Die Entdeckung der Einsamkeit
Mit dem Rad unterwegs in der Basilikata Tom und Kerstin Bierl Mai 2011
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Start in Maratea 26 Kilometer - 780 Höhenmeter Ein Küstenort wie aus dem Bilderbuch. Statt weiter Sandstrände, üppige Vegetation, die sich vom Meer bis hoch in die steil aufragenden Berge zieht. Die Kulisse erinnert mehr an einen tropischen Regenwald. Die teils uralten Ferienvillen liegen locker verteilt umgeben von meist uraltem Baumbestand. Ruhe und sanftes Grün bestimmt den Rhythmus. Unser Hotel Murmann hat allen Komfort und sehr nette Zimmer mit Blick über alte Olivenbäume zum Meer. Wir sind mit einem amerikanischen Paar die einzigen Gäste. Auffallend ist die Freundlichkeit mit der uns alle Italiener begegnen. Liegt das vielleicht an der Vorsaison im Mai?
Der erste Einroller führt gleich hoch hinaus. Die Basilikata will bezwungen sein. Das Bergdorf Maratea schmiegt sich wie eine Festung an den Hang, enge Gassen, ein nettes Cafe und die obligatorischen alten Männer bevölkern den Dorfplatz. Wir sind hier im Mai die einzigen Basilikata 2011
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Touristen. Doch Kulisse und Shops lassen ahnen, dass hier im August der Bär tobt. Heute herrscht jedoch mehr als idyllische Ruhe. Doch der Anstieg ist noch lange nicht zu Ende. Weit sichtbares Ziel ist eine alles überragende monumentale Heiligenfigur, die auf einem imposanten Felsgipfel 600 Meter hoch über dem Meer thront. Die Höhenmeter sind schnell geschafft, denn Ausblick und Natur sind schon auf dem Weg nach oben überwältigend. Eine abenteuerliche Straßenkonstruktion führt zur Wallfahrtskirche hinauf. Damit auch Reisebusse ihre Fracht sicher auf den Adlerhorst befördern können, wurden die Serpentinen einfach in die Luft gebaut. Oben prallen mehrere Welten aufeinander. Die Überreste eines uralten Wehrdorfes, dessen Mauern schon seit 100 Jahren Stück für Stück ins Meer stürzen, der Rummelplatz für Wallfahrer, die sich hier mit allerlei kitschigen Souvenirs eindecken können, die übermächtige Jesusfigur und der atemberaubende Blick auf Meer und Berge. Eindrucksvoller lässt sich der Einstieg in ein Urlaubsland nicht inszenieren. Basilikata, wir sind begeistert.
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Maratea - Rotonda 67 Kilometer - 1490 Höhenmeter Die Begeisterung kühlt etwas ab, als wir am nächsten Morgen aus dem Fenster blicken. Heftiger Regen prasselt vom Himmel, eine dichte Nebelwolke hüllt uns ein. Doch es hilft nichts. Die nächste Übernachtung in Rotonda ist reserviert und so hängen wir unsere Packtaschen ein und treten los. 67 Kilometer und rund 1400 Höhenmeter stehen heute an. Doch wir sind motiviert und so ist der 600 Meter hoch gelegene Colla Pass schnell bezwungen. In Trecchina ist dann erster Cappuccino-Stopp. In der Dorfgelateria wird uns klar: Das touristische Italien haben wir verlassen. Hier ist das Land ursprünglich wie eh und je. Kurz vor der Mittagspause ereilt uns wieder ein heftiger Regenguss, wir flüchten in eine einfache Trattoria, verspeisen mit den Arbeitern eine herrliche Pasta Al Ragu und haben den Alltag in Deutschland völlig vergessen. Intensiver als auf dem Fahrrad kann kein Urlaub sein.
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Am späten Nachmittag erreichen wir unser Tagesziel Rotonda. Ein kleines Bauernstädtchen mit einem einzigen Hotel. Das Zimmer ist eiskalt und so hilft nur der Föhn und ein Glas Rotwein. Wir fragen unsere Gastgeber nach der besten Trattoria und bekommen einen Tipp. Der Wirt sperrt für uns um halb acht seine Gaststube auf. Wir essen vorzüglich und der Regen ist vergessen. Mit Händen und Füßen bestreiten wir eine lebhafte Konversation. Wir bleiben die einzigen Gäste.
