»Dadurch, dass man selber in Bewegung ist, kann man auch leichter bewegt werden, leichter berührt werden.«
Interview mit Annika Tritschler
Interview mit Annika Tritschler
Annika Tritschler Diplomstudentin Integriertes Design an der HfK; Praktikum an der Opéra National Paris Mitwirkende Studentin für Bühne bei »Orpheus in der Unterwelt«, »Im weißen Rössl«, »La Betulia Liberata«, »L’Orfeo«
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Welche Aufgaben hattest du beim Opernprojekt? Rumschreien! (lacht) Nein, meine Aufgaben haben sich über die Jahre ein wenig gewandelt. Als ich angefangen habe mit dem Opernprojekt, war ich im 2. Semester. Da war ich noch recht unsicher und habe nicht so richtig mitgemischt, was den Bühnenraum betrifft. Stattdessen habe ich mich eher um Requisiten gekümmert. Im Laufe der Zeit bin ich in die Tätigkeit hineingewachsen, die man mit der Arbeit eines klassischen Bühnenbildners vergleichen kann. Ich habe mitgeplant, wo sich was im Raum befindet, welche Materialien benutzt werden, um eine Geschichte zu erzählen und wie der Raum zu füllen ist, um eine Atmosphäre zu erzeugen. Das war in jedem Projekt sehr unterschiedlich, weil die Räume sich sehr unterschieden haben. Die Tendenz ging weg vom illusionistischen Theater und hin zu einer räumlicheren Konzeption. Räumliche Anordnung ohne klassische Distanz von Publikum und Bühne. Meine Tätigkeit hatte viele Schnittstellen. Man arbeitet mit Technikern zusammen, mit Handwerkern, mit dem Regisseur und vielen anderen. Gerade bei meinem letzten Projekt war der Raum so groß, dass wir überhaupt nicht die Kapazitäten hatten, die Dinge in notwendiger Größe selbst herzustellen. Dann muss man Leute finden, die es
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für einen anständigen Preis übernehmen. Das hat auch sehr viel mit Budgetplanung zu tun. Außerdem muss man die Pläne für die Objekte zeichnen und an die Handwerker weitergeben. Das kann schwierig werden, wenn man mit so vielen Leuten zusammenarbeitet. Du sagst Rumschreien. Wann kommt es zu Spannungen in der Zusammenarbeit? Gibt es häufig Momente, in denen es kriselt? Je mehr Projekte ich gemacht habe, desto mehr Verantwortung habe ich übernommen. Gerade wenn man eine gewisse Verantwortung trägt, will man, dass das Baby besonders gelingt. Dafür gehe ich an meine Grenzen. Ich reagiere sehr allergisch, wenn sich Leute unkollegial verhalten. Ja, es ist eigentlich das Unkollegiale, was mich am meisten gestört hat. Ein anderer Punkt ist, dass bei der Stückauswahl gerne vergessen wird, dass es nicht nur darum geht, die Rollen eines Stückes besetzt zu kriegen. Sondern man sollte sich bewusst sein darüber, dass das alles nur funktioniert, wenn Studenten beteiligt sind, die sich für Raum und Kostüm aufopfern. Ich finde, dass die Planung vor allem bei »L’Orfeo« an Größenwahnsinn grenzte.
