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Episches Namibia
In vergangenen Jahrhunderten haben Entdecker die Menschheit mit Berichten über ihre Reisen inspiriert. Die Abenteuerlustigen, die solche Berichte lasen, waren fasziniert und versucht, selbst aufzubrechen und ferne Orte zu erleben. Doch leider war es meist ein unmögliches Unterfangen, außer für einige wenige Glückliche.
Heutzutage inspirieren Reiseschriftsteller ihre Leser mit Worten und mit Fotos von wundersamen Plätzen. Mit einem Mausklick können die erstaunlichsten Bilder von praktisch jedem geheimen Ort der Welt von fast jedem entdeckt werden, ohne auch nur einen Finger zu rühren. In unserer Zeit sind Entdeckungen Teil unseres Lebens geworden. Wir haben unsere Smartphones zum Reisen. Es erlaubt uns zu träumen und uns in der Realität der Erfahrungen anderer zu verlieren.
Die Pandemie hat jedoch bewiesen, dass all die schönen Beschreibungen mit den perfekten Adjektiven und die unglaublichsten Bilder nicht die Wahrnehmung eines Ortes ersetzen können – die Geräusche und Gerüche und das unergründliche Gefühl des Wohlbefindens, wenn man an einen Ort kommt, von dem man geträumt hat und die Realität den Erwartungen entspricht.
Namibia ist ein solcher Ort.
Es ist schwierig, die richtigen Worte zu finden, um unser Land zu beschreiben, selbst für diejenigen von uns, die das Glück haben, hier zu wohnen und die vielen Facetten aller Jahreszeiten und Eigenschaften zu erleben. Die Extreme von heiß und trocken, kalt und stürmisch, neblig, windig, sanft und beruhigend, ruhig und verträumt. Die „richtigen“ Worte klingen prätentiös. Der Versuch, die Schroffheit zu veranschaulichen, die sich im letzten Licht der untergehenden Sonne glättet, oder einen Gemsbock, der in einer Wolke aus rotem Staub den Hang einer Düne hinunterstürmt, kann die Magie dieses Moments kaum vermitteln. Erst wenn man die Schönheit mit eigenen Augen gesehen hat, können Worte die wahren Nuancen wiedergeben.
Vielleicht können Dichter den Geist dieses Landes der endlosen Horizonte besser vermitteln als Autoren. Das größte Vergnügen ist es jedoch, das befreiende Gefühl eines modernen Entdeckers selbst zu erleben. Mit Hilfe all der kleinen Annehmlichkeiten wie elektronische Karten und Mobiltelefone, GPS, Allradfahrzeug mit Kühlschrank und Dachzelt, und natürlich Benzin auf den meisten Strecken und Mobiltelefonempfang fast überall – in Namibia ist das möglich.
Warum nicht der Enge und dem stressigen Leben einer Großstadt entfliehen und einige Wochen in Freiheit verbringen? Entdecken Sie die natürliche Schönheit und die Abenteuer eines dünn besiedelten Landes auf einem anderen Kontinent.
Sie brauchen nur in ein Flugzeug steigen und nach der Ankunft Ihr Gepäck hinten in Ihrem Geländewagen verstauen. Achten Sie auf die Anweisungen, wie man das Dachzelt öffnet und einen Reifen wechselt. Füllen Sie dann den Camping-Kühlschrank auf und los geht’s, egal in welche Richtung, auf die Fernstraße, die aus der Hauptstadt herausführt. Noch besser ist es, eine Schotterstraße zu wählen und der „Zivilisation“ in weniger als einer Stunde den Rücken zu kehren.
Geteerte Straßen sind zwar bequem, bieten aber nicht immer die besten Voraussetzungen für dieses befreiende Gefühl.
Namibia ist ein Reiseziel der langsamen Art. Das heißt, wenn man das Land erkunden und nicht nur eine Liste abhaken will. Die Reise ist das eigentliche Ziel. Selbst wenn Sie vorhaben, zumindest die offensichtlichen Highlights aus dem ersten Kapitel Ihres Reiseführers aufzusuchen, werden Sie tief in alle vier Ecken und darüber hinaus gelangen.
Dazu braucht man Zeit. Nicht nur, um die Aussichten zu bewundern, sondern auch, um näher heranzugehen und die Details und Strukturen von Gestein und Fels, Bäumen und den kleinsten Blumen zu erkennen. Ein geheime Eigenschaft von Namibia ist das Licht. Nicht nur für Fotografen. Eine Fahrt durch eine Landschaft kurz nach Sonnenaufgang ist viel befriedigender als ein großes Frühstück. Seien Sie vor Sonnenaufgang auf der Straße. Seien Sie rechtzeitig vor Sonnenuntergang an Ihrem Zielort, um die goldene Stunde davor und danach zu genießen. Das Abendessen sollte ohnehin bei Kerzenlicht oder am offenen Feuer stattfinden.
Wenn ich nur drei Wochen zur Verfügung hätte und nur einmal im Leben die Gelegenheit, Namibia zu besuchen – wohin würde ich fahren? Das ist die schwierigste Entscheidung, besonders für eine wie ich, die Umwege und Abstecher liebt.
