Applause 04/2020

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Bunte Tüte

„SUPERBUSEN“

DER POP-ROMAN, DEN WIR BRAUCHTEN

Es steht schon an anderer Stelle in diesem Heft und wurde nach den vielen Kommentaren und Meinungsstücken zum rassistischen Terrorakt in Hanau noch deutlicher: Die Medienbranche, die Radiowelt und auch der Podcast-Wald sind zum großen Teil noch immer sehr, nun ja, weiß. Wo man also die Meinung gutsituierter weißer Männer ständig vor der Nase hat, muss man immer noch ein wenig suchen, um mal zu erfahren, wie es sich als Mensch mit Migrationshintergrund eigentlich anfühlt, in diesem Deutschland zu leben. Eine gute neue Adresse dafür ist die Spotify-Produktion „Realitäter*innen“, bei der zwei sehr spannende Frauen der HipHop-Szene zu Wort kommen. Moderiert wird „Realitäter*innen“ von Gizem Adiyaman und Lúcia Luciano, die als DJ-Duo „Hoe_Mies“ schon seit Jahren auflegen und HipHop-Partys organisieren, die Frauen und queere Personen empowern sollen. Außerdem sind sie Netzwerkerinnen, Sprachrohr, Feministinnen und nun eben auch endlich Podcasterinnen. Eine logische Entwicklung, denn die beiden haben schon vorher in zahlreichen Interviews sehr schlaue Dinge gesagt und gefordert. Produziert wird „Realitäter*innen“ übrigens unter anderem von Su Holder, die früher für „Fest & Flauschig“ mit Schulz und Böhmermann zuständig war. In einem Statement zum Start sagten die beiden Moderatorinnen, Spotify ermögliche es ihnen, „einflussreiche Menschen aus unseren Communities einzuladen, ihre eigenen Geschichten zu erzählen, von denen wir alle viel lernen können. Wir werden uns gemeinsam mit unseren spannenden Gäst*innen über aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen austauschen, den Hörer*innen neue Denkanstöße bieten und dabei viel Spaß haben.” Im Podcast selbst sagen sie, man wolle sich: „Mehr austauschen, auch über Themen, die uns nicht jeden Tag begegnen.“ Die zu Drucklegung veröffentlichten drei Folgen ermöglichen genau das – und vor allem die Folge „Ist die Männlichkeit in der Krise?“ und „Warum Selbstbestimmung und Sexarbeit kein Widerspruch sind“ sind sehr erhellend und informativ – die Typen, die jetzt schon wieder beim „Gendersternchen“ steilgehen, wird man damit zwar eh nicht mehr erreichen, aber andere sollten sich hier mal eine neue Perspektive abholen. „Realitäter*innen“ gibt’s alle vierzehn Tage neu auf Spotify.

Von Profis empfohlen: MY UGLY CLEMENTINE An dieser Stelle wollen wir euch Tipps von echten Herzbluttäterinnen und -tätern präsentieren, die das Konzert- und Musikleben am Laufen halten. Eine gute Wahl sind dabei immer wieder Menschen, die an den Uni-Radios des Landes erste Erfahrungen machen und erste Akzente setzen. Sophia Sailer ist so ein Mensch – sie wohnt und studiert gerade eine Weile in Warschau, studiert aber „normalerweise“ Literatur- und Kulturwissenschaften sowie Journalistik in Dortmund, wo sie Musik-

chefin des Campusradios ist. Vor kurzem hat sie außerdem den Instagram-Account @ die_millenial eröffnet, auf dem sie sich in informativen Stories der Popkultur, dem Feminismus und gesellschaftlichen Themen widmet – und dabei auch jene Themen aufgreift, die viele nicht hören wollen – zum Beispeil Frauenhass im Pop und sexualisierte Gewalt. Sie empfiehlt euch einen Besuch des Konzerts von My Ugly Clementine am 14. April im Kukuun in Hamburg.

„Du möchtest mehr Frauen auf Bühnen sehen? Cool! Aber wie wäre es denn mit einer ganzen Bühne voller Frauen? Man nehme dazu noch etwas Post Punk, einen Hauch 60s-Gitarren und Texte mit feministischem Anspruch. Heraus kommt der sonnige Indie-Rock von My Ugly Clementine, einer Band bestehend aus vier Frauen, die in erster Linie Bock haben, zusammen Musik zu machen. Das klingt nicht bloß nach einem Erfolgsrezept, es ist auch tatsächlich eines. Letztes Jahr haben sie mit bloß einer Hand voll Songs ausverkaufte Shows gespielt und nun ist ihr Debütalbum kürzlich erschienen. Will heißen: ich würd’ mich beeilen!“

