Eleven in Rhetorik, Deklamation, Musik, Gesang, Fechten, Turnen, Tanzen und Darstellungskunst sowie in Geschichte, Literatur und Theatergeschichte, denn – so die überzeugende Argumentation – wer Menschen darstellen solle, der müsse sie kennen. Wie schwer es damals allerdings war, die Idee von einer künstlerischen Ausbildung für das Theater zu vermitteln, zeigt sich daran, dass ungefähr ein Drittel des Buches ihrer

Wie alles anfing

rung von Malerei, Literatur, Tanz und Musik mit einem


36 Verteidigung gewidmet ist. Dem ­gängigen Argument,

­Verfahrensweisen und situatives Handeln meinen.11

dass die Bühne allein den ­Schauspieler erziehe, hielt

Es wird oft mit unbewusstem Wissen gleichgesetzt,

der Autor entgegen: „Die Schule kann freilich weder

das durch die Praxis immer wieder erneuert wird. In

Talent noch Genie erzeugen, aber sie kann zuver­

der Theaterausbildung wird ­dieses Wissen vor allem

lässiger als die Bühne selbst, die Anlagen wecken

durch Übung, also durch praktische Prozesse erwor-

und ausbilden.“9

ben. Im Wort üben (abgeleitet von indogerm. „op“ = erarbeiten, erwerben) steckt die zeitliche Dimension

Auch wenn Devrients Projekt letztlich nicht zustande

der Wiederholung. Erst durch die Wiederholung wird

kam, bildet es doch eine Art Prolog unserer Theater-

aus einer einfachen Handlung etwas, das über sie hin-

akademie. Es zeugt davon, dass sich im 19. Jahrhun-

ausgeht: die Ausbildung einer Fähigkeit oder die Opti-

dert die Idee durchsetzte, Kunstausübung als einen

mierung einer Fertigkeit. Das ist bekanntlich nicht so

Beruf einzustufen, der wie jeder andere durch eine

einfach, und so haftet dem Üben seit jeher die Dimen-

genau abgestimmte Ausbildung erlernt werden kann.

sion der Mühe, des Fleißes, im schlimmsten Fall der

Auf die Begabung allein ist eben kein Verlass, erst

Qual an. Widerstand, Scheitern und Vergessen sind

durch wiederholtes Üben unter Anleitung und durch

ständige Begleiterscheinungen des Übens. Die Dar-

die Vermittlung von Körpertechniken und Allgemein-

stellenden Künste sind in hohem Maße das Ergebnis

wissen bilden sich Künstlerinnen und Künstler heraus.

komplexer ­Übungsformen. Sie dienen der Entwicklung

In Devrients Theaterschule verbinden sich Professio-

physischer, mentaler, technischer und gestalterischer

nalisierung und Institutionalisierung zu einem Modell,

Fähigkeiten, aber auch der kollektiven Erarbeitung

nach dem wir auch heute noch die Künste lehren.

einer Inszenierung. Jeder Probenprozess enthält Formen des Übens, ohne vollständig darin aufzugehen.

Eine Besonderheit ist die „Werklosigkeit“ des Thea-

Im Theater werden bekanntlich nicht nur Haltungen,

ters.10 Theater ist eine flüchtige Kunst. Es ereignet

Bewegungen, Tänze, Sprech- und Singweisen, Auf-

sich im Vollzug, ist an die individuellen Körper und

und Abtritte, Beleuchtung, Bühnenumbauten oder

Handlungen von Darstellenden und Publikum gebun-

Soundeinspielungen geübt, sondern auch die Inter-

den und bleibt als Erinnerung und ästhetische Erfah-

aktion mit dem Publikum wird in sogenannten tryouts

rung in uns. Diesen Grundcharakter verändern

durchgespielt, ja sogar das Verbeugen am Schluss

weder Texte noch Videos, denn diese können wahl-

folgt einer eingeübten Applausordnung. Nicht selten

weise Vorschriften (Noten, Dramentexte) oder Doku-

wird im G ­ eübtsein die Differenz zwischen Impuls und

mente (Aufzeichnungen) sein, sind aber niemals deckungsgleich mit dem Ereignis auf der Bühne. Für die Ausbildung bedeutet dies, neben expliziten Formen des Wissens wie Theorien oder Regeln vor allem implizites Wissen zu vermitteln. Als implizit werden solche Wissensformen bezeichnet, die körperliche Fähigkeiten, technisches Können, routinierte

So haftet dem Üben seit jeher die Dimension der Mühe, des Fleißes, im schlimmsten Fall der Qual an. Widerstand, Scheitern und Vergessen sind ständige Begleit­erscheinungen des Übens.


37

So wie man zum Klavierüben ein Klavier braucht, braucht man zum Theaterüben ein Theater.

Können oder die zwischen Kunst und Nichtkunst verortet. Dabei ist es wichtig, das Üben nicht einfach als mechanische Vorstufe der Kunst abzuwerten, sondern das Einüben und das Ausüben als zwei Weisen desselben Vorgangs zu verstehen. 12 Wo das Einüben auf Perfektionierung abzielt, erinnert das Ausüben

Max Reinhardt

daran, dass wir es mit einem tendenziell unabgeZustand geht über dessen Zwecke hinaus. August Everdings Vision einer Theaterakademie wäre

durch bloßes Zuschauen.15 Mit dem Ausbau der gestal-

undenkbar ohne seine tiefe Anerkennung der künst-

terischen und szenischen Praxis im Studium einerseits

lerischen Übungspraxis. Schon in seiner ersten Kon-

und der Zunahme entsprechender Prüfungen ande-

zeption, dem „Memorandum zur Errichtung einer

rerseits hat die Akademisierung der Darstellenden

Akademie der darstellenden Künste“ von 1967 (damals

Künste ihren durchaus paradoxen Höhepunkt erreicht.

noch als Intendant der Münchner Kammerspiele), konstatierte er: „Es ist nicht Ziel und Aufgabe der Uni-

Eine zweite logische Konsequenz aus dem Übungs-

versität, für einen praktischen Beruf auszubilden. Die

paradigma war für Everding die Ansiedlung in einem

Mehrzahl der Studenten der Theaterwissenschaft will

Theatergebäude – namentlich dem Prinzregenten-

jedoch einmal einen praktischen Beruf ergreifen […].

theater, für dessen Instandsetzung er sich über Jahr-

Es fehlt aber ein Institut, an dem in Praxis und Theo-

zehnte eingesetzt hat. Die Sanierung des ehemaligen

rie unterrichtet wird. […] Der Ausbildungsstand der

Wagner-Festspielhauses zur Nutzung durch junge,

darstellenden Künstler ist katastrophal.“13 Die Antwort

experimentierende Studierende gehört zu den beein-

auf dieses Dilemma war die Forderung nach einer

druckendsten Schachzügen des Generalintendanten

eigenständigen Institution, in der Studium und künst-

August Everding. Wie ernst es ihm mit dieser Verbin-

lerische Praxis verschränkt sein sollen. Die Überle-

dung von Tradition und Zukunft war, zeigt sein Zitat

gungen, welche Methoden in den einzelnen Fächern

des Regisseurs Max Reinhardt bei der Eröffnung der

zur Anwendung kommen sollen und worin die jewei-

Theaterakademie. „So wie man zum Klavierüben ein

lige Praxis genau besteht, haben sich im Laufe der

Klavier braucht, braucht man zum Theaterüben ein

14

Zeit durchaus gewandelt. In den 1980er und 1990er

Theater. Eigentlich müsste man zwei Bühnen neben-

Jahren schien es erstrebenswert, den Studierenden

einander haben, eine große und eine kleinere für die

durch Praktika und Volontariate an Theatern die Nähe

Kammerkunst.“16

zu technischen Abläufen, Kommunikationsformen und Proben zu ermöglichen. Dass dies nicht in allen Fällen

Wenn heute Studierende und Lehrende jährlich über

gelang und die Studierenden sich als „Laufbursche“

vierzig Produktionen auf den sechs verschiedenen

und „unbezahlte Arbeitskraft“ wenig in die Proben ein-

Bühnen der Akademie erarbeiten, hat sich dieser

bezogen fühlten, zeigt die Grenzen eines Praxislernens

Wunsch mehr als erfüllt.

Wie alles anfing

schlossenen Prozess zu tun haben. Das Üben als


38

Theater befragt und aufruft.“ Allein „die Ausbildung des Schauspielers wird […] im Wesentlichen der pri-

Die Sanierung des ehemaligen Wagner-Festspielhauses zur Nutzung durch junge, experimentierende Studierende gehört zu den beeindruckendsten Schachzügen des Generalintendanten August Everding.

vaten Initiative und Improvisation überlassen.“18 Im Folgenden skizzierte Falckenberg ausgesprochen präzise eine Theaterakademie mit den Klassen Schauspiel, Regie, Dramaturgie, Bühnenbild und Kostüm, geregelt von den Haupt- und Nebenfächern bis zu den Aufnahmeprüfungen.19 Kurz darauf meldete sich eine zweite lautstarke Stimme zu Wort, nämlich die der „Arbeitsgemeinschaft Deutscher Studentenbühnen“, die seit 1949 regelmäßig in Erlangen die Internationale Theaterwoche der Studentenbühnen mit europäischer Beteiligung ausrichtete und zu den subversivsten Positionen in der Theaterkultur der Nachkriegszeit gehörte.20 Aus den Festivaldiskussionen ging 1951 eine sogenannte „Entschließung“ hervor, deren zentrale Forderung die „Errichtung einer deutschen Theaterakademie“ war, an der alle Disziplinen gelehrt werden sollten, die „die komplexe Kunst des Theaters umfasst“.21 Der Text wurde auf einem mehrseitigen Flugblatt publiziert und an sämtliche Kultusministerien und überregionalen Zeitungen verschickt. Die Reaktionen reichten von öffentlicher Ablehnung bis zu prinzipieller Befürwortung, eine politische Umsetzung des Vorschlags ver-

Akademien als kollektive Beziehungen

lief jedoch im Sand. Die letzte der drei Stimmen ist die des Theatermachers Erwin Piscator. Nach seiner Rückkehr aus

Die historische Forderung nach Unterstützung und

dem amerikanischen Exil und vor dem Hintergrund

Zentralisierung der Theaterausbildung in Deutschland

eigener Leitungserfahrungen am „Dramatic Work-

erfuhr in der disparaten Situation nach dem Zweiten

shop“ der New School for Social Research in New

Weltkrieg noch einmal eine Steigerung. In den Jahren

York (1940 – 1951) versuchte Piscator 1955, an die

1945 bis 1948 häuften sich die verzweifelten Anfragen

Strukturen eines „learning by doing“ anzuknüpfen,

an das Bayerische Kultusministerium nach finanziel-

in dem seine Studierenden praxisnah und eigenver-

ler Unterstützung für Theaterschaffende, nach Redu-

antwortlich unterrichtet wurden. Die Schule war ein

zierung der Vergnügungssteuer oder nach Wohnraum

„Laboratorium für alle Experimente“22 und brachte

für Studierende. Die Frage nach einem zentralen

bekanntlich die berühmtesten Darsteller:innen der

Adressenverzeichnis der bayerischen Theaterschu-

Nachkriegszeit hervor. Piscators Vorschlag, eine

len konnte mangels Informationen nicht beantwor-

Theaterakademie in Deutschland zu gründen, orien-

tet werden.17 In dieser Situation eines strukturellen

tierte sich weniger am Aspekt einer technischen

und künstlerischen Umbruchs meldeten sich drei sehr

Professionalisierung als an dem der Jugend, die

unterschiedliche Stimmen mit der Idee einer Theater-

als neue Generation von Theaterschaffenden unter-

akademie zu Wort. Die erste gehörte dem bekannten

stützt werden sollte. Sein Akademiemodell suchte

Theatermacher Otto Falckenberg, der als langjäh-

den Anschluss an globale künstlerische Tendenzen

riger, 1945 abgesetzter Intendant der Münchner

mit internationaler Beteiligung. Der von Piscator

Kammerspiele die historische Situation existentiell

1956 gegründete Verein Deutsche Akademie der

erfasste: „Die Zeit ist geladen mit Spannungen. Säku-

Darstellenden Künste konnte allerdings keinen Lehr-

lare Erscheinungen bahnen sich an. Um eine neue

betrieb aufbauen.

Daseinsordnung wird in allen Bereichen gerungen […].

Vor dem Hintergrund zahlreicher Gründungs-

Was Wunder, wenn in solcher Verfassung der heutige

versuche zeugen die jahrzehntelangen Bemü-

Mensch von allen Künsten zuerst […] das dramatische

hungen August Everdings um die Gründung einer


39 ­Ausbildungsinstitution für Bühnenberufe von beeindruckender Hartnäckigkeit. Das heute gültige

Das heute gültige Kooperationsmodell zwischen Theaterakademie, Kunsthochschulen und Bayerischen Staatstheatern ist einzigartig.

Kooperationsmodell zwischen Theaterakademie, Kunsthochschulen und Bayerischen Staatstheatern ist einzigartig und nicht selbstverständlich. Es basiert auf gegenseitiger Wertschätzung, struktureller Unterstützung und kommunikativem Austausch. Im Kern steckt dabei der Gedanke eines Zusammenwirkens verschiedener Praktiken und Wissensformen – der Studiengänge untereinander, der kooperierenden Institutionen und der internationalen Partnerschaften. Die Theaterakademie kann deshalb nur als gemeinschaftlicher Zusammenhalt beschrieben werden. Sowohl ihre historische Genese als auch ihre Gegenwart verdanken sich unzähligen Allianzen, Koopera­ tionen und Arbeitsprozessen. Die Theaterakademie ist ein Kollektiv.

13 August Everding: Memorandum zur Errichtung einer Akademie der darstellenden Künste vom 16.2.1967, Akt des BayHStA Nummer 188. 14 Vergleiche dazu die Interviews im Kapitel „Lehren und Lernen“ im vorliegenden Band. 15 Gesprächsnotiz Prof. Hellmann und Prof. Everding vom 6.11.1985 zur Beschwerde der Regiestudierenden über ihre Praktika, BayHStA Nummer 116. 16 August Everding: Rede zur Eröffnung der Bayerischen Theaterakademie am 18.10.1993 um 19 Uhr im Gartensaal des Prinzregententheaters, Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA), Generalintendanz der Bayerischen Staatstheater, Nummer 117. 17 BayrHStA Akten des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus 1945–1967, MK50660. 18 Ebenda. Der Text basiert auf Interviews mit dem Historiker Hans Gebhart, der sie unter dem Titel Über die Kunst des Schauspielers. Gespräche mit Otto Falckenberg 1948 in München herausgegeben hat. Archivalie und Buchtext sind identisch. 19 Es ist davon auszugehen, dass August Everding den unrealisierten Vorschlag Falckenbergs als späterer Intendant zur Kenntnis genommen hat. 20 Lea-Sophie Schiel: Theater im politischen Kampf. Gründung und Auflösung der internationalen Theaterwoche der Studentenbühnen in Erlangen 1949–1968. Berlin: Gesellschaft für Theatergeschichte, 2016. 21 Erlanger Rundbrief. Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft deutscher Studentenbühnen vom 15.10.1951, BayrHStA Akten des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus 1945–1967, MK50660. 22 Erwin Piscator: Vorschlag zu einer Theaterakademie (1955) in: Derselbe: Theater, Film, Politik. Ausgewählte Schriften, herausgegeben von Ludwig Hoffmann, Berlin 1980, S. 245–250, hier S. 248.

Wie alles anfing

Statement des Bayerischen Staatsministers für Unterricht, Kultus, Wissenschaft Hans Zehetmair anlässlich der Eröffnung der Theaterakademie am 18.10.1993 im Gartensaal des Prinzregententheaters, Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA), Generalintendanz der Bayerischen Staatstheater, Nummer 117. 2 Stefanie Diekmann, Christopher Wild, Gabriele Brandstetter (Hg): Theaterfeindlichkeit, München 2012. 3 August Everding: Rede zur Eröffnung der Bayerischen Theaterakademie am 18.10.1993 um 19 Uhr im Gartensaal des Prinzregententheaters, Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA), Generalintendanz der Bayerischen Staatstheater, Nummer 117. 4 Nikolaus Pevsner: Die Geschichte der Kunstakademien, München 1986, S. 23–38. 5 Luciano Canfora: Die Akademie in Griechenland, mit einem Ausblick auf Alexandrien, in: Europäische Sozietätsbewegung und demokratische Tradition. Die europäischen Akademien zwischen Frührenaissance und Spätaufklärung, Band I, hrg. von Klaus Garber und Heinz Wisman, Tübingen 1996, S. 43–52. 6 Johann Georg Sulzer: Allgemeine Theorie der bildenden Künste (1792), zitiert nach Pevsner, a.a.O., S. 171. 7 Eduard Devrient: Über Theaterschule, in: Derselbe: Dramatische und dramaturgische Schriften, Vierter Band, Leipzig 1846, S. 319–376. 8 Ebenda, S. 346. 9 Ebenda, S. 328. 10 Vgl. dazu den Beitrag von Erika Fischer-Lichte im vorliegenden Band. 11 Michael Polanyi: Implizites Wissen, Frankfurt am Main 1985. 12 Otto Friedrich Bollnow: Vom Geist des Übens. Eine Rückbe­ sinnung auf elementare didaktische Erfahrungen, Freiburg 1978, S. 20–21. 1


40


41

Umbau des ehemaligen Malersaals zum Akademietheater 1995


2. Weltkrieg: Zerstörung des Gartensaals bei Luftangriffen, nur leichte Schäden am Haupthaus

1944–1963:

April 1900: Beginn der Bauarbeiten zur Errichtung des Prinzregententheaters Architekt: Max Littmann in Anlehnung an das Bayreuther Festspielhaus / Bühnentechnik: Karl Lautenschläger

Prinzregententheater beherbergt die Bayerische Staatsoper, deren Gebäude zerstört ist / Erhöhung des Orchestergrabens / Abnahme des Schalldeckels

1 9 4 0

1 9 5 0

Schließung des Theaters

1 9 3 0

Sommer 1932:

Neben regelmäßigen Musiktheaterfestspielen Nutzung als Schauspielhaus

1 9 2 0

1919:

Eröffnung des Prinzregententheaters mit einem Festakt (20.8.) und der Inszenierung Die Meistersinger von Nürnberg (21.8.)

1 9 1 0

August 1901:

1 9 0 0

42

Geschichte des Prinzregententheaters

1933: Wiedereröffnung unter NS-Leitung als „Theater des Volkes“ mit täglichem Spielbetrieb

1945: Erstes Konzert der Münchner Philharmoniker nach Kriegsende (8.7.) / erstes Konzert der Reihe musica viva (7.10.) / Großveranstaltung der Kommunistischen Partei Deutschlands (11.11.) / Kundgebung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (25.11.)

1950: Wiederaufnahme der Münchner Opernfestspiele


43

1. September 1982:

1983:

Berufung August Everdings zum Generalintendanten Münchens

Bayerischer Landtag stimmt der von August Everding angeregten „kleinen Lösung“ einer Sanierung (Vorbühne, Zuschauerraum und Foyers) zu

Mai 1985: Nach einer großzügigen Spende beginnen die Bauarbeiten

9. Januar 1988: Feierliche Wiedereröffnung des Prinzregententheaters ohne Hauptbühne

1965:

1 9 9 0

2 0 0 0

Gründung der Bayerischen Theaterakademie in Kooperation mit den Münchner Kunsthochschulen und Bayerischen Staatstheatern, Präsident: August Everding

1 9 8 0

1 9 7 0

1. Oktober 1993:

März 1964:

1999: Die Bayerische

Schließung wegen „Baufälligkeit“ / Nichtöffentliche Fortführung der Nutzung u. a. durch die Bayerische Staatsoper, die Hochschule für Film und Fernsehen, die Landesbildstelle und die Ballettakademie

Theaterakademie erhält den Namenszusatz „August Everding“

1957–58: Um eine Achse verkürzter Wiederaufbau des Prinzregententheaters

1998: Umbenennung der Hochschule für Musik in München in Hochschule für Musik und Theater München

1988–1992: Ausweichspielstätte für das Bayerische Staatsschauspiel während des Umbaus des Residenztheaters

8. November 1996: Wiedereröffnung mit Everdings Neuinszenierung von Tristan und Isolde

11. November 1996: Eröffnung des Akademietheaters mit Die Stunde da wir nichts voneinander wussten von Peter Handke

1995: Bauarbeiten zur vollständigen Wiederherstellung des Theaterbaus

Wie alles anfing

1 9 6 0

„Bürgerschaftliche Vereinigung Münchner helft dem Prinzregententheater“ zur Restaurierung und Wiederinbetriebnahme wird ins Leben gerufen


Klaus Schultz

1999–2000: Peter Ruzicka

1993–1999:

2000–2003:

2003–2006:

2006–2014:

August Everding

Hellmuth Matiasek

Christoph Albrecht

Klaus Zehelein

2 0 1 0

2 0 0 0

1 9 9 0

Präsidentin und Präsidenten

1999:

2002–2003: Figurentheater (Ausbildungsgang als Pilotprojekt) *

Studiengänge

44

30 Jahre Bayerische Theaterakademie August Everding

2001: Diplomstudiengang Gesang, Studienrichtung Musiktheater (ab 2012 Masterstudiengang Musiktheater/Operngesang) * 2000–2003: Sommerakademie Bairisches Volksschauspiel 2000–2002: Dramenwerkstatt für Junge Autoren 1999: Maskenbild (zunächst Kurs der Maskenbildnerschule, ab 2005 Bachelorstudiengang, ab 2013/14 Intensivmaster) * 1998–2021: Aufbaustudiengang Theater-, Film-, und Fernsehkritik **** 1996: Diplomstudiengang Musical (ab 2013/14 Bachelor-/Masterstudiengang) * 1995–2007: Lichtgestaltung (Aufbaukurs, ab 1998/99 Bachelorstudiengang) 1994: Diplomstudiengang Dramaturgie (ab 2013/14 Masterstudiengang) ** 1993: Diplomstudiengang Schauspiel (ab 2013/14 Bachlor-/Masterstudiengang) * 1993: Diplomstudiengang Regie (ab 2013/14 Bachlor-/Masterstudiengang) * 1993: Diplomstudiengang Bühnenbild und Bühnenkostüm *** 1993–2006: Theaterpädagogische Einrichtung „Theater und Schule“ (TUSCH)


45

Studiengangsleiter:innen

1999–2002: Anke Roeder 2002–2004: Günther Erken

Schauspiel

2004–2006: Katrin Kazubko

1993–1996: Jörg van Dyck

2006–2013: Klaus Zehelein

1996–1998: Eberhard Witt &

2013–2014: Jürgen Schläder

Gerda Marko

2014–2022: Hans-Jürgen

1998–2002: Gerda Marko

Drescher

Seit 2002: Jochen Schölch

Seit 2022: Barbara Gronau

Musiktheater

Bühnenbild /-kostüm

1998–2000: Marioara Trifan

1993–1995: Ekkehard Grübler

(Musik. Leitung) / Roland

1995–2002: Karl-Ernst

Velte (Szen. Leitung)

Herrmann / Ursel Herrmann

2000–2001: Marioara Trifan

2002–2009: Ezio Toffolutti Seit 2009: Katrin Brack

2014–2022:

seit 2022:

(Musik. Leitung) / Cornel

Hans-Jürgen Drescher

Barbara Gronau

Franz (Szen. Leitung) 2001–2002: Marioara Trifan

Maskenbild

(Musik. Leitung) / Markus

1998–2002: Rudolf Herbert

Hertel (Szen. Leitung)

Seit 2002: Verena Effenberg

Tschiedel (Musik. Leitung) /

Theater-, Film- und

Markus Hertel (Szen.

Fernsehkritik

Leitung)

1998–2021: C. Bernd Sucher

2003–2008: Daphne

2022: Kulturjournalismus *

Evangelatos

Kulturjournalismus

2008–2009: Siegfried

Seit 2022: Dorte Lena Eilers

Mauser / Klaus Zehelein (Interimsleitung)

Lichtgestaltung

2009–2011: Renate

1995–1998: Hanns Joachim

Ackermann / Christoph Adt

Haas

2011–2012: Renate

1998–2007: Martemaria

Ackermann / KS Andreas

Scheunemann

Schmidt Seit 2012: Balázs Kovalik /

Theater und Schule

KS Andreas Schmidt

1993–2006: Regine Koch

Musical

Figurentheater

1996–1998: Georg Malvius

2001–2003: Siegfried

1998–2012: Vicki Hall

Böhmke

Seit 2012: Marianne Larsen

Sommerakademie Regie

Bairisches

In Kooperation mit:

1993–2013: Cornel Franz

Volksschauspiel

*

Seit 2013: Sebastian

2000–2003: Michael

Baumgarten

Lerchenberg

Dramaturgie

Dramenwerkstatt für

1994–1998: Günther Erken

Junge Autoren

1998–1999: Hans-Peter

2000–2001: Tankred Dorst

Bayerdörfer / Günther

2001–2002: Tankred Dorst /

Erken / Jens Malte Fischer

Gerda Marko

** ***

Hochschule für Musik und Theater München (HMTM) Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) Akademie der Bildenden Künste München (AdBK)

**** Hochschule für Film und Fernsehen München (HFF)

Wie alles anfing

2 0 2 0

2002–2003: Joachim


46

Beste Stücke Ausgewählte Archivalien mit Bezug zur Bayerischen Theaterakademie August Everding Thomas Schubert

Die Bayerische Theaterakademie August Everding hat in den dreißig Jahren ihres Bestehens bereits einen erheblichen Teil ihrer Unterlagen – Akten, Fotos, Programme und Informationsmaterial – an das zuständige Bayerische Hauptstaatsarchiv abgegeben. Anhand dieser Akten lässt sich die Entwicklung der Theaterakademie seit ihrer Gründung nachvollziehen. Wer aber die Abläufe verfolgen will, die zu dieser Gründung geführt haben, ist auf die Aktenüberlieferung bereits vor der Theaterakademie bestehender Institutionen angewiesen. Dafür kommt zunächst der Bestand Kultusministerium (MK) im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in Betracht. In der Akte mit der Signatur MK 50660 und dem pauschalen Betreff „Theaterschulen, Schauspielschulen – Allgemeines“, deren Inhalt sich über die Jahre 1945 bis 1967 erstreckt, findet sich eine Entschließung von 1951, nach der sich die Errichtung einer deutschen Theaterakademie „als unerlässliche Notwendigkeit […] Thomas Schubert hat von

ergeben hat“. (Abbildung S. 47)

2014 bis 2016 im ­S tadtarchiv München den Nachlass von

Dieser Appell wurde am 11. September 1951 vom Vor-

August Everding geordnet

sitzenden der Arbeitsgemeinschaft deutscher Stu-

und verzeichnet. Seit 2017 ist

dentenbühnen mehreren Adressaten im Bayerischen

er als Mitarbeiter des Baye-

Staatsministerium für Unterricht und Kultus sowie

rischen Hauptstaatsarchivs

dem Minister selbst mit der Bitte übersandt, „mir

unter anderem mit der Erschlie-

gelegentlich Ihre werte Meinungsäußerung“ zukom-

ßung der Unterlagen der Gene-

men zu lassen. (Abbildung S. 48)

ralintendanz der Bayerischen Staatstheater aus den Jahren

Bis Ende des Jahres 1951 erklärten die Leiter von

1982–1993 befasst und betreut

Staatsoper, Staatsschauspiel und Staatsoperette in

die Übernahme der von der

Bayern gegenüber dem Ministerium ihre Zustimmung

Bayerischen Theaterakademie

zu der skizzierten Idee einer Theaterakademie, zum

an das Hauptstaatsarchiv

Teil mit weitergehenden Ausführungen zu deren mög-

abgegebenen Akten.

licher Ausgestaltung.