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»Zum Schluss selbst überwältigt zu sein, wenn das alles im Raum vor einem zu sehen ist – unbezahlbar.« Was macht denn eine Bühne für eine Oper im Allgemeinen aus? Die Bühne erzählt die Atmosphäre und die Geschichte. Wenn die Bühne gut ist, dann schafft sie es, den Zuschauer sich ein bisschen vergessen zu lassen und lässt ihn in die Welt der Geschichte eintauchen. Ich mag den Begriff Bühne eigentlich nicht. Bühne klingt für mich sehr reduziert. Ich bin der Meinung, gerade wenn man eine Atmosphäre erzeugen will, ist es auch wichtig, mit einer gewissen Bewegung im Raum zu arbeiten. Wenn ich statisch verortet, starr in eine Richtung blicke, erzählt mir das nur
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sehr begrenzt etwas. Ich glaube daran, dass – wenn man so ein Szenario erschaffen will – es gut ist, mit allen Perspektiven zu arbeiten, die in einem Raum möglich sind. Also geht die Bühne in den Zuschauerraum mit über? Im Idealfall. Man kann sehr viel mit einem Raumkonzept erzählen. Das konnte man bei »La Betulia Liberata« gut sehen. Da haben wir das Chaos der besetzten Stadt im Raum beschrieben, dieses Chaos in den Bremer Dom gebracht. Der Zuschauer war in der Lage umherzulaufen und sich in einer Installation zu bewegen. Ich finde, dadurch, dass man selber in Bewegung ist, kann man auch leichter bewegt werden, leichter berührt werden. Man wird also Teil des Stücks? Ja, es gibt einen gewissen Faktor der Identifikation, den man bei so einer klassischen Konstellation durch die Distanz des Orchestergrabens nicht hat. Ich mag es einfach, wenn mich Musik umgibt und ich sie nicht nur aus einer Richtung höre. Du hast dir während des Projektes Fähigkeiten als Planzeichnerin und Modellbauerin angeeignet. Was kann man an einem Modell
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schon im Voraus sehen und was findet erst am Ort selber statt? Ein Modell ist dazu da, Raumvolumen zu erfassen. Also zu schauen, wie nutze ich den Raum, wie ist der Raum gefüllt. Es ist ein Ausloten der Proportionen zwischen Leere und Objekt, was man versucht zu simulieren. Was aber viel wichtiger ist als ein gutes Modell – das Modell ist eher zum spielen –, ist die sogenannte Bauprobe. Also die Simulation 1:1 am Ort, weil die einfach mehr zeigt, ob die Volumen dann auch funktionieren. Ist es ein wenig so, wie wenn ein Maler eine Komposition skizziert? Ja, es ist eine 3-D-Skizze. Wie ist es, wenn du im Modell deine Sachen simuliert hast und merkst, es funktioniert nicht in der Realität? Das ist mir noch nie passiert! Mir ist noch nie passiert, dass irgendwas gar nicht funktioniert hat. Was beim letzten Mal an Wahnsinn grenzte, war, dass ich überhaupt keinen blassen Schimmer hatte, ob das Objekt statisch funktioniert. Es handelte sich um diese dreieckige Struktur, die wir bei »Orfeo« gebaut haben. Ich hatte vorher mit Aluminiumröhrchen und Papier ein Modell gebaut.
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Das verhält sich natürlich ganz anders als eine drei Meter lange Alu-Stange, die mit Scharnieren zusammengeschweißt werden soll. Ich hatte keine Ahnung, ob es funktionieren wird. Ich habe nur gedacht, es ist so gut, dass ich alles dafür tun muss. Ich habe das Material bestellt – für 5000 Euro –, ich bin fast vor Aufregung gestorben. Irgendwie hat es dann auch geklappt, aber ich war mir zu keiner Zeit sicher. Dieses Gefühl, wenn man dann alles zusammenbaut und eigentlich nicht daran glaubt, dass es wahr ist, und dann steht diese Struktur vor einem. Das ist unglaublich. Ja, man muss in einem gewissen Rahmen f lexibel denken. Wir hatten auch schon den Fall, dass Scharniere plötzlich weggebrochen sind und wir spontan stärkere, bessere brauchten. Dann muss man sich schnell handwerklich andere Kniffe überlegen. Aber ich kenne einfach zu viele Methoden, als dass so etwas im Raum nicht funktioniert hätte. Wie eben den Modellbau. Immer wieder vorher austesten. So oft, dass mir ein Totalausfall zum Glück noch nicht passiert ist. Wie gehst du mit dem Druck in der Endphase um? Ich werd’ zum Kinski! Nein, ich entwickle komischerweise immer Energie, von der ich nicht weiß, woher sie kommt. Ich frage