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STICKER-CHECK

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Vor kurzem schrieb sie noch für uns über Avril Lavigne, nun veröffentlicht die Autorin und Titanic-Redakteurin Paula Irmschler ihr Roman-Debüt. Und entstaubt das Genre Pop-Roman. Man muss sich dran gewöhnen, blöd angeschaut zu werden, wenn man sich in der U-Bahn ein Buch namens „Superbusen“ vor die Nase hält und immer wieder wissend lacht. Vermutlich hatte Paula genau solche Szenen vor Augen, als sie sich für den Titel entschied. Oder aber sie wollte – wie kürzlich passiert – bei Amazon auf Platz 1 der Liste „Liebesratgeber für lesbische Pärchen“ landen. „Superbusen“ heißt aber die Band, die Paulas Protagonistin Gisela mit ihren Freundinnen gründet, als sie von Berlin zurück nach Chemnitz zieht – eine Richtung, die man in der jungen deutschen Literatur ja eher selten erlebt. Überhaupt erlebt man selten so ein tolles, warmes, mitreißendes, lustiges, bitteres, zitatreiches Buch. Paula gelingt es sogar, den Glauben an das zurückzubringen, was mal „Pop-Roman“ hieß. Damit waren dann zum Beispiel „Soloalbum“ oder „High Fidelity“ gemeint – zwei Bücher, die wirklich alles andere als gut gealtert sind, was an ihrer Mischung aus Nerd-Chauvitum, Selbstverliebtheit und Weinerlichkeit liegt, die heute irgendwie creepy wirkt.

Fakten: e definitiv noch etwas Fam Rochen Airport könnten n knapp 130 ihne en folg ok ebo Fac Bei gebrauchen. es 80. Es gibt von ihnen Leute, bei Youtube sind die auf Autotune-Rap gs, Son ll dvo bisher eine Han – wenn wir das richtig en und verkiffte Elektronik setz Clips scheinen sie eoVid n ihre in en gesehen hab iere auf hiphop.de rem eop ein Duo zu sein. Eine Vid drei Jahren zeugt vor “ tino gos D‘A gi zum Lied „Gi da ein paar Leute h inlic che davon, dass sie augens h ungefähr einmal auc sie ten pos 7 201 kennen. Seit r Album kommt. Kam abe im Jahr, dass ein neues bis heute nicht. Musik: ort ist tatsächlich gar Die Musik von Rochen Airp tkrosounds vertragen -Ele Billo Die l. übe so nicht mal bisweilen so gehen: die cs, sich gut mit den, äh, Lyri , kleine Raupe, Seiden„Immer wieder kleiner, Tod ein Jahr, oh wie schön eht haar, immer wieder verg „Ich weiß nicht mehr, was ist Panama.“ Oder aber: t wie komm ich nach nich ß ich noch weiß, ich wei drücke ich auf Pause.“ Hause, ich weiß nicht wie also – und es gibt ja ore gal Autotune-Verpeilung t. , wo man das gerne hör durchaus Sinneszustände n verdan Um h.“ auc ich nn Und dann denkt: „Ka h nicht. mutlich zu merken: Doc Fazit: h sagen? Schöne Idee! Tja, was soll man hier noc die fettesten Props für den Rochen Airport kriegen ig rte machen bei ein wen Wo se Bandnamen. Die die , auf lten We ze gan bildhafter Fantasie gleich . der Seite bereisen möchte man mit Jules Verne an r abe sste mü n, iche erre Die Musik will das ebenso pointierter sein, oder entweder noch ein wenig sind auf jeden Fall genoch ein wenig irrer. Wir Album geben wird. ein als jem spannt, ob es

All das gibt es bei „Superbusen“ nicht. Paula erzählt lieber aus dem Alltag von Gisela – ein Alltag zwischen Pfeffi, Antifa, vor Nazis weglaufen, Bandgründen, Alltagssexismus, aber auch Freundschaft und Solidarität. Und auch wenn Paula in ihrem Titanic-Job unfassbar lustige Pointen rausfeuern kann und dieses Können hier auch hin und wieder zeigt, ist ihr Buch nicht (nur) der Witze wegen so gut, sondern auch weil unter dem „Superbusen“ ein großes Herz schlägt. Und immer wieder eine Art abgekämpfte Weisheit durch die Seiten dringt. Zum Beispiel hier: „Wir lebten in unseren WGs eine ganze Zeit recht gemütlich wie in Kokons zwischen Zynismus und dem Klischee von Teenage Angst, wobei wir für das eine zu jung und das andere zu alt waren.“

ICH WAR NOCH NIEMALS... AUF DEM JUNGFRAUJOCH Ich war noch niemals auf dem Jungfraujoch - das dürfte sich Udo Jürgens 1983 gedacht haben, als er im Taucheranzug unterm weißen Smoking am gläsernen Flügel seinen Song „Traumtänzer“ auf dem Jungfraujoch-Gletscher sang. Ein Hubschrauber hatte den Flügel aus dem Hause Schimmel auf den Gletscher gehievt. Die Bilder des Auftritts gingen damals um die Welt, Jürgens schrieb Video-Geschichte. Und die Japaner, die den Gipfel bestiegen, trauten kaum ihren Augen, als sie den Künstler in 3.454 Höhe in die Tasten hauen sahen. Wer mehr von Udo Jürgens sehen und hören möchte: Am 14. Mai feiert das Musical „Ich war noch niemals in New York“ seine Wiederaufnahme-Premiere im Stage Theater des Westens in Berlin. Tickets gibt’s auf Ticketmaster.de.

Foto: FBM

PODCAST DES MONATS


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