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Rotonda - San Severino
34 Kilometer - 1084 Höhenmeter Das italienische Frühstück mit Croissant und Marmelade schmeckt uns von Tag zu Tag besser. Auch die ersten Kilometer sind Genuss pur. Es geht herrlich sanft bergab durch dichte Eichenwälder, ehe der Anstieg hoch zum mittelalterlichen Städtchen Viggianello beginnt. Wieder fällt uns auf, daß es kaum Autos auf den Straßen gibt. Allenfalls ein Eislaster oder ein Bauer mit frischen Gemüse braust an uns vorbei. Ansonsten gehört die Strasse uns und unseren Gedanken. Nur die Vögel zwitschern erstaunlich laut. Sie freuen sich offensichtlich über einen weiteren Tag in der Wolke. Auch wir gewinnen dem schlechten Wetter in Bella Italia immer mehr ab. Hauptsache es regnet nicht. Der Wunsch geht leider nicht in Erfüllung. Wahre Sturzbäche prasseln auf uns herab. Wir flüchten uns wieder in eine kleine Trattoria, die als rettende Hütte ganz oben am Pass wie aus dem Nichts erscheint und sind plötzlich in einer ganz anderen Welt. Der Gastraum ist nicht größer als eine kleine Küche. Der Wirt verzieht ob unserer triefenden Regenbekleidung keinerlei Miene. Stattdessen wirft er als erstes ein weiteres Stück Holz in den brennenden, offenen Kamin. Es gib Pasta mit Wildschwein und wir müssen vorab unbedingt seine frittierten Paprika Basilikata 2011
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probieren. Selten haben wir uns irgendwo wohler und willkommener gefühlt.
Eiskalt empfängt uns dagegen unser Abendquartier. Vermutlich sind wir die ersten Gäste nach einem langen Winter. Obwohl die Warmluftheizung auf vollen Touren läuft, schafft sie es nicht, den Kampf gegen die kalten Mauern zu gewinnen. Nach gutem Abendessen in der Dorftrattoria - wir sind natürlich wieder die einzigen Gäste - hilft uns der Rotwein beim Einschlafen. Morgen, so verspricht der Wetterbericht, soll das Regengebiet endlich abgezogen sein. Wir sind guter Dinge.
San Severino Terranova 30 Kilometer - 780 Höhenmeter
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Dichter Nebel hüllt uns ein, als wir am Morgen aus dem Fenster blicken. Nach Croissant und Cappuccino sind die Packtaschen schnell montiert. Der Regen hat aufgehört, erste blaue Flecken zeigen sich am Himmel. Am Ortsrand beschließt ein abgemagerter Jagdhund uns als neues Rudel zu sehen. Tapfer trottet er die ersten zehn Kilometer mit uns mit. Kein Auto stört die morgendliche Ruhe, wir haben die Straße komplett für uns. Bei der ersten Abfahrt hinunter nach Salice gelingt es uns, den Vierbeiner abzuschütteln. Wir decken uns mit Picknick ein. Am Dorfplatz bietet ein Bauer Obst und Gemüse an. Wir kaufen ein paar Birnen, Tomaten und frische Radieschen. Zum Alimentari und der Bäckerei müssen wir uns durchfragen. Von außen sind die Geschäfte
hier nicht zu erkennen. Kaum haben wir die Eisentür zur Bäckerei geöffnet, sind wir mitten drin im abenteuerlichen Produktionsprozess.
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Ein mächtiger Kessel hängt über einem offenen Feuer, dort werden brezen ähnliche Teigwaren eingetaucht, die zuvor von einer uralten Maschine ausgespuckt werden. Wir müssen noch 15 Minuten warten, ehe wir sie ganz frisch einpacken können. Wir freuen uns schon, sie zu verspeisen. Endlich scheint die Sonne als wir den Anstieg in den Pollino Nationalpark angehen. Wieder gibt es keinerlei Verkehr. Wir sind allein. Intensiv begleitet das Zwitschern der Vögel unseren Weg, Schneereste grüßen von den näher kommenden Gipfeln. Die Berge des Pollino Nationalparks sind immerhin knapp 2300 Meter hoch. Wieder begeistern uns die Blicke und das frische Grün der Eichenwälder. Schneller als gedacht haben wir den 1400 Meter hoch gelegenen Pass erreicht. Wir begegnen auf der ganzen Strecke keinem Menschen geschweige denn einem Fahrzeug. Nur neugierige Raubvögel kreisen immer wieder über unseren Köpfen, drehen aber dann immer wieder unverrichteter Dinge ab.