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mich nach jeder Premiere: »Wie zur Hölle haben wir das geschafft?« Es kommt mir so vor, als wüchsen mir noch zwei Köpfe und vier Arme, genau wie Santouliubi, einer chinesischen Sagengestalt, die drei Köpfe und sechs Arme hat. Ich nehme das einfach sehr ernst, weil es reale Bedingungen sind, weil Leute da sind, die Karten kaufen und ich möchte einfach verdammt noch mal einen guten Job machen. Der Druck spornt mich an. Was ich nicht mag, ist, wenn Leute nicht an einem Strang ziehen. In brenzligen Situationen, wenn die Gruppe im Stich gelassen wird – dann raste ich aus. Wenn etwas Unerwartetes passiert und man nicht weiß, ob man das alleine und kurz vor einer Premiere noch kitten kann – das ist schrecklich! Meistens kommt dann Hilfe von unerwarteter Stelle. Das ist schön und irgendwie bleibt doch alles im Gleichgewicht. Was war die größte Herausforderung während des Opernprojekts? Ja, hmmm – es gab wahrscheinlich viele. Was ich schon als Herausforderung empfinde, ist der Auf bau. In sechs Metern Höhe auf einer Hebebühne oder einer Leiter zu stehen und Lampen zu montieren, wenn man angespannt ist und vielleicht ein bisschen Schlafmangel hat, das waren schon große Herausforderungen. Und dann dieser
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Nervenkitzel bei »L’Orfeo«. Michael Court, Julia Hermesmeyer und ich haben Videound Raumgestaltung nur zu dritt gemacht. Das war schon der Wahnsinn… Es war ein sehr ambitioniertes Projekt und ich wusste nicht, ob es wirklich funktionieren wird. Zum Schluss selbst überwältigt zu sein, wenn das alles im Raum vor einem zu sehen ist – unbezahlbar. Dein schönster Moment des Opernprojekts? Einer meiner schönsten Momente war, als bei »Orfeo« alles funktioniert hat. Dazu kam das Fest – ein Videodreh, bei dem wir Orfeos Hochzeit mit Freunden im Hafen gefeiert haben. Allgemein hatte ich wahnsinnig schöne Begegnungen. Man lernt nette Menschen kennen, Leute, die sich im Leben anderen Dingen widmen. Und ich mag Opern ja auch sehr gerne – ich bin ein großer Opernfan. Es hat mich immer fasziniert, so ein Sänger- und Musikerleben ein bisschen mitzubekommen. Hast du eine Lieblingsoper? Im Moment hänge ich total an der GluckVersion von »Orfeo«, was das Musikalische betrifft. Was die Geschichte betrifft, ist es »Die Liebe zu den drei Orangen« von Sergej Prokofjew.
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»Oper bedeutet Verflüssigung.« Was bedeutet Raum allgemein für dich? Raum ist der Schwerpunkt, dem ich mein Gestaltungsstudium gewidmet habe. Das hat sich aber auch entwickelt, eigentlich wollte ich mal klassische Bühnenbildnerin werden. Ich denke nicht nur in konkreten Räumen, sondern auch in metaphorischen und das ist unheimlich gut, um sich zu orientieren. Raum ist einfach eine Orientierungsgröße in der Welt. Wie wichtig ist dir das Kostüm? Die funktioniert eigentlich ganz gut. Ich persönlich mag es nicht so gerne, wenn Kostüme zu überladen symbolisch sind. Das ist nicht so mein Ding. Ich mag es lieber schlichter, weil man schnell dazu neigt, die Eigenschaften einer Person in einer sehr überspitzten Form formal in das Kostüm zu transportieren.
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Hast du eine Idealvorstellung von Kostümen, die für eine deiner Bühnen hergestellt werden? Wie sieht diese genau aus? Wichtig sind mir die Konzepte. Die Geschichte, die man erzählt, sollte damit Hand in Hand gehen. Die Kostüme sollten sich entweder an der Grundidee des Raumes orientieren oder sich bewusst dagegenstellen. Dann aber konsequent. Wie läuft denn diesbezüglich der Entwurfsprozess ab? Zunächst setzt man sich mit allen zusammen. Egal ob die Leute Kostüm, Bühne oder Video machen. Man liest das Libretto gemeinsam, hört sich die Musik an und nähert sich der musikalischen und literarischen Vorlage an. Man arbeitet heraus, worum es geht. Wie sind die Strukturen, wie sind die Verf lechtungen innerhalb der Geschichte? Wie sind die Beziehungen der Menschen. Wie funktioniert das und was ist uns wichtig? Es gibt nicht viele Opern, die aufgeführt werden. Es sind vielleicht 200 von 4000 bestehenden und gerade weil diese einzelnen Inszenierungen so häufig sind, ist es wichtig, zu gucken, was interessiert mich daran. Wenn es eine gute Oper ist, stecken sehr viele Möglichkeiten darin und man muss sich entscheiden, was einem am Wichtigsten ist.