47

Wie alles anfing


48


49

seinerseits im Januar 1952 ein Votum an die Ständige Konferenz der Kultusminister abzugeben, in dem der Gedanke der Errichtung einer Theaterakademie aufgegriffen wurde, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass dies „bedeutende finanzielle Aufwendungen erfordern“ würde. (Abbildungen S. 51–53) Damit enden die Überlegungen in der Akte, ohne dass die Thematik bis zum Ende ihrer Laufzeit (1967) wieder aufgegriffen wurde. Man könnte sagen: Alle seinerzeit Maßgeblichen fanden die Idee einer Akademie

Überliefert ist diese Ausarbeitung im Akt General­

gut, aber offenbar hat niemand konkrete Schritte zur

intendanz der Bayerischen Staatstheater 1537 im

Gründung einer solchen Institution unternommen.

Bayerischen Hauptstaatsarchiv, und zwar als Anlage zu einem Schreiben vom 27. März 1984 an die dama-

Vorwärts in Richtung einer Akademie-Gründung ging

lige Kultusstaatssekretärin Dr. Mathilde Berghofer-

es erst wieder durch August Everding, der 1953 als

Weichner. Everding äußerte sich nach einem Besuch

Assistent an den Münchner Kammerspielen begonnen

der Staatssekretärin im Prinzregententheater dank-

hatte und über zahlreiche Positionen bis zum Grün-

bar und anerkennend, und er sprach das Anliegen,

dungspräsidenten der Bayerischen Theaterakademie

eine Akademie der darstellenden Künste zu gründen,

aufstieg.

­ausdrücklich an.

Es ist nicht auszuschließen, dass Everding während

Geht man von August Everdings Bestrebungen zur

seiner Studienzeit (1949–1953) von der Initiative im

Gründung einer Theaterakademie aus, so sind seinem

Jahre 1951 erfahren hat. Er bezog sich jedoch nicht

Werdegang entsprechend sowohl Archivalien aus

darauf, als er 1967 ein „Memorandum zur Errichtung

­seiner Zeit in städtischen Diensten (zuletzt 1963–1973

einer Akademie der darstellenden Künste in München“

als Intendant der Münchner Kammerspiele) als auch

verfasste. (Abbildungen S. 58–61)

aus seinem Nachlass im Stadtarchiv München sowie

Wie alles anfing

Diese Äußerungen verwendete das Ministerium, um

Alle fanden die Idee einer Akademie gut, aber offenbar hat niemand konkrete Schritte zur Gründung einer solchen Institution unternommen.


50 aus den beiden Beständen Intendanz der Bayerischen Staatsoper und Generalintendanz der Bayerischen Staatstheater im Bayerischen Hauptstaatsarchiv relevant. Auf allen Stationen seines beruflichen Werdegangs hatte August Everding es verstanden, nicht lockerzulassen und den Weg bis zu der Gründung der Akademie vor nunmehr dreißig Jahren erfolgreich zu beschreiten. Dabei war er auf die Unterstützung von vielen Personen des öffentlichen und vor allem des politischen Lebens angewiesen, die er sich meisterhaft zu sichern verstand. Einen kleinen Einblick in den weiteren Verlauf bis zum Entstehen der Akademie geben Briefe, die jeweils die erzielten Fortschritte oder auch die drohenden Rückschläge dokumentieren.

Ab 1963 fiel das Prinzregententheater in eine Art Dornröschenschlaf.

Hier ist vor allem die zeitliche Phase zu betrachten, in der bekannt wurde, dass in Stuttgart eine Akademie ähnlich der von Everding in München geplanten gegründet werden sollte. Immer wieder betont Everding in Schreiben an die politischen Instanzen des Freistaats, dass er über dieses Vorpreschen von baden-württembergischer Seite sehr verärgert sei. Vielleicht hat aber gerade diese Konstellation letztlich den nötigen Schub geliefert, um 1993 schließlich eine Theaterakademie in München zu installieren. Die vielen kleinen und großen Schritte, die letztlich Eng verbunden mit dem zeitlichen Vorlauf bis zur

zur Wiederherstellung des Prinzregententheaters als

Gründung der Theaterakademie ist die Geschichte

nutzbare Spielstätte und spätere „Heimat“ der Thea-

der Reaktivierung des Prinzregententheaters, das als

terakademie führten, sind ebenfalls aus den Akten im

Spielstätte der Staatsoper ausgedient hatte, nach-

Bestand Generalintendanz der Bayerischen Staats-

dem ab 1963 das wiederaufgebaute Nationaltheater

theater ersichtlich. Ergänzend können Akten aus

genutzt werden konnte. Danach fiel das Prinzregen-

anderen Beständen des Bayerischen Hauptstaats-

tentheater in eine Art Dornröschenschlaf – von den

archivs oder des Archivs des Bayerischen Landtags

Staatstheatern zeitweise als Probebühne genutzt,

herangezogen werden, um beispielsweise die haus-

aber in den Zuschauerbereichen nicht mehr renoviert.

haltsmäßige Umsetzung der einzelnen Maßnahmen nachzuvollziehen. Die gesamte Entwicklung erschließt

Bewusst hatte August Everding 1982 sein Büro als

sich jedoch am deutlichsten aus dem Aktenmate-

neuer Generalintendant der Bayerischen Staats-

rial, das in August Everdings Büro im Prinzregenten-

theater im Prinzregententheater eingerichtet, was

theater entstanden und das heute in die Bestände

auch gegenüber der Presse entsprechend inszeniert

Generalintendanz der Bayerischen Staatstheater und

wurde. Im Sprachgebrauch der Zeit könnte man von

Theaterakademie August Everding eingegangen ist.

einer „Instandbesetzung“ sprechen, denn der Einzug in dieses traditionsreiche Haus erfolgte mit der

Die hier gezeigten Beispiele sollen einen kleinen Ein-

Absicht, es durch eine schrittweise Instandsetzung

blick in die Entwicklungsschritte vor und ab dem

wieder zu einem seiner Geschichte äußerlich und

Bestehen der Theaterakademie geben und gleichzei-

innerlich würdigen Ort zu machen, an dem sogar

tig dazu anregen, dieses Archivmaterial bei zukünfti-

wieder ein Spielbetrieb stattfinden konnte.

gen Forschungen verstärkt heranzuziehen.


51

Wie alles anfing


52


53

Wie alles anfing


54

Ausgewählte Archivalien


55 Wie alles anfing

Aus einer kurzen Notiz vom 23. November 1983 geht her-

Bereits vier Monate später fand eine Sitzung mit wesent-

vor, dass die Pläne zur Gründung einer Theaterakademie

lich mehr Teilnehmern statt.

schon früh von August Everding als Generalintendant der

(Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Generalintendanz der

Bayerischen Staatstheater vorangetrieben wurden. Die

Bayerischen Staatstheater 1546)

hier erwähnten Vorgespräche trugen sehr bald Früchte.


56

In diesem Sitzungsprotokoll vom 28. März 1984 wird die „Gründung einer Akademie der darstellenden Künste“ beim Namen genannt. Etwas resigniert wird darauf hingewiesen, dass man „nach der 10. konstituierenden Sitzung […] noch keine unmittelbare Realisationsmöglichkeit erkennen“ könne. Als „erster Schritt“ werde nun „eine ,kleine Lösung‘ angestrebt“ – ein Begriff, der später bei der Wiedereröffnung des Prinzregententheaters, wenn auch in anderem Zusammenhang, zum Tragen kommen sollte. Gemeint ist die Instandsetzung von Foyer, Zuschauerraum und Vorbühne, um den Spielbetrieb zumindest in kleinerem Umfang aufnehmen zu können. Zur Erläuterung: In dem angesprochenen Ministerratsbeschluss vom 7. Februar 1984 war festgelegt worden, dass das Staatsministerium für Unterricht und Kultus beauftragt wird, „sich nachhaltig um eine verbesserte Ausbildung der Bühnenschaffenden, insbesondere um eine verstärkte Kooperation zwischen den Institutionen, die bereits mit der Ausbildung befasst sind, zu bemühen“ und darüber hinaus „um eine Reform des sog. paritätischen Prüfungswesens für angehende Schauspieler“. Zudem sollte es „die bisherigen Anstrengungen zur Förderung des musikalischen Nachwuchses in verstärktem Maße fortsetzen, um so die Chancen für den deutschen Nachwuchs gegenüber der ausländischen Konkurrenz zu verbessern“. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Generalintendanz der Bayerischen Staatstheater 1546)


57

Wie alles anfing


58 Dieses Memorandum vom 16. Februar 1967 hat August

sinnvoll und notwendig hält und dieses Vorhaben verwirk-

Everding in seiner Zeit als Intendant der Münchner Kam-

licht sehen will, auch wenn später andere Orte ins Spiel

merspiele verfasst. Dementsprechend schlägt er räum-

kommen. Die vorgebrachten Argumente haben letztlich

liche Lösungen vor, die sich insbesondere auch auf

dauerhaft Bestand.

städtische Einrichtungen beziehen. Das ändert aber nichts

(Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Generalintendanz der

daran, dass er eine Akademiegründung insgesamt für

Bayerischen Staatstheater 1537)


59

Wie alles anfing


60


61

Wie alles anfing


62 Mit Schreiben vom 16. Februar 1985 trägt August Everding

und bittet um Unterstützung bei dem Versuch, „München

das Anliegen Theaterakademie dem Bayerischen Minister-

irgendwie ins Spiel zu bringen“.

präsidenten vor. Er äußert seine Besorgnis über die Pläne

(Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Generalintendanz der

zur Gründung einer Akademie in Baden-Württemberg

Bayerischen Staatstheater 1537)


63 Wie alles anfing

Am 25. April 1985 wendet sich August Everding in Sachen

Finanzfragen ist und diesem Projekt sehr positiv gegen-

Theaterakademie an den Landtagsabgeordneten Richard

übersteht.

Wengenmeier (1928–2002), der seit dem 16. Juni 1977

(Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Generalintendanz der

Vorsitzender des Ausschusses für Staatshaushalt und

Bayerischen Staatstheater 1537)


64 Nachdem die Gründung der Theaterakademie alle poli-

werden lassen. Hier zunächst die Darstellung des Koopera-

tischen und finanziellen Hürden genommen hat und die

tionsmodells und der geplanten Studiengänge vom

konkreten Planungsfragen im Vordergrund stehen, gehen

Februar 1993.

mehrere Gesamtdarstellungen in die Akten ein, die die

(Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Generalintendanz der

kurz vor der Eröffnung stehende Institution begreifbar

Bayerischen Staatstheater, Abgabe 2010/15, Ordner 200)


65

Wie alles anfing


66


67 Wie alles anfing

Die letzten Schritte auf dem Weg zur Akademiegründung

Künstlerischen Direktor und Koordinator des Lehrbetriebs.

sind ebenso zahlreich wie vielfältig, wie diese Aufstellung

(Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Generalintendanz der

vom 18. Januar 1993 verdeutlicht. Sie stammt aus der

Bayerischen Staatstheater, Abgabe 2010/15, Ordner 200)

Feder von Karl Köwer, dem späteren jahrzehntelangen


68


69 Wie alles anfing

Letztes Schreiben des Gründungspräsidenten an das

verstarb August Everding im Alter von siebzig Jahren.

für die Theaterakademie zuständige Ministerium. In ihm

(Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Theaterakademie August

wird die Eröffnung der Maskenbildnerschule vermeldet.

Everding, Abg. 2010/15, Ordner 246)

Es stammt vom 21. Januar 1999. Nur fünf Tage später


70

„Kultur sollte nicht Zutat sein, sondern Tat von Anfang an.“ Episoden aus der Geschichte des Prinzregententheaters Martin R. Laiblin

Am Anfang steht die Tat! In Anlehnung an das titelgebende Zitat von August Everding sollen im Folgenden ausgewählte Episoden aus der fast 125-jährigen wechselvollen Geschichte des Prinzregententheaters skizziert werden, das als Kulturinstitution aus dem heutigen München nicht mehr wegzudenken ist.

Eine Vision wird wahr (1864–1901) Der junge, musikbesessene König Ludwig II. legt im Jahr 1864 mit seiner von Richard Wagner inspirierten Vision den gedanklichen Grundstein für ein RichardWagner-Festspielhaus in München: „Ich habe den Martin R. Laiblin ist freischaffen­­

Entschluss gefasst, ein großes, steinernes Theater

der Theaterhistoriker, Kurator

erbauen zu lassen, damit die Aufführung des ‚Ring

und Autor.

des Nibelungen‘ eine vollkommene werde“ (nach

Seine Forschungsschwerpunkte

Köwer). Als Standort für den von Gottfried Sem-

sind insbesondere die ­Münchner

per entworfenen Prachtbau wird das Isarhochufer

und Stuttgarter Theater(bau)-

nördlich des Maximilianeums gewählt, also unweit

geschichte sowie Max ­Littmann,

des späteren Standortes des Prinzregententheaters

Ernst Stern und Georg S ­ tollberg.

[Abb. 1]. Auch wenn das Projekt letztendlich scheitert,

Von 2008 bis 2011 war er

die Vision bleibt und lebt spätestens mit der Einwei-

Lehrbe­auftragter für Theater­

hung des Bayreuther Festspielhauses auf dem Grü-

geschichte sowie bis 2010

nen Hügel im Jahr 1876 wieder auf. So wirbt Karl von

Assistent des Studiengangs

Perfall, der damalige Generalintendant der Königli-

„Bühnenbild und -kostüm“ ­

chen Hoftheater, für ein solches Festspielhaus: „Welch

an der Akademie der Bildenden

eine große That für die Kunst wäre es, welch eine

Künste München.

ruhmreiche Zierde für die Kunststadt München, welch


71

eine neue sich e ­ rschließende enorme Erwerbsquelle für die Stadt, wenn die Prinzregentenstraße ihren Abschluss durch Erbauung eines Kunsttempels fände! Es müsste ein ‚Festspielhaus für das Volk‘ werden“ (nach Köwer). Doch erst seinem Nachfolger, Ernst von Possart, gelingt es 1898, diese Vision mit Unterstützung eines privaten Finanzkonsortiums in die Tat umzusetzen, mit dem Ziel, den bis dato unattraktiven Münchner Osten durch den Ausbau der Prinzregentenstraße jenseits der Isar zu erschließen. Dem Bauauftrag entsprechend, entwirft der Münchner Architekt Max Littmann das neue Festspielhaus als opti-

Wie alles anfing

mierte Kopie des Bayreuther Vorbilds [Abb. 2]: Der wesentliche Unterschied besteht in der massiven Bauweise des Prinzregententheaters, da es nicht nur im Sommer, sondern das ganze Jahr über bespielt werden soll. Damals wie heute ist das Amphitheater-Halbrund des Zuschauerraums wohl das auffälligste Merkmal des Bauwerks. Anders als in Bayreuth kann der versenkte Orchesterraum überdeckelt werden, um auch Sprechtheateraufführungen zu ermöglichen. Die Bühne des Prinzregententheaters ist nach dem (schon von Wagner für seine Illusionsbühne verwendeten) traditionellen Guckkastenprinzip gestaltet und hat den gleichen Grundriss und die gleiche Kulissenbühnentechnik wie die Bühne des Nationaltheaters. Da das neue Haus für die sommerlichen Münchner Wagner-Festspiele vorgesehen ist, müssen die Dekorationen von beiden

[Abb. 1] Der Prachtbau ist in exponierter Lage als monumentaler Abschluss der durch einen Brückenneubau verlängerten Brienner Straße gedacht, was dieses Modell des geplanten Richard-Wagner-Festspielhauses veranschaulicht. Dürr, Hermann, 1926/27, nach dem Originalmodell Gottfried Sempers von 1866, Inv.-Nr. LIIMus. 606, Schloss Herrenchiemsee, Ludwig-II.-Museum, R.7. © Bayerische Schlösserverwaltung

Bühnen genutzt werden können. Für die technische Umsetzung dieser Vorgabe ist Karl Lautenschläger verantwortlich. Nach gut einjähriger Bauzeit findet im August 1901 die feierliche Einweihung mit einem zweitägigen ­Festakt und Wagners Meistersingern von Nürnberg

[Abb. 2] Gartenansicht und Blick auf den Gartensaalflügel des um 1901 detailreich ausgearbeiteten, tischgroßen Modells des Prinzregententheaters aus dem Atelier von Max Littmann im Bestand des Deutschen Theatermuseums (Nachlass Max Littmann). [Deutsches Theatermuseum München, ID 49677] Foto: ©rudolf faist production


72

statt [Abb. 3]; ab Oktober stehen neben Opern auch Schauspiele auf dem Spielplan. Bald darauf werden die ursprünglichen weißen Künstlerstatuen durch die heute noch vorhandenen Dreifußschalen und der wuchtige Bühnenrahmen durch ein schlichteres Doppelproszenium ersetzt [Abb. 4]. Zusammen [Abb. 3] Dank der noch weitgehend unverbauten Umgebung scheint das Prinzregententheater auf dieser Postkartenansicht wie sein Bayreuther Vorbild auf einem grünen Hügel zu thronen. [Privatarchiv M. Laiblin]

mit den exquisiten Deckenmalereien von Julius Mössel entsteht so eine harmonisch antikisierende Raum- und Farbwirkung mit Jugendstilanklängen – das ideale Ambiente für jedes Publikum, ein Effekt, der seine Wirkung bis heute nicht verfehlt.

[Abb. 4] Diese Postkartenansicht weicht zwar von der tatsächlichen, weitaus dezenteren Farbgestaltung des Zuschauerraumes ab, sie zeigt aber zum einen, wie die weißen Dichter- bzw. Komponistenstatuen hervorstechen, und zum anderen, wie der üppige Goldrahmen das Bühnengeschehen – dem Guckkastenprinzip entsprechend – zu einem Bild zusammenfasst. [Privatarchiv M. Laiblin]

Nicht nur Festspiele (1902–1942) Ab 1902 dient das Prinzregententheater während der Festspielzeit im Sommer ausschließlich der Aufführung von Wagner-Opern und bleibt wegen der hohen Eintrittspreise vor allem den „besten und vermögendsten Schichten der internationalen Gesellschaft“ (nach Braunmüller) vorbehalten [Abb. 5]; in den Wintermonaten wird es hingegen meist sonntags als


73

eine Art Klassiker-Volkstheater vor allem für die Dra-

Prinzregententheater erklingt, zollt auch München

men von Shakespeare, Goethe und Schiller genutzt,

dem 1914 weltweit grassierenden „Parsifal-Fieber“

mit deutlich erschwinglicheren Kartenpreisen für die

(nach ­Wildhagen) seinen Tribut. Eine erste vorsich-

Münchner Bürger. Doch schon bald reduziert der neue

tige Erweiterung der Wagner-Tradition der Festspiele

Generalintendant Albert von Speidel die Sprechthea-

erfolgt 1917 mit der Uraufführung von Hans ­P fitzners

terveranstaltungen im Prinzregententheater deutlich:

Palestrina, seit 1930 finden sich auch Werke von

Ab 1905 werden zunächst die winterlichen Klassiker-

Richard Strauss auf dem Programm.

vorstellungen vom Spielplan gestrichen, 1908 folgen

Dank einer Initiative zur „Schaffung eines Arbeiter-

dann alle anderen Aufführungen aus dem Repertoire

theaters“ (nach Köwer) erhält das Prinzregententhea-

des Hofschauspiels. Abgesehen von den Festspiel­

ter ab Herbst 1919 den Status einer „Volksbühne“ und

wochen im Sommer steht das Prinzregententheater

dient fortan wieder dem Sprechtheater des Staats-

also von nun an weitgehend ungenutzt leer. Zwar

schauspiels. Fast täglich bespielt, kommen hier unter

testet Generalmusikdirektor Felix Mottl 1908 mit

­anderem Werke von Wedekind, Werfel, Hofmannsthal

einer Konzertprobe des Hoforchesters mit W ­ erken

und Halbe zur Uraufführung. 1926 geht es in Staats-

von Beethoven und Wagner die Tauglichkeit des

besitz über. Während einer einjährigen Schließung

Prinzregententheaters als Konzertsaal, doch trotz

1932/33 wird der Zuschauerraum für das Sprech-

des überzeugenden Ergebnisses ergänzen die von

theater durch eine teilweise Bespannung mit akkurat

Mottl dirigierten Festkonzerte nur zwei Jahre lang

gefalteten, lichtgrauen Vorhängen angeblich akus-

(1908 und 1909) das Programm der Festspiele.

tisch optimiert. Nach der Wiedereröffnung im November 1933 trägt das Prinzregententheater (bis 1945) den im Nationalsozialismus gebräuchlichen Namen

1939 jährlich stattfindenden Festspiele konzen­

„Theater des ­Volkes“; ab 1934 wird es der NS-Organi-

trieren sich lange auf das Werk Richard Wagners

sation „Kraft durch Freude“ unterstellt und damit zum

und bilden damit einen Schwerpunkt der Münchner

Forum nationalsozialistischer Propaganda: Neben

­Wagner-Verehrung. Anlässlich seines 100. Geburts-

zahlreichen NS-Sonderveranstaltungen werden vor

tags im Jahr 1913 findet das Wagner-Denkmal unweit

allem völkisch geprägte, eher triviale Unterhaltungs-

des Prinzregententheaters seinen sinnvollen Platz

stücke aufgeführt – meist in geschlossenen Vorstel-

und steht dort noch heute. Und als nach Ablauf der

lungen, etwa für die Hitlerjugend, die Wehrmacht oder

dreißigjährigen Schutzfrist für Wagners Werke der

für SS-Delegationen –, die nach Kriegsbeginn zuneh-

Parsifal zum ersten Mal außerhalb von Bayreuth im

mend kriegsverherrlichende Inhalte ­aufweisen.

[Abb. 5] Der Gartensaal im Anschluss an eine Festvorstellung im Sommer 1910. Zeitungsgrafik nach einer Zeichnung von I. Peters. [Privatarchiv M. Laiblin]

Wie alles anfing

Die – mit Ausnahme der Kriegsjahre – von 1902 bis


74 Im Zuge von Instandsetzungsarbeiten werden 1938 auch die Foyers so umgestaltet, dass die originalen Dekorationsmalereien möglichst aus dem Blickfeld verschwinden: Der neue Zeitgeist hat das Prinzregententheater endgültig vereinnahmt.

Zurück zu neuem Glanz (1943–1963) Die Bestrebungen, die Bayerische Staatsoper zum Vorzeigeinstitut des Dritten Reiches zu machen, finden bei dem nächtlichen Bombenangriff auf München vom 2. auf den 3. Oktober 1943 mit der völligen Zerstörung des Nationaltheaters ein abruptes Ende. Diesem Schicksal entgeht das Prinzregententheater in derselben Nacht nur knapp, da diesem Angriff glücklicherweise nur der Gartensaal, der damals als Foyer dient, zum Opfer fällt [Abb.6]. Durch wenige Instandsetzungsarbeiten wie die Anhebung des Orchestergrabens und die Entfernung

Die Münchner Theater stehen in den folgenden vier

des Schalldeckels wird das Theater für die Bedürf-

Jahren unter der Aufsicht der amerikanischen Mili-

nisse der Staatsoper umgerüstet, sodass der Spiel-

tärregierung. Schon die ersten Konzerte im Prinzre-

betrieb bis zum Ende der Spielzeit am 30. Juli 1944

gententheater – dem einzigen in München nach dem

vereinfacht und regimetreu aufrechterhalten wer-

Krieg noch völlig intakten Raum für größere kultu-

den kann. Als Folge des 1943 proklamierten Totalen

relle Veranstaltungen – setzen 1945 wichtige Zeichen

Krieges müssen am 1. September 1944 alle Theater in

für den angestrebten Neubeginn: Am 8. Juli 1945 fin-

Deutschland schließen.

det hier das erste Konzert der Münchner Philharmoniker statt; es beginnt ebenso wie das erste Konzert

Mit dem Zusammenbruch des NS-Regimes bietet sich

des Bayerischen Staatsorchesters am 17. August 1945

nach Kriegsende 1945 die Chance, Deutschland neu

mit einem Werk des Komponisten Felix Mendelssohn

zu gestalten, wobei Kunst und Kultur nach Ansicht

Bartholdy, dessen Musik seit 1933 nicht mehr erklin-

der Siegermächte eine bedeutende Rolle spielen.

gen sollte. Und am 7. Oktober begründet der von


75

[Abb. 6] Die notdürftig abgedeckten Überreste des im Krieg zerstörten Gartensaals. [Archiv Theaterakademie]

Werke der ­Opernliteratur von Mozart bis Wagner und Strauss wiederaufgenommen, erweitert um Werke des modernen Opern- und Tanztheaters, und es kommen – mitunter erstmals – Werke von Hindemith, Orff, Henze und Egk zur Aufführung. mann (1952–1967) ist geprägt von großen Theaterereignissen mit hohem künstlerischem Anspruch, denn nach den entbehrungsreichen Jahren wächst das Bedürfnis nach hochkarätigen Veranstaltungen: So wird die Tradition der Münchner Opernfestspiele fortgesetzt und das Jubiläum „300 Jahre Oper in München“ mit einer Festwoche begangen. Um dem Repräsentationsbedürfnis des nationalen und internationalen Publikums der Wirtschaftswunderjahre Rechnung zu tragen, werden 1957 die Reste des 1948 nur notdürftig überdachten Gartensaals abgetragen und von der Firma Heilmann & Littmann durch ein neues Foyer ersetzt, den Nazis mit Berufsverbot belegte Komponist Karl

das dem mondänen Zeitgeschmack der späten

Amadeus Hartmann die bis heute erfolgreiche Reihe

1950er Jahre entspricht.

musica viva – ein Forum für die von den Nazis verfemte musikalische Avantgarde – unter anderem mit

Bis zum Spätsommer 1963 bleibt das Prinzregenten-

einem Werk von Gustav Mahler, der wie Mendelssohn

theater Münchens einziges Festspielhaus. Doch als

Bartholdy aus einer jüdischen Familie stammt.

die Staatsoper nach ihrer letzten dortigen Vorstellung am 6. September 1963 in das inzwischen wie-

Am 15. November 1945 bezieht die Staatsoper end-

deraufgebaute Nationaltheater zurückzieht, hat das

lich ihr Ausweichquartier im Prinzregententheater

Prinzregententheater als Ausweichquartier endgül-

für die kommenden 18 Spielzeiten. Zunächst muss

tig ausgedient. Zum Jahreswechsel 1963/64 wird das

auf das Vorkriegsrepertoire zurückgegriffen wer-

Theatergebäude überraschend mit einem Federstrich

den, dessen Bühnenbilder den Krieg überstanden

für baufällig erklärt, kurzerhand geschlossen und im

haben. Daneben wird die Pflege der klassischen

Grunde dem Verfall preisgegeben.