Nach der Abfahrt geniessen wir unsere Brotzeit im Sonnenschein, umringt von herrlicher Landschaft und tollen Blicken. Eine mächtige Schlucht tut sich direkt vor uns auf. Es bleibt einsam bis zu unserem Tagesziel Terranova. Im kleinen Bergdorf gibt es zwei Hotels und eine
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Slow Food Trattoria - endlich ist es warm und sonnig und wir lassen uns das bisher beste Abendessen schmecken.
Terranova - Tursi 92 Kilometer - 1070 Höhenmeter Keine Wolke ist am Himmel, als wir am Morgen die Fensterläden öffnen. Die ersten 20 Kilometer sausen wir moderat bergab. Wieder völlig ohne Autos. Links und rechts am Talrand tauchen wehrhafte Bergdörfer auf. Wir erklimmen die Anhöhe zur kleinen Ortschaft San Giorgio. Wieder müssen wir die Lage aller Läden erfragen, von außen ist
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absolut nichts zu sehen. Doch das ist kein Problem. Alle Menschen begegnen uns unheimlich freundlich - wir sind mit unseren Rädern auch überall die Attraktion. Weiter geht's auf wirklich tollen Radlerstrassen. Wieder ist kein einziges Auto unterwegs. Wir können die Ruhe kaum fassen. Schöner kann Radfahren nicht sein. Das Picknick am Mittag müssen wir uns allerdings hart verdienen. Denn der von uns gewählte Weg führt wieder kräftig bergauf. Dafür werden wir belohnt - mit tollen Ausblicken auf das weite Tal des Flusses Sinni und völliger Einsamkeit. Wir sind rundum glücklich. So haben wir uns Urlaub vorgestellt. Zum Cappuccino Stopp erreichen wir den historischen Ortskern von Valsinni. Das alles überragende Schloss und die engen Gassen begeistern uns, bringen uns aber auch fahrtechnisch an die Grenzen. Es wird geht so steil bergab, dass wir lieber schieben. Wir folgen einer offiziellen Radroute in Richtung Policoro am Meer. Zum ersten Mal begegnen wir Touristen. Zwei Radfahrer aus Holland erkunden das Hinterland. Auch sie sind wie wir von der Basilikata begeistert - vorausgesetzt man fährt gerne Berge. Die Strecke zieht sich, eher wir unser Tagesziel Tursi erreichen. Erst kurz vor der Stadt begegnet uns erstmals nennenswerter Verkehr. Unser Hotel liegt natürlich 200 Höhenmeter oben in der Altstadt. Nach 90 Kilometern und über 1000 Höhenmetern sind wir froh endlich da zu sein. Es erwartet uns das bisher chicste Haus der Reise: der Palazzo Dei Poeti. Nach hervorragendem Abendessen überrascht uns der Chef des Hauses Basilikata 2011
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mit einer kleinen schauspielerischen Darbietung. Wir erfahren dabei, dass hier in der Basilikata, das wahre Zentum aller Genüsse der Menschheit liegt. Wir wagen nicht zu widersprechen.
