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Mehr Stille wäre gut
Dom Marc de Pothuau (52)
kam vor 26 Jahren nach Hauterive. 2010 wurde er von seinen Brüdern zum Abt gewählt
Dem Himmel so nah
Nur wenige Kilometer von Freiburg entfernt, liegt die Zisterzienserabtei Hauterive, eingebettet in eine wunderschöne Landschaft, durch die sich die Saane schlängelt. Ein Gespräch mit Marc de Pothuau, Abt des ältesten, aktiven Klosters in der Westschweiz.
INTERVIEW PASCALE STEHLIN | FOTOS OLIVIER VOGELSANG
Was macht die Abtei Hauterive so einzigartig? Frère Marc: Wir leben in einer Talsohle, in einer Flusswindung der Saane. Die Zisterziensermönche hatten stets solche Orte im Visier. Sie verliessen Städte und Dörfer, um an abgeschiedenen Orten und in einsamen Tälern Gott in der besinnlichen Stille und Schönheit zu suchen.
Wie sieht ein typischer Tag im Kloster aus? Unser Tag beginnt eigentlich abends, gemäss Bibelstelle: Es wurde Abend, und es wurde Morgen. Erster Tag. Um gut aufzustehen, muss man natürlich gut zu Bett gehen können. Der letzte Gottesdienst endet gegen zwanzig Uhr, doch wir stehen um vier Uhr morgens auf und beginnen mit einer Nachtwache, der Vigil. Die Nacht fördert Achtsamkeit und Gebet. Für uns ist es sehr wichtig, nachts in Gemeinschaft mit jenen zu beten, die durch zu viel Leid keine Ruhe finden: Kranke, Obdachlose, Schlaflose und so viele einsame Menschen. Danach singen wir die Laudes, um den Tagesanbruch mit Freude und Dankbarkeit zu feiern. Insgesamt feiern wir acht Gottesdienste, darunter die Messe, zwischen denen wir sechs Stunden arbeiten. Einige Brüder bewirtschaften unser Landgut. Wir stellen verschiedene Produkte aus unserem Obst und Gemüse her. Mehrere Brüder widmen sich dem Gästehaus, einem Ort für Besinnungszeiten.
Ihr Verhältnis zur Zeit scheint im Einklang mit der Natur zu sein. Sollten wir es Ihnen gleichtun? Ja, wir nehmen die verstreichende Zeit auf. Die Glocken läuten häufig, um uns daran zu erinnern, jeden Moment zu feiern, so die Sonne, die aufgeht oder den Zenit erreicht. Da ist dieser Wunsch, in der zerrinnenden Zeit aufzugehen und gegen das Zeitverständnis zu kämpfen, das die meisten Menschen haben, indem sie die Zeit besitzen und möglichst viel davon an sich reissen wollen. Doch wer glaubt, Zeit besitzen zu können, irrt. Papst Franziskus sagte, die Zeit sei mehr wert als der Raum. Das ist eine Umkehrung unseres Denkens. Mit unseren Uhren haben wir die Zeit auf den Raum reduziert. Man hat aus der Zeit etwas gemacht, das man in den Raum stellen konnte, um es sich vorstellen, es planen und um sich sagen zu können, dass man noch Zeit hat oder keine mehr. Der Versuch, die Zeit zu greifen, macht einen verrückt und führt zu Erschöpfung. Die Glocke stoppt mich in meinen Aktivitäten und erinnert mich daran, dass wir das Geschenk der Zeit feiern sollten. Letztlich ist sie das Leben, das mir in jedem Augenblick zuteilwird. Die Stille nimmt einen wichtigen Platz im Klosterleben ein. Warum? Stille ist nötig, um in sich zu gehen und in sich hinein zu hören. Nicht nur die Stille für sich ist wichtig, sondern das Wort. Da das Wort so wichtig ist, braucht es Stille, um es zu empfangen. Es ist die Voraussetzung für eine tiefe Beziehung zu Gott, aber auch zu den anderen. Die Stille ermöglicht uns, in Kontakt mit demjenigen zu bleiben, den wir in der Feier berühren, so
«Unserer Zeit fehlt es so sehr an Stille!» Frère Marc, Abt des Zistersienserklosters Hauterive wie man nach einer schönen Musik still bleibt, um sie besser zu würdigen. Stille ist weder Leere noch Abkapselung. Sie ist Öffnung und Achtsamkeit gegenüber dem anderen und dem ganz Anderen. Sie stärkt unser brüderliches Leben und erlaubt Respekt und Tiefe. Wir wissen um die Bedeutung des Nonverbalen in Beziehungen. So wie uns die Lichtverschmutzung in der Stadt die Sterne verdeckt, haben wir uns auch zu sehr an die Lärmverschmutzung gewöhnt. Doch der Lärm, die leeren Worte und die endlosen Nachrichten isolieren jeden immer mehr. In unserer Zeit dreht sich alles um Kommunikation, doch die Kommunion gelingt nicht wirklich. Es fehlt ihr so sehr an Stille! ◆
HAUTERIVE
Lage: Das Kloster Hauterive liegt in Posieux, sieben Kilometer von Freiburg entfernt. Geschichte: Das Zisterzienserkloster wurde 1138 von Wilhelm von Glane gegründet. Der Freiherr verschenkte seine Ländereien und ermöglichte damit die Errichtung des Klosters. Er wandte sich an die Mönche von Cherlieu in Frankreich, mit deren Hilfe die Abtei entstand. Klosterleben: Rund fünfzehn Mönche aus der ganzen Schweiz und aus dem Ausland wie auch Laienbrüder leben und arbeiten in der Abtei. Zisterziensische Werte: Arbeit, Gebet und Brüderlichkeit
Zur Vertiefung: abbaye-hauterive.ch