Wie alles anfing

Vor allem die Intendanz von Rudolf Hart-


76

­künstlerische Leiter der Münchner Kammerspiele, erkennt den kulturellen Wert des Gebäudes und setzt sich immer wieder nachdrücklich für seine Rettung ein, so etwa 1976 in seinem Vortrag von mit dem rich-

Rettung der Zukunft

tungweisenden Titel „Das Prinzregententheater oder

(1964–1993)

Die Notwendigkeit des scheinbar nicht Notwendigen“. 1977 zum Intendanten der Bayerischen Staatsoper

Wie sehr den Münchnern dieses Theater ans Herz

berufen, verfolgt er unbeirrt seine Vision, das Prinz-

gewachsen ist, zeigt sich schon kurz nach der

regententheater gegen alle Widerstände in seiner

Schließung, als sich 1964 der Verein „Münchner helft

alten Pracht wiederauferstehen zu lassen. Als Anfang

dem Prinzregententheater“ gründet, um „die Wieder-

der 1980er Jahre wegen des inzwischen desolaten

herstellung des Prinzregententheaters zu fördern“

Zustands sogar ein Abriss diskutiert wird, setzt sich

und es dem „Kulturleben wieder zur Verfügung“ zu

Everding – inzwischen Generalintendant der Bayeri-

stellen (nach Köwer). Mit großem Engagement und

schen Staatstheater – noch intensiver für den Erhalt

einer breiten Palette von praktischen Initiativen wie

ein und gewinnt einen immer größer werdenden Kreis

­Versteigerungen und Benefizveranstaltungen gelingt

von Sponsoren und Mäzenen. Einen entscheiden-

es dem Verein, nicht nur öffentlichkeitswirksam für

den Impuls erhält die Diskussion um die Rettung des

sein Anliegen zu werben, sondern auch zahlreiche

Prinzregententheaters, als bekannt wird, dass die

Spenden zu sammeln und so später den entschei-

1980 verstorbene Tochter des Architekten Max Litt-

denden finanziellen Beitrag zur Rettung des Thea-

mann in ihrem Testament ein Aktienpaket im Wert

ters zu leisten. Auch August Everding, der damalige

von 2,7 Millionen DM für diesen Zweck bestimmt hat – allerdings mit der Auflage, dass spätestens am 24. Juni 1983 mit den Arbeiten begonnen werden müsse, andernfalls das Geld für einen anderen Zweck eingesetzt werde [Abb. 7]. Die hier in Aussicht gestellte Unterstützung liefert Everding das entscheidende Argument, um die Staatsregierung schließlich zum Umdenken zu bewegen und in die Pflicht zu nehmen. So fasst der Bayerische Landtag tatsächlich zwanzig Jahre nach der Schließung (und eine Woche vor Ablauf der gesetzten Frist!) am 16. Juni 1983 den „für das kulturelle Leben Münchens und ganz Bayerns bedeutsamen Beschluß“, das Prinzregententheater „in einer seiner kulturhistorischen Bedeutung entsprechenden Weise durch den Freistaat Bayern wiederher[zustellen]“ (nach Danler).

[Abb. 7] Ein Moment von historischer ­Bedeutung: August Everding im Gespräch mit der Tochter von Max Littmann, Gertrud Proebst (um 1979). [Privatarchiv Dr. C. Oelwein, Ilmmünster/München]

Aufgrund der damals geschätzten Sanierungskosten von rund 130 Millionen DM wird mit Baubeginn am 23. Juni 1983 zunächst nur eine Teilsanierung in Angriff genommen [Abb. 8, 9 und 10]: Neben der original­


77 Wie alles anfing

[Abb. 8] Blick auf die Baustelle des Zuschauerraums während der Renovierungs­ maßnahmen Mitte der 1980er Jahre. [Archiv Theaterakademie]

[Abb. 9] Der Gartensaal während der Rekonstruktion der Deckenmalerei: Die freie Interpretation von Julius Mössels ursprünglicher Blätterdach-Komposition stammt von Elmar Albrecht. [Archiv Theaterakademie]


78 [Abb. 10] Detailansicht der Untermaschinerie der historischen Kulissenbühnentechnik von Karl Lautenschläger, die trotz aller notwendigen Modernisierungsmaßnahmen bis heute größtenteils erhalten geblieben ist. [Archiv Theaterakademie]


79

getreuen Wiederherstellung der Publikumsräume und des Gartensaals konzipiert Everding eine kos­ten­günstigere „kleine Lösung“; sie sieht vor, den Orchestergraben sowie die ersten drei Reihen des verkürzten Zuschauerraums vor dem Eisernen Vorhang zu überbauen, um vor der eigentlichen, nicht sanierten Hauptbühne eine provisorische ­Spielfläche von 162 Quadratmetern mit technischer Grundausstattung zu erhalten. Mit diesem Konzept gelingt es, das Prinzregententheater nach nur knapp fünfjähriger Bauzeit 1988 wiederzueröffnen und bis 1992 vor allem als Ausweichquartier für das Staatsschauspiel während der Umbauzeit des Neuen Residenztheaters zu nutzen. Danach finden in dem Haus überwiegend Konzerte statt.

Fortschritt aus Tradition

die Fortsetzung der groß angelegten Spendenaktion und die großzügige Unterstützung zahlreicher Sponsoren, etwa durch den Coup der symbolischen Stuhl-

Trotz der nun erreichten – wenn auch deutlich ein-

spenden, führen schließlich dazu, dass bereits in der

geschränkten – Bespielbarkeit des Hauses wirbt

Spielzeit 1995/96 mit den Baumaßnahmen zur voll-

Everding weiterhin unermüdlich für sein eigentliches

ständigen Wiederherstellung des Prinzregententhea-

Ziel, das Prinzregententheater durch die Renovierung

ters begonnen werden kann: Von der Orff-Nacht am

der Hauptbühne wieder voll funktionsfähig in seiner

8. Juli 1995, der letzten Vorstellung vor Beginn der

ursprünglichen Gestalt erstrahlen zu lassen.

Bauarbeiten, dauert es tatsächlich nur ein gutes Jahr, bis das Haus – erweitert um das neue Theaterrestau-

Sein ungebrochener Enthusiasmus überzeugt: Außer-

rant „Prinzipal“ – am 10. November 1996 mit Everdings

gewöhnliche Matineen wie Unser Prinzregententhea-

Neuinszenierung von Wagners Oper Tristan und Isolde

ter: Gestern – Heute – Morgen? oder Künstler des

wiedereröffnet werden kann. Tags darauf werden im Rückgebäude hinter dem Bühnenhaus des Theaters das neue Akademietheater und das Akademiestudio mit Spiel- und Probenräumen für die Regie-, Schauspiel- und Musicalproduktionen der Bayerischen Theaterakademie eingeweiht [Abb. 11]. 1993 von Everding gegründet und später nach ihm benannt, entsteht sie aus dem Wunsch, eine umfassende und praxisnahe Ausbildung für die verschiedenen Berufe im Theaterbereich zu schaffen. Auch nach dem Tod des Gründers im Jahr 1999 setzt sich die Erfolgsgeschichte fort: Integriert in das traditionsreiche ­Prinzregententheater ist die Theaterakademie August Everding heute eine der größten, bedeutendsten und zweifellos fortschrittlichsten Ausbildungsstätten für theaterpraktische Berufe in Europa. Sie unterhält zahlreiche Produktionspartnerschaften, unter anderem mit der Bayerischen Staatsoper,

Wie alles anfing

(1993 bis zur Gegenwart)

Prinzregententheaters helfen ihrem Theater sowie


80 dem Residenztheater und dem Gärtnerplatztheater, das übrigens während des Umbaus Ende der 1990er Jahre das Prinzregententheater als Ausweichquartier nutzte. Das hundertjährige Bestehen des Prinzregententheaters – des „Prinze“, wie es die Münchner liebevoll nennen – wird im Jahr 2001 mit einem Festakt und einem Jubiläumsspielplan gefeiert, und die Erfolgsgeschichte des Theaters und der Theaterakademie setzt sich in den folgenden 22 Jahren ungebrochen fort, sodass im Jahr 2023 das dreißigjährige Jubiläum der Theaterakademie August Everding gefeiert werden kann. Das Prinzregententheater zählt heute zu den beliebtesten Konzertsälen Münchens: Seit 2004 ist es das Stammhaus für die Konzerte des Münchener Kammerorchesters, außerdem ­finden hier regelmäßig Konzerte des Münchner ­Rundfunkorchesters und des Sinfonieorchesters des Bayerischen Rundfunks statt. Ergänzt wird dieses reichhaltige und

[Abb. 11] Großer Andrang anlässlich der Eröff­nung der neuen Räume der Theaterakademie am 11. November 1996. [Archiv Theaterakademie]


81

­abwechslungsreiche ­Konzertangebot durch eine Reihe von besonderen ­kulturellen V ­ eranstaltungen – etwa Premieren der Münchner Opernfestspiele, die Abschluss- und Preisträgerkonzerte des ARD-Musikwettbewerbs, Gastspiele renommierter internationaler Opern- und Theaterensembles und seit 2005 auch die Gala zur Verleihung des Bayerischen Filmpreises. Heute erweist sich das Prinzregententheater mehr denn je als unverzichtbarer Bestandteil der Münchner Kulturszene und leistet einen wichtigen Beitrag dafür, dass die Stadt auch international als lebendiges Zentrum für Theater und Musik wahrgenommen wird – ein Ort, an dem sich Tradition und Innovation in hochkarätigen Aufführungen verbinden, die das Publikum immer wieder begeistern, und zugleich eine Ausbildungs- und Präsentationsstätte für die Künstler:innen aus dem vielfältigen Bereich der Darstellenden Künste. In Erinnerung an den Gründungsgedanken des Prinzregententheaters sei es gestattet, den Generationen der kommenden 125 Jahre mit den Worten Richard

Monografien und Sammelbeiträge Bayerische Theaterakademie August Everding im Prinzregententheater (Hg): 100 Jahre Prinzregententheater. Festschrift. München 2001. Bayerische Theaterakademie August Everding im Prinzregententheater (Hg): 100 Jahre Prinzregententheater. Jahrbuch 2001. München 2001. Braunmüller, Robert/Schläder, Jürgen: Tradition mit Zukunft. 100 Jahre Prinzregententheater. Feldkirchen bei München 1996. Braunmüller, Robert: Die 100-jährige Geschichte des Prinzregententheaters. In: Bayerische Theaterakademie August Everding im Prinzregententheater (Hg): 100 Jahre Prinzregententheater. Jahrbuch 2001. München 2001, S. 20–28. Breuer, Judith: Julius Mössel, Dekorations- und Kunstmaler, 1871–1957. Zur Wiederentdeckung seiner Arbeiten in Süddeutschland. In: Arbeitsheft 5 des Landesdenkmalamts Baden-Württemberg. Stuttgart 1995. Danler, Karl-Robert: Die Geschichte der bürgerschaftlichen Vereinigung „Münchner helft dem Prinzregententheater e. V.“. In: Klaus Jürgen Seidel (Hg): Das Prinzregententheater in München. Nürnberg 1984, S. 245–248. Everding, August: Mir ist die Ehre widerfahren. An-Reden, Mit-Reden, Aus-Reden, Zu-Reden. München 1985.

Internet Braunmüller, Robert (13.11.2008): Grauer Star im Hintergrund. Skandal im Prinze? Klaus Zehelein hat die monströsen Engel von Ernst Fuchs übermalen lassen. Online im Internet unter: https:// www.abendzeitung-muenchen.de/kultur/grauerstar-im-hintergrund-art-85872 [zuletzt abgerufen am 20.9.2023] Braunmüller, Robert (06.11.2009): Allerlei für die Allerwertesten. Wo sind sie geblieben, die Namen der Stuhl-Spender im Prinzregententheater? Online im Internet unter: https://www.abendzeitung-muenchen.de/kultur/allerlei-fuer-die-allerwertesten-art-106864 [zuletzt abgerufen am 20.9.2023] Fischer, Helmar Harald (22.11.2004): Theater nach dem Zweiten Weltkrieg. Online im Internet unter: https://www.deutschlandfunk.de/theaternach-dem-zweiten-weltkrieg-100.html [zuletzt abgerufen am 4.10.2023] N.N. (o.J.): Die Chronik des Prinzregententheaters. Online im Internet unter: https://www. theaterakademie.de/spielstaetten/prinzregententheater/chronik-des-prinzregententheaters/ chronik-1901-1929 [ff.] [zuletzt abgerufen am 20.9.2023] Wildhagen, Christian (22.01.2014): Der Gralsraub von Bayreuth. Online im Internet unter: https:// www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/geschichte-des-parsifal-der-gralsraub-vonbayreuth-12762788.html [zuletzt abgerufen am 20.9.2023] Zupancic, Julia (26.10.2011): Musica viva. Online im Internet unter: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Musica_viva# [zuletzt abgerufen am 4.10.2023]

Wie alles anfing

Wagners zuzurufen: „Zu neuen Thaten“!

Köwer, Karl: Die Geschichte des Prinzregententheaters von Richard Wagner bis zur „kleinen Lösung“. In: Klaus Jürgen Seidel (Hg): Das Prinzregententheater in München. Nürnberg 1984, S. 11–37. Laiblin, Martin: Theater. Bau. Effekte! Der Architekt Max Littmann und München zur Prinzregentenzeit. Hrsg. v. Deutsches Theatermuseum München. Leipzig 2016. Oelwein, Cornelia: Max Littmann (1862–1931). Architekt, Baukünstler, Unternehmer. Petersberg 2013. Schaul, Bernd Peter: Das Prinzregententheater in München und die Reform des Theaterbaus um 1900 – Max Littmann als Theaterarchitekt. Arbeitsheft 37 des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege. München 1987. Seidel, Klaus Jürgen (Hrsg.): Das Prinzregententheater in München. Nürnberg 1984. Seidel, Klaus Jürgen: Das neue Prinzregententheater. Festschrift zur Wiedereröffnung des Prinzregententheaters in München am 9. Januar 1988. München 1988.


82

04

Walking Memories

Hof der Bayerischen Theaterakademie August Everding


83

Walking Memories ist der Titel eines Projekts des Masterstudien­­gangs Dramaturgie aus dem Jahr 2023. Als Audiowalk wurde ­anlässlich des dreißig­jähri­gen Bestehens der Theaterakademie die Institution in ihren Räumlichkeiten aus der Sicht der Menschen porträtiert, die Teil ­dieser Geschichte waren oder es bis heute noch sind. Der Audiowalk führte durch ver­steckte ­Gänge, Gewölbe und Geschosse des Gebäudes, in dem seit drei Jahrzehnten Studierende für die unterschiedlichsten Bühnenberufe ausgebildet werden.

Lehr- und Lernformen (

Verschwun-

denes), der Werdegang der Alumni ­ (

Rückbesinnung), die i­nternationalen

Studierenden (

Internationales) und

Gedanken über die Zukunft (

Was

wird gewesen sein?). Auf der folgenden Seite können Sie die einzelnen Stationen anhand von Nummern sowie den gesamten Rundgang auf einer Karte nachvollziehen. Als Ausbildungsinstitution für künstlerische Berufe lebt die Akademie auch durch ihre besonderen Orte und Klänge. Diese prägen sie atmosphärisch, denkt man zum Beispiel an den Bühnenraum oder das Einsprechen und Einsingen der Studierenden in den Studiengängen Schauspiel und Musiktheater/Opernge-

Gespräche mit sieben verschiedenen

sang. Sie erfahren deshalb auch, was

Schwerpunkten geführt, eine einzig-

die Lieblingsorte unserer Interviewpart-

artige Erzählung von Theater- und Aus-

ner:innen an der Theaterakademie sind

bildungsgeschichte: Fragmentarisch

und welche Musik sie an die Akademie

und schlaglichtartig wird die Vielseitig-

erinnert. Die Orte finden Sie auf den Bil-

keit einer Institution in stetigem ­Wandel

dern dieser Seiten wieder, in denen die

deutlich. Es ist kaum möglich, eine sol-

Erinnerungen als flüchtige Elemente

che Institution in ihrer Gesamtheit zu

selbst zum Thema werden.

erfassen. Vielmehr handelt es sich um einen Ort, an dem verschiedene Ein-

Die Lieblingsmusik – ebenso wie eine

flüsse parallel wirken und verschiedene

vollständige Aufzeichnung des Audio-

Entwicklungen gleichzeitig stattfinden.

walks Walking Memories – finden Sie in dem QR-Code zum Anhören.

Im Anschluss folgen Ausschnitte aus den sieben thematischen Schwerpunkten: das Aufnahmeverfahren der Bewerber:innen (

Ja, ich will), das

Archivieren von Gegenständen und ­Erinnerungen (

Vom Sammeln und

Bewahren), die besonderen Räumlichkeiten der Akademie (

N

Innen-

pers­pektiven), die A ­ uflösung zweier

Interviewpartner:innen Katrin Bobek // Maria Chagina // Floyd Clemens // Camilla Saba Davies // Maria Dobler // Gudrun Donner // Mascha Erbelding // Stefan Fichert // Cornel Franz // Tanju Girişken // Pauline Großmann // Ute Gröbel // Uli Hartmann // Gerrit Jurda // Elias Khani-Alemouti // Max Koltai // Balázs Kovalik // Fabiola Kuonen // Danae Kontora // Jochen Krug // Anh Kiet Le // Antonia Leitgeb // Tim Nicolai Morsbach // Ilona Müllhofer // Alexander Nerlich // Christiane Plank-Baldauf // Rebecca Raitz // Andromahi Raptis // Inge Schielein // Alexander Schmidt // Benjamin Schmidt // C. Bernd Sucher // Levin Stein // Isaac Tolley // Joachim Tschiedel // Stefan Wintersberger // Klaus Zehelein

Walking Memories

Für die einzelnen Audioinhalte wurden


84

[03]

N

Requisitenkiosk

N

Langer Gang

über Langen Gang

über Holztreppenhaus

Kostümfundus

N

Kellergang

durch Eingang Opernstudio

Gang vor Sprühflutzentrale

N N

Kellergang

Opernstudio

Hof über Akademieeingang

N

[02]

über Treppenhaus

N


85

N

Kassenbereich

Foyer

Büste von August Everding

N

N

durch grüne Tür

durch Glastür

Gartensaal

[04]

Hof

[01]

Weg zu 1.13 1.37

an Bibliothek vorbei

N

2.13

N durch braune Tür

zurück durch 1.13

N

Präsidentinnenbüro

Walking Memories

N

Unterbühne


86

Ja, ich will

Die angehenden Theaterschaffenden lernen, in den Strukturen des Theaterbetriebs zu agieren und mit den verschiedenen Sparten und Abteilun-

von Maria Theresia Fata

gen zu kooperieren. Beziehungen zu anderen Studierenden und Dozierenden etablieren sich, fachspezifische Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten werden gelehrt und gelernt.

Die Augen leuchten, die Emotionen

Mit dem Studienantritt beginnt für die

sind stark. Die Aufnahme an der Thea-

Studierenden der Bayerischen Thea-

terakademie August Everding ist und

terakademie August Everding also

bleibt für die Studierenden ein gefühls-

bereits der praktische Weg in Rich-

intensives Erlebnis.

tung Berufsleben.

Das „Ja“ zur größten Ausbildungsstätte für Bühnenberufe in Deutsch-

Die folgenden drei Zitate stammen von

land ist ein „Ja“ zu einer sehr exklusiven

zwei ehemaligen und einer angehen-

Mitgliedschaft in der Gemeinschaft der

den Dramaturgiestudentin. Sie erzäh-

Akademie. Ein „Ja“ zu einer intensiven

len vom Aufnahmeverfahren und vom

Studienzeit, die den Willen zu beson-

Ankommen an der Theaterakademie.

ders hohem Engagement verlangt.

Die Zitate auf der Treppe bilden als

Rund vierzig angehende Studierende

Pendant dazu einen Stimmungschor

tun dies jährlich im Rahmen der ange-

erster Eindrücke von Studierenden

botenen Studiengänge. Voraussetzung

mehrerer Studiengänge.

ist eine bestandene Eignungsprüfung. Ein Ereignis, das den Übergang zum Studium markiert.

Viele Studierende bei der DramaturgieAufnahmeprüfung kommen aus anderen Ausbildungsinstituten und haben Expertise in einem ganz anders gelagterten Bereich. Wir [aus der Dramaturgie-Prüfungskommission] gehen darauf ein und sind neugierig, was dieser Mensch in die Akademie einbringen könnte. Was man da schon sieht, ist, dass jede:r Studierende mit einem anderen Temperament in die Aufnahmeprüfung geht. Es ist eine seltsame Situation, in der wir alle irgendwo Theater spielen müssen. Eine Prüfung ist auch irgendwie eine Theatersituation.

Hier sind so fantastische Künstler:innen am Werk. Sie bilden die Zukunft der Theaterwelt. Also macht einem das schon ein bisschen Angst, weil man sich hinterfragt, immer wieder Zweifel hat und fragt: Gehöre ich da wirklich dazu? Kann ich auch Teil der Zukunft der Theaterwelt sein?

Das Gefühl, wenn dann jemand sagt: „Ja, du bist jetzt Teil davon“, – das ist schon sehr bestärkend. Wirklich ein Empowerment!

Ich kann mich an diese projektbegleitenden Seminare zu Beginn des Studiums erinnern. Man saß rauchend unterm Dach der Bürgermeistervilla zusammen. Alles war vernebelt und man jammerte sich gegenseitig vor, wie schlimm doch die Regiestudierenden sind. Das große Problem war: Wie kommt man hier rein in diese Akademie-Community, wie kommt man hier an? Vor allem: Wie kriegt man die Kontakte zu den Regiestudierenden für die potenzielle zukünftige Zusammenarbeit? Es gab Kennenlerntreffen, die „Fisch sucht Fahrrad“ hießen. Es fühlte sich an wie schlechtes Dating.


„Ehrfurcht.“ „Ich hatte eeindruckt b r a w h c I „ das Gefühl, dass , ss a r k s ’ d n a f d n u zugehörig und an in so einem echten m Part von etwas n e r ie d tu s r te a e h T n e ß o r g zu sein, was “ . te n n o k ich sehr schön „Ein Gefühl fand.“ „Wow,und wo muss ich hin?“

Was war dein erstes Gefühl, als du an die Theaterakademie Treppe zum Büro der Präsidenten und der Präsidentin

gekommen bist?

von Raum und Schönheit.“


88

Innenperspektiven von Henri Höbel

Gartensaal

Die Kassendame

„Nehmen Sie das, was die Frau Dobler Ihnen gibt, die weiß besser Bescheid als Sie.“ Maria Dobler war bis 2015 als Kassen­dame des PrinzregententheaKassenbereich im Prinzregententheater

ters tätig. Sie saß nicht nur am Abend, sondern auch tagsüber an der Kasse und ist bis heute bei Zuschauer:innen und Mitarbeiter:innen der Theaterakademie bekannt für ihre Theaterkenntnis und ihre starken Meinungen. „Ich habe mir mein Reich geschaffen dadurch, dass ich mich mit den Leuten einfach identifiziert habe. Ich habe mitgefiebert, wenn es eine Premiere war. Auch mit den Künstlern. Ich wäre eingetreten für meine Theaterakademie.“


89 Walking Memories

Der Theaterkritiker „Der wichtigste Ort der Akademie ist der Gartensaal. Der Gartensaal ist der Ort, an dem ich fast Der Cheffahrer

zwanzig Jahre lang aufgetreten bin, acht Mal im

„Everding hat immer ein Ohr gehabt für die Studen-

Jahr. Das ist der Ort, an dem ich verabschiedet

ten. Die durften auch mitfahren. Jeder hat seine

wurde. Es ist ein sehr emotionsbeladener Raum

Probleme vorgetragen. Und er hat sich das in Ruhe

für mich.“

angehört.“

Der Theaterkritiker C. Bernd Sucher leitete

Gerd-Ulrich Hartmann war Cheffahrer von

den Studiengang Kulturkritik von 1997 bis 2021. Er

August Everding, für den er dreihundert Stunden

war lange Zeit Theaterredakteur bei der Süddeut-

im Monat gearbeitet hat. Er war dabei, als August

schen Zeitung. Außerdem veranstaltet er regel-

Everding die Theaterakademie aufgebaut hat, hat

mäßig seine Reihe Suchers Leidenschaften im

ihn auf Proben begleitet und hat außerdem in eini-

Gartensaal des Prinzregententheaters.

gen Produktionen von Studierenden mitgespielt. „Ich sehe das aus der Perspektive von Everding.

„Wir [C. Bernd Sucher und August Everding] waren uns einig, dass das Wichtigste des Kritikers

Er muss viel unterwegs sein, muss an den Ort und

ist, Dinge zu beschreiben, in welchem Medium

wieder am nächsten Ort sein und immer beweglich

auch immer, um dann dem Rezipienten, Hörer,

sein. An manchen Orten haben Sie gesagt: ‚Ja, Kru-

Leser, was auch immer, die Freiheit zu geben, sel-

zifix, ihr wart doch gerade erst hier, jetzt seid ihr

ber zu entscheiden, ob sie es gut finden oder

schon wieder da.‘“

schlecht.“


90

Ich liebe das große Haus sehr! Bei Bühnenproben genieße ich jede Minute: wenn alle in höchster Konzentration sind, Stille im Saal ist … Das sind magische Momente! Stellvertretender Studiengangsleiter Musiktheater/ Operngesang

Unterbühne des Prinzregententheaters

Für mich ist es die Bibliothek, von der man einen superschönen Blick auf den Hof hat und einfach in Ruhe arbeiten kann. Studentin des Studien-

gangs Dramaturgie Natürlich der Hof. Es gab damals diese Tische und Stühle noch nicht. Nur den Brunnen und die Bäume. Studierende saßen dort auf dem Boden oder auf den Bänken. Besonders mochte ich die Treppe beim Gartensaal im Hof. Wir haben zwischen zwei Unterrichten da gesessen oder gelegen und die Sonne genossen. Mein Lieblingsort ist der Garten-

Was ist dein Lieblingsort?

Studiengangsleiter Musiktheater/Operngesang, Absolvent des Studiengangs Regie

saal, besonders wenn ich allein im Winter dort bin. Ich mag es, dort zu sitzen und zu arbeiten. Masterstudentin Regie

Die Hinterbühne mag ich sehr gerne. Man spürt dort, dass man im Theater ist, man sieht die Scheinwerfer und die Kulissen, hört ganz viele Geräusche. Es ist ein arbeitsamer, aufregender Ort. Dozentin des Studiengangs Musiktheater

Hinterbühne des Prinzregententheaters


91

Das war meine Kasse. Und früher habt ihr ganz tolle Vorstellungen in der Reaktorhalle gehabt. Auch dort habe ich die Abendkasse gemacht. Das ist ein toller Saal – die Zuschauer:innen sitzen so hoch wie in einem Universitäts-Auditorium.

Bühne, das Theater wurde für die Oper gebaut. Es ist sehr angenehm, dort zu singen, und fühlt sich an, als ob ich eine riesige Stimme hätte. Ich habe das Gefühl, dass die Techniker:innen und Musiker:innen im Orchester mich immer unterstützen.

Ehemalige Kassendame des Prinzregententheaters

Masterstudentin Musik-

Ehemaliger Technischer Leiter Akademietheater

theater/Operngesang

Walking Memories

Eindeutig der Olymp [Büro der Technischen Leitung im Obergeschoss des Akademiekomplexes]. Die letzten zwanzig Jahre war er fast mein Zuhause. Ich hab mindestens einmal die Woche im Büro übernachtet, weil ich nicht in München wohne und es sich dann gelohnt hat, nachts länger zu arbeiten. Da ist ein Esstisch drin, die Küche, ein Fernseher, MusikanIch liebe die große Bühlage, Rotwein, alles, was man braucht, ne vom Prinzregentenum vernünftige Planungen zu machen. theater. Es ist eine breite


92

Vom Sammeln und Bewahren von Maria Leitgab

Erfahrungen, Emotionen und Erkenntnisse werden Teil des kollektiven Gedächtnisses. Von den Begegnungen

Die Magie des Theaters, die sich auf

hinter den Kulissen und im Lehrbetrieb

der Bühne entfaltet, wird abseits der

bis zu den Triumphen auf der Bühne

Scheinwerfer fein säuberlich konser-

bleiben diese Momente in den Herzen

viert. Es ist die Kunst des Sammelns

und Köpfen derer, die sie erlebt haben.

und Bewahrens, die eng mit dem Theater verbunden ist. Auch in den Rega-

Die Theaterakademie als Institution

len und Archiven der Theaterakademie

übernimmt die Verantwortung, diese

finden sich Schätze vergangener Auf-

Erinnerungen zu bewahren und weiter-

führungen: Requisiten, Kostüme oder

zugeben. Das Sammeln und Bewahren

Bühnenbilder. Diese Gegenstände sind

ist ein Zeichen der Wertschätzung für

wertvolle Erinnerungen an vergangene

die Menschen, die die Theaterakade-

Aufführungen und dienen als Quelle der

mie gestalten, und für die Geschichten,

Inspiration für zukünftige Produktionen.

die in den letzten dreißig Jahren erzählt wurden und weiterhin erzählt werden.

