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»Ich hab’ schon als Kind gesungen, als ich auf dem Pferd durchs Dorf geritten bin.«

Interview mit Jan Hübner



Interview mit Jan Hübner

Jan Hübner Diplomstudent Alte Musik mit Hauptfach Gesang an der HfK Sänger als Ozia in »La Betulia Liberata« und als Hirte in »L’Orfeo«



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Was machst du gerade in deinem Leben? Studierst du noch? Ja, ich studiere und habe aber nebenbei allerlei als Konzertsänger zu tun. Mein Schwerpunkt ist Alte Musik, mein Herz schlägt also für Bach, Händel und Renaissancemusik. Damit beschäftige ich mich fast jeden Tag. Wie kamst du zum Singen? Ich hab’ schon als Kind gesungen, als ich auf dem Pferd durchs Dorf geritten bin. Du hast aber zuerst Kirchenmusik studiert? Ja, damit habe ich angefangen und auch schon zwei Jahre in Bremen als Kirchenmusiker gearbeitet. Dann habe ich zur Alten Musik mit Hauptfach Gesang gewechselt. Muss man religiös sein, um Kirchenmusiker zu werden oder kann man es auch der Liebe zu Bach wegen tun? Als Kirchenmusiker kann man natürlich auch arbeiten, wenn man kein religiöser Mensch ist. Das werden die Menschen aber, glaube ich, spüren. Die Gemeinde spürt, ob man hinter dem, was man tut, auch inhaltlich steht. Das muss man als Kirchenmusiker meiner Meinung nach schon.


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Bist du religiös? Ja, ich bin ein religiöser Mensch. Kannst du dich auch mit der Kirche als Institution identifizieren? Nur schwer. Was unterscheidet die Ausbildung in der Alten Musik von der klassischen Gesangsausbildung? Die Techniken sind ähnlich. Was grundsätzlich unterschiedlich ist, ist das Repertoire, die Musik, mit der man sich befasst. Der Gesangsstudent, der den klassischen Weg geht, befasst sich sehr viel mit dem Lied der Romantik, dem klavierbegleiteten Sololied und mit Oper bis hin zur Moderne. Wer Alte Musik mit Schwerpunkt Gesang macht, der befasst sich auch mit begleiteten Liedern, allerdings von anderen Instrumentengruppen und aus einer anderen Zeit, hauptsächlich dem Zeitraum 16. - 18. Jahrhundert. Ein großer Teil sind Kirchen- und Kammermusik, weil zur genannten Zeit Musik in der Kirche und in Adelshäusern gemacht worden ist. Man lernt also, wie man in der Kirche und mit verschiedensten Ensembles gemeinsam musiziert. Ein großer Teil ist für den Studierenden jedoch Kirchenmusik, weil zur Entstehungszeit seines


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Repertoires Musik in der Kirche und in Adelshäusern gemacht worden ist, selten im Privatraum. Das ist mit Opern und romantischem Repertoire ganz anders, weil es aus einer völlig anderen Zeit stammt. Trotzdem hast du zweimal bei interdisziplinären Opernprojekten mitgewirkt. Genau. Einmal bei »La Betulia Liberata« und bei »L’Orfeo«. Bei »La Betulia Liberata« hast du den Ozia gesungen, den entmachteten Herrscher Betuliens. Du bist dabei in vier Meter Höhe auf einer Hebebühne gefahren und hast mit einer riesigen Maske im Halbdunkeln gesungen. Wie war die Erfahrung, seine Grenzen derartig zu erweitern? Das war spannend. Ich bin erst relativ spät zu dem Projekt gekommen. Weil es ja eine Mozartoper ist. Mozart könnte man zwar gerade noch als Alte Musik bezeichnen, das ist aber landläufig nicht so. Deshalb ist es nur am Rand mein Repertoire. Ozia ist aber eine ganz tolle, sehr koloraturbetonte Partie. So was liegt mir einfach. In der klassischen Abteilung gab es einen personellen Engpass und so wurde ich gebeten, das zu machen. Ich habe das als sehr große Herausforderung begriffen.


