»Opern haben ein bemerkenswertes Potenzial von gesellschaftlichen Verhältnissen, Menschen, Dingen in ihrer Widersprüchlichkeit zu erzählen.«
Interview mit Jennifer Thiel
Interview mit Jennifer Thiel
Jennifer Thiel Studium Integriertes Design an der HfK; anschließend freiberufliche Kostümbildnerin; Modedesignerin; Arbeit bei Zero + Maria Cornejo NY und bei Vivienne Westwood in London Mitarbeit als Studentin bei »Die Heirat« und »Eine kleine Zauberf löte« Betreuung des Kostümbilds bei »La Betulia Liberata«und »L’Orfeo«
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Bei welchen Opern hast du mitgewirkt und was war deine Funktion? Das Opernprojekt habe ich bereits im 2. Semester kennengelernt, das war 2004. Es war eines der ersten Opernprojekte und wurde damals noch von Peter Schäfer betreut: »Die Heirat«. In der Ausstattungsgruppe der »Heirat« waren Studierende aus dem Kunst- und Designbereich vertreten, die meisten aus meinem Semester. Da wir alle noch nicht so große Erfahrungen hatten, was das Erstellen von Schnitten und den Auf bau von Kleidung betrifft, haben wir hauptsächlich mit bestehender Kleidung gearbeitet, diese modifiziert, neu kombiniert und angepasst. Das zweite Mal habe ich während meines Hauptstudiums am Opernprojekt teilgenommen. Das war 2006 »Eine kleine Zauberf löte«, wofür dann schon Kai Lehmann verantwortlich war. Die Ansprüche an Entwurf und vor allem auch Umsetzung der Kostüme waren hierbei schon deutlich höher. Das Opernprojekt war endgültig aus den Kinderschuhen herausgewachsen und entsprechend stiegen die Erwartungen an die Unternehmung. Das konnte ich dann auch noch bei weiteren Projekten feststellen, diesmal aufseiten der Lehre. 2010 habe ich an »La Betulia Liberata« und 2011 an »L’Orfeo« mitgewirkt. Die beiden Projekte fanden nicht mehr wie
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zuvor im Theaterrahmen statt, sondern im Dom und dann im BLG-Forum, was eine enorme Erweiterung des künstlerischen Möglichkeitshorizonts bedeutete. Gleichzeitig wuchs aber auch der Aufwand der Projekte deutlich. Ich würde sagen, das Opernprojekt hat in seiner recht kurzen Entwicklungszeit einen beachtlichen Sprung gemacht. Du hast die Oper im Bereich Kostüm aus verschiedenen Blickwinkeln miterlebt. Schildere doch bitte die Vor- und Nachteile dieses Perspektivwechsels. Als Lehrende genieße ich es, die Möglichkeit zu haben, einen Entwurfsprozess so partizipativ anzulegen und auszudehnen, bis sich alle zufrieden eingebracht haben. Intensive Diskussionsprozesse z.B. nach Anproben anzuregen und zu moderieren, sind wunderbare Möglichkeiten. Diesen Luxus hat man am Theater häufig nicht, da müssen Entscheidungen schnell getroffen werden, ohne dass Diskussionen möglich sind. Es ist ein bisschen so, dass man in unserem Hochschulkontext die experimentellen, forschenden Seiten von (Musik-)Theaterarbeit, wie sie sich von Brecht bis Heiner Müller bei vielen Theatervordenkern als Praxis und Fluchtpunkt finden lassen, wie das kollektive Produzieren, die Unbestimmtheit in diesem offenen Möglichkeitsraum etc., besonders
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interessant bearbeiten kann. Für die Studierenden ist es auch eine tolle Einübung in Gruppenprozesse, wie die Aushandlung eigener und fremder kreativer Entwürfe, die Begründung und Erklärung der eigenen Konzepte auch über disziplinäre Grenzen hinweg und das Eingehen und Zugehen auf andere Entwürfe und Zugänge zu thematischen Stoffen. Das sind alles wichtige Erfahrungen für die Studierenden. In gewisser Weise bin ich ähnlich involviert wie die Studierenden auch. Ich bin genauso gespannt, ob das, was hinterher auf der Bühne zu sehen ist, dem entspricht, was man sich vorher im Entwurf überlegt hat. Dieser Prozess bleibt gleich, egal auf welcher Seite man steht. Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Disziplinen? Die Ausstattung des Opernprojekts lag von Beginn an in den Händen des Fachbereichs Kunst und Design. Studierende der Freien Kunst und Design-Studierende arbeiteten gemeinsam am Konzept für Bühne und Kostüm, wobei in der Regel ein Großteil der Studierenden aus dem Modebereich kommt. Die Zusammenarbeit mit den SängerInnen beginnt meist erst nach der Konzeptionsphase. Zuvor ist der Regisseur der Ansprechpartner in Bezug auf das Gesamtkonzept. Bevor die Sänger aber mit
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ihren szenischen Proben beginnen, wird ihnen das Konzept der Ausstattung präsentiert, erst da beginnt der direkte Austausch mit den Sängern, der auch aufgrund der räumlichen Trennung der Fachbereiche nicht ganz einfach ist. Für die Erstellung der Kostüme ist es aber notwendig, dass sie regelmäßig zu Anproben in den Speicher kommen. Etwa 2-4 Anproben je nach Kostümaufwand sind nötig, bis das fertige Kostüm auf der Bühne getragen werden kann. Die Kostümbildner erstellen zunächst erst mal Nesselmodelle der Kostüme, das heißt Probemodelle, die dann in Anproben den Sängern angepasst werden. Da kann es schon mal passieren, dass ein Sänger erst mal enttäuscht ist, dass er in einem vermeintlich schlecht sitzenden und dann noch aus langweiliger Baumwolle gefertigten Kostüm auf die Bühne gehen soll. Da ist manchmal intensive Vermittlungsarbeit nötig, wie das fertige Kostüm letztendlich aussehen soll und warum es so entworfen wurde. Umgekehrt ist es so, dass die Ausstatter erst vom Arbeitsalltag der Sänger erfahren, wenn sie die Proben besuchen. Ganz intensiv geschieht das aber dann spätestens zu den Endproben, wenn sich beide Bereiche in der Maske treffen.
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»Immerhin ist das Projekt einzigartig, an keiner anderen Hochschule kann man so praxisnah arbeiten.« Wie sorgt man für einen reibungslosen Ablauf dieser Zusammenarbeit? Für essenziell halte ich eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Stoff, also dem Libretto, der Inszenierungsgeschichte einer Oper und dann mit der Konzeption einer ästhetischen Leitlinie, der Interpretation, die verfolgt werden soll. In der Kostümgruppe sind meist um die 10 Studierende, was es extrem wichtig macht, dass man sich regelmäßig trifft und viel miteinander spricht. Das ist in der Konzeptionsphase genauso wichtig wie später bei
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der Umsetzung. Schließlich geht es um das Ziel, ein in sich stimmiges Kostümbild zu entwickeln und das klappt nur, wenn alle den gleichen Informationsstand haben. Eine gute, selbstdisziplinierte Organisation der Arbeit ist bei einem kollektiven Vorgehen ebenso wichtig, das versuche ich zu vermitteln. Die Gruppe bespricht also bei jedem Treffen, welche Arbeiten bis wann und wie erledigt werden sollten und wer sich verantwortlich fühlt. Solch ein Verfahren funktioniert besser, als wenn jeder Student wochenlang an einem Kostüm arbeitet und es am Ende schwierig wird, die verschiedenen Handschriften zusammenzubringen. Außerdem entspricht es auch mehr der Arbeit an Theater- bzw. Opernhäusern, wo man als Kostümbildner den Überblick über die gesamte Kostüm-produktion behalten muss. Hinzu kommt parallel auch immer die Zusammenarbeit mit der Bühnengruppe, der Musik, Regie etc. Wir sind dabei daran orientiert, keinem Bereich ein unbedingtes Primat einzuräumen und von keinem Subordination zu verlangen. Wir versuchen, uns aneinander anzunähern, aber Reibung ist auch produktiv für ein hohes Niveau. Vielleicht versuchen wir in Ansätzen ein »Kollektiv selbstständiger Künste« zu sein.