Doch das Sammeln an der Theateraka-

Durch diese Praxis wird die Theateraka-

demie beschränkt sich nicht nur auf

demie einmal mehr zu einem histori-

materielle Objekte. Es geht auch um

schen Ort, zu einem Ort der Kreativität

das Bewahren von Geschichten und

und der menschlichen Erfahrung.

Erinnerungen. Studierende, Lehrende, Mitarbeitende und andere Künstler:innen hinterlassen Spuren in den Korridoren der Theaterakademie. Ihre

Fundusarbeit mochte ich wahnsinnig gern. Ich kannte jedes Teil, konnte jedes dem Stück zuordnen. Ich hatte fast zu jedem Teil irgendeine Verbindung. Ich wusste, wo es herkam – hatte das die Oper dagelassen? Aus welchem Stück ist es übriggeblieben? Und der Fundus hat sich irre schnell gefüllt, weil so viele Projekte stattfanden und jede Anschaffung oder jede Anfertigung im Haus bleibt. Gründerin Kostümabteilung und Kostümfundus


93

Es hieß, dass die Graffiti nach Ende der Produktion Minus Odysseus entfernt werden sollen, das sie übermalt werden. Das ist nicht passiert und ich bin froh ­darüber, weil sie nun ein Zeitzeugnis in unserem Haus ­geworden sind. So wie die Eisenkugeln vom Donnerkanal noch unten auf der Unterbühne III liegen seit dem Jahre 1901/02, haben wir jetzt aus dem Jahr 2010 ein paar Graffitiwerke und andere Zeichnungen an ausgewählten Wänden in den Gängen unserer heiligen Hallen. Leitender Disponent

Walking Memories

Hai-Graffiti im Kellergang aus der Produktion Minus Odysseus

Als Everding mich eingestellt hat, habe ich angefangen, alles zu sammeln. Ich hab jedes Programmheft gesammelt, es war für mich eine Lebensaufgabe, diese Akademie mitzugestalten, und das wollte ich irgendwie bewahren. Die Presseabteilung hat sogar manchmal auf meine private Sammlung zurückgegriffen. Heute ist meine Sammlung in Poing, im Archiv. Da sind wirklich alle Programmhefte der letzten dreißig Jahre. Ehemaliger Technischer Leiter Akademietheater


94

Internationale Stimmen von Takuya Maehara

An der Bayerischen Theaterakademie August Everding studieren Menschen wie ich, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Wir kommen aus verschiedenen Teilen der Welt und studieren wie alle anderen. Wir haben während des Studiums viele zusätzliche Schwierigkeiten zu bewältigen, nicht nur sprachliche. In diesem Kapitel hören wir die Stimmen von internationalen Studierenden und Absolventinnen/Absolventen.

Hof der Bayerischen Theaterakademie August Everding


95

Ich bin in Izmir in der Türkei geboren, habe in Istanbul studiert und dann als Schauspieler gearbeitet. Danach bin ich nach Berlin umgezogen. Zuerst war ich als Schauspieler am Maxim-Gorki-Theater engagiert. Aber nach ein paar Jahren dachte ich, ich

Ich bin in Budapest geboren und habe im Juni 1993 die Eignungsprüfung bestanden. Es gab damals ein Gesetz, dass ausländische Stu-

kann nicht mehr auf Deutsch spielen. Wenn ich auf

dierende nur in den Semesterferien arbeiten durf-

Deutsch spiele, merke ich, dass ich immer so eine

ten. Ich war arm wie eine Kirchenmaus. Ich konnte

Distanz zu dem habe, was ich spiele. Deshalb bin ich

nicht einmal U-Bahn fahren, weil es zu teuer war. Ich

auf Regie umgestiegen.

bin jeden Tag mit dem Fahrrad vom Studentenwohn-

Das Sprechen ist für mich kein großes Problem.

heim in Nymphenburg zur Theaterakademie gefah-

Auch wenn man falsche Grammatik oder Artikel

ren, wenn es geschneit hat, wenn es minus zwanzig

benutzt, versteht man schon, was du sagen möch-

Grad war. Ich konnte nicht in der Kantine essen, weil

test. Aber bei der Recherche war die Sprache für

es mir zu teuer war. Wenn ich da Tee getrunken habe,

mich das große Problem, weil man immer schnell

habe ich acht Stück Zucker reingeworfen, damit ich

verstehen und entscheiden muss, ob man den Text

ein bisschen Energie habe.

benutzt oder nicht. Das macht mir Angst, weil die Recherche immer zu lange dauert. Ich kenne viele Leute, die sich nicht getraut

Ich habe vorher schon ein bisschen Deutsch gelernt, aber das ist was anderes als Regie zu lernen, wo es um Analyse oder genaue Ausdrücke geht. Ich habe also zusätzlich jede Nacht noch Deutsch

wegen der Sprachbarriere oder wegen der Finanzie-

gelernt und mein Tag war ziemlich hart. Aber ich habe

rung. In anderen Bereichen gibt es schon viele aus-

es geschafft, weil ich total glücklich war, dass ich das

ländische Studierende, aber Kunst ist schwierig, weil

machen konnte. Es war ein Geschenk für mich.

man nie weiß, ob man gut verdienen kann. Studiengangsleiter Musiktheater/Operngesang, Masterstudent Regie

Absolvent des Studiengangs Regie Ich bin in Perm im Norden Russlands geboren. Ich bin wegen des Krieges nach München gekommen, weil ich hier eine Freundin hatte, bei der ich zwei Wochen wohnen konnte. Dann bin ich einfach zu Fuß zur Akademie gegangen, um zu fragen, ob ich mich bewerben kann. Denn damals war wirklich nicht klar, ob man als russische Person überhaupt hier studieren darf. Bei Richard III., den ich 2023 inszeniert habe, hatte ich das Gefühl, dass wir alle Co-Autoren sind. Die Schauspieler:innen sind immer im Suchprozess. Aber ein Schauspieler hat mich sehr oft mit vielen Metaphern und manchmal sehr leise angesprochen, und ich hatte Schwierigkeiten, es zu verstehen. Ich habe manchmal so getan, als ob ich ihn verstanden hätte. Ansonsten wäre es peinlich, wenn ich immer wieder nachfragen würde. Das führt natürlich zu Missverständnissen. Es ist immer schmerzhaft, dass ich Deutsch nicht zu hundert Prozent verstehen kann. Ich habe keinen festen Ort, an den ich unbedingt zurückkehren möchte. Ich vermisse natürlich die Leute, ich vermisse auch Perm. Aber seit einem Jahr habe ich dieses Gefühl der Sehnsucht irgendwie in mir verschlossen. Masterstudentin Regie

Walking Memories

haben, sich bei der Theaterakademie zu bewerben,


96

Verschwundenes von Elena Saalfrank

Die Bayerische Theaterakademie August Everding hat sich im Laufe der Jahre verändert, neue Studienfächer sind hinzugekommen und verschiedene Inhalte wieder verschwunden. Auf den folgenden zwei Seiten werden Stimmen zu den Studienfächern Lichtdesign und Figurentheater abgedruckt, die ein Bild dieser Inhalte zeichnen sollen.

In der Ausbildung zum Lichtdesigner wurde zusätzliches Werkzeug zur Verhandlung und zur Erfassung des Stückes geliefert. Das heißt, man hatte Dramaturgieund musikalische Unterrichte, ging in die Optik-Schule, setzte sich mit Farbenlehre auseinander … also alles, was man als zusätzliches Rüstzeug braucht, um beispielsweise dem Regisseur erklären zu können, was in Sachen Beleuchtung geht und was nicht. Ehemaliger Student Lichtgestaltung

Wir haben wahnsinnig viel probiert und uns immer wieder auf neue Sachen eingelassen. Da hat man etwa gemerkt, dass es vielleicht doch keine gute Idee ist, einen kompletten Abend ohne eine einzige Farbfolie zu beleuchten und allen zu sagen, das wird eine ganz pure und direkte Erfahrung. In Wirklichkeit war es einfach langweilig. Ehemaliger Student Lichtgestaltung Seminarraum 1.37


97

Für mich ermöglichen Theaterpuppen und animierte Puppen eine besondere Katharsis, weil die Puppe leichteren Zugang zu Emotionen schafft. Vielleicht auch, weil sie so mit der Kinderwelt verbunden ist. Das beobachte ich bei vielen Zuschauern, dass es eine größere Zugänglichkeit, mehr Niederschwelligkeit schafft. Dramaturgie-Absolventin/Leiterin eines Figurentheater-Festivals

Walking Memories

Der Studiengang ist nicht zu Ende geführt worden. Ich glaube, unser Plan war gut. Wir haben uns positioniert, zwischen den beiden deutschen Hochschul-Studiengängen Figurentheater in Berlin, an der Ernst-Busch-Schule, und der Hochschule für Musik und Theater in Stuttgart, die sehr experimentell war. Die Busch-Schule war sehr solide, aber damals sehr bezogen auf Theater, Geschichte, Erzählen. Wir wollten uns in der Mitte bewegen. Dozent des ehemaligen Figurentheater-Studiengangs


98

Rückbesinnung von Zoë Köppen

Was folgt nach dem Studium an der Theaterakademie? Die Biografien könnten vielfältiger nicht sein. Absolventinnen und Absolventen aller Fachrichtungen sind fester Bestandteil der Theaterlandschaft im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus. Dieses Kapitel gibt einen Einblick in die Rückbesinnung auf die Studienzeit: Wie ist der Start in das Berufsleben als Künstler:in? Woran erinnern sich Absolventinnen und Absolventen nach all den Jahren? Welche Geschichten werden heute noch erzählt – mit Nostalgie oder kritischem Blick?

Wir alle bekommen oft Absagen. Aber das hat nichts mit uns zu tun. Es sagt auch nicht, wie gut wir sind. Es gibt so viele Sänger:innen, da passt oft jemand anderes besser in dieses Engagement. Der Punkt ist: Wir müssen einfach weitermachen. Absolventin des Studiengangs Musiktheater/ Operngesang

Opernstudio


Notizblock genommen und vor meinen

men und sollte – was letztendlich sehr

Augen in den Papierkorb gepfeffert hat.

klug war – vor dem Studium erst mal

Ich habe vor lauter Zigarettenqualm eh

„Theaterluft schnuppern“. Ich habe

kaum was gesehen … Ich musste ler-

dann in den verschiedenen technischen

nen, Fragen zu stellen, nicht zu inter-

Abteilungen der Münchner Staats-

pretieren, einfach nur gegensätzliche

theater hospitiert. Dort habe ich ver-

Deutungsmöglichkeiten zu suchen, in

standen, dass Theater eine große

jedem einzelnen Gedankenstrich, jedem

Manufaktur ist, in der verschiedene

Satz, jedem Schriftbild. Wir haben

Menschen zusammenwirken, und keine

gelernt, die Dinge anzustaunen: Warum

Spielwiese für künstlerische Superegos.

ist das Buch grün? Warum heißt es

Der Anfang unseres Studiums hieß

99

Ich wurde unter Vorbehalt genom-

Geschichten aus dem Wienerwald und

Lesen lernen und fand im Regiebüro

nicht Geschichte? Ist es eine Anspie-

statt. Dort ging es um das Gegenteil

lung auf die musikalische Form, gibt es

davon, zu glänzen und sich mit einem

nicht einen gleichnamigen Walzer …?

tollen Konzept zu profilieren. Es war nur

Nur mit der Betrachtung des Buches als

erlaubt, Fragen zu stellen. Das habe

Objekt – ohne es auch nur aufzuschla-

ich aber so lange nicht verstanden, bis

gen – konnten wir schon eine Dreivier-

mein Professor Cornel Franz meinen

telstunde verbringen. Für mich war das wirklich stressig, denn ich kam frisch aus dem Deutschunterricht und dachte, ich muss alles richtig machen. Hier habe Falsch, sondern Neugierde, und die will geübt sein. Das finde ich im Nachhinein handwerklich absolut wichtig! Absolvent des Studiengangs Regie

An der Theaterakademie wird an dir als vollständige Künstlerin gearbeitet. Absolventin des Studiengangs Musiktheater/Operngesang

Walking Memories

ich gelernt: Es gibt kein Richtig oder


1. 2.

Play Ouvertüre aus On the Town – Leonard Bernstein

Bona nox, bist a rechta Ox - Wolfgang Amadeus Mozart

3.

K�nigin der Nacht

4.

Tauben vergiften

5.

Wochenend und Sonnenschein

6.

Somewhere Over the Rainbow

7.

Pur ti miro

aus Die Zauberflöte - Wolfgang Amadeus Mozart

- Georg Kreisler

- Comedian Harmonists

aus Der Zauberer von Oz - Andrew Lloyd Webber

8.

aus L’Incorazione di poppea - Claudio Monteverdi

Nessun Dorma

aus Turandot - Giacomo Puccini 9. Liebestod aus Tristan und Isolde gesungen von Hildegard Behrens - Richard Wagner 10. Vienna - Billy Joel

list

Hier kann die Playlist auf Spotify angehört werden!

N


101

2.

Kennst du den Mozart-Kanon Bona Nox? Das ist eines der ersten Stücke, die wir im Unterricht der musikalischen Zusammenarbeit erarbeitet haben. Der ist ziemlich schwierig zu lernen, aber so gut, dass ich ihn noch immer mit der Akademie verbinde! Absolventin Musiktheater/ Operngesang

4.

6.

Studiengangsleiter Regie

Welche Musik erinnert dich an die Theaterakademie?

Referentin der Präsidenten und der Präsidentin

1.

Natürlich On the Town, also komplett. Das haben wir immer mitgesungen, das waren die Ohrwürmer. Gründerin Kostümabteilung

Aus dieser Produktion, die ich mit Philipp Moschitz gemacht habe, über die Dreißigerjahre: Wochenend und Sonnenschein. Das war der Durchhaltesong der Nazis und das wurde ganz, ganz traurig gesungen. Ehemaliger Leiter des Studiengangs Kulturkritik

5.

Walking Memories

Kennen Sie dieses Over the Rainbow? Ja, das war immer die Fanfare des Trotzes, wenn es irgendwann wieder nicht ging.

Georg Kreisler. Ich war mal mit der Musicalklasse in einem Gefängnis mit einem Kreisler-Abend, der musikalisch wirklich sehr toll war. Wir haben diesen Abend dann noch in anderen Sozialeinrichtungen gezeigt. Das war sehr aufregend und für mich einfach unvergesslich.


102

Was wird gewesen sein? Was geklungen haben? von Esther Beisecker

Der lange Gang, auch Hinterbühnengang genannt, ist ein Arbeitsort, an dem große Bühnenteile angeliefert oder abtransportiert werden. Es ist auch ein Begegnungsort: ein Raum, an den viele Gänge und Türen anschließen und in dem sich die Menschen der Akademie über den Weg laufen. In diesem Gang verdichtet sich die Atmosphäre eines Transitraums. Man hat das Gefühl, auf einer Straße zu sein – aber wohin führt sie?

Das Wichtigste ist das gemeinsame Kennenlernen aus den unterschiedlichen Richtungen des Theaters, in der Zusammenarbeit. Ehemaliger Präsident Ich würde dafür plädieren, dass man bei einem Endergebnis auch auf den Arbeitsprozess schaut, weil ich der Meinung bin, dass man sieht und merkt, wie wohl sich Spielende auf einer Bühne mit dem Für die Zukunft wünsche ich mir zunächst mal, dass die Finanzierung so bleibt und auch mit der Inflation mithal-

Arbeitsprozess fühlen. Studentin des Studiengangs Regie

ten kann. Dass wir als Akademie bestehen und immer auch genug Stipendien auflegen können, um vielen Menschen ein Studium in München zu ermöglichen. Dozentin des Studiengangs Dramaturgie

Es ist immer und zu jeder Zeit an der Theaterakademie nötig gewesen, darum zu kämpfen, dass die Studierenden Freiräume für gemeinsames und auch für eigeninitiatives Arbeiten haben. Referentin der Präsidentin


103

Ich würde mir für die Zukunft wünschen, mehr Zeit für Kreativität, eigene Projekte und Verarbeitungspausen zu haben. Zeit, zu reflektieren, was in Probensituationen passiert, um überhaupt an einen Punkt zu kommen, etwas verändern zu können. Studentin des Studiengangs Schauspiel

Ich glaube, dass das akademische Modell, erfunden hat, nach wie vor relevant ist. Also ein Lehr- und Lerntheater an der Theaterakademie zu installieren, in dem man sich in der Arbeit mit Profis in einem geschützten Rahmen ausprobieren kann. Dozentin des Studiengangs Dramaturgie

Die Akademie ist ein Ort, an dem viele Menschen belastet werden, und es gibt immer noch diese Mentalität: Im besten Falle arbeitest du so viel wie möglich. Diesen Druck spürt man sehr. Es sollte medizinische Hilfe in Form von Therapie geben, Anlaufstellen für Burn-out und so weiter. Manche Menschen kommen an ihre Grenzen, und es ist noch kein Bewusstsein dafür aufgebaut. Das würde ich mir für alle Langer Gang mit Blick von der Hinterbühne in Richtung Tor

Institutionen wünschen, die mit Theater zu tun haben. Absolvent des Studiengangs Schauspiel

Walking Memories

wie es Everding mal


104 Büro der Präsidenten und der Präsidentin


105


106

05

Lehren und Lernen im Theater


107

Alles nur Theater? Interview Studiengang Schauspiel / Musical / Musiktheater

Mit der Bologna-Reform haben in den Universitäten, Hochschulen und Akademien Europas neue Studienformen Einzug gehalten. Zwar öffneten sich die Systeme damit für den internationalen ­starrer. Was macht das mit den Studiengängen Schauspiel, Musical und Musiktheater? Tim Kramer hat nachgefragt: bei Prof. Marianne Larsen, Prof. Jochen Schölch und Prof. Balázs Kovalik.

Tim Kramer (TK): Dreißig Jahre Theaterakademie August Everding – was fällt Ihnen unmittelbar ein? Marianne Larsen (ML): Es ist auch im Rückblick eine wirklich lange Zeit. Ich bin 25 Jahre dabei und kann mich an the very beginning kaum erinnern. Jochen Schölch (JS): Ich habe 1998 angefangen. Grob würde ich sagen: vom Chaos in die Form. Balázs Kovalik (BK): Ich war seit 1993 an der Theater akademie Student, gehörte also zum ersten Jahrgang Regie. Damals existierten nur zwei Regieklassen und eine Schauspielklasse – relativ überschaubar also. Trotzdem haben weder die Schauspiel- noch wir Regiestudierenden verstanden, was die Theaterakademie ist. Wir hatten uns an der Hochschule für Musik beworben. Wir haben erst peu à peu verstanden, was Everding gemeint und gewollt hat. Prof. Marianne Larsen, Studiengangsleiterin Musical; Prof. Jochen Schölch,

TK Hat sich später herauskristallisiert, was in den

Studiengangsleiter Schauspiel; Prof.

ersten Jahren bis zur Bologna-Reform, also 2007,

Balázs Kovalik, ­S tudiengangsleiter

der zentrale Lehrgedanke in den jeweiligen Stu-

Musiktheater/Operngesang, im Gespräch mit Tim Kramer, Künstlerischer ­Direktor

diengängen war? BK Von Anfang an war und ist es dieses Cam-

und Koordinator des Lehrbetriebs an

pusgefühl. Die Treppe vor dem Gartensaal ist

der Bayerischen Theaterakademie

sozusagen in meinen Po eingebrannt. In jeder

August Everding.

Mittagspause saßen hier viele Schauspiel- und

Lehren und Lernen im Theater

Austausch, zugleich wurden Zeiträume und Inhalte enger und


108

Regiestudierende. Es war dieses Gefühl, dass die Studierenden mehr miteinander sprechen, mehr voneinander erfahren, mehr miteinander machen, mehr mitdenken. Das mochte ich. Bis heute freue ich mich jeden Tag, wenn ich die ­Studierenden, die Dozierenden, die Technik hier im Hof zusammensitzen sehe. Diese Augenhöhe im Theaterbereich gibt es nirgendwo sonst. Das ist seit dreißig Jahren so. Vor Bologna war vieles einfacher als danach, weil die Studierenden damals viel flexibler handeln und mit dem Studienplan umgehen konnten. JS Vor allem gab es viele Workshops. Die ganze Struktur war projekthafter gedacht. Es war ein Miteinander der Abteilungen. Und dann kamen Dozierende von außen – Persönlichkeiten wie Yoshi Oida waren hier. ML Innerhalb der Diplomstruktur war es möglich, Studierende auch mal für ein halbes Jahr gehenzulassen. TK Kann man sagen, dass die Idee, innerhalb einer simulierten Praxis lernen zu können, eigentlich der erste Gedanke war, der dann, wie sich herausstellte, nicht ganz so umsetzbar war wie Everding sich das vorgestellt hatte? JS Als Everding die Schauspielabteilung hier gründete, hatte er aufgrund seiner Erfahrung mit jungen Absolventinnen und Absolventen von Schauspielschulen ein Lehr- und Lerntheater vor Augen. Er bemängelte immer, sie hätten zu wenig

Bis heute freue ich mich jeden Tag, wenn ich die Studierenden, die Dozierenden, die Technik hier im Hof zusammensitzen sehe. Diese Augenhöhe im Theaterbereich gibt es nirgendwo sonst.

Theaterpraxis. Am Anfang hat er leider die handwerkliche Ausbildung ein wenig außer Acht gelassen. Weil zum Schauspielen aber das Handwerk gehört, führte das doch zur Umstellung der Abteilung: Es gab regelmäßigen Unterricht, Einzelstunden, also eine Ausbildung von der Basis bis zur Bühnenreife. Würde man heute den Studierenden die Basics, also das Handwerkszeug, beibringen und ihnen derart gerüstet in diesen Räumlichkeiten noch zwei Jahre die Möglichkeit geben, wild miteinander Projekte zu verwirklichen, dann wäre Everdings Modell zu Ende gedacht. ML Everding hat versucht, das Theatermodell für die universitäre Ausbildung zu adaptieren. Was größtenteils gelang. Seine Methode hat alle fünf Musical-Schulen hier im deutschsprachigen Raum geprägt. Dabei hatte die Theaterakademie ein Alleinstellungsmerkmal: Man konnte direkt auf der Bühne lernen. JS 1993 war der große Systemkonflikt nach der ­Öffnung der Mauer. Ost und West prallten direkt

Balász Kovalik


Kultur, ein neues Land, neue Strukturen und

sigen Theater sehr mit Schauspielerinnen und

neue Gedanken kennenlernen. Es ist s ­ chwierig,

Schauspielern aus dem Osten Deutschlands

eine derart heterogene Gruppe zusammenzu-

beschäftigt, die handwerklich einfach besser

schweißen und auf ein gemeinsames Level zu

ausgebildet waren. Insofern war es erstaunlich,

bringen, weil in einigen Länder eine wissenschaft-

dass die Idee von Handwerk hier am Beginn keine

liche oder analytische Herangehensweise an das

Priorität hatte.

Studium nicht existiert. Der Gesang mag tech-

BK Everding kannte das noch nicht. Sein Regiever-

109

aufeinander. Bereits damals haben sich die hie-

nisch perfekt sein, aber die Studierenden haben

ständnis kam aus den Siebzigern: wahnsinnig

keine Ahnung, worum es geht. Werkanalyse?

viele praktische Workshops, auch mit Regisseu-

­Großes Staunen! Natürlich haben wir uns zum Ziel

ren – Peter Zadek, Jürgen Flimm, Peter Stein etc.

gesetzt, durch den Unterricht das Niveau anzu-

Es war dieser klassische Weg: Es kommt ein gro-

heben beziehungsweise ungleiches Vorwissen

ßer Guru und macht Nathan der Weise. Dabei

auszugleichen. Gleiches gilt aber auch für das

kann man viel lernen, allerdings nur durch weiter-

Handwerk. Das sind komplexere Aufgaben als frü-

gegebene Erfahrung.

her in einer Opernklasse.

ML Das Handwerk wurde innerhalb der letzten dreiTK Die Praxisbezogenheit war Grundidee der Thea-

man verschiedene Methoden kennen und diffe-

terakademie. Bis zur Bologna-Reform gingen

renzieren. Es war nicht möglich für Everding, das

zehn Jahre ins Land. Was waren die neuen Her-

schon mitzudenken – er stammte aus einer ande-

ausforderungen für die Studierenden auf der

ren Generation.

Bühne? ML Wir alle haben versucht, die flexible Diplomstruk-

TK Hatte die Gründung der Bachelor- und Masterstudiengänge auch positive Seiten? JS Ja, die Öffnung ins Europäische und ins Interna-

tur in das starre Bachelor-Master-System zu pressen. Die klassische Art, Theater zu lernen, hatte das Ziel, gut genug zu sein für den Beruf,

tionale. Plötzlich war über das Punktesystem und

egal wie lange es dauert – vier Jahre, sechs, zwei.

den Zusammenschluss der Hochschulen im Eras-

Das ist vorbei. Ich will es so sagen: Die Software

musprogramm Mobilität der Studierenden und

ist mehr oder weniger gleichgeblieben. Aber die

Dozierenden möglich. Die Lehre hat sich geöffnet.

Hardware zwingt die Software zu neuen Kanälen. BK Die Diplomzeit war, als wären wir mit einem Jahr-

TK Und inhaltlich? Ist mit der geforderten Reflexion

gang vier Jahre lang auf eine Reise gegangen, um

eine Wissenschaftlichkeit einhergegangen, die

zu sehen, wo wir ankommen. War der Weg nicht

es vorher nicht gab?

gut, gab es andere. Jetzt gibt es einen klar fest-

ML Der Effekt ist marginal – gezwungenermaßen. Im Bereich Musical sind die Menschen bei Studien-

gesteckten Parcours. Und wir unterstützen dabei, dass alle möglichst heil da durchkommen.

beginn sehr jung, meist mit geringer Vorbildung. Wir versuchen das auszugleichen. Aber es bleibt

TK Damit ist die Möglichkeit, individuell auf die

eine handwerkliche Ausbildung, die nicht richtig

­Studierenden einzugehen, deutlich geringer

wissenschaftlich werden kann. JS Eines hat sich geändert: Die Begrifflichkeiten in

geworden. BK Diese Bachelor-Master-Kombi zwingt einfach eine

den Auseinandersetzungen wurden definiert und

sehr starre Form auf. Für mich ist es keine inhalt-

vereinheitlicht. Wenn wir uns heute im Verband

liche, sondern eine Zeitfrage. Ich plädiere für die

der staatlichen Schulen austauschen, benutzen

Möglichkeit, die Studienzeit individuell verlän-

wir dieselben Ausdrücke für dieselben Dinge. Das

gern zu können, weil Gesangstudierende mehr

war bis dahin undenkbar. Drei verschiedene Lehr-

Zeit brauchen, ihre Stimme zu entwickeln. Ande-

beauftragte sprachen drei völlig unterschiedliche

rerseits ist es für das Musiktheaterstudium eine

Sprachen.

starke neue Möglichkeit, nach einem drei- oder

BK Als wir 2011 den Masterstudiengang Operngesang aufgebaut haben, war dadurch eine große Inter-

vierjährigen Bachelorstudium in Richtung Oper zu wechseln.

nationalität möglich. Für viele Studierende ist es sinnvoll, nach dem Bachelorstudium den Ort zu

TK Theater in Europa gibt es seit über 2.000 Jahren.

wechseln – sie wollen auf diese Weise eine neue

Grundlage war immer eine mehr oder weniger

Lehren und Lernen im Theater

ßig Jahre überall theoretisiert. Plötzlich musste


110

ausgeprägte handwerkliche Ausbildung an die

beschäftigten. Dort gab es die alten Füchse, die die

sich die ersten – oft schlecht bezahlten – Büh-

Jungen unter ihre Fittiche nahmen. Das gibt es heute

nenerfahrungen anschlossen. Dieses Prinzip

nicht mehr. Die Theater erwarten neue Qualitäten.

hatte seit Ewigkeiten Bestand. Wozu braucht es

Selbst beim Schauspiel wird performatives Theater

überhaupt Bachelor- und Masterstudiengänge in

auch schon mitgemacht. Es ist also viel weniger die

den Darstellenden Künsten? ML Weil das Theater immer größere Anforderungen stellt. Theater ist keine einfache Sache mehr,

Frage, ob Shakespeare- oder Molière-Erfahrungen da sind, sondern ob die neuen Tendenzen schon während des Unterrichts …

Theater ist unglaublich komplex. Als Darsteller:in muss man sehr viel können. Viel mehr als vor

TK … Teil des kreativen Prozesses sind?

