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»Plötzlich klatschen alle, plötzlich ist alles echt!«

Interview mit Heike Neugebauer



Interview mit Heike Neugebauer

Heike Neugebauer Studium Bühnen- und Kostümbild an der Hochschule für Bildende Künste Dresden; Ausstattungen für Oper und Schauspiel an den Bühnen der Stadt Magdeburg; Chefbühnenbildnerin an den Freien Kammerspielen Magdeburg; seit Herbst 1991 Engagement als Ausstatterin an der Bremer Shakespeare Company; Gastkostümbildnerin u.a. an der Oper Leipzig und der Hamburger Staatsoper Betreuung der Kostüme bei »Das Medium«, »Die Heirat«, »Die Welt auf dem Mond«, »Die Fledermaus«, »Eine kleine Zauberflöte«, »The Turn Of  The Screw«, »Orpheus in der Unterwelt«, »Im weißen Rössl« Betreuung der Bühne bei »La Betulia Liberata« und »L’Orfeo«



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Welche Aufgaben hatten Sie beim Opernprojekt? In den ersten Jahren habe ich die Studierenden, die für das Kostümbild verantwortlich waren, betreut. Jetzt betreue ich hauptsächlich die Bühne. Meine Aufgaben beinhalten die Einführung in das Thema und die Betreuung und Unterstützung der eigentlichen Arbeit. Außerdem sind mir die Kommunikation zwischen den Abteilungen wichtig, die Organisation des finanziellen Budgets, wie man etwas umsetzt, mit welchem Material... Erklären, erklären. Richtungen vorgeben und dabei im Idealfall nicht zu sehr in die künstlerische Freiheit der Studierenden eingreifen. Für die Studierenden da sein – in jeglicher Hinsicht. Wenn alles ganz schwierig wird und sie verzweifeln, versuche ich, den Überblick zu behalten und mache ihnen deutlich, wo das Ganze hinführt und auch, was es bedeutet, speziell für eine Oper die Ausstattung zu machen. Letztendlich versuche ich vor allem zu gucken, dass sie fertig werden. (lacht) Sie haben das Opernprojekt zehn Jahre erlebt – hat sich die Arbeit mit den Studierenden verändert? Beim ersten Opernprojekt mit Peter Schäfer und Renato Grünig gab es nur vier Studenten,


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die sich um Bühne und Kostüm gekümmert haben. Sie kamen ausschließlich aus der Freien Kunst, direkt aus der Klasse von Peter Schäfer. Ich glaube, der große Unterschied ist, dass sie damals fast alles selbst gemacht haben, mit Unterstützung der Betreuer. Das heißt, die Ideenfindung, welches Material soll verwendet werden, die Umsetzung: Alles wurde ausschließlich von den Studenten gemacht. Bei den ersten drei Opernprojekten haben wir nur die Werkstätten der HfK genutzt. Die Kostüme wurden alle selbst genäht, die Bühne wurde selbst gebaut. Egal wie aufwändig das war. Bei den letzten Opernprojekten gab es riesige Räume und man konnte nicht mehr alles selber machen. Dadurch hat sich sehr viel verändert. Und der gestalterische Ansatz? Ja, der gestalterische Ansatz hat sich unheimlich entwickelt, ist in eine andere Richtung gegangen. Das kann man auch daran sehen, wie sich Theaterbühnenbilder in den letzten zehn Jahren entwickelt haben. Es wird mehr in Rauminstallation gedacht. Heutzutage hat man die Möglichkeit, mit Videoprojektionen leere Räume zu gestalten. Das war am Anfang nicht so. Bei den ersten zwei, drei Bühnenbildern wurde viel mehr in ausformulierten Theaterräumen mit Wänden, Türen usw. gedacht.


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Bleibst du lieber im sicheren Terrain vom Theaterraum oder gehst du lieber in »fremde« Räume? Was ist schon sicher – nichts! Es ist sehr schade, wenn man einen wahnsinnig tollen Raum hat, den man nicht bewältigen kann. Wir waren dreimal in sehr großen Räumen, im BLG-Forum und im Dom. Im Dom hatte ich das Gefühl, der Raum wurde sehr gut bewältigt, obwohl die Herausforderung riesig war. Es ist einfach schade – um es ganz krass zu sagen –, an finanziellen Mitteln zu scheitern. Dadurch leidet die künstlerische Arbeit der Studierenden. Es ist sehr anstrengend, weil man immer gucken muss, ob der Entwurf überhaupt umsetzbar ist. In solchen Situationen weiß man, dass es richtig gut ist, was die StudentInnen sich ausgedacht haben, aber es wäre Wahnsinn, das umzusetzen wegen der Kosten. Solche Momente sind schwierig, und es ist schon etwas Besonderes, dass die Hochschule das leistet. Das ist sehr beeindruckend. Gibt es einen Raum, der dich herausfordern würde? Mich reizen Orte, die etwas vorgeben, die etwas anbieten und nicht nur eine leere Blackbox sind, was ein Theater ja immer ist. Alte Fabrikhallen finde ich toll. Mich würde