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Bei dieser Gelegenheit habe ich auch den Regisseur Gregor Horres kennengelernt. Diese Zusammenarbeit mit ihm war sehr inspirierend für mich, vor allem die Gespräche am Rande der Proben. So war ich auch bereit, alles Mögliche zu tun – dazu neige ich aber sowieso. Lag deine Offenheit am Regisseur oder lag sie an deiner Perspektive, die nicht aus einem klassischen Opernkontext kommt, sondern eher dem Konzertanten. Konntest du die Chancen besser nutzen, weil du nicht daran gedacht hast, was auf der Bühne beim Darstellen alles passieren kann? Bei so etwas habe ich überhaupt keine Bedenken. Ich bin grundsätzlich der Auffassung, dass man alles Mögliche tun sollte auf der Bühne, um das, was an emotionalen Farben und Inhalten in diesen Stücken schlummert, zutage zu bringen. Dafür gibt es unter schiedliche Wege. Ich würde auch extremere Dinge unterstützen. Hilft dir auch ein Kostüm dabei, dich in deine Rolle einzufinden? Ja. Das ist ganz wichtig. Auch der gestaltete Raum, den man dann eben Bühne nennt. Also der Raum, der sich selber neu definiert. Das war gerade bei »La Betulia Liberata«


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besonders extrem, weil die Oper im Bremer Dom stattfand. Obwohl es ein heiliger Raum ist, war es für mich überhaupt nicht problematisch, darin zu schreien oder Besteck auf den Boden zu werfen oder mit Töpfen zu schlagen, weil der Raum nie seine Kraft und seinen Inhalt verliert, aber mit neuem Gefühl gefüllt wird. All das, was in diesem blutrünstigen Stück vorkommt, passt auch zu unserer kulturellen Geschichte, die auch in der Kirche passiert ist. Eine biblische Realität begründet auch die Vorlage des Librettos. Ursprünglich war das Stück ja ein Oratorium und keine Oper. Wo liegen deine Grenzen beim Kostüm? Woran ich mich wohl gewöhnen müsste, ist Nacktheit. Das ist das Einzige, was mir was ausmacht. Das würde ich komisch finden. Wenn ich selbst in die Oper gehe und da treten nackte Menschen auf, überkommt mich immer so ein Schauer, es ist einfach extrem pur. Ich müsste dafür mein Schamgefühl überwinden. Was liegt dir mehr? Szenisches oder Konzertantes? Das kann ich nicht sagen. Beides macht mir Spaß. Meinen beruf lichen Schwerpunkt würde ich aber auf das Konzertante legen.


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Wie fühlt es sich an, wenn du dann zum ersten Mal in dem Raum stehst, in dem du singen sollst und alles ist aufgebaut? Ich freu’ mich total! Ich bin immer gerne zur Schule gegangen, und für mich fühlt sich das Betreten des Bühnenraumes wie der erste Schultag an. Das war immer ein toller Tag. Es fängt etwas Neues an, eine neue Geschichte beginnt, und man hat einen neuen Klassenraum und die Möglichkeit, ihnzu füllen und zu gestalten. Gerade was die Arbeit mit dem künstlerisch-gestalterischen Teil der Hochschule betrifft, empfand ich das immer als extrem beeindruckend und inspirierend. Was glaubst du, was Gestalter von Musikern lernen können und umgekehrt? Was ein Musiker von einem Gestalter lernen kann, ist Weitblick und in der Lage zu sein, intensiv, kommunikativ und vor allem mit Aufrichtigkeit zusammenzuarbeiten, Klarheit zu fordern und Klarheit zu geben. Das hat mich total beeindruckt. Beim »Orfeo« gab es mal die Konf liktsituation, jemand wollte in bestimmten Schuhen nicht auftreten, weil irgendetwas nicht realisiert werden konnte. Das hat sich zum Glück alles gelegt, aber die ganze Sache hat mir gezeigt: was ihr macht, das hat soweit Hand


