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Tsau //Khaeb Nationalpark: Die Öffnung des Sperrgebiets
Was hat Menschen dazu verleitet, ihre Heimat in Europa zu verlassen und unter der unerbittlichen Sonne der Namib-Wüste in einer fernen deutschen Kolonie in Afrika im heißen Schotter nach einem Edelstein zu graben, der aus kristallin angeordnetem Kohlenstoff besteht?
Es gibt viele romantische Geschichten, in denen allerlei Gründe angeführt werden, aber in Wirklichkeit war die Motivation ganz einfach Gier. Gleichwohl sind diese Glücksritter in Lüderitz und dem späteren Sperrgebiet mit einer Fülle von Geschichten über große Entbehrungen und Leid, über Erfolge und Verluste sowie ungeahnten Reichtum und unhaltbaren Wohlstand in die Geschichte eingegangen. Die Entdeckung eines Diamanten durch den Eisenbahnarbeiter Zacharias Lewala im Jahr 1908 löste einen irrwitzigen Ansturm in die Wüste aus, der seine Spuren hinterließ – die weiten Ebenen mit Schotterhaufen bedeckt, Reihen von zerfallenden Trommelsieben und Geisterstädte. Kolmanskuppe ist die bekannteste und immer einen Besuch wert. Aber die Geistersiedlungen südlich von Lüderitz haben einen fast unerklärlichen Reiz. Vielleicht hat es damit zu tun, dass die Gebäude so ungestört dastehen, weil das Sperrgebiet über Jahrzehnte den Zutritt verwehrt hat. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass einem die einsamen Gegenden, in denen sich diese alten Siedlungen befinden, das Gefühl geben, der erste zu sein, der diese historischen Schätze entdeckt.
Es ist schon seltsam, dass Bergbautourismus so viel Anziehungskraft ausüben kann. Man stelle sich vor, dass eines Tages die Überreste der erschöpften, grotesken namibischen Tagebau-Goldminen mit nostalgischen Gefühlen besucht und Fotos von zerfallenden Bergbauausrüstungen in Gegenden gemacht werden, in denen die Natur völlig zerstört wurde. Die mehr als ein Jahrhundert alten Bergbaurelikte im einstigen Sperrgebiet haben erheblichen touristischen Wert.
Das Sperrgebiet wurde 2008 zum Nationalpark Tsau //Khaeb erklärt. Es umfasst eine Fläche von 2,2 Millionen Hektar, wovon der größte Teil zum Wüsten-Biom der Sukkulenten Karoo gehört. Das empfindliche Ökosystem weist die weltweit größte Vielfalt an Sukkulenten auf. Mehr als hundert Jahre lang hatte die Öffentlichkeit keinen Zutritt, um unbefugten Zugriff auf den Diamantenreichtum des Gebiets zu verhindern. Dadurch blieb die Sukkulenten Karoo jahrzehntelang weitgehend ungestört –eine erstaunliche Leistung, wenn man bedenkt, wie selten ein solches Schutzgebiet in der heutigen Zeit ist.
Rund 1.050 Pflanzenarten sind im Tsau/Khaeb-Nationalpark bekannt. Das sind fast 25 Prozent aller namibischen Arten auf weniger als drei Prozent der Gesamtfläche des Landes. Die Sukkulenten Karoo gehört zu den 34 wichtigsten BiodiversitätsHotspots der Welt.
Jede Form von Tourismus in diesem Gebiet musste gründlich durchdacht werden, da immer die Möglichkeit besteht, dass die empfindliche Natur Schaden leidet. Ein Tourismusentwicklungsplan wurde im August 2019 für einen Zeitraum von 10 Jahren genehmigt. Im Rahmen dieses Plans gewährte das Ministerium für Umwelt, Forstwirtschaft und Tourismus neun Tourismuskonzessionen mit strikten Auflagen.
Die Konzession für die Hotspots des Bergbautourismus und den ehrfurchtgebietenden Bogenfels erhielt das Unternehmen Sandwich Harbour 4x4, und das Team von Travel News Namibia wurde zu seiner Rundfahrt Bogenfels und Diamanten eingeladen.
Durch das Rotkopf-Tor etwa 20 Kilometer östlich von Lüderitz geht es in den Nationalpark. Der erste Halt nach kurzer Fahrt ist Grillental. Dort befand sich eine wichtige Pumpstation (Wasser ist rar in der Wüste), die die mehrere Kilometer entfernten Bergbauorte mit Frischwasser versorgte. Abgesehen von einigen Gebäuden sind überall in Grillental Werkzeuge verstreut, die an die harte Arbeit vor langer Zeit erinnern.
Als nächstes fahren wir durch eine abwechslungsreiche Landschaft mit Felsen, Wanderdünen und natürlich den verheißungsvollen Schotterebenen, wo die begehrten Diamanten vermutet wurden. Die einzigen Überbleibsel aus der Diamantenzeit sind Hunderte von Kieshalden, die auf der Suche nach den wertvollen Steinen durchgesiebt wurden.
Kurz vor der Geisterstadt Pomona kommen wir durch Idatal, benannt nach der Frau von August Stauch. Stauch soll den Diamantenrausch ausgelöst haben, denn er war der Vorgesetzte des erwähnten Bahnarbeiters Zacharias Lewala, der ihm den ersten Stein gebracht hatte. Das Idatal war so reich an Diamanten, dass die Männer dort nachts auf dem Bauch umherrobbten, um die im Mondlicht glitzernden Steinchen aufzulesen.
Pomona mit seinen verlassenen Häusern und baufälligen Holzgerüsten ähnelt Kolmanskuppe, erstreckt sich aber über ein größeres Gebiet, in dem viel mehr von Menschenhand geschaffene Relikte verstreut sind. Die Schmalspurbahngleise, einst die Lebensader zum Hafen von Lüderitz, sind nur noch an den rostfarbenen Linien auf dem Boden zu erkennen. Das Eisen ist komplett weggerostet.
Nach einem leckeren Mittagessen, zu dem Austern gehören, brechen wir zum Wahrzeichen der Natur an der Südküste auf – dem Bogenfels. Der gewaltige Felsbogen ist kaum sichtbar, wenn man auf ihn zufährt. Er ist 55 Meter hoch und wölbt sich über die Küste in den Atlantik. Der imposante Anblick ist in seiner Schönheit und Größe schwer zu beschreiben. Auch wiederkehrende Besucher beeindruckt er jedes Mal aufs Neue. Oben auf dem Bogen hat man einen atemberaubenden, wenn auch (für Menschen mit Höhenangst) etwas furchteinflößenden Rundum-Blick. Ganz anders nimmt sich das gigantische Felsengebilde von unten betrachtet aus.
Die Erkundung der einstigen Siedlungen der Diamantenpioniere und Abenteurer vermittelt einen kleinen Geschmack von dem, was es bedeutet haben muss, in einem abgelegenen Teil eines unbekannten Landes den Elementen zu trotzen – dichter Nebel, Wind, Sandstürme und brennende Sonne. Die Wüste hat Reste dieser Siedlungen erhalten. Sie gewähren außerordentlich faszinierende Einblicke in die Vergangenheit und das, was manch einer für den ultimativen Preis eines kleinen Steins und die Verheißung von Reichtum zu leisten bereit war. TNN
Text & Fotos Le Roux van Schalkwyk