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ein Raum reizen, den man wirklich entdecken kann, wo noch nie jemand etwas darin gemacht hat. Ich habe zum Beispiel in der umgedrehten Kommode mit der bsc bei »Pleasure Island« die Ausstattung gemacht, als dort zum ersten Mal Theater gespielt wurde. Sich als erste Truppe einen Ort zu erobern, ist großartig. Wenn man rausgeht aus dem Theater, darf nicht alles schon etabliert sein. Wie wichtig ist gute Teamarbeit für das Gelingen einer Inszenierung? Sehr, sehr, sehr wichtig. (lacht) Es ist wichtig, Verantwortlichkeiten klar zu definieren. Wer setzt sich für was ein, wer muss für was geradestehen? Es gibt ganz klare Regeln, die wir leider nicht immer einhalten. Das ist das Problem. Was sehr gut ist, sind die kurzen Wege, die sich daraus ergeben, dass wir uns alle kennen. Dass man schon so lange dabei ist und weiß, wen man ansprechen muss, wenn man ein Problem hat oder eine Lösung sucht, das funktioniert sehr gut. Schwierig wird es immer dann, wenn man sich Technik leihen muss, weil oft nicht klar genug definiert ist, wer für was verantwortlich ist. Wie wichtig sind Konflikte im Entwicklungsprozess?


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Konf likte, Auseinandersetzungen und verschiedene Meinungen können den Prozess fördern. Es kann spannend sein, über einen Konf likt zu reden, der darin besteht, dass man künstlerisch verschiedener Meinung ist. Das ist eine tolle Möglichkeit an der Hf K. In einem Theater ist man oft vorsichtiger damit, was man sagt oder lieber nicht sagen sollte. Es ist total wichtig, dass die Studierenden Konf likte eingehen, aber sie sollten nicht negativ enden. Manchmal knallen zwei Meinungen aufeinander und wir müssen dann gucken, wie wir das positiv umsetzen. Wie einigt man sich auf einen Entwurf? Reden, reden, reden. Das Wichtigste sind Zeit und Geduld. Wie ist es im Theater? Braucht das Theater Hierarchien? Ja, ich denke schon. Ist es bei uns im Idealfall unter den Studierenden demokratisch? Man versucht, untereinander zu vermitteln. An großen Häusern gibt es einen Bühnenausstatter und einen Kostümbildner. Die bilden zusammen mit dem Regisseur und


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dem Dramaturgen – im Opernhaus noch mit dem Dirigenten – ein Team und erarbeiten die ganze Idee. In unserem Fall soll die ganze Gruppe der Studierenden dieses Team verkörpern. Ein Reiz daran ist, dass man durch so eine große Gruppe und den »Schutzraum« Hochschule viel mehr Zeit und viel mehr Spielräume hat. Man kann also im Idealfall jede Idee durchspielen. Wir hatten schon fünf unterschiedliche Ideen, für ein und dieselbe Figur. Dann wird das eben abgearbeitet. Dabei lernen die Studenten untereinander sehr viel. Die einzige Hierarchie – eine die man hier auch hat – ist, dass der Regisseur am Ende das Sagen hat. Aber selbst da hat man beim Opernprojekt das Gefühl, dass sehr viel möglich ist. Die Opern an sich sind schon tausendmal gespielt worden, die Inszenierungen – ohne jemandem zu nahe treten zu wollen – sind auch so, dass sie für die Gesangsstudenten erfüllbar sind. Die Ausstattung ist dann immer das besondere Highlight, weil es eben aus einer ganz anderen Ecke kommt, bildnerisch-künstlerisch ist. Die Regisseure lassen sehr viel zu. Sie lassen sich darauf ein, weil es für sie auch etwas Neues ist, mit einem noch nicht professionellen Team zu arbeiten. Das ist der Unterschied zwischen dem normalen Theaterbetrieb und einem Hochschulprojekt. Die StudentInnen dürfen sich gegenseitig