Tursi - Aliano
40 Kilometer - 960 Höhenmeter Am nächsten Morgen gehen wir erstmal steil bergab mit unserer Rädern in der mittelalterlichen Altstadt auf Entdeckungstour. Jeder Winkel offenbart ein neues Highlight. In der Neustadt unten im Tal pulsiert dagegen normales, italienisches Leben. Wir erfragen die Läden und decken uns wieder für ein Picknick ein, denn gleich hinter der
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Stadtgrenze beginnt unser 600 Höhenmeter-Anstieg in Richtung Aliano. Wieder gehört die Strasse nach der Stadtgrenze ausschließlich uns. Gibt es wirklich auf den kleinen Nebenstraßen in der Basilikata keinen Verkehr? Zwei Stunden später oben auf der Passhöhe zuckelt das erste Fahrzeug an uns vorbei. Der Rundblick von der Höhenstrasse erinnert
uns an die Landschaft der Toskana. Nicht einmal in Australien können die Strassen einsamer sein. Die wahre Überraschung des Tages ist jedoch unser Tagesziel. Der Ort Aliano ist ein Kleinod für sich. Ein tiefer Canyon umgibt die pitoreske Altstadt. Der Ort selbst ist dann ohnehin wie gemalt. Kein Wunder, dass gerade rund 200 Kunststudenten und etwa 20 Hobbymaler aus der Sowjetunion jeden stillen Winkel des Ortes mit Staffeleien und Leinwänden belagern. Wir beziehen im Dorfgasthaus Quartier und
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f체hlen uns nach wenigen Minuten schon beinahe wie einheimisch. Abends kocht die Mamma ein rustikales Men체. Erstmals speisen wir mit sechs anderen G채sten.
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Aliano - Accetura 38 Kilometer - 748 Höhenmeter Das laut schlagende Gebimmel der Kirchenglocken holt uns am nächsten Morgen aus dem Schlaf. Am Dorfplatz ist bereits die Hölle los. Der Radclub von Policoro trägt heute in Aliano ein lokales Rennen aus.
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Wir frühstücken obligatorisch Croissant und Cappuccino und rollen als erste unter dem aufgespannten Startbanner hindurch. Die Italiener sehen das locker und feuern uns sogar an. Fünf Minuten später braust das ganze Feld an uns vorbei - in unseren Herzen und auch sonst ist Sonntagsstimmung. Wieder ist so gut wie kein Fahrzeug unterwegs, als wir gemütlich das Tal in Richtung Gorgoglione hochkurbeln. Auch die Namen der anderen umliegenden Orte klingen wie aus einem Mafiaroman. Die Menschen
selbst begegnen uns aber alles andere als verschlagen. Jeder ist auffallend freundlich und hilfsbereit. In der Bar von Cirigliano schmiert uns der Wirt schnell ein dickes Panino mit heimischem Mozarella, Schinken und Tomaten. Wir brauchen Kraft für die nächsten 600 Höhenmeter und die anschließende Abfahrt nach Accentura. Wir sind schon gespannt. Denn jetzt geht es ins Herz der lukanischen Dolomiten. Unser Berghotel San Giorgio wird zwar gerade renoviert, doch das tut der Gastfreundschaft keinen Abbruch. Wir werden mehr als herzlich empfangen und verpflegt. Am Abend beobachten wir stundenlang das Treiben der Einheimischen auf dem Corso - sogar der Dorfhund trottet wie alle unermüdlich auf und ab.
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Accetura (Potenza) Grau in grau empfängt uns der nächste Morgen. Die Temperaturen haben auf acht Grad abgekühlt. Zudem weht ein unangenehmer, eisiger Wind. Wir beschließen, uns ein Auto zu leihen und nach Potenza zu fahren. Wieder sind alle unheimlich hilfsbereit. Die Provinzhauptstadt
ist eher eine Enttäuschung. Natürlich sind wir die einzigen Gäste im Mittagslokal. Der eisige Wind lässt alle Zittern. Wir nutzen den Nachmittag zum Lesen und Arbeiten am IPad.
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Accetura Runde Wieder hüllen uns am Morgen dichtschwarze Nebel ein. Draussen hat es 8 Grad und immer wieder regnet es. Wir lassen uns mit dem Frühstück Zeit, denn der Wetterbericht hat für den Lauf des Tages Sonne gemeldet. Als wir zum Frühstück erscheinen, ist die Aufregung bei unseren Wirtsleuten groß. Sie haben sich Sorgen gemacht, ob wir gestern etwas zum Abendessen bekommen haben. Sie hatten lange auf uns gewartet. Kaum sind wir zwei Tage da, gehören wir offensichtlich zur Familie. Dabei hatten wir ganz fürstlich in einer nicht weniger familiären Slow Food Trattoria im Ort gespeist und dabei sogar neben dem Oma den Platz am Kamin ergattert. Es gab Antipasto mit Salami, eingelegtem Gemüse, Orrechiete mit Ragu und gegrilltes Zicklein mit Salat. Super!