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und Fuß, dass man das nicht mal eben so über Bord wirft. Dann wirft man die Schuhe nicht schnell in die Ecke, sondern geht nochmals fünf Minuten darauf und macht es einfach, weil es Sinn macht. Jedes Konzept muss so kommuniziert werden, dass man es versteht. Ich habe eure Konzepte immer als extrem schlüssig empfunden. Das hat mich wahnsinnig beeindruckt, und es bietet einem eine Substanz, in der man sich bewegen kann. Jeder hat die Möglichkeit da hineinzugehen und man fühlt sich trotzdem nicht in eine Richtung gelenkt. Glaubst du, dass die Oper heute noch zeitgemäß ist? Ich finde schon. Die Oper als Form der Abendunterhaltung ist vielleicht fragwürdig. Man geht in ein Haus, setzt sich da hin, lässt sich mehrere Stunden berieseln und geht wieder nach Hause. Aber was das betrifft, was auf der Bühne passiert, also die künstlerische Darstellung eines Stückes, die Verknüpfung der verschiedenen Künste auf der Bühne, das Gesamtkunstwerk, das die Oper ist, das ist erhaltenswert.


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Hast du Ideen, wie man die Oper auch für ein jüngeres Publikum interessanter machen kann? Da sehe ich die Aufgabe bei den Familien. Eltern können ihre Kinder im Haus so bilden, dass sie Interesse an Oper und Konzert entwickeln. Und ich glaube, es spielt keine Rolle, ob man einen Vater hat, der gerne Wagner hört oder eine Mutter, die gerne Schönberg hört. Mein Vater hört Rammstein. Also so ein Rammsteinkonzert ist ja auch nicht weit von der Oper entfernt. Was da aufgefahren wird an Pyro- und Bühnentechnik. Die Konzerte sind ja auch thematisch sehr dicht und konzentriert. Man hat nur keine festen Plätze und es gibt keinen Prosecco in der Pause. Hast du irgendwelche Tipps für Opernanfänger? Welche Stücke oder Komponisten eignen sich am besten, um einen Zugang zu finden? Ich denke Mozart ist sinnvoll. Die Libretti sind kompliziert, aber nicht undurchschaubar. Die Musik ist komplex, aber eingängig. Gibt es eine Oper, die du mal gerne singen würdest?


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Ich hätte total Lust auf eine Händeloper. Händelopern sind einfach unglaublich farbig. Ich empfinde sie als extrem abwechslungsreich. Wie fühlt sich Oper für dich an? Spannend, anstrengend, inspirierend. Was bedeutet dir die Oper? Die Oper ist ein Gegenstand, den man besitzt. Zum Beispiel wie eine Vase, die im Schrank steht, und wenn man einen ganz tollen Blumenstrauß geschenkt bekommt, dann holt man sie raus und schaut sie an. Oper ist genauso, weil sie immer ein Teil von meinem Leben ist und sie immer mit unterschiedlichen Dingen gefüllt wird. Aber in meinem Alltag spielt sie keine Rolle. Dennoch fasziniert sie mich und sie ist extrem kostbar. Was war dein schönste Erinnerung an das Opernprojekt? Es gab viele schöne Momente. Besonders nach Proben. Wenn man gemeinsam noch etwas trinken gegangen ist. Das muss unbedingt so sein, denn es ist genau dieses Gemeinschaftsstiftende, was das Projekt ausmacht. Es zieht einen aus dieser Ich-Bezogenheit heraus, mit der man im Studium


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konfrontiert wird. Sie ist zwar wichtig und unerlässlich, bis es wehtut. Aber in solchen Zeiten sollte man das einfach aufgeben und seine Kollegen auf eine andere Weise schätzen und kennenlernen. Das ist ein großer Schatz, der nicht zu ermessen und mit keiner Note ausdrückbar ist. Vor allem sollte man die Chance nutzen, auch Studierende aus dem Bereich Kunst und Gestaltung kennenzulernen, was durch die räumliche Trennung an der Hochschule allerdings erschwert ist. Wenn ich am Speicher bin, bin ich immer neidisch. Weil ich die Art, wie da miteinander umgegangen wird, schätze. Außerdem sehen die Leute völlig anders aus. Das ist total toll und ich hätte gerne mehr davon. Was war der schwierigste Moment? Am meisten hat mich das Genörgel meiner Kommilitonen geärgert. Und was hörst du sonst so? Ich höre kaum Musik. Ich höre, wenn ich mich danach fühle, Bachmotetten, Chansons von Hildegard Knef, die Sterne aus Hamburg, Caterina Valente. Aber ganz wenig. Wenn es hoch kommt, höre ich einmal die Woche bewusst Musik. Ich habe sowieso in meinem Kopf ständig Musik.




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