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KonstantinaVassiliou-Enz

KonstantinaVassiliou-Enz

arbeitet lange als HörfunkJournalistin. 2011 wird sie Geschäftsführerin des Vereins Neue Deutsche Medienmacher*innen. 2022 gründet sie mit Ferda Ataman die Beratungsagentur Diversity Kartell

»WirwollenMedienbeim Überlebenhelfen«

Konstantina Vassiliou-Enz, Gründerin der Beratung Diversity Kartell, will Vielfalt in die Medien bringen. Sie glaubt an die Macht von Quoten statt an Regenbogen-Logos

Du arbeitest seit über drei Jahrzehnten in der Medienwelt. Was hat sich in dieser Zeit in Sachen Diversität verbessert?

Bis vor zehn Jahren war es geradezu radikal, zu fordern, dass Redaktionen vielfältig besetzt sein müssen und Medieninhalte nicht für ein Publikum gemacht werden sollten, dass es seit den 70er Jahren nicht mehr gibt. Heute haben das die meisten Medienhäuser längst erkannt. Sie wissen noch nicht genau, was sie mit der Erkenntnis anfangen, aber dafür gibt es ja Fachleute wie uns.

Hat sich auch etwas verschlechtert?

Junge Leute mit einem ungeraden Lebensweg haben viel schlechtere Chancen im Beruf. Das war früher einfacher, es ist ziemlich paradox: Fritz Pleitgen zum Beispiel hatte die Schule abgebrochen und war trotzdem zwölf Jahre lang WDR-Intendant. Heute sind es erst ein paar wenige Häuser, die wieder davon abrücken, ein Studium und journalistische Erfahrung und zig Praktika als Voraussetzung für ein Volontariat zu verlangen.

Wo liegen heute die größten Baustellen?

Auch heute noch denken bei Diversity viele erstmal an mehr Frauen. Aber viele Förderprogramme für Frauen sind so aufgesetzt, dass sie weiße, junge, heterosexuelle und karrierebewusste Frauen ohne Behinderung im Blick haben. Sie richten sich nicht an Schwarze Frauen oder welche aus einer RomaFamilie, nicht an queere Frauen oder solche mit Behinderung oder Armutserfahrung. Das sind einfach viele verschenkte Chancen. Im Idealfall gibt es in einem Medienhaus eine übergreifende Strategie, die alle Abteilungen adressiert. Die meisten

Foto: Sarah Eick

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Häuser stellen eher mal ein, zwei neue Leute ein und führen einen Workshop für diskriminierungssensible Sprache oder ein Diversity-Training für Führungskräfte durch. Solche punktuellen Maßnahmen sind besser als nichts, aber keine Diversity-Strategie. Vielen wird inzwischen aber schnell klar, dass es mehr braucht, wenn man als fortschrittlich wahrgenommen werden oder neue Zielgruppen erschließen will. Wichtig ist zu wissen: Jede*r kann diversitätsorentiert arbeiten. Das kann man lernen und es ist nicht schwer. Aber man muss es wollen und bereit sein, die gewohnte Arbeitsweise zu ändern – von der Rekrutierung bis zu allen relevanten Entscheidungen. Und davor scheuen sich viele. Manchmal so lange, bis es zu spät ist.

Das Thema ist in deinen Augen Chefinnensache. Warum?

Weil es zwar am einfachsten und günstigsten ist, mit dem Nachwuchs anzufangen und ein paar Vokabeln politisch korrekt zu ersetzen. Das ist aber zu kurz gedacht. Azubis setzen nicht die Prioritäten im Haus und prägen keine neue Arbeitskultur. Sie stehen in der Hierarchie ganz unten. Natürlich sind diverse Praktis und Volontär*innen großartig. Sie bringen frischen Wind, neue Ideen und Social-Media-Skills mit. Aber man muss dafür sorgen, dass sich die Neuen entfalten können, wertgeschätzt werden und bleiben wollen. Deswegen funktioniert Diversity nur als Chef*innensache, weil es ein sehr umfassender Veränderungsprozess ist.

Was können Verbraucherinnen tun, um selbst mehr Vielfalt bei Firmen und Verlagen zu fordern?

