TOTALOPER Interview 02 michael glasmeier

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»Oper ist wie ein letzter Gesang der Unterwelt des alltäglichen Lebens.«

Interview mit Michael Glasmeier



Interview mit Dr. Michael Glasmeier

Michael Glasmeier Professor und Kunstwissenschaftler an der HfK; Autor; Barock-DJ Zuschauer bei ÂťLa Betulia LiberataÂŤ



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Guten Tag Herr Glasmeier, Theodor Adorno hat gesagt: »Alle Oper ist Orpheus.« Warum? Orpheus ist der Sänger, der die Unterwelt erweichen kann und Oper ist vielleicht, wenn sie gut gemacht ist, etwas wie ein letzter Gesang der Unterwelt des alltäglichen Lebens. Sie sind »Barock-DJ«, welche Scheibe ist für Ihre Sammlung unentbehrlich? Da gibt es viele. Was mich interessiert, sind Neuinterpretationen von alten Sachen wie zum Beispiel von Bachkantaten. Ich bin ein großer Freund dieser Kantaten und da gibt es im Moment durch die sogenannte AlteMusik-Bewegung einiges Spannendes in neuen Interpretationen. Die Werke werden mit sehr starker Rhythmik, in wunderbarer Rhetorik gerade von kleinen Ensembles gesungen und das macht mir viel Freude. Und warum gerade »Barock-DJ«? Den Begriff des DJs habe ich verwendet, weil ich an unserer Hochschule angefangen habe, an Abenden Schallplatten aufzulegen. Die Leute lagen auf dem Boden und dann habe ich ihnen meine Lieblingsarien, Lieblingsgesänge und Musikstücke vorgespielt. Das tat ich immer auf eine didaktische Art


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und Weise, indem ich Interpretationsvergleiche behandelt habe. Das ist aus einem Gefühl entstanden, dass ich von dem, was ich liebe, gerne etwas abgeben möchte und auch anderen Leuten etwas davon zeigen will. Was fasziniert Sie an der Epoche des Barock? Es ist die Faszination für die Bildende Kunst. Ich habe eine große Ausstellung gemacht mit dem Titel »Barock und Moderne«. Ich bin unglaublich begeistert von Caravaggio. Dazu kommt dann die Musik von Monteverdi bis hin zu Bach. Die Epoche begeistert mich deshalb, weil sie sehr stark intellektuell geprägt ist. Sie ist sehr stark auf das Geistige ausgerichtet und aus diesem Intellektuellen heraus können sich die größten Emotionen entwickeln, zu denen wir fähig sind. Ist das ein Grund dafür, dass die Oper im Barock entstanden ist? Die Oper im Barock ist aus einem Missverständnis entstanden – nämlich aus einer falschen Textanalyse. Eigentlich wollte man das Antike Theater rekonstruieren. Dann hat man bei der Lektüre festgestellt, dass die auch gesungen haben und man hat begonnen, es so weiterzuentwickeln. Gleichzeitig ist noch etwas anderes hinzugekommen. Für


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eine Arie ist ein gewisses Gerüst notwendig: das sogenannte Basso Continuo, ein stetiger Rhythmus, wie man ihn auch aus dem Jazz kennt. Auf dieser Grundlage des immer weitergehenden Basso Continuo entwickelt sich dann eine Arienstimme. Dieses Basso Continuo entstand im 16. Jahrhundert zusammen mit dem Material der höfischen Gesänge – von da war der Sprung zur Oper gar nicht mehr so weit. Welche Bedeutung hat die Oper für Sie heute? Keine. Bis auf die Barockoper mit den neuen Ansätzen von Dramatik. Die Interpretationen von Barockopern seit den 50er-, 60erJahren sind so perfekt, dass selbst die Countertenöre einen Schmelz besitzen. Das macht einen unglaublichen Spaß und ist für mich sehr avantgardistisch. Was ich aber oft nicht aushalten kann, sind die Inszenierungen von Barockopern, weil sie immer so tun, als müsste man alles in die heutige Zeit transportieren. Das sind Dinge, die mich stören. Ich schließe dann meist die Augen und höre mir die Musik an. Das reicht mir.


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»»Mir wäre eigentlich ein bisschen elitärer wesentlich lieber.« Sind Sie im Gegenzug ein Verfechter einer historisch rekonstruierten Oper aus der Epoche, wie sie an großen Häusern wie der Pariser Nationaloper inszeniert werden? Ich habe das noch nie gesehen, aber es würde mich interessieren. Ich könnte mir vorstellen, dass es mir Spaß macht. Bei der Oper gibt es einen unglaublichen Apparat, der da bedient wird. Es gibt heutzutage lautlose Drehbühnen, es gibt Videoeinspielungen und es gibt den Orchestergraben und alles ist irgendwie perfekt. Dagegen haftet der Oper im 16. Jahrhundert etwas völlig Unperfektes an. Es wurde nebenher gegessen, dann gab es die Sache mit dem Dacapo, dem Jubel auf der Bühne – das waren gesellschaftliche Ereignisse und gleichzeitig waren immer Nebengeräusche da. Die Drehbühne quietschte, der Vorhang machte wieder andere


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Geräusche. Es gab nie den reinen Genuss, sondern viele Nebenaktionen. Wenn so etwas wieder rekonstruiert würde, würde mir das Spaß machen. Ist Oper Unterhaltung oder Kunstwerk? Oper ist Kunst. Es gibt keinen Gegensatz zwischen Unterhaltung und Kunst. Die Oper wird oft als Luxusartikel des Bildungsbürgertums beschrieben. Ist die Oper elitär? Die Oper hat etwas unglaublich Dummes, weil sie sich – bis auf wenige Ausnahmen bei Festspielen – immer auf die gleichen Stoffe bezieht. Dabei bedient sie so einen komischen, mittelmäßigen Geschmack, der eben das Ganze zum Event macht. Mir wäre eigentlich ein bisschen elitärer wesentlich lieber als solche Rekonstruktionen. Es wäre interessanter als diese normale Oper. Wie kann man die Oper für ein neues Publikum erschließen? Braucht man eine gewisse Reife, um Opern nachvollziehen zu können? Nein. Man muss nur ein Interesse wecken. Meines Erachtens ist es der falsche Weg, ein Interesse zu wecken, indem man alles nivelliert. Man muss schon das intellektuell Besondere fördern, um überhaupt so ein Interesse ausbilden zu können.


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Manchmal hat man das Gefühl, es gebe ein Revival des Barock in der heutigen Zeit. Man gibt sich wieder gefühlsbetont. Ob es ein Revival gibt, weiß ich nicht. Die Affekte des Barock sind andere als diese merkwürdig zivilisierten Gefühle, wie wir sie heute haben. Aber es ist vielleicht so, dass im Moment jeder mit seinen Gefühlen alleine ist und jeder seine Gefühle individualisiert hat. Es existiert eine Angst vor dem Heiraten und vor der Liebe. Da könnte es sein, dass Barock als eine Art Sehnsuchtsmetapher gedacht wird, ein Raum in weiter Ferne, auf den man seine Sehnsucht projizieren kann. Hat die Oper eine Zukunft? Solange es Opernhäuser gibt und solange sie alimentiert sind, steht der Oper nichts entgegen.




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