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Unterwegs mit
HEINRICH GIESKER Snowflake fühlt sich nur im Tiefschnee frei
Alle nennen ihn Snowflake, weil er immer ganz in Weiss in den Tiefschneehängen am Titlis unterwegs ist. Der Luzerner Heinrich Giesker entwarf einst eine eigene Modelinie, doch seit Jahren steht das Original jeden Wintertag auf den Skis.
TEXT UND FOTO FELIX MAURHOFER
Die Sonne ist kurz davor, hinter den verschneiten Bergen unterzugehen. Während die Skipisten am
Titlis mehrheitlich verwaist sind, nimmt ein weiss gekleideter Freerider mit wehender Haarpracht die
Einfahrt zum Laubhang unter die
Blau und Grau zu machen», sagt
Heinrich Giesker, der unter dem
Namen Snowflake weitum bekannt ist. Mit einem breiten Grinsen auf seinem braun gebrannten und zerfurchten Gesicht gleitet er in den
Tiefschneehang. Elegant zieht er seine Kurven, hält ab und zu an, um unverspurte Hänge ausfindig zu machen. Am Fusse des Laubs hat er 1200 Höhenmeter hinter sich gebracht – ein Traumhang für jeden
Freerider. Doch das Laub ist nicht der einzige am Titlis. Überall, sei es am Steinberg oder Galtiberg, zieht
Heinrich seine Spuren. Er lässt die gesamte Saison keinen Wintertag in seinem Lieblingsgebiet aus.
Aufgewachsen ist er in Luzern und lernte bereits als Dreikäsehoch zwischen den Beinen seiner Mutter Skifahren. «Meine Eltern haben mich für die Natur sensibilisiert. Und insbesondere mein Vater, der Kunstmaler war, hat mir das Auge fürs Schöne und Ästhetische geöffnet», so der 75-jährige Schneefanatiker. Nach der KV-Lehre schlug Giesker eine nonkonforme Laufbahn ein. Er entwarf und schneiderte Männermode und stieg so ins Modegeschäft ein. 1970 verkaufte er in seinen vierzehn Blondino- Boutiquen hochpreisige Kreationen. Der wirblige Luzerner war damals viel unterwegs und folgte stets seinem Lebensmotto: immer offen für Neues bleiben und nie kategorisch Nein sagen. 1997 war dann Schluss, er verkaufte seine Firma, schaltete ein paar Gänge runter und besann sich auf seine Wurzeln in der Natur.
Der Tarnanzug
Und warum nennen ihn alle Snowflake? Ein Kabinenführer der Titlisbahn sei mit schwedischen Skifahrern Richtung Titlis gefahren, während er unter der Gondel durch- fuhr. Das kommentierte der Bahnangestellte folgendermassen: «Schau, da fährt wieder das Schnee- flöckli.» Die Schweden hätten dann, ohne Schweizerdeutsch zu verstehen, das Wort korrekt in Snowflake übersetzt. Seither nennen ihn alle so. Weisse Skikleider trage er nicht als Modegag, sondern wegen dem alten Andermatter Pistenchef Sepp Inderkum. Heinrich Giesker fuhr in jungen Jahren oft am Gemsstock Ski. Und das, bis die Sonne unterging. Das gefiel dem Pistenchef gar nicht. Er hatte auf den Freerider der ersten Stunde einen Pik. Doch Giesker hatte auch für dieses Problem eine Lösung. Um nicht entdeckt zu werden, beschaffte sich Snowflake weisse Skikleider und wartete so getarnt im Schnee, bis die Patrouilleure ihre letzte Pistenkontrolle beendet hatten. Damals, so erinnert sich der Naturmensch, gab es nicht viele Freerider. Bloss ein paar Einheimische und Jäger hätten sich in die Tiefschneehänge gewagt. Giesker fuhr damals übrigens mit dem legendären Rossignol-Ski Strato.
Ohne Auffangnetz
Snowflake fährt ohne Lawinensicherheitsausrüstung und trägt nur eine Mütze, wenn es kälter als minus zwanzig Grad Celsius ist. Er vertraue auf die Natur, seinen Instinkt und seine Erfahrung. Einen Unfall hatte er noch nie. «Komme ich in den Tiefschneerausch – es ist eine Sucht –, esse ich den ganzen Tag nichts ausser Cassispastillen», meint er verschmitzt. «Beim Freeriden fühle ich mich frei, nahe an der Natur und kann ich selbst sein – einfach frei.» ◆
«Ich mag es, die letzte Abfahrt in diesem speziellen Licht zwischen Blau und Grau zu machen.»
Heinrich Giesker Freerider, Luzern und Titlis
Droge Tiefschnee Heinrich Giesker kann nicht genug davon bekommen