4 minute read
EINE LIEBESERKLÄRUNG AN ... Bon Iver
Hätte ich irgendwie auch nicht gedacht, dass Justin Vernon mit seinem Soloprojekt Bon Iver mal ganz selbstverständlich Arenen füllen wird. Denn eigentlich hatte er dieses Projekt in der Abgeschiedenheit einer Jagdhütte in den Wäldern Wisconsins gestartet, wo er im Winter 2006/2007 seine Wunden leckte, mit einem depressiven Schub und einer Infektion kämpfte, seine zerbrochene Beziehung verarbeitete – und diesen Schmerz in neun Lieder goss, die er unter dem Namen „For Emma, Forever Ago“ veröffentlichte. Die Arrangements waren zart, der Sound karg, die Melodien groß, Vernons Kopfstimme auf waidwunde Weise schön – und Songs wie „Skinny Love“ und „For Emma“ perfekt für jeden Indie-KuschelRock-Sampler.
Ganz ehrlich: Ich fand dieses Album zum Wegpennen. Oder vielleicht eher die Leute, die es feierten. Klar, das Songwriting war gut, die Story dramatisch, die Stimme schon toll, aber ansonsten war das für mich der vertonte Hipster-Bart, Musik zum wehleidigen Waldwandern und Pilzesammeln. Meinetwegen auch in seiner Heimat Wisconsin. Spannend wurde Bon Iver für mich erst 2011 mit dem selbst betitelten zweiten Album, das zwar noch mit einer ähnlich verhuschten Waldgitarre startet, aber gleich im Opener „Perth“ schon Chorgesänge, militärisches Parade-Trommeln und schillernd glattpolierte E-Gitarren erklingen lässt. Mich freute, wie die vermeintlichen Kuschelfolk-Puristen sich an dem fett produzierten Sound, dem gewollten 80er-Schmock, den Flötensounds, dem bisweilen aufkommenden E-GitarrenGrollen störten. Die Experimentierlust, hier noch in eine Stoßrichtung gezügelt, kam wenig überraschend, wenn man wusste, dass Justin Vernon kurz zuvor bei einem der besten HipHop-Alben aller Zeiten mitgewirkt hatte und mit Kanye West an drei Songs auf „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“
Advertisement
BON IVER
gearbeitet hatte, unter anderem an „Monster“ und am herrlich spacigen „Lost In The World“. Dieser Song beginnt mit einem per Autotune frisierten Gejaule der schönsten Art von Vernon. Erst schmerzte mich dieses Geräusch – Autotune war noch ein eher unschön erinnertes Cher-Überbleibsel in meiner Empfindung.
Dass sich das für mich geändert hat, liegt an vielen Künstlerinnen und Künstlern, die mir bewiesen haben, dass man Popmusik mit diesem Effekt durchaus spannender machen kann. Aber Bon Iver trägt eine Hauptschuld daran. Erst im September 2016 erschien sein drittes Bon-Iver-Album mit dem Namen „22, A Million“. Schon eine Vorab-ListeningSession bei seinem deutschen Label hatte mich hart verstört, da dieses Album klang, als hätte Vernon erst die größten, zugänglichsten Indie-Hymnen des Jahrzehnts geschrieben – und sie dann mit Stimmeffekten, Störgeräuschen, und cheesy Saxofon-Parts genüsslich zersägt. Die Songs trugen zudem Titel, die die komplette SonderzeichenPalette eines Computers bespielten. Ich war eher skeptisch, als ich dann die Chance hatte, ihn im Innenhof des Berliner Michelberger Hotels live spielen zu sehen. Sein Label hatte rund 150 Leute eingeladen - Medien- und Geschäftspartner, Freunde des Hauses. Man bat freundlich drum, keine Fotos zu machen, was die eine oder andere Hipsterfresse leider missachtete, um den Insta-Post des Abends zu landen. Meine Wut verflog allerdings, als ich in der zweiten Reihe stehend in diese seltsame Musik gezogen wurde. Ich schrieb damals begeistert in einer Nachbesprechung: „Vernon spielt fast nur neues Material und macht dabei all das, was ich so lange gehasst habe. Fucking Autotune! Aber wie er damit seine Stimme als Instrument einsetzt, verfremdet, zerschießt, aufbläst – das hat schon fast eine hypnotische Wirkung. Und immer, wenn er sie mal kurz im schönen, reinen Klang – vielleicht nur ein klein wenig verhallt – ertönen lässt, um seinen alten Fans ins Herz zu stechen, beugt er sich danach nur um so energischer nach vorne, um der Sache mit den Knöpfen unter seinem Mikro ein Ende zu bereiten.“
Diese Show war klein und intim und vielleicht eine der besten, die ich in meinem Leben gesehen habe. Vielleicht ein klein wenig, weil sie so exklusiv war, ganz sicher aber, weil ich ihn das erste Mal live erleben konnte und weil er mich auf die schönste Weise verstört hat. Es sollte dann wieder zwei Jahre und eine Tourabsage „aus persönlichen Gründen“ dauern, bis ich Bon Iver dann in jener Band-Größe sah, mit der er in diesem Jahr die Arenen sprengen wird. Im Oktober 2018 besuchte er die Max-Schmeling-Halle und es fühlte sich an, als sei ein Ufo gelandet. Eine flimmernde, flirrende Live-Show, ein Musiker der kaum redet, aber die Engel singen lässt, eine Band, die fast an ein Dutzend ran reicht – und jeder Song ein Beweis, dass dieser Typ von Anfang an mehr war als einer dieser typischen wehleidigen Bärte mit Gitarre.
Ach, was soll ich hier noch weiterschwärmen. Ich könnte noch erzählen, wie mich eines seiner Lieder in der besten Folge der sehr guten Serie „Legion“ zu Tränen gerührt hat, wie er als letzter Act des letzten Tages auf dem Melt 2019 ein perfektes Festivalwochenende abschloss oder wie „U (Man Like)“ vom wieder großen Album „i,i“ aus dem letzten Jahr einer meiner Songs des Jahres wurde, weil er sich auf eine Art mit dem Thema Männlichkeit befasst, die diesem Thema gut tut. Aber hey, zieht euch doch einfach noch mal „22, A Million“ rein oder eines der zahlreichen Live-Videos auf YouTube – wer dann nicht hooked ist, dem kann ich auch nicht mehr helfen.
Daniel Koch
Am 20. April spielt Bon Iver in der Mercedes-Benz Arena, bevor der amerikanische Songwriter dann im Herbst noch einmal nach Deutschland zurückkehren wird. Am 7. November stoppt er in der LANXESS arena in Köln und am 10. November im Zenith München.