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Was macht das Kostüm für eine Inszenierung aus? Was bedeutet es für den Sänger oder die Sängerin und die jeweilige Rolle? Was kann man ihnen zumuten? Das Kostümbild macht für den Sänger wahnsinnig viel aus. Es ist der Moment, an dem er seine Alltagskleidung ablegt, das Kostüm anlegt und damit viel leichter in seine Rolle schlüpfen kann, die er anschließend auf der Bühne darstellen muss. Dem Sänger gibt es die Möglichkeit, sich auf eine bestimmte Art und Weise zu bewegen und Gestiken herzustellen, die einem in Alltagskleidung nicht ermöglicht werden. Die Zusammenarbeit ist hier enorm wichtig. Ein schönes Beispiel ist »La Betulia Liberata«, wo die Kostümbildner den Sängern große Masken angefertigt haben, die ihnen im Dom eine tolle Präsenz ermöglichten. Hätten sie diese Kostüme nicht gehabt, wären sie wahrscheinlich zwischen den Zuschauern untergegangen. Bei »La Betulia Liberata« beispielsweise wurde den Sängern sehr viel abverlangt, aber auch mitgegeben. Jan Hübner, der König, ist z.B. mit seiner Maske, einem riesigen Kopf, auf einem Steiger vier Meter in die Höhe gefahren worden. Die Sänger haben die Masken teilweise auch beim Singen getragen, was eine große Herausforderung war, aber – was das Spielen angeht – auch eine Hilfestellung ist.
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»Mein Wunsch – weiterhin so tolle, kreative und euphorische Studierende!« Du bist ausgebildete Modedesignerin. Woher rührt deine Faszination für Opernausstattung im Allgemeinen? Wie gehst du mit dem Konflikt Mode- und Kostümdesign um? Was liegt dir mehr? Für mich persönlich gibt es keinen Konf likt zwischen der Mode und dem Kostüm. Ich habe hier an der Hochschule gelernt, dass das auch gut Hand in Hand gehen kann. Ich kann mich als Modedesigner ausbilden lassen, aber trotzdem die Möglichkeit haben, als Kostümbildner zu arbeiten. Das ist ein Freiraum, den ich hier an der Hochschule sehr genossen habe und den ich versuche im Berufsleben weiterzuführen. Mir hilft mein Modewissen in der Auseinandersetzung mit den Kostümwerkstätten genauso,
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wie mir die Erfahrung der Bühnenarbeit hilft, Kollektionsentscheidungen zu treffen. Allerdings habe ich hin und wieder mit Vorurteilen zu kämpfen, in der Mode genauso wie im Kostümbereich. Da denken Theatermacher, dass Mode zu plakativ und oberf lächlich arbeitet und mancher Modemacher vermutet ein wahlloses Zusammenwürfeln von Funduskostümen, wenn er an Kostümbild denkt. Wie kommt es, dass so viele Modedesigner Kostüm machen? Wie stehst du dazu? Generell habe ich das Gefühl, wenn ein Modedesigner sich an ein Kostümbild heranwagen darf, dass diesem auch mehr Freiräume zugestanden werden oder man es sogar erwartet, dass das Ergebnis seiner Handschrift entspricht. Häufig gibt es am Theater die Tendenz, dass realistische, naturalistische Kostüme gefragt sind. Ein etablierter Modedesigner hat da eher mehr Freiraum, das zu erschaffen, was man auch sonst in seiner Handschrift verwirklicht sieht. Du warst in New York? Wie hat sich die Erfahrung auf deine Arbeit ausgewirkt? Ich war in New York und habe dort für Zero + Maria Cornejo gearbeitet, während des
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Studiums auch schon ein Praktikum bei Rubin & Chapelle in New York gemacht. In dieser Zeit hatte ich mit Theater oder Oper aber nicht viel zu tun, sondern habe mich ganz auf die Mode konzentriert. Für mich ist die deutschsprachige Theaterlandschaft auch viel spannender als die angelsächsische. Gerade was das Regietheater angeht, ist die hiesige Szene viel experimentierfreudiger und mutiger. Man probiert mehr aus, was zeitgenössische Stücke angeht und es muss nicht immer werkgetreu gearbeitet werden. So kann an den zahlreichen Theatern mit guten Regisseuren etwas spannendes Neues entstehen. Was