2.000 Jahren. Ich kann nur vom Musical sprechen:

BK Genau. Und das wird auch bald in der Oper so

So, wie sich in Amerika das Musical-Theater – vor

sein. Noch ist beim Vorsingen klassisches Reper-

allem in den 1990er – entwickelt hat, wird nun

toire gefragt. Aber es kommt gut an, wenn junge

auch in Europa mehr, also ein breiteres Handwerk

Studierende zeigen, dass sie offen sind für zeitge-

erwartet. Da dort die Tanzausbildung extrem

nössisches Repertoire oder sogar bereits Erfah-

anspruchsvoll ist, müssen unsere Studierenden

rung damit haben. Das wird von den Häusern, die

mindestens vier verschiedene Stile singen und

erfreulicherweise auch immer mehr Zeitgenössi-

tanzen können.

sches im Repertoire haben, willkommen geheißen. Nur dass das Zeitkorsett es kaum mehr hergibt, in diesen Spagat über 400 Jahre Operngeschichte hineinzuquetschen. Wir sollten nachdenken, wie wir diese Fenster wieder öffnen.

Theater ist ja überhaupt keine einfache Sache mehr, Theater ist unglaublich kompliziert.

TK Die Überarbeitung der Curricula bedeutet, dass sich im Moment alle sehr stark mit der Zukunft beschäftigen. Was sind die Herausforderungen für die Ausbildung der Darstellenden Künste in den nächsten dreißig Jahren? ML Nicht dreißig Jahre! Wir müssen schneller und kürzer denken. Auch weil die Inhalte im Moment

Marianne Larsen

wahnsinnig schnell wechseln. Um flexibler zu sein, haben wir die Module behalten und viele Lerninhalte einfach in wenige große gepackt. Müssen wir also Ballett kürzen und mehr Akrobatik aufnehmen, weil das gerade gefragt ist, schreiben wir „Tanz“. Steht da nur „Ballett“, sind wir festge-

BK Das ist bei der Oper genauso. Nehmen wir das Jahr 1730 – Barock. Damals musste man Barock

legt. So können wir den Inhalt von Jahr zu Jahr ändern.

singen können, mehr nicht. Heute wird von einem jungen Sänger erwartet, dass er außerdem Ros-

TK Zurück zur Flexibilität also.

sini-Koloraturen, Verdi und zeitgenössische Musik

ML Absolut, ja.

präsentieren kann. Auf Französisch, auf Deutsch,

JS Bei uns sind neue Medien ein großes Thema, also

auf Slawisch, auf Italienisch selbstverständlich.

Digitalität, Motion Capture oder die Arbeit mit

Alles ist heute sehr komplex – die Häuser wollen

den Medien und digitalen Aufnahmeverfahren.

Jolly Joker haben. Dabei ist es nicht mehr mög-

Es ist extrem komplex, das zu lernen. Auch die

lich, in einem Theater zu lernen, auch weil die

Spielweisen haben sich erweitert. Es gibt inzwi-

älteren, erfahrenen Kolleginnen und Kollegen

schen ganz andere, performative Spieltechniken

schon sehr früh, mit gerade mal fünfzig Jahren,

oder erweiterte Ausdrucksmöglichkeiten, auch

häufig nicht mehr im Ensemble sind. Die Situation

­nonverbaler Art. Dafür müssen wir breiter aufge-

nach der Wende brachte in der Tat Bewegung

stellt sein, wodurch die Zeit kürzer wird. Die große

in das System dadurch, dass in der DDR die

Befürchtung ist: Wir werden breiter, aber weniger

großen Ensembles noch achtzig Sänger:innen ­

tief.


111

Lehren und Lernen im Theater


112


113

Die wirklich ernstzunehmende Frage ist doch prinzipiell die, wie viel und welche Art von Theater die derzeit sehr kapitalistisch geprägte Gesellschaft braucht.

Wege, die die Leute wieder ins Theater locken. Denken wir an Händel: Er hat aus Geldmangel Oratorien geschrieben, die eigentlich Opern waren. Dieses reduzierte Format war plötzlich so interessant, dass die Häuser wieder voll waren – dabei war es dasselbe in eine andere Form gegossen. TK Spiegelt sich diese Wahrnehmung bei den ­Studierenden? BK Absolut! Es macht Druck. Der Markt wird kleiner,

Balázs Kovalik

und die zukünftigen Sänger:innen müssen dabei breiter aufgestellt sein in dem Sinne, dass wir Multifunktionalität von den Leuten erwarten. JS Ich nehme noch etwas anderes wahr, nämlich dass das Theater immer der Ort gewesen ist, an dem Dinge komplex behandelt wurden, an dem es einen Widerstand dagegen gab, die Welt

grund eurer Erfahrungen unser Curriculum

in Schwarz und Weiß einzuteilen. Viele Theater-

damals sehr flexibel gebaut, damit genau das

leute haben klargemacht: Alles hat mehr als zwei

möglich war: Praktisch von Anfang an zu sehen,

Seiten. Es gibt viele Ursachen, und wir müssen

wie ein Jahrgang ist und was er gerade braucht.

uns Zeit nehmen, diese Ursachen anzuschauen,

Aus unseren Erfahrungen der letzten zehn Jahre

bevor wir urteilen. Die immer schneller agierende

ist das Grundkonzept entstanden: mehr Gruppe.

Medienlandschaft vereinfacht. Da ist die Frage,

Gruppe ist wichtig, sogar notwendig. Außerdem

ob das Theater dem nicht widerstehen sollte. Weil

wollen wir den Studierenden mehrere Regiespra-

die Welt aber so komplex geworden ist, beobach-

chen, mehrere Arbeitsweisen beibringen. Ich war

ten wir auch bei den Studierenden eine Sehnsucht

immer überzeugt, dass es nicht guttut, wenn ein

nach Vereinfachung, auch auf der Bühne. Damit

einzelner szenischer Lehrender alles bestimmt.

würde sich die Urkraft des Theaters verlieren, die

Dafür haben wir Gastregisseurinnen und -regis-

letztlich darin besteht, zu zeigen: Nein, so einfach

seure für Projekte geholt und stärken den Ansatz

ist es eben nicht. Die Anerkennung von Komplexi-

mit Schauspiel-Workshops.

tät beziehungsweise der Widerstand gegen Vereinfachung ist für mich die Urkraft des Theaters.

TK Zurück zum Mauerfall: Das war ein gesellschaft­

ML Dadurch dass das Musical eine so junge Sparte,

licher, aber im Theater fast noch größerer

sozusagen die vierte am Theater ist, habe ich das

Umbruch. Genau in dieser Zeit ist das Gebilde

Gefühl, dass wir mit den Widrigkeiten, die auch

Theaterakademie entstanden. Wo wird dieser

politisch seit den 1990ern bestanden, mitgewach-

Wandel vom Theater reflektiert oder was davon

sen sind. Eklatant spüren wir eines: Es wird so

findet sich in den Studiengängen? Und wie geht

gut wie kein Musical mehr zur reinen Unterhal-

es weiter mit den Impulsen aus der Gesellschaft?

tung gemacht. Die Sujets in Musicals sind jetzt

BK Gesellschaft wird im Theater sehr deutlich

tiefergehender, ernster und setzen sich mit der

gespiegelt. Die wirklich ernstzunehmende Frage

Gesellschaft auseinander. Die Musical-Studieren-

ist, wie viel und welche Art von Theater die der-

den sind sehr politisch orientiert, sind sehr klar

zeit sehr kapitalistisch geprägte Gesellschaft

in dem, was sie spielen und was sie auf keinen

braucht. Wir sehen, wie viele Menschen ins Thea-

Fall mehr spielen wollen. Es gibt verschiedene

ter gehen oder nicht, wie viele nur noch auf Net-

Geschlechtermuster und Vorstellungen davon,

flix unterwegs sind oder dort, wo sie Spaß haben.

was korrekt und was nicht korrekt ist. Ich bin total

Es ist für die Menschen keine so große Notwen-

gespannt darauf, wie das Theater in fünf bis zehn

digkeit mehr, in die Oper zu gehen. Trotzdem

Jahren aussieht. Die Theater können nicht so wei-

wird es immer große Festivals und große Häuser

termachen, nicht mit diesem Nachwuchs. Diese

geben. Oper stirbt nicht. Entweder reduziert sie

Studierenden sind nicht bereit, alles hinzuneh-

sich oder sie findet neue Reflexionsformate und

men. Und das ist spannend.

Lehren und Lernen im Theater

BK Als relativ junger Studiengang haben wir auf-


114

Denken lernen Interview Studiengang Regie

Kaum ein anderes Fach ist derart dem gesellschaftlichen Wandel unterworfen wie die Regie, stellen drei fest, die es wissen müssen: Prof. Cornel Franz, Prof. Sebastian Baumgarten und Tim Kramer. Ein kleiner, nicht ganz unkritischer Rückblick sowie ein hochspannender Ausblick.

Cornel Franz (CF): Am Anfang war das Chaos! Es war nichts da. Bis auf den Wunsch eines sehr berühmten Herren namens Prof. Everding. Akademie war ja zunächst mal ein Gedanke, den noch niemand kannte. August Everding hat versucht, die sogenannte integrierte Bühnenausbildung in der Musikhochschule zu etablieren. Ein wunderbarer Begriff! Keiner verstand, was gemeint war. Letztlich entstand die Regieausbildung, weil Everding in erster Linie Regisseur war und erst in zweiter Intendant. Tim Kramer (TK): Diesen Studiengang gab es ja schon vor der Gründung der Akademie … CF Richtig los ging es 1985, aber es war niemand da für die Studierenden. Neun wurden aufgenommen, und die wurden erst mal für zwei Jahre Prof. Cornel Franz, von 1988 bis 2013

Praktikum auf Theater verteilt. Das war ehernes

Leiter des Studiengangs Regie an der

Gesetz. Ob das dem Plan, diese Ausbildung als

Hochschule für Musik und Theater und

echtes Studium zu etablieren, förderlich war, ist

der Bayerischen Theaterakademie;

fraglich.

Prof. Sebastian Baumgarten, Studiengangsleiter Regie für Musikund Sprechtheater, Performative Künste, im Gespräch mit Tim Kramer, Künstlerischer Direktor und Koordinator

TK Aber war diese Assistenzzeit bis dato nicht eigentlich der richtige Schritt auf dem Weg zum Regisseur-Dasein? CF Aber die Studierenden haben keine Assistenz

des Lehrbetriebs an der Bayerischen

bekommen! Zwei Jahre Praktikum, das war die

Theaterakademie August Everding.

Hälfte der Studienzeit.


115

Sebastian Baumgarten (SB): Regieausbildung für Musiktheater gab es in Berlin schon seit den 1970ern. CF Wir hatten sie in München auch – an der Otto-

TK Lässt sich der pädagogische Ansatz von 1987 bis zu Everdings Tod herausfiltern? CF Der war ganz einfach: Da war ein Studiengang, der weder in die Musikhochschule noch an die

Falckenberg-Schule, allerdings nur für Schau-

Theaterakademie passte. Im Grunde haben sich

spiel, also Sprechtheater. Weil diese Studierenden

die Studierenden ihr Studium selbst geschaffen.

auf die Staatstheater aufgeteilt werden mussten, schlossen sich Musiktheater und Schauspiel

TK Also eine Selbstorganisation.

zusammen. Ich habe das sehr forciert, weil für

CF Ja, und ich war dafür da, zu entscheiden, welches

mich Sprache über den Klang funktioniert, und

Stück sie unter welchen Voraussetzungen, Mög-

nicht wie häufig beim Schauspiel über die Psy-

lichkeiten und Bedingungen machen konnten.

chologie. TK Und das alles in der Reithalle. TK Everding war der erste Leiter des Studiengangs? CF Er war die Hebamme! Er hat den Staat dazu

CF Ja, wir waren dort relativ glücklich. Wir haben sie uns mit der Opernschule geteilt und sind dann noch weiter raus, in die Panzerhalle in der

„Ein Pianist braucht ein Klavier und der Regis-

Domagkstraße. Aber eigentlich haben wir alles

seur eine Bühne“, waren seine Worte. Aber es

bespielt: die Hauptbühne des Prinzregententhea-

war nichts da. Also wurde ausgeschrieben und

ters, als sie noch richtig kaputt war, das Treppen-

eine Professur geschaffen. Ich habe mich auf

haus der Hochschule, die Probebühne, das Neue

die Ausschreibung 1987 beworben und wurde

Theater München, die Black Box im Gasteig und

genommen, warum auch immer. Ich habe diesen

selbst die Kantine im Prinzregententheater. Beru-

Studiengang dann im Windschatten von Everding

higt hat sich das etwas durch die Eröffnung des

erst mal strukturiert, zum Beispiel die zwei Jahre

Akademietheaters im November 1996 mit Peter

Praktikum auf ein halbes Jahr reduziert, bis wir

Handkes Die Stunde, da wir nichts voneinander

es schließlich ganz eingestellt haben. Und wir

wussten. Und dann konnten wir im Juni 1999 die

haben die Frage der Räumlichkeiten gelöst.

Reaktorhalle mit Jakob Lenz von Wolfgang Rihm eröffnen. Das war eine kleine Hallen-Besetzung,

TK Weil der Unterricht in der Hochschule stattfand?

weil die Angst nicht ganz unbegründet war, dass

CF Ja. Aber ich habe die Reithalle entdeckt, die

die Musikhochschule, der ja das Gebäude „Lui-

eigentlich ein Reifenlager war und dann zur ers-

senstr. 37a“ zugesprochen wurde, mit dieser Halle

ten Spielstätte wurde. Und gleichzeitig entstand

anderes im Sinn haben könnte. Aber nachdem

diese Idee: Wir machen beides, Schauspiel und

der Raum von den Medien zum „spektakulärsten

Musiktheater!

Theaterspielort Münchens“ gekürt wurde, konnte er sich als Veranstaltungsraum etablieren – bis heute. TK Der Studiengang Regie war also über zehn Jahre auf Wanderschaft.

Das, was wir hier machen und machten, ist im Grunde genommen immer ein Spiel mit der Zukunft.

CF Ja. Und das ging so weiter. Das Akademietheater bot nicht die allerbesten Voraussetzungen. Man konnte damals zum Beispiel nicht ohne Tribüne arbeiten, was für performative Stücke schön gewesen wäre. TK Im Vergleich zu anderen Hochschulen ist es aber eine gute Ausbildungsbühne?

Cornel Franz

SB Ja. Gerade wurde uns von den Studierenden zurückgespielt, dass sie ihre sehr guten Bedingungen durchaus registrieren, auch dass es hier finanziell gut aufgestellt ist. Es ist nicht die Spitze. Aber grundsätzlich sind sie sehr zufrieden.

Lehren und Lernen im Theater

gebracht, einen Studiengang Regie aufzubauen.


116


117

Zunehmend geht es aber auch um die performativen Ansätze. Eigentlich gibt es fast nichts anderes mehr bei uns. Das ist zu ermöglichen, muss aber moderiert werden. Insgesamt ist das Regiestudium fluider geworden. TK Der Markt reagiert heute aber ganz anders. SB Gerade in den letzten zehn Jahren hat sich die Theaterlandschaft tatsächlich gravierend geändert. Unser Student Tanju Girişken zum Beispiel hat gerade im Körber Studio den Publikumspreis gewonnen. Sofort haben einige Häuser Interesse gezeigt und angefragt – aber nur für Stückentwicklungen. So jemand fragt sich dann, was er tun soll, wenn er mal Schiller inszenieren will. Besonders, wenn die Studierenden heute aus den unterschiedlichsten Ländern kommen. CF Das ist neu. SB Aber schön. Das wollen wir noch ausbauen. Wir versität der Künste in Berlin begonnen. Dort sind in der Bühnenbildabteilung nur wenig Studierende aus Deutschland. Aufregend. Internationalität und Diversität werden wichtig. TK Ist das eine Folge des Bologna-Prozesses oder

Sebastian Baumgarten

davon unabhängig? SB Diese Entwicklung durchzieht ohnehin die Gesellschaft. Cornel und ich haben mit der Frage, ob Bologna für die Regieausbildung gut ist oder nicht, sehr gekämpft. Das Thema war in dem Moment vom Tisch, als die internationalen Gelder flossen. TK Zurück zum Markt: Zeitgleich mit der Theaterakademie-Gründung vor dreißig Jahren fiel auch der Eiserne Vorhang. In der Gesellschaft, aber

TK Zurück zur Regieassistenz, früher war das der

auch im Theater hat sich seither viel bewegt.

Hauptweg, um Regisseur:in zu werden. Die Stu-

Hinkt die Ausbildung hinterher? Oder spiegelt sie

dierenden lernten da ein bestimmtes Handwerk.

sich damals wie heute im Curriculum?

Gibt es heute stattdessen ein anderes Handwerk

CF Im Theater haben wir nicht auf das geschaut, was draußen parallel läuft, sondern versucht, nach vorne zu denken. Das, was wir hier machen und

oder spielt das in der akademischen Ausbildung keine so große Rolle? CF Wir haben das Wort „Handwerk“ eigentlich nie

machten, ist im Grunde genommen immer ein

benutzt. Was aber grundsätzlich für Regiestudie-

Spiel mit der Zukunft.

rende ganz wichtig ist: dass sie sich in diesen vier

SB Die Studierenden haben eine eigene Sprache und

oder fünf Jahren selbst entdecken. Aus vielen, die

die wird immer stärker. Dadurch sind ihre The-

hier studiert haben, ist später etwas ganz ande-

men auch relevanter. Ich wusste schnell, dass die Arbeit hier sehr interessant werden würde, weil

res geworden. Was genauso gut ist. SB Wir haben von Anfang an gesagt: „Es gibt nicht

sich die Themen der Ausbildung durch die jungen

DAS Handwerk, sondern es geht darum, mit den

Leute verändern. Und dass dafür neue Formate

Intentionen der Produktionen das passende

für das Theater erfunden werden müssen.

Handwerk für das jeweilige Projekt zu erfinden.

Lehren und Lernen im Theater

haben gerade eine neue Kooperation mit der Uni-

Es gibt nicht DAS Handwerk, sondern es geht darum, mit den Intentionen der Produktionen das passende Handwerk für das jeweilige Projekt zu erfinden.


118 TK Handwerk definiert sich also über die Umstände?

teilhaben lassen und die Brücken für alle stark machen. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass

SB Und wo man es verortet. Beispiel Performativität:

wir in Bewegung sind, dass viel internationa-

Fange ich da an zu sagen, „du kommst von links

les Theater zu uns dringt. Dass alle Studieren-

und du von rechts“, habe ich den Begriff schon

den, mit welchem Hintergrund auch immer, die

nicht verstanden.

Chance haben, in Japan, im Iran, im Senegal oder in Deutschland zu arbeiten. Wir müssen zusehen,

TK Ein Blick in die Zukunft: In welche Richtung geht die Reise? CF Wir schauen in die Zukunft, ohne zu wissen, wo es hingeht. Sie liegt einfach so da. TK Mir geht es um die pädagogischen Herausforderungen, die damit zusammenhängen, was

dass die Wege in beide Richtungen geöffnet sind. Dafür knüpfen wir Kontakte und bemühen uns, Studierende aus dem nicht-europäischen Ausland zu gewinnen. TK Was ist mit anderen Formen beziehungsweise Medien, also dem Stichwort Digitalität?

mit der Gesellschaft passiert. Die Studierenden

SB Man versucht immer, den jeweiligen Stand der

bringen das, womit sie aufgewachsen sind, mit

Technologie zu reflektieren. Dass aktuell ein

ein. Und das hat sich verändert, oder nicht?

starkes Augenmerk auf Digitalität gelegt wird,

CF Ich glaube, nicht viel. Ich finde, dass Lichtenberg

bedeutet, dass sich auf der Grundlage von dieser

immer noch recht hat: Man muss die Leute leh-

technologischen Veränderung die Dramaturgien

ren, wie sie denken sollen, und nicht, was sie den-

ändern. Solche Veränderungen schaffen immer

ken sollen.

Rückkopplungen. Und die sind interessant.

SB Also Lernen lernen. CF Ja, das Wie. Ganz wichtig ist, diese Unsicherheit,

TK Manchmal wird behauptet, die Studierenden

die gesellschaftlich in uns reinbrettert, zu akzep-

kämen heute mit einer geringeren Allgemein-

tieren und wertzuschätzen.

bildung hierher, was man erst mal ausgleichen

SB Aufgrund der Globalisierung der internationalen Märkte und der Migrationsbewegungen, die stattfinden, geht es vor allem darum, keine

müsse. Braucht ein:e Regisseur:in heute keine Allgemeinbildung mehr? CF Es ist nicht mehr so dringlich. Jede und jeder

Ängste zu schüren, dass der Markt in Zukunft

kann sie sich relativ leicht aneignen. Es gibt ein-

enger wird für Leute, die mit deutschem kultu-

fach so irrwitzig viel Wissen. Dazu Künstliche

rellem Backround groß geworden sind und die

Intelligenz! Das verändert die ganze Art zu lernen.

erwarten, dass sie nach einem Regiestudium

SB Es gibt einen hohen Grad an Intelligenz und Klug-

unbedingt in diesem Kontext arbeiten werden.

heit unter den Studierenden, dennoch müs-

Der Austausch kultureller Perspektiven wird im

sen wir manchmal zusätzlich ihren Computern

Gegenteil ein großes Potential für das Erzählen

einfach mit mehr Daten zur Verfügung stehen.

von Zukunft sein. Dabei ist festzustellen, dass

Über den philosophischen Diskurs bin ich oft-

Kommunikation im internationalen Zusammen-

mals erstaunt. Alle sind sehr begründet in dem,

hang nicht mehr so stark an Sprache gebunden

was sie vertreten und tun. Aber tatsächlich ist

ist. Es gibt viele Projekte, die sich in der Nutzung

auch manchmal ein Nachholen, Aufholen sinn-

von Sprache ganz gezielt zurückhalten. Ich liebe

voll und nötig. Die Felder der Veränderungen wer-

Sprache. Aber ich akzeptiere und genieße es

den immer größer. Deshalb darf eines auf keinen

auch, dass es Studierende gibt, die die Einstel-

Fall passieren: dass die Reduktion von Mitteln im

lung haben, dass Theater nicht nur über ­Sprache

Raum steht. Wir haben bereits jetzt mit dem, was

läuft. Warum? Weil am Ende eine Produktion

wir zur Verfügung haben, einen immer größer

steht, die international zeigbar ist.

werdenden Bereich abzudecken – technologisch,

TK Verständigung ohne Worte also …

CF Letztlich geht es um die Bereitschaft, Neues nicht

vor allen Dingen, aber auch thematisch. SB Durch den Versuch, die Arbeit in unserem Departement internationaler zu gestalten, wollen

gleich zu verdammen. Sonst gehen wir mit verschlossenen Augen in die Zukunft.

wir die Studierenden, wo immer sie herkommen, und diejenigen, die von hier kommen, ganz organisch an ihren jeweiligen kulturellen ­Erfahrungen

TK Wir müssen also breit auf diese Entwicklung reagieren. Tatsächlich gibt es ja Hochschulen,


119

Lehren und Lernen im Theater


120


121

die anstelle einzelner Studiengänge Regie nur

SB Ich würde stärker differenzieren. Es ist wie bei

noch einen allgemeinen Studiengang Theater

Brecht im Messingkauf: „und wenn einer meine,

vorsehen. Da können dann alle alles machen. Ist

das sei kein Theater mehr, soll er es ruhig ,Thae-

das die Zukunft, oder bleibt uns die Berufsaus-

ter‘ nennen“. Ich glaube, die Regieposition im

bildung Regisseur:in erhalten?

klassischen Sinne wird es in ziemlich naher

CF Ich glaube nicht, dass das die Zukunft ist. Viel-

Zukunft nicht mehr geben. Alle Studierenden,

leicht nennt man es nur anders. Heute heißt es

die bei uns sind, schreiben mittlerweile nebenbei

Regie. Morgen heißt es Medien. Es kann übermor-

oder komponieren oder filmen. Eine solche Zweit-

gen ich weiß nicht wie heißen … Wichtig ist, dass

begabung birgt oft die Chance, dass sich für die

da ein Biotop entsteht, in dem etwas gedeihen

Produktionsteams neue, kreative Wege öffnen

kann.

– wo immer sie auch hinführen. Obwohl ich mir selbst und den Studierenden sagen muss, dass wir ab einem bestimmten Punkt diese Performing Arts strukturell und inhaltlich momentan nicht bis ins Detail begleiten können, denken wir daran, im Rahmen der Reakkreditierung unseren Ansatz im Master tatsächlich in Richtung dieser neuen Formate und interdisziplinär auszubauen. Wir werden den Studierenden raten, sich zu spezialisieren, Projekte auszuprobieren. Aber innerhalb des Bachelors wird es auch bei uns – übrigens auch auf Wunsch der Studierenden – immer wieder passieren, dass wir auf einer Kammerbühne oder vielleicht sogar der Vorbühne des Prinzregententheaters klassische Texte probieren und sagen: „So, das ist ein Dialog. Wo kommt der Text her? Und warum machst du das?“ TK Also bleibt das Theater bestehen? CF Natürlich. SB Aber unsere zentralen Kriterien sind Diversität und Internationalität. Deshalb müssen wir die Strukturen auch so weiterdenken, dass sie über die nächsten zehn Jahre hinaus Bestand haben.

Es geht es um die Bereitschaft, Neues nicht gleich zu verdammen. Sonst gehen wir mit verschlossenen Augen in die Zukunft. Cornel Franz

Lehren und Lernen im Theater

ihnen im Master die Möglichkeit geben, solche


122

Ich glaube, dass wir zum sechzigsten Jubiläum eher so etwas wie ein Cyber-Theatre haben werden. Interview Studiengang Maskenbild

Die Theaterakademie August Everding bietet europaweit als erste und nach wie vor einzige Ausbildungsstätte Maskenbild im ­B achelor- und Masterstudiengang an. August Everding selbst rief den Studiengang vor knapp 25 Jahren ins Leben. Höchste Zeit für eine Bestandsaufnahme: Was zeichnet die Ausbildung an der Akademie aus? Welche Möglichkeiten eröffnet sie? Und vor allem: Was kommt danach? Dozierende und Studierende im Gespräch.

Tim Kramer (TK): Die Bayerische Theaterakademie August Everding feiert dreißigsten Geburtstag. Das bedeutet auch: dreißig Jahre Lehre an der Akademie. Zeit für einen Rückblick und eine Vorschau gleichermaßen. Der Studiengang Maskenbild – Theater und Film ist ja etwas jünger als die Akademie … Prof. Verena Effenberg, Leiterin des

Verena Effenberg (VE): Der Studiengang wurde 1999

Studiengangs Maskenbild; Olga Rex

von August Everding gegründet, wird also nächs-

vom Residenztheater München und

tes Jahr 25 Jahre alt. August Everding war da

freie Dozentin; Viktoria Stieber, sowohl

allerdings schon schwer krank.