Nach der Diskussion am Morgen müssen wir heute wohl oder übel mit unserer Wirtsfamilie im frisch renovierten Speisesaal essen - wir sind gespannt. Nach unserer Erfahrungen kann es gar nicht schlecht werden.
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Doch zurück zum Vormittag. Nachdem sich bis 11 Uhr die Wolken noch nicht aufgelockert haben, pilgern wir wieder zu unserem Autovermieter. Wir treffen ihn in der Bar Centrale. Und mit ihm wieder einen Italiener, der über 20 Jahre in Stuttgart als Konditor gearbeitet hat. Hier gehört ihm jetzt die Pasticheria im Ort. Er ist einer von einer ganzen Reihe, die wir bislang getroffen haben. Alle waren dabei immer extrem freundlich und hilfsbereit. Auch Rokko bietet uns sofort seine Handynummer an, falls es irgendwelche Probleme geben sollte. Statt mit den Rädern starten wir mit dem Auto zur Accetura-Runde. Zum Glück. Das Auf und Ab der Paßstraße erweist sich deutlich Höhenmeter intensiver als geplant. Die Eichenwälder begeistern uns durch die Windschutzscheibe selbst im Nebel. Dann taucht plötzlich Pietraportosa vor uns auf und wir verstehen den Rummel um die lukanischen Dolomiten. Extrem eindrucksvoll sind die Häuser
regelrecht in die Felsen geklebt. Ein eisiger Wind fegt durch die mächtigen Steine und Gassen. Wir sind die einzigen Touristen im Ort. Schade, dass so gar kein Fotolicht herrscht. Etwas zähneknirschend fahren wir weiter nach Castelmezzano. Die direkte Verbindungsstrasse ist seit diesem Jahr nur noch für Fußgänger und Radfahrer frei. Bei schönem Wetter sicher die imposanteste Radlerstrecke der gesamten Basilikata. Selbst unter einer dunklen Wolkendecke begeistert uns der Ort. Wir flüchten vor dem Basilikata 2011
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eisigen Wind in die einzige offene Trattoria und sind natürlich wieder die einzigen Gäste. Wir speisen leckere Antipasto mit geräuchertem Lendenschinken, hausgemachtem Ricotta und Nüssen. Danach gibt's als Hauptspeise mit Ricotta gefüllte Ravioli mit Pilzen und Ragu vortrefflich! Der Himmel beginnt sich etwas aufzulockern und Tom wagt zu hoffen. Gibt es doch noch eine Chance auf ein Foto vom zweifellos spektakulärsten Ort der Reise? Wir warten ab und geben auf. Fünf Kilometer später unterbrechen wir die Rückfahrt nochmal in einem Agritourismo auf einen Cappuccino. Zum Glück. Der Himmel wir ein Stückchen blauer, wir fahren zurück und machen das Foto. Ich bin mir sicher: Das wird der Aufmacher.
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Accetura - Montescalioso 87 Kilometer - 1078 Höhenmeter Wir werden im Hotel fast überschwänglich verabschiedet. Wir müssen allen die Hand schütteln. Es ist keine Wolke am Himmel als wir uns in einem weiten Bogen über San Mauro auf die Abfahrt ins Salandrella Tal machen. Knapp 20 Kilometer rollen unsere Räder immer nur sanft bergab. Die bisher schönste Abfahrt der Tour. Nur hätten wir das alte Sprichwort " Man soll keine schlafenden Hunde wecken", beherzigen sollen. Ein Rudel von sechs weißen, riesigen Hütehunden döste wie tot im Gras - bis zu dem Moment als ich Kerstin darauf aufmerksam machte. Schlagartig war die Bande wach und stürmte laut bellend auf die Straße. Um's kurz zu machen: Wir haben überlebt.
Den kleinen Umweg über das Dörfchen Calciano bezahlen wir wieder einmal mit einem kräftigen Anstieg. Werden dafür aber mit totaler Einsamkeit und offenen Mündern des ganzen Ortes belohnt. Pünktlich zur Mittagspause ist auch der Anstieg nach Grassano geschafft. Die Mama im kleinen Supermarkt macht uns ein extra großes Panino mit Basilikata 2011
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Mozarella, Schinken und besten Tomaten. Wir verzehren das Teil am Dorfplatz in der Sonne. Herrlich! Kräftiger Rückenwind bläst uns nur so weiter bis Miglionico. Auf der ausrangierten Via Appia rollen wir ohne Verkehr direkt auf unser Agritourismo zu. Wieder haben wir knapp 90 Kilometer und über 1000
Höhenmeter geschafft. Die Landschaft um uns herum hat sich total verändert. Wir sind jetzt in einem sanften Hügelland mit üppigen, großen Feldern.
