TOTALOPER Interview 05 katharina kühn

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»Ich konnte den Mut zur Hässlichkeit beweisen.«

Interview mit Katharina Kühn



Interview mit Katharina Kühn

Katharina Kühn Diplomstudentin Gesang an der HfK bei Mihai Zamfir/ Theater Bremerhaven. Sängerin als Jutta Hinzelmann in »Im weißen Rössl«, als Cami in »La Betulia Liberata«, als Prosperpina in »L’Orfeo«



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Du hast im Opernprojekt »Im weißen Rössl« Jutta Hinzelmann gespielt. Diese Rolle gibt es im Originalstück nicht. Wer ist Jutta Hinzelmann? In der Originalversion gibt es eine Familie Hinzelmann, bestehend aus dem Professor Hinzelmann und seiner Tochter Klärchen. Weil wir viel mehr Frauen waren, die sich am Projekt beteiligen wollten, hat Gregor Horres die Geschichte ein bisschen umgeschrieben. Dadurch entstand die Rolle der großen Schwester von Klärchen: Jutta Hinzelmann. Darf man ein Stück nach Belieben umschreiben? Nein, eigentlich darf man das nicht einfach machen. Dabei geht es um Aufführungsrechte. In unserem Fall hat unser Regisseur Gregor Horres mit dem Verlag gesprochen. Er hat ihnen erklärt, wir würden »Im weißen Rössl« gerne aufführen, hätten aber für unsere Hochschulproduktion zu viele Frauen und zu wenig Männer – wie immer. Durch seinen Kontakt durften wir das freundlicherweise machen. Du bist in Bremerhaven auch im »Weißen Rössl«, diesmal aber als Jodlerin aufgetreten. Wurde man durch das Opernprojekt auf dich aufmerksam?


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Nein, es gab eine Produktion von »Didi und Aeneas« vor einem Jahr. Der Generalmusikdirektor Stefan Tetzlaff hat in Bremen an der Hochschule unterrichtet und zu einem Vorsingen für die Produktion geladen. Das konnte ich glücklicherweise für mich entscheiden. Für die Jodlerin musste ich mich nicht noch einmal einer Auswahl stellen, sondern bekam einen Anruf, ob ich Zeit und Lust hätte, die Rolle zu übernehmen. Was war an den beiden Rollen aus »Im weißen Rössl« reizvoll? Wie war es, innerhalb eines Stückes die Perspektive zu wechseln? Ich finde alle Rollen im »Weißen Rössl« spannend und würde auch gerne alle weiblichen Rollen mal singen. Ausschlaggebend für die Entscheidung, in Bremerhaven zu spielen, war vor allem die Tatsache, im Theater singen zu können. Sich von der Masse des Studiums abzuheben und zu sagen: »Ich singe im Theater und habe eine Solopartie.« Aber es war schon schön, dass es das »Rössl« war. Wenn ich es mir hätte aussuchen dürfen, hätte ich die Jodlerin allerdings als Letzte der acht weiblichen Rollen gewählt. Aber dafür habe ich für die Rolle Jodeln gelernt. Eine Erfahrung, die ich heute nicht mehr missen möchte.


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Ist das eine ganz andere Technik? Ja, Jodeln ist etwas ganz anderes. Ich denke, dass es für Sänger noch schwieriger zu lernen ist als für Nichtsänger. Sänger lernen im klassischen Gesang ein ganz diszipliniertes Singen und durch das Jodeln muss man auch mal dreckig in tiefe Lagen gehen. Das hat überhaupt nichts mit dem klassischen Gesang zu tun. Ich denke also, Jutta Hinzelmann war eine sehr spannende Erfahrung, auch weil es mein allererstes Opernprojekt überhaupt war. Ein humoristischer Operettenstoff wie »Im weißen Rössl«, wird das im Opernkontext belächelt? Darf man das gut finden? Ja, es wird belächelt! Aber ich denke, man darf das gut finden. Ich habe aber auch schon jemanden kennengelernt, der mir gesagt hat, das »Rössl« kann ich mir nicht auf die Homepage schreiben. Man muss jedoch sagen, dass es zu einem Standardrepertoire gehört, das häufig gespielt wird. Wie zum Beispiel in der Verfilmung deutlich wird, kann es auch von Schauspielern gesungen werden. Ich finde es gut, weil es leichte Kost ist. Opernfremde Bekannte von mir habe ich ins »Weiße Rössl« eingeladen und sie haben vorher gesagt: »Operette, das kann ich mir nicht anschauen!« Da kommt mir der Gedanke,