Alumna als auch Masterstudierende, im Gespräch mit Tim Kramer, Künstle-

TK Das Besondere an diesem Studiengang ist,

rischer Direktor und Koordinator des

dass es bis dahin im deutschsprachigen Raum –

Lehrbetriebs. Viktoria Stieber musste

meines Wissens sogar europaweit – noch

ihr Studium während der Pandemie

gar keine akademische Ausbildung zur Masken-

aussetzen, da kein Unterricht stattfin-

bildnerei gab.

den konnte. Nun holt sie den ­Master

VE Tatsächlich ist die Ausbildung an der Dresdner

nach, arbeitet aber bereits seit vier

Hochschule für Bildende Kunst wesentlich älter.

Jahren international im Filmgeschäft

Dort konnte man bereits vor der Wende einen

unter anderem bei Spezialeffekte-­

akademischen Abschluss in diesem Bereich

Studios in Budapest und Spanien.

machen.


123

Lehren und Lernen im Theater


124


drei Jahren an der Theaterakademie schon eine

man dazugenommen hat, um aus einem Aus­

gewisse Arbeitserfahrung und natürlich neue

bildungsberuf eine universitäre Ausbildung zu

handwerkliche Techniken. Diese Kombination ist

formen?

es, die mich von anderen Maskenbildnerinnen

VE August Everding vertrat das Konzept learning by

und Maskenbildnern unterscheidet und die Fähig-

doing. Er wusste, wenn man Klavierspielen lernen

keit, weiter und weiter zu lernen. Das Visuelle ent-

will, braucht man ein Klavier, wenn man Theater-

wickelt sich heutzutage so schnell, man muss die

spielen lernen will, braucht man ein Theater. Und

eigenen Visionen fit halten. Noch eine Fähigkeit,

wenn man eine Rolle spielen will, braucht es dazu

die man an der Akademie lernt.

125

TK Was waren die entscheidenden Elemente, die

die Maske. Zunächst war das Maskenbild an der Theaterakademie ein von der IHK zertifizierter Kurs. Erst Ende 2006 bekamen wir die Auflage, die Ausbildung müsse als Studiengang akkreditiert werden. Wir mussten also über Nacht einen Studiengang auf die Beine stellen. Nicht irgendein waren der Testballon – und 2007 der erste akkreditierte Kunststudiengang in Bayern. TK Sie waren also nicht nur für Ihr Fach ­Vorreiter, sondern für sämtliche Kunststudiengänge in Bayern. Was aber war der Unterschied zu ­vorher? VE Dieser Beruf kann ja auch als ­Handwerksberuf mit IHK-Abschluss gelernt werden. Unser Anspruch ist aber, den Beruf ins Künstlerische

Olga Rex

zu öffnen. Das bedeutet, dass die ­Studierenden selbstständig kreativ arbeiten, wie Viktoria hier. Olga hat ebenfalls eigene künstlerische Projekte. Mein Ziel war, dass jede und jeder von ihnen als Chefmaskenbildner:in arbeiten kann. Was auch oft geklappt hat. Unsere Studierenden sind nicht

VE Viktoria, wie ist es bei dir im Filmbereich – was

einfach nur Ausführende, sie kreieren das Make-

unterscheidet dich von anderen Maskenbildnerin-

up-Design und die Special Effects. Alle schaffen

nen und Maskenbildnern?

es nicht, denn dafür müssen viele Dinge zusam-

Viktoria Stieber (VS): Es kommt viel auf die eigene

menkommen: Sie müssen die künstlerische

Persönlichkeit an, ob Menschen gerne mit einem

Begabung und eine Vision haben und außerdem

arbeiten, ob sie das Gefühl haben, man lebt

strukturiert sein und organisieren können.

diese Passion für den Beruf. Ob man willig ist, so

Olga Rex (OR): Vision ist ganz richtig, weil wir nicht nur

zu arbeiten, dass man alles investieren würde.

handwerkliche Arbeit geleistet, sondern viel Zeit

Selbst wenn es sehr viel Zeit und Kraft braucht,

damit verbracht haben, wie wir unsere Vorstel-

um das, was man macht, gut zu machen.

lungen von Charakteren erklären, bauen, ein-

VE Wie hat dir der Studiengang Maskenbild dabei

arbeiten können. Darüber hinaus haben wir uns mit den Epochen beschäftigt, waren in Museen,

geholfen? VS Ich glaube, dass man in diesen drei oder vier

unternahmen Ausflüge. Wir haben nicht ein-

Jahren sehr gut lernt, hart zu arbeiten. Wer

fach nur Bilder betrachtet. Wir haben die Origi-

eine Vision hat und diese unbedingt umsetzen

nale gesehen und analysiert, und wir waren oft

möchte, arbeitet gern – manchmal sogar nach

im Theater und im Kino. Ein Studierender hier ist

den Unterrichtszeiten. Die Studierenden stecken

tatsächlich wie ein Schwamm, der einfach saugt

viel in ihr Studium, um das Bestmögliche aus die-

und saugt und saugt – unendlich viel Information.

sen drei Jahren herauszuholen. Diese Art und

Und irgendwann kommt ein Moment, in dem alles

Weise zu arbeiten, ist – vor allem im internationa-

seinen Platz findet. Tatsächlich hatte ich nach

len Vergleich – selten. Es ist eine Passion.

Lehren und Lernen im Theater

Ein Studierender hier ist tatsächlich wie ein Schwamm, der einfach saugt und saugt und saugt.

Luftschloss, sondern etwas, das funktioniert. Wir


126


127

TK Ein Blick in die Zukunft, Frau Effenberg: Inhaltlich bekommt das Thema Film nun mehr

Das Theater hat nicht an Bedeutung verloren. Aber es ist nicht mehr der Brennpunkt der Gesellschaft.

Gewicht? VE Die ersten Studierenden vor 23 Jahren wollten alle ins Theater. Heute wollen alle zum Film. Das Theater muss aufpassen, dass es die Fachkräfte nicht verliert. Natürlich müssen wir uns auch nach den Interessen der Studierenden richten. Der Film steht immer mehr im Mittelpunkt, auch in der Gesellschaft. Ich will nicht sagen, dass das Theater an Bedeutung verloren hat. Aber es ist nicht mehr der Brennpunkt der Gesellschaft. Die

Verena Effenberg

Leute sprechen über Netflix oder über diesen oder jenen Film. Residenztheater oder Kammerspiele kommen selten vor. Ich werde mich nicht immer und absolut nach dem Geschmack der Studierenden richten. Aber wenn der Film in der Gesellschaft an Bedeutung gewonnen hat, dann müssen wir auch in dieser Richtung ausbilden. allem im Bereich Special-effects-Make-up. Das

TK Denkt man an die letzten dreißig Jahre, geht es

Kreieren von hyperrealistischen oder auch realisti-

auch um Erinnerungen. Was ist Ihnen besonders

schen Figuren finde ich bis heute hochinteressant.

in Erinnerung geblieben? OR ( lacht) Es war im ersten Jahr in Kunstgeschichte, das fand im Gebäude der Hochschule für Film und Fernsehen statt. Ich weiß nicht mehr, um wel-

TK Die Kamera zeigt alles viel deutlicher als das Theater, wo Details gar nicht so wahrgenommen werden können.

che Epoche es ging, vielleicht Barock, und wir

VS Das war der ausschlaggebende Punkt für mich.

schauten uns verschiedene Gemälde an. Bis ich

Ich will nicht sagen, dass im Theater nicht auf

mich umdrehte und aus dem Fenster sah – und

Details geachtet wird, aber ich glaube, sie sind

da war die Alte Pinakothek! Eine Minute von mir

größer gedacht. Zudem höre ich von Kolleginnen

entfernt hingen also die Originale! Ich war faszi-

und Kollegen, dass im Theater derzeit das Poten-

niert, daran erinnere ich mich noch genau.

zial, das man als Maskenbildner:in mitbringt, oft

VS Für mich war – vor allem im Nachhinein – der

gar nicht genutzt wird.

Unterricht in Ästhetik und Semiotik sehr ausschlaggebend dafür, wie man gewisse Dinge sieht, wie man sie noch mal überdenken und anders beleuchten kann. VE Unsere Kooperationspartner tragen einen wesentlichen Teil zu den Qualitäten und Quali­ fikationen bei. Wir löffeln nicht nur in unserer eigenen Suppe. Mag dieses Bachelor-MasterSystem auch nicht überall beliebt sein, durchaus positiv ist, dass dieses System alle Module miteinander verknüpfen will, alle ineinandergreifen sollen und nicht isoliert sind. Ideen und Inspirationen von außen – bei Kooperationspartnern, in Aus-

Im Theater wird derzeit das Potenzial, das man als Maskenbildner:in mitbringt, oft gar nicht genutzt.

stellungen, bei der Biennale in Venedig, wo auch immer – fließen in unseren Ideenpool ein. Zudem haben wir mittlerweile sehr viele Spezialistinnen und Spezialisten aus dem In- und Ausland, die ihr Fachwissen in unseren Unterricht einbringen.

Viktoria Stieber

Lehren und Lernen im Theater

VS Ich fand die Arbeit beim Film spannender, vor


128

TK Frau Rex, wollen Sie das Theater verteidigen?

dafür und muss alles einbringen – Privatleben,

OR Gerne! Ich wollte immer ans Theater. Für mich hat

Familie etc. Der Verzicht ist groß! Hier lernt man,

das eine ganz andere Faszination. Mein Weg, das

hart zu arbeiten. Und dennoch lehrt uns die heu-

waren und sind die Perücken, das Frisieren, auch

tige Generation, dass man auf die persönliche

das Make-up und das Make-up-Design. Auch auf

Entwicklung des Individuums Rücksicht nehmen

der Bühne braucht es heute ganz realistische

muss und dass sie Zeit für diese Entwicklung

Wege, um Charaktere und Figuren darzustel-

braucht. Meine Generation hatte viel mehr Frei-

len. Das mag technisch nicht so ausgereift sein

heiten. Wir konnten uns ausleben und verwirkli-

wie im Film, aber auch hier ist die Technik nicht

chen. Die heutige Generation muss sich viel mehr

stehengeblieben, vor allem, wenn man an das

anpassen, in Schablonen leben, muss sich viel

Thema Lichtdesign und Video denkt.

früher entscheiden. Sie hat wenig Zeit zur Reife. In der Schule geht es nur wenig um das Indivi-

TK Eine meiner Professorinnen sagte immer, Thea-

duum. Gerade im künstlerischen Bereich brau-

ter sei das Brot, der Film die Butter dazu. Was so

chen wir diesen Freiraum: sich zu entdecken, zu

viel heißt wie: Man muss das Handwerk im Thea-

reifen, Persönlichkeit zu entwickeln. Wenn wir das

ter lernen, dann kann man sich im Film damit

schaffen und die Studierenden darin unterstüt-

noch entfalten. Trifft das auch auf die Ausbil-

zen, dann haben wir viel erreicht.

dung in der Maskenbildnerei zu? VE Nein, so kann man das heute nicht mehr sagen.

TK Kennen Sie Kontemplation?

Dafür hat sich in den letzten 25 Jahren zu viel

VS Es ist ein Balanceakt. Einerseits lebt man für die-

geändert. Die Chemieindustrie hat Riesenfort-

sen Beruf – würde man ihn nicht so sehr lieben,

schritte gemacht. Viele Produkte und Techniken

würde man ihn nicht machen. Andererseits muss

gab es damals noch gar nicht, die heute selbst-

man auch lernen, sich Zeit zu nehmen für sich

verständlich auch im Theater genutzt werden.

selbst. Sonst ist es letztlich weder gesund noch hilfreich. Es braucht Ruhephasen, um neue Ein-

TK Denken wir an das sechzigste Jubiläum der Theaterakademie: Was wird dann ausgebildet werden? VE Ich denke, dass in dreißig Jahren der digitale Bereich und die Künstliche Intelligenz eine immer größere Rolle spielen werden. Mir ist wichtig, dass

drücke zu gewinnen und sich auf das nächste Projekt einstellen zu können. VE Und um wieder Distanz zu sich zu finden: zu den einzelnen Projekten, aber auch zu seinem eigenen Tun und zu sich selbst, um wieder eine Metaebene zu erreichen.

auch künftig Maskenbildner:innen vom Konzept

OR Noch ein Gedanke zum Schluss: Warum erwacht

bis zur Ausführung alles selbst machen. Gleich-

das Interesse für Theater erst so viel später als

zeitig sollten sie aber auch in der Lage sein, die

das für den Film? Dafür gibt es mehrere Gründe,

Postproduction zu stemmen: einscannen, digita-

nicht zuletzt die Jahre der Pandemie, die hin-

lisieren, mit einem 3D-Drucker ausdrucken. Das

ter uns liegen. Aber ich finde, die Gesellschaft

passiert heute schon. Aber so gut und breit wir

ist durchaus mitverantwortlich dafür, dass auch

aufgestellt sind – dieser Bereich ist noch ausbau-

jüngere Generationen schon in der Kindheit und

fähig.

Jugend Theater kennenlernen. Es ist toll, dass die

OR Ich glaube, dass wir zum sechzigsten Jubiläum

Bayerische Theaterakademie August Everding

eher so etwas wie ein Cyber-Theatre haben wer-

mit den Bayreuther Festspielen für das Projekt

den.

Kinderoper kooperiert – Richard Wagner für Kinder. Und vielleicht bringt uns genau dieser Thea-

TK Ein Studium beziehungsweise die Persönlichkeiten, die sich dort weiterentwickeln, sind immer ein Spiegel des Zustands der Gesellschaft, die sich permanent verändert. Inwiefern muss man das Studium für die zukünftige Generation anpassen? VE Die Work-Life-Balance muss berücksichtigt werden. Man lebt zwar seine Leidenschaft und kann sich verwirklichen, bekommt aber kaum Geld

terbesuch junger Menschen in der Zukunft neue Studierende in die Theaterakademie.


129

Lehren und Lernen im Theater


130


131

Sei nie langweilig und trau dich was! Interview Studiengang Kulturjournalismus

Als 1997 an der Theaterakademie August Everding der Aufbaustudiengang Theater-, Film- und Fernsehkritik gegründet wurde, gab es nierten den Diskurs und der Rundfunk sendete ausschließlich linear. Mittlerweile hat die Digitalisierung eine Vielzahl neuer journalistischer Formate hervorgebracht – auch für Ausbilder:innen Grund für ein Update: Der neue Masterstudiengang Kulturjournalismus, ein Kooperationsstudiengang der Hochschule für Musik und Theater München mit der Theaterakademie August Everding, bietet seit Herbst 2023 ein grundlegend erneuertes und auf den medialen Wandel abgestimmtes Curriculum – mit dem Ziel, auch weiterhin so erfolgreich wie bisher talentierten jungen Kulturjournalist:innen den Einstieg in den Beruf zu ermöglichen. Marleen Uebler, Studentin des ersten Jahrgangs, spricht mit dem Theaterkritiker Egbert Tholl, vor 26 Jahren ebenfalls Student der ersten Stunde, über Hoffnungen und Herausforderungen.

Tim Kramer (TK): Egbert Tholl und Marleen Uebler, Sie beide sind gewissermaßen Student:innen der Egbert Tholl, Kulturkritiker der Süd-

ersten Stunde. Beginnen wir bei Ihnen, Herr

deutschen Zeitung und Student im

Tholl: Sie waren im damals neu eingerichteten

ersten Jahrgang des damals einge-

Studiengang Theater-, Film- und Fernsehkritik

richteten Studiengangs Theater-, Film-

dabei, einem der Kooperationsstudiengänge an

und Fernsehkritik; Marleen Uebler, ab

der Hochschule für Fernsehen und Film München

Herbst 2023 unter den ersten Stu-

(HFF). Wie würden Sie rückblickend die Akade-

dierenden des neu konzipierten Stu-

mie beschreiben?

diengangs Kulturjournalismus an der

Egbert Tholl (ET): Allerbeste Unterhaltung war es!

Hochschule für Musik und Theater

Wir hatten einen sehr lustigen, animierenden Stu-

München in Kooperation mit der Bay-

diengangsleiter. Und ich lernte viele Leute aus

erischen Theaterakademie August

den anderen Studiengängen kennen, also Regie-

Everding im Gespräch mit Tim Kramer,

und Schauspielstudierende. Es war alles sehr

künstlerischer Direktor und Koordinator

aufregend. Und nicht zu vergessen: Nach der Pre-

des Lehrbetriebs an der Bayerischen

miere eines Regieprojekts endete die Premieren-

Theaterakademie August Everding.

feier um fünf in der Früh – oft mit Polizei wegen

Lehren und Lernen im Theater

kein Twitter, kein Instagram und kein ChatGPT. Printzeitungen domi-


132

Lärmbeschwerden. Das war eine andere Aka-

Marleen Uebler (MU): „Journalismus“ ist ein viel ­

demie, als sie es heute ist.

breiter aufgestelltes Feld, in dem es generell um ­jegliche Form der Berichterstattung gehen wird.

TK Noch mehr Unterschiede?

Auch das Wort „Kultur“ ist ja viel breiter gefä-

ET Ich weiß nicht, wie sich die Akademie heute von

chert. Es ist der Versuch, weitere Bereiche mit

innen anfühlt. Ich habe aber das Gefühl, dass

abzudecken und den Masterstudiengang attrakti-

eine stärkere Verschulung eingetreten ist. Mein

ver zu machen, indem er sich nicht nur spezifisch

Studiengang ging von 1997 bis 1999, da gab es

auf Theater, Film und Fernsehen konzentriert.

noch keinen Bachelor und Master. Die Studierenden hatten viel mehr Freiheit. Das ist unter der Maßgabe der Domestizierung der jungen Leute überhaupt nicht mehr möglich. Mir kommt es vor, als wären alle auf Funktionieren getrimmt.

TK Ist das nachvollziehbar im Hinblick auf die ­Veränderung im Kulturbetrieb? MU Auf jeden Fall. Theater zum Beispiel hat immer diesen Hauch des Elitären, auch wenn es versucht, ihn loszuwerden. Mit dem Wort „Kultur“

TK Lief der Austausch unter den Studierenden auch über konkrete Projekte?

wird mehr miteingeschlossen, und dadurch öffnet dieser Begriff wieder eine Tür. Gleichzeitig ist

ET In meiner Erinnerung waren die Kritikstudieren-

es schwer, im Journalismus einen Fuß in die Tür

den nie an einem gemeinsamen Projekt mit den

zu bekommen. Weil es extrem fordernd und sehr

verschiedenen Studiengängen beteiligt. Aber

zeitaufwendig ist, überhaupt irgendwo genom-

wir waren ja alle hier und sind uns über den Weg gelaufen.

men zu werden oder Praktika zu ergattern. ET Warum wollen Sie trotzdem Kulturjournalistin werden?

TK Also Campus-Charakter? ET Ja. Was ich erlebt habe, war großartig.

MU Zum einen, weil diese zwei Worte, „Kultur“ und „Journalismus“, alles verbinden, was ich liebe und was meine Stärken sind. Zum anderen, weil ich

TK Und wie würden Sie den pädagogischen Ansatz beschreiben? ET Ich weiß nicht, ob das Wort Pädagogik das rich-

mir selber beweisen will, dass ich den Journalismus doch noch nicht ganz aufgegeben habe. Aber das hier ist mein letzter Versuch.

tige ist für den Studiengang damals. Aber ich habe im Hinblick auf den Beruf, den ich ja tatsächlich auch ergriffen habe, eines gelernt: „Sei nie langweilig. Versuche, Dinge auszuprobieren. Und trau dich was.“ Natürlich auch: „Sei präzise in der Beschreibung von Aufführungen, hab eine eigene Meinung“ und so weiter. C. Bernd Sucher war ein sehr guter Animator, kein langweiliges Zeug zu schreiben. TK Nun heißt der neue Studiengang „Kulturjournalismus“, ist nicht mehr der HFF angegliedert, sondern Masterstudiengang der Hochschule für Musik und Theater München (HMTM) in Kooperation mit der Theaterakademie und kein Aufbaustudiengang mehr.

Eine junge Journalistin muss heute extrem krass sein.

ET Ja, wir brauchten einen Magisterabschluss, ein Diplom oder ein anderes fertiges Studium. Heute ist ein Bachelor nötig, um den Master zu machen. TK Auch die Ausrichtung ist eine andere: Aus Theater-, Film- und Fernsehkritik wurde Kulturjournalismus. Was glauben Sie, Frau Uebler, ist der Gedanke dahinter?

Marleen Uebler


133

Lehren und Lernen im Theater


134

TK Wie war die Situation bei Ihnen, Herr Tholl?

vorher studiert haben müssen, war der Bildungs-

ET Ich glaube, dass alle aus meinem Jahrgang – wir

stand sehr unterschiedlich. Es hatten zwar alle

waren zu siebt – in irgendeiner Form eine Stelle

einen Abschluss, aber das heißt zunächst mal

ergattert haben. Das Entscheidende ist aber: Es

nichts. Es hatten nicht alle Germanistik, Theater-

war eine völlig andere Zeit. Die Ausbildung war

oder Musikwissenschaft studiert.

damals noch vollkommen zielgerichtet auf PrintJournalismus für die großen Zeitungen. Es gab

TK Und was war auf keinen Fall überflüssig?

keine Internetportale wie Nachtkritik oder ähn-

ET Der Kern des Studiengangs, also selbst zu schrei-

liche. Zeitung hatte einen ganz anderen Stellen-

ben und über die Texte zu reden. So intensiv

wert.

wie dort wurde nie mehr über die eigenen Texte

MU Mein Ziel ist nicht unbedingt das Printmedium.

gesprochen. Selbst wenn du ein Praktikum bei

Es verändert sich alles so schnell. Da ist es ex­

der Süddeutschen machst und das Glück hast,

trem schwierig zu sagen: Das ist mein Ziel, das ist

dass sich jemand die Zeit nimmt und zehn Minu-

die Stelle, das ist das, wo ich hinwill. Ich glaube,

ten über einen Text redet und wie er besser auf-

eine junge Journalistin muss heute extrem krass

gebaut sein könnte.

sein, damit sie wirklich heraussticht und zum Beispiel bei der Süddeutschen Zeitung ein Praktikum bekommt, weil sie so einen beeindruckenden Lebenslauf hat.

TK Frau Uebler, würden Sie sich das auch wünschen? MU Auf jeden Fall! An der Uni wurde zwar intensiv über Themen gesprochen, aber nicht über die

TK Wie sollte die Ausbildung aussehen, die zu dieser Bandbreite oder Flexibilität befähigt?

eigenen Texte oder Arbeiten. Da dieser Masterstudiengang viel kleiner wird als alles, was ich

MU Da verschiedene Bachelor-Studiengänge zusam-

bisher gewöhnt bin, wünsche ich mir sehr, dass

mengeführt werden, ist es wichtig zu definieren,

mehr auf die individuellen Personen eingegan-

was Journalismus überhaupt ist. Wie ist Print-

gen wird, um die eigenen Stärken und Schwächen

journalismus aufgebaut? Welche Texte kann man

herauszufinden, daran zu arbeiten und vielleicht

schreiben in Verbindung mit Kultur oder Kritik? Aber auch: Was ist Kultur? Was umfasst es? Es

auch neue Interessen zu entdecken. ET Ja, nach spätestens einem Jahr wussten wir

gibt eine extreme Vielfalt an Dingen, die man als

sieben voneinander auch, wer was am besten

Kultur bezeichnen könnte. Es geht also darum,

kann. Der eine bringt eine interessante Repor-

Grundlagen zu schaffen und dann zu zeigen, was

tage zustande, die andere schreibt besser ein

in diesem Feld Innovation ist, was interessant ist.

Porträt …

Worauf kann man sich konzentrieren, was sind Trends? Und was sind die notwendigen Soft Skills, um weiterzukommen?

TK Kulturjournalismus ist ein Kooperationsstudiengang der Hochschule für Musik und Theater mit der Theaterakademie. Wie stellen Sie sich die

TK Was ist mit Einblick in die Praxis? MU Ja, natürlich, so früh wie möglich. Das ist viel-

Verbindung vor, Frau Uebler? MU Zum einen sehr praktisch, da wir die Kultur quasi

leicht wichtiger als die Theorie. Oft zeigt auch

im Haus haben. Und vielleicht ist die journalisti-

erst die Praxis, was man nicht möchte. Viele

sche Arbeit etwas leichter, wenn man die Men-

Bekannte haben nach Praktika in journalistischen

schen aus anderen Studiengängen persönlich

Bereichen gesagt: „Nie wieder!“ Man muss das

kennt. Und einen Blick hinter die Kulissen zu wer-

mögen.

fen – das findet hoffentlich sowieso innerhalb der natürlichen Begegnungsszenarien statt.

TK Herr Tholl, auch Sie waren als erster Jahrgang damals eine Art Testballon. Was hat damals funktioniert und was nicht? ET Funktioniert ist der falsche Ausdruck. Sagen wir: Alles, was noch mit universitärer Ausbildung zu

TK Herr Tholl, was sind für Sie persönlich Konstanten in Ihrer Arbeit als Kulturredakteur? Was hat sich gewandelt? ET Allen Änderungen und aller Digitalisierung zum

tun hatte, war überflüssig. Wobei es natürlich

Trotz: Im Kern hat sich für mich nichts geändert.

schwierig war: Da innerhalb eines Aufbaustudien-

Ich schaffe es immer noch, ein ziemlich analo-

gangs nicht vorgeschrieben ist, was die Leute

ger Mensch zu sein, und nutze weder Instagram


135

noch Twitter, auch für meine Arbeit nicht. Einen Text, den ich gestern geschrieben habe, hätte ich genauso gut vor 23 Jahren schreiben können. TK Egal, ob der nun in der Print- oder in der Onlineausgabe ist … ET Natürlich gibt es Online-Formate, die ausschließlich digital funktionieren. Und ja, nach einer Megapremiere oder einem Riesenkonzert schreibt man eben nachts vielleicht noch ein bisschen was für Online. Das Entscheidende aber ist, was man am nächsten Tag schreibt. Ob das dann digital ausgespielt oder gedruckt wird oder beides, das ist eigentlich egal. In dieser Hinsicht hat sich das Schreiben nicht verändert. Anderweitig jedoch schon: Als ich anfing, konnte Joachim Kaiser – Großkritiker wie es ihn qua Medienstruktur nicht mehr gibt – eine 300-Zeilen-Kritik über einen Pianisten verfassen und darin nur über eine bestimmte Stelle einer Beethoven-Sonate schreiben. Um letztlich explizit zu erklären, warum dieser Pianist jetzt super oder vielleicht eben nicht die größte Hoffnung ist. Das wäre heute nicht mehr möglich, dafür gibt es die Leserschaft nicht mehr. Für so einen Text braucht es Vorbildung. Das hat sich gewandelt. Was vielleicht gar nicht so schlimm ist. TK Inwiefern? ET Da die Zeitungen immer mehr unter Druck geraten sind, müssen sie besser überlegen, wie sie für den Leser attraktiv werden. Das verändert das Schreiben. Weil es animiert, darüber nachzudenken, wie der eigene Text sein muss, damit er vielEgbert Tholl

leicht zu Ende gelesen wird. TK Also geht es in der Lehre doch letztlich darum: Was sind die Punkte, die zeitlos sind? Was sind die Basics? Und was sind die vielen Fragen der Innovation? ET Die Basics sind gleichgeblieben – übrigens auch in der Schauspiel- und in der Regieausbildung. Worüber würden Sie am liebsten schreiben, Frau Uebler? MU Über Literatur. Es fühlt sich sicher an. Aber natürlich will ich mein Spektrum erweitern. Mir ist wichtig, über Dinge zu schreiben, die sich in der Kultur zeigen, aber dann einen Schatten werfen auf die Gesellschaft. Literatur sagt so viel aus über die Zeit, in der wir leben. Und man wird später lesen können, was die Ängste der Menschen waren. Auch in jeder Theaterinszenierung zeigt sich, was

Lehren und Lernen im Theater

Hätte mein Lebens- und ­Ausbildungsweg nach BolognaKriterien funktionieren müssen, wäre ich vermutlich nicht da, wo ich jetzt bin.