Sich häufiger beschweren und öfter mal loben, wenn im Programm oder im Blatt auffällt, dass Vielfalt fehlt oder eben gezeigt wird. Du hast sehr sicher auch die Erfahrung gemacht, dass in jeder Redaktion die Diskussion losgeht, wenn mal zwei, drei Zuschriften mit gut argumentierten Beschwerden zum selben Thema ankommen oder auch, wenn es ernstzunehmendes Lob gibt. Viele unterschätzen den enormen Einfluss, den sie mit einer simplen E-Mail nehmen können, dabei ist es so einfach.

Was sind wirklich verlässliche Kennzahlen für Diversität in Unternehmen? Da kann es ja nicht ausschließlich um die Frauenquote im Vorstand gehen.

Diversität lässt sich beim Personal und genauso beim Output messen. Also: Wieviele Menschen mit Rassismuserfahrung, mit Behinderung, wieviele queere Kolleg*innen oder Menschen mit Armutserfahrung arbeiten im Haus und haben sie Entscheidungsmacht? Solche Daten machen deutlich, wie ein Betrieb aufgestellt ist und sie können problemlos anonym erhoben werden. Ebenso wichtig ist, sich anzuschauen: Wen repräsentieren wir in unseren Inhalten und wen nicht? Es gibt eine einfache Messungsmethode, die oft sehr überraschende Ergebnisse bringt – meistens sind die eigenen Medieninhalte wesentlich einseitiger, als sie die Leute sich vorstellen. Und mit solchen Diversity-Daten als Grundlage lassen sich dann verbindliche Zielmarken festlegen.

Diversity Kartell hat einen Schwerpunkt im Medien-Business. Ist das Thema bei uns wichtiger als anderswo?

Ja, weil Medien die öffentliche Meinung prägen und Journalist*innen damit eine große Verantwortung tragen. Was viele von uns über die Welt wissen, wissen wir aus den Medien. Wenn Journalismus aber einseitig ist, weil es niemanden in der Redaktion gibt, der oder die neue Perspektiven einbringen könnte, und wenn es keinerlei Zugänge zu bestimmten Communities, ihren Themen und Storys in der Redaktion gibt, dann finden sie in den Medien auch nicht statt. Abgesehen davon gehört es schließlich zum journalistischen Handwerkszeug, alle Blickwinkel auf ein Thema zu kennen, wenn ich darüber berichte. Wer nicht das ganze Bild sieht, kann nicht objektiv berichten. All diese Folgen sind viel schwerwiegender, als wenn sich mal ein Auto oder eine neue Seife nicht verkauft.

Weshalb glaubst du, dass es Quoten braucht, um Medienschaffende mit internationaler Geschichte zu fördern?

Weil Logos in Regenbogenfarben und Fotos von Schwarzen Nachwuchsjournalist*innen auf der Website nichts bewirken. Wir wissen aus der Forschung und aus der Praxis: Ohne Quote ändert sich nichts. Es ist schlicht das einzige Instrument, das wirkt. Quoten als freiwillige Selbstverpflichtung sind messbar, transparent und verbindlich. Klar, es gibt Vorurteile, aber nur durch Quoten werden alle, die bisher schlechtere Karten haben, nicht mehr benachteiligt. Sie bekommen einfach die gleichen Chancen, die alle anderen immer schon hatten. Außerdem greifen Quoten erst bei gleicher Qualifikation von Kandidat*innen. Die Angst, dass durch eine Quote plötzlich lauter schlechte Journalist*innen in der Redaktion sitzen, ist irrational. Es gibt ausreichend Länder wie Großbritannien, die USA und Kanada, die gezeigt haben, dass positive Maßnahmen zur Förderung von benachteiligten Gruppen möglich sind, ohne Schaden anzurichten. Und natürlich ist auch niemand gezwungen, über eine Quote in die Redaktion zu kommen.

Du hast als dein Ziel die „Medienweltverbesserung“ ausgegeben. Wann weißt du, dass du dieses Ziel erreicht hast?

Es wäre ein gutes Zeichen für Medienweltverbesserung, wenn weiße, heterosexuelle Männer ohne Behinderung in Führungspositionen irgendwann in der Minderheit sind. Also genau wie in unserer Gesellschaft, wo sie ungefähr ein Drittel ausmachen. Das würde ich feiern.

Interview: Tim Gieselmann

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