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reinreden, sie sollen sich reinreden. Die Kostümleute den Bühnenbildnern und umgekehrt. Das ist eine unglaublich gute Möglichkeit in diesem studentischen Projekt. Das geht am Stadttheater fast gar nicht. Kannst du deinen Beruf weiterempfehlen? Ja klar. Heute gibt es auch die Möglichkeit, Modedesign oder Kunst zu studieren und dann trotzdem ans Theater zu gehen. Der gravierende Unterschied zu dem, was ich gelernt habe, ist, dass Bühnen- und Kostümbildnerei damals eher ein Handwerk waren – ohne das jetzt abwerten zu wollen. Das sieht man auch daran, dass es jetzt Bühnen-Design heißen kann oder Light-Design. Früher war da einer, der hat das Licht an- und ausgemacht, und er hat vielleicht auch schönes Licht gemacht. Aber dass man eine dramaturgische Lichtidee hat und jemanden holt, der einen komplizierten Raum ausleuchtet, das ist ja eher Kunst. Für mich war Theater immer ein Ort der Freiheit. Nicht nur künstlerischer, sondern auch der allgemeinen Entfaltung. Ich kann meine Ideen, meine Träume, meine Geschichten einbringen. Auch die Möglichkeit, sich auszutauschen, ist mir wichtig. Ich freue mich, wenn eine Sängerin glücklich ist mit ihrem Fummel und das Kleid abkaufen möchte oder der Techniker sagt: Das ist aber


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heute ein schönes Bühnenbild. Und ich liebe Geschichten! Ich habe als Kind schon wahnsinnig gern Geschichten gehört, und die umzusetzen, so dass man sie sehen kann, ist unglaublich! Außerdem hat es speziell auch noch mit meiner Herkunft zu tun. Ich komme aus dem Osten. Da war das Theater der einzige Ort, wo man partiell noch machen konnte, was man wollte. Wie schafft man durch ein Kostüm einen Charakter? Für mich ist es das Allerwichtigste zu wissen, wer die Person ist, die es anzieht. Früher war das nicht so, aber je länger ich das mache, umso wichtiger ist es zu sehen, wer zieht es an. Wer spielt, wer singt die Figur? Wer und im Idealfall, wie. Wenn man einen Menschen kennt, weiß wie er spielt, wie er spricht, wie er eine Szene angeht, kann man viel besser daran arbeiten, was er anziehen könnte. Man kann – das haben wir oft bei den Opernprojekten gehabt – zwei völlig verschiedene Besetzungen haben. Dann spielen zwei Personen zwar dieselbe Prinzessin, aber sie können nie im Leben das gleiche Kleid anziehen, selbst wenn es die gleiche Größe hat. Wenn sie völlig verschiedene Typen sind, eine von beiden eine völlig andere Ausstrahlung hat, dann muss man sie auch entsprechend anders anziehen. Außerdem ist mir wichtig, dass


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das Kostüm nicht den Spieler versteckt oder ihn zukleistert, sondern der Spieler immer noch präsent ist. Du zeichnest gerne. Welche Bedeutung hat der Entwurfsprozess für dich? Das ist für mich die Phase, wo ich Zeit alleine brauche. Ich verändere viel an meinen Zeichnungen und entwickle darüber das Kostüm. Das mache ich sehr gerne, aber ich bin irgendwann weggekommen vom Nur – Zeichnen. Ich habe so eine Mischform entdeckt, zwischen Zeichnung und Collage. Was spannend ist, sind Assoziationsketten. Was waren die schönsten Opernmomente während der zehn Jahre des Projekts für dich? Es gab bei jedem Opernprojekt besonders schöne Momente. Vor allem der Augenblick, in dem alle merken, es hat funktioniert! Diese Wahnsinnsarbeit bis zum Schluss und dann kommt der Moment, wo alles überstanden ist und die Studierenden sind glücklich. Plötzlich klatschen alle und auf einmal ist alles echt! Und was war schwierig? Es ist schade, wenn alles nur noch über den Computer gemacht wird. Es wäre schön,


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wenn mehr mit der Hand gezeichnet werden würde oder haptisch probiert würde. Material in die Hände zu nehmen, ist wichtig, und ich glaube, dass man das an dieser Hochschule machen kann, ist ein Luxus. Später wird alles nur noch am Computer gemacht. Ganz schlimm finde ich es auch, wenn bei Studierenden untereinander die Chemie nicht stimmt. Wenn man das Problem hat, vermitteln zu müssen und es nicht hilft. Das ist wirklich schwierig, aber das ist sehr selten passiert – zum Glück. Wie fühlt sich Oper an? Schön! (lacht) Super! Oper hat den großen Vorteil, dass sie nie langweilig ist, weil man immer diese schöne Musik hören darf. Das ist ein unheimlicher Luxus. Und was bedeutet Oper für dich? Oper finde ich immer wieder überwältigend. Dass man über Musik solche Emotionen ausdrücken kann, finde ich gigantisch! Egal, ob es eine moderne Oper ist oder eine alte. Ich bewundere die Sänger, die, wie ich finde, einen der anspruchsvollsten und schönsten Berufe ausüben.




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