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Dann baust du Modelle? Klar macht man manchmal ein paar Skizzen vorher. Ich baue gerne schnell 3-D-Skizzen, zuerst mit Papier, dann Volumenmodelle und dann in den Raum rein. Ich experimentiere gern Wie schaffst du es, dich für die richtige Idee zu entscheiden? Bei mir ist es so, dass ich irgendwann merke, ob sich ein Konzept richtig anfühlt. Ich nehme das, was für mich am meisten Sinn macht und dafür versuche ich zu argumentieren. Ich bin ja immer noch Teil einer Gruppe und muss Überzeugungsarbeit leisten. Da kann ich sehr leidenschaftlich werden. Seit wann findest du Oper interessant? In der Schule kam ich noch mehr mit dem Theater in Berührung als mit der Oper. Das kam tatsächlich durch das Opernprojekt. Ich habe viel in den Proben gesessen und viel mit angehört. Ich habe zugehört und gemerkt, wie sehr mich das berührt, wie sehr ich es in mir aufnehme. Ich hab’ einfach gemerkt, dass es mir Gänsehaut macht und ich sensibel für diese Musik bin.
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Bleibt denn die Musik Herzstück einer Oper oder ist es das Gesamtkonzept? Es ist schon das Gesamtkunstwerk, was die Oper ausmacht. Ich weiß nicht, ob ich mir drei Stunden Zauberf löte als Konzert reinziehen würde. Im besten Fall entsteht durch das Zusammenkommen von auditiven und visuellen Reizen ein Eintauchen in die Oper. Einfach weg zu sein von dem, was einen sonst umgibt. Du gehst demnächst an die Staatsoper nach Paris. Was erwartet dich da im Vergleich zum Opernprojekt an der Hochschule? Da erwarten mich Hierarchien, denke ich. Die Bastille ist ein ganz klassisches Haus, in dem wirklich noch historische Kostüme rekonstruiert werden und wo – ganz im Gegensatz zu dem, was mich interessiert – der Orchestergraben riesig ist und dadurch auch die Distanz, die man zur Bühne hat. Dennoch möchte ich das Klassische kennenlernen, weil man sich nur von eingefahrenen Konzepten lösen kann, wenn man sie kennt und sich bewusst dagegen entscheidet.
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Was sind deine Zukunftspläne, deine Vision von danach? Wo willst du mal eine Oper inszenieren? Also ich mag generell Räume, die schon da sind. Räume, die eine Funktion und ihre eigene Geschichte haben. Ich fand es sehr spannend im BLG-Forum und im Dom, weil die Geschichte eines Raumes nicht auszulöschen ist. Im Gegensatz dazu hat man im Theater einen auf unvoreingenommene Inszenierung ausgelegten Raum. Der soll nichts weiter erzählen. Er soll dir ja nicht sagen, dass du gerade im Theater bist. Du sollst dich in der Geschichte wiederfinden. Deswegen mag ich es, diese Szenerien mit einzustricken. Ich finde generell jeden Raum interessant, den man dekontextualisieren kann. Ich mag keine glatt gelutschten Räume, sondern Räume mit Eigenheiten, mit denen ich dann arbeiten kann. Ich arbeite ja schließlich auch mit einer literarischen Vorlage, die schon von jemand anderem geschrieben wurde. Diese Dinge zu verbinden, in schon existenten Räumen, alten Fabrikhallen, Kirchen, das ist super. Ach, ich will unbedingt irgendwann mal was machen, wo eine Hüpfburg involviert ist. Hüpfen und Singen, das ist mein Traum.
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Eine neue Herausforderung? Die Hüpf burg ist bei mir eher eine Metapher für ein Extrem. Ich möchte gerne mal ein Projekt machen, bei dem man neue Grenzen auslotet. Ich respektiere die Sänger sehr für ihre Fähigkeiten, möchte sie aber auch gerne mehr mit dem Raum fordern. Man muss nicht immer nur schön singen können. Wenn man eine Person spielt, die außer Atem ist, dann kann man auch mal außer Atem sein. Ich würde gerne noch experimenteller mit Inszenierung umgehen. Vielleicht kannst du noch einmal ganz assoziativ sagen: Was ist die Oper für dich? Oper ist für mich Szenario. Berührung. Oper bedeutet Verf lüssigung. Ich schmelze immer ein bisschen dahin. So fühlt sich das an! Oper ist für mich einfach ein gewisses Ausbrechen aus dem Alltäglichen – ein Ausbruch aus der alltäglichen Ordnung!