136

gesellschaftlich gerade geschieht. Man kann es natürlich auch nicht machen und Kunst einfach Kunst sein lassen. Aber ich will ausprobieren, wie es ist, diesen Studiengang Kulturjournalismus zu

TK Dann bleibt mir nur die letzte Frage an Frau Uebler. Zwei Jahre und viele Premierenfeiern – ist das ein schöner Gedanke? MU Für mich bedeuten die nächsten zwei Jahre auf

besuchen. Auch wenn mir von allen Seiten ein-

jeden Fall eine Pause von der immerwähren-

geredet wird, es nicht zu tun: eine viel zu harsche

den Frage: Und was machst du dann? Denn jetzt

Branche. Viel zu unfreundlich. Man kommt nicht

mache ich was, ich bin beschäftigt. Ich freue

rein. Man arbeitet ewig lang für wenig Geld. Man

mich einfach auf zwei Jahre, in denen ich mich

wird ausgenutzt.

ausprobieren kann. Und vielleicht finde ich raus,

ET Dass ich heute eine Anstellung habe, ist auch

dass Journalismus doch nichts mehr für mich ist?

einer Kette von Zufällen geschuldet. Nach mei-

Oder ich verliebe mich nochmal ganz neu in den

nem Magisterabschluss war ich ratlos. Genau

Journalismus? Und ehrlich gesagt ist es auch eine

da wurde dieser Studiengang gegründet. Ich

kleine Auszeit, um einfach mal nichts außer dem

hatte überhaupt nicht vor, Journalist zu wer-

erreichen zu müssen, was ich in dem Moment

den, schrieb aber als Bewerbung eine Kritik – und

mache. Das ist schön.

begann dann, Seminare bei C. Bernd Sucher zu belegen. Um sehr schnell festzustellen: Das ist großartig! Ich kann über das Gleiche schreiben, worüber ich vorher geschrieben hatte, also über das, was mich interessiert, aber ohne Fußnoten. Das fand ich ungeheuer befreiend. Der nächste Zufall war, dass ich das Praktikum bei der Süddeutschen gemacht habe. Ich hätte ja genauso gut eines bei einer anderen Zeitung machen können. Keine Ahnung, was dann passiert wäre. MU Aber der Punkt ist doch, dass wir in einer Welt leben, in der nichts mehr auf Zufall basieren kann, weil alles durchgeplant sein muss. In der den Eltern, dem Umfeld, dem Arbeitgeber Employability das Wichtigste ist. Da ist nichts mehr mit Zufall. Aber selbst wenn ich mir – auch im Vergleich mit den anderen Bewerber:innen – immer unterqualifiziert vorkomme, weil die alle schon so krass viel gemacht haben für diesen Studiengang: Ich habe einfach immer das gemacht, worauf ich Lust hatte. ET Ich glaube, das ist der bessere Weg. Hätte mein Lebens- und Ausbildungsweg nach Bologna-Kriterien funktionieren müssen, wäre ich vermutlich nicht da, wo ich jetzt bin.


Akademie der Bildenden Künste München Leitung Prof. Katrin Brack

Jahresausstellung 2023 Foto: Stephanie Zimmer

137

Studiengang Bühnenbild und -kostüm


138

Fotos: Paul Hiller


139

Lehren und Lernen im Theater


140

Fotos: Paul Hiller


141

Lehren und Lernen im Theater


142

Fotos: Paul Hiller


143

Lehren und Lernen im Theater


144 Jahresausstellung 2015 Foto: Christian Blank


145

Lehren und Lernen im Theater


146 Jahresausstellung 2015 Foto: Katrin Brack


147

Lehren und Lernen im Theater


148 Jahresausstellung 2023 Foto: Paul Hiller


149


150

06

Allianzen bilden


151

Allianzen bilden. Aktuelle Perspektiven auf das Berufsfeld Theater

„Das Theater hat ein Strukturproblem“, betitelte DIE ZEIT 2021 einen Artikel von Sonja Anders, der sich mit Machtmissbrauch in Theaterinstitutionen auseinandersetzt. Zu hierarchisch, zu ausbeuterisch, zu raumgreifend – dass der Arbeitsalltag am Theater in den lerweile so viel diskutiert, dass es einer Binsenweisheit gleichkommt. Stating the obvious. So augenfällig die Problematik ist, so komplex scheint der Lösungsweg zu einem faireren, besser entlohnten Arbeitsverhältnis mit gleichberechtigter Teilhabe zu sein. Nicht

Alle diese Netzwerke setzen sich für bessere Arbeits-

umsonst haben sich in den letzten Jahren neben der

bedingungen in einem Bereich ein, auf den sich starre

traditionsreichen Genossenschaft Deutscher Bühnen-

Regelungen aus anderen Arbeitszusammenhängen

angehöriger (GDBA), der ältesten Gewerkschaft für

nicht eins zu eins übertragen lassen. Denn künstleri-

Theaterschaffende, zahlreiche Netzwerke formiert,

sche Arbeit ist per definitionem enger mit der eige-

die sich um die Umstrukturierung und Neugestaltung

nen Persönlichkeit verknüpft als viele – bestimmt

des Berufsfeldes bemühen – das prominenteste unter

nicht alle! – Jobs. Das macht ihre Besonderheit aus.

ihnen das ensemble-netzwerk, aber auch andere Ini-

Und das birgt Gefahren.

tiativen, die sich inzwischen lose im ­Aktionsbündnis der Darstellenden Künste z ­ usammengeschlossen

Wie also ausbilden für ein Berufsfeld, das zugleich

haben (regie-netzwerk, dramaturgie-netzwerk,

künstlerisch dynamisch und strukturell erstarrt ist?

bipoc-netzwerk, Bund der Szenografen, Bundesver-

Wie viel müssen Curricula und Unterrichte ­vorgeben,

band Freie Darstellende Künste, Pro Quote Bühne,

und wie viel Freiraum braucht es für die E ­ ntwicklung

Ständige Konferenz Schauspielausbildung u. v. a.).

der eigenen künstlerischen Persönlichkeit? Und ­können bereits in der Ausbildung Weichen dafür gestellt werden, um die Strukturprobleme des ­Theaters anzugehen? Wir haben Absolventinnen und Absolventen verschiedener Studien- und Jahrgänge gefragt, wie sie aus heutiger Perspektive auf ihr Studium zurückblicken und welche Anforderungen sie an eine zeitgemäße Theaterausbildung stellen.

Allianzen bilden

allermeisten Fällen kein Zuckerschlecken ist, ist mitt-


152

Dr. Kathrin Mädler, Absolventin im Studiengang Dramaturgie 1997, Intendantin des Theaters Oberhausen und Co-Vorsitzende der Intendant:innengruppe im Deutschen Bühnenverein

Gemeinsam für schöne, wilde, eigenwillige, ­politische Kunst!

Ich bin oft aber erstaunt über das negative Bild vom Stadttheater, mit dem Studierende von den Hochschulen zu uns kommen: Ich halte diese Institution, bei aller Kritik, die man an ihr üben kann, nach wie vor für einen großartigen, produktiven, freien und gestaltbaren Raum für Theaterkunst, den es zu erhalten, zu verbessern und weiterzuentwickeln gilt. Und auch für eine große Chance zur individuellen Persönlichkeitsentfaltung. Deshalb wünsche ich dem Thea-

Die Studienzeit an der Bayerischen Theaterakademie

ter sehr, dass bei den Absolvent:innen weiterhin die

August Everding im (damaligen) Diplomstudiengang

Lust besteht und auch vermittelt wird, diese Institu-

Dramaturgie war eine Möglichkeit, sich als eigenwil-

tion mit Leben und ihren Perspektiven zu füllen und

lige Theaterpersönlichkeit zu suchen, auszuprobieren

mit Freude für die Zukunft zu gestalten. Und den Stu-

und zu verorten. Die Projekte an der Theaterakademie

dierenden wünsche ich, dass sie den inhaltlichen und

hingen stark von der Fähigkeit ab, sich „nach vorne

künstlerischen Gestaltungsraum, den das Stadtthea-

zu behaupten“, Allianzen zu schmieden, Möglichkeiten

ter bietet, erkennen und nutzen. Das gerät im Moment

schnell zu erspüren und sich selbstbewusst zu posi-

manchmal aus dem Fokus. Ich glaube auch, dass wir

tionieren – auch wenn man dieses Selbstbewusstsein

deutlich mehr Austausch zwischen den Theatern und

noch gar nicht hatte. Die damalige Parallelität von

den Ausbildungsstätten brauchen: damit sich die

Studium an der Universität und an der Akademie ver-

Theater durch die jungen Visionen schneller verän-

langte schmerzhafte Priorisierungsentscheidungen

dern können. Und damit die Studierenden die Struktur

und einen sicheren Fokus. All das hat gut vorbereitet

verstehen können, bevor sie ihren Platz darin ableh-

auf die große Freiheit und Selbstverantwortung, die

nen. Durch eine solche engere Verbindung könnten

eine Positionierung am Theater mit sich bringt. Aber

die notwendigen Veränderungsprozesse im Sys-

eben am Theater – ich erinnere mich, dass ich damals

tem und in der Struktur, die ohnehin im Gange sind,

sehr eindeutig und oft pragmatisch auf die Beschäfti-

gemeinsam konstruktiver ablaufen und damit schnel-

gung im Betrieb, im Stadttheater, zugegangen bin.

ler wieder den Fokus auf das Eigentliche freigeben: schöne, wilde, eigenwillige, politische Kunst!

Das ist heute sicher anders. Die Dramaturgie hat sich als Feld erweitert, diversifiziert, ist noch aufregender, vielfältiger, aber auch diskursiver und politischer geworden – wie das Theater und seine Formen und Formate selbst. Junge Dramaturg:innen scheinen mir unabhängiger, offener, eigenwilliger zu sein und sich bewusster als eigenständige Künstler:innen zu begreifen.

Die Dramaturgie hat sich als Feld erweitert, diversifiziert, ist noch aufregender, vielfältiger, aber auch diskursiver und politischer geworden – wie das Theater und seine Formen und Formate selbst.


153

Allianzen bilden


154

Armin Kahl, Absolvent im Studiengang Musical 2004, Ensemblemitglied im Staatstheater am Gärtnerplatz

Ein Schmelztiegel für die Welten des Theaters

Die verschiedenen Gewerke lernen sich kennen, sich schätzen. Und ob in den Projekten oder in der Kantine – man begegnet sich. Diese Begegnungen sind Gold wert, denn die Akademie ist hier wie ein Schmelztiegel, der die verschiedenen Welten des Theaters zusammenführt. Ob Bühnenbildner:innen, Regieführende, Schauspieler:innen, Sänger:innen, Musicaldarsteller:innen, Dramaturginnen und Dramaturgen, Theaterwissenschaftler:innen, Maskenbildner:innen … all das sind

Ich denke, man kann die Bayerische

Verbindungen, die später

Theaterakademie August Everding

genutzt und zu wichtigen

zu Recht eine Schmiede nennen. Eine

Allianzen ausgebaut wer-

künstlerische zweifelsohne, aber auch,

den können – und so meist

obgleich als Student nicht gleich offen-

ein verlässliches Netzwerk

sichtlich, eine bemerkenswert wirt-

bilden, das uns ein Berufs-

schaftliche Schmiede, die ihre Struktur

leben lang begleitet.

erst beim späteren Eintauchen in die Arbeitswelt offenbart. „Ach, Sie sind

Für mich als Musicaldar-

auch ein Everdinger, so wie ich?“

steller waren die Koopera­

Man steht als „Everdinger:in“ in der Arbeitswelt für solides und qualitativ hochwertiges Handwerk.

tionen, Koproduktionen Zugehörigkeit spiegelt sich in Emo-

und Gastspiele der Theaterakademie,

tionalität wider – in Empathie. Man

zum Beispiel mit den Bregenzer Fest-

ist stolz, an einer solchen Akademie

spielen, dem ETA-Hoffmann-Theater

gewesen zu sein, und fühlt sich mit den

Bamberg oder der Oper Erfurt, ebenso

nachkommenden Absolventinnen und

hilfreich wie die Begegnung mit mei-

Absolventen verbunden. Noch dazu

nen Kommilitoninnen und Kommilito-

steht man als „Everdinger:in“ in der

nen. Der Austausch mit diesen Teams

Arbeitswelt für solides und qualitativ

und H ­ äusern ermöglichte es mir, erste

hochwertiges Handwerk.

Kontakte außerhalb der Theaterakademie zu knüpfen. Für mich haben sich

Schon in der Ausbildung arbeiten die

dadurch wichtige Möglichkeiten und

unterschiedlichsten Bereiche gemein-

Verbindungen ergeben.

sam an Projekten, von klein bis groß: ob im Lichthof, im Akademietheater Mitte oder auf der ehrwürdigen Bühne des Prinzregententheaters!


155

Allianzen bilden


156


157

Olga Rex, Absolventin im Studiengang Maskenbild, Maskenbildnerin am Bayerischen Staatsschauspiel (Residenztheater)

die Branche entwickeln sich s ­ tändig

Der Mensch ist im Theater unersetzlich

weiter. Man darf nicht stehen ­bleiben. Der Austausch ist wichtig, sonst tritt man auf der Stelle. Genau diese dynamische Entwicklung des ­Studiengangs finde ich toll. Von Jahr zu Jahr spürt man das professionelle ­Wachstum der Studierenden. Ich beneide die Studierenden um die Möglichkeiten, bei berühmten, international a ­ nerkannten

habe ich an der Bayerischen Theater-

Maskenbildnerinnen und Maskenbild-

akademie August Everding im Studien-

nern zu lernen, Erfahrungen zu sam-

gang Maskenbild abgeschlossen. Gleich

meln und diese später in eigenen krea-

im Anschluss wurde ich ans Münch-

tiven Kunstprojekten zu präsen­tieren.

ner Residenztheater engagiert. Da wir

Ich freue mich für die Kolleginnen und

schon während des Studiums einige

Kollegen von der Theaterakademie,

Maskenbildner:innen aus dem Resi-

deren Namen ich in den Filmcredits

denztheater als Dozierende erleben

entdecke.

durften, kannte ich die ästhetischen und handwerklichen Anforderungen

Für das Studium braucht man Kraft.

der Abteilung. Ich erinnere mich gut

Ohne Fleiß kein Preis, auch nicht für

an meine erste Kunsthaarperücke am

die Talentiertesten. Anders geht es

Residenztheater, die ich immer noch

nicht. Aber am Ende des Marathons

mit Stolz bei meinen Präsentationen,

spürt man dieses unbeschreibliche

eigenen internationalen Meisterklas-

Gefühl der Genugtuung. Ich bin der

sen und Workshops zeige. Ich darf also

Bayerischen Theaterakademie August

behaupten, dass ich für den Berufsall-

Everding und dem

tag ziemlich gut vorbereitet war. Alles,

Theater insgesamt sehr

was ich gelernt habe, wende ich in mei-

dankbar für das, was

ner täglichen Praxis an. Der Beruf von

aus mir g ­ eworden ist,

Maskenbildner:innen ist sehr vielsei-

und für die Menschen,

tig. Nach dem Studium kann man sich

denen ich begegnet bin.

auf verschiedene Bereiche spezialisie-

Für das Studium braucht man Kraft. Ohne Fleiß kein Preis, auch nicht für die Talentiertesten.

ren: vom Theater bis zum Film. Das sind

Heutzutage wird – vor

verschiedene Welten. Man kann sich

allem im Filmbereich

natürlich frei für eine Spezialisierung

– immer mehr d ­ igital

entscheiden. Ich stehe jedoch sehr

gearbeitet. Ich weiß

gerne hinter den Kulissen.

nicht, wie rasch uns das Digitale einholen wird. Es erleichtert und beschleu-

Obwohl ich mit beiden Beinen im

nigt viele Prozesse. Aber auf der Bühne

Berufsleben stehe, möchte ich mich

kann man den Menschen nicht durch

immer weiterbilden, und versuche,

Computergrafik ersetzen. Deshalb

die Möglichkeiten dazu zu nutzen. Ich

bin ich zuversichtlich, dass das Hand-

nehme gerne an Make-up-Workshops

werk erhalten bleibt. Zu meinem großen

auf der ganzen Welt teil. Die Kunst und

Glück.

Allianzen bilden

Vor fast zehn Jahren, im Jahr 2014,


158

Jonas Zipf, Absolvent im Studiengang Regie 2009, Geschäftsführender Direktor Theater Kampnagel Hamburg

Eine Ausbildungs­ stätte der Selbstwirksamkeit und Verantwortung

­betriebliche Strukturen, auf Personal- und Organisationsentwicklung: Wie kann es sein, dass Regiestudierende als potenziell angehende Intendant:innen selten überhaupt etwas von Personalführung oder Betriebswirtschaftslehre gehört haben? Andererseits aber auch Darsteller:innen kaum zur ­Mündigkeit echter künstlerischer Co-Autor:innen in eigener

Inmitten der großen Transformation auf den Feldern

Sache erzogen werden? Wundert es da noch, dass die

der Nachhaltigkeit, Digitalität und Inklusion kommt

nachwachsenden Schauspieler:innen, Tänzer:innen

es mehr denn je darauf an, wandlungsfähig zu sein.

und Sänger:innen ein so großes Unbehagen gegen-

Das beginnt bei den Verantwortungsträger:innen

über den Governancestrukturen in den Theaterhäu-

von morgen – birgt aber die paradoxe Schwierigkeit,

sern landauf und landab verspüren?

dass es die Verantwortungsträger:innen von heute und gestern sind, die deren Ausbildung gestalten.

Die Theaterakademie der Zukunft muss eine Ausbil-

Dabei dreht sich alles um Erwartungsmanagement:

dungsstätte sein, die es sich nicht nur zugutehält,

Nicht wenige Studierende machen sich mit großem

dass sie erfolgreiche Künstler:innen über die Häu-

romantischen Vergnügen auf den Weg der Ausbil-

ser dieser Republik verteilen konnte, sondern auch

dung künstlerischer Berufe und finden sich nachher

selbstwirksame, verantwortungsbewusste und job-

in der schnöden prosaischen Trägheit des Kulturbe-

zufriedene Menschen mit ganzheitlich-kritischem

triebs in der Fläche wieder. Warum aber findet dieser

Blick auf die sie umgebenden gesellschaftlichen und

­Realitätscheck nicht schon früher in ausreichendem

betrieblichen Verhältnisse. Ein Anfang wäre die Eva-

Maße statt? Reicht es, sich im Rahmen von Praxis­

luation der bestehenden Studiengänge mit pädago-

projekten, Meisterklassen, Akademie- und Eleven-

gischen und psychologischen Instrumenten – eine

for­maten künstlerisch auszuprobieren?

Begleitung der Studierenden durch 1 : 1-Mentoring von Alumni und systemischen Coaches. Ein weiterer

Was aus meiner Sicht fehlt, das ist der Abgleich des

Schritt wäre die Mitbestimmung und Mitgestaltung

ersten P mit den zwei anderen P – Practice What You

der Curricula – die Chance der fortlaufenden Anpas-

Preach: Es geht nicht nur um künstlerische Arbeit

sung an eine sich ästhetisch wie gesellschaftlich und

am Programm, sondern auch um den Blick vor und

betrieblich dynamisch transformierende Umwelt. Eine

hinter die Bühne, den Blick auf die Entwicklung von

echte Pointe wäre schließlich Begriff, Wille und Vor-

Publikum und Personal. Theater ist eine Publikums-

stellung eines Theaterbetriebs als Modellort des Aus-

kunst – und doch spielt die Reflexion der Perspektive

probierens, Verhandelns und Anverwandelns neuer

und Wahrnehmung des Publikums in der Ausbildung

Formen des Arbeitens und Kommunizierens. Gehen

zu Darsteller:innen, Bühnenbildner:innen oder Regis-

wir es an.

seur:innen kaum eine Rolle. Warum beschäftigen sich nur angehende Dramaturg:innen und Theaterpädagog:innen mit Outreach und Audience Development? Sogar noch wichtiger erscheint mir der Blick auf




161

Laura Mangels, Absolventin im Studiengang Dramaturgie 2020, Dramaturgin am Theater Oberhausen

Dabei erschien mir das Berufsbild der Dramaturgie an der Theaterakademie stets konkret und frei zugleich.

Freiräume für Kunst und Experiment – Lasst uns Banden bilden!

Vielleicht gerade weil die Struktur so gut geölt funktionierte, konnten wir um die Kunst, um waghalsige, aber großartige Ideen kämpfen, neue Formate erfinden, uns manchmal an der Struktur abarbeiten, vor allem aber mit großer Ernsthaftigkeit und professioneller Ausstattung probieren und experimentieren. Durch die Vielzahl an unterschiedlichen Projekten schmiedete sich jede:r auf gewisse Weise einen eigenen Dramaturgiestudiengang. Diesen Freiraum für die praktische Arbeit zu ermöglichen, muss auch zukünftig Teil der Dramaturgieausbildung sein. Sich theoretisch für den Beruf bilden kann man sich an vielen Orten und auf vielen Wegen. Produktionen zu begleiten, die in einem geschützten Rahmen entstanden

akademie August Everding denke, erscheint als erstes

und einzig dem Zweck dienten, sich auf eine künstleri-

Bild vor meinem inneren Auge nicht das imposante

sche Suche zu begeben, halte ich in besonderer Erin-

Prinzregententheater, sondern der Innenhof der Aka-

nerung.

demie mit seinen alten Bäumen, den etwas zu akkurat gestutzten Beeten, ein paar gelben Liegestühlen und

Doch ich möchte auch die Seminare des Studien-

vor allem einem Wimmelbild Studierender, die disku-

gangs nicht missen – das Diskutieren über Texte und

tieren, Texte durchsprechen, Konzepte entwickeln –

Gesehenes, die Konzeptionsarbeit, die juristischen

oder gerade über nichts Geringeres als die Zukunft

Einblicke in den NV Bühne, bis hin zum Schauspiel-

des Theaters streiten. Der Innenhof ist für mich das

und Gesangsunterricht, der aus Dramaturg:innen viel-

Herzstück der Theaterakademie, weil man hier mit

leicht keine Bühnenkünstler:innen macht, aber für die

jeder Pore spürt, dass man Theater nur gemeinsam

spätere Arbeit als erste Zuschauerin in einem vertrau-

machen kann. Miteinander erfindend, miteinander

ensvollen Probenprozess das Wissen um das Hand-

ringend und miteinander suchend.

werk, Empathie und Demut stärkt.

„Wir sind ein richtiges Theater“, betonte unser Drama-

„Lasst uns Banden bilden“, war der geflügelte Spruch

turgie-Studiengangsleiter Prof. Hans-Jürgen Drescher

in unserem Seminar zu Spielplangestaltung bei Stefa-

gerne. Und es stimmt – durch das Aufeinandertreffen

nie Beckmann – diese Bande bildete sich in meinem

der verschiedenen Studiengänge und die Zusammen-

Jahrgang auch durch das internationale Festival an

arbeit mit den Abteilungen und Gewerken konnten

der Theaterakademie, das von Studierenden aller Stu-

wir vom ersten Projekt an das Theatermachen als

diengänge gemeinsam organisiert wurde. Ich freue

gemeinschaftlichen Prozess erleben und diese Erfah-

mich, dass sich die Theaterakademie in den letzten

rungen in die ersten Engagements mitnehmen. Durch

Jahren international und interdisziplinär immer weiter

die Zusammenarbeit mit den Regiestudierenden der

geöffnet hat. Auf viele neue Banden und Freiräume

Theaterakademie, aber auch durch Kooperationen mit

für die Kunst und das Experiment!

der Otto-Falckenberg-Schule, mit Festivals und der Freien Szene, durfte ich die Produktionsdramaturgie in all ihren Facetten in den unterschiedlichsten Kontexten kennenlernen und meinen Blick in der lebendigen Münchner Kunstlandschaft weiten.

Allianzen bilden

Wenn ich an meine Zeit an der Bayerischen Theater-


162

Fnot Taddese, Absolventin im Studiengang Schauspiel

Selbstständigkeit fördern

wie wichtig es ist, weiterhin im Training zu bleiben. Ich hätte mir gewünscht,

Ich bin dankbar, dass unser Studium

dass die Schauspielworkshops mit

so vielfältig war. Wir hatten die Mög-

Monolog- oder Szenenar­beiten ver-

lichkeit, in alles einzutauchen und uns

bunden worden wären, damit wir die

nicht nur mit Schauspieltechniken, son-

Techniken gleich anwenden können.

dern auch mit verschiedenen Aspek-

Ich denke auch, dass der Studiengang

ten des Berufs auseinanderzusetzen.

großes Glück hat, einen Chubbuck-Leh-

Uns wurde ein Handwerk vermittelt,

rer als Studiengangsleiter zu haben. *

* Chubbuck-Technik

auf das wir uns im Beruf stützen sollten

W ­­ ir hatten von Zeit zu Zeit Foren, in

Die „Chubbuck-Technik“ ist

und konnten. Als ich dann in den Beruf

denen uns diese Technik nähergebracht

eine zwölfstufige Technik,

einstieg, war ich trotzdem überfordert

wurde, und ich wünschte, ich hätte

die von der in Los Angeles

und orientierungslos. Ich wusste nicht,

davon viel öfter Gebrauch gemacht. Vor

lebenden Schauspiel-

wo ich anfangen sollte. Mir wurde klar,

allem, da mir diese Technik momen-

trainerin Ivana Chubbuck

dass ich mich so sehr auf meine Leh-

tan eine solide Grundlage für meine

entwickelt wurde. Der Leiter

renden verlassen hatte, dass ich nie

Figurenarbeit bietet. Auffallend war

des Studiengangs Schau-

gelernt hatte, eigenständig zu arbeiten.

auch, dass wir Lehrende hatten, die alle

spiel an der Bayerischen

Ich hatte nicht gelernt, die Techniken

ihre eigene Art hatten, an einer Rolle

­Theaterakademie August

anzuwenden, nachdem wir sie erlernt

zu arbeiten. Das ist notwendig, um zu

Everding, Prof. Jochen

hatten.

verstehen, welche Herangehensweise

Schölch, absolvierte 2018

einem mehr liegt und warum. Es wäre

eine ­Ausbildung zum

Glücklicherweise hatte ich Kollegen

hilfreich gewesen, wenn wir noch mehr

Dozenten für diese ­Technik

und Kolleginnen, die mich unterstützt

Eigenarbeiten gehabt hätten, um das

bei Ivana Chubbuck, die

haben, und Lehrende aus der Theater-

Gelernte selbstständig zu vertiefen und

bereits mit ­preisgekrönten

akademie, an die ich mich auch heute

Herausforderungen eigenständig zu

Schauspieler:innen wie

noch wenden kann. Uns wurde immer

meistern.