Wenn Sie meinen Spuren folgen wollen, verspreche ich Ihnen nicht die Big Five oder die Top zehn unter den Highlights. Stattdesseen werden Sie Namibias Schroffheit, die Natürlichkeit und die Seele des Landes kennenlernen und sich befreit fühlen, egal ob Sie fliegen oder fahren.
dass es keine Zäune gibt. Keine Barrieren. Bewegungsfreiheit für Mensch und Tier. Achten Sie auf die Formen von Bäumen, Pflanzen und Sträuchern auf Sand und felsigen Bergen, die wie aus einer anderen Welt erscheinen.
Es gibt noch eine ganze Welt zu entdecken, aber wir müssen weiter gen Süden, Richtung Ozean und Skelettküste, berühmt für Schiffswracks und Entbehrungen. Der kühle Südwestwind sagt dem Reisenden, dass er Hitze und Staub vorerst hinter sich gelassen hat. Flache Schotterebenen und endlose Strände streicheln die Seele. Wir passieren die Stelle, an der portugiesische Seefahrer einst ihr Steinkreuz aufgestellt haben und an der sich heute Tausende von Robben tummeln. Dann wieder landeinwärts, um die Spitzkoppe zu erklimmen und den Vollmond aufgehen zu sehen. Von nun an werden die Nächte dunkler und die Sterne scheinen heller zu funkeln, da der Mond jede Nacht eine Stunde später aufgeht.
Swakopmund an der Küste liegt auf halbem Weg zwischen Nord und Süd und bedeutet auch die Halbzeit dieser Reise. Eine Verschnaufpause, um die Vorräte aufzufüllen, sich abzukühlen, durch die Geschäfte zu bummeln, Restaurants aufzusuchen und sich an der deutschen Kolonialarchitektur zu erfreuen. Wenn Sie an Sandwüsten gewöhnt sind, meinen Sie vielleicht, dass die Namib dasselbe ist wie das, was Sie kennen, aber das ist sie nicht. Unsere Wüste ist eine lebendige Wüste. Lassen Sie sich bei einer Tour in die Dünen von einem erfahrenen Guide überzeugen.
In diesem Urlaubsort werden unzählige unterhaltsame Unternehmungen angeboten. Aber auf unserer epischen Reise bleibt keine Zeit für Frivolitäten wie Fallschirmspringen und Sandboarding, Kamelreiten oder Skibootangeln. Eine Ausnahme könnte ein Rundflug an der Skelettküste entlang ganz nach Norden bis zum Kunene sein, um die Gegenden, durch die wir in den letzten Tagen gefahren sind, aus der Vogelperspektive zu betrachten. Vielleicht die einzige Gelegenheit, die Epupa-Fälle und Dörfer des nomadischen Himba-Volkes zu sehen, das noch immer an seiner traditionellen Lebensweise festhält.
Wir fahren von Swakopmund nach Walvis Bay weiter. Die Straße ist zwischen Dünen und Meer eingezwängt. Sie verbindet zwei von nur vier Städten an einer fast 2000 Kilometer langen Küste. Mit Ausnahme dieser Städte ist die gesamte Küste ein Nationalpark oder ein Naturschutzgebiet. Kein Wunder, dass Namibia sich rühmen kann, 46 Prozent seiner Fläche in der einen oder anderen Form unter Schutz gestellt zu haben.
Tagesausflüge zu einem der berühmten Ramsar-Gebiete – Sandwich Harbour – gehören zu den möglichen Unternehmungen in Walvis Bay. Die Fahrt an hohen Dünen und einsamen Stränden entlang ist ein Vergnügen, ebenso wie die Vorstellung, dass Tausende und Abertausende von Vögeln hierher ziehen, um zu brüten. Von den Fischen ganz zu schweigen.
Doch für einen Abstecher bleibt keine Zeit.
Auf dem Weg über die Schotterflächen der Wüste, auf denen nach einer guten Regenzeit stellenweise gelbes Gras steht, passieren wir Abzweigungen nach Mirabib, Vogelfederberg und Gemsbokwater. Aber wir halten nicht an, um diese
archäologischen Stätten zu besichtigen oder am späten Abend den Mond aufgehen zu sehen, Geckos bellen zu hören und uns auf den Rücken zu legen, um die Milchstraße am dunkelsten Himmel der Welt zu bestaunen. Stattdessen fahren wir durch die Gramadoelas, die hügelige Landschaft zu beiden Seiten des Kuiseb-Laufs, und dann durch das trockene Flussbett auf dem Weg zum Sossusvlei und Deadvlei und zum Sesriem Canyon. Wo die ephemeren Flüsse in den Dünen verschwinden, liegt das Namib-Sandmeer, ein Weltnaturerbe. Die einzige Möglichkeit, die Großartigkeit dieses Ortes in vollem Umfang zu würdigen, ist ein Rundflug.