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Der Patrone lädt uns zu einer kleinen Rundfahrt mit dem Auto ein. Wir besichtigen einen historischen Schafstall und beobachten die Falken bei der abendlichen Jagd nach Mäusen. Außerdem erfahren wir viel über Land und Leute. Abends kocht er für uns. Wir sind wieder die einzigen Gäste.
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Montescalioso - Matera
56 Kilometer - 820 Höhenmeter Endlich Sommer. Wir genießen ein herrliches Frühstück mit einer Reihe von selbst gemachten Marmeladen. Auf die Kirschen ist der Hausherr besonders stolz. Er beliefert mit seinen Produkten eine Reihe von Delikatessengeschäften in Deutschland sogar direkt. Zum ersten Mal kommen wir bei einem Anstieg so richtig ins Schwitzen, doch die Mühe lohnt. Montescalioso mit seiner Benediktinerabtei begeistert uns. Rund um die Kirche sind altes und modernes Leben perfekt vereint.
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Der Rest der knapp 60 Kilometer über Ginosa nach Matera ist weniger der Rede wert. Auf dem letzten Kilometer vor der Stadt begegnen uns mehr Autos und Lastwagen als während der gesamten vergangenen zehn Tage. Dafür präsentieren sich die Sassi in bestem Licht. Zum ersten Mal sind wir nicht die einzigen Touristen in dieser lebendigen Stadt. Zweifellos der kulturelle Höhepunkt der Reise.
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Matera
Die Altstadt erinnert uns an eine überdimensionale Krippe, als wir das erste Mal von einer Aussichtsterrasse auf die berühmten Sassi blicken. In Jahrtausenden haben Menschen hier am Rande einer Schlucht ihre Behausungen in den weichen Sandstein gegraben. Über 50 Felsenkirchen, alte Palazzos, kleine Plätze und tausende von Wohnhöhlen zeugen von einer langen Geschichte. In den 50er Jahren als Schandfleck Italiens verschrieen, präsentieren sich heute die Sassi als Weltkulturerbe und Wohnstätte mit einzigartigem Charme. Wir sind fasziniert von der Einzigartigkeit und nutzen die nächsten zwei Tage die Satdt intensiv zu erkunden. Ein Unterfangen, dass sich mehr als lohnt. Matera strahlt für uns eine ungewöhnlich hohe Lebensqualität aus. Immer wieder entdecken wir neue nette Plätze, begeistern uns die Zeugnisse Jahrhunderte alter Architektur. Alle empfohlenen Restaurants entpuppen sich als der Knüller. Nie haben wir häufiger besser gegessen. Ein toller Abschluss einer für uns unvergesslichen Tour.
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Best of Basilikata Die Überraschung: Auf den Nebenstraßen gibt es so gut wie keinen Verkehr. Häufig begegnete uns zwei Stunden lang kein Auto. Wirklich günstig: für Espresso, Cappuccino und zwei Gläser Mineralwasser bezahlen wir in der Regel zusammen 1,70 Euro. Kultur pur: Der schauspielernde Wirt im Palazzo dei Poeti in Tursi. Steilste Anstiege: im Pollino Nationalpark auf dem Weg nach Terranova und die Rampe hoch zum Mafiadorf bis 20%. Schönste Abfahrt: Knapp 20 Kilometer immer sanft bergab von Accetura nach Garaguso. Tollster Ausblick: Von der Jesusstatue 600 Meter hoch über der Küste von Maratea. Beste Pasta: Im Slow Food Restaurant von Terranova: Nudeln mit getrockneten Paprika. Urigster Einblick: Die Brezel-Produktion in der Dorfbäcketei von Salice. Schönster Ort: Das Künstlerdorf Aliano inmitten einer wilden Canyonlandschaft. Netteste Übernachtung: Im Dorfwirtshaus von Aliano. Wir wohnen in einem Zimmer in einer engen Gasse und werden Teil einer anderen Welt.
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