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dass sie eigentlich keine Ahnung von Operette haben und davon, was das Genre ausmacht. Viele Menschen haben sich an den Gassenhauern aufgehängt. Das sind die Lieder, die jeder kennt und im Prinzip jeder mitsingen kann. Wie oft hatten wir in Bremerhaven das Theater voll mit älteren Herrschaften, die mit extra organisierten Busreisen hergefahren wurden. Sind Musicals die Operetten von heute oder sind sie das »RTL2« der musikalischen Abendunterhaltung? Ja, vielleicht ist Musical die Operette von heute, aber nicht das »RTL2« der musikalischen Abendunterhaltung. Es mag sein, dass einige Leute das so empfinden, aber dann haben sie den Sinn einer Operette nicht verstanden. Operetten sind keine Dummheit und keine Idiotie, sondern einfach leichte Kost für einen geselligen, unterhaltenden Abend. Und im Gegensatz dazu soll die Oper…. Die soll natürlich auch unterhalten, sich aber noch mehr mit dem Menschen und dem Menschsein auseinandersetzen. Gräbt man bei der Oper ein wenig tiefer in den menschlichen Abgründen?


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Genau. Operette hat einen Hauch mehr Oberflächlichkeit. Aber pauschalisieren lässt sich das nicht. Am Ende ist es immer auch eine Frage der Inszenierung. Operette macht es einem etwas leichter sich wiederzufinden als die Oper. Basiert die Musik der Operette mehr auf Harmonie als auf Atonalität? Das kommt immer darauf an, in welchen Opern man gräbt. Mozart zum Beispiel ist sehr harmonisch und auch sehr leichte Kost. Es gibt auch Singspiele von Mozart, die leicht zugänglich sind. Im Grunde muss man immer die Zeit berücksichtigen, in der das Werk entstanden ist. Operetten stammen oft aus dem frühen 20. Jahrhundert. Wenn man auf die Opern schaut, die in dieser Epoche parallel zu den Operetten entstanden sind, stellt man fest, dass man auf der Suche nach noch nie da gewesener Musik war. Da musste man natürlich tiefer graben. Du hast außerdem bei »La Betulia Liberata« Carmi gesungen und die Proserpina in »L’Orfeo«. Das sind drei wahnsinnig unterschiedliche Rollen, die schwer zu vergleichen sind. Welche Rolle war deine liebste? Absolut Jutta Hinzelmann. Ich mag Operette. Ich kann dazu stehen und ich liebe


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es, mich über mich selbst lustig machen. Die Rolle von Jutta war mir am nächsten. Es gibt bei Künstlern zwei Strategien. Entweder man kann Rollen gut machen, die weit weg sind von einem selbst, weil man in der Rolle etwas Unterbewusstes leben kann, oder man kann das am besten spielen, was einem selbst am nächsten ist. Bei mir ist es eindeutig die zweite Strategie. Die Partie der Proserpina war sehr schwer für mich. Ich konnte die Rolle anfänglich kaum greifen. Proserpina ist eine erfahrene, verletzte Frau. Sie hat Erfahrungen, die ich selbst noch nie gemacht habe. Reift man am Operngesang? Mein Gesanglehrer hat immer gesagt: »Man kann vieles singen, aber man sollte nie über der eigenen Reife singen. Wenn man reif genug ist oder diese menschliche Reife nachempfinden kann, dann kann man es singen. Wenn man die Reife aber nicht besitzt, wirkt es nicht authentisch.« Wie war die Arbeit mit Gregor Horres? Ich habe einige Regisseure kennengelernt. Gregors Art zu arbeiten ist speziell. Ich komme mit der Art sehr gut zurecht. Er gibt den Studierenden sehr viel Freiraum, es geht ihm nicht um Wege. Es gibt andere Re-