Das Beste, was wir zu Fuß tun können, ist die wenigen Kilometer ins Deadvlei zu laufen und die nächstgelegene der hohen Düne zu besteigen, um die weltberühmte Aussicht zu genießen, von der schon Millionen von Selfies verschickt worden sind.
Der tiefe Süden ruft und mit ihm das größte private Naturschutzgebiet der Welt, NamibRand. Dort beschloss vor 30 Jahren ein Visionär, die Natur in dieser Gegend für künftige Generationen zu erhalten. Die schönste Straße in Namibia ist für viele von uns die C26. Die Landschaft ist in allen Richtungen atemberaubend, und mehr noch im weichen Licht des frühen Morgens oder des späten Nachmittags. Entsprechend wählen wir deshalb den Zeitpunkt für unsere Abfahrt. Wo die C26 auf die B4 trifft, wenden wir uns wieder Richtung Küste – zu dem Ort, an dem vor mehr als einem Jahrhundert der erste Diamant entdeckt wurde. Lüderitz ist ein beschauliches kleines Städtchen. Die Geisterstadt Kolmanskop ist ein Traum für Fotografen, und die Chronik des Diamantenrausches und seines Niedergangs ist für Entdecker eine faszinierende und unerwartete Geschichte. Sie wird sicherlich ein Höhepunkt in Ihrem Notizbuch. Aber das Beste ist: wir dürfen jetzt das Sperrgebiet betreten, ein riesiges Stück Land, zu dem bisher niemand Zutritt hatte außer dem Diamanten schürfenden Unternehmen. Das ist eine andere Geschichte für ein Abendessen mit Langusten und Austern, derweil man auf das aquamarinblaue Wasser der tiefsten Bucht an Namibias Küste blickt. Ein Abstecher zum Bogenfels und in die fast mit Wüstensand zugewehten kleinen Bergbausiedlungen darf nicht fehlen. Auf unserer nächsten Reise werden wir auf jeden Fall ein paar zusätzliche Tage für den Tsau//Khaeb-Nationalpark reservieren, um ein unberührtes Stück Wüste zu erleben.
Um von Lüderitz zu unserem südlichen Grenzfluss, den Oranje, zu gelangen, müssen wir vermutlich noch etliche Jahre warten. Es gibt keine direkte Straßenverbindung. Also wenden wir uns nach Osten, landeinwärts zu einer weiteren Sehenswürdigkeit –den Fischfluss-Canyon. Wir haben die Wahl, auf der Westseite des Canyons zu bleiben oder ihn zu umfahren und ihn von seiner Ostseite zu betrachten. Oder wir machen beides. Eines, was nicht in einen dreiwöchigen Reiseplan passt, ist die 90 km lange Wanderung durch den Canyon zu den heißen Quellen von Ai-Ais. Sportler absolvieren „den Fisch“ aus allen möglichen Gründen. Fest steht, dass es berauschend ist, so nah an der Natur zu sein, verbunden mit einem gewissen Maß an Gefahr.
In der Umgebung gibt es viele reizvolle Unterkünfte, die alle ihre verschiedenen Aktivitäten und Geschichten bieten: einen „Wald“ aus Köcherbäumen zwischen Felsen, eine umfangreiche Sammlung von Lithops (Sukkulenten, die Steinen ähneln) oder einen Spaziergang am Rande des Canyons. Doch wir stehen jetzt unter Zeitdruck, denn wenn man es langsam angeht, büßt man unterwegs zwangsläufig Tage ein. Und wir wollen nicht auf dem Weg des geringsten Widerstands, d. h. schnurstracks auf der geteerten B1, zu unserem Ausgangspunkt zurückhetzen. En route nach Norden, nach Windhoek, gibt es mehr zu sehen als am Brukkaros vorbeizudüsen. Obwohl ich, wenn wir noch zwei Tage übrig gehabt hätten, dort gerne mit Ihnen gezeltet hätte und zum Kraterrand gewandert wäre. Vielleicht hätten wir das Ende des Regenbogens sehen können… ich habe es gesehen, was mir bestätigt hat, dass der Topf voll Gold nicht dort ist.
Also zurück auf den Schotter nach Helmeringhausen, Richtung Naukluft. Auch hier würde ich Sie gerne auf eine Wanderung mitnehmen, um die interessanten Bäume und Felsformationen zu sehen, aber wir haben keine Tage mehr übrig. Glauben Sie mir einfach, wenn ich Sie auf den gewaltigen TuffsteinWasserfall hinweise, der Blasskrans genannt wird, weil er wie eine Blesse auf der Stirn eines Pferdes aussieht, oder auf die Moringabäume mit ihren weißen Stämmen, das Gold der Kobasbäume oder Korkhölzer.
Wir sind auf der letzten Etappe über den Remhoogte-Pass, aber mit einem kurzen Abstecher von Nauchas nach Spreetshoogte für einen letzten Blick über die endlose Weite und die hintereinander geschichteten Berge, um zu beobachten, wie die Sonne zögernd hinter dem Horizont versinkt.
Episches Namibia. TNN
Text Rièth van Schalkwyk