gefällt dir an der Lehrtätigkeit und wie empfindest du es, wenn deine »pädagogische« Arbeit fruchtet? Wie siehst du deine pädagogische Aufgabe? Ich denke, es ist sinnvoll, Kostüme zu entwickeln, die etwas mit uns zu tun haben und die Oper nicht nur als historisches Dokument sehen, sondern sie so interpretieren, dass sie etwas mit uns heute zu tun hat. Der Prozess, dorthin zu kommen, inhaltlich, aber vor allem natürlich ästhetisch – schließlich sind wir Modedesigner –, ist von entsch eidender Bedeutung. Da prallen verschiedene Ansichten aufeinander. Das Herausfiltern dieses Gemeinsamen ist dann erst mal
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wichtig. Gleichzeitig versuche ich, die Studiereden an den ästhetischen Statusquo zeitgnössischer Kostümbilder heranzuführen, sie mit verschiedenen Ansätzen vertraut zu machen, kostümbildnerische Arbeiten, die sich etwas trauen, die etwas riskieren. Wenn die Studierenden sich dazu ermutigt fühlen und aufgehen in diesem Arbeiten, bereitet mir das große Freude. Erzähl mir bitte von deinem schönsten Moment während der Opernprojekte. Der schönste, aber auch schwierigste Moment ist für mich nicht die Premiere, sondern die erste Hauptprobe. Die erste Probe, in der die Sänger in den Kostümen auf der Bühne stehen. Der erste Moment, in dem alles, was eine Oper ausmacht, zusammengeführt wird. Gesang, Orchester, Bühne, Licht, Kostüme, Maskenbild. Das ist der Punkt, an dem man zum ersten Mal sieht, was man gemeinsam geschaffen hat. Schwierig insofern, weil man weiß, man hat jetzt nur noch ein paar Tage Zeit, bis zur Premiere Dinge zu ändern, die unter Umständen noch nicht ganz so stimmig sind.
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»Opern haben ein bemerkenswertes Potenzial von gesellschaftlichen Verhältnissen, Menschen, Dingen in ihrer Widersprüchlichkeit zu erzählen.« Was macht eine gute Oper aus? Vielleicht sollte man hier gleich auf Walter Benjamins schönen Satz zurückkommen: »Sagen lassen sich die Leute nichts, erzählen lassen sie sich viel.«
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Opern haben ein bemerkenswertes Potenzial, von gesellschaftlichen Verhältnissen, Menschen, Dingen in ihrer Widersprüchlichkeit zu erzählen. Gleichzeitig ist mir etwas wichtig, was Alexander Kluge und Werner Schroeter sehr stark akzentuieren: die Oper als »Kraftwerk der Gefühle«, als »Ort der Herzensbildung«. Was wünschst du dir für deine Zukunft? Was das Opernprojekt angeht: weiterhin so tolle, kreative und euphorische Studierende. Ich selbst hoffe, weiterhin in beiden Bereichen arbeiten zu können, in der Mode genauso wie im Kostüm. Für welche Oper würdest du gern ein Kostüm entwickeln und was würdest du ohne Budgetlimit machen? Es kommt nicht auf das Budget an. Auch mit einem geringen Etat können spannende Arbeiten entstehen. Wichtig ist das Team, mit dem man arbeitet. Es bringt nichts, auf einen hohen Etat zurückgreifen zu können, wenn man sich im Team – also mit Regie und Bühnenbild – nicht einigen kann. Das gute Zusammenspiel ist da viel wichtiger. Auch was die Stückwahl angeht, lasse ich mich gern überraschen und lerne gern
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Neues kennen. Es müssen nicht immer große, bekannte Stücke sein, die mich reizen. Auch Uraufführungen können spannend sein. Was möchtest du noch unbedingt loswerden? Ich hoffe, dass das Opernprojekt auch in den nächsten Jahren noch weitergeführt werden kann, auch wenn die neue Studienstruktur das Ganze schwieriger gestaltet. Studierende können nicht mehr so viel Zeit für das Projekt aufbringen, wie es noch im Rahmen des Diplom-Studiums möglich war. Ich wünsche mir, dass sich da Lösungen finden, damit auch weiterhin Studierende die Möglichkeit haben, ihre Ideen in die Praxis zu übersetzen. Immerhin ist das Projekt einzigartig, an keiner anderen Hochschule kann man so praxisnah arbeiten.