Halle Berry, Brad Pitt oder

gesagt, dass wir die Möglichkeiten, die

Jim Carrey zusammenge-

uns die Theaterakademie bietet, nut-

Abschließend kann ich sagen, dass ich

zen und fragen sollen, wenn wir etwas

sehr froh bin, an der T ­ heaterakademie

anderes brauchen oder lernen wol-

studiert zu haben. Ich konnte mich

len, denn es kann sehr kostspielig sein,

sowohl beruflich als auch persönlich

den Unterricht, den wir hier bekom-

weiterentwickeln. Ich habe versucht, so

men, privat zu finanzieren. Und das

viel wie möglich mitzunehmen, weil ich

stimmt. Ich freue mich, dass das Düs-

wusste, dass ich diese Zeit nie wieder

seldorfer Schauspielhaus, an dem ich

zurückbekomme. Uns wurde oft gesagt:

aktuell engagiert bin, Gesangs- und

Das Lernen fängt im Beruf erst ­richtig

Sprechunterricht anbietet. Für wei-

an. Dem stimme ich auch zu. Aber die

teren Schauspiel- und gelegentlichen

vier Jahre Studium haben mir einen

Tanzunterricht komme ich privat auf.

guten Start gegeben. Ich bin gespannt,

Ich habe unterschätzt, wie schnell der

welche Veränderungen der Studien-

­Körper ohne ­Unterricht ­einrostet, und

gang in Zukunft noch erfahren wird.

arbeitet hat.


Leute, tauscht euch aus!

163

Irina Ries, Absolventin im Studiengang Schauspiel 2007, Schauspielerin, Mitglied des ensemble-netzwerks und stellvertretende Landesverbandsvorsitzende in der GDBA

Basis bin ich mittlerweile neben zahlreichen Bühnenproduktionen und kleinen filmischen Projekten auch erfolgreich als Coachin, produziere international tourende Eigenproduktionen mit meinem Pianisten und inszeniere. Was mir fehlte? Ich wünsche mir, Rechte und Pflichten würden stärker thematisiert werden. Zur Abschlusswoche „mit den Pferden“ bekamen wir im 7. Semester einen Nachmittag lang ein Briefing in Sachen NV Bühne. Das sollte in einer exzellenten Hochschule ebenso viel Gewicht haben wie Sprachwissenschaft­ liches. Traurigerweise wissen einige Dozierende nicht

schen Theaterakademie August Everding im Mai 2003

einmal, wer oder was die GDBA ist oder der NV Bühne.

bekam ich den Tipp, noch mal so richtig Urlaub zu

Es ist der Tarifvertrag, der einen Großteil dieser Rechte

machen, da es dann „einfach durchgeht“. Den Stun-

und Pflichten an vielen Theatern regelt. Gewerkschaf-

denplan von 44 bis 47 Wochenstunden mit einem

ten wie die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Ange-

reichhaltigen Angebot nahm ich sehr ernst. Es wird

höriger (GDBA) verhandeln Arbeitszeit- und Honorar-

schon alles seinen Grund haben. Atmen, Afro, Aikido,

regelungen. So muss nicht jede:r alle Details selbst mit

Fechten, Sprechen, Singen, Szenisches Arbeiten und

den Arbeitgeber:innen verhandeln und bei Streitigkei-

Theorie bei Prof. Marko, dem wandelnden Lexikon

ten haben wir einen Berufsrechtsschutz. GDBA sind wir

u. v. m. Es hatte alles seinen Grund (und auch mein

Schauspieler:innen, Sänger:innen, Maskenbildner:in-

Arbeitsalltag hat seit 16 Jahren 40 bis 60 Wochen-

nen, Inspizient:innen etc. – ein Zusammenschluss aller

stunden). Ich bin Schauspielerin und verstehe mich

Bühnen-Beschäftigten in den darstellenden ­Künsten.

als Handwerkerin. Meine Arbeitsmittel sind mein Kör-

Es gebührt sich, Teil dieser Solidargemeinschaft zu

per und meine Stimme, gepaart mit Fantasie. Um

sein, ob aktiv oder passiv, und damit das eigene

alles nutzen zu können, braucht es ständiges Training,

Arbeitsleben zu verbessern. Für Studierende ist das

körperliche Fitness wie geistige Aufnahmefähigkeit.

kostenfrei.

Alles baut aufeinander auf oder hängt zumindest voneinander ab.

Persönliche Befindlichkeiten (nicht zu verwechseln mit Wohlbefinden) haben bei der Arbeit von uns Handwerker:innen herzlich wenig zu suchen. Wir

Im Studium vermitteln verschiedene Lehrende ver-

Künstler:innen brauchen ein hohes Maß an Selbst-

schiedene Ansätze und Praktiken. Nicht mit allen kann

reflexion und ein realistisches Selbstbewusstsein,

jede:r sofort etwas anfangen, und doch bereitet es

gepaart mit einer großen Kommunikationsbereit-

darauf vor, dass wir im Berufsalltag ständig in unter-

schaft. Damit kann gelingen, dass ein Vertrag auf

schiedlichen Personenkonstellationen verschiedenste

Augenhöhe geschlossen wird. Das heißt auch, dass

Bühnenwerke interpretieren, spartendurchmischt

Verhandlungen mal scheitern. Es heißt aber auch,

unterwegs sind, unterschiedliche Genres drehen,

dass ein hohes Maß an Zufriedenheit erreicht werden

synchronisieren, performen, musizieren. Für meinen

kann.

Berufsalltag auf der Bühne und als Sprecherin hatte ich einiges im Gepäck. Die nachfolgenden Generatio-

Liebe Leute, tauscht euch aus: über Gagen, Gewohn-

nen lernen wohl noch mehr, wie man dreht und selbst

heiten, Steuerfragen, ALG I und vieles mehr! TOI TOI

produziert! Das ist gut. Mit all diesem Handwerk als

TOI für Euren Weg!

Allianzen bilden

Nach bestandener Aufnahmeprüfung an der Bayeri-



165


166

Danae Kontora, Absolventin im Studiengang Musiktheater 2015, Opernsängerin

anders ist. Auch jede Lebensphase ist anders und das Üben und Vorbereiten kann so, so oder so aussehen. Ich

Es gibt nicht den einen Weg!

habe gelernt, allein zu entdecken, zu experimentieren. Und ich habe gelernt, mich weniger für das zu verurteilen, was ich noch nicht kann und weiß, und mehr auf das zu konzentrieren, was ich als nächstes schaffen möchte. Ich habe gelernt, Dinge nicht persönlich zu nehmen. Ich habe gelernt,

Als ich nach dem Studium direkt ins

auch meine Erlebnisse und

Berufsleben einstieg, musste ich gleich

Gedanken nicht persönlich

zu Beginn meines Engagements eine

zu nehmen.

Partie übernehmen, die ich noch nie

Ich habe gelernt, allein zu entdecken, zu experimentieren.

gesungen hatte und die ich in kürzester

Wenn ich mir etwas wün-

Zeit einstudieren musste. Gleichzeitig

schen könnte, dann wäre

und ebenso kurzfristig erfuhr ich, dass

es, dass ich schon wäh-

ich in einem Konzert singen sollte. Ich

rend meines Studiums die

fühlte mich sofort überfordert, weil ich

Möglichkeit gehabt hätte, mich mit die-

an der Bayerischen Theaterakademie

sen Themen auseinanderzusetzen. Ich

August Everding immer genügend Vor-

habe an der Bayerischen Theateraka-

bereitungszeit hatte. Ich habe mit mei-

demie August Everding wahnsinnig viel

ner Gesangslehrerin, meinem Pianisten

gelernt, aber ich habe nicht gelernt,

und anderen Lehrenden immer sehr

nicht in den Kategorien von richtig und

gründlich an meinen Partien gearbeitet

falsch zu denken. Dabei sind wir Künst-

und wusste im Voraus, was ich zu tun

ler:innen. Natürlich gibt es Dinge, die

hatte. Daher war es für mich zunächst

besser funktionieren, und andere, die

eine Herausforderung, auf Knopfdruck

nicht so gut funktionieren. Und es ist

funktionieren zu müssen. Ich hatte das

wichtig zu lernen, wie man das unter-

Gefühl, dass mir jegliche Kontrolle über

scheiden kann. Viel wichtiger, als zu ler-

meine Vorbereitung genommen und

nen, was funktioniert. Ich fände es toll,

von mir erwartet wurde, plötzlich ganz

wenn es Unterricht darüber gäbe, wie

anders zu funktionieren. Ich konnte

man lernt. Ich hätte gerne Unterricht in

nicht mehr ‚das‘ Modell anwenden, dem

Improvisation gehabt. Es wäre wichtig,

ich bis dorthin gefolgt war.

zu untersuchen, wie wir uns der Kunst nähern, wie wir dadurch originelle und

Genau das ist aber das Schöne an

bedeutsame Interpretationen entwi-

meinem Beruf. In den vielen Jahren

ckeln können. Und ich fände es wichtig,

meiner Tätigkeit habe ich meine Metho-

schon im Studium mental auf den Beruf

den ständig geändert, habe gelernt,

vorbereitet zu werden, weil das ist bei

dass es nicht den einen Weg gibt, um

uns Künstlerinnen und Künstlern so

zu einem Ergebnis zu kommen. Dass

unfassbar wichtig ist.

jede Situation, jede Partie, jede Bühne


Kritik ist tot. Es lebe die Kritik. Warum Kulturkritik gerade sehr viel Spaß macht.

167

Maximilian Sippenauer, Absolvent im Studiengang Kulturkritik 2018

blasen. So zumindest redeten wir uns die allgegenwärtige feuilletonistische Trauerstimmung zu Studienbeginn schön: Die Kritik ist tot. Es lebe die Kritik. Heute, einige Jahre später und mit einiger Erfahrung als Kulturjournalist, weiß ich, wie wertvoll diese Zeit war. Vor allem die Freiheit, die das Studium an der Theaterakademie (im Gegensatz zu den meisten Journalistenschulen und Volontariaten) zuließ, genauso wie der allein schon räumlich bedingt enge Austausch mit Kunstschaffenden und das große Netzwerk mit anderen Kulturjournalistinnen und -journalisten. Klar, viele unserer Formatideen sind geschei-

einer Beerdigung. „Der Großkritiker“, hieß es da

tert. Aber eine bessere und lehrreichere Erfahrung,

allenthalben, „ist tot“ – also die Sozialfigur, die aber

als den Karren einmal mit überschaubarem Risiko an

geschlechterübergreifend. Und blieb etwas einzuwen-

die Wand zu fahren, kann man kaum machen. Das ist

den? Es stimmte ja. Allein die Vorstellung einer einzel-

ein geistiger wie nervlicher Fahrsicherheitstest. Trotz-

nen Person, einer Kulturgravität, die Daumen hebend

dem ist Kulturjournalismus nur zum Teil Experiment.

und senkend durch die Kulturstätten der Republik

Vor allem bedeutet er Handwerk: sehen lernen, ver-

schreitet … nein, kein Defibrillator dieser Welt könnte

stehen lernen, schreiben lernen, erzählen lernen. Das

sie zurückholen. Die Seele der Kritik hatte sich von

gilt für alle Formate, für jedes Medium. Erst in aller-

ihrem Körper verabschiedet. Sargdeckel drauf. Adieu.

letzter Instanz ist Kritik Bewertung. Zunächst kreiert

Für unsere kleine Gruppe von Studierenden hätte dies

sie Kontexte, die im besten Fall weit über Referenz-

ein Schock sein müssen – schließlich war ja unser

Dropping hinausgehen. Diese Aufgabe wird mit dem

Anliegen, Kritiker:innen zu werden. Tatsächlich war es

Aufkommen von Künstlicher Intelligenz, diesem digi-

eine Befreiung. Eine, die uns – wie sich zeigen sollte –

talen Dampfplauderer, der alles und jeden kennt, aber

auf vieles von dem vorbereitet hat, was einem im heu-

gerne auch mal ein passendes Zitat erfindet, noch

tigen Alltag als Kulturjournalist:in blüht.

wichtiger – und sicher auch reizvoller.

Schließlich liegt auch in der Kunst so einiges im Ster-

Ich bin in den letzten sieben Jahren während und

ben. Das Theater ächzt, die Kinos schließen, Litera-

nach meinem Kulturjournalismus-Studium in vie-

tur verstaubt, Musik wird über die falschen Medien

len Medienhäusern und Redaktionen gewesen. Meine

gestreamt. Und dann noch die Pandemie, die sich wie

Beobachtung: Oft ähneln sich die Menschen einer

ein gewaltiges Megafon auf diesen Schlund kultur-

Redaktion. Nur nicht in den Feuilletons: Dort tummelt

sektoralen Wehklagens setzte. Hört man genauer hin,

sich ein zoologisch kaum katalogisierbarer Reichtum

betreffen die tektonischen Beben aber vor allem das

an widersprüchlichsten Köpfen und Arten. Spezialis-

Geschäftsmodell „Kultur“. Branchengewissheiten brö-

ten, Wortklauber, Allrounder, Aktivisten, Ideologen,

ckeln. Der Markt wird digital und diffus und ein kano-

Essayisten, Insider, solche, die aus tiefer Überzeu-

nischer Kulturbegriff fragwürdig. Das ist an mancher

gung gendern, und andere, die es mit derselben

(übrigens nicht jeder) Stelle beklagenswert, sagt aber

Überzeugung ablehnen. Ein guter Ausbildungsort

wenig über das generelle Bedürfnis nach Kunst und

für Feuilleton ist eine Brutstätte, die genau solchen

Kultur aus. Das ist größer denn je – und unübersicht-

Artenreichtum ermöglicht. Und nur für die, die es

licher. Genau hier liegt die Herausforderung für Kritik.

interessiert: Manchmal werden sie in diesem Bunt tat-

Zwischen Formaten oszillieren, Orientierung schaf-

sächlich noch gesichtet. Seltene Exemplare des sich

fen, wachsame Gegenwartsschau, keine Angst vorm

plusternden Großkritikers. Manchmal rollen sie noch

Danebenliegen, Pseudo-Großkritiker aus dem Frack

ihr schillerndes Pfauenrad aus Edelfedern.

Allianzen bilden

Mein Studium des Kulturjournalismus begann mit


168

07

Ausblicke


169

Fragen von Studierenden an das Theater und die Theaterakademie der Zukunft Welche konkreten Strukturen können wir im Akademiealltag schaffen, die trotz professionellen Anspruchs ein angstfreies kreatives Tun ermöglichen und Scheitern erlauben? Wie kann die Akademie die Studierenden auf den Arbeitsalltag am Theater vorbereiten und ihnen gleichzeitig institutionskritische Perspektiven vermitteln, um sie in zukünftigen Engagements besser vor Ausbeutung und Machtmissbrauch zu schützen?

Wie kann ein Theater aussehen, das sowohl das Abopublikum anspricht, als auch jüngere Generationen und Communitys, die vielleicht bisher noch nicht ins Theater gehen, als Publikum der Zukunft mobilisiert? Clara Bender, Studiengang Dramaturgie

Theaterbetriebe versuchen alle, diverser zu werden. Wie schaffen wir es in der Ausbildung, schon sichere Räume für Diversität zu schaffen? Wie kann man Lern- und Arbeitsverhältnisse schaffen, die uns nicht bis an unsere Leistungsgrenzen erschöpfen? Wie können wir auf Augenhöhe zusammenarbeiten und dabei gleichzeitig professionelle Distanz zwischen Lehrenden und Studierenden schaffen? Wie können wir das Potenzial der Theaterakademie, mit den acht verschiedenen Studiengängen interdisziplinär zusammenzuarbeiten, besser ausschöpfen? Wie viele Tarifverhandlungen sind noch nötig, bis Theaterberufe fair bezahlt werden? Wessen Geschichten wollen wir auf

Wie gestaltet die Theaterakademie August Everding ihre Zukunft, um die Studierenden optimal auf die vielfältigen Herausforderungen der modernen Theaterwelt vorzubereiten? Stefan Siebert, Studiengang Schauspiel

der Bühne erzählen und warum? Çağla Şahin, Studiengang Schauspiel

Ausblicke

Wie schaffen wir es als Lernende und Lehrende, unsere künstlerischen und theoretischen Diskurse durch nichtdominante Perspektiven zu bereichern?


170

eins Ich stehe in der Schlange am Münchner Flughafen, schlechten Gewissens, und entdecke auf dem Absperrband: „M – Verbindung leben“. Aha, denke ich mir, die Verbindung, sie kommt mit einer Portion Kerosin und in letzter Konsequenz mit dem klimatischen Abgrund daher. Und doch: Ich fliege, um Corona-bedingt eingeschlafene Verbindungen neu zu knüpfen. Um mit meinen mir unbekannten Nich-

Wer wird unser Publikum sein? In welche Richtungen wird sich die Erwartungshaltung an Oper und Theater weiterentwickeln?

ten eine geteilte Erfahrung in einem geteilten Raum machen zu können. Und da denke ich an das Theater: die gemeinsame Raum-Zeit-Erfahrung, in der das Potential zu eben jenem „Verbindung leben“ aller Anwesender für mich das Entscheidende ist, Verbindungen können neu geknüpft werden, Schaltstellen auf ungeahnte Weise

Tamara Obermayr, Studiengang

miteinander kommunizieren – das transformierende

Musiktheater/Operngesang

Potential muss in der Beziehung liegen. Und gleichzeitig sehe ich immer wieder in Produktionsprozessen die Verbindungen, welche die Bedingungen zum Theatererlebnis sind, vernachlässigt. Eine ausgebrannte Künstlerin erzählt uns Zuschauer:innen von der neoliberalen Selbstvermarktungshölle, während eben jene ihre Lebensrealität bildet und sich diese in ihrem Sprechen auf der Bühne zwar zeigt, aber nicht reflektiert. Oder Diskriminierung, die auf den WeltBrettern großspurig kritisiert, im Schnürboden, der

Wie können wir es ­schaffen,

Kantine, der Garderobe aber weggelacht, wegigno-

Theater für die nächste

riert oder weggeschoben wird.

Generation in einer zunehmend technischen Welt

Aber ich bin überzeugt, dass ein Theater, dass Verbindungen schaffen will, seine eigenen

zugänglicher zu machen? Wie holen wir die Kinder ins Theater, deren Eltern nicht die nötigen finanziellen Mittel für einen Theaterbesuch haben? Svea Harder, Studiengang Musical

Welches Publikum wollen wir innerhalb der Münchner und deutschen Kulturlandschaft ansprechen?

Ist die Akademie an ihr Gebäude gebunden oder kann sie dynamisch auch andere Spielstätten in der Stadt/im Land/im Bund einnehmen? (und somit auch neues Publikum ansprechen) Kann die Akademie nicht nur professionelle Erstausbildungsstätte sein, sondern auch einen Jugend- und generationenübergreifenden Spielclub anbieten und Trainingsstätte für im Berufsleben stehende Alumnae und Alumni sein (Bewegung, Stimme, Schauspielmethodentrainings etc.)? Max Koltai, Studiengang Schauspiel


171

­Verknüpfungen reflektieren muss – um einen Gegenraum zu kreieren, in dem die Utopie einer anderen, solidarischen und respektvollen Gesellschaft aufblitzt. Das wäre ein Theater der Zukunft, das seine Haltung lebendig hält. zwei Welche Zukünfte können wir heute leben? Wie kann das Theater ein Ort der Begegnung werden, der eine hoffnungsvolle Zukunft aufblitzen lässt? Hier, heute, im Jetzt – auf ein zukünftiges Lebensgefühl, in dem sich die Dystopie nur als Mahnung bewahrheitet hat. drei Plädoyer für die überhörten Stimmen

Wie unterscheidet sich das Prinzregententheater von anderen Theatern, künstlerisch gesehen?

Ihr sprecht seit Anbeginn, Eure Stimme ist wundge-

Fee Suzanne de Ruiter,

sprochen, verstummen lässt Euch die Übermacht der

Studiengang Musik-

(vermeintlich) immer-schon-da-gewesenen Klang-

theater/Operngesang

farbe. Aber ich will Euch hören, ich will zuhören und verstehen, lernen, will Euch die Bühne bereiten, und mit Euch den immer gleichen Klang einfärben, Euer Wissen formt, gestaltet diesen neu, dass Ihr Euch ein Bett baut, in dem ihr wohnen könnt, das Euch aufnimmt und auf Eure Stimme reagiert. Nicht Ihr müsst sprechen (denn das tatet Ihr nie nicht), sondern wir müssen zuhören, hören, was Ihr Und irgendwann hoffe ich, dass Eure überhörten Stimmen von allen vernommen und dieses Plädoyer obsolet wird. Fabiola Kuonen, Studiengang Regie

Akademie im Besonderen sind Orte, an denen nur gemeinsam etwas gestaltet werden kann. Niemand kann für sich alleine, sondern nur in der Zusammenarbeit eine künstlerische Vision verwirklichen. Das Theater / die Akademie steht zu jeder Zeit und besonders in unserer von Krieg und Krisen geformten Gegenwart vor der Herausforderung, kein starres Konstrukt zu sein und trotzdem ein Fundament zu bilden, auf dem vielfältige Veränderungsprozesse stattfinden können. Auf die Fragen nach der künstleri-

Wie kann die Zusammenarbeit der Studierenden in Zukunft aussehen? Wie können am Theater und an der Akademie Synergien zwischen den verschiedenen Arbeitsstrukturen und künstlerischen Vorstellungen geschaffen werden?

schen Arbeit am Theater – der Relevanz der Stücke, der Ästhetik einer Inszenierung oder das Interesse eines Publikums – können oft keine eindeutigen oder endgültigen Antworten gefunden werden. Die Antworten waren gestern anders, als sie morgen sein werden, und sie müssen jeden Tag

Wie können wir es schaffen, weiterhin

neu gestellt werden. Ein Teil der Auf-

ein interessiertes Publikum zu finden,

gabe besteht darin, sich diese Fra-

dass die Begeisterung in der Beschäf-

gen immer wieder neu zu stellen, nach

tigung mit dem Theater teilt?

vielfältigen Antworten zu suchen und

Wie können wir das Theater als Refle-

neue Perspektiven zu entwickeln.

xionsebene der Gesellschaft sichtbar

Esther Beisecker, Studiengang

machen?

Dramaturgie

Ausblicke

schon immer zu sagen habt.

Das Theater im Allgemeinen und die


08

Einblicke


173


174


175


176


177


178




181



183


184


185




188


189


190


191


192



194


195


196


197


198

09

Informationen zum Studium an der Bayerischen Theaterakademie


In Kooperation mit der Hochschule für Musik

Masterstudiengang Dramaturgie In Kooperation mit der Ludwig-Maximilians-

und Theater München

Universität München Studienart: Masterstudiengang, 2 Jahre

Studienart: Intensivstudiengang, 4 Jahre

Abschluss: Bachelor of Arts (6 Semester),

Abschluss: Master of Arts

Master of Arts (3 Semester), Verzahnung

Studienbeginn: Wintersemester

beider Studiengänge ab 6. Semester möglich

► ►

199

Studiengang Schauspiel

Leitung: Prof. Dr. Barbara Gronau

Studienbeginn: Bachelor: Sommersemester,

Master: Wintersemester

www.theaterakademie.de/dramaturgie

Leitung: Prof. Jochen Schölch

Masterstudiengang Musiktheater/ Operngesang In Kooperation mit der Hochschule für Musik

Studiengang Maskenbild – Theater und Film In Kooperation mit der Hochschule für Musik

und Theater München Studienart: Intensivstudiengang, 4 Jahre

Abschluss: Bachelor of Arts, Master of Arts;

Verzahnung beider Studiengänge ab

und Theater München

6. Semester Bachelor möglich

Studienart: Masterstudiengang, 2 Jahre

► ►

Abschluss: Master of Music

Studienbeginn: Wintersemester

Leitung Prof. Balasz Kovalik,

Studienbeginn: Bachelor: Wintersemester,

Master: Wintersemester Leitung: Prof. Verena Effenberg

KS Prof. Andreas Schmidt www.theaterakademie.de/maskenbild www.theaterakademie.de/operngesang

Studiengang Musical In Kooperation mit der Hochschule für

Diplomstudiengang Bühnenbild und -kostüm In Kooperation mit der Akademie der

Bildenden Künste München

Musik und Theater München Studienart: Intensivstudiengang, 4 Jahre

Studienart: Freie Kunst, 4 bis 5 Jahre

Abschluss: Bachelor of Arts, Master of Arts

Abschluss: Diplom

Studienbeginn: Bachelor: Sommersemester,

Studienbeginn: Wintersemester

► ► ►

Master: Wintersemester

Leitung: Prof. Katrin Brack

Leitung: Prof. Marianne Larsen

www.adbk.de www.theaterakademie.de/musical

Studiengang Regie für Musik- und Sprechtheater, Performative Künste

Masterstudiengang Kulturjournalismus In Kooperation mit der Hochschule für

Musik und Theater München

In Kooperation mit der Hochschule für Musik

und Theater München

Studienart: Masterstudiengang, 2 Jahre

Abschluss: Master of Arts

Studienart: Intensivstudiengang, 4 Jahre

Abschluss: Bachelor of Arts, Master of Arts;

► ►

Verzahnung beider Studiengänge ab

Studienbeginn: Wintersemester

Leitung: Prof. Dorte Eilers

6. Semester Bachelor möglich Studienbeginn: Bachelor: Sommersemester,

www.theaterakademie.de/kulturjournalismus

Master: Wintersemester Leitung: Prof. Sebastian Baumgarten

Allgemeine Informationen unter: www.theaterakademie.de/regie

www.theaterakademie.de

Informationen zum Studium an der Bayerischen Theaterakademie

www.theaterakademie.de/schauspiel


Impressum DAS FLÜCHTIGE GESTALTEN Dreißig Jahre Bayerische Theaterakademie August Everding Herausgegeben von Barbara Gronau (Präsidentin) für die Bayerische Theaterakademie August Everding Edition Bayerische Theaterakademie August Everding © 2023 by Theater der Zeit Texte und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich im Urheberrechts-Gesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Medien. Verlag Theater der Zeit Verlagsleiter Harald Müller Winsstraße 72 | 10405 Berlin | Germany www.tdz.de Konzept und Redaktion Maria Goeth, Barbara Gronau, Stefan Herfurth, Tim Kramer, Antonia Leitgeb

Bildnachweise Hanns-Jörg Anders: S. 31 unten; Bayerisches Hauptstaatsarchiv: S. 47–69; Bayerische Staatsoper: S. 84–85; Andreas Bohnenstengel: S. 176 oben; Anna Fabian: S. 82, 87–99, 102–105; Gigler & Masmann: S. 3, 174, 183, 186; Robert Haas: S. 177 unten; Regine Heiland: S. 22, 30, 172, 175 unten, 178 unten, 179, 180–181, 185 oben rechts, 187 oben, 188–189, 191 oben, 192, 194 Mitte links, 195 Mitte, 196 oben rechts, 197; Robert Hetz: S. 173 oben; Franz Kimmel: S. 193; Jens Masmann: S. 40, 41; Maximilian Mutzhas: S. 129, 191 unten; Alvise Predieri: S. 176 unten, 177 oben, 184 unten; Winfried E. Rabanus: S. 80, 185 unten, 187 unten, 190; Petra Schneider: S. 178 oben; Lioba Schöneck: S. 184 oben, 185 oben links, 189 oben, 194 Mitte rechts, 194 oben und unten, 195 unten, 196 links; Charles Tandy: S. 182 oben; Sabine Toepffer: S. 31 oben; Cordula Treml: S. 111–120, 130–133, 153–165, 175 oben, 178 Mitte, 182 unten, 195 oben, 196 unten; Ulrich Wessel: S. 173 unten; Stephan Wichtrey: S. 123–126. Trotz intensiver Bemühungen konnten nicht alle Bildrechteinhaber:innen ermittelt werden. Bitte melden Sie sich gegebenenfalls unter info@theaterakademie.de. Druck und Bindung aprinta druck GmbH Printed in Germany

Projektleitung Christa Donner / STUDIO DONNER Gestaltung Helmut Morrison GmbH, Florian Fischer Illustrationen Leonie Ott: Umschlag, S. 6-8, 14, 32, 45, 106, 150, 168, 198 @oh_leo_ott

ISBN 978-3-95749-486-3 (Paperback) ISBN 978-3-95749-500-6 (ePDF) Anschrift Bayerische Theaterakademie August Everding Prinzregentenplatz 12 81675 München info@theaterakademie.de Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Richard Stury Stiftung




Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.