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gisseure, die sagen, der Weg muss gefüllt sein. Gregor will, dass man die Rolle ausfüllt. Man lernt bei ihm über Ausprobieren und im Gespräch über eine Rolle. Er arbeitet sehr dialogisch. Was können Designer von Musikern lernen und umgekehrt? Musiker können von Designern lernen, sich noch freier in ihrer Kunst zu entfalten. Musiker sind innerhalb ihrer Noten extrem festgelegt und es gibt immer tausend Künstler, die eine Rolle schon mal gesungen haben. Daran orientiert man sich. Die Gestalter finden freier ihre eigenen Wege. Die Gestalter können von den Musikern lernen, sich an der Musik zu orientieren. Manchmal f liegen die Gestalter eine Spur über die Realität und über das, was faktisch für die Bühne funktioniert, hinaus. Es gibt Momente, in denen die Designer unheimlich gute Ideen haben, die aber mit der Tätigkeit der Sänger nicht unbedingt zu koppeln sind. Es wäre wünschenswert, wenn die Gestalter diese Prozesse mitmachten, um mehr Verständnis dafür zu bekommen, was Sänger innerlich, äußerlich und gesanglich leisten müssen. Ist es generell schwer, die eigene Perspektive zu verlassen und einander mit Respekt zu begegnen?


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Ja, das habe ich erst dieses Jahr gemerkt, als ich selbst nicht mehr am Opernprojekt teilgenommen habe. Ich fand die Kostüme total toll. Dann ist mir aufgefallen, dass ich wohl anders auf die Kostüme reagiert hätte, wenn ich selbst in einem hätte auftreten sollen. Wie gehst du mit dem Konkurrenzdruck um? Man kann den Konkurrenzdruck nicht ausschalten, das sollte man auch nicht. Ich versuche, mich immer auf mich selbst zu konzentrieren und mich an mir zu messen. Im Grunde kann man nur die eigene gesangliche Entwicklung betrachten und versuchen, sich zu verbessern. Leider gibt es auch Leute, die die Ellenbogenmethode anwenden. Welche Dramen passieren neben der Bühne? Wenn man überhaupt bis auf die Bühne kommt! Leider ist es schwierig, seinen Traum zu verwirklichen. Man darf nicht aufgeben und muss immer an sich arbeiten. Was bedeutet dir Oper? Oper ist ein wundervolles Mittel, sich ausdrücken zu können und Geschichten zu erzählen. Eine unglaubliche Kunstform.


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»Operetten sind keine Dummheit und keine Idiotie, sondern einfach leichte Kost für einen geselligen, unterhaltenden Abend.«

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Wie fühlt sie sich an? Unglaublich! Ich singe fast lieber Oper, als dass ich sie höre. Es ist ein großartiges Gefühl, auf der Bühne zu stehen. Was war dein schönster Moment innerhalb des Opernprojektes? Es gab viele schöne Momente. Es war immer wieder toll, die Premiere geschafft zu haben. Ich erinnere mich außerdem gerne daran zurück, wie ich Gregor kennenlernte. Es war ein tolles Gespräch, weil wir eine total gute Basis der Zusammenarbeit gefunden haben. Was war der schwierigste Moment? Das weiß ich noch genau. Es war bei »L’Orfeo«. Mir fiel es sehr schwer, mich in die Rolle einzufinden. Das ist mir bis zu diesem Zeitpunkt noch nie passiert. Hinzu kam, dass eine Kollegin die gleiche Rolle gesungen hat, aber ganz anders damit umgegangen ist. Die Frage, die dadurch auf kam, war, wie fülle ich die Rolle, wenn ich sie nicht so wahrnehme wie meine Kollegin. Was willst du noch loswerden? Man sollte das Projekt